Die Piratin und der Viscount - Kerstin Dirks - E-Book
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Die Piratin und der Viscount E-Book

Kerstin Dirks

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Beschreibung

London, 18. Jahrhundert: Die taffe Catherine arbeitet in der Taverne ihres Vaters, der einst ein berüchtigter Pirat war. Auch in ihr glüht das Herz einer waschechten Piratin.

Eines Tages klaut ein Dieb ihr in der Bar ihre Handtasche. Catherine nimmt sofort die Verfolgung auf und läuft dabei geradewegs vor eine herrschaftliche Kutsche. Durch den Unfall verliert sie ihr Gedächtnis. Als sie wieder zu sich kommt, findet sie sich in einer atemberaubenden Villa wieder. Ihr Gastgeber Viscount Ethan Barnsworth kümmert sich rührend um sie. Beide fühlen sich stark zueinander hingezogen. Doch nach und nach kommen Catherines Erinnerungen zurück. Schweren Herzens muss sie erkennen, dass Ethan und sie niemals zusammen sein können, denn sie hegt ein dunkles Geheimnis. Werden sie dennoch einen Weg zueinander finden?

"Die Piratin und der Viscount" ist ein gefühlvoll erzählter historischer Liebesroman der Erfolgsautorin Kerstin Dirks. Erlebe jetzt die romantische Liebesgeschichte der heißblütigen Piratin.

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Seitenzahl: 338

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel

Über dieses Buch

London, 18. Jahrhundert: Die taffe Catherine arbeitet in der Taverne ihres Vaters, der einst ein berüchtigter Pirat war. Auch in ihr glüht das Herz einer waschechten Piratin.

Eines Tages klaut ein Dieb ihr in der Bar ihre Handtasche. Catherine nimmt sofort die Verfolgung auf und läuft dabei geradewegs vor eine herrschaftliche Kutsche. Durch den Unfall verliert sie ihr Gedächtnis. Als sie wieder zu sich kommt, findet sie sich in einer atemberaubenden Villa wieder. Ihr Gastgeber Viscount Ethan Barnsworth kümmert sich rührend um sie. Beide fühlen sich stark zueinander hingezogen. Doch nach und nach kommen Catherines Erinnerungen zurück. Schweren Herzens muss sie erkennen, dass Ethan und sie niemals zusammen sein können, denn sie hegt ein dunkles Geheimnis. Werden sie dennoch einen Weg zueinander finden?

Über die Autorin

Kerstin Dirks, 1977 in Berlin geboren, hat eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert und Sozialarbeit studiert. Sie schreibt seit mehreren Jahren erotische Romane, historische Liebesromane und Fantasy.

Mehr Informationen über Kerstin Dirks sind auf ihrer Autorinnenwebsite im Internet zu finden: www.kerstin-dirks.de

KERSTIN DIRKS

Die Piratin und der Viscount

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Rena Roßkamp

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock/iurii, © shutterstock/Kuznetcov_Konstantin, © shutterstock/mrs_kato und © shutterstock/Sandratsky Dmitriy

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-2741-0

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

»Es ist die ›Poseidon‹!«

Ethan blickte erschrocken zu dem jungen Mann im Krähennest hinauf, dessen kräftige Stimme wie ein Orkan übers Deck fegte.

»Keine Sorge, Junge. Die ›Poseidon‹ ist ein Handelsschiff der East India Company«, erklärte der Kapitän und legte ihm seine schwere Hand mit einem gutmütigen Lächeln auf die Schulter.

Durch den kräftigen Druck ging Ethan leicht in die Knie. Angestrengt versuchte er, das Schiff in der Ferne zu erkennen. Aber die Mittagssonne blendete ihn, und es war nur ein winziger Punkt am Ende des Horizonts. Die hochpeitschenden Wassermassen verschluckten es immer wieder.

Woher wusste der Ausguck, dass es sich bei dem Schiff um die »Poseidon« handelte? Ethan konnte nichts sehen außer einem verschwommenen Fleck. Er wollte den Kapitän fragen, aber der hatte Wichtigeres zu tun und vertröstete ihn auf später.

Ethan aber wollte sich nicht vertrösten lassen. Das Meer war voller Gefahren. Man musste rechtzeitig wissen, ob ein fremdes Schiff freundlich oder feindlich gesinnt war. Er blickte erneut zum Ausguck hoch. Der junge Mann dort oben hielt ein schweres Fernrohr in den Händen. Das war des Rätsels Lösung. Ethan atmete auf. Zu Hause, in Portsmouth, hatte er viele schreckliche Geschichten über die See gehört. Dort sollten Ungeheuer hausen und Piraten ihr Unwesen treiben. Er wollte keinem von beiden gern begegnen.

Nach der Entwarnung ging auch die restliche Mannschaft wieder ihrem Tagewerk nach. Segel mussten geflickt und die Steuerung ausgerichtet werden. Ethan aber blieb an der Reling stehen und beobachtete das fremde Schiff voller Neugier.

Es war das erste Mal seit ihrem Aufbruch vor vierzehn Tagen, dass sie einem anderen Schiff begegneten. Die Wellen peitschten hoch. Immer nur Wasser. Überall. Der blasse Junge hatte eine Weile gebraucht, ehe er sich an das stete Schwanken gewöhnt hatte.

In den ersten Tagen hatte er kaum etwas gegessen. Und wenn doch, war er es schnell wieder losgeworden. Nun war die Seekrankheit zum Glück überwunden.

Etwas Feuchtes berührte seine Stiefel. Ethan wich erschrocken zurück. Ein Schiffsjunge kniete vor ihm und blickte zu ihm auf. Etwa vierzehn Jahre war er alt und somit im selben Alter wie Ethan. Die dunklen Augen funkelten. War es Neid, den Ethan in ihnen aufblitzen sah? Oder sogar Hass? Bevor Ethan auch nur ein Wort sagen konnte, widmete sich der Schiffsjunge wieder seiner Aufgabe und schrubbte geflissentlich das Deck, ignorierte ihn sogar, als stünde Ethan gar nicht hier.

Vater hatte ihn gewarnt. An Bord eines Schiffes befand sich oft Gesindel, von dem sich Ethan besser fernhalten sollte. Eine Ausnahme bildeten die Offiziere an Bord. Diese stammten zumeist aus gutem Haus, wie er selbst. Außerdem sollte er stets einen Blick auf seinen Geldbeutel haben. Ethans Hand glitt zu seinem Gürtel. Der feine Lederbeutel war noch da. Erleichtert atmete er auf.

