Die Prophezeiung der Spiegelwelt (Die Spiegelwelt-Trilogie 1) - Izzy Maxen - E-Book
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Izzy Maxen

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Beschreibung

»Ich bin die Lichtprinzessin. Ich bin das Licht und die Wärme. Und doch fühle ich nichts als Kälte in mir.« Schon seit sie denken kann, ist Siennas Zukunft in Stein gemeißelt: Als Königstochter der sagenumwobenen Spiegelwelt wird sie eines Tages den Thron des Lichtlandes besteigen und über das Volk der Hellen herrschen. Doch seit ihr Vater von einer rätselhaften Krankheit befallen ist, gerät das hart erkämpfte Gleichgewicht der Spiegelwelt immer mehr ins Wanken. Einzig der mysteriöse Fremde, der eines Nachts in ihren Gemächern auftaucht, scheint mehr über das zu wissen, was sich wirklich außerhalb der Palastmauern abspielt. Doch Sienna ist mit dem König des Schattenlandes verlobt und allem voran für das Schicksal ihres Landes verantwortlich. Wäre da nicht die Prophezeiung, die alles in ein anderes Licht rückt … Bist du bereit, für das Wohlergehen einer gesamten Welt alles aufs Spiel zu setzen – auch dein Leben? //Dies ist der erste Band der magisch-romantischen »Spiegelwelt«-Trilogie. Alle Bände der Fantasy Liebesgeschichte bei Impress: -- Die Prophezeiung der Spiegelwelt (Spiegelwelt-Trilogie 1) -- Die Rückkehr zur Spiegelwelt (Spiegelwelt-Trilogie 2) -- Das Orakel der Spiegelwelt (Spiegelwelt-Trilogie 3) erscheint im Oktober 2022//

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Seitenzahl: 458

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Izzy Maxen

Die Prophezeiung der Spiegelwelt

»Ich bin die Lichtprinzessin. Ich bin das Licht und die Wärme. Und doch fühle ich nichts als Kälte in mir.«

Schon seit sie denken kann, ist Siennas Zukunft in Stein gemeißelt: Als Königstochter der sagenumwobenen Spiegelwelt wird sie eines Tages den Thron des Lichtlandes besteigen und über das Volk der Hellen herrschen. Doch seit ihr Vater von einer rätselhaften Krankheit befallen ist, gerät das hart erkämpfte Gleichgewicht der Spiegelwelt immer mehr ins Wanken. Einzig der mysteriöse Fremde, der eines Nachts in ihren Gemächern auftaucht, scheint mehr über das zu wissen, was sich wirklich außerhalb der Palastmauern abspielt. Doch Sienna ist mit dem König des Schattenlandes verlobt und allem voran für das Schicksal ihres Landes verantwortlich. Wäre da nicht die Prophezeiung, die alles in ein anderes Licht rückt …

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Vita

© Sarah Kastner Fotografie

Izzy Maxen lebt mit ihrer Familie in Süd-Hessen. Seit 2017 veröffentlicht sie Liebesgeschichten und romantische Fantasy-Romane. Sie hat Germanistik, Buchwissenschaften und Geschichte studiert. Seit Mai 2021 ist sie als freie Lektorin tätig. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten mit ihrer Familie und ihren Freunden. Sie liebt es zu reisen, neue Städte und Menschen kennenzulernen und ist großer Fan echter Rockmusik.

Für Sienna.Weil du mir mit deinem Licht und deiner Wutdurch eine dunkle Zeit geholfen hast.Weil du den Mut hast, zu erkennen,was falsch und richtig ist.Und weil du Ciaran und Thy den Kopf verdrehstund es noch nicht einmal merkst.

DIE PROPHEZEIUNG

Ein Blick in den Spiegel, in eine andere Welt,

ein Volk rebelliert, sie alle stellt.

Der Silberne Krieg bringt Elend und Tod,

vernichtet sie alle, bis das Licht sich erhebt.

Ein Friede geschlossen, ein trügerisch’ Bild,

die Welt vor dem Abgrund, sie alle verschlingt.

Ein Spiegel bringt Wahrheit, Erkenntnis dringt vor,

ein Volk, das verloren, kommt wieder empor.

Tod und Zerstörung für Schatten und Licht.

Die Spiegelwelt wird untergehen:

Folgt Eurer Pflicht!

Nur ein Bund kann sie retten, im Zeichen der Vier,

um Einklang zu bringen wie Hunderte Jahre zuvor.

AUS DEN CHRONIKEN DER SPIEGELWELT

Der Silberne Krieg.

Sommer im Jahre 1078 (12. Jahr des Silbernen Krieges)

An Rion, den Dunklen König.

Ich bin zurück auf dem Weg nach Sonnensee. Die Durchquerung des Sturmlandes hat mich fast die Hälfte meiner Männer gekostet, obwohl wir Gebiete gemieden haben, in denen der Krieg tobt. Trotzdem trafen wir immer wieder auf graue Krieger, sodass wir gezwungen waren zu kämpfen. Das Wetter spielte vollkommen verrückt und meine Männer kamen mit den Unmengen an Regen, der in diesem Land vom Himmel fällt, nicht zurecht.

Das Orakel von Nevulum hat mich gewarnt: Das Schattenlicht, von dem deine dunklen Meister berichteten, sei so mächtig, dass es niemand wirklich kontrollieren könne. Durch diese Waffe würde ein Unheil heraufbeschworen, das schlimmer sei als der Silberne Krieg.

Ich weiß nur, dass dieser verdammte Krieg endlich ein Ende haben muss. Sobald ich das Lichtland erreicht habe, werde ich dir Nachricht schicken.

Thanatos

KAPITEL 1

Mein Herz rast und pocht so laut, dass ich befürchte, Rhea zu wecken. Ich versuche, es zu beruhigen, atme langsam ein und aus und konzentriere mich auf das trübe Licht vor mir. Kalte Schweißperlen wandern an meinen Schläfen entlang und vorsichtig drehe ich den Kopf zur Seite.

Es ist mitten in der Nacht. Schwaches Licht fällt durch die offenen Fenster und bringt den Geruch verbrannter Erde mit sich. Der Sommer in unserem Land ist so heiß, dass der Sand in den Straßen unter den Strahlen der Sonne zu glühen beginnt. Ich schließe die Augen. Langsam fange ich zu zählen an. Dies und der vertraute Duft beruhigen mich und meine Gedanken kommen zur Ruhe.

