Die Schlacht auf dem Kapaunsee - Martin Meißner - E-Book
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Die Schlacht auf dem Kapaunsee E-Book

Martin Meißner

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Beschreibung

Ab und zu braucht jeder einen Sieg. Das sagt Thomas Martelok zu seinem Freund Jochi. Jochi ist es gewohnt, in der Schule gut abzuschneiden. Die Rückgabe jeder Kontrollarbeit ist für ihn ein kleiner Sieg. Bei Thomas sieht es anders aus. Seine Stärken aber sind Körperkraft, Ausdauer und Geschicklichkeit, die er außerhalb der Schule beweisen kann. Besonders, wenn sein großer Tag gekommen ist. Wenn die Seeschlacht auf dem Kapaunsee tobt. Einmal im Jahr stehen sich die Jungen der Dörfer Siedenstave und Böddenthin gegenüber, um sich mit Trögen und Holzfässern auf dem Wasser des Kapaunsees zu bekämpfen. Sieger ist das Dorf, das die Flotte der anderen an das eigene Ufer zurückgedrängt hat. Hundert Jahre und mehr ging das schon. Mit wechselndem Erfolg. Nun aber gibt es zwischen den Bauern in den Dörfern einen handfesten Streit, an dem Thomas' Vater maßgeblich beteiligt ist. Was man in dieser dramatischen Lage nicht braucht, ist die Schlacht auf dem Kapaunsee. Für Thomas eine herbe Enttäuschung. Die Schlacht auf dem Kapaunsee ist ein Kinderbuch aus den frühen siebziger Jahren. Bauernhöfe sind längst zu Genossenschaften zusammengeschlossen und die Arbeit wird mehr und mehr wie in der Industrie organisiert. Dabei prallen eine hergebrachte Lebensweise und Vertrauen auf Technik und moderne Arbeitswelt aufeinander. Keines von beiden kann punkten. Gewinner sind Freundlichkeit der Leute und ihr Humor. Gedruckt erschien es 1976 bei: Der Kinderbuchverlag Berlin INHALT: Der erste Ritt Ein Brühtrog wird seetüchtig gemacht Die Krähenfangmaschine Wale am Witten Berg Drei Geschichten für den Großmogul Ein einsamer Katamaran Die Jagd nach dem Spion Thomas der Kartograph Der Schulzenstab Der große Fisch Ferien

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Impressum

Martin Meißner

Die Schlacht auf dem Kapaunsee

ISBN 978-3-86394-188-8 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 1976 bei Der Kinderbuchverlag Berlin

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta Foto: Foto Hille

© 2011 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.com

Der erste Ritt

Fope Fope Bastian Lat de Koh int Gras gahn Lat se nich so wiet gahn Lat se bald werrer kam Hinner Genthin Da liet 'n fett Swin Noch 'n büschen näger Da liet 'n fettn Jäger Piff - paff - du bist aff

Abzählreime schallen wieder durch das Dorf. Es ist Frühling. Frühling ist auch, wenn die Pferde endlich auf die Weide können. Dann beginnt für Thomas Martelok die große Zeit. Auch für die anderen Jungen aus Siedenstave. Besonders aber für Thomas, denn sein Opa, Gumpert Martelok, versorgt die Pferde der Genossenschaft. Und so ist es kein Wunder, dass Thomas der erste Reiter ist im Dorf.

"Sei vorsichtig!", ruft Großvater ihm nach. "Nach dem Winter, da gehen sie stramm!"

Aber Thomas ist es nur recht. Wie ein Windstoß treibt er durch das Dorf. Ohne Zaumzeug sitzt er dort oben und ohne Sattel. Er hält sich in der Mähne fest, und der Wallach fliegt dahin, als ob er keinen Reiter tragen müsste.

Vorsicht, Leute, denkt Thomas, macht Platz, hier kommt ein Reiter. Ein paar Tauben stieben auf. "Macht Platz, Leute!", ruft er den Tauben nach, als die Schar in der Luft auseinanderspritzt. Dann liegen die Gehöfte hinter ihm, zuletzt die Gebäude des neuen Rinderstalls, etwas abseits, als bildeten sie ein eigenes Dorf. Die Silos, hoch und silbern wie die Weltraumraketen auf der Startrampe.