Ethan war Ehrengast an Bord, ein Passagier. Man redete ihn mit »Sir« an. Aber immer hörte er auch die Verachtung in den Stimmen der Crewmitglieder. Sie behandelten ihn, als wäre er noch ein Kind!

Ethan hatte schnell gemerkt, dass er an Bord nicht sonderlich beliebt war. Und auch, dass er die See nicht besonders mochte. Sie langweilte ihn. Viel lieber hätte er sich mit seinem Fechtlehrer duelliert. Oder zumindest den Worten seines Hauslehrers gelauscht. Der wusste vieles über die Welt! Dinge, von denen dieser Schiffsjunge sicherlich noch nie gehört hatte.

»Na, du Landratte, zählst du die Wolken? Das Mittagessen wartet.« Ethan zuckte zusammen. Der Erste Offizier war wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht. In seiner feinen britischen Uniform mit den glänzenden Knöpfen und Schulterschmuck wirkte er fast wie ein Adeliger. Ethan nickte nur und folgte ihm unter Deck zur Offiziersmesse, wo der Kapitän und seine Offiziere zu speisen pflegten. Als Gast wurde ihm dieselbe Ehre zuteil.

Der Tisch, das hatte Ethan gleich am ersten Tag bemerkt, sah eigenartig aus. Ganz anders als die Tische zu Hause in der Villa seines Vaters. Ein seltsamer hochgestellter Rahmen umrankte die Holzplatte, gleich einem Miniaturzaun. Schnell hatte Ethan jedoch herausgefunden, welchen Zweck die Konstruktion erfüllte: Wenn es draußen hoch herging, ein Sturm tobte oder die Wellen das Schiff ins Wanken brachten, schlitterten die Teller nur so über den Tisch. Ohne den Rahmen würden sie einfach herunterfallen. Heute aber war der Seegang eher schwach, das Essen blieb auf dem Tisch. Wie die letzten Tage zuvor, gab es Eintopf, Weißbrot und für jeden ein Stück Schinken. Ethan hatte das allmählich über und vermisste die gute Küche in Portsmouth.

Nachdem er gespeist hatte, mit Messer und Gabel, wie es sich gehörte, tupfte er sich den Mund mit einer Serviette ab und begab sich an Deck zurück, um das fremde Schiff zu beobachten. Es war der bisherige Höhepunkt seiner Reise, und er wollte nicht, dass ihm der Moment ihres Aufeinandertreffens entging.

Tatsächlich war die »Poseidon« nun schon viel näher gekommen. Der Junge konnte die Umrisse des Schiffs gut erkennen. Gewaltig ragte der Hauptmast in den Himmel hinauf, fast schien es, als würde er die Wolken berühren. Und die Segel blähten sich, weil der Wind sich gedreht hatte, jetzt war das andere Schiff schneller als die »Spartakus«, auf der er sich befand.

Gleich einem Wettrennen steuerten die beiden Segelschiffe aufeinander zu. Er stellte sich zwischen den schäumenden Wellen eine Ziellinie vor, und war gespannt darauf, welches der beiden Schiffe sie – wenn auch aus unterschiedlichen Richtungen – zuerst erreichen würde.

Ethan freute sich darauf, die andere Mannschaft zu sehen, ihr zuzuwinken. Und er versuchte, die Flagge der East India Company zu erspähen. Aber dafür war das Schiff noch zu weit entfernt.

»Na, mein Junge. Du kannst den Blick gar nicht von der ›Poseidon‹ wenden, was?« Der Kapitän stellte sich wieder neben ihn und lachte. Dann reichte er Ethan sein Fernrohr. Es war filigraner als das Fernrohr, das der Ausguck benutzt hatte. Doch es würde gewiss seinen Dienst tun. Im Überschwang riss Ethan dem Kapitän das wertvolle Fernrohr fast aus der Hand. Der Kapitän lachte erneut und zeigte Ethan, wie man es richtig hielt.

»Und? Was siehst du?«

»Den Union Jack auf der Fahne der East India Company.«

»Ich bin beeindruckt, dass du weißt, wie die Flagge aussieht.«

»Ich habe sie schon einmal in einem Buch gesehen. Außerdem hat mein Vater früher auf einem Schiff gearbeitet. Als Offizier.«

»Das weiß ich, Ethan. Wir waren sogar einige Male gemeinsam unterwegs. Er ist ein guter Mann, du kannst stolz auf ihn sein.«

Ethan senkte für einen Augenblick das Fernrohr. Er wünschte oft, er wäre seinem Vater ähnlicher. Aber die See hatte ihn nie interessiert. Selbst nachdem er einige Tage auf der »Spartakus« verbracht hatte, war ihm das Meer immerzu langweilig erschienen. Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute war gleich. Bis auf diesen Moment, der Ethan für alles entschädigte.

Wieder hob er das Fernrohr.

»Was machen die denn?«

»Was ist los, Junge?«

»Sie holen die Flagge ein. Aber warum?«

»Du musst dich irren.«

Aber Ethan irrte sich nicht. Stattdessen hissten sie eine andere. Ethan gefror bei dem Anblick der Flagge das Blut in den Adern.

»Ethan?«

Diese andere Flagge kannte Ethan ebenfalls aus seinem Buch. Sie war schwarz. Bis auf die sich kreuzenden Knochen und den Totenschädel in der Mitte. Die Jolly Roger! Ethan ließ vor Schreck das Fernrohr fallen. Es rollte über das Deck. Ein Schiffsjunge hielt es auf und brachte es dem Kapitän zurück.

»Junge, was ist denn in dich gefahren?« Der Kapitän sah nun selbst durch das Rohr. Aber da schallte auch schon die Stimme des Ausgucks über das ganze Schiff. »Piraten! Es sind Piraten!«

Jegliche Farbe wich aus dem Gesicht des Kapitäns. »Was für Bastarde, die haben die ›Poseidon‹ gekapert und uns ausgetrickst. Schnell, Ethan. Unter Deck mit dir. Versteck dich in der Offiziersmesse!«

Ethan zögerte. Sollte er sich wie ein Feigling davonstehlen? Er war doch auch ein Mann!

»Worauf wartest du, runter mit dir!«, drängte ihn der Kapitän.

