Die Prinzipien des nachhaltigen Erfolgs - Brad Stulberg - E-Book

Die Prinzipien des nachhaltigen Erfolgs E-Book

Brad Stulberg

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Beschreibung

Die Kultur des ständigen und nie ausreichenden Leistungsdrangs fordert letztlich ihren Tribut. Das Hochgefühl gelegentlicher Erfolge kann uns zwar eine Weile aufrecht erhalten, aber Angst, Unruhe, zerrüttete Beziehungen, Erschöpfung und sogar Drogenmissbrauch können die unerwünschten Nebeneffekte einer Besessenheit von äußerer Leistung sein. In Die Prinzipien des achtsamen Erfolgs zeigt der Bestsellerautor Brad Stulberg einen Weg auf, wie Spitzenleistung, Wohlbefinden und Erfüllung entstehen und ein Leben lang erhalten bleiben können. Im Mittelpunkt dieses Modells steht die Bodenständigkeit – eine Praxis, die Präsenz über auswendig gelernte Produktivität stellt, die akzeptiert, dass Fortschritt nicht linear ist, und die langfristige Werte und Erfüllung über kurzfristigen Gewinn stellt. Geerdet zu sein bedeutet, ein festes und unerschütterliches Fundament zu besitzen, eine innere Stärke und ein Selbstvertrauen, das einen durch Höhen und Tiefen trägt und aus dem heraus sich ein tiefer und dauerhafter Erfolg einstellen kann. Gleichzeitig schließt es Ehrgeiz und Strebsamkeit nicht aus, sondern ordnet diese Eigenschaften ein und lenkt sie in sinnvollere Bahnen. Indem er Fallstudien, moderne Wissenschaft und altehrwürdige Lehren aus alten Weisheitstraditionen wie Buddhismus, Stoizismus und Taoismus miteinander verwebt, zeigt Stulberg, wie er die Gewohnheiten und Praktiken eines geerdeten Lebens kultivieren kann. Dieses provokative und praktische Buch ist das notwendige Korrektiv zu dem hektischen Tempo und dem endemischen Burnout, die aus den zeitgenössischen Definitionen von Erfolg resultieren. Es bietet einen neuen – und besseren – Weg.

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Seitenzahl: 381

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Brad Stulberg

Die Prinzipien des nachhaltigen Erfolgs

Brad Stulberg

Die Prinzipien des nachhaltigen Erfolgs

DER EINFACHE Weg zu mehr Glück durch Bodenständigkeit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

1. Auflage 2023

© 2023 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei Portfolio unter dem Titel The Practice of Groundedness. © 2021 by Brad Stulberg. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Dr. Ulrich Korn

Redaktion: Petra Sparrer

Korrektorat: Anke Schenker

Umschlaggestaltung: Karina Braun in Anlehnung an das Original

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Elina Li, Juli Gin

Satz: ZeroSoft, Timisoara

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-732-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-420-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-421-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Und das sagen die Kritiker

Teil I: Die Grundlagen des Erfolgs

Kapitel 1: Bodenständig sein, um aufzusteigen

Kapitel 2: Akzeptieren Sie, wo Sie sind, um dorthin zu gelangen, wo Sie hinwollen

Kapitel 3: Präsenz zeigen, um aufmerksam zu sein und energetisch zu handeln

Kapitel 4: Mit Geduld schneller ans Ziel

Kapitel 5: Verwundbarkeit zeigen, um echte Stärke und Zuversicht zu erlangen

Kapitel 6: Gemeinschaften bilden – ein Wir-Gefühl schaffen

Kapitel 7: Den Körper in Bewegung halten, um den Geist zu erden

Teil II: Ein bodenständiges Leben führen

Kapitel 8: Von den theoretischen Prinzipien zum praktischen Handeln

Kapitel 9: Entscheidend ist das Vorgehen, die Resultate folgen von selbst

Fazit

Danksagung

Empfohlene Literatur

Anmerkungen

Und das sagen die Kritiker

»Dieses Buch trifft den Kern der Sache.«

Ryan Holiday, Autor vonIn der Stille liegt dein WegundDein Ego ist dein Feind

»Wenn Sie jemals das Gefühl haben, dass Ihr Leben und die Welt außer Kontrolle geraten, dann brauchen Sie dieses Buch.«

Daniel H. Pink, Autor von Drive: Was Sie wirklich motiviert und To Sell Is Human

»Anspruchsvoll, tiefgreifend und wirkungsvoll. Stulberg ist der Autor, an den ich mich wende, wenn ich den Begriff Erfolg in all seiner persönlichen und beruflichen Komplexität untersuchen will.«

David Epstein, Autor vonEs lebe der Generalist! und Die Siegergene:

»Dieses Buch spricht etwas an, das viele von uns empfinden, aber nicht klar aussprechen können.«

Arianna Huffington, Gründerin und CEO von Thrive Global

»Ein durchdachter, praktischer Ratgeber, um mehr Spitzenleistungen mit weniger Angst zu erreichen.«

Adam Grant, Autor von Think Again – Die Kraft des flexiblen Denkens und Moderator des TED-Podcasts WorkLife

»Ein wertvoller Leitfaden für den Weg vom heroischen Individualismus zu einem nachhaltigeren, langfristigen Erfolgskonzept.«

Scott Galloway, Autor von The Four – Die geheime DNA von Amazon, Apple, Facebook und Google und Post Corona

»Eine wichtige Alternative für diejenigen unter uns, die von inhaltslosen Ermahnungen ermattet sind und nach einem tieferen Ansatz für ein erfolgreiches Leben suchen.«

Cal Newport, Autor von Digitaler Minimalismus und Konzentriert arbeiten

»Genau das, was wir jetzt brauchen. Stulberg ist ein Meister darin, Forschung in Lebensstrategien zu übersetzen.«

Kelly McGonigal, Autorin von Bergauf mit Rückenwind und The Joy of Movement

»Glück erfordert ein Leben, das in Werten und Stärken verwurzelt ist. Aber das geschieht nicht von selbst. Stulberg bietet sechs konkrete Schritte, die wir gehen können und die uns den Weg weisen.«

Arthur C. Brooks, Autor von The Conservative Heart und Love Your Enemies

Dieses Buch ruht auf den Schultern von Riesen. Ich danke den Wissenschaftlern, Schriftstellern, Philosophen, Dichtern, Heiligen, Mönchen und all den anderen Wegbereitern, auf deren Arbeit dieses Buch aufbaut. Ich wünsche mir, dass dies ein kleiner Beitrag zu einer bereits überzeugenden und beständigen Tradition des Denkens und Schreibens ist.

Während der Arbeit an diesem Buch habe ich immer wieder darüber nachgedacht, wie ich etwas schaffen kann, auf das mein Sohn Theo stolz sein kann. Es ist also ein Buch für ihn.

Und auch für Sie alle.

