Die Profiteure des Terrors - Markus Bickel - E-Book

Die Profiteure des Terrors E-Book

Markus Bickel

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Beschreibung

Die Rüstungsindustrie freut sich über volle Auftragsbücher Nach al-Qaida heißt der neue Feind nun Islamischer Staat. Doch Luftschläge im Irak und Syrien sowie Waffenlieferungen an strategische Partner wie Saudi-Arabien haben bislang kaum dazu beigetragen, die mörderische Islamistenarmee an den Wurzeln zu bekämpfen. Stattdessen beschert die Aufrüstungswelle in Nahost deutschen Rüstungskonzernen volle Auftragsbücher. Verlierer sind die Freiheitsbewegungen des arabischen Aufstandsjahres 2011: Denn wie der erste "Krieg gegen den Terror" nach 9/11 dient auch der zweite den Regimes der Region als Blankoscheck für den Ausbau ihrer Repressionsapparate.

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Ebook Edition

Markus Bickel

Die Profiteure des Terrors

Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-660-6

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2017

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Einleitung: Tödlicher Handel
Profite vor Menschenrechten
Waffenbrüderschaft mit Autokraten
Blankoschecks zum Machterhalt
1 Ausverkauf: Deutsche Waffen für Arabiens Autokraten
Eine verschwiegene Branche
Üben für den Ernstfall
Fliegende Wechsel
Politische Landschaftspflege
Konsens durch Gewalt
Auf Einkaufstour in Deutschland
2 Jemen: Krieg gegen die Kinder
Liste der Schande
Partnertausch der Saudis
Kein Verzicht auf Rüstungsgeschäfte
Legitime und illegitime Sicherheitsinteressen
Kein Endverbleib in Saudi-Arabien
Gabriels Ziele
MK-83 im Wohngebiet
»German free« als Gütesiegel
Sehnsucht nach Schwarz-Gelb
Hohe Kriegsfolgekosten
Kriegsgewinner al-Qaida
3 Saudi-Arabien: Säbel und Sturmgewehre
Zwei Staaten, ein Islam
Wachsende Instabilität
Vom Westen enttäuscht
Kritik hinter verschlossenen Türen
Aufrüstung ohne Ende
Seeblockade mit deutschen Booten?
Keine Leos nach Riad
Sturmgewehre vor Gericht
Verstehen statt kritisieren
Bündnistreue zu Saudi-Arabien
4 Syrien: Assad statt al-Qaida
Denken in Formaten
Europa ohne Strategie
Die Täter zur Rechenschaft ziehen
Kein Druck auf den Diktator
Festhalten an Assad
Die Zeichensprache des Westens
Die Balkan-Pipeline
Aufrüstung ohne Diskussion
Die Türkei stellt Weichen
Getrennt marschieren, vereint zuschlagen
Zwei Staaten, ein Krieg
5 Irak: Milizen an der Macht
»Wir zerschmettern Sykes-Picot«
Permanente Aufrüstung
Der Feind meines Feindes
Deutschland wird zur Kriegspartei
Keine Garantien für den Endverbleib
Merkels Sonderweg
Kurdische Kriegsgewinner
Massive Menschenrechtsverletzungen
Iranische Intervention
Ethnische Säuberungen
Die Dreiteilung Iraks
6 Ägypten: Kumpanei mit der Junta
Bedroht von allen Seiten
Aggressiv nach außen
»Ich werde Sohag nie vergessen«
Ein Putsch, keine Revolution
Hilfe vom Golf
Nieder mit den Muslimbrüdern
Märchenschlösser in der Wüste
Ein Fass ohne Boden
Schmusekurs mit Sisi
Europa rüstet weiter auf
Deutsche Wehrtechnik für Kairo
Kooperation mit den Folterern
7 Libyen: Auf der Flucht
Ende der Einheit
Erbitterte Rivalen
Aufrüstung vor dem Krieg
Krieg der Stellvertreter
Waffen für die Einheit
Über die Todesroute
Vorbild Türkei-Deal
Europa verdient mit Sicherheit
Ausblick: Arabiens dritter Weg
Friedhofsruhe statt Fortschritt
Kein deutscher Sonderweg
Konversion zu ziviler Produktion
Auswege aus dem Teufelskreis
Danksagung
Literaturauswahl
Anmerkungen
Personenverzeichnis

Für meine Eltern und Schwiegereltern,Hildegard und Manfredo, Sigrid und Fritz

Einleitung: Tödlicher Handel

Der letzte Plan Barack Obamas ist nicht aufgegangen. Eigentlich sollte die irakische Millionenmetropole Mossul von den Kämpfern des Islamischen Staats (IS) befreit sein, als der amerikanische Präsident die Amtsgeschäfte im Januar 2017 an Donald Trump übergab. Über Monate hatten Kampfflugzeuge der Anti-IS-Allianz Stellungen der Terrormiliz im Nordirak bombardiert und Zehntausende Regierungssoldaten und Milizionäre die Stadt am Tigris eingekreist – der größte Truppenaufmarsch seit der Irak-Invasion George W. Bushs. Im Sommer 2014 hatte IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi in Mossul ein Kalifat ausgerufen. Gebiete von Bagdad über Jerusalem bis nach Kairo wollte er eines Tages kontrollieren, ein Weltreich wie vor tausend Jahren von den Abbasiden-Kalifen beherrscht – und bis vor hundert von den Osmanen. Dieser Albtraum ist vorbei, und der Anfang vom Ende der IS-Schreckensherrschaft ein Segen für Millionen Menschen, die unter Baghdadis Terrorregime überleben mussten. In Mossul und anderswo.