Er hatte ja recht. Was konnte Ethan schon ausrichten? Er hatte ja nicht einmal einen Säbel. Nur einen kleinen Dolch, der an seinem Gürtel hing.

Damit konnte er nichts anfangen. Die Lage war so schon ernst genug, war doch die »Spartakus« viel kleiner als das andere Schiff. Sie hatten weniger Kanonen an Bord. Und vermutlich auch weniger Männer. Davon nur einige mit Kampferfahrung. Dies war nur ein Expeditionsschiff. Umso wertvoller waren Ethans Fechtkenntnisse.

»Geben Sie mir ein Florett oder einen Degen!«, rief Ethan. Aber der Kapitän hörte ihm nicht zu und packte ihn stattdessen am Arm.

»Keine Zeit für Spielereien. Los, Ethan, beeil dich. Das wird gleich sehr ungemütlich werden«, prophezeite er.

Ethan ließ nicht locker, hatte aber keine Chance gegen den Kapitän. Dessen Griff um seinen Arm war so stark, dass der Junge glaubte, ihm würde das Blut abgeschnürt. Der Kapitän schleifte ihn die Treppe zur Offiziersmesse hinunter und Ethan verlor fast das Gleichgewicht.

»Hier, in die Truhe mit dir«, befahl der Kapitän und hob den Deckel einer alten Kiste, die sonst als Abstellfläche verwendet wurde. Darin befanden sich einige wertvolle Gläser. Aber es war genügend Platz darin für ihn. Ethans Herz raste. Alles in ihm sträubte sich dagegen, sich feige zu verstecken. Aber ohne Waffe war er den anderen Männern nicht von Nutzen.

Schlimmer, er würde ein leichtes Ziel für die Piraten abgeben. Noch dazu stammte er aus adeligem Haus. Womöglich würden die Seeräuber auf die Idee kommen, ihn gefangenzunehmen und ein hohes Lösegeld zu fordern. Er sah ein, es war besser, wenn er auf den Kapitän hörte. Er stieg mit Herzrasen in die Truhe.

»Bleib ruhig, Ethan. Gib keinen Laut von dir.«

»Werden Sie die Piraten in die Flucht schlagen?«, fragte er verunsichert.

»Ich werde dich mit meinem Leben beschützen, das habe ich deinem Vater versprochen«, sagte der Kapitän. Da erklangen die aufgeregten Schritte der Männer über ihnen.

Sie sammelten sich, gingen in Position. Und plötzlich war ein Knall zu hören, der ohrenbetäubend war und Ethan durch Mark und Bein ging. Die Wellen warfen das Schiff fast auf die Seite.

»Was war das?«, schrie Ethan und klammerte sich an seiner Truhe fest, die an den Boden genagelt war.

»Kanonen!«

»Oh …«

»Egal, was passiert. Du bleibst in dieser Truhe und gibst keinen Laut von dir, bis ich dich hole. Verstanden?«

Ethan nickte nur. Dann schloss der Kapitän den mächtigen Truhendeckel, und Ethan kauerte sich zusammen, zog die Beine eng an sich. Alles, was er jetzt noch hörte, war das Rauschen seines Blutes in den eigenen Ohren und der viel zu schnelle Herzschlag. Bis es laut an Deck wurde. Denn nur wenige Augenblicke später war Kampfeslärm zu hören. Sie kamen an Bord! Ethan hielt den Atem an beim Rasseln der Säbel, die gegeneinander schlugen.

Das Getrampel, das Gebrüll jagten ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Wie stand es um die »Spartakus«? Würden seine Leute die Piraten in die Flucht treiben? Und was, wenn nicht? Würden sie die Mannschaft von Bord jagen?

Ethan schwindelte vor Angst. Die Luft wurde immer stickiger, sein Versteck erschien ihm immer enger. Und die Dunkelheit nagte an seinen Nerven. Wenn er doch wenigstens wüsste, was dort draußen vor sich ging. Seine Hand tastete nach seinem Dolch. Vielleicht brauchten die Männer ihn. Er dachte an die Worte des Kapitäns. Nein, es war besser, wenn er hierblieb. Aber einen Blick durfte er wohl riskieren. Damit er einen Überblick über die Situation bekam, und sich auf alles gefasst machen konnte.

Er hoffte so sehr, dass die Piraten schlechte Kämpfer waren und sich die Männer an Bord als wahre Fechtmeister entpuppten.

Vorsichtig hob er den Deckel an, um durch den Spalt zu sehen. Am hoch gelegenen Fenster konnte er die Beine zweier Männer erkennen, die in Stellung gingen. Der eine hatte ein rotes Beinkleid an, das an die Hose einer Uniform erinnerte. Der andere trug ein herkömmliches Leinengewand, das ungewaschen war und schmutzig aussah.

Er hörte, wie schweres Metall aneinander rieb. Der Mann mit der roten Uniform drängte den anderen zurück. Gewiss war es einer der Offiziere der »Spartakus«, der seinen Gegner mühelos vor sich hertrieb. Gut so! Nimm das, elender Pirat! Ethan hielt dem Rotgewandeten beide Daumen. Vielleicht hatten sie ja doch eine Chance, wenn die Offiziere an Bord so gute Kämpfer waren. Und dann geschah es. Es ging so schnell, dass Ethan kaum Zeit hatte, alles durch den winzigen Truhenspalt zu erfassen.

Der Pirat stürzte krachend durch das Fenster und landete mit einem mächtigen Aufprall auf dem Tisch. Ethan wollte jubeln, biss sich aber auf die Zunge. Doch als ein Stöhnen aus der Kehle des Mannes drang, wurde ihm ganz anders. Die Stimme war Ethan vertraut. Vorsichtig hob er den Truhendeckel weiter an, sodass er besser sehen konnte.

Der leichte Bauchansatz, der haarlose Schädel … Oh nein! Ethan kannte den Unglücklichen, auf dessen Brust sich ein roter Fleck ausbreitete. Es war kein Pirat, sondern der Bootsmann der »Spartakus«, der sich jetzt nicht mehr regte! Lebte er noch? »Pssst«, machte Ethan. »Pssst!« Aber der Bootsmann reagierte nicht. Die Geräuschkulisse war viel zu laut.

Ethan wusste nicht, was er tun sollte. An Deck wurden die Schreie und das Gebrüll immer lauter.

»Ergebt euch, ihr dreckigen Bastarde, oder wir schicken euch über die Planke!«, rief jemand.

