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Dank einer wertvollen Sammlung, die in Wechselausstellungen gezeigt wird, ist die Pinacoteca Züst heute das wichtigste Studienzentrum für Alte Kunst im Kanton Tessin und reicht von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert. In den eindrucksvollen Räumen des ehemaligen Pfarrhauses, das von dem Architekten Tita Carloni (1967) renoviert und erweitert und vom Architekten Claudio Cavadini (1990) erneuert wurde, kann man Gemälde der wichtigsten Künstler des Tessins und der Lombardei vom 16. bis 19. Jahrhundert bewundern: Giovanni Serodine, Giuseppe Antonio Petrini, Antonio Rinaldi, Luigi Rossi, Adolfo Feragutti Visconti, Gioachimo Galbusera und viele Andere. Der Kunstführer zeichnet die Geschichte der Kunstgalerie sowie die biografischen Eckpunkte ihres Gründers nach und beschreibt die ursprüngliche Sammlung. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Tätigkeit des Museums und seiner Rolle bei der Aufwertung des Kunstund Kulturlebens der Region: von den als Schenkungen erhaltenen oder in den letzten Jahren erworbenen Werken bis hin zu den reichhaltigen Wechselausstellungen. Der Text ist mit einigen Aufsätzen von Wissenschaftlern, Architekten und Schriftstellern bereichert, die der Einrichtung nahe stehen.
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Seitenzahl: 54
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Mariangela Agliati Ruggia · Alessandra Brambilla
Die Pinacoteca cantonale Giovanni Züst in Rancate
Kanton Tessin
Giovanni Züst und seine Sammlung
Von der Privatsammlung zum öffentlichen Museum
Die Biografie eines Wohltäters
Künstler und Werke
Antonio Rinaldi da Tremona: die lokale Seele der Sammlung
Weitere Werke des Ottocento in der Sammlung
Das Seicento und das Settecento: Serodine und Petrini
Die Pinacoteca Züst nach Züst
Ankäufe, Schenkungen und Deposita: die Sammlung wächst
Ausstellungsstrategien
Ein Museum im Zentrum der Region
Anhang
Mit Beiträgen von
Nicola Navone
Tita Carlonis Entwurf für die Pinacoteca Züst
Alberto Nessi
Zwischen Zuneigung und Poesie
Matteo Bianchi
Luigi Rossi, europäischer Künstler zwischen Realität und Symbol
Edoardo Agustoni
Giuseppe Antonio Petrini, Protagonist des Settecento im Tessin und der Lombardei
Giovanni Agosti
Der Kern der Ausstellungen
Mario Botta
Kleine Museen repräsentieren heute die Grenzen des Denkens
ABB. 1 Giovanni Züst mit dem Papagei Lory, ca. 1940.
Im Gedenken an Edoardo Agustoni und Imelda Hasler.
«Eine Schenkung, die – wenn man mir diese Unbescheidenheit erlauben mag – dazu beitragen wird, den künstlerischen und kulturellen Bestand, sowohl der Gemeinde Rancate als auch des gesamten Kantons Tessin, deutlich zu erweitern.» Mit diesen Worten wandte sich Giovanni Züst (1887–1976), ein aus Basel stammender Unternehmer, der jahrelang in dem kleinen Dorf im Bezirk Mendrisio lebte, in einem Brief an die politisch Verantwortlichen und äusserte darin den Wunsch, seine Kunstsammlung aus Werken Tessiner Maler des 17. bis 19. Jahrhunderts der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (ABB. 1). Das geschah 1965, und nur zwei Jahre später, am 23. September 1967, sollte sein Wunsch mit der Einweihung der ihm gewidmeten Pinakothek Gestalt annehmen (ABB. 2). Die lokale Kulturlandschaft war damals weit weniger reichhaltig und vielfältig als heute. Im nahe gelegenen Ligornetto hatte das Museum Vincenzo Vela als erstes Museum im Tessin 1898 seine Türen geöffnet, während das Museo civico di belle arti in Lugano seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Sammlung der Stiftung Caccia ausstellte. So entstand nach dem Willen von Giovanni Züst in Rancate, also in dem Ort, der seit den 1930er Jahren seine Heimat war, das erste staatliche Kunstmuseum. Seine Zuneigung für diese Gegend, die ihn beheimatet hatte, wird auch durch eine in der Schenkungsurkunde enthaltene Klausel bezeugt, in der die Bedingung festgelegt ist, dass die Sammlung stets im Bezirk Mendrisio verbleiben soll. Als geeigneter Sitz wurde das vormalige Pfarrhaus ausgemacht. Die Gemeinde erwarb es und schenkte es dem Staat. Der Architekt Tita Carloni (1931–2012), einer der Väter der Tessiner Architektur des 20. Jahrhunderts, renovierte und erweiterte es und schuf eindrucksvolle Räume voller Charme.
ABB. 2 Die Einweihung der Pinacoteca Züst im 1967: Imelda Hasler durchschneidet das Band. Unter den Anwesenden: Giovanni Züst, in der Mitte der Bürgermeister von Rancate Renzo Calderari und rechts Staatsrat Argante Righetti.