Wie sich das alles bewegt hier draußen! Die Pappeln, die vom Wind geschüttelt werden, die Wolken, die wie ausgefranste Teppiche über die Immenmöhler Forst wegsegeln, und die Traktoren am Hellepötz.

Vor allem aber die Bäume und die Telegrafenmasten am Weg, die vorbeipeitschen an Reiter und Pferd. Bis am Bornbrook der Ritt zu Ende ist.

Auf dem Rückweg hat Thomas es eilig.

Es wäre gut, wenn mich einer gesehen hätte, denkt er, als er über einen Koppelzaun steigt, um den Weg abzukürzen. Am besten natürlich Jochi. Es wäre gut, wenn er mich gesehen hätte.

Aber Jochi Lasbeke hat ihn nicht gesehen. Er sitzt im Wohnzimmer und kaut an seinem Füllfederhalter. Vor ihm liegt der angefangene Aufsatz: "Wie topfe ich eine Zimmerblume um - Vorgangsbeschreibung". Jochi kann alles, was mit der Schule zusammenhängt, aber solche Aufsätze sind ihm ein Gräuel. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als eine Blume umzutopfen. Und so ist er froh, als draußen der Doppelpfiff ertönt und Thomas vor dem Fenster steht.

"Du hockst wohl schon lange in der Stube?", fragt Thomas, als sie sich auf die Teichmauer unter die Trauerweide setzen.

"An die zwei Stunden, denke ich", sagt Jochi und macht sein zerknittertes Gesicht, das ihn wie einen vergrämten alten Mann aussehen lässt. "Das Blumenumtopfen!"

"Dann hast du wohl nicht ein einziges Mal aus dem Fenster gesehen, so die Straße hinunter? Nur für einen Augenblick."

Thomas sieht seinen Freund fragend von der Seite an.

"Nein, ich habe in einer Broschüre gelesen, die lag bei meiner Großmutter auf dem Boden. 'Jerchelmanns Haus- und Gartenfibel. Unsere Zimmerpflanze - unsere Lebensfreude.'"

"Ich bin geritten heut. Zum ersten Mal wieder. Auf dem Wallach", gibt Thomas stolz bekannt.

"Du hast es gut", sagt Jochi verzagt. "Du reitest, und ich lese in Jerchelmanns Haus- und Gartenfibel."

Thomas ist inzwischen aufgestanden, greift ein paar Zweige der Trauerweide, die wie lange Schnüre auf die Wasseroberfläche des Teiches herabhängen, und betrachtet die sprossenden Blätter.

"Am schönsten ist es auf einem Pferderücken", sagt er auf einmal. "Da siehst du was von der Welt, und du kriegst Lust, was Ordentliches zu unternehmen. Wenn man so auf der Erde langgeht, dann ist man wie eine Ente. Zu Fuß gehen kann jede Ente. Aber reiten nicht. Dazu gehört was."

Jochi fährt sich mit der ganzen Hand über das Gesicht, als wische er das Unbehagen über zehn Aufsätze fort.

"Wenn du auf dem Pferd sitzt, dann spinnst du dir immer was zurecht. Dann denkst du, du bist Siegfried oder so 'n anderer Held. Möchtest dann ein alter Ritter sein, mit Rüstung und mit einer großen Lanze."

"Nein, das nicht, aber was Ordentliches unternehmen. So etwas, wo die Leute sagen: Ja, der Junge von Marteloks, das ist ein großartiger Mensch. Ein Ritter möchte ich nicht sein. Aber so wie er."

"Wie wer möchtest du sein?", fragt Jochi erstaunt.

"Wie mein Vater möchte ich sein. Er hat als junger Bursche den Bauernstein aus dem Dorf geschleift, dass den Leuten fast die Augen aus dem Kopf gefallen sind. Wenn der eine Arbeit macht, dann sieht es aus, als ob es gar keine ist. Im Dorf gilt seine Meinung etwas. Alfred Martelok hat es auch gesagt, heißt es, und dann ist die Angelegenheit erledigt. Du musst lange die Purnitz hinabwandern, bis du an Dörfer kommst, wo sie Vater nicht kennen. Ich glaube, so einer wie mein Vater war früher ein Held."

"Ich denke, solch eine große Rüstung hatten die gar nicht", sagt Jochi und schaut prüfend zu Thomas, wie er diesen Scherz wohl auffasst. Er leidet es gewöhnlich nicht, dass man über seinen Vater einen Spaß macht.

