Die Professorin - Markus Daumüller - E-Book

Die Professorin E-Book

Daumüller Markus

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Adalberta ist Professorin für Philosophie. Die Melancholie des Lebens machte aus ihr eine Grenzgängerin der Welten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 43

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Adalberta Grün war eine schöne Frau. Jeden Morgen wandelte sie in einem schwarzen Kleid durch das Anwesen zum großen Saal. Dort stand ein weißer Flügel, auf dem sie anmutend schön spielte, ein Stück, und noch eins, ineinander fließend wie Momente ihrer Existenz. Eine Reise begann. Ihre Töne bargen das Geheimnis der Gefühle. Eine Melancholie des Lebens erwachte. Adalberta saß aufrecht. Ihre Sinne waren geschärft. Sie spürte nach innen und war entrückt von allen profanen Dingen des Alltags. Sie saß vor dem weißen Flügel, als schwebte sie auf einer Wolke durch Nebel. Von allen Dingen im Leben war dieser Moment ein Glück innerer Ästhetik.

Es klingelte. Ihr Kollege, Professor Walter, unterbrach das Spiel und übergab ihr das Skript über Gerechtigkeit. Sie war Professorin der Philosophie, und morgens schärfte sie ihre Sinne durch Musik. Wörter begreifen braucht Realitätssinn. Und Muse. Es ist wie das Lichten eines Waldes, Bedeutungspfade schlagen, man tastet sich voran, verläuft sich, irrt umher. Plötzlich ein Moment der Klarheit. Was ist denn Gerechtigkeit? Adalberta lehrte keine Definitionen. Sie ließ die Wörter in Farben leuchten. Eine Komposition entstand. Der Unisaal verwandelte sich in ein Farbenmeer; Poesie erfüllte das Publikum. Phantasie war ihr Lehrplan, ein schwarzes Kleid ihr Anker. Das Podium war ihre Bühne. Was ist Gerechtigkeit? Was spürt ihr denn, welche Farbe es sei?

Adalberta war gezeichnet von ihren Scheidungen. Das Gezänk machte aus ihr eine gebrochene Person. Das viele Weinen, der große Schmerz, die Verletzungen. Sie war auf der Flucht. Die Sprache der Farben war ihre Fluchtwelt, harmonisch entrückt, surreal. Eine Sucht begann. Mit der Farbenlehre der Wörter hatte Adalberta eine Insel im Unibetrieb erschaffen. Ihre Erinnerungsverarbeitung wurde zur akademischen Marke. Ganz anders als ihre eitlen Ex-Männer brauchte sie keine Monstranz ihrer Leistung. Sondern eine Art Therapie. Der Unisaal war ihre Couch. Sie war 54, als sie merkte, wie vergänglich Leidenschaft ist, und dass die Suche nach innerer Schönheit andere Resonanzen braucht. Ihre Gefühle suchten das Abenteuer, doch ihr Kampf um die Wörter war eine planbare Schlacht. Adalberta hatte diese Souveränität, die einen erst mit 50 beschleicht. Sie suchte vor Publikum nach Sinn, was konnte es besseres geben? Niemand ahnte, dass ihre Inszenierung ein Seelenstriptease .war; das schwarze Kleid stand für Seriosität, und die Suche für Ernsthaftigkeit. Professorin Grün war ein Bühnentalent der Wissenschaft. Aber eigentlich verarbeitete sie ihre gescheiterte Liebe. Die Kunst ihres Drehbuchs machte daraus etwas Produktives. Philosophie ist eben keine Wissenschaft. Sie hat mit unserer Seele zu tun

Adalberta war müde. All die entwürdigende Hoffnungslosigkeit in ihrem einsamen Dasein. Sie holte sich einen Kognak und trank ihn in einem Schluck. Sie dachte: Ist Gerechtigkeit etwas, das einem widerfährt? Oder steckt sie in einem Konstrukt? Kann man sie messen? Ihr Leben jedenfalls war ungerecht. Sie fühlte sich benachteiligt gegenüber den Geschwistern, den Mitschülern, anderen Wissenschaftlern. Sie war Aschenputtel. Obwohl ihre Originalität herausragte. Dann machte sie aus sich eine Kunstfigur mit existentialistischer Aura. Sie tröstete sich mit Klassik in Moll; schwarz wurde ihr Fenster nach innen: Eine Befreiung und ein Gefängnis. Ohne ihr Image war ihr echtes Leben nicht mehr erträglich. Fiktion und Schönheit verschmolzen und weckten die Geister eines harmonischen Jenseits. Der Nahtod war ihr Lebensgefühl. Adalberta war eine Grenzgängerin. Vielleicht gingen ihre Vorlesungen deswegen so unter die Haut: Sie enthielten Bilder aus einer anderen Welt, die nur Adalberta erzählen konnte. Sie verzauberten und waren starke intellektuelle Anregungen: Ästhetik und Mimesis, die Idee als Kunst: Auf junge Studenten hatte Adalberta eine Anziehungskraft: Wehmut und Sehnsucht sprachen aus ihren Bildern, und trotzdem war überall Lust. Die Ambivalenz ihrer Geschichten beflügelte die Phantasie der Zuhörer. Alle wollten Sex mit Adalberta,

Wenn sie aus solchen Vorlesungen nach Hause kam, fühlte sie sich entblößt. Die Meisterin der Suggestion kehrte ihr Innerstes nach außen, die Erotik ihrer Gedanken fesselte die jungen Studenten. Einmal war sie mit Julian Wein trinken, dem Sohn ihres Bankiers. Ihre Vorliebe für junge Männer hatte sich schnell an der Uni herumgesprochen. Es war für sie weder Abenteuer noch Abwechslung, sondern ein Baustein ihrer jenseitigen Welt, die Farbe ihrer Essenz. Sex mit Julian war ihre Hommage an das Dasein. Adalberta Grün liebte die Ekstase, den Ausbruch aus dem Gewöhnlichen, sich fühlen wie Mephisto. Aus Verbot und Faszination entstand ein Manifest ihrer Wildnis. Das Beben nahm sie mit in den Hörsaal und ließ das Publikum teilhaben an ihrem intellektuellen Orgasmus. Sie war die einzige Professorin, die Nachdenken wie Sex wirken ließ.

Ihr Anwesen war das Erbe ihres verstorbenen Mannes: 16 Zimmer und fünf Balkone über griechischen Säulen luden zum Verweilen ein. Dort las sie Bücher, der Wind wehte um ihr Antlitz. Heraklits Kritik an den oberflächlichen Weltwahrnehmungen war ihr Antrieb, alles Seiende im Werden und Vergehen zu betrachten. Alles war ein Prozess, und Existenz ein flüchtiger Moment. Adalberta fuhr sich durch ihr