Teil I

Die Grundlagen des Erfolgs

Kapitel 1

Bodenständig sein, um aufzusteigen

Im Sommer 2019 beobachtete ich bei meinen Coaching-Klienten – hochrangigen Führungskräften, erfolgreichen Unternehmern, leitenden Ärzten und Spitzensportlern – eine Entwicklung, die mir zu denken gab. Während wir früher meist darüber sprachen, mit welchen Verhaltensroutinen ein hohes Leistungs- und Arbeitsvermögen erreichbar ist, bekam ich in den vergangenen Jahren etwas anderes zu hören. »Ich brauche unbedingt eine Auszeit«, sagte mein Klient Tim, Chefarzt für Allgemeinmedizin in einem großen Gesundheitszentrums. »Selbst wenn ich versuche, mir ein einziges Wochenende freizunehmen, halte ich es nur ein paar Stunden durch, nicht meine beruflichen E-Mails zu öffnen. Ich weiß, das müsste ich nicht tun – und ich will es auch gar nicht. Aber ich verspüre einen inneren Zwang, es trotzdem zu tun. Und um ehrlich zu sein: Wenn ich es nicht tue, werde ich unruhig und komme mir vor, als bewege ich mich auf unsicherem Terrain.«

Andere Klienten entwickeln Angstgefühle, wenn nicht schon sprichwörtlich »das nächste Ding ansteht«. Und selbst wenn sie genug zu tun haben, machen sie sich Sorgen, es könne nicht genug sein. Sie verspüren den tief verinnerlichten Drang, stets auf etwas hinarbeiten zu müssen, damit sie nicht das Gefühl haben, dass die Lücke in ihrem Leben immer größer wird und sie eine große Leere empfinden. »Ich dachte, dass ich zufrieden sein würde, sobald ich endlich die Finanzierung abgesichert und diesen Betrieb gegründet hätte«, sagte Samantha, eine Unternehmerin einer schnell wachsenden Technologiefirma. »Doch ich habe mich geirrt. Und ich mache mir Sorgen, nicht zu wissen, was ich tun soll, wenn dies nicht ausreicht.«

Einige meiner Klienten berichten auch, dass sie sich zerstreut fühlen – sie verbringen zu viel Zeit damit, zurückzublicken, vorauszuplanen, ihre Entscheidungen infrage zu stellen oder sich in Was-wäre-wenn-Szenarien zu verstricken. »Ich spüre schon lange diese Zerfahrenheit und neige schon seit geraumer Zeit dazu, zu viel nachzudenken«, erklärt Ben, der CEO eines großen Softwareunternehmens. »Aber jetzt kommt es mir noch schlimmer vor, als wäre ich zu zerstreut. Es fällt mir schwerer als je zuvor, präsent zu sein. Ich kann damit umgehen; aber es gefällt mir nicht.«

Die meisten dieser Menschen – auch Tim, Samantha und Ben – sind sogenannte »Macher«, und zwar seitdem sie denken können. Sie sind beherzt und zielstrebig, ihre Arbeit und ihr Privatleben liegen ihnen sehr am Herzen. Auch Widrigkeiten sind ihnen nicht fremd. Die Athleten unter ihnen haben sich schreckliche Verletzungen zugezogen. Führungskräfte, die sich als Minderheiten fühlen, sahen sich Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Die Unternehmer hatten harte Arbeitszeiten hinter sich. Alle hatten mit erheblichem Stress zu kämpfen, besonders die Ärzte, die regelmäßig mit Situationen konfrontiert werden, in denen es um Leben und Tod geht. Und obwohl es ihnen gelungen ist, diese Hindernisse zu überwinden, haben alle meine Klienten – Menschen, die ich sehr bewundere – weiterhin große Probleme.

Das gilt nicht nur für die Klienten, die ich coache. Diese Themen spielen auch in meiner Forschung und in meinen Schriften zu Performance, Wohlbefinden und allgemeiner Lebenszufriedenheit eine große Rolle. Viele der Menschen, die ich durch diese Arbeit kennengelernt habe – Spitzensportler, Intellektuelle und Kreative –, kennen eine ähnliche Unzufriedenheit. Gemessen an normalen Maßstäben sind sie sehr erfolgreich. Doch im Innersten spüren auch sie oft, dass etwas nicht stimmt, dass irgendetwas fehlt. Interessanterweise erzählen mir viele dieser Menschen, dass sie sich, wenn sie nicht gerade überdreht sind, tatsächlich ziemlich niedergeschlagen fühlen. Sie leiden in solchen Momenten nicht unter Depressionen, sondern häufig plagt sie eine schwelende Unzufriedenheit. Ein Weltklassesportler sagte mir: »Wenn ich aufhöre, nach vorn zu schauen, fühle ich mich nach dem Wettkampf niedergeschlagen, auch wenn ich den verdammten Kampf gewonnen habe! Es wäre schön, ein wenig mehr und auch tieferen Frieden empfinden zu können.«

Täuschen Sie sich nicht; alle diese Menschen erleben Momente des Glücks und der Freude, aber diese Augenblicke sind eben nur Momente – flüchtiger, als ihnen lieb ist. Allzu oft haben sie das Gefühl, von den Launen des Lebens hin- und hergeworfen zu werden, fortwährend von einer Sache zur nächsten zu springen, ihre Eigenständigkeit zu opfern und die Kontrolle zu verlieren. Sie sagen sich (und mir), wie sehr sie sich wünschen, all das abzuschalten – all die Nachrichten und den ganzen Arbeitstrubel, die E-Mails und Mitteilungen in den sozialen Medien und die Gedanken daran, was als Nächstes kommt. Doch wenn sie das tun, fühlen sie sich unruhig und rastlos, schwanken zwischen Ziellosigkeit und Angst. Sie wissen, dass es nicht die Lösung ist, immer auf Sendung zu sein, aber sie fühlen sich nie richtig wohl, wenn sie sich mal eine Auszeit nehmen. Viele Männer halten es für beschwerlich, als unerschütterlich und unbesiegbar zu gelten. Und nicht wenige Frauen berichten, sie hätten das Gefühl, immer für alles und jeden da sein zu müssen und stets hinter den unmöglichen Erwartungen zurückzubleiben. Ich bezeichne das als heroischen Individualismus: ein ständiges Spiel, bei dem man sich selbst und andere übertreffen will, gepaart mit der beschränkten Überzeugung, messbare Ergebnisse seien das einzige Kriterium für Erfolg. Auch wenn Sie einen guten Job machen und es nach außen hin gut kaschieren, haben Sie, wenn Sie sich dem heroischen Individualismus verschrieben haben, stets den Eindruck, die Ziellinie – oder mit anderen Worten: eine anhaltende Erfüllung – nie ganz zu erreichen.

Heroischer Individualismus ist nicht auf mein Coaching, meine Forschung oder mein Schreiben begrenzt. Die damit verbundenen Probleme sind in meinem sozialen Umfeld ein häufiges Gesprächsthema, und auch in dem meiner jüngeren und älteren Kollegen. Ungeachtet von Alter, Ethnie, Geschlecht, geografischer Lage und Branche scheint das Gefühl, nie genug zu geben oder zu leisten, ein wesentlicher Bestandteil des Lebens zu sein. Das ist nichts Neues. Seit jeher sehnt sich der Mensch danach, etwas Beständiges zu sein und eine Ganzheit darzustellen, auch wenn das Leben einem ständigen Wandel unterzogen ist. Dieses Bedürfnis ist stärker geworden. Der heroische Individualismus hat Konjunktur. Er wird von einer modernen Kultur gespeist, die unerbittlich sagt, dass Sie besser sein, sich besser fühlen, positiver denken, mehr haben und Ihr Leben »optimieren« müssen – nur um dürftige und oberflächliche Lösungen anzubieten, die allenfalls Enttäuschungen bereithalten.