»Das kannst du vergessen, Morgan! Eher küss ich einen Hai!«, war die prompte Antwort. Sie stammte vom Kapitän. Ethan hatte seine Stimme sofort erkannt.

»Das kannst du gern haben, mein Freund. Komm her!«

Irgendetwas stürzte ins Wasser. Oder jemand? Ethan konnte nur hoffen, dass es nicht der Kapitän war. Sein Blick fiel erneut auf den reglosen Bootsmann. Bildete es sich Ethan nur ein, oder bewegte sich dessen Brustkorb tatsächlich auf und nieder?

Er röchelte, er atmete! Es klang, als wollte er den schrecklichen Fraß, den die Mannschaft seit Tagen vom Smutje vorgesetzt bekam, aus dem Körper befördern. Vielleicht konnte Ethan ihm helfen? Wenn er sich den Ärmel seines Hemdes abriss, konnte er ihn als Verband verwenden.

Aber das würde bedeuten, dass er sein Versteck aufgeben musste. Er schaute zu dem zerbrochenen Fenster. Der Pirat in der roten Uniform war fort. Seit wann trugen Piraten Uniformen? Der Kampf schien sich in Richtung Bug verlagert zu haben. Ethan konnte sein Versteck also verlassen. Niemand würde es sehen, wenn er aus der Truhe kletterte. Der Junge atmete tief durch. Jetzt oder nie!

Vorsichtig klappte er den Truhendeckel zurück und blickte sich sorgsam nach allen Seiten um. Sie waren allein. Leise stieg er aus der Truhe und ging zum Bootsmann hinüber. Der Tisch hatte den schweren Sturz ausgehalten. Mit den Knochen des Bootsmannes sah es anders aus. Ein Arm hing merkwürdig verdreht herunter. »Tom?«, flüsterte Ethan. »Tom, kannst du mich hören?«

Der Bootsmann wandte ihm unter großer Anstrengung den Blick zu. Seine Lider flackerten. »Ethan, nimm den hier«, sagte er geschwächt und reichte ihm den blutverschmierten Säbel, den er noch in der Hand hatte.

Ethan wich zurück. »Den brauchst du, um dich zu verteidigen.«

»Für mich kommt jede Hilfe zu spät.«

»Sag doch so etwas nicht, Tom!«

»Du musst kämpfen, Junge. Nur so kannst du überleben!«, brachte der Bootsmann unter größter Anstrengung hervor. »Nimm schon, nimm.«

Ethan nickte zögerlich und nahm ihm den Säbel ab. Die Waffe war viel schwerer, als sie aussah. Der Bootsmann lächelte. Doch nur kurz. Dann schwand jedes Leben aus seinem Blick.

In dem Moment wurde es ruhig an Bord. Keine Schreie, kein Getrampel, kein Klirren der Klingen. Gespenstische Stille. Ethan erschauderte. Was war mit seiner Mannschaft geschehen? Waren alle … er wollte den Gedanken nicht zu Ende führen.

Plötzlich schallte ein grausames Lachen über alles hinweg. Gefolgt von Schritten, die ruhig und selbstgefällig klangen. Sie näherten sich unaufhaltsam.

Ethan hielt den Atem an. Sie würden ihn finden. Und dann würde ihm der Säbel nichts nützen. Eiskalt würden sie ihn umbringen, wie sie auch die anderen Männer umgebracht hatten. Er schaute zur Truhe. Das Versteck war womöglich seine einzige Chance. Doch noch ehe sich Ethan aus seiner Schreckstarre befreien konnte, sprang die Tür zur Offiziersmesse auf und ein Mann, so groß wie ein Hüne, trat ein, auf dem Kopf einen Hut mit breiter Krempe und riesiger Feder. Der Rock der britischen Armee schmückte die stattliche Statur.

Ethan wich zurück. Da erst schien der Mann ihn zu bemerken. Sogleich richtete er seinen Säbel auf Ethan.

»Was bist du denn für ein Bürschchen?« Ethan zückte seinen Säbel, konnte ihn aber nicht lange oben halten, was dem Piraten erneut schallendes Gelächter entlockte. »Pass auf, dass du dir nicht wehtust, Kleiner.«

Zwei weitere Männer folgten dem Piraten. Einer trug eine Augenklappe. Der andere hatte ein Holzbein. »Wie süß, einer ist noch übrig.«

»Weicht zurück!«, rief Ethan angestrengt.

»Oder was?«

»Ich … ich …« Was konnte er schon ausrichten?

»Du bist allein, Junge. Ganz allein auf dieser Welt«, sagte der Mann in der roten Uniform mitleidig.

»Ich bin nicht allein«, entgegnete Ethan. Seine Familie wartete in England auf ihn. Hoffentlich würde er sie irgendwann wiedersehen.

»Deine Mannschaft ist tot«, klärte der Einäugige ihn auf. »Und jetzt bist du auch dran.«

»Warte noch, Owen, der Bursche sieht gar allzu fein aus. Das ist doch bestimmt der Sprössling eines hohen Tiers«, gab der mit dem Holzbein zu bedenken. Instinktiv hob Ethan erneut den Säbel.

»Du hast recht, Will. Sieht mir ganz nach einem dicken Fisch für uns aus.« Der Einäugige rieb sich das unter der Augenklappe verborgene Auge, und eine Träne rann über seine Wange, während er hysterisch lachte. »Ich wette, der Kleine bringt uns ein Vermögen ein.«

»Unsinn. Die paar Kröten sind die Mühe nicht wert, wenn wir erst unseren Schatz gefunden haben«, sagte der Uniformierte und stieß dem einäugigen Owen einen Ellbogen in die Seite.

»Hey, nicht so derb, Kapitän«, krächzte der.

»Kapitän Morgan hat recht. Der Schatz geht vor«, stimmte Will, das Holzbein, zu.

»Bleibt die Frage, was wir mit dem Knirps machen.« Kapitän Morgan kraulte sich seinen rabenschwarzen Kinnbart.

»Die Haie sind ja nun satt«, gab Will zu bedenken. Ethan wurde ganz anders. Hatten die Piraten tatsächlich die gesamte Mannschaft über Bord geworfen?

»Die kriegen schon wieder Hunger. Nur, an dem Jungen ist ja fast nichts dran. Das wäre den armen Tieren gegenüber nicht fair.« Morgan kam näher und Ethan wich weiter zurück, bis er schließlich die Wand im Rücken spürte.