"Nein, so eine Rüstung gab es nicht", sagt Thomas, und sie lachen beide, dass der Teich beinahe Wellen schlägt.

Es ist Frühling, Abzählreime hallen aus dem Dorf, auf dem Weg zum Bornbrook jagt der erste Reiter dahin.

Es ist Frühling, hoch oben in der Luft singt eine Lerche ihr tausendstrophiges Lied.

Über den Acker am Witten Berg geht ein Mann. Groß und mit breiten Schultern, ein richtiger Riese. Er hat ein rotes Gesicht, und in seinen dichten Haaren zaust der Wind wie in einem Büschel Dünengras. Mit langen Schritten stürmt er vorwärts, in Stiefeln, so groß, wie man sie in keinem Laden gesehen hat. Seine Jacke steht offen, und ihre Schöße schlagen, als wären sie die Schwingen eines riesigen Vogels.

Der Mann ist Thomas' Vater, der Vorsitzende der Genossenschaft, Alfred Martelok.

"Hier hast du bald ausgespielt", sagt er und fährt ein paar Mal mit dem Arm durch die Luft. Es sieht aus, als weise er jemand aus dem Raum.

Er meint den Wind, der vom Boden kleine Sandwolken hochstiebt, sie einen Moment auf der Stelle dreht und dann zum nahen Kieferngehölz treibt.

"Hier wirst du bald nasse Füße kriegen!", ruft er und lacht dabei. Am Weg bleibt er stehen. Dort, wo die langen Rohre aus Asbest liegen, die vor kurzem erst abgeladen worden sind.

Prüfend hebt er ein Rohr an. "Hm", sagt er. Und nach einer ganzen Weile: "Na ja."

Dann schaut er zu der Lerche hoch, die mit zitterndem Flattern in den Aprilhimmel steigt. In weiten Schraubenlinien zieht sie höher und höher, bis sie kaum noch zu erkennen ist.

Warum mir wohl die Lerche der liebste von allen Vögeln ist, denkt er. Vielleicht wegen ihres Gesanges, wegen dieser hellen kräftigen Töne mit den tausend und aber tausend Strophen, deren Melodie bei anderen abgelauscht scheint. Vielleicht auch deshalb, weil sie der Mumme so gern hatte.

Mumme war der Großvater von Alfred Martelok. Eigentlich hieß er Mombert Luer. Aber im Dorf nannten ihn alle nur Mumme. Sogar seine Frau und später die Enkelkinder auch. Großvater oder Opa sagte niemand zu ihm.

"Sieh dir die Lerche an, Junge, wie sie unendlich hochfliegt", hatte der Mumme manches Mal gesagt, wenn er mit einem Wurzelstock rang oder einen Findling auf den Wagen gerollt hatte und Alfred mit großen Augen dabeistand.

Hier auf diesem Acker am Witten Berg war es gewesen. Ein Brachland damals noch. Holundergebüsch wuchs darauf, und von den umliegenden Feldern wurden hier die Lesesteine aufgehäuft. Richtige Berge mit der Zeit.

Mumme machte diesen Boden urbar, denn er besaß nur wenig Land und wollte aus seiner bitteren Armut heraus. Sein Herz war voller Hoffnung gewesen. Er glaubte an diesen Acker, der da unter den Steinhaufen und unter dem Holundergebüsch lag. Bei dieser Arbeit war er Alfred wie ein Riese vorgekommen, viel stärker als alle anderen Bauern im Dorf.

Eines Tages war es endlich geschafft. Kein Stein mehr und keine einzige Wurzel. Umgepflügt sah der Acker aus, als hätte er tausend Jahre nichts als reiche Frucht getragen.

"Haltet dieses Land in Ehren", hatte Mumme damals feierlich gesagt. Dabei hatte er seinen Enkel Alfred fester angesehen als seinen Schwiegersohn Gumpert Martelok, so als traue er es dem Jungen am ehesten zu.

"Es ist ein besonderes Land. Ein besonderes Land, weil ich es mit meinen eigenen Armen unter den Steinhaufen und unter dem Gestrüpp hervorgeholt habe."

Aber es war auch jetzt kein besonderes Land. Nach der Aussaat war Mumme jeden Tag hinausgegangen. Doch das Korn blieb kniehoch, und die Kartoffeln verbrannten in der Junisonne. Jahr für Jahr.