Sollte Ihnen einiges davon bekannt vorkommen, sind Sie nicht allein. Vielleicht weichen die Details von den Beispielen ab, die ich genannt habe. Vielleicht gefällt Ihnen Ihr Job nicht oder Sie sind in akute Not geraten. Oder Sie kommen gerade frisch von der Uni oder sind schon 20 Jahre im Berufsleben. Vielleicht stehen Sie kurz vor der Pensionierung oder haben sie sogar schon erreicht. Aber der heroische Individualismus und seine häufigsten Symptome – Rastlosigkeit, Getriebenheit, leichte Angstzustände, Zerstreutheit, Erschöpfung, Burnout, Phasen, in denen man Leere verspürt, der Zwang, immer der nächsten Sache hinterherzujagen, und immer wieder neue Wünsche –, all dies ist durch immer mehr Daten belegt, die wir uns bald genauer ansehen und die zeigen, was so viele Menschen heutzutage fühlen und was ich teilweise selbst ebenso empfinde.

Wenn man den Boden unter den Füßen verliert

In meinem ersten Buch Das perfekte Mindset – Peak Performance befasste ich mich mit den erforderlichen Grundlagen, um in jedem Bereich nachhaltige Fortschritte zu erzielen. Mein zweites Buch The Passion Paradox handelte von Menschen, die so gepolt sind, dass sie um jeden Preis weitermachen wollen, und zeigte den Lesern, wie man Leidenschaft und Tatendrang entwickeln und in produktive Bahnen lenken kann. Ich war der Meinung, das Rezept für Erfolg und Glück bestehe darin, eine fruchtbare Leidenschaft zu entwickeln und dann die Prinzipien der Peak Performance, der absoluten Spitzenleistung, zu nutzen, um sie zu kanalisieren und völlig zu beherrschen. So habe ich wie auch viele meiner Klienten unser Leben gelebt – meist mit großem Erfolg. Mach, mach, mach. Los, los, los. Sei nie zufrieden. Habe niemals genug. Lebe mit schonungslosem Tatendrang und mit Intensität für das, was als Nächstes auf dich zukommt.

Nachdem Peak Performance ein Bestseller geworden war und ich das komplette Manuskript von The Passion Paradox geschrieben hatte, machte sich wie aus heiterem Himmel eine Zwangsstörung (OCD), eine missverstandene und oft zehrende Krankheit, bei mir bemerkbar. Dabei geht es bei Weitem nicht nur darum, in nahezu pathologischem Ausmaß überorganisiert zu sein und alles doppelt und dreifach überprüfen zu müssen; vielmehr zeichnen sich klinische Zwangsstörungen durch störende Gedanken und Gefühle aus, die Ihr Leben beherrschen. Sie versuchen den ganzen Tag, sie zu entschlüsseln und herauszufinden, was sie bedeuten und wie Sie sie abstellen können, aber dann tauchen sie trotzdem noch stärker und heftiger wieder auf. Diese Gedanken und Empfindungen sorgen für elektrisierende Angstschübe vom Scheitel bis zur Sohle. Zwar versuchen Sie zwanghaft, sich von ihnen abzulenken, aber sie sind im Hintergrund stets präsent, schleichen sich jeden freien Moment des Tages ein. Wenn Sie ins Bett gehen, schwirren sie in Ihrem Kopf herum; sie machen auch nicht Halt vor Ihrem Körper und mit diesem Gefühl wachen Sie auch auf. Sie sind da, wenn Sie essen und wenn Sie arbeiten. Sie sind da, wenn Sie versuchen, für Ihre Familie da zu sein. Sie lassen sich auch dann nicht verdrängen, wenn Sie schlafen, und sie quälen Sie in Ihren Träumen. Diese aufdringlichen Gedanken und Ahnungen sind so hartnäckig, dass Sie sich allmählich fragen, ob Sie ihnen nicht vielleicht doch Glauben schenken und sie für wahr befinden sollen.

In meinem Fall drehten sich diese störenden Gedanken und Instinkte (Obsessionen) um Verzweiflung, Leere, Selbstverletzung und Existenznot. Obwohl das Leben mit einer unkontrollierten Zwangsstörung sicherlich deprimierend war, wusste ich tief im Inneren, dass ich mich nicht verletzen wollte – doch mein Geist gab keine Ruhe. Es war eine chaotische Spirale des Terrors ohne Boden. So sah mein Alltag fast ein Jahr lang aus, bis ich schließlich begann, die positiven Auswirkungen einer Therapie und anderer Praktiken zu registrieren, die meine Arbeit und mein Leben zum Besseren verändert haben.

Meine Zwangsstörung wurde nicht unbedingt durch meine tief verwurzelten Persönlichkeitsmerkmale ausgelöst. Dazu gehören neben meinem unablässigen Tatendrang und meiner Ruhelosigkeit der Wunsch, jedes Problem zu lösen sowie stets vorausschauend, aber nie zufrieden zu sein. Die Diagnose ließ mich jedoch innehalten und bot mir Anlass, über meine Eigenschaften nachzudenken. Irgendwie schienen sie miteinander verbunden zu sein. Als versetzte das ständige Vorantreiben meiner selbst mich in eine Lage, in der ich leichter den Boden unter den Füßen verlieren konnte. Als sei die Zwangsstörung die extreme Version meiner gewohnten Lebensweise, nur in eine dunkle Richtung gerichtet.

Die Gefahren einer unaufhörlichen Optimierung

Nachdem ich in einem Essay für die Zeitschrift Outside über meine Erfahrungen mit Zwangsstörungen geschrieben hatte, erhielt ich Hunderte von Zuschriften von Lesern, die ebenfalls unter Zwangsstörungen, Angstzuständen, anderen Gemütsstörungen oder allgemeiner Unruhe litten. Viele von ihnen schrieben, dass auch sie einen unstillbaren Tatendrang verspürten, der vor dem Ausbruch ihrer Störungen in höchsten Tönen gepriesen wurde. Dieser Antrieb und diese Energie hatten sie dazu befähigt, Großes zu erreichen. Es war eine Quelle der Spannung und Aufregung. Jetzt aber fragten sie sich, ebenso wie ich, ob ihre Unfähigkeit, auch mal zufrieden zu sein, sowie ihr übermäßiges Streben nach Weiterentwicklung – nach immer mehr und sich stets weiter nach vorn zu pushen – zu einem Denken beigetragen hat, das krankhaft übersteuert war; einem Verstand, der nicht herunterschalten, einem Geist, der nicht zu sich selbst finden konnte.

Diese Leserbriefe machten mir klar, dass wir alles tun, um unsere gesamte Existenz zu optimieren, damit wir endlich das Gefühl haben, uns selbst genug zu sein. Aber vielleicht ist das gar nicht so optimal. In der alten Psychologie der östlichen Welt gibt es ein Konzept, das als hungriger Geist bekannt ist. Der hungrige Geist hat einen Magen ohne Boden. Er isst immer weiter, stopft sich satt, aber er fühlt sich nie gesättigt. Es handelt sich um eine gravierende Störung, unter der immer noch viele Menschen leiden.