Seit jenem Schreckenssommer 2014, als der IS im Irak und in Syrien Gebiete halb so groß wie Deutschland eroberte, galt die Rückeroberung der zweitgrößten irakischen Stadt als Schlüssel zur Niederschlagung der Terrorkrieger. Mehr als sechzig Staaten schlossen sich der von den USA geführten Koalition an, allen voran NATO-Partner wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie die sunnitischen Golfmonarchien Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Ein langer Krieg – mit ungewissem Ausgang. Denn ein gemeinsames politisches Ziel für die Zeit nach der Befreiung Mossuls von der Terrororganisation gibt es nicht: Was die Anti-IS-Allianz eint, ist allein die militärische Gegnerschaft zu den bewaffneten Islamisten, die ihr Ziel eines totalitären Staats unbeirrt weiterverfolgen.

Das Problem dabei ist: So wie der Krieg gegen al-Qaida nach den Angriffen auf die Twin Towers in New York und das Pentagon in Washington im September 2001 zu einer globalen Aufrüstungswelle führte, so ist auch im neuen »Krieg gegen den Terror« kein Ende in Sicht. Weder zeitlich noch örtlich: Nicht nur in seinem Kerngebiet Syrien und Irak, sondern auch im Jemen, in Ägypten und in Libyen hat der IS als Provinzen deklarierte Minikalifate errichtet. Waren es während des ersten Antiterrorkriegs die Interventionen in Afghanistan und im Irak, die der Rüstungsindustrie weltweit Milliardenaufträge bescherten, so ist der zweite getrieben von den Staatsauflösungsgefechten der arabischen Welt. Ein Prozess, der Jahrzehnte anhalten könnte.

Die Profiteure aber bleiben die gleichen – allen voran in den USA, deren Rüstungsgiganten mehr als die Hälfte der jährlichen Umsätze im internationalen Waffenhandel von zuletzt 370 Milliarden Dollar erwirtschaften.1 Die Verteidigungsetats weltweit für Rüstungsinvestitionen und die Finanzierung von Armeen beliefen sich 2015 sogar auf mehr als anderthalb Billionen Dollar.2 Allein das Pentagon hat bis Anfang 2017 mehr als 10 Milliarden Dollar in die Operation »Inherent Resolve« gesteckt; 12 Millionen Dollar am Tag gibt die amerikanische Regierung für den Antiterrorkrieg im Irak und Syrien aus.3 Direkt hinter dem unangefochtenen Weltmarktführer liegen China und Russland, das durch sein Eingreifen in den Syrien-Konflikt künftig Waffensysteme anbieten kann, die unter realen Kriegsbedingungen getestet wurden. In wechselnder Reihenfolge landen Frankreich, Großbritannien und Deutschland auf der Liste der größten Waffenexporteure der Welt seit Jahren auf den folgenden Plätzen – ein Bombengeschäft: Laut dem renommierten Branchenfachdienst Jane’s verkauften deutsche Firmen 2015 Rüstungsgüter im Wert von 4,8 Milliarden Euro ins Ausland. Ein Drittel davon ging nach Nahost und Nordafrika.4

Länder mit den größten Militärhaushalten

Land

2015, in Mrd. US $

USA

596,0

China

215,0

Saudi-Arabien

87,2

Russland

66,4

Großbritannien

55,5

Indien

51,3

Frankreich

50,9

Japan

40,9

Deutschland

39,4

Südkorea

36,4

Land

2003, in Mrd. US $

USA

415,2

Großbritannien

46,9

Frankreich

45,9

Japan

42,7

Deutschland

35,1

China

34,8

Italien

30,2

Saudi-Arabien

18,7

Russland

17,0

Südkorea

15,8

Schätzungen zu Militärausgaben der Top-Länder.5

Unsummen stecken die arabischen Regime Jahr für Jahr in ihre Armeen, ein Auftragsbeschaffungsprogramm für die Rüstungsbetriebe in den Vereinigten Staaten, Russland und Europa. Die Militärausgaben im Nahen und Mittleren Osten beliefen sich allein 2014 auf 190 Milliarden Dollar.6 In wessen Hände die Waffen eines Tages fallen, interessiert die Machthaber in Riad, Abu Dhabi und Kairo nur am Rande, solange der durch den Antiterrorkrieg angeheizte Rüstungswettlauf mit dem schiitischen Iran um die Hegemonie in der Region in vollem Gange ist. Mit schlimmen Folgen für Frieden, Freiheit und Wohlstand in den arabischen Krisen- und Umbruchstaaten: Dem Weltfriedensindex zufolge, der zeigt, wie hohe Militärausgaben für sinkende Investitionen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich sorgen, landen der Irak und Syrien auf den letzten Plätzen von 163 untersuchten Staaten. Saudi-Arabien, Ägypten, Libyen und Jemen liegen auf den Positionen 129, 142, 154 und 158.7 Gleiches gilt für politische Rechte und bürgerliche Freiheiten: Als »nicht frei« werden diese sechs Staaten auf dem Freiheitsindex des amerikanischen Thinktanks Freedom House eingestuft.8

An der unheilvollen Militarisierung der Region hat auch die Bundesregierung ihren Anteil. Rüstungsexporte in Rekordhöhe von 2,7 Milliarden Euro genehmigte Deutschland zuletzt an die Staaten des arabischen Krisengürtels, der von Nordafrika über die Levante bis in die Ölmonarchien des Golf-Kooperationsrats (GCC) reicht.9 Besonders beunruhigend: Die Ausfuhr von Kriegswaffen in Drittstaaten außerhalb von EU und NATO oder deren Mitgliedern gleichgestellten Staaten wie Australien hat sich 2015 mehr als verdoppelt. Nicht nur die arabischen Potentaten, sondern Autokraten weltweit profitieren davon.