Ein dumpfes Klappern reißt mich erneut aus dem Dämmerzustand. Erschrocken fahre ich hoch. Neben mir liegt Rhea, sie hat die Augen geschlossen und atmet gleichmäßig. Die rotblonden Haare kleben auf ihrer Stirn, und ein dünner Schweißfilm überzieht ihren Körper. Sie ist die Hitze nicht gewohnt, kennt sie nicht so gut, wie ich sie kenne. Niemand tut das.

Ich lausche angestrengt in die Stille der Nacht, doch da ist nichts. Langsam streife ich das seidene Laken von meinem Körper, setze meine nackten Füße auf die kalten Fliesen und stehe auf. Die Kälte beißt in meine Fußsohlen und durch mein dünnes Nachthemd spüre ich sofort den leichten Windhauch.

Erneut ein Geräusch. Es klingt, als würde jemand ein Stück Holz über den Boden ziehen. Ein Schauer läuft über meinen Rücken und die feinen Härchen an meinen Armen stellen sich auf. Soldaten stehen auf dem Flur vor meinem Zimmer, sodass niemand unbemerkt meine Gemächer betreten kann.

Wieder ein Scharren. Diesmal bin ich mir sicher, dass der Laut aus dem Ankleidezimmer gekommen ist.

Leise schleiche ich zur Tür und werfe einen Blick zurück zum Bett. Der weiße Baldachin, der zwischen den vier hohen Bettpfosten gespannt ist, wölbt sich leicht im Wind, bevor er raschelnd in sich zusammenfällt. Rhea seufzt leise im Schlaf und dreht sich auf die andere Seite.

Ich lege meine Hand an die schwere Schiebetür aus hellem Holz. Filigrane Prägungen darauf sind zu einem bizarren Muster verflochten, die davon zeugen, wie kostbar allein diese Tür ist. Vorsichtig schiebe ich sie nach links, bis ein schmaler Spalt entsteht.

Aufregung durchfährt mich und meine Muskeln spannen sich an. Die Angst kribbelt in meinem Nacken, mein Atem geht flach. Aber ich bin kein Feigling, ich will wissen, woher das Geräusch gekommen ist. Mein Blick wandert durch den düsteren Raum, doch ich entdecke nichts Ungewöhnliches. Meine Kleider von gestern Abend hängen über dem Sessel, auf dem Tischchen liegt mein Schreibzeug und vor dem Spiegel türmen sich Unmengen an Schmuck und Schminkutensilien.

Langsam stoße ich die Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte. Wahrscheinlich war alles meine Einbildung. Ich will mich schon abwenden, da sehe ich im Spiegel eine Bewegung. Ein leichtes Flattern in der unteren Ecke, dann ein Aufblitzen. Ich erstarre, mein Puls beginnt zu rasen. Augenblicklich ist die Anspannung wieder da. Aber zurück ins Bett zu gehen und mir die Decke über den Kopf zu ziehen, ist keine Option. Außerdem könnte ich jetzt sowieso nicht mehr schlafen.

Selbstsicherer, als ich mich fühle, mache ich einen Schritt in den Raum hinein. Hier ist es kühler als in meinem Schlafzimmer. Die Vorhänge flattern im warmen Wind und verursachen ein leises Rascheln. Ich schaue mich erneut um, während ich leicht in die Knie gehe. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt und meine Hände zu Fäusten geballt.

Nichts.

Mir entfährt ein spitzer Schrei, als etwas aus dem Kleiderberg auf dem Sessel auf mich zuspringt und ich mich instinktiv zur Seite drehe.

»Conan! Raus hier!«, zische ich wütend. Mit der Hand deute ich in Richtung der offenen Fenster. Das Blut rauscht in meinen Ohren und nur langsam beruhigt sich mein Herzschlag.

Das kleine rotbraune Wesen sieht mich mit schief gelegtem Kopf an. Conan ist ein Feuerknäuel, ein rundes, flauschiges Kerlchen mit einem Kopf und zwei kurzen Beinen, das kaum größer ist als eine Katze. Es wirkt auf den ersten Blick vollkommen harmlos, kann aber sein Fell, wenn es sich bedroht fühlt, innerhalb von Sekunden zu einer tödlichen Waffe verwandeln – Feuer. Mein Vater hat mir das Feuerknäuel zum letzten Geburtstag geschenkt und obwohl ich mir größte Mühe gegeben habe, ihm ein paar Regeln beizubringen, ist Conan mit Sicherheit das unerzogenste Feuerknäuel, das es im gesamten Lichtland gibt. Energisch greife ich nach ihm und bringe ihn zum Fenster. Conan knurrt und wehrt sich, hüpft dann aber doch mit einem Satz auf das angrenzende Dach hinaus.

Die Anspannung fällt endgültig von mir ab. Kopfschüttelnd stütze ich mich auf das Fensterbrett. Ein kleines Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus und beinahe muss ich über mich selbst lachen. So eine Aufregung wegen eines Feuerknäuels.

In diesem Moment legt sich eine Hand über meinen Mund.

»Keinen Laut, Prinzessin!«, raunt eine tiefe Stimme an meinem Ohr.

Ich schrecke zusammen, mein Atem stockt. Ein starker Arm legt sich um meine Taille. Ein Zittern fährt durch mich hindurch. Der Mann ist größer als ich und mir so nah, dass ich seinen ruhigen Herzschlag an meinem Rücken spüren kann. Panisch öffne ich meinen Mund, schreie dumpf in seine Hand.

Da ist ein Fremder in meinem Zimmer. Wie ist er hier hineingekommen? Was will er von mir?

Kalte Angst überfällt mich. Meine Finger krallen sich in den Arm des Fremden. Ich versuche, mich aus seinem unnachgiebigen Griff zu befreien, doch er presst mich nur fester an sich und zieht mich vom Fenster weg, weiter in den Raum hinein. Vor Angst wird mir übel. Ich kann nicht mehr klar denken. Ich trete nach ihm, kratze mit den Händen über seinen nackten Arm und brülle, bis meine Kehle schmerzt. Dann beiße ich ihm mit aller Kraft in die Hand. Dicht an meinem Ohr ertönt ein rauer Fluch. Ich schmecke Blut, aber die Hand liegt weiterhin fest auf meinen Lippen.