Der wegweisende Soziologe Émile Durkheim stellte fest: »Der maßlose Ehrgeiz übertrifft immer die erzielten Ergebnisse, so groß sie auch sein mögen, denn es gibt kein Innehalten-Wollen. Nichts verschafft Befriedigung und die ganze Ruhelosigkeit wird permanent aufrechterhalten, ohne dass es zu einer Besänftigung kommt … Wie könnte [die geistige Gesundheit] unter solchen Bedingungen nicht geschwächt werden?« Obwohl die folgenden Leiden nicht in einem Vakuum existieren, scheinen viele mit dem heroischen Individualismus zusammenzuhängen, wenn nicht sogar ein direktes Nebenprodukt zu sein. Die Zahlen der Menschen mit klinischen Angstzuständen und Depressionen sind höher als je zuvor. Schätzungen zufolge leidet jederzeit mehr als jeder Fünfte darunter. Die Abhängigkeit von schädlichen Substanzen hat den höchsten Stand in der modernen Geschichte erreicht, wie die steigenden Raten von Alkoholismus und die Opioid-Krise zeigen. Es gibt einen tragischen Anstieg dessen, was Forscher als »Tod aus Verzweiflung« bezeichnen – Todesfälle, die durch Drogen, Alkohol oder Selbstmord herbeigeführt werden. Im Jahr 2017, dem letzten Jahr, für das uns zum Entstehungszeitpunkt dieses Buchs Daten vorlagen, starben mehr als 150 000 Amerikaner aus Verzweiflung. So hoch war diese Zahl noch nie und sie ist fast doppelt so hoch wie 1999.

Den neuesten Forschungsergebnissen aus Kognitionswissenschaft, Psychologie, Organisatorischem Verhalten, Medizin und Soziologie zufolge haben viele Menschen zudem mit Unzufriedenheit zu kämpfen. Untersuchungen von Gallup, einem großen Meinungsforschungsinstitut, zeigen: Das allgemeine Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit sind in den Vereinigten Staaten seit 2008 um fast 10 Prozent gesunken. Die Daten »deuten auf eine Entwicklung hin, dass es den Menschen in den USA nicht gut geht«, lautet die Zusammenfassung im The American Journal of Managed Care. Die Gründe dafür sind vielfältig. Bereits vor der COVID-19-Pandemie haben sich weniger Menschen als je zuvor in der jüngeren Geschichte für die üblichen Treffen ihrer Communities interessiert – und deshalb auch nicht daran teilgenommen. Der politische Tribalismus hat Aufwind. Gleichzeitig glauben Experten, dass Einsamkeit und gesellschaftliche Vereinsamung epidemische Ausmaße angenommen haben. Im Jahr 2019 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Burnout als medizinische Erkrankung ein und definierte sie als »chronischen Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich bewältigt wurde«. Schlaflosigkeit und chronische Schmerzen sind weiter verbreitet denn je. Alles zusammengenommen scheint es tatsächlich so zu sein, dass der eigene Eindruck, nicht genug zu sein oder zu haben, immer häufiger entsteht. Das Merkwürdige dabei ist, dass so viele der Menschen, die unter diesen Beschwerden leiden, produktiv und erfolgreich sind, zumindest nach herkömmlichen Maßstäben. Aber sie definieren sicher nicht die Art von Erfolgserlebnis, die sie anstreben.

Symptome für heroischen Individualismus

Diese Gefühle können sich auf unterschiedliche Art und Weise äußern, aber die am häufigsten geäußerten Bedenken sind die folgenden:

leichte Angststörungen und das Gefühl, immer in Eile zu sein – wenn nicht physisch, dann psychisch;

der Eindruck, Ihr Leben wäre ein Wirbel frenetischer Energie, als würden Sie von einer Sache zur Nächsten getrieben;

eine wiederkehrende Eingebung, dass etwas nicht stimmt, ohne zu wissen, was es ist, geschweige denn, was Sie dagegen tun können;

nicht immer auf Sendung sein und alles geben zu wollen, aber das Abschalten fällt Ihnen schwer und wenn es Ihnen gelingt, haben Sie ein ungutes Gefühl;

sich viel zu beschäftigt fühlen, aber auch unruhig zu sein, wenn Sie Zeit und Freiraum haben;

sich leicht ablenken lassen und sich nicht konzentrieren können; es fällt Ihnen schwer, ruhig zu sitzen, ohne nach Ihrem Handy zu greifen;

alles besser machen wollen, besser sein und sich besser fühlen, aber Sie wissen nicht, wo Sie anfangen sollen;

total überwältigt von Informationen, Produkten und dem Wettbewerb zu sein, mit all seinen Versprechungen, was zu Wohlbefinden, Selbstverbesserung und einer starken Performance führt;

sich einsam fühlen oder eine innere Leere verspüren;

damit zu kämpfen haben, zufrieden zu sein;

nach normalen Maßstäben erfolgreich sein zu wollen und gleichwohl das Gefühl zu haben, nie zu genügen oder nicht genug erreicht zu haben.

Diese Gruppe von Merkmalen stellt eine weitverbreitete Art des Seins in der heutigen Welt dar, vielleicht ist sie sogar die vorherrschende. Wie Sie jedoch auf den nächsten Seiten sehen, muss das nicht sein.

Bodenständigkeit – ein besserer Ansatz

All dies ging mir während einer Wanderung mit meinem guten Freund Mario durch den Kopf. Wir hatten beide unsere eigene schwere Zeit hinter uns und waren beunruhigter, als uns lieb war. Es war ein frischer und windiger Tag mit einem hellgrauen Himmel. Die oberen Äste der massiven Mammutbäume Kaliforniens wehten heftig, aber viele Meter tiefer bewegten sich die Bäume überhaupt nicht. Ihre unerschütterlichen Stämme wurden von einem Netzwerk starker, miteinander verbundener Wurzeln am Boden gehalten. Und da ging mir ein Licht auf. Ich weiß noch, wie ich Mario ansah und sagte: Das ist es. Das ist es, was uns fehlt. Das müssen wir ausbauen. Wir müssen aufhören, so viel Zeit damit zu verbringen, uns um unseren metaphorischen Überbau, unsere hoch hängenden Äste zu sorgen, und uns stattdessen darauf konzentrieren, unsere tiefen und inneren Wurzeln zu nähren. Sozusagen das, was uns bei jedem Wetter mit den Füßen auf dem Boden hält. Das Fundament. Die Prinzipien und Praktiken, die wir oft übersehen und die in einem zu geschäftigen Leben, das sich auf das unerbittliche und allzu oft zielstrebige Streben nach Leistung konzentriert, in den Hintergrund geraten.

In diesem Moment wurde mir klar, wonach ich und Mario uns sehnten, wonach sich meine Coaching-Klienten und die Top-Performer, über die ich schreibe, sehnen und wonach sich, da bin ich mir ziemlich sicher, jeder sehnt: sich geerdet zu fühlen – und infolgedessen auf eine Art erfolgreich zu sein, die mehr Tiefe und mehr Erfüllung bietet.

Bodenständig zu sein bedeutet, eine unerschütterliche innere Stärke und ein Selbstvertrauen zu besitzen, die Sie durch Höhen und Tiefen tragen. Es ist ein tiefes Reservoir an Unbescholtenheit und Stärke, an Ganzheitlichkeit, aus dem dauerhafte Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden und Erfüllung hervorgehen. Doch hier ist die übliche Falle: Wenn Sie sich zu sehr auf die Faktoren Produktivität, Optimierung, Wachstum und die neuesten glänzenden und glitzernden Dinge konzentrieren, missachten Sie Ihre Bodenhaftung. Letztendlich leiden Sie darunter. Im Umkehrschluss – und das wird in diesem Buch sehr ausführlich behandelt – gehen Ihnen Ihre Leidenschaft, Ihr Leistungsvermögen oder Ihre Produktivität nicht verloren, wenn Sie der Bodenständigkeit Priorität einräumen. Bodenständig oder geerdet zu sein bedeutet nicht, jegliche Form von Ehrgeiz an den Nagel zu hängen. Vielmehr werden diese Wesensmerkmale verankert und gefestigt, sodass Ihr Streben und Ihr Ehrgeiz weniger ungebändigt erscheinen und Sie stattdessen größeren Wert auf Fokus, Nachhaltigkeit und Erfüllung legen. Es geht nicht so sehr darum, etwas zu erreichen, das vor Ihnen liegt, sondern darum, im Einklang mit Ihren inneren Werten zu leben, Ihren Interessen nachzugehen und Ihr Selbst im Hier und Jetzt auszudrücken, in einer Weise, auf die Sie stolz sein können. Wenn Sie bodenständig sind, brauchen Sie nicht nach oben oder nach unten zu schauen. Sie sind da, wo Sie sind, sind Sie aus dieser Position heraus wirklich kräftig und leistungsstark. Die von Ihnen verfolgten und in Erfüllung gehenden Ziele werden von längerer Dauer und effektiver sein. Erst wenn Sie geerdet sind, können Sie wirklich aufsteigen, zumindest auf nachhaltige Weise.

