In der Hölle (?) - Markus Daumüller - E-Book

In der Hölle (?) E-Book

Daumüller Markus

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Beschreibung

Meine besondere Klasse. Portrait einer pädagogischen Ausnahme.

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Seitenzahl: 44

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Inhaltsverzeichnis

1. Hölle

2. Kaffee

3. Ironie

4. Potential

5. Einzigartigkeit

6. Fachdidaktik zuletzt

Alle Namen sind Phantasienamen

In der Hölle (?)

Meine Klasse. Eine Liebeserklärung.

1. Hölle

Mit dem Rückblick aus der neuropsychologischen Reha ist Hölle ein relativer Begriff. Ob die Gesichter, die ich vor mir hatte, diesen Begriff rechtfertigen, mag ich mir nicht ausmalen. Kollegen hatten gesagt, dass sie in Pension gehen, wenn sie diese Klasse noch einmal unterrichten müssten. Das war also die pädagogische Hölle: Ein dicker Junge, der eindringlich blickt und in seiner eigenen Welt lebt, ein 1,94 Kind, das unsicher war, aber in der Ironie voll aufging. Der Dicke und der Lange nannten sich das Nilpferd und die Giraffe. Anton war ein Zappelphilipp. Er saß da und hatte eine tierische Freude daran, andere zur Weißglut zu treiben durch Bewegungen und Geräusche. Sophie war eine naive Hauptschülerin. Anna brachte die Jungs um den Verstand. Beide waren die guten Seelen des Zoos. Mustafa hatte einen Ehrgeiz in Mathematik. Alle wollten auf ihre Art etwas erreichen. Aber sie standen sich selbst im Weg.

Diese Truppe war spannend. Sie weckte meinen pädagogischen Ehrgeiz. Ich merkte: Sie brauchten Freiheit. Jemand, der sie domestizieren möchte, ist hier völlig fehl am Platz. Die Losung Die brauchen Regeln hatte dazu geführt, dass sie Regeln nur noch lachhaft fanden. Ehrlich gesagt imponierte es mir, wie sich die Schüler auf der Metaebebene über die Regeln, die sie zu domestizieren versuchten, lustig machten.

Alle hatten etwas drauf. Doch weder konnten sie sich artikulieren noch waren sie gewillt, nach den schulischen Regeln zu arbeiten. War das die Hölle? Oder war das eine pädagogische Aufgabe? Wir hatten gleich einen Draht zueinander. Sie empfanden es als eine Erleichterung, dass endlich jemand mit ihnen redete, und nicht nur zu ihnen. Dies war der Beginn einer pädagogischen Liebesbeziehung. Ihre Originalität war von wiederkehrender Schlagfertigkeit. Auf eine seltsame Weise sahen diese Jugendlichen in mir keinen Lehrer, sondern einen Fachwissenschaftler, Professor und Clown zugleich. Ich nahm es ihnen nicht übel, weil ich der Meinung war, dass Fachlichkeit immer nur im Rahmen einer pädagogischen Interaktion unterzubringen war. Genau dann konnte man sie in andere Ebenen des Denkens führen. Sie waren Wilde, die nach einer Kultivierung ihrer Originalität lechzten. Niemand hatte verstanden, dass sie genau danach strebten. Sarkasmus war ihr Metier. Doch man musste aufpassen, dass sie sich nicht über alles lustig machten. Die Trennlinie zwischen Denken und Sarkasmus konnte nicht scharf genug sein. Ernsthaftigkeit und Spaß waren zwei Seiten derselben Medaille. Man kam nicht umhin, sich aufzureiben. Das Nilpferd z.B. hatte keine Lust auf intellektuelle Anstrengung. Neben ihm saß der kleine Rumäne, der vierstündige Mathearbeiten durchschrieb und nie schlechter als eins hatte.

Wenn man ihnen Konter gab, kam kein einziges Mal die Frage Darf ein Lehrer sowas? Und wenn, dann nur lustigerweise. Daran hatte Sie Freude. Denn natürlich machte ich es einfach trotzdem, sie zu beleidigen oder lustig durch den Schmutz zu ziehen. Es war ein pädagogisches Menetekel, ein Tanz auf dem Hochseilakt. Niemand wusste, wohin das führen sollte. Aber ich hatte das erstrebenswerte Ziel, alle durch die Prüfung zu kriegen. Mein Eulenspiegel Projekt hatte begonnen. Willkommen in der Hölle.

Wenn ich mich genau erinnere, hatten sie nach außen eine grobschlächtige Manier, aber auf eine seltsame Weise war die Zärtlichkeit untereinander immer präsent. Wie kann es sein, dass man 24 Kinder einfach verloren gegeben hat? Denn dass hier Potential schlummerte, war offensichtlich. Ihre Erwiderungen und Sprüche waren intelligent und von einer nicht endenden Freude am humorvollen Beleidigen geprägt. Es braucht eine gewisse Nonchalance, dieses zärtliche Beleidigen als eine Klassengemeinschaftsgröße zu akzeptieren. Was man aber strikt voneinander trennen musste, war der Flow in diesem Beleidigen von der Fähigkeit eine Prüfung zu bestehen. Wie kann man dafür sorgen, dass beides füreinander fruchtbar gemacht wird? Das war das große Geheimnis der pädagogischen Herausforderung.

Wie viel wollen wir investieren, damit aus Comicfiguren Menschen werden? Wie viel Energie wollen wir dafür aufwenden nachzuforschen, wie viel Potential im Nichtangepasstsein steckt? Ihre unkonventionelle Grobschlächtigkeit machten mir Angst und Freude zugleich.

Sie sagten zu einem pummeligen, pickligen Jungen, dass er der Schönste der ganzen Klasse sei. Dies wurde zu einem Running Gag im Alltag? Ist das Mobbing? Oder ein Spiel mit den Schwächen des anderen? Muss man so etwas unterbinden? Oder ist es der Klebstoff der Gruppe, eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl? Ich war übrigens der Zweitschönste, festgehalten in Comiczeichnungen an der Tafel, Brille, Krawatte, Locken, ein Brad Pitt der Intellektuellen. Das war ihre Art der Liebesbekundung. Man kann sich darüber aufregen. Man kann aber auch lächeln. Es war der Beginn einer erfolgreichen Beziehung.

Paul zum Beispiel war ein fröhlicher Junge. Sein Vater, der Klaus, arbeitete oft auf dem Dachboden, und die Katze hasste ihn. Immer öfter bestanden Grußformeln in E Mails aus Grüßen vom Dachboden. Paul kam oft fröhlich die Treppe hinauf und rief: Moin Markus! Ich ließ es geschehen und zog ihn meinerseits damit auf, dass er wohl zu viel Doc Caro Filme sehen würde, die ihm in den Fingern unter der Bettdecke etwas verrutscht sind.