Der Piratenkapitän baute sich vor ihm auf. So dicht, dass Ethan seine fauligen Zähne aus der Nähe sah, die so gar nicht zu der ansonsten überraschend gepflegten Gestalt passen wollten. »Sag du mir, Junge, was wir mit dir machen sollen«, raunte er.

Ethans Knie fingen unweigerlich an zu zittern. »Ich bin gut im Sternedeuten. Ich kann … das Deck schrubben«, zählte er alles auf, was ihm gerade einfiel. Was wohl aus dem armen Schiffsjungen geworden war?

»Nutzlos!«, brüllte Morgan. »Was kannst du noch, mein Freund?«

»Kämpfen?«

Nun brachen die Männer in schallendes Gelächter aus. »Was für ein Witzbold!« Will schlug sich auf den kräftigen Oberschenkel des gesunden Beines.

»Nein, ich glaube, für dich gibt es wirklich keine Verwendung. Zu schade.« Morgan strich über die scharfe Seite seines Säbels. »Also bleibt es beim Haifutter.«

Ethan stockte der Atem. »Bitte …« Er suchte nach Worten, aber da packte der Kapitän ihn an der Schulter. »Keine Sorge, Kleiner. Das geht schnell. Solltest du nicht vorher im kalten Wasser erfrieren, wirst du es kaum merken.«

»Ich … ich kann Geschirr abwaschen. Segel flicken!« Es sprudelte nur so aus Ethan heraus. Aber nichts schien die Piraten zufriedenzustellen.

In dem Moment betrat ein kleiner Junge die Offiziersmesse. »Was willst du?«, fuhr der Piratenkapitän den Jungen an. Seit wann reisten Piraten mit Kindern? Ethan schaute dem Jungen in die Augen. Sie waren pechschwarz und unendlich tief.

»Die haben nichts Wertvolles an Bord. Das alles ist eine einzige Pleite«, sagte der Kleine.

»Das ist ja auch ein Expeditionsschiff und kein Handelsschiff«, rief Ethan.

»Wer hat dich gefragt? Halt’s Maul, du kleiner Scheißer.«

Ethan verstummte auf der Stelle.

»Wer ist das?«, wollte der Junge wissen.

»Nur so ein Von und Zu. Keine Ahnung. Wie heißt du, Bursche?«, fragte Morgan.

»Ethan Barnsworth. Mein Vater ist der Viscount Gregor Barnsworth.«

»Sagte ich doch gleich, irgend so ein Adelsspross, der gleich zu Haifutter verarbeitet wird.« Morgan entblößte seine fauligen Zähne, erneut lachten Will und Owen wie auf Kommando. Nur der kleine Junge sah Ethan mitleidig an.

»Mein lieber Rob, das geht nicht. Der Bursche ist doch kaum älter als ich.«

Ethan blickte abermals überrascht zu dem Kind, das plötzlich zu seinem Fürsprecher avancierte. Und die Piraten hörten auch noch auf den Knaben. Was ganz verwunderlich war, denn auf Ethan hörte nie jemand.

»Ein Maul mehr zu stopfen. Mehr ist das nicht. Der kann nichts, der wird nichts«, sagte Morgan.

»Aber es sind heute schon so viele gestorben.«

»Mmh«, machte der Kapitän sanftmütig. Mit einem Mal wirkte er gar nicht mehr wie der gefährliche und blutrünstige Pirat, der er war.

»Ich finde eine Aufgabe für ihn«, versprach der Junge.

Kapitän Morgan wog den Kopf hin und her und seufzte schließlich. Dann nickte er Will zu. »Nimm dem Kleinen das Spielzeug weg, bevor er sich wehtut. Und dann nimm ihn mit zur ›Poseidon‹ und schick ihn in die Takelage.«

»Aye, aye!«, rief Will und hielt Ethan die offene Hand hin. »Gib mir den Säbel.«

»Ich denke ja nicht dran!«, rief Ethan.

»Wenn du leben willst, tust du besser, was Will sagt«, gab der geheimnisvolle Junge mit den schwarzen Augen zu bedenken. Ethan hielt inne. Der Junge hatte ja recht. Ihm blieb ohnehin keine Wahl. Vielleicht ließen die Piraten ihn tatsächlich am Leben, wenn er ihnen gehorchte? Zögerlich reichte er Will den Säbel.

»Na bitte, das war doch gar nicht so schwer. Und jetzt komm mit. Ich hoffe, du bist schwindelfrei. Du musst jetzt auf den Mast rauf, mein Freund.«

Ethan folgte den Männern nach draußen. Alle blickten ihn überrascht an. Von seiner Crew fehlte tatsächlich jede Spur, aber an ihr Schicksal durfte er jetzt nicht denken. Nur keine Schwäche zeigen.

Ethan sah die Mordlust in den Augen der Seeräuber blitzen. Wenn sie gekonnt hätten, wie sie wollten, hätte er wohl längst ein Messer an der Kehle. Doch er stand nun unter Kapitän Morgans Schutz, was er dem fremden Jungen zu verdanken hatte. Und so krümmte ihm niemand auch nur ein Haar.

Will deutete zu den Planken, die zwischen den beiden Seekolossen lagen. »Wir müssen zum anderen Schiff rüber«, erklärte er und schritt voran.

Spielend balancierte er trotz des Holzbeins über die schmalen Bretter. Der fremde Junge folgte ihm. Aber Ethan warf einen Blick in die Tiefe und erstarrte zur Salzsäule.

»Komm, ich helfe dir«, sagte der Junge, kam auf halbem Weg zurück und reichte ihm die Hand. Zögerlich ergriff Ethan sie.

»Nicht nach unten sehen«, riet der Junge ihm. Ethan tat, was er sagte, und ließ sich über die Planke zur »Poseidon« führen.

Auf dieselbe Weise brachten die Piraten ihre karge Beute an Bord. »Wieso habt ihr so wenig bei euch?«, fragte der Junge.

»Wir sind ein Expeditionsschiff.«

»Wenigstens hattet ihr viele Vorräte.« Der Junge lachte und klang dabei fast wie einer der Seeräuber.

»Na los, wir sind hier nicht beim Kaffeekränzchen. Rauf mit dir, du Landratte!«, rief Will und schubste ihn zum Mast, an dem ein Tau hing. Nun wurde es ernst. Ethan sollte in die Takelage. Aber er hatte keine Ahnung, wie er sich hinaufziehen sollte. Einfach klettern? Und dann?