Doch immer, wenn er traurig vom Witten Berg zurückkam, sagte er: "Es ist ein besonderes Land. Ihr werdet es sehen. Eines Tages werdet ihr sagen, es ist ein besonderes Land." Er hatte recht.

Mumme konnte es einfach nicht glauben, dass die Arbeit eines Menschen umsonst sein sollte. Mit seiner großen Hoffnung war er gestorben.

Heute nun soll sich diese Hoffnung erfüllen. Alfred Martelok schaut zufrieden auf die Asbestrohre. Eines nimmt er in die Hand, als wolle er es jemandem zeigen. Wenn Mumme das noch erlebt hätte, denkt er, der hätte sich riesig gefreut.

"Das sind aber sehr schöne Rohre", sagt auf einmal jemand hinter ihm. Es ist der Vater des Vorsitzenden, Gumpert Martelok. "Wie sie so sind", sagt der Sohn kurz.

Gumpert Martelok steht neben seinem Rad, einem sehr alten Modell mit einem eckig nach oben gebogenen Lenker. Gesundheitslenker wird er von den Jungen genannt. Vorn ist eine unförmig dicke Lampe angebracht, mehr eine Art Scheinwerfer, der jedem Raupenschlepper zur Ehre gereicht hätte. Der Sattel besitzt sehr stabile Sprungfedern und statt des Leders ein weiches Polster. Das ganze Rad sieht eigenartig komfortabel aus. Man wird den Eindruck nicht los, es wäre eher zum Schlafen eingerichtet als zum Fahren.

"Nun wird das Land am Witten Berg wohl ein blühender Garten", sagt der Alte und macht dabei ein genüssliches Gesicht. "Wir werden gut ernten, wenn das Wasser darauf kommt", antwortet der Sohn.

"Es gibt Leute im Dorf, die meinen, du willst mal wieder deine Stärke beweisen. Aber es werden teure Kartoffeln, wenn man den Regen selber macht."

Bei den letzten Worten hebt Gumpert Martelok sein Fahrrad behutsam in die andere Richtung. Dann rollert er sich kräftig in Fahrt, schwingt das rechte Bein über den Sattel und radelt sehr gerade sitzend davon.

"Besserwisser", knirscht Alfred Martelok und schaut, als hätte er eine unreife Pflaume verschluckt.

Aber er hat keine Zeit, sich lange über den Alten zu ärgern, denn unten auf dem Purnitzweg rollt eine weitere Fuhre mit Bewässerungsrohren heran.

Während der Vorsitzende den Traktoristen einweist, wo abgeladen werden soll, bleibt die Zugmaschine plötzlich stehen. Er winkt mit beiden Armen, weil er glaubt, der Mann hätte sein Zeichen nicht verstanden. Aber das hilft nichts. Der Motor heult ein paar Mal auf, als wolle er um Hilfe rufen. Aber die Maschine rührt sich nicht von der Stelle.

Als Alfred Martelok heran ist, rafft der Traktorist gerade Schilf vom Purnitzufer zusammen und wirft es vor die Räder. Dann schwingt er sich auf den Sitz und gibt Gas. Der Traktor ruckt kurz an, aber dann drehen die Räder wieder durch, obwohl der Hänger schon abgekoppelt ist. Große Klumpen Morast schleudern nach hinten weg.

Dabei sinkt die Maschine immer mehr ein. Gleich liegen die Achsen auf.

"Es hat keinen Zweck!", ruft der Vorsitzende. Sehr laut, damit er den Lärm des Motors übertönt.

Dann zieht er seine Jacke aus und wirft sie auf den Hänger. Er geht nach vorn zum Kühler, wischt seine Hände an der Hose trocken und greift zu. Dabei wirft er den Kopf zurück wie ein kleiner Junge vor dem Zweikampf mit einem anderen. Als wolle er sagen: "Los doch! Komm du nur! Versuch es doch mal, ob du mich unterkriegst! Mit so einem, wie du es bist, nehme ich es zweimal auf!"

Ein Stöhnen wie ein großes Tier. Ein Schwung. Und der Traktor steht in einer anderen Richtung.

Der Traktorist staunt mit aufgerissenen Augen. Als Alfred Martelok ihn so verwundert stehen sieht, muss er lachen.