Wie sähe es also aus, wenn Sie sich darauf konzentrieren, ihre eigene Bodenständigkeit zu fördern, statt immer nur die herkömmlichen Erfolgserlebnisse anzuvisieren? Was wäre, wenn die Antwort weniger darin bestünde, schon jetzt in freudiger Erwartung der Zukunft entgegenzusehen, sondern eher darin, sich mehr der Gegenwart zu widmen? Was wäre, wenn Sie davon abließen, ständig jemanden zu verkörpern, der etwas Großes und Bedeutsames darstellt? Wie wäre es, wenn Sie Ihren Fokus nicht länger auf äußere Ergebnisse richten, sondern sich stattdessen darauf konzentrieren, ein solides Fundament zu legen – eine Bodenständigkeit, die nicht irgendein Resultat oder ein einmaliges Ereignis ist, sondern eine Art des Seins? Eine Bodenhaftung, aus der heraus absolute Spitzenleistungen sowie Wohlbefinden und Erfüllung hervorgehen, die ein Leben lang währen? Wie lässt sich eine derart profunde Bodenständigkeit entwickeln, die für das wechselnde Wettergeschehen unseres Lebens nicht so anfällig ist? Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, gelassener und zufriedener zu sein, gefestigter und ganzheitlicher, und trotzdem das Beste aus sich herauszuholen?

Um diese Fragen zu beantworten, habe ich mich auf wissenschaftliche Forschung, alte Weisheiten und moderne Praktiken gestützt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

Studien zeigen: Glück ist eine Funktion der Wirklichkeit abzüglich der Erwartungen. Mit anderen Worten: Der Schlüssel zum Glücklichsein liegt nicht darin, immer mehr zu wollen und anzustreben. Stattdessen liegt das Glück im gegenwärtigen Moment, darin, sich ein sinnvolles Leben aufzubauen und sich voll und ganz darauf einzulassen, und zwar im Hier und Jetzt. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Befriedigung der Grundbedürfnisse – wie Unterkunft, Nahrung und Gesundheitsfürsorge – für jede Definition von Glück oder Wohlbefinden entscheidend ist. Ohne diese elementaren Faktoren ist kaum etwas anderes möglich. Während einige Studien belegen, dass das Einkommen mit Wohlbefinden und Glück im Zusammenhang steht, zeigen andere Untersuchungen, wie die des Psychologen und Nobelpreisträgers Daniel Kahneman, dass oberhalb eines bestimmten Grenzwerts, der zwischen 65 000 und 80 000 Dollar (60 000 und 74 000 Euro) pro Jahr liegt – eventuell mit geringfügigen Anpassungen, je nach geografischer Lage –, ein zusätzliches Haushaltseinkommen nicht mit noch mehr Glück oder Wohlbefinden verbunden ist. Geld mag zwar ein nicht unwesentlicher Faktor sein, ist aber nicht die treibende Kraft.

Hinzu kommt, dass wir alle von dem betroffen sind, was Verhaltensforscher als hedonistische Adaptation (auch hedonistische Tretmühle) oder die »Set-Point«-Theorie des Glücks bezeichnen: Wenn wir etwas Neues erwerben oder erreichen, steigern sich unser Glücksgefühl und unser Wohlbefinden und wir sind zufriedener, aber nur für ein paar Monate, bevor alles wieder auf das vorherige Niveau zurückkehrt. Genau deshalb ist es so schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sich aus dem heroischen Individualismus herauszuwinden. Wenn überhaupt, ist der Glaube daran, dass man es könnte, der Knackpunkt in der Falle des heroischen Individualismus.

Über das allseits bekannte Bestreben, auf Dauer Glück und Wohlbefinden zu erreichen, sagt der Harvard-Psychologe Tal Ben-Shahar, der den Begriff arrival fallacy (»Trugschluss des Angekommenseins«) geprägt hat: »Wir leben in der Illusion – in der falschen Hoffnung –, dass wir glücklich sind, wenn wir etwas Bestimmtes erreicht oder geschafft haben.« Wenn uns endlich etwas gelungen ist, wenn wir endlich »angekommen« sind, so sagt er, verspüren wir vielleicht ein vorübergehendes Glücksgefühl, aber es ist nicht von Dauer. Ganz zu schweigen von all den Momenten, in denen wir etwas nicht schaffen, wenn wir die Rückschläge erleiden, die das Leben mit sich bringt. Und hat sich, so Ben-Shahar, die Suche nach dem Glück außerhalb von uns selbst, die sich stets im Kreis dreht, irgendwann oft genug wiederholt – und wir das Glück immer noch nicht gefunden haben –, so geben wir die Hoffnung letztendlich auf. Aber das muss nicht passieren. Wie dieses Buch zeigt, gibt es einen Weg, Ihren Sollwert so zu ändern, dass Sie Ihr Glück, Ihr Wohlbefinden, Ihre Zufriedenheit und Ihre Leistung nachhaltig steigern können. Und dieser Weg hat nichts damit zu tun, sich auf äußere Errungenschaften oder Statusstreben zu konzentrieren. Vielmehr geht es darum, seinen Fokus auf die Bodenständigkeit zu richten.

In der klinischen Psychologie sind die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) und die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) drei der wirksamsten Methoden zum Abbau von Ängsten, zur Stimmungsaufhellung und zur Stärkung des Selbstvertrauens. Allen diesen Therapien liegt die Überzeugung zugrunde, dass Glück, innerer Halt und Gelassenheit aus Bodenständigkeit erwachsen. Diese Therapien kommen in der Regel nur für die Genesung von Menschen zur Anwendung, die an schweren psychischen Problemen und an einer Sucht leiden, was bedauerlich ist. Wie Sie in den folgenden Kapiteln erfahren werden, können ihre Ansätze und Ihre Praktiken für jeden von großem Nutzen sein, vom Otto Normalverbraucher bis zu jemandem, der Spitzenleistungen erbringt.

Derweil zeigt das neu entstehende Wissenschaftsfeld der menschlichen Leistungskraft, dass jede Art dauerhaften Erfolgs eine solide Basis an Gesundheit, Wohlbefinden und allgemeiner Lebenszufriedenheit erfordert. Ohne diese Grundlage kann jemand zwar für kurze Zeit gute Leistungen erbringen, bricht dann jedoch unweigerlich zusammen und brennt aus, und das meist schon nach wenigen Jahren. Ein gemeinsames Merkmal von Leistungsträgern, die mit Verletzungen und Krankheiten – sowohl körperlicher als auch emotionaler Art – zu kämpfen haben, ist: Sie vernachlässigen ihre Bodenhaftung zugunsten eines ständigen Vorwärtsdrangs. Menschen, für die es Priorität hat, dass sie ihre Bodenständigkeit nicht verlieren, haben dagegen in der Regel eine lange, erfüllte und erfolgreiche Karriere. Dies zeigt sich in den verschiedensten Bereichen: von der Leichtathletik über kreatives Schaffen bis hin zu Wirtschaft und Medizin.