»Ich zeige dir, wie es geht«, sagte der Junge und kletterte einem flinken Wiesel gleich hoch. Als wäre es das Einfachste der Welt. Dann fing er an, sich am Tau zu schwingen, bis seine Füße die Saling erreichten und dort Halt fanden.

»Ja, sieh genau zu, Jimmy weiß, wie man’s macht«, rief der Pirat.

Jimmy. So hieß sein Fürsprecher also! Ethan versuchte, es ihm gleichzutun, aber er war weder geschickt noch stark genug, um überhaupt die Höhe der ersten Saling zu erreichen. Ungelenk hing er am Tau und baumelte hin und her, was die Männer zum Lachen brachte. Ethan biss die Zähne zusammen und probierte es erneut. Doch so sehr er sich auch anstrengte, es wollte ihm nicht gelingen. Er war zu schwach. Selbst dafür.

»Was für ein Taugenichts. Was will Kapitän Morgan nur mit so einem?«

»Welche Verschwendung. Ein weiteres Maul zu stopfen, aber ohne jeden Gegenwert?«

»Man sollte ihn einfach aufknüpfen. Das wäre das Beste für alle.«

Schon packte jemand Ethan am Kragen. Fauliger Geruch stieg ihm aus dem Mund des Piraten entgegen.

»Mal sehen, ob du gut tanzen kannst.«

»Tanzen?«, wunderte sich Ethan. Tatsächlich beherrschte er einige Schritte. Vor allem das Menuett.

»In der Luft, wenn wir dich an dem Seil hier hochziehen.« Die Männer lachten schallend. Und der Pirat griff tatsächlich nach dem Ende des Seils, wohl in der Absicht, es um Ethans Hals zu legen.

»Lasst ihn!«, rief Jimmy und kletterte an den Wanten hinunter. Den letzten Meter sprang er. Schützend stellte er sich vor Ethan und zog dabei einen Dolch. Zu Ethans Erstaunen zeigte die Entschlossenheit des Jungen Wirkung. Die Männer ließen von ihm ab. Wohl auch, weil er irgendeine besondere Verbindung zum Kapitän zu haben schien.

»Dein Freund sollte besser schnell lernen, da hochzukommen. Wir brauchen keine Passagiere an Bord, die nichts können und den lieben langen Tag nur auf der faulen Haut liegen«, sagte einer der Männer.

»Danke«, flüsterte Ethan. Jimmy blickte ihn an und nickte nur. »Ich bringe ihm alles bei, was er können muss«, rief er. Damit waren die Männer einverstanden. Und Ethan war es auch.

*

Das Leben als Pirat war hart. Viel härter, als Ethan es sich jemals vorgestellt hätte. Am Anfang schrubbte er das Deck und half in der Kombüse aus. Doch er hatte nach wie vor Schwierigkeiten, in die Takelage zu gelangen, zudem war er alles andere als schwindelfrei. Von den Männern wurde er nicht respektiert, doch er stand unter Kapitän Morgans besonderem Schutz.

Und unter dem Jimmys, was ungefähr auf dasselbe hinauslief. Viele Abende verbrachte er mit dem neuen Freund, der ihm das Leben gerettet hatte.

Aber an diesem Abend, als beide an der Reling standen, verhielt sich Jimmy anders als sonst.

»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte Ethan, weil der Freund so schweigsam war, was sonst gar nicht seine Art war.

»Alles bestens«, sagte er nur.

»Aber du hast heute gar keine Geschichte zu erzählen.«

»Die kennst du doch schon alle.« Ethan war schwer beeindruckt gewesen, was der Knabe in seinem kurzen Leben schon alles erlebt hatte. Angeblich hatte er alle Sieben Weltmeere bereist und war sogar auf einem Schiff geboren worden.

»Dich bedrückt etwas«, stellte Ethan fest.

»Nein, tut es nicht«, erwiderte der Knabe wütend. »Wir gehen morgen an Land. Das ist alles.«

»Und deswegen bist du sauer?«

»Nein.« Der Junge verschränkte die Arme vor der Brust. »Du solltest aufhören, mich auszufragen, das nervt!«

»Ist ja schon gut. Verrätst du mir wenigstens, wo wir an Land gehen?«

»Auf einer Insel.«

»Schön! Aber auf welcher Insel?«

»Keine Ahnung, wie die heißt.« Merkwürdig. Sonst wusste der kleine Schlauberger doch immer alles. Er kannte alle Seekarten auswendig. Zumindest behauptete er das.

»Es ist eine namenlose Insel«, fügte er schließlich hinzu. »Wir gehen an Land und stocken die Vorräte auf. Früchte und Wasser, du verstehst? Ich habe die Männer sagen hören, dass sie dich dorthin mitnehmen wollen.«

»Wirklich?« Ethan fand das aufregend. Sein Freund hingegen war sichtlich unzufrieden.

»Du hast es gut«, sagte er schließlich. »Ich wollte nämlich auch an Land. Aber Kapitän Morgan hat es verboten.«

Daher rührte also die schlechte Laune. War sein Freund noch zu jung für solche Ausflüge? Ethan grinste bei dem Gedanken.

»Das ist überhaupt nicht witzig, hörst du!«, schimpfte Jimmy und bebte fast vor Zorn. »Ich hätte gefragt werden müssen, nicht du! Nur weil du älter bist. Das ist nicht fair.«

»Ich bring dir was Schönes mit, versprochen.«

»Ach, hör doch auf!«

»Tut mir wirklich leid für dich. Vielleicht können wir einfach tauschen? Du gehst mit, und ich bleib hier.«

Für einen kurzen Augenblick leuchteten die Augen des Jungen auf, aber dann schüttelte er den Kopf. »Glaube nicht, dass Morgan das zulässt. Naja, ist ja auch egal. Ich war schon oft an Land. Ich werde morgen einfach schwimmen gehen.«

»Du liebst das Meer, was?«

Jimmy nickte. Ethan ging es da ganz anders. Ihm hing das ewige Wasser zum Hals raus. Und mit der neuen Mannschaft kam er nicht zurecht. Die Männer waren ungehobelt und aggressiv. Ein falsches Wort genügte, und man hatte einen Dolch an der Kehle.