Entwicklung des Werts der Einzelgenehmigungen von 2005 bis 2016 (in Millionen Euro).10

Verteilung des Werts der Einzelgenehmigungen auf Ländergruppen.11

Das Kalkül für die gelockerte Haltung ist klar: Die profitabelsten Märkte für die deutsche Rüstungsindustrie liegen in Konfliktregionen und Schwellenländern, wo die Freiheitsrechte am geringsten sind und die Gewalt am größten. Dabei sehen die deutschen Rüstungsexportrichtlinien eindeutig vor, die Ausfuhr in Spannungsgebiete nur im Einzelfall zu genehmigen. Auch der »Gemeinsame Standpunkt« der EU für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern bekräftigt eine zurückhaltende Exportpolitik in Krisengebiete. Doch Begründungen liefern für ihre gelockerte Genehmigungspraxis muss die Bundesregierung nicht. Die Beschlüsse fällt der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagender Unterausschuss des Kabinetts, dem neben dem Chef des Bundeskanzleramts sieben Minister angehören – und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vorsitzende.

Profite vor Menschenrechten

Das schrittweise Aufweichen der restriktiven Rüstungsexportpolitik geht einher mit der Übernahme von mehr außenpolitischer Verantwortung oder anders formuliert: mit einer weiteren Militarisierung deutscher Außenpolitik. Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber aber, weshalb ausgerechnet die Diktaturen am Golf die wichtigsten regionalen Partner im Kampf gegen islamistische Milizen sein sollen, bleibt aus. Dabei geht der Riss in der Frage, welches Land wann und mit welcher Begründung mit welchen Waffen ausgestattet werden sollte, mitten durch Merkels Kabinett: Während Vizekanzler Sigmar Gabriel auf eine stärker an Menschenrechten orientierte Rüstungsexportpolitik drängt, betonte Außenminister Frank-Walter Steinmeier bis zu seinem Wechsel ins Bundespräsidialamt, dass man im Kampf gegen die Terrorgruppe den »Stabilitätsanker« Saudi-Arabien nicht einfach fallen lassen dürfe. Dabei bombt die auch mit deutscher Technik ausgestattete saudische Luftwaffe Krankenhäuser und Schulen im Jemen seit März 2015 in Schutt und Asche.

Bundeskanzlerin Merkel ist die treibende Kraft hinter diesem Kurs. Unter dem Stichwort »Ertüchtigung« mahnte sie 2012 die Ausrüstung regionaler Partner in Regionen an, in denen die Bundesrepublik nicht selbst mit Truppen präsent sein wollte. Als »Merkel-Doktrin« brandmarkten das Kritiker.12 2010 schon hatte der damalige Bundespräsident Horst Köhler verlangt, »dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit« wissen müsse, »dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege«, oder um »regionale Instabilitäten zu verhindern«.13 Im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr von 2016 wird die Beteiligung an »Ad-hoc-Kooperationen« wie der internationalen Allianz zur Bekämpfung des IS ausdrücklich als Vorbild genannt.14

Die Bundeswehrmission im Irak bedeutet deshalb eine Zäsur. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg stehen deutsche Truppen an der Schwelle zu einem Kampfeinsatz im Nahen Osten, zum ersten Mal haben sie sich mit eigenen Soldaten klar auf eine Seite gestellt: auf die der irakischen Kurden. Tausende Tonnen militärisches Material hat die Luftwaffe seit 2014 in den Nordirak geflogen, darunter G36-Sturmgewehre, Milan-Panzerabwehrraketen und Millionen Schuss an Munition. Im Zwei-Wochen-Takt landen die Antonow-Transportmaschinen der Bundeswehr inzwischen auf dem Flughafen der Kurdenhauptstadt Erbil. Ziel der Luftbrücke ist laut Bundesregierung die »Ertüchtigung« der irakisch-kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in ihrem Kampf gegen den IS. Dazu dient auch die Ausbildung der Peschmerga, die seit Herbst 2016 unweit der Front stattfindet.

Waffenbrüderschaft mit Autokraten

Davon jedoch war nicht die Rede, als Bundeskanzlerin Merkel die Entsendung deutscher Kriegsgüter mitten in ein Spannungsgebiet als politisch notwendige Nothilfe rechtfertigte: Die biblischen Bilder verzweifelter jesidischer Familien auf den Hängen des Sindschar-Gebirges hatten die Weltgemeinschaft im August 2014 zum Eingreifen bewegt. Den Angehörigen der religiösen Minderheit drohte ein Völkermord, Tausende jesidische Frauen waren von den Terrormilizionären bereits verschleppt, vergewaltigt und sexuell versklavt worden. Ein Genozid wäre ohne die Bombardements amerikanischer Kampfflieger wohl wirklich nicht zu verhindern gewesen. Auch deshalb war die schnelle Unterstützung durch die Bundesregierung richtig: Wo Militäreinsätze helfen, Massaker zu verhindern, sind sie sinnvoll und keine Kriegstreiberei. Das gilt für Sindschar, das gilt für Kobane: Ohne Luftangriffe stünde die Kurdenenklave in Nordsyrien noch heute unter Kontrolle des IS.