Der Mann schimpft leise. Immer noch fühle ich seinen Körper in meinem Rücken. Sein herber Duft, gemischt mit Schweiß und etwas, das ich nicht sofort zuordnen kann, dringt in meine Nase. Die Angst schnürt mir die Kehle zu und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Der Fremde hält inne. Einen kurzen Moment stehen wir mitten im Raum, ohne dass sich einer von uns bewegt. Meine Gedanken überschlagen sich, noch immer kann ich nicht richtig atmen, aber ich zwinge mich zur Ruhe. Ich muss mich wehren, ich kann mich wehren! Ich weiß, wie man kämpft. Unzählige Male habe ich genau so eine Situation mit Kit trainiert. Aber statt zu handeln, verhalte ich mich im Moment wie ein hilfloses Mädchen.

Ich atme tief durch die Nase ein, gehe dann schnell in die Knie. Mit einem Schrei umklammere ich den Arm um meiner Taille und nutze den Schwung, um den Mann über meine Schulter zu werfen. Er landet krachend auf dem Boden und stöhnt laut auf. Wer von uns beiden überraschter ist, kann ich nicht sagen.

Einen Augenblick starre ich ihn an, dann drehe ich mich um. Nur raus! Ich muss die Soldaten alarmieren!

Ich komme genau zwei Schritte weit, bis sich seine Hand um meinen Fuß schließt und mich zu Boden reißt. Meine Ellenbogen schlagen hart auf den Terrakottafliesen auf, meine Stirn beginnt zu brennen. Verflucht! Benommen robbe ich weiter vorwärts, aber der Fremde packt mich am Bein und dreht mich auf den Rücken.

Sofort ist er über mir und drückt mich mit seinem Gewicht hart zu Boden. Wut spiegelt sich auf seinem Gesicht und er funkelt mich aus tiefblauen Augen an. Sein keuchender Atem trifft meine nackte Haut und lässt ein kaltes Kribbeln zurück. Ich presse die Zähne zusammen, sammele meine Kraft und bäume mich auf. Aber der Angreifer ist zu stark. Bevor ich ihn schlagen kann, greift er nach meinen Armen und fixiert sie über meinem Kopf. Sein Brustkorb hebt und senkt sich hektisch, was mir eine leichte Befriedigung verschafft. Immerhin hat ihn mein Wurf nicht völlig kalt gelassen.

Er mustert mich aufmerksam und verzieht seinen Mund zu einem selbstgefälligen Grinsen. »Du bist also die Lichtprinzessin.« Seine Stimme klingt rau, Spott trieft aus seinen Worten.

Ich spüre ihn mit jeder Faser meines Körpers auf mir liegen und mir ist mehr als bewusst, dass ich nur ein dünnes Nachthemd trage. Und ich ihm deutlich mehr von mir präsentiere als je einem Mann zuvor. Seine Beine pressen sich gegen meine Hüfte, sein Oberkörper drückt an meine Brust. Sein Herz hämmert gegen meines.

»Was willst du von mir?«, fauche ich wütend und bewege mich unter ihm. Mit dem Erfolg, dass er mich noch weiter einkeilt. Bei der Göttin! Ich will ihm nicht so nahe sein, will seinen Körper nicht spüren, will seinen Duft nicht riechen, der mich anwidert – und doch fasziniert. Er riecht so fremd, nach Nacht und nach … Ich blinzle überrascht. Ich kenne den Geruch, nur ist er im Lichtland so selten, dass ich ihn fast vergessen habe. Der Fremde riecht nach Wasser, nach Sturm – nach Regen.

Mit zusammengekniffenen Augen lasse ich meinen Blick über sein Gesicht wandern, das keine zwanzig Zentimeter über meinem schwebt. Er ist überraschend jung, vermutlich nicht viel älter als ich selbst. Seine kurzen dunkelbraunen Haare glänzen im trüben Licht und ich entdecke mehrere Narben und noch nicht verheilte Verletzungen. Was will er hier? Und wie kommt er in mein Zimmer, ohne dass die Soldaten ihn bemerkt haben?

Stirnrunzelnd starre ich ihn an. Starre in so tiefblaue Augen, als würde ich direkt auf den Grund eines Sees blicken. Er zieht langsam eine Braue hoch und in seinem Blick verändert sich etwas. Seine Augen werden eine Spur dunkler und das Grinsen verschwindet aus seinem Gesicht.

Blau wie der Ozean, blau wie der Himmel im Winter. Ich bin fasziniert und verliere mich darin. Und kann einfach nicht glauben, was ich sehe, denn seine Iriden haben keinerlei Sprenkel. Solche Augen habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.

Verdammt, Sienna, wehr dich endlich, schießt es mir durch den Kopf.

Ohne Vorwarnung ziehe ich mein Knie hoch und treffe damit seine empfindlichste Stelle. Er stöhnt schmerzerfüllt auf und lässt mich eine Sekunde los. Das reicht mir, um mich unter ihm wegzudrehen und aufzuspringen. Meine Gedanken rasen. Im Schlafzimmer liegt Rhea, die ich nicht unnötig in Gefahr bringen will. Aber einen anderen Ausgang gibt es aus diesem Raum nicht.

Ich fluche frustriert, greife mit der Hand nach dem erstbesten Gegenstand, den ich finden kann, und stelle mich dem Fremden gegenüber. Beine auseinander, Arme erhoben, in der Hand … einen kleinen Spiegel. Immerhin.

Der Fremde rappelt sich ächzend auf und sieht mich abschätzend an. »Du willst also wirklich kämpfen?«

Ich sage nichts, verfolge aber jede seiner Bewegungen mit meinen Augen. Adrenalin schießt durch meinen erhitzten Körper und vertreibt die Angst. Ich werde mich nicht wehrlos ergeben.

Er kommt langsam näher und macht dann einen so schnellen Schlag mit seiner Hand, dass der Spiegel scheppernd auf dem Boden landet. Ich zucke erschrocken zusammen, das Glas zerspringt und verteilt sich im Raum. Mein Blick huscht zur Tür, und die Sorge um meine kleine Schwester wächst. Aber es bleibt ruhig, anscheinend hat der Lärm Rhea nicht geweckt. Mit einem Satz ist der Fremde bei mir und verdreht meine Hände auf dem Rücken. Ich heule auf vor Wut, dass er mich erneut überrumpelt hat, und trete nach ihm. Vollkommen unbeeindruckt von meiner Gegenwehr schiebt er mich durch den Raum, bis ich eine Wand in meinem Rücken spüre. Mein Atem geht flach und die Spiegelsplitter bohren sich schmerzhaft in meine nackten Füße.

»Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber mit dir ganz sicher nicht«, knurrt er beinahe belustigt, während er mich fest an die Wand drückt.

Ich spucke ihm ins Gesicht. Er funkelt mich zornig an, löst seine Hände aber nicht.