Wie ein lebender Kran", sagt der Traktorist nach einer ganzen Weile.

Nun fassen die Räder wieder, und die Zugmaschine kommt frei.

Ein Brühtrog wird seetüchtig gemacht

Thomas schaut auf seine Uhr, dann zum Fenster hinaus und wieder auf die Uhr. Er ist unruhig wie die Kiebitzpaare in der Brutzeit. Den Atlas und das Lehrbuch hat er schon lange in die Mappe geschoben. Geographielehrer Döbbelin kommt nicht dahinter, denn er erklärt an einem Wandbild Erdbeben und Vulkanismus. Dabei gerät er so in Eifer, als ob er die Vulkane selbst erfunden hätte.

Es hat seinen Grund, dass Thomas lange vor Stundenschluss abgeräumt hat und nur hin und wieder einen Blick auf den Atlas seines Nachbarn wirft. Eigentlich hat er gar keine Zeit, hier in der Schulstube zu sitzen. Er hat noch eine Menge zu tun, und am Tag ist nicht mehr viel dran, wenn es bereits auf Mittag zugeht.

Da ist vor allem der Brühtrog, ohne den kein Schlachtenlärm über den Kapaunsee dröhnen wird. Die Risse darin klaffen noch wie Daumen breit. Der Teer muss geschmolzen werden und der Abwasserkitt gehörig durchgewalkt. Das braucht alles seine Zeit und gerade das Kalfatern ist eine Arbeit, die man nicht über das Knie brechen kann.

Und dann noch dieser Zettel!

"Bitte fünfzehn Uhr dreißig am Bauernstein - wenn nicht, dann ist alles aus!"

Halb vier sagt man bei uns. Aber nein, fünfzehn Uhr dreißig steht dort. Doch soll sie ruhig gebildet tun. Ich, Thomas Martelok aus Siedenstave, kenne mich auch in der Bildung aus. Also bitte sehr fünfzehn Uhr dreißig. Da kann sie warten. Vielleicht bis dreißig Uhr fünfzehn oder wie das gebildet heißt, wenn wir sagen - sie kann warten, bis sie schwarz wird.

Die Kösterdeern weiß nicht, was es bedeutet, ein Wasserfahrzeug dicht zu machen. Kalfatern nennt man das. Soll sie sich bei Gelegenheit ruhig merken, obwohl es sicher nicht zur Bildung gehört.

Dann kann man nicht weg am helllichten Nachmittag, wenn der Teer erst einmal weich ist. Dann bekommt man das Rennen, wenn er in der Suppenkelle fest zu werden beginnt, noch ehe er in die Ritzen gegossen ist.

Dazu diese Geheimnistuerei. "Bitte fünfzehn Uhr dreißig am Bauernstein..." Und am Ende ist es wichtig wie ein Schweineschwanz nach dem Schlachtefest.

So macht sich Thomas seine Gedanken, während Guntrada Miersch eine Frage stellt, die das Thema der Stunde nur am Rande berührt. Herr Döbbelin ist vom Interesse der Schülerin so begeistert, dass er als Zugabe sozusagen noch die Hebung und Senkung des Serapistempels in der Nähe des Vesuvs erklärt. Guntrada nickt von Zeit zu Zeit zustimmend, als hätte sie erst vorige Woche die dortigen archäologischen Ausgrabungen geleitet.

Nun kann der Eindruck entstehen, Guntrada Miersch hätte diesen Zettel geschrieben. Aber das denkt nur einer, der die Sechs b in der Immenmöhler Schule nicht kennt. Guntrada schreibt keine Zettelchen, und sie würde es auch gar nicht bis zum Nachmittag aushalten, um jemandem etwas mitzuteilen.

Kirstin Döbbelin, die Tochter des Lehrers, allerdings kann das. Aber solche Mädchen gibt es eben nicht in der Sechs b. Sie sucht man hier vergebens. Dazu muss man sich schon ins Erdgeschoss begeben, wo die beiden Fünften ihre Klassenzimmer haben.

Endlich hat die Schulglocke ein Einsehen. Ihr Läuten zum Schulschluss scheint besonders hell zu klingen. Wie eine Siegesfanfare. So laut, dass man sie vielleicht sogar in Siedenstave und Böddenthin oder in den anderen Dörfern der Umgebung hört, von wo die Kinder hier in Immenmöhl zur Schule gehen.