Als IS-Kämpfer im November 2015 in Paris bei Attentaten hundertdreißig Menschen töteten, weiteten die NATO-Verbündeten ihre Operationen aus – und die Mission »Inherent Resolve« bekam einen neuen Charakter. Aufklärungstornados der Bundeswehr beschaffen den Bündnispartnern seitdem Informationen über immer neue Angriffsziele, die Bundesmarine ist zum Schutz des französischen Flugzeugträgers »Charles de Gaulle« ins Mittelmeer entsandt. Und mit Genehmigung des Bundessicherheitsrats liefern deutsche Rüstungskonzerne immer neue Waffen an die arabischen Verbündeten.

Zwar erscheint der deutsche Beitrag an der Anti-IS-Operation »Inherent Resolve« im Irak und über Syrien gering gegenüber dem amerikanischen, britischen oder französischen Engagement. Doch bilden die Milan-Panzerabwehrraketen und G36-Sturmgewehre das Eintrittsticket in den von Korruption, Intransparenz und Mafiaseilschaften geprägten Milizenstaat Irak, der in seinen alten Grenzen heute nur noch auf dem Papier existiert. Längst hat die kurdische Autonomieregierung Masud Barzanis mithilfe des NATO-Verbündeten Türkei begonnen, an Bagdad vorbei Öl auf den Weltmärkten zu verkaufen – ein erster Schritt Richtung Unabhängigkeit. Um hier Fuß zu fassen und von der internationalen Konkurrenz nicht an den Rand gedrängt zu werden, lohnt sich aus Sicht der Bundesregierung die Waffenbrüderschaft mit dem in Feudalmanier durchgreifenden Kurdenpräsidenten mitten in der konfliktreichsten Region der Welt.

Eine wertegeleitete Außenpolitik jedoch muss über die Eigeninteressen der deutschen Exportwirtschaft hinausgehen. Diese Debatte ist angesichts zerfallender Staaten in der Region dringend geboten. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten. Denn bislang erklärt sich die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ebenso wie die Bundeswehrbeteiligung an den Antiterroreinsätzen über Syrien und im Irak neben der Angst vor Anschlägen in Deutschland vor allem aus der Sorge um Energiesicherheit – und aus der Handelsfixierung der deutschen Diplomatie. Hinzu kommt, dass die wichtigsten arabischen Bündnispartner inzwischen erheblichen wirtschaftlichen Einfluss in Deutschland selbst ausüben. Katars Exregierungschef ist Großaktionär bei der Deutschen Bank. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich mit dem größten Staatsfonds der Welt in deutsche Reedereien und Fluglinien eingekauft. Air Berlin, Volkswagen und Hochtief sind nur noch dem Namen nach deutsche Konzerne.

Das schafft Abhängigkeiten, die Politiker der Bevölkerung gegenüber eigentlich offenlegen müssten. In der Regel aber wählen sie einen anderen Weg: Das Schweigen Steinmeiers zum Vorgehen der vom Königshaus in Riad geführten Militärallianz im Jemen ist ein Skandal. Etlicher Kriegsverbrechen sollen sich die Luftwaffen der Hauptempfänger deutscher Rüstungsgüter in der Region dort schuldig gemacht haben. Doch Forderungen etwa des Europäischen Parlaments, angesichts der humanitären Katastrophe im Armenhaus der arabischen Welt die Militärlieferungen an Saudi-Arabien auszusetzen, versperrt sich die Bundesregierung. Knapp vier Millionen Barrel Erdöl passieren täglich die Meerenge von Bab al-Mandab an der Küste vor Jemen – eine Lebensader der Weltwirtschaft, die zu verteidigen der deutschen Diplomatie wichtiger ist als der Einsatz für ein sofortiges Ende der verheerenden Luftangriffe und der Seeblockade des Landes.

Blankoschecks zum Machterhalt

Auch bei den Vorständen der großen deutschen Rüstungskonzerne lassen Forderungen nach Waffenembargos die Alarmglocken läuten. Mit Verweis auf die Gefährdung Zehntausender Arbeitsplätze stempeln sie Kritiker als weltfremde Pazifisten ab, die die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nicht begriffen hätten. Aus dem Blick gerät dabei, dass die globalen Kriegsfolgekosten die Profite durch Waffenexporte in den Industriestaaten bei Weitem übersteigen. Gestützt in ihrer Haltung wird die Rüstungsindustrie dabei von den arabischen Regimes, die mit lukrativen Aufträgen winken – solange Deutschland bei der Missachtung von Menschenrechten und demokratischer Standards die Augen zudrückt. Die Drohung, Verträge andernfalls mit Firmen anderer Staaten abzuschließen, schwingt dabei immer mit. Auch deshalb wagt seitens der Politik kaum jemand, ein Handelssystem anzutasten, das vom permanenten Krieg gegen den Terror lebt – und nicht von mehr Partizipation benachteiligter Bevölkerungsgruppen.