Zu guter Letzt zeigen jahrzehntelange Forschungen zu Motivation und Burnout, dass das Streben nach einem Ziel am nachhaltigsten ist und die größte Erfüllung mit sich bringt, wenn der Antrieb von innen kommt und nicht aus dem Bedürfnis – oder für manche aus der Sucht, von der sie nur schwer loskommen – nach Bestätigung von anderen.

Alte Weisheiten

Fast alle alten Weisheiten der Welt betonen, von welch zentraler Bedeutung es für den Menschen ist, bodenständig oder geerdet zu sein. Sobald der Lernende dieses Refugium in sich entwickelt hat – ein Gefühl von Stärke und innerem Halt, von tiefem Selbstvertrauen, von Zugehörigkeit zu sich selbst –, ist er weniger anfällig dafür, sich in vergänglichen Wünschen zu verstricken oder von den täglichen Herausforderungen des Lebens überwältigt zu werden.

Der Buddhismus, der Stoizismus, der Taoismus und andere alte philosophische Strömungen vertreten diese Auffassung schon seit Jahrtausenden. Buddha lehrte, dass der einzige Ort, an dem wahrer Frieden zu finden ist, unser »liebendes Bewusstsein« ist – oder das, was die Menschen der westlichen Welt als Seele bezeichnen würden, der Teil von uns, der unter all der Geschäftigkeit und dem Alltaglebens ruht, unsere beständige und essenzielle Natur, unbeeindruckt von äußerem Kommen und Gehen. Der Buddhismus lehrt zudem das Konzept des »rechten Bemühens«, das besagt: Ist das Streben eines Menschen geerdet, so führt es zu einem sinnvollen Beitrag sowie zu Zufriedenheit und Erfüllung. Die Stoiker glaubten, um ein gutes Leben zu führen, sollten wir nicht länger versuchen, gesellschaftliches Ansehen oder die Anerkennung anderer zu erlangen, denn beides sind nur flüchtige Phänomene. Vielmehr müssten wir uns darauf konzentrieren, »richtig geerdet« zu sein, das heißt, nicht mehr außerhalb von uns selbst nach Zufriedenheit und Erfüllung zu suchen, sondern sie in uns selbst zu finden. Der taoistische Philosoph Laotse lehrte, dass der Wind der Welt mal stärker, mal schwächer weht. Wenn man jedoch lernt, auf dem Boden zu bleiben, behält man das Gleichgewicht, egal was um einen herum geschieht. Der christliche Theologe Augustinus aus dem 4. Jahrhundert bemerkte, dass der Mensch sich nach weltlichen Errungenschaften sehnt. Er warnte jedoch davor – und damit nahm er den Trugschluss des Angekommenseins vorweg –, dass sich immer mehr Unzufriedenheit einstellt, wenn man dem äußeren Ehrgeiz verfällt, stets dem Nächstbesten hinterherjagt, sich ständig im Vergänglichen und Flüchtigen verfängt und stets an den falschen Orten nach Liebe sucht. Hunderte Jahre später konzentrierten sich die Lehren des christlichen Mystikers Meister Eckhart aus dem 13. Jahrhundert auf die Entwicklung einer unerschütterlichen Bodenständigkeit, aus der heraus authentische Handlungen erwachsen. »Aus Innerlichkeit wird wirksames Handeln und wirksames Handeln führt zurück zur Innerlichkeit, und wir gewöhnen uns daran, ohne jeden Zwang zu handeln«, sagte Eckhart. »Je tiefer und abgründiger der Boden, desto höher und unermesslicher sind das Emporkommen und die Höhe.«

Das immer wiederkehrende Thema ist klar: Wenn Sie auf Dauer gut handeln und es Ihnen gutgehen soll, müssen Sie bodenständig oder geerdet sein. Interessant ist, dass keine dieser alten Lehren Passivität propagiert, worauf ich in späteren Kapiteln näher eingehe. Sie alle fördern kluges Handeln, und dieses unterscheidet sich stark von unserem normalen Handlungsmodus des Reagierens. Während eine Reaktion übereilt und unüberlegt ist, resultieren wohlüberlegte Taten aus Reflexion und Bedächtigkeit. Das weise Vorgehen erwächst aus innerer Stärke, aus Bodenständigkeit.

Was wir von heutigen bodenständigen Menschen lernen können

Als ich mir die Menschen, die in ihren jeweiligen Bereichen am besten performen, genauer anschaute, stellte ich fest, dass sie sich darauf konzentrieren, ihre Bodenständigkeit zu hegen und zu pflegen. Nehmen Sie zum Beispiel das Dark Horse Project, eine Langzeitstudie der Harvard University. Hier wird untersucht, wie Männer und Frauen in verschiedenen und oft ungewöhnlichen Berufen – von Musikern über Hundetrainer und Schriftsteller bis hin zu Sommeliers und Heißluftballonpiloten – einzigartige Methoden entwickeln, um ihre eigene, persönliche Art von Spitzenleistung und, was noch wichtiger ist, von Erfüllung und Lebenszufriedenheit zu erreichen. Die Ergebnisse, die in dem Buch Dark Horse veröffentlicht wurden, geschrieben von Todd Rose, einem Forscher für menschliche Entwicklung, und dem Neurowissenschaftler Ogi Ogas, konzentrieren sich auf zwei Hauptthemen jener Menschen, die unkonventionelle Wege zu einem guten Leben beschreiten: Diese »dunklen Pferde« oder auch »erfolgreichen Außenseiter« richten ihren Fokus darauf, das zu erreichen, was ihnen am meisten bedeutet, und sie vergleichen sich nicht mit anderen oder mit herkömmlichen Definitionen von Erfolg.

»Das Wichtigste ist, sich selbst zu kennen«, sagt Rose. »Wenn wir darüber nachdenken, wer wir sind, reden wir oft darüber, was wir gut können oder welchen Job wir haben … Und was wir bei den »dunklen Pferden« festgestellt haben, ist, dass sie sich unglaublich auf das konzentrieren, was für sie von zentraler Bedeutung ist und was sie motiviert; sie nutzen dies als Grundlage für ihre Identität. Und ich glaube, wenn Sie sich auf das konzentrieren, was Sie wirklich motiviert, dann bringt Sie das auf den Weg der Erfüllung.«

Darüber hinaus kann es lehrreich sein, die Erfahrungen anderer Akteure zu studieren, die auf absolutem Spitzenniveau agieren: von Top-Performern, die unter Stress litten, ihre Leistung einbrechen sahen, dann aber wieder auf die Beine gekommen sind. Dazu gehören Menschen wie die zweifache Olympionikin und Ausdauersportlerin Sarah True, die Musikerin Sara Bareilles, die Basketballstars Kevin Love und DeMar DeRozan, die Full House-Schauspielerin Andrea Barber und der wegweisende Wissenschaftler Steven Hayes. Wie Sie auf den nächsten Seiten lesen werden, hatten sie alle phasenweise mit heroischem Individualismus und damit einhergehend mit Burnout, Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen. Ihre Tiefpunkte hatten zumindest eines gemeinsam: Sie folgten in der Regel auf Phasen, in denen sie sich zu sehr dem Streben und der intensiven Suche nach konventionellem Erfolg verschrieben hatten. Erst als sie sich wieder auf ihre Bodenständigkeit besannen, fühlten sie sich besser – und erbrachten auch bessere Leistungen.