Endlich kann Thomas sein Fahrrad aus dem Stand nehmen und sich auf den Sattel schwingen. Auf diesen langen Rennsattel, den ihm sein Freund, der Traktorist Hannes Veskin, geschenkt hat.

Der Junge braust auf dem schmalen Feldweg am Bahndamm entlang. Zweige von Erlen- und Haselnussgestrüpp schlagen ihm ab und zu ins Gesicht. Aber er merkt es kaum. Auch nicht die kleinen Bodendellen, in denen nach dem Regen das Wasser steht und die einen heftig durchschütteln, wenn man zu straff aufgepumpt hat.

Er sieht nicht einmal den Schwarm Traktoren auf dem Schlag an der Immenmöhler Forst. Traktoren aus fünf Genossenschaften, die gemeinsam ihr Land bestellen.

Es fährt sich gut mit der Schule im Rücken und einem Nachmittag vor sich, der träge auf dem Land liegt, als wolle er sich nie wieder erheben.

Macht Platz, Leute, hier kommt der Thomas Martelok! Macht Platz für den Bootsbauer! Es wird Zeit, dass der Teer über das Feuer kommt.

Und so ist es kein Wunder, dass die Großmutter erst die Kartoffeln einwäscht, als der Enkel in die Küche stampft.

"Erst muss das Fahrrad zuschanden sein, dann gibt es Ruhe", sagt sie und wirft drei Holzscheite in die Herdfeuerung. Aber das hat nicht viel Sinn, weil das Wasser sowieso schon kocht.

Von der Schule fährt Thomas direkt zur Großmutter, die ihm das Essen bereitet. Die Mutter arbeitet in der Stadt, und der Vater isst in seiner Genossenschaft.

Die .Großmutter ist eine gute Köchin, doch gelegentlich könnte es ein bisschen schneller gehen. Wie eben jetzt.

"Ich esse schon mal das Kompott", sagt Thomas und macht sich über die Schale mit Süßkirschen her. "Man soll es vor der Hauptmahlzeit zu sich nehmen, weil es gesünder ist."

Vor allem spart er nachher die Zeit.

"Alles neue Moden. Urgroßvater ist dreiundneunzig geworden und hat es immer hinterher gegessen."

"Oder zwischendurch", bemerkt Thomas und grinst wie ein Rotbarsch.

Er weiß, es kann die Großmutter besonders auf die Palme bringen, wenn einer schon zwischendurch mal in die Kompottschale langt.

Aber das letzte hat sie wohl gar nicht mehr gehört, weil sie gerade mit ein paar Herdringen hantiert. Eigentlich ist das unnötig, doch sie kann nicht ruhig dasitzen und ist es gewohnt, ihre Hände immer in Bewegung zu halten.

Meta Martelok ist eine große, kräftige Frau. Früher soll sie stark gewesen sein wie ein Mann. Sie ging hinter dem Pflug, und in der Reifezeit reichte sie die Garben auf die hohen Erntewagen hinauf.

Thomas findet, dass sie gar nicht richtig in die Küche passt. Sie scheint immer irgendwie unsicher hier, und er kann es sich gut vorstellen, wie sie damals die Pferde vor dem Pflug antrieb.

Für einen Augenblick setzt sie sich zu dem Jungen an den Tisch, aber nur so auf die Stuhlkante, damit sie jeden Moment wieder hochfahren kann, um auf dem Herd einen Topf zurechtzurücken.

"Die Hühner legen jetzt wieder wie toll", sagt sie, während sich Thomas umständlich und genießerisch mit einem riesigen karierten Taschentuch den Mund säubert. Behäbig hat er sich zurückgelehnt.

"Ja, es ist ein richtiges Eierpoltern im Gange", bestätigt er.

Kaum dass man sie noch zur Sammelstelle schaffen kann", wundert sich die Großmutter.

"Man muss den Handwagen dazu nehmen, den gummibereiften, damit die Eier im Korb nicht so stuckern", schlägt Thomas vor.

Er weiß längst, wo die Oma hinauswill.

"Man müsste jemand haben, der auf den Korb wenigstens Acht gibt", sagt sie und schaut den Jungen forschend an.

"Ich kann heut nicht, Pioniernachmittag", sagt er.