Weil die Lage für die Menschen Nordafrikas und auf der arabischen Halbinsel durch den neuen »Krieg gegen den Terror« nicht besser geworden ist, ist ein Umdenken dringend geboten. Denn eines ist klar: Geld, das in Waffengeschäfte fließt, fehlt für Gesundheit und Bildung. Schon das Aufbegehren gegen die autoritären Herrscher in Tripoli, Tunis, Kairo, Damaskus, Manama und Sanaa 2011 hatte gezeigt: Nur umfassende Reformen der dysfunktionalen Institutionen versprechen langfristig Besserung der miserablen Lebensbedingungen, nicht neue Antiterroreinsätze. Und die Lehre, die aus dem Antiterrorkampf nach 9/11 gezogen werden muss, lautet: Militärisch allein lassen sich die Gotteskrieger nicht besiegen. Zwar konnte die Führung al-Qaidas im Irak vor einem Jahrzehnt zerschlagen werden. Doch in den Foltergefängnissen der amerikanischen Besatzer in Abu Ghraib und Camp Bukka organisierten sich die Kämpfer neu – es entstand der Vorgänger des Islamischen Staats, der sich im Zuge der Proteste gegen Baschar al-Assad rasch nach Syrien ausbreitete. Auch in Ägyptens Gefängnissen wächst unter Militärmachthaber Abd al-Fattah al-Sisi eine neue Generation gewaltbereiter Islamisten heran.

Der neue Außenminister Gabriel hofiert die Militärjunta in Kairo trotz Zehntausender politischer Gefangener dennoch – Milliardengeschäfte für deutsche Energiekonzerne wollte er sich auch als Wirtschaftsminister nicht entgehen lassen. Man könne das Neunzigmillionenland am Nil nicht im Chaos versinken lassen, lautet die Logik hinter der augenzwinkernden Kumpanei mit dem einstigen Armeechef Sisi, »too big to fail« die Formel einer Realpolitik, die Menschenrechte hintanstellt – und den Antiterrorkampf an erste Stelle setzt. Seit dem Militärputsch 2013 gegen den ersten frei gewählten Präsidenten des Landes, den Muslimbruder Mohammed Mursi, konnte die Europäische Union unter anderem dank der deutschen Politik zum größten Rüstungslieferanten Ägyptens aufsteigen: Nicht nur Siemens, auch der U-Boot-Hersteller ThyssenKrupp Marine Systems profitiert von der Leisetreterei der Bundesregierung gegenüber Kairo.

Wie der »Krieg gegen den Terror«, der gegen al-Qaida geführt wurde, dient auch der gegen den IS den arabischen Herrschern als Blankoscheck für den Ausbau ihrer Repressionsapparate zum eigenen Machterhalt. Deutschlands wichtigsten Bündnispartnern waren die Demonstrationen in Libyen, Tunesien, Ägypten, Syrien, Bahrain und Jemen von Anfang an ein Dorn im Auge, weil sie dadurch ihre eigene Herrschaft bedroht sahen. Allen voran Saudi-Arabien hat es sich seit 2011 zur Aufgabe gemacht, die Revolutionen in der Region einzudämmen und Proteste im eigenen Land im Keim zu ersticken. Denn nichts fürchtet die Herrschaftsclique um König Salman bin Abd al-Aziz Al Saud mehr als Proteste der stetig wachsenden jungen Bevölkerung. Rhetorisch auf einer Linie liegt das wahhabitische Königshaus dabei mit Syriens Diktator Assad, selbst wenn Salman islamistische Kräfte unterstützt, die den alawitischen Machthaber in Damaskus stürzen wollen. Doch Assads Lesart, dass terroristischen Bewegungen mit harter Hand begegnet werden müsse, teilt man in Riad – und zunehmend auch in den westlichen Hauptstädten.

Die Sichtweise, dass die einzige Alternative zu Assad al-Qaida oder eben der Islamische Staat sei, erklärt die Hinwendung der westlichen Staaten zu den repressiven Regimes der Region. Dass Menschenrechte dort flächendeckend missachtet werden, fällt gut ein halbes Jahrzehnt nach der Revolution auf dem Tahrir-Platz nicht mehr groß ins Gewicht – obwohl die von Berlin erhoffte Stabilität in Ägypten nicht eingekehrt ist. Auch dass die trügerische Ruhe in den repressiven Golfmonarchien ewig hält, glaubt angesichts des demografischen Drucks niemand. Dennoch konzentriert sich Deutschland mit seinen europäischen Partnern wieder auf die militärische Bekämpfung des Terrors – nicht auf jene, die sich Krieg und Staatsterror entgegenstellen. Welche Folgen diese kurzsichtige Politik für die Einwohner des arabischen Krisengürtels hat, wird dieses Buch zeigen. Gut sind sie nicht.

1 Ausverkauf: Deutsche Waffen für Arabiens Autokraten

Mit energischen Handbewegungen hakt die Ministerin nach. Ab und an streut Ursula von der Leyen ein gewinnendes Lächeln ein, nur um nachdenklich mit der Stirn zu runzeln, wenn einer der Herren in dunklem Anzug etwas nachfragt. Und immer wieder zeigt sie mit der Hand auf die vier Hightech-Geschosse, die publikumswirksam am Stand von Diehl Defence aufgestellt sind: Iris-T, LaGS und GILA heißen die akkurat auf Metallpfeilern montierten Lenkraketen, auch ein Exemplar des Flugprofilrekorders FPR für Manöver der Luftwaffe wird in der großen Ausstellerhalle präsentiert. Verständnisvoll nicken die Vertreter der Führungsriege des süddeutschen Traditionsunternehmens mit den Köpfen, als sich die Bundesverteidigungsministerin zu ihnen hinüberbeugt. Im Schein der Deckenbeleuchtung glänzen helle Farbkleckse auf den modernen Tötungsmaschinen.