Ethan ließ die Arme über die Reling hängen. »Meinst du, ich komme jemals wieder nach Hause?« Diese Frage spukte schon die ganze Zeit in seinem Kopf herum. War er dazu verdammt, von jetzt an als Pirat die Meere unsicher zu machen? Er wollte überhaupt kein Pirat sein!

Im Gegenteil. Er sehnte sich nach England, der wunderbaren Pfefferminzsauce der Köchin des Hauses und nach seiner Familie.

Jimmy zuckte hilflos mit den Schultern, und Ethan schaute zum Sternenmeer empor. Es war eine wundervolle, klare Nacht. So weit weg von zu Hause war er noch nie gewesen.

*

Am nächsten Morgen steuerte die »Poseidon« eine kleine Insel in der Ferne an. In Küstennähe wurde der Anker ausgeworfen und ein Beiboot zu Wasser gelassen. Ethan, der mit vier Männern im Boot saß, die ihn merkwürdig angrinsten, tauchte eine Hand ins kühle Nass. Das Wasser war angenehm warm. Als er seine Hand wieder herauszog, floss das Wasser wie glänzende Perlen über seine Haut ins Meer zurück.

»Warum lässt Morgan nur ein Beiboot zu Wasser? Ich dachte, wir sammeln Vorräte?« Ethan hatte nicht viel Ahnung vom harten Leben einer Schiffscrew. Die Speisekammer in Portsmouth war immer gut gefüllt gewesen. Und wenn etwas fehlte, waren die Bediensteten zum Markt gegangen.

Was hofften die Männer hier zu finden? Früchte? Beeren? Kokosnüsse? Niemand antwortete ihm. Aber das Grinsen auf den Gesichtern der Piraten wurde noch breiter. Irgendetwas stimmte nicht. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. Und es verstärkte sich, je näher sie der Insel kamen. Kraftvoll ruderten die Männer, bis ein weißer Strand und meterhohe Palmen sichtbar wurden. Dann sprangen sie alle vier gleichzeitig aus dem Boot und zogen es an Land. Erst als er sicheren Boden unter den Füßen hatte, stieg auch Ethan aus.

»Lauf da hin, Junge, und besorge uns Früchte. Aber nur die reifen, die schön rot glänzen!«, sagte einer der Piraten.

Ethan nickte und tat, wie ihm befohlen. Doch solche Früchte fand er nirgends. Ja, hier gab es einige Beeren. Aber die waren blau! Und dort hing Obst, das in sattem Grün strahlte. Aber rot war hier nichts. Vielleicht waren die Früchte, welche die Piraten mitnehmen wollten, noch nicht reif?

»Hier sind keine roten Früchte«, rief er und wandte sich um. Ethan traute seinen Augen kaum. Die Seeräuber hatten sich längst ins Boot geschwungen und ruderten zur »Poseidon« zurück!

»Was soll das? Ihr könnt mich doch nicht hier zurücklassen!«, rief Ethan verzweifelt. Er rannte, so schnell ihn seine Füße trugen, zum Strand, aber er war rasch außer Atem und konnte sie nicht mehr einholen, geschweige denn ihnen nachschwimmen. Auf die Knie gestützt, hielt er inne, keuchte. Seine Arme zitterten vor Erschöpfung und Aufregung. Das Beiboot wurde immer kleiner.

»Bitte! Kommt zurück!«, rief Ethan so laut er nur konnte, den Tränen nahe. Aber es war vergebens. Er konnte nichts ausrichten, nur zusehen, wie kurz darauf die »Poseidon« wieder Fahrt aufnahm. Sie ließen ihn tatsächlich hier. Ganz allein! Wie einen Schiffbrüchigen.

Ethan sank in den weißen Sand und vergrub seine Hände darin. »Kommt zurück«, hauchte er kraftlos …

1. Kapitel

»Es schmerzt, ihn so zu sehen.« Catherine Morgan reinigte den einfachen Becher mit einem sauberen Tuch und stellte ihn zu den anderen unter die Theke.

»Du meinst den alten Rob?«, fragte Owen und hob seine Augenklappe, um sie eindringlich zu mustern. Wem machte er etwas vor? Jeder wusste, dass die Augenklappe nur eine Zierde war. »Rob hat doch alles, wovon ein Mann nur träumen kann. Eine eigene Taverne, hier in London! Und reger Betrieb herrscht auch noch. Er hat für seinen Lebensabend ausgesorgt.«

Catherine sah zu ihrem Vater, der die Beine auf den Tisch gelegt hatte und aus dem Fenster blickte, hinaus auf den Hafen. Owen irrte. Sie sah etwas anderes als er. Einen Mann, der das Träumen verlernt hatte. Einen Mann, der sich versteckte und mit Wehmut auf sein altes Leben zurückblickte. Was war davon übrig? Nicht viel. Es passte in diese kleine Taverne.

»Die Zeit ist im steten Wandel. Das wirst du auch noch lernen. Wir werden alle nicht jünger. Schon gar nicht der alte Rob. Der hat ein Leben für zwei gelebt. Und du … du bist ihm sehr ähnlich. Derselbe entschlossene Blick. Dieselbe Liebe zur See. Ich erinnere mich an meinen ersten Tag an Bord der ›Poseidon‹. Ich staunte nicht schlecht, als ich dich zum ersten Mal sah. Damals warst du so groß gewesen.« Owen deutete vage eine Kindergröße auf Hüfthöhe an. »Aber du hattest Mumm in den Knochen wie niemand sonst, den ich kenne.« Er legte seine Augenklappe wieder an, lehnte sich über die Bar und umfasste seinen Krug mit beiden Händen, als hoffte er, sich an dem Honigwein wärmen zu können. Catherine schenkte ihm nach.

»Er ist alt, das ist wahr. Aber Alter schützt vor Torheit nicht. Er vermisst die See, das weiß ich einfach«, sagte sie leise.

Die See war wie ein großes Abenteuer. Sie hatten Schätze gesucht, feindliche Schiffe beschossen und gekapert, reichlich Beute gemacht. Und dann hatte Rob Morgan von einem Tag auf den anderen entschieden, dass es Zeit war, sesshaft zu werden. Die alten Knochen hatten nicht mehr gewollt. Auch eine Verletzung, die ihm im Kampf mit den Schwarzen Korsaren zugefügt worden war, hatte wohl eine Rolle gespielt. Ein Messer war ihm zwischen die Rippen geraten, danach hatte er immer Schmerzen gehabt. Selbst als die Wunde längst verheilt gewesen war. Oder es war das Rheuma.

