Jonas, der Träumer - Markus Daumüller - E-Book

Jonas, der Träumer E-Book

Daumüller Markus

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Beschreibung

Sein ganzes Leben hat sich Jonas gefragt, was richtige und was falsche Träume sind. Auf seiner Suche nach dem Mitsicheinsseins geriet er an die Grenzen seiner Existenz, an denen er auf Rollen und Schablonen trifft, die die Gesellschaft für jede Lebensphase bereit hält.

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Seitenzahl: 43

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Jonas war eine schmale Erscheinung. Seine Frisur verdeckte sein frivoles Gesicht wie ein Vorhang, seine sinnigen Augen blickten scheinbar ins Leere, wenn er sich Bilder einer anderen Zeit ausmalte. Jonas war ein Träumer, der Existenzen herbeisehnte, in denen er ein Leben führt, das abwechselnd von Freiheit, Selbständigkeit, Glück, Persönlichkeit geprägt wird. In der neunten Klasse stand die Verwandlung seiner Körperpartien in Muskelpakete an. Jeden Tag ging er in das Fitnessstudio über der Brücke und trainierte sich ein Ideal seiner Erscheinung herbei. Warum diesem Ideal alle Jungs nacheiferten, kann nur eine Modeerscheinung oder eine Illusion gewesen sein. Denn die Mädchen hielten sich mit solchen Äußerlichkeiten nicht auf und blickten durch sie hindurch in eine hoffentlich nicht so einfältige Seele. Aber Jonas war diesem Bild von Körperlichkeit verfallen, das eine Mischung aus Werbeposter und Karikatur darstellte. Denn Muskelpakete passten ganz und gar nicht zur Ästhetik des jugendlichen Körpers. In den Augen der Trainingseifrigen war es ein Prestigeprojekt, das das Ich-Bewusstsein beflügelte und ihnen eine gefühlte Aura der Überlegenheit suggerierte. Eine Aura der Unnahbarkeit, des Geheimnisvollen blieb davon unerreicht. Der menschliche Körper ist das ganze Kapital, das man hat, wenn man jung ist und noch kein Auto fährt. Vielleicht Klamotten, aber diese Ära ist seit der Zeit der Jogginghosen vorbei. Wie Jogginghosen und Muskelpakete zu einer ästhetischen Einheit verschmelzen sollen, war das ewige Rätsel der Kapitalanleger. Vielleicht ging es einfach darum, sich selbst als Gesamtkunstwerk zu empfinden, als der Mittelpunkt des Universums. Jemand anderes zu werden als der, der man war, eine Kunstfigur. Wenn der Charakter sich ausprobiert, braucht es Anker, sichtbare Resultate. Es braucht keine Persiflage von Reichtum, der nicht da ist und jeder erkennt den Schwindel. Also weicht man aus auf eine Persiflage von Ruhm. Muskeln machen VIP, so die Erzählung, die das Vorhaben transportiert. Wenn die Hanteln schwerer und die Geräte leichter beherrschbar wurden, und wenn all die Zwanzigjährigen nebendran ihre Körper stählten, gab es Jonas das Gefühl, voran gekommen zu sein. Pikanterweise brachte die Modewelle des massenweisen Trainings ein Selbstverständnis von Individualität in ihm hervor. Wenn er das Studio verließ, war es jedes Mal wie eine Geburt. Und dieses Sensorium nahm er am Morgen mit ins Klassenzimmer. Es war Ablenkung von der Melancholie des Daseins, von der Sehnsucht nach einem Sinn im Leben. Wenn die Muskeln wuchsen, vergaß man, darüber nachzudenken. Wachstum und Sinn waren dann eins, das Manifest des Erwachsenwerdens. Jonas war einer dieser in sich gekehrten Jugendlichen. Die Welt um ihn herum kam ihm vor wie ein ewiger Traum, in dem er gefangen war. Es war diese Hilflosigkeit, die nach einer Symbiose von Michelin und HB Männchen schrie. Eine Utopie, es mit dem Erdkreis aufnehmen zu können, der das Diesseits sein soll, aber für Jonas immer eine surreale Unbekannte blieb. Ein Muskelaufbautraining war gewissermaßen Flucht vor einer Wahrheit, die niemandem nützt. Vor der Ohnmacht, zu der das Leben die Menschen verdammt. Vor den Prüfungen, die wie sadistische Hürden jedem Einzelnen abverlangen, sein Leben zu meistern. Vor der ständigen Not zu überleben. Vor den Wirrnissen des Alltags, den Intrigen der Milieus, den Rollenzwängen, vor dem, was die Systeme als Leistungserbringung zurecht lügen. Es war ja nicht einfach, ein Musterknabe zu sein. So hatte das Muskelspiel einen Hauch vom bösen Buben, ein Stück weit sprengte es die Ketten der Konvention, weil die mit der Transformation nicht rechneten. Nicht zuletzt verwies die auf Änderungen des Seelenlebens, das unter ihren Ösen hindurch schlüpfte. Gewissermaßen war es kein oberflächliches Gebaren, sondern ein Schöpfungsakt, in dem die Enge des Kindseins durchbrochen wird. Wie Doktorspielchen auf der Entdeckungsreise danach, was sich hinter der Welt verbirgt, also die wirklichen Entitäten, die durch die Vorhänge hindurch schimmern. Für Jonas war das alles nur ein dubioses Gefühl, magisch und skinny. Ein Auftritt als immer neu verkleideter Mime. Die Metamorphose als Lebensgefühl. Das innere Ich als Opus.

Einmal, in seinem Traum, stand er im Freibad vor Sophie und zerschmolz bei ihrem Lächeln. Sie küssten sich unter den Palmen des Kiosks und er spürte intensiv ihre Sinnlichkeit. Seine Muskelberge waren wie ein Panzer, den Sophie knackte. Sie verliehen ihm Sicherheit und waren Spielwiese seiner Lust. Und sie minimierten seine Verletzlichkeit, während sich sein Zölibat auflöste. Der Traum, jemand zu sein, der er nicht war, machte aus seinem Hantelheben eine inszenierte Identität, die nur in seiner Vorstellung existierte, sich aber anderen durch Gestik und Mimik mitteilte, als wenn eine andere Person sich entfaltete: Eine Kunstfigur, voller Sexappeal, die ihre Umwelt im Griff hat. Ob diese Persönlichkeit ein Spiel oder eine fiktive Realität war, blieb selbst Jonas verborgen. Er wusste nicht, wer er wirklich war. Er dachte, dass die Gewichte ihm irgendwann eine Antwort darauf erschaffen würden. Doch sie verschleierten seine Verbindung zur Welt nur noch mehr, sodass am Ende überall Nebel seine Seele bedeckte.