Es ist ein heißer Nachmittag, an dem die kurze Begegnung der Ministerin mit den Vertretern des Diehl-Konzerns stattfindet, Deutschlands fünftgrößtem Rüstungsproduzenten.1 Ein Pulk aus Fotografen und Reportern folgt von der Leyen auf ihrem Rundgang über die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA), die Berlin Air Show. Kein Schritt der nach Bundeskanzlerin Angela Merkel mächtigsten CDU-Politikerin bleibt unbeobachtet. Lächelnd lobt von der Leyen die beharrliche Arbeit der Bundeswehr in schwierigen Zeiten. Gut gelaunt gibt sie sich im Gespräch mit Soldaten und Ausstellern. Mit »Life-Cycle-Lösungen aus einer Hand« und Werbesprüchen wie »Wenn es darauf ankommt« buhlen die Anbieter hier um Kunden, wie etwa am Stand von RUAG, dem Rüstungsproduzenten aus Wedel. »Auf unsere Munition ist Verlass«, heißt es da und neben einer Vitrine mit Patronen: »The Sniper’s Choice«.

Nur alle zwei Jahre findet die zivil-militärische Messe in Schönefeld statt, und das ausgerechnet neben dem Gelände des Berliner Pannenflughafens BER. Die Vertreter der Sicherheits- und Wehrtechnikbranche aber können über ausbleibende Abschlüsse nicht klagen. Einzelgenehmigungen im Wert von 6,88 Milliarden Euro erteilte die Bundesregierung 2016 deutschen Rüstungsunternehmen – fast 3 Milliarden mehr als zwei Jahre zuvor.2 Die Zahl der Sammelausfuhren war 2015 mit 4,9 Milliarden Euro um fast 100 Prozent gestiegen: Insgesamt wurden damit Rüstungsexporte in Höhe von fast 13 Milliarden Euro genehmigt.3 Nicht nur zur Freude der Big Five der deutschen Rüstungsindustrie – Airbus Defence and Space, Rheinmetall, ThyssenKrupp Marine Systems, Krauss-Maffei Wegmann und Diehl Defence.4 Auch mittelständische Betriebe wie Chemring Defence in Bremerhaven, die Carl Walter GmbH in Wuppertal oder Dynmaik Nobel Defence im Siegerland profitieren von den neuen Rekordexporten.

Kommerzielle Kriegswaffenausfuhren in Drittländer von 2005 bis 2015.5

Bestimmungsländer

Wert

1

Algerien

1 421

2

USA

1 156

3

Saudi-Arabien

529

4

Ägypten

400

5

Vereinigtes Königreich

334

6

Republik Korea

280

7

Australien

202

8

Kanada

156

9

Vereinigte Arabische Emirate

154

10

Schweiz

149

Wichtigste Bestimmungsländer für Rüstungsgüter im ersten Halbjahr 2016 (in Millionen Euro).6

Bestimmungsland

Wert

1

Katar

1 662

2

Vereinigtes Königreich

1 635

3

Südkorea

516

4

Israel

507

5

USA

420

6

Algerien

411

7

Saudi-Arabien

270

8

Frankreich

157

9

Indien

154

10

Schweden

145

11

Kuwait

125

12

Russland

119

13

Vereinigte Arabische Emirate

107

14

Oman

96

15

Singapur

96

Wichtigste Bestimmungsländer für Rüstungsgüter 2015 (in Millionen Euro).7

Dass 2015 fast zwei Drittel und 2016 immer noch mehr als die Hälfte der Ausfuhren in sogenannte Drittstaaten gingen, die weder EU noch NATO angehören oder deren Mitgliedern gleichgestellt sind, zeigt, wie sehr das Geschäft mit dem Krieg boomt. Mit mehr als vierzig Konflikten ist die Welt so gewaltsam wie seit Ende des Kalten Kriegs nicht mehr, ganz besonders in Nahost. Schlimmer noch: Unter den Top Ten der Empfängerländer deutscher Kriegs- und Rüstungsgüter fanden sich in den vergangenen Jahren drei Staaten, die in der neben Afrika konfliktreichsten Region der Welt direkt in Kampfhandlungen verwickelt sind. Katar lag 2015 auf Platz 1, Saudi-Arabien 2016 auf Platz 3, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Staaten (VAE) auf Rang 9.8 Die drei deutschen Verbündeten stehen seit 2015 an der Spitze einer Militärallianz, die das Armenhaus der arabischen Welt, den Jemen, zurück in die Steinzeit bombt – Frontstaaten im religiös aufgeheizten Regionalkampf um die Hegemonie am Persischen Golf. Tausende Angriffe sind saudische Piloten im Rückgrat der deutschen Luftwaffe, dem Eurofighter, dort geflogen. 45 Prozent beträgt der deutsche Ausrüstungsanteil am Eurofighter-Gesamtsystem, das außerdem von britischen, spanischen und italienischen Firmen an vier Endmontagestätten hergestellt wird. Ein Milliardenprojekt.