Die Prinzipien der Bodenständigkeit

Ein Leitgedanke meiner Arbeit – sowohl als Autor als auch als Coach – ist das Erkennen von Mustern. Ich interessiere mich nicht für »Tipps und Tricks für alle Lebenssituationen«, für Schnellschusslösungen oder einzelne Studien, die zwar vielversprechend klingen, aber im Grunde wenig bewirken. Ungeachtet dessen, was die Marketingfachleute, Klickfang-Schlagzeilen und pseudowissenschaftlichen Massenprediger behaupten, gibt es weder Lotionen, die Wunder bewirken, noch ärztliche Mixturen oder Pillen, die für tief empfundene Glückseligkeit, permanentes Wohlbefinden und konstante Leistungen sorgen.

Was mich interessiert, ist die Konvergenz. Wenn mehrere Bereiche der wissenschaftlichen Forschung, die zentralen Weisheiten der Welt und die Methoden erfüllter Spitzenperformer alle auf dieselben Wahrheiten hinweisen, sind sie es wahrscheinlich wert, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Man erlebt Glück, Erfüllung und Wohlbefinden und erbringt nachhaltige Leistungen, wenn man sich darauf konzentriert, in allen Lebenslagen stets präsent zu sein, statt sich zwanghaft mit irgendwelchen Resultaten zu beschäftigen – und vor allem, wenn man, wo auch immer, gut geerdet ist.

In diesem Buch versuche ich herauszuarbeiten, wie Sie diese Wahrheit leben können. Zunächst gehe ich auf die wesentlichen Prinzipien der Bodenständigkeit ein, bei denen es deutliche Parallelen zwischen der modernen Wissenschaft, alten Weisheiten und der Erfahrung von Menschen geht, die glücklich, gesund und leistungsstark sind. Hält man sich an diese Grundsätze – Akzeptanz, Präsenz im Hier und Jetzt, Geduld, Verletzlichkeit, Gemeinschaft mit Wir-Gefühl und körperliche Bewegung –, manifestiert sich in Ihnen eine solide und nachhaltige Bodenständigkeit. Deren sechs Prinzipien lauten kurz gefasst wie folgt:

AkzeptierenSie, wo Sie sind, um dorthin zu gelangen, wo Sie hinwollen. Sehen Sie klar, nehmen Sie hin, wo Sie stehen, und beginnen Sie genau dort. Nicht dort, wo Sie sein wollen. Nicht dort, wo Sie glauben, dass Sie sein sollten. Und nicht, wo andere meinen, dass Sie sein sollten. Sondern dort, wo Sie sind.

Seien Siepräsent, um sich Ihrer Aufmerksamkeit und Energie bewusst zu sein. Seien Sie sowohl physisch als auch psychisch für das da, was vor Ihnen liegt. Verbringen Sie mehr Zeit in diesem Leben, denken Sie nicht an die Vergangenheit oder die Zukunft.

Seien Siegeduldig, dann kommen Sie schneller ans Ziel. Lassen Sie den Dingen Zeit und Raum, sich zu entfalten. Versuchen Sie nicht, dem Leben zu entkommen, indem Sie sich mit Warpgeschwindigkeit bewegen. Erwarten Sie keine sofortigen Resultate und geben Sie nicht auf, wenn sie ausbleiben. Werden Sie von einem Sucher zu einem Macher. Gehen Sie die Dinge bewusst langsam an. Bleiben Sie auf Ihrem Weg, statt andauernd abzuschweifen.

Zeigen SieVerletzlichkeit, um echte Stärke und Zuversicht aufzubauen. Seien Sie authentisch, ehrlich zu sich selbst und zu anderen. Beseitigen Sie die kognitive Dissonanz zwischen Ihrem Selbst am Arbeitsplatz, Ihrem Selbst im Internet und Ihrem tatsächlichen Selbst, sodass Sie Ihr wahres Ich kennen, ihm vertrauen können und im Gegenzug die Freiheit und das Selbstvertrauen gewinnen, Ihre Kraft und Energie dem zu widmen, was am wichtigsten ist.

Gemeinschaftenbilden undWir-Gefühlentwickeln. Pflegen Sie echte Verbundenheit und Zugehörigkeit. Räumen Sie nicht nur der Produktivität, sondern auch den Menschen Priorität ein. Begeben Sie sich in Kreise, die Ihnen Unterstützung bieten, Sie durch Höhen und Tiefen begleiten und Ihnen die Möglichkeit geben, das Gleiche für andere zu tun.

Bleiben Sie inBewegung, um Ihren Geist zu erden. Halten Sie regelmäßig Ihren Körper in Bewegung, sodass Sie ganz in ihm leben, ihn mit Ihrem Geist verbinden und dadurch stärker verankert werden, wo auch immer Sie sich befinden.

Für jedes Prinzip werden wir die weitreichenden interdisziplinären Befunde untersuchen, auf denen es aufbaut. Wir machen uns bewusst, wie all diese Prinzipien sich gegenseitig stützen, gleich den Wurzeln, die einen hoch aufragenden Mammutbaum fest im Boden verankern. Wir werden auch ein interessantes Paradoxon untersuchen: Warum es der sicherste Weg ist, glücklicher und erfolgreicher zu werden, wenn man Errungenschaften wie Glück und Erfolg fahren lässt – oder ihnen zumindest weniger Bedeutung zumisst – und sich stattdessen darauf konzentriert, ein solides Fundament aufzubauen, um bodenständiger zu sein.

Die Kluft zwischen Wissen und Handeln schließen

Die Konzepte und Ideen in diesem Buch sollten sich zwar positiv auf Ihre Denkweise auswirken, doch ihre volle Wirkung entfalten sie erst, wenn sie in die Realität umgesetzt werden. Deswegen lernen Sie nicht nur die Prinzipien der Bodenständigkeit kennen, sondern finden auch konkrete und plausible Praktiken, um sie verwirklichen zu können. Im Rahmen meines Coachings bezeichne ich das als die Kluft zwischen Wissen und Handeln. Zuerst müssen Sie etwas verstehen und von seinem Nutzen überzeugt sein, danach müssen Sie es in die Tat umsetzen. Die restlichen Kapitel in diesem Buch sind dementsprechend gegliedert, jedes Prinzip wird gründlich unter die Lupe genommen, gefolgt von konkreten Praktiken, um es Wirklichkeit werden zu lassen.

Sie sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass die Prinzipien der Bodenständigkeit nicht nur gegen gesellschaftliche Normen verstoßen, sondern auch gegen Gewohnheiten in Ihrem eigenen Verhalten (oder anders formuliert: die »Macht der Gewohnheit«) und dagegen, wie Sie sich geben und handeln. Obwohl Sie vielleicht merken, dass viele Ihrer Gewohnheiten kontraproduktiv sind, fällt es Ihnen womöglich trotzdem schwer, sie zu ändern. Das ist normal. Veränderung bedeutet stets eine Herausforderung. Die Schwerfälligkeit, die Sie in Ihrem Tun und Handeln stets begleitet, ist real – und sie kann ziemlich mächtig sein. Wie Sie in diesem Buch erfahren werden, ist ein bodenständiges Leben eine andauernde Übung.