»Was willst du hier?«, presse ich hervor.

Er zögert einen Moment, sein Blick huscht zur Seite. »Ich suche etwas.«

»In meinem Ankleidezimmer?« Sarkasmus schwingt in meiner Stimme mit. Außer jede Menge Kleider, Schuhe, Schminke und Schmuck wird er hier nichts finden. Und es gibt sicher leichter zugängliche Orte für einen Diebstahl, als ausgerechnet die Garderobe einer Prinzessin.

Der Fremde schweigt und scheint mir nicht mehr erklären zu wollen.

»Wer bist du?« Meine Augen suchen den Raum hinter ihm ab. Aber ich entdecke nichts, was mir weiterhelfen könnte.

Die Wärme seines Körpers dringt durch mein dünnes Hemd, und die Luft um uns herum beginnt zu flimmern. Ich beiße mir auf die Lippe, versuche, die Hitze in meinem Inneren zu beruhigen, aber es gelingt mir nicht. Mein verräterischer Körper reagiert auf ihn, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte.

Der Fremde schaut mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Du bist schöner, als die Hellen sagen. Aber deutlich zu kratzbürstig für meinen Geschmack.« Vorsichtig löst er eine Hand von meinem Arm und fährt damit an meiner Wange entlang. Seine Finger hinterlassen eine brennende Spur auf meinem Gesicht. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, doch das Brennen bleibt.

»Wer bist du?«, wiederhole ich meine Frage und versuche gleichzeitig, mich aus seinem Griff zu lösen. Wenn auch nicht mehr ganz so verzweifelt wie zuvor.

Seine Hand liegt immer noch an meiner Wange. Ganz langsam wandert sie in mein Haar, schiebt sich zwischen meine Strähnen. Meine Kopfhaut beginnt zu kribbeln. Ich sollte meinen Kopf wegdrehen, ich sollte ihn noch einmal anspucken. Doch tue ich nichts davon. Sein rechter Mundwinkel zuckt, als er merkt, dass ich mich nicht länger gegen ihn wehre. Sein Blick rutscht nach unten und bleibt an meinem Mund hängen. Die Hitze in meinem Bauch beginnt zu glühen.

Er kommt mir näher, so nahe, dass seine Brust bei jedem Atemzug meinen Körper berührt. Feuer prickelt unter meiner Haut entlang. Ich sollte nicht so auf einen Fremden reagieren. Auf einen Mann mit blauen Augen, die es überhaupt nicht geben dürfte.

Sein warmer Atem schlägt mir ins Gesicht. Unwillkürlich halte ich die Luft an und drücke mich noch fester an die Wand. Oder an ihn. Ich kann es nicht mehr sagen.

Blaue Augen bohren sich in meine, und nur Sekunden später liegen seine Lippen auf meinem Mund. Mein Herz stolpert, mein Feuer explodiert.

Du willst das hier nicht, schreien meine Gedanken. Doch die Neugierde bringt die Worte zum Verstummen.

Als seine Zunge meine Lippen kitzelt, keuche ich erschrocken auf. Er zögert einen Moment, hält inne und sieht mich an. Tiefes Dunkelblau in denen ein Funke Unsicherheit schwebt. Sein Atem streift meine leicht geöffneten Lippen, ich schmecke seinen Duft nach Salz, nach Regen und … nach Meer. Mein Feuer lodert hoch, bringt die Luft um uns herum zum Kochen, und bevor ich weiter darüber nachdenken kann, was falsch und was richtig ist, habe ich mich nach vorne gebeugt und meinen Mund auf seinen gepresst. Ich schließe die Augen, während ein erregendes Kribbeln in mir aufsteigt. Es gibt nur noch ihn und mich und unseren Kuss. Mein verräterischer Körper will mehr, und für einen kurzen Augenblick lasse ich mich auf das aufregende Spiel ein. Als sich unsere Zungenspitzen berühren, schießt ein heißer Funke durch meinen Körper. Ich stöhne auf, mein Herz bleibt stehen, und ich vergesse alles um mich herum.

Fast alles.

»Verflucht, was soll das?« Ruckartig lässt er von mir ab und funkelt mich wütend an. Unser Atem geht hektisch, Schweißperlen laufen ihm über die Stirn, und auf seiner Lippe erscheint ein dunkelroter Blutstropfen.

»Das hast du verdient«, keuche ich, leider immer noch ein wenig atemlos.

Er flucht vernehmlich, dann lacht er trocken auf. »Wow, Prinzessin, wer hätte gedacht, dass du so leidenschaftlich sein kannst?«

Schlagartig lichtet sich mein vernebelter Verstand. Was bildet der sich eigentlich ein?

Energisch stoße ich ihn von mir und er taumelt nach hinten. Aufgebracht folge ich ihm, aber er weicht meinem Schlag aus und geht auf den großen Spiegel zu.

Seine Mundwinkel zucken, während seine Augen amüsiert blitzen. »Wir werden uns wiedersehen, Prinzessin, das verspreche ich.«

Erbost mache ich einen weiteren Schritt auf ihn zu, als er seine Hand auf den Spiegel legt und von einer Sekunde auf die andere verschwindet, als wäre er nie hier gewesen.

Sprachlos starre ich auf mein Spiegelbild, das eben noch von dem Fremden verdeckt wurde. Wo ist er hin? Ich trete ganz nahe an den Spiegel heran und werfe unsinnigerweise einen Blick dahinter. Anschließend drehe ich mich einmal um mich selbst. Keine Spur von dem Mann. Ich bin allein. Aber das ist unmöglich.

Ich brauche ein paar Minuten, bevor ich mich so weit beruhigt habe, dass ich wieder in mein Bett gehen kann, in dem Rhea weiterhin tief und fest schläft. Das alles fühlt sich vollkommen irreal an. Und wenn nicht die Schrammen an meinem Körper und der fremde Geschmack in meinem Mund wären, würde ich glauben, es wäre nie passiert.

KAPITEL 2

Ich liege mit geschlossenen Augen da und lausche den Geräuschen des anbrechenden Tages. Rhea ist schon wach und schleicht im Zimmer umher. Bedienstete laufen durch die Flure, bleiben vor meiner Tür stehen und flüstern sich etwas zu. Mit einem Satz springt Conan auf das Bett und tapst ungelenk über meinen Bauch. Als sein flauschiges Fell meine Nase kitzelt, muss ich lachen.

»Conan, runter vom Bett!«, ruft Rhea erbost.