Die sechs größten deutschen Rüstungsunternehmen.9

Die vier Herren, die sich am Stand von Diehl um von der Leyen gruppiert haben, verdienen ebenfalls kräftig mit an den Kriegen und Krisen in der arabischen Welt. Auf 405 Millionen Euro belief sich zuletzt der Umsatz von Diehl Defence, der die Bereiche Sicherheit und Verteidigung umfasst.10 In Abu Dhabi unterhält der Konzern ein Außenbüro, um »die Akquisitionsbemühungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in den anderen Golf-Staaten zu unterstützen«, wie es auf der Homepage der Diehl-Gruppe heißt.11 Denn trotz sinkender Gas- und Öleinnahmen halten Auf- und Umrüstung in den rohstoffreichen Staaten am Persischen Golf an, mit immer stärkerem Fokus auf Späh- und Überwachungstechnik sowie auf Präzisionslenkwaffen.

Steigende Profite macht das Familienunternehmen auch deshalb, weil es sich nicht scheut, an verfeindete Konfliktparteien zu verkaufen: Sowohl Saudi-Arabien wie Israel werden mit Wehrtechnik aus dem Hause Diehl versorgt. Die regionale Aufrüstungsspirale treibt das weiter an: In Nordafrika haben sich die Militärausgaben in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, im Nahen und Mittleren Osten um zwei Drittel zugenommen. Auf rund 190 Milliarden Dollar summieren sich die Rüstungsetats von Ägypten im Westen, über Israel, die Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) bis Iran.12

Ein Markt, der mit kräftigen Gewinnen lockt, zumal Korruption und Waffenhandel eng zusammengehören. Schmiergeldzahlungen lassen sich zwar oft nicht nachweisen, doch die zahlreichen Gerichtsverfahren auch gegen deutsche Rüstungsproduzenten sprechen eine deutliche Sprache. Bestechung zum Erwerb politischer Gefälligkeiten gehört gerade in Schwellenländern oft dazu; Saudi-Arabien avancierte hier in den 1980er Jahren zum Vorreiter, als Milliardendeals mit dem britischen Rüstungsgiganten BAE Systems den internationalen Waffenhandel in neue Sphären hoben – jenseits jeglicher demokratischer Kontrolle. Das Credo der Branche könnte deshalb auch lauten: Zu viel Öffentlichkeit schadet dem Geschäft.

Eine verschwiegene Branche

Anders als die machtbewusste Ministerin von der Leyen, die auf ihrem anvisierten Weg ins Kanzleramt keinem Mikrofon und keiner Kamera aus dem Weg geht, scheuen die Manager des Traditionsunternehmens deshalb Blitzlicht und kritische Nachfragen. Misstrauisch schaut der Sprecher des Vorstands des Teilkonzerns Defence Claus Günther hinüber zu den Fotografen und Korrespondenten der Hauptstadtpresse. Am liebsten agiert der agile Wehrtechnikchef mit Businessanzug und smarter Brille im Hintergrund – Kontakte zu den Entscheidungsträgern des Verteidigungsministeriums und des für Rüstungs- und Kriegswaffenexporte verantwortlichen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn am Taunus zählen selbstredend dazu. Kein Unbekannter also für die Verteidigungsministerin. Als dann aber ein älterer Herr mit grauem Haar und roter Krawatte zu der Runde auf dem Diehl-Messestand stößt, ist selbst die ansonsten auf alles vorbereitete Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt überrascht. »Jetzt lerne ich also den echten Herrn Diehl kennen«, sagt von der Leyen. Thomas Diehl, der Patriarch des 1902 in Nürnberg gegründeten Unternehmens, hat sich eigens für den Ministerinnenbesuch in die Hauptstadt begeben.

Zu bereden gibt es genug. Denn die Branche ist zwei Jahre nach Beginn des Luftkriegs gegen den Islamischen Staat im Irak und in Syrien in Aufruhr – wieder einmal. Zwar hat von der Leyen neue Investitionen in die Bundeswehr angekündigt, die Zeit des Sparens sei vorbei: Bis 2020 soll der Verteidigungsetat so schrittweise um 10 Milliarden Euro erhöht werden, die größte Steigerung im letzten Vierteljahrhundert.13 Doch die größten Geschäfte winken im Ausland, wo neben den Vereinigten Staaten, China und Russland zuletzt Frankreich groß auftrumpfte: Der Verkauf des von Dassault Aviation hergestellten Mehrzweckkampfflugzeugs Rafale an Ägypten und Katar bescherte der Rüstungsindustrie der Grande Nation Aufträge im Wert von 16 Milliarden Dollar.14 Auch zwei Hubschrauberträger der Mistral-Klasse lieferte Paris an die Militärmachthaber in Kairo. Abgehängt zu werden von der Konkurrenz fürchtet die deutsche Rüstungslobby, zumal sich die europäischen Produzenten teilweise selbst im Wege stehen: Statt ihre Ressourcen zu bündeln, machen sie sich auf dem profitträchtigen globalen Kampffliegermarkt gegenseitig Konkurrenz. Nicht nur das Eurofighter-Konsortium mit Sitz in Hallbergmoos bei München buhlt international um Aufträge, Dassault Aviation aus Frankreich sowie der schwedische Hersteller Saab treten mit eigenen Modellen ebenfalls gegen die mächtigen amerikanischen Wettbewerber Lockheed Martin, Boeing und Northrop Grumman an.