Es ist eine Sache, etwas zu verstehen, und eine andere, es Tag für Tag zu verwirklichen. Wie der Zen-Meister Thich Nhat Hanh sagt: »Wenn Sie gärtnern wollen, müssen Sie sich bücken und den Boden berühren. Gartenarbeit ist eine praktische Tätigkeit. Keine abstrakte Idee.«

Jetzt ist es an der Zeit, eine solide und unerschütterliche Bodenständigkeit aufzubauen. Wir beginnen mit dem ersten Prinzip und werden sehen, was es bedeutet, zu akzeptieren, wo Sie sind und warum dies der Schlüssel dazu ist, dorthin zu gelangen, wo Sie hinwollen.

Kapitel 2

Akzeptieren Sie, wo Sie sind, um dorthin zu gelangen, wo Sie hinwollen

August 2016. Es war ein heißer Tag in Rio de Janeiro, Brasilien. Der Schauplatz war Fort Copacabana, ein Militärstützpunkt am Rand des Südatlantiks. Die besten Triathleten der Welt waren gekommen, um sich ins Wasser zu stürzen und einen Wettkampf aus Schwimmen, Radfahren und Laufen zu bestreiten, um olympischen Ruhm zu erlangen. Eine der drei Sportlerinnen, die für die USA an den Start ging, hieß Sarah True.

Es war nicht der erste Wettkampf für True. Bei den Olympischen Sommerspielen 2012 war sie Vierte geworden, nur schmerzhafte zehn Sekunden vom Podium und einer Medaille entfernt. Die Athletin war nicht nur fest entschlossen, 2016 etwas nachzuholen, das noch zum Abschluss gebracht werden musste, sondern trat auch für ihren Ehemann Ben True an, der selbst ein Ausdauersportler von Weltklasse war, einer der besten Mittelstreckenläufer, den die Vereinigten Staaten je hervorgebracht haben. Die Olympischen Spiele waren ihm jedoch immer verwehrt geblieben. Ben hatte gehofft, sein zielstrebiges Training würde sich im Jahr 2016 auszahlen, aber bei den Vorläufen hatte er den Sprung ins Olympiateam um weniger als eine Sekunde verpasst. Es tut weh, wenn ein Paar sein ganzes Leben dem Erbringen von Spitzenleistungen widmet und seinen Zielen so nah kommt, dann aber doch um Sekunden scheitert – und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal.

Als Sarah True von dem Steg an der Copacabana ins Wasser sprang, trug sie also die doppelte Last auf ihren Schultern. »Ob wir wollten oder nicht«, sagte sie zu mir, »unsere olympische Erfahrung war zu meiner olympischen Erfahrung geworden.«

True schwamm, wie sonst auch, sehr gut und brachte sich in eine Position, in der sie um Gold kämpfen konnte. Als sie jedoch aus dem Wasser kam und auf ihr Rad zulief, spürte sie plötzlich einen Krampf in ihrem Bein. Sie glaubte, ihre Muskeln seien verspannt, würden sich jedoch wieder entspannen, sobald sie erst einmal auf dem Rad säße und losfuhr. Aber so kam es nicht. True rackerte sich auf dem Rad ab und trat, so lange sie konnte, mit mürrischem Gesicht in die Pedale. Schließlich gab sie das Rennen auf. »Mein Körper hat mich im Stich gelassen«, sagt sie. So einfach und so grausam – ja, es war wirklich grausam – war das.

True riss sich zusammen, um den Kopf nicht hängen zu lassen, aber das war nur Fassade. Sie war am Boden zerstört. Nur kurze Zeit später, nachdem das Flugzeug aus Brasilien in den USA gelandet war, fiel True in eine tiefe und dunkle Depression. »Ich konnte nachts gerade einmal vier Stunden schlafen, und das nur mit Schlaf- und Schmerzmitteln aus der Apotheke«, erinnert sie sich. »Ich habe Ben enttäuscht. Und ich habe mich selbst enttäuscht. Das hat doch alles keinen Sinn«, dachte sie.

True tat, was jeder hartgesottene Ausdauersportler tun würde: Sie machte weiter, trotz der Schmerzen. Es wird schon vorbeigehen, sagte sie sich, das halte ich aus. Leider irrte sie sich. Auch ihre bewährte Methode, mit der sie alle Schmerzen unterdrücken konnte, nämlich stundenlanges Radfahren, funktionierte nicht. »Ich war besessen von dem Gedanken, mir das Leben zu nehmen«, sagte sie mir. »Auf meinen langen Trainingsfahrten dachte ich unentwegt daran, in den Gegenverkehr zu fahren. Jeder Lastwagen wurde zu einer tödlichen Waffe, die alles beenden könnte.«

Ihre Abwärtsspirale setzte sich auch 2017 fort. Monat um Monat verging und True dachte, ihre Depression könne unmöglich noch schlimmer werden. Was dann doch geschah.

Schließlich, Mitte 2017, öffnete sich True für das, was mit ihr geschah und akzeptierte den vollen Umfang ihrer Traurigkeit und die darauffolgende Depression. Sie wehrte sich nicht länger dagegen, ließ sich helfen und begann eine intensive Therapie. Als ich sie bat, zurückzublicken, konnte sie keinen einzigen Tag, kein Ereignis und auch keinen bestimmten Grund nennen, der sie dazu veranlasste, Hilfe zu suchen. Sie war vor allem müde, aber sie war noch am Leben. »Ausdauersportlern wird beigebracht, durchzuhalten, immer weiterzumachen«, erzählte sie mir. »Wenn etwas nicht stimmt, muss man einfach einen Gang hochschalten, weitermachen, noch eine Schippe drauflegen. Aber diese Einstellung hat bei mir absolut nicht funktioniert.«

True, die seit der Highschool immer wieder mit Depressionen zu kämpfen hatte, wusste, wie sie mir erklärte, dass es nie einen guten Zeitpunkt geben würde, ihr Leben zu verändern, um sich ihrer Krankheit in Gänze zu stellen. Doch jetzt, so die Sportlerin weiter, zehre sie das Leiden förmlich auf, und sie erkannte, dass ihr Leben auf einem wackeligen Fundament ruhte – wenn man überhaupt von einem Fundament sprechen konnte. Auf jeden Fall konnte sie so nicht weitermachen. Noch schwieriger, als sich im härtesten Triathlon zu verausgaben, war es für Sarah True, einen Gang herunterzuschalten, zu akzeptieren, wo sie stand und sich mit ihrer Depression und deren Ursachen auseinanderzusetzen und sie zu besiegen – beides gefiel ihr nicht besonders.

Weiterkommen erfordert zu akzeptieren, wo man steht

Wenn auch nicht unbedingt im öffentlichen Leben oder im gleichen Ausmaß wie Sarah True, so haben wir doch alle Höhen und Tiefen erlebt, sowohl beruflich als auch privat. Das Leben ist nicht einfach. Es läuft nicht immer alles so, wie wir wollen. Die conditio humana, die menschliche Befindlichkeit, ist chaotisch. Vieles entzieht sich unserer Kontrolle: das Altern, unsere Krankheiten und das Sterben, die Wirtschaft, die Handlungen von Menschen, die uns etwas bedeuten – um nur einige zu nennen. Es kann schwierig sein, diese Realität so hinzunehmen, wie sie ist, und bisweilen ist sie sogar beängstigend.

Statt diese Wahrheit zu akzeptieren, neigen wir dazu – wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir wollen –, in magisches Denken (ein Begriff aus der Psychologie) zu verfallen, und reden uns ein, wir seien besser dran, als es tatsächlich der Fall ist. In der Kognitionswissenschaft und Sozialpsychologie wird das als Motivated Reasoning