»Vielleicht ist es ja deine eigene Sehnsucht, von der du sprichst«, gab Owen zu bedenken. Catherine nickte. Sie war im besten Alter. Und sie hätte alles dafür gegeben, noch einmal aufs Meer hinauszufahren, den Wind in den Haaren zu spüren. Stattdessen stand sie tagtäglich hinter dem Tresen dieser Hafenspelunke, in die sich sowieso nur abgehalfterte Seeräuber und leichtsinnige Matrosen verirrten. Sie erhoffte sich mehr vom Leben. Aber es schien, als wäre sie auf Gedeih und Verderb an die »Goldene Nixe« gebunden, wie die Wirtschaft hieß.

»Wie steht es mit dir?«

»Mit mir?« Unter seiner Augenklappe zuckte eine Braue fragend hoch.

»Du bist doch dabeigewesen. Du warst einer von uns.«

»Das bin ich immer noch. Aber ich bin anpassungsfähig. Ich trauere nicht dem Vergangenen nach, sondern richte meinen Blick aufs Hier und Jetzt.«

Das war vermutlich das Klügste. Aber Rob konnte das nicht. Und ihr ging es kaum anders.

»Ich mach, dass ich rauskomme«, sagte Owen schließlich, schlug mit der flachen Hand auf die Theke und trank seinen Met in einem Zug leer. Dann streckte er die Arme in die Höhe und räkelte sich genüsslich. Ein uriges Gähnen drang aus seinem weit geöffneten Mund. »Pass auf dich auf, Cathy.« Er warf ihr eine Münze zu, die sie geschickt mit einer Hand auffing.

Sie nickte nur. Auf sich aufpassen, das konnte sie. Wenn ihr einer dieser dreckigen Halunken, die sich am Hafen herumtrieben, zu nahe kam, hatte sie schneller ihren Dolch in der Hand als einer von ihnen bis drei zählen konnte.

Catherine wusste, wie man kämpfte. Sie hatte mit den Männern unzählige Schlachten geschlagen. Ein betrunkener Matrose war kein Gegner für sie.

»Hey, Mädchen, bring mir noch Wein!«, rief ein Gast an einem der hinteren Tische. Catherine schnappte sich die Karaffe und ging gemächlich hinüber zu dem dickleibigen Mann, den sie heute zum ersten Mal in der Taverne sah. Er passte nicht recht hierher. Die meisten Gäste trugen keine edle Gewandung, ganz im Gegenteil.

Aber es waren Leute, mit denen man Spaß haben konnte, die Würfel- und Kartenspiele liebten und auch mal um Geld spielten. Dieser Kerl jedoch sah aus wie jemand, bei dem das Geld locker saß. Also schenkte sie ihm ein freundliches Lächeln.

»Danke, Süße!«, sagte er und gab ihr, gerade als sie sich umwandte, einen Klaps auf den Hintern. Catherine blieb stehen. Das war ein Fehler, war ihr einziger Gedanke. Abrupt fuhr sie wie eine Raubkatze herum, knallte die Karaffe auf den Tisch, sodass der Wein überschwappte, und funkelte den Dicken an. Der erschrak derart, dass er sich an seinem Gesöff verschluckte. Alle Augen richteten sich auf sie, und die Gespräche verstummten. Es wurde still um sie herum.

»Wie war das gerade?«, zischte sie.

»Ich … hab doch gar nichts gemacht«, wunderte er sich.

»Du glaubst wohl, du bist etwas Besseres und ich nur ein dummes Ding, dem man auf die Brüste starren oder auf den Hintern klapsen kann? Aber Vorsicht, mein Dickerchen! Einer wie du hat ja keine Ahnung, zu was eine wie ich fähig ist.«

Sie kam ganz nah an sein Gesicht heran. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. »Schon gut, schon gut! Ist ja nichts passiert. Lachen wir doch einfach drüber.«

Sie starrte ihn so lange an, bis er den Blick senkte. Erst dann ließ sie von ihm ab. »Na schön, vergessen wir es. Für dieses Mal.«

»Fein, danke. Sehr großzügig. Ich bin auch großzügig. Sieh …« Mit zitternder Hand legte er ihr ein paar Münzen Trinkgeld hin, wohl um seine gute Absicht zu bestärken.

Sie zögerte nicht lange und sammelte die Münzen auf, wog sie in der Hand und warf dem Dicken einen verächtlichen Blick zu.

»Dann ist es also wahr«, sagte er vorsichtig.

»Wahr? Was soll wahr sein?«

»Dass Piraten diese Taverne betreiben.«

Catherines Augen verengten sich zu Schlitzen. Davon wusste niemand! Es war geheim und sollte auch geheim bleiben.

»Wie kommen Sie auf diesen Unsinn?«, brachte sie schließlich hervor.

»Nun, ich … ich hörte Gerüchte, und so wie du auftrittst, da bekommt man … Respekt. Großen Respekt.« Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er etwas wusste. Nur, wie war das möglich?

»Hier gibt es keine Piraten, Sir«, sagte sie schließlich bestimmt und straffte die Schultern.

»Na fein, na fein, dann sind es eben nur Gerüchte.«

Sie nickte und wollte die Münzen in ihren Geldbeutel, der am Gürtel hing, stecken. Doch die Münzen fielen stattdessen laut klirrend zu Boden und rollten über die Dielen. Catherine erstarrte. Tastete rasch nach dem Beutel, doch er war weg. Dann erspähte sie aus dem Augenwinkel einen hageren Mann, der eilig die Taverne verließ. Zu eilig!

Das war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen! Der Dicke hatte sie in ein Gespräch verwickeln sollen. Und sie war darauf hereingefallen.

»Haltet den Dieb!«, rief Catherine und eilte hinaus. Ihr folgte Jack, ihr guter Freund, der bis eben Karten mit ein paar Matrosen gespielt hatte. »Was ist los?«

»Er hat meinen Beutel gestohlen!«

»Was war drin?«

»Geld und …« Sie verstummte, als ihr klar wurde, dass in dem Beutel ein wertvolles Erinnerungsstück war, auf das es der Dieb womöglich abgesehen hatte. Aber wie war das möglich, wie konnte er davon wissen? Niemand wusste von der Karte!

»Wir teilen uns auf«, schlug Jack vor und deutete in zwei Richtungen. Catherine stimmte zu und rannte in die eine, Jack in die andere.