Außerdem versuchte Sigmar Gabriel, eine neue Linie durchzusetzen: Weniger Waffen sollten künftig aus Deutschland verkauft werden, forderte der Vizekanzler gleich zu Beginn seiner Amtszeit. Nur durch Ab-, nicht durch Aufrüstung ließen sich die Krisenherde der Welt mittelfristig eindämmen. Das sei auch deshalb bitter nötig, weil ein entscheidender Grund für die Flüchtlingskrise in Europa die anhaltenden Kriege in Syrien und im Irak seien. Die Rüstungsmanager hingegen irritiert es wenig, dass der Export von deutschem Kriegsgerät ein halbes Jahrzehnt nach den friedlichen Protesten in Kairo, Tunis und Damaskus wieder vermehrt in die Spannungs- und Konfliktzonen des arabischen Krisengürtels erfolgt. Dabei hatte das EU-Parlament bereits im März 2016 wegen des verheerenden Kriegs im Jemen ein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien gefordert. Die Luftwaffe des Königreichs ist nicht nur mit Kampfflugzeugen der Typen Tornado und Eurofighter Typhoon ausgerüstet, die einen hohen deutschen Entwicklungs- und Produktionsanteil haben, sondern bezieht auch Iris-T-Raketen aus dem Hause Diehl.

Die spiegelglatten Lenkflugkörper, die am Stand an der Berlin Air Show ILA in blaues Licht getaucht sind, gelten dank der hoch entwickelten Infrarotsuchköpfe als Wunderwerk der Technik. Schon heute sind Eurofighter- und Tornadokampfjets serienmäßig mit den Geschossen aus dem Diehl-Werk in Überlingen am Bodensee bestückt. Der Bedarf der saudischen Luftwaffe an den modernsten Kurzstreckenraketen der Welt liegt Militärfachleuten zufolge bei weit über tausend Stück, Tendenz steigend: Da kein Ende der Krisen auf der arabischen Halbinsel in Sicht ist, muss für Nachschub gesorgt sein – schließlich gilt es, sich für alle Eventualitäten vorzubereiten. Dazu zählt auch die Bedrohung durch den Iran, der Israel als zentrale Bedrohung der Hüterin der heiligen Stätten des Islams in Mekka und Medina längst abgelöst hat.

Üben für den Ernstfall

Über den Start- und Landebahnen des Schönefelder Flugfelds donnern an diesem sonnigen Nachmittag die Vorzeigeprodukte der deutschen und europäischen Luftfahrtindustrie hinweg – sehr zur Freude der zahlreichen Planespotter, die ihre Köpfe in den Nacken gelegt haben. Strahlend blau ist der Himmel, als ein Airbus 310 zwei Tornados in der Luft betankt. Abgeschirmt wird die Formation von zwei Eurofightern. Über dem Norden Syriens gehört das Manöver zum Kriegsalltag der Piloten und Navigatoren der Luftwaffe: Um Angriffsziele für die Partner der internationalen Anti-IS-Allianz auszukundschaften, hat die Bundesregierung Aufklärungsflieger in das Kampfgebiet entsandt. Im Luftraum über Raqqa, Kobane und Qamischli sind die im oberbayerischen Manching gebauten Tornados vom Typ Recce seitdem unterwegs. Das Kürzel ist dem Militärjargon entlehnt, es steht für »Reconnaissance«, also Aufklärung. Feindliche Stellungen, Brücken und Straßen werden von den Piloten fotografiert. Ausgestattet sind die Flieger mit zwei Iris-T-Raketen, und für hochauflösende Aufklärungsfotos bei Tag und Nacht sorgt das digitale Optiksystem RecceLite, hergestellt im schwäbischen Oberkochen.

Auf der ILA wenige Minuten später ein sogenannter Alarmstart: Blitzschnell steigen zwei Kampfflieger der Bundeswehr auf, um ein feindliches Flugzeug aus dem Luftraum zu drängen. Von einer kleinen Rampe am Informationsstand der Bundeswehr auf der Landepiste beobachtet von der Leyen die Vorführung. Feldjäger mit Spürhunden an der Leine sichern das Terrain. Neben der Ministerin auf dem Flugstand stehen Luftwaffenoffiziere und Bernhard Gerwert, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), der die ILA alle zwei Jahre ausrichtet. Der mächtige Lobbyist, bis Frühjahr 2016 Chef der Rüstungssparte von Airbus, weicht den ganzen Rundgang über nicht von ihrer Seite. Erst als von der Leyen zum Abschlussstatement in der Bundeswehrhalle vors Mikrofon tritt, rückt er gemeinsam mit den Managern der großen deutschen Luft- und Raumfahrtkonzerne in die zweite Reihe. »Einsatzbereitschaft sichern. Gemeinsam. Weltweit. Heute und zukünftig«, steht in großen Buchstaben auf der Tafel mit den vielen bunten Firmenlogos, vor der sich die Vertreter von MTU, Liebherr, Thales und Rheinmetall aufstellen. Eine »beeindruckende Visitenkarte für Deutschland« hätten diese auf der Messe abgeliefert, lobt die Ministerin. Vor allem der Mittelstand mit seiner Innovationskraft und Ingenieursleistung habe unter Beweis gestellt, dass er »das Rückgrat der deutschen Wirtschaft« sei.