Ich streiche ihm liebevoll über seinen runden Körper und genieße, wie er seinen Kopf an meine Wange schmiegt. Rhea sieht mich stirnrunzelnd an, greift sich das Feuerknäuel und setzt es auf den Boden. Conan zieht knurrend ab.

»Endlich bist du wach, Sienna!«, stöhnt meine kleine Schwester, deren rotgoldene Locken in alle Richtungen abstehen, und klettert in das Bett zurück. »Ich warte schon seit Stunden!«

Was natürlich nicht stimmt. Vor nur wenigen Stunden hat sie noch geschlafen, während ich mit einem Fremden im Nebenzimmer gekämpft habe. Die Erinnerungen durchzucken mich, meine Angst, der Kampf, der Kuss. Augenblicklich ist meine Wut auf ihn wieder da und ich frage mich erneut, wie er so plötzlich verschwinden konnte. Und wie er überhaupt in mein Zimmer gelangt ist.

»Hast du gut geschlafen?« Ich schüttele die beunruhigenden Gedanken ab, von denen ich meiner Schwester nichts erzählen will. Rhea kuschelt sich an mich. In ihren Augen erkenne ich den letzten Hauch der Angst, die sie gestern Abend in mein Bett getrieben hat.

»Wie ein Stein«, antwortet sie zufrieden, und ich weiß, dass das stimmt.

Ich fahre ihr mit den Fingern durch ihre langen Haare, die immer noch etwas feucht sind.

»Du hast es wieder gesehen, oder? Gestern Abend, bevor du zu mir gekommen bist?«

Sie wendet den Blick ab und nickt. »Ich habe wieder ihre Schreie um mich herum gehört, ihren Jubel. Sie hatten Stöcke, mit denen sie im Takt getrommelt haben. Und dann habe ich dich gesehen, wie du mitten in einer Arena auf dem Sand gestanden hast. Du warst gefesselt und verletzt. Und niemand hat dir geholfen!« flüstert sie mit brechender Stimme.

Mir läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter.

Rhea ist nicht meine leibliche Schwester. Keiner weiß genau, wer ihre Eltern sind. Meister Taurin stand vor etwa acht Jahren mit ihr, einem nur wenige Tage alten Säugling, im Arm vor unseren Toren und bat uns, gut auf sie aufzupassen. Denn Rhea hat das zweite Gesicht.

»Du musst keine Angst haben«, murmele ich und ziehe sie an mich. »Niemand sagt, dass es wahr wird, was du siehst.«

Sie nickt erneut, aber ich weiß, dass sie nicht überzeugt davon ist. Ich kann nur hoffen, dass ich recht habe. Denn Rhea sieht immer wieder meinen Tod.

»Weißt du, was heute für ein Tag ist?«, versuche ich sie abzulenken. Und es gelingt.

Ein Strahlen breitet sich über ihr gesamtes Gesicht aus. »O ja! Der Schattenprinz kommt heute zu uns. Auch das habe ich gesehen. Er wird eine schwarze Rüstung tragen und dich vor allen Leuten küssen.« Wie goldene Sterne leuchten ihre Augen auf, und auch ich muss lächeln.

»Er wird mich küssen?« Ein aufgeregtes, warmes Kribbeln breitet sich in meinem Innern aus, als ich an Ciaran denke, den Schattenprinzen. Den Dunklen König, korrigiere ich meine Gedanken, da Ciaran mittlerweile König über das Schattenland ist. Ich habe die Tage gezählt, bis er zu uns kommt, und heute ist es endlich so weit.

»Natürlich!« Rhea überlegt einen Moment und zieht dann nachdenklich die Augen zusammen. »Wirst du uns dann bald verlassen?«

»Dich könnte ich nie verlassen, kleine Schwester!« Ich lächle immer noch leicht, und hoffe, dass sie die Lüge nicht bemerkt.

»Aber du wirst ihn heiraten und dann mit ihm ins Schattenland gehen.«

»Das ist richtig. Aber irgendwo werden sie ja wohl einen Platz für kleine, aufmüpfige Mädchen haben«, ziehe ich sie auf und beginne, sie zu kitzeln. Ein kindisches Kichern stiehlt sich über meine Lippen, denn die Tatsache, dass ich bald heiraten werde, macht mich deutlich nervöser als sie.

Rhea schreit auf und versucht, mich wegzuschieben. Wir kugeln über das Bett und werden erst durch ein lautes Hüsteln unterbrochen. Ich lasse von Rhea ab, setze mich auf und steige mit so viel Würde wie möglich aus dem Bett. Dennoch kann ich ein breites Grinsen nicht unterdrücken. Meine Zofe sieht mich strafend an, und ich weiß, was sie mir sagen will.

***

Eine Stunde später schließe ich genervt die Zimmertür hinter mir. Meine Zofe hat ununterbrochen gezetert, aber dafür ganze Arbeit geleistet. Mein goldblondes Haar ist glänzend gebürstet und windet sich in einer aufwendigen Flechtfrisur um meinen Kopf. Die Schramme auf der Stirn hat sie kaschiert und die blauen Flecken an meinen Armen versteckt. Sie hat nicht gefragt, woher diese stammen, sondern nur missbilligend gebrummt.

Suchend schaue ich den Flur vor meinem Zimmer entlang und gehe entschlossen auf einen Soldaten zu, der in einiger Entfernung in einer Nische an der Wand steht. Dass ein fremder Mann letzte Nacht in mein Zimmer eingedrungen ist, lässt mir keine Ruhe, und obwohl mir außer ein paar Schrammen nichts weiter geschehen ist, darf so etwas nie wieder vorkommen.

Der Soldat trägt eine goldene Rüstung, auf der eine große Sonne eingeprägt ist. Das Symbol unseres Landes: das Licht, das über allen erstrahlt. Als ich vor ihm stehen bleibe, sieht er mich durch den Schlitz seines Visiers an, und ich erkenne deutlich die goldenen Sprenkel in seinen Augen. Er ist ein Heller, so wie ich auch. Die Sprenkel kennzeichnen uns. Diese goldenen Pünktchen, die der Fremde nicht hatte.

»Letzte Nacht ist ein Mann in mein Zimmer eingedrungen.« Ich werfe ihm die Worte vor die Füße, meine Schultern sind gestrafft, mein Rücken kerzengerade. Er soll nicht sehen, dass mir bei der Vorstellung, der Fremde könnte erneut in meinen Gemächern auftauchen, mulmig wird.