Im Frühjahr 1965 erhielt Tita Carloni den Auftrag, das Pfarrhaus von Rancate (ABB. 3) umzubauen, um dort die Gemäldesammlung unterzubringen, die Giovanni Züst dem Kanton Tessin schenken wollte. Bereits zwischen dem 23. und 26. April desselben Jahres skizzierte Carloni zwei Varianten, die sich in erster Linie in der Frage unterschieden, ob das Hauptgebäude erhöht werden sollte oder nicht. Nach Entfernung der Seitenflügel des Pfarrhauses fügte Carloni an der Südseite einen länglichen Anbau hinzu, in welchem sich die beiden Räume für die Gemälde von Giuseppe Antonio Petrini befinden. An der Südostseite, wo sich der Blick auf das Laveggio-Tal und den Ortskern von Mendrisio öffnet, entstand die Wohnung des Hausmeisters. Der durch den Wegfall des Flügels in Richtung der Pfarrkirche neu entstandene Grundriss ermöglichte so die von vielen gewünschte Verbreiterung der Strasse nach Mendrisio. Carloni arbeitete wie üblich an verschiedenen Varianten und definierte auf diese Weise schnell eine Raumorganisation, die in einem weiteren Entwurf dem endgültigen Projekt schon sehr nahe kam; einschliesslich des Oberlichts, das durch die versetzten Dachneigungen auf dem neuen Anbau entstand.
Carloni, der auf organische Formen Wert legte und dazu tendierte, der Moderne «Wurzeln zu geben», interpretierte bei der Gestaltung der Fassaden des Neubaus die Textur der Mauerwerkspfeiler neu, um diese mit der lokalen Bautradition in Einklang zu bringen. Denn diese ist für die ländlichen Gebäude in dieser Region charakteristisch, wie auch das Landhaus neben dem Pfarrhaus bezeugt.
Nach einer Besprechung des Entwurfs für die neue Pinakothek am 2. Juli 1965 zwischen Carloni, Giovanni Züst und dem Staatsrat Argante Righetti, dem Direktor der Abteilung für öffentliche Bauten, begannen neue Begehungen und der Architekt widmete sich der Ausarbeitung desselben. Diesen legte er am 7. September 1965 der Gemeinde Rancate vor. Die Erhöhung des Pfarrhauses war mittlerweile ausgemachte Tatsache, ebenso wie die Schliessung der beiden kleineren Bögen des Portikus und der Loggia, um so eine einfachere Verbindung zu dem neuen Flügel zu ermöglichen, dessen charakteristisches Oberlicht nun als krönendes Element dem des Hauptgebäudes nachempfunden wurde.
Die endgültige Gestalt wurde nach einer weiteren Überarbeitung am 4. November 1965 erreicht. Bei der Erhöhung des Pfarrhauses verzichtete Carloni darauf, das Motiv der Loggia nachzubilden, um einen möglichst geräumigen Saal mit Gebälk (capriate) zu schaffen, während der neue Flügel nun – keine sehr glückliche Entscheidung – räumlich unterteilt wurde.
Der Portikus und die Loggia des Pfarrhauses, die Carloni ebenso wie einen Grossteil des Mauerwerks des Hauptgebäudes erhalten wollte, mussten aufgrund des Einsturzes eines «Pfeilers der alten Loggia» am 25. August 1966 entfernt werden. Man versuchte, die erhaltenen Teile nach erfolgter baulicher Konsolidierung wieder zu integrieren. Einige Wochen zuvor hatte Carloni auch die Ablösung des Freskos von Antonio Rinaldi veranlasst, das einen der Räume des Pfarrhauses schmückte und heute in der Pinakothek ausgestellt ist (ABB. 15).
Die von Giovanni Züst gestellte Bedingung, die Arbeiten bis Ende August 1967 abzuschliessen, führte zu raschen Fortschritten auf der Baustelle. Am 8. März 1967 war man bereits am Dach des Gebäudes angelangt, und so konnte mit dem Innenausbau begonnen werden, der im Juli abgeschlossen wurde. Man begann mit der Einrichtung der Museumsräume, deren Gestaltung Carloni trotz der knapp begrenzten Zeit besondere Aufmerksamkeit widmete, um die Pinakothek am 23. September 1967 einweihen zu können (ABB. 4).
Zwischen Juni 1989 und April 1990 wurden einige Eingriffe zur Erneuerung der technischen Installationen und der Ausstellungsräume nach dem Entwurf des Architekten Claudio Cavadini unternommen. Schliesslich skizzierte Tita Carloni zwischen August 1993 und September 1995 verschiedene Alternativen für den Ausbau der Pinakothek, welche jedoch nicht umgesetzt wurden.
ABB. 3 Das Pfarrhaus von Rancate vor den Renovierungsarbeiten, ca. 1966.
ABB. 4 Die «Sala delle Capriate» in den 1970er Jahren.
ABB. 5 Giovanni Züst mit seinen Eltern und dem Bruder Paul, ca. 1895.
ABB.6 Alexander Zschokke, Giovanni Züst, ca. 1966, Bronze, 27 x 17 x 20 cm.