Die Augen des Soldaten weiten sich überrascht. Entsetzen steht in seinem Blick. »Ist Euch etwas geschehen, Hoheit?«

»Nein! Er hat mir nichts getan.« Das ist glatt gelogen, aber der Soldat muss nicht wissen, dass ich mit dem Fremden gekämpft habe. Dass er mich geküsst hat. Und ich ihn.

»Mir sind keine besonderen Vorkommnisse von letzter Nacht bekannt, Hoheit. Es war die ganze Zeit ein Posten vor Eurer Tür, er hätte sicher bemerkt, wenn sich jemand Zugang zu Eurem Zimmer verschafft hätte.« In seiner Stimme schwingt Angst mit. Es ist der Fehler unserer Soldaten, dass ein Mann unbemerkt in das Zimmer der Prinzessin gelangen konnte, und er weiß, dass irgendjemand dafür die Verantwortung tragen wird.

Meine rechte Hand ballt sich zur Faust, Hitze kriecht über meine Haut. Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte. Ganz im Gegenteil wirft sie neue Fragen auf. Wie zur Hölle konnte der Fremde in mein Zimmer gelangen – und dann einfach wieder verschwinden?

»Höre dich noch einmal um! Und wende dich nur an mich und nicht an die Königin!«, befehle ich ihm.

Er nickt und nimmt wieder Haltung an. Solange Victoria nichts davon weiß, droht ihm keine schwerwiegende Strafe.

Eine Dienerin kommt auf uns zu, ein Tablett mit Obst und Erfrischungen in den Händen. Als sie mich sieht, macht sie einen Knicks und verliert dabei das Gleichgewicht. Die Früchte fallen zu Boden, das Tablett schlägt klirrend auf den Fliesen auf. Bevor ich reagieren kann, kommt mir der Soldat zuvor.

»Sammele das sofort auf und verschwinde!«, fährt er die junge Frau harsch an.

Sie zuckt erschrocken zusammen und kommt eilig der Aufforderung nach. Auf ihrem Gesicht spiegelt sich die pure Angst.

Ich runzele die Stirn, weil mir die Art nicht gefällt, wie der Soldat mit der Frau spricht. Dass die Diener keine gute Stellung im Palast haben, ist nichts Neues, aber die Angst, die offen im Blick der Frau liegt, macht mich stutzig.

Die Dienerin verschwindet, und der Soldat sieht wieder stur geradeaus. Ein beklemmendes Gefühl steigt in mir auf und ich mache mir eine gedankliche Notiz, später Kit danach zu fragen. Doch zuerst will ich zu meinem Vater, ich will nach ihm sehen, bevor der Schattenprinz im Palast eintrifft.

Vor den Gemächern des Königs halten mich zwei Soldaten auf und verweigern mir den Einlass. Nur schwer kann ich einen Fluch zurückhalten. Das kann nicht ihr verdammter Ernst sein.

»Ich möchte zu meinem Vater!«, erkläre ich energisch, die Hände in die Hüften gestützt und mit einem Blick, der jeden Hellen sofort verbrennen würde – hätte ich meine Kräfte bereits. Normalerweise lassen sie mich ohne Umschweife durch, daher weckt ihr Verhalten meine Wut und mein Misstrauen. Ich bin die Tochter des Königs, warum sollte ich nicht zu meinem Vater dürfen? Irgendetwas stimmt nicht.

Die Soldaten zögern. Das ungute Gefühlt nimmt zu. Ich will ihnen erneut befehlen, mich durchzulassen, aber sie gehen beiseite und öffnen die Tür.

Ich trete ein und bleibe nach zwei Schritten erschrocken stehen. Dunkelheit empfängt mich, und die Luft riecht abgestanden. Ein anderer, süßlicher Geruch dringt in meine Nase. Angst überfällt mich. Es riecht nach Verwesung, nach Tod. Schnell mache ich die letzten Schritte zu dem großen Bett in der Mitte des Raumes und wage doch nicht, genauer hinzusehen. Die eingefallene Gestalt, deren Haut ein gräulicher Schimmer überzieht und deren Atemzüge viel zu flach gehen, ist mein Vater.

Tränen schießen mir in die Augen, und nur mit Mühe kann ich sie wegblinzeln. Ich vermisse ihn so sehr. Seit vier Monaten liegt er bewusstlos in diesem Bett, und kein Heiler kann sagen, was ihm fehlt. Mindestens einmal am Tag komme ich in seine Gemächer, um nach ihm zu sehen, und mit jedem Besuch schwindet die Hoffnung ein wenig mehr. Von dem einst so starken, strahlenden Hellen König ist nicht mehr viel übrig, und mit jeder Stunde wird er schwächer. Ich fühle mich so unendlich hilflos, so allein. Erst ist meine Mutter von uns gegangen, und nun könnte ich auch meinen Vater endgültig verlieren. Die Trauer droht mich zu überwältigen, und ich presse fest die Lippen zusammen. Ich muss stark bleiben, anders kann ich ihm nicht helfen.

Entschlossen gehe ich zu den Fenstern und ziehe die dicken Vorhänge zurück. Warum nur sind sie geschlossen? Licht durchflutet den Raum, warme, frische Luft drängt herein und vertreibt die drückende Stimmung und den unangenehmen Geruch. Ich bleibe kurz am Fenster stehen, die Sonnenstrahlen berühren meine Haut. Wärme durchdringt mich, als die Kraft der Sonne und des Lichts auf mich übergeht. In meinem Innersten beginnt etwas zu brennen. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, als die Energie durch mich hindurchpulsiert.

Mein Vater hat mir so oft gezeigt, wie ich die Hitze in meinem Inneren kontrollieren kann. Beinahe täglich hat er mit mir geübt, die Magie in mir zu wecken und einzusetzen. Aber seit er krank ist, habe ich mit dem Training aufgehört. Ich kneife meine Augen leicht zusammen und konzentriere mich. Langsam öffne ich eine Hand. Elektrisierende Energie schießt durch mich hindurch, in meine Handfläche, aber so sehr ich mich auch bemühe, nichts passiert. Die Luft um mich herum flimmert ein wenig, es wird wärmer, aber kein Strahlen schießt aus meiner Hand hervor, kein Lichtball entsteht. Meine Kraft als Lichtprinzessin ist noch nicht vollständig, noch kann ich meine Fähigkeiten nicht richtig nutzen.

Mit einem frustrierten Seufzen drehe ich mich wieder zu meinem Vater hin. Das Licht trifft auf seine eingefallenen Wangen. Seine Haut sieht schon nicht mehr ganz so gräulich aus wie noch vor wenigen Minuten. Ich runzele die Stirn und mache mich schnell daran, auch die anderen Vorhänge zurückzuschieben. Wer hat sie nur zugezogen? Wussten die Soldaten davon und wollten mich deshalb nicht hereinlassen? Jeder weiß doch, dass der Helle König das Licht braucht. Ohne Licht fühlen wir Hellen uns nicht wohl, und unser Körper wird nach und nach schwächer.

Ich versichere mich noch einmal, dass nun alle Fenster offen sind, und gehe dann zum Bett zurück. Sein Atem geht gleichmäßiger, und hinter seinen Augenlidern flattert es leicht. Ich wünsche ihn mir so sehr zurück.

Nach ein paar Minuten wende ich mich wieder ab und gehe langsam nach draußen. Vor der Tür frage ich die Soldaten, wer als Letztes das Zimmer des Königs betreten hat. Ihre Antwort überrascht mich nicht, macht mich aber umso wütender.

***

Je näher ich dem Thronsaal komme, desto größer ist die Betriebsamkeit. Diener tragen schwere Tabletts mit Erfrischungen, ich sehe Frauen mit kleinen Köstlichkeiten und feuchten Tüchern und andere, die tatsächlich Palmwedel unter dem Arm halten. Ich schüttele nur den Kopf angesichts des ganzen Aufruhrs.

Wäre mein Vater gesund, gäbe es diese Veranstaltung überhaupt nicht. Ciaran wäre ohne viel Tamtam in unseren Palast kommen, und wir hätten nie zu einem offiziellen Empfang nur wegen seiner Ankunft geladen. Auch wenn er mittlerweile König des Schattenlandes ist. Aber seitdem Victoria, meine Stiefmutter, das Lichtland regiert, hat sich viel verändert.

Als ich durch eine Seitentür den Thronsaal erreiche, begreife ich erst das Ausmaß des ganzen Theaters. Hunderte Helle, wie wir Bewohner des Lichtlandes genannt werden, drängen sich auf den Rängen an der Seite. Mindestens noch einmal so viele stehen unten im Saal bereit. Ein lautes Stimmengewirr erfüllt die Luft, die vor Anspannung förmlich knistert.

Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich einige Kommunikatoren unter ihnen entdecke. Sie stechen aus der Menge durch ihre Größe heraus, und ihre unheimlichen weißen Augen wandern unruhig umher. Kommunikatoren haben die Fähigkeit, allein durch ihre Gedanken alles, was sie sehen und hören, an andere Orte zu versenden. Somit können Bilder von Großereignissen, wie dieses eines ist, nicht nur in das Lichtland, sondern in jeden Teil unserer Welt projiziert werden. In der gesamten Spiegelwelt versammeln sich Personen auf Plätzen und schauen über eine Spiegelwand zu.

Mir ist das alles suspekt, und ich habe nie ganz verstanden, wie es funktioniert. Meister Taurin hat einmal versucht, es mir zu erklären, aber als er anfing, über Magie und Gegenpole zu sprechen, habe ich aufgegeben.

Ich atme noch einmal tief durch und trete aus dem Türschatten hinaus. Ava kommt mir entgegen. Ihren Mund hat sie zu einer dünnen Linie zusammengepresst, und in ihren Augen steht der blanke Hass. Ich weiß, dass sie mich nicht mag, und dieses Ereignis muss für sie die Hölle sein. Ein wenig Genugtuung durchfährt mich bei dem Gedanken. Ich strecke meinen Rücken durch und zwinge mich zu einem strahlenden Lächeln.

»Du bist zu spät«, zischt mir meine Stiefschwester böse entgegen. Ihr Blick fährt über mein Kleid, wobei sie aussieht, als hätte sie Schmerzen. Unzählige geschliffene Sonnendiamanten sind in mein Gewand eingearbeitet, die den Eindruck erwecken, als würde es strahlen. Als würde ich strahlen. Ich bin erst achtzehn Jahre alt, aber heute wirke ich älter. Und wenn ich Avas Gesichtsausdruck betrachte, verfehlt es seine Wirkung keineswegs. Allein das entschädigt mich für das überflüssige Theater.

»Bei seiner eigenen Veranstaltung kann man nicht zu spät kommen«, kontere ich, und mein Lächeln wird breiter.

Ava zieht nur eine Augenbraue hoch. »Spiel dich nicht so auf! Es geht heute nicht um dich, sondern um Ciaran«, weist sie mich zurecht, obwohl ihr das überhaupt nicht zusteht. »Wärt ihr nicht als Kinder verlobt worden, würde er dich ganz sicher nicht nehmen.«

Ich will ihr antworten, bringe aber keinen Ton heraus. Denn etwas Wahres liegt in ihren Worten. Ciaran und ich haben uns fünf Jahre nicht gesehen. Bei unserem letzten Treffen waren wir fast noch Kinder, und außer ein paar Briefen gab es kaum Kontakt zwischen uns.

»Du bist doch nur eifersüchtig, dass du ihn nicht heiratest«, entgegne ich verzögert, womit ich vermutlich den Nagel auf den Kopf treffe.

Ava schnaubt verächtlich und lässt mich stehen. Ich schüttele trotzig den Kopf – von meiner Stiefschwester werde ich mir diesen Tag nicht verderben lassen. Ein nervöses Flattern macht sich in mir breit, wenn ich daran denke, dass ich Ciaran bald gegenüberstehen werde. Dem Dunklen König, meinem Verlobten. Ob er immer noch so gut aussieht, wie ich ihn in Erinnerung habe? Meine Lippen verziehen sich zu einem echten Lächeln und ich beiße mir nervös auf die Unterlippe. Bei der Göttin, ich benehme mich kindisch! Es ist völlig egal, wie er aussieht. Ich werde ihn heiraten, nur darauf kommt es an. Aber meine Gedanken machen sich selbstständig, und unser letztes Treffen kommt mir wieder in den Sinn.

Wir sind gemeinsam durch den Palastgarten spaziert, und er hat mir von seinem Land erzählt. Ciaran wirkte auf mich damals schon so unglaublich ernst und erwachsen, immerhin ist er fünf Jahre älter als ich. Er hat mich beeindruckt mit seiner Eleganz und Ausstrahlung und seinem Wissen von der Welt. Und ich, das dreizehnjährige Mädchen, das ich nun einmal war, habe mich Hals über Kopf in den strahlenden Prinzen verliebt. Nur er hat meine Träume in den letzten Jahren bestimmt, nur ihn wollte ich immer heiraten. Ich habe es so lange herbeigesehnt, und bald wird es tatsächlich so weit sein.

Eine große Sonne explodiert unter der Decke, und ein leuchtender Funkenregen geht auf die überraschten Zuschauer im Saal herab, die Beifall klatschen. Ich beeile mich, nach vorne auf meinen Platz zu gelangen. Zu spät will ich dann doch nicht sein.

Als ich mich neben die beiden Königsthrone stelle, muss ich erneut schlucken. Der Thronsaal ist prächtig geschmückt, überall glänzt und glitzert es. Soldaten stehen in regelmäßigen Abständen an den Wänden. Ich erkenne einige Gesichter der Gäste: Lady Delanos, Graf und Gräfin Gregoria, der alte Baron Crecyea. Es muss das gesamte Parlament anwesend sein, um sich das Spektakel anzusehen.

Überall im Saal ist Licht, es wird reflektiert, gebrochen und weitergeleitet. Ich glaube, es gibt nicht eine Ecke, die nicht erleuchtet ist. Mir ist klar, was Victoria damit bezweckt. Jedem Anwesenden, jedem Bewohner dieser Welt, egal, ob im Lichtland oder im Schattenland, der vor einer Spiegelwand sitzt, wird gezeigt, wie mächtig wir sind. Wir, die Hellen, sind das Licht, das Strahlen, das sich über alle erhoben hat.

Mein Vater hätte nie zugelassen, dass wir uns so präsentieren. Er war immer darauf bedacht, Gleichheit zwischen den Völkern zu wahren und einander zu helfen. Kein Volk hatte seiner Meinung nach das Recht, sich über ein anderes zu stellen. Aber mein Vater ist nicht hier, er ist nicht länger der mächtige Helle König. Denn über all dem, nur einige Schritte neben mir, thront die Königin. Allein, da mein Vater geschwächt und gebrochen in einem Bett liegt.

Sie dreht ihren Kopf, als sie die leise raschelnde Bewegung meines Kleides wahrnimmt. Ihre kalten, braungoldenen Augen mustern mich von oben bis unten, und ein Frösteln überkommt mich. Sie nickt zufrieden und wendet sich wieder nach vorne. Anscheinend gefällt ihr meine Aufmachung. Ich kann gerade noch ein Schnauben unterdrücken. Ich verabscheue diese Frau.

»Volk des Lichtlandes«, dröhnt ihre Stimme durch den Saal und erreicht auch den hintersten Winkel.

Ich bin mir sicher, dass irgendein Meister ihre Stimme verstärkt, sonst könnte sie niemals so laut sprechen.

»Wir haben uns heute hier versammelt, um einen ganz besonderen Gast in unserem Land zu begrüßen. Schon heute sind die Geschichten um seine Person und vor allem seine Taten legendär. Er hat die Steppenjäger bezwungen, er hat den Kampf gegen das Feuerland gewonnen, und er hat an unserer Seite gegen die Wasserwelt gekämpft.«

Applaus brandet auf, und die Königin reckt ekstatisch ihre Hände zur Decke. So sehr ich ihren Auftritt verachte, merke ich, wie auch ich nervös werde. Ciaran wird gleich hier sein. Ich hätte ihn viel lieber zunächst allein getroffen und nicht vor Tausenden Zuschauern.

»Vor vielen Jahren schon wurde ein Bündnis zwischen unseren Häusern geschlossen. Und heute sind wir glücklicher denn je, dass uns dieses Bündnis einen dauerhaften Frieden bringen wird«, fährt die Königin fort. »Ein Bündnis zwischen Licht und Schatten, das nicht durch Blut und Krieg geschlossen wird, sondern durch etwas, was viel stärker ist – durch Liebe. Eine Hochzeit zwischen unseren beiden Ländern wird uns vereinen und zu etwas machen, was die Spiegelwelt noch nie gesehen hat.« Sie macht eine Pause und dreht sich mir zu.

Ich kann die Anspannung im Saal fühlen und weigere mich innerlich, einen Schritt nach vorne zu tun. Das alles ist mir zu viel. Die Königin faucht mir leise etwas zu, und ein leichter Stoß in meinem Rücken erschreckt mich. Schnell fasse ich mich und trete neben sie. Sie umfasst meine Hand mit ihren kalten Fingern, und mich überkommt der Drang, mich loszureißen und wegzulaufen. Ihre langen Nägel bohren sich in meine Handfläche und hinterlassen ein Brennen. Ihr Blick verspricht weitere Schmerzen, sollte ich nicht gehorchen.

Ich verziehe keine Miene, als ich mein Feuer in meine rechte Hand schicke. Die Königin zischt erschrocken auf und lässt mich sofort los.

Ich hasse Victoria. Von dem Tag an, als sie vor drei Jahren in unserem Palast aufgetaucht ist, wollte ich nichts anderes, als dass sie wieder verschwindet. Sie hat sich nach und nach in unsere Familie gedrängt, hat meinen Vater beeinflusst und dafür gesorgt, dass er meine Mutter und mich vernachlässigt. Daher ist Victoria in meinen Augen schuld an dem Tod meiner Mutter. Victoria hat meinen Vater umgarnt, hat ihm seinen Verstand geraubt, bis er meiner Mutter keine Beachtung mehr geschenkt hat. Nur ihretwegen hat sie sich umgebracht.

Aber jetzt ist sie die Königin, die zweite Frau meines Vaters, und ich habe mich ihr zu beugen. Solange mein Vater noch am Leben ist, regiert sie und nicht ich. Das Einzige, was mir eine gewisse Befriedigung verschafft, ist, dass sie mich braucht. Nicht nur wegen der Hochzeit mit Ciaran.

Ich bin die Lichtprinzessin.

Ich habe das Blut der Sonnengöttin in mir.

Ich bin die Einzige außer meinem Vater, die durch Geburt die allumfassende Macht über das Licht und die Hitze in sich trägt.

Ihre Fähigkeiten sind dagegen nur ein schwacher Abklatsch der meinen, und das weiß sie.

Fanfaren ertönen und lenken meine Aufmerksamkeit auf die großen Türen am Ende des Saals. Es braucht zwei unserer Männer, um sie zu öffnen, und selbst mit vereinter Kraft geben sie nur langsam den Blick auf die Personen dahinter frei.

Weißer Nebel quillt herein, und sofort fällt die Temperatur im Saal um einige Grad. Durch den Nebel schreiten Soldaten hindurch, in weißen Rüstungen, die im Licht glitzern. Wenn mich nicht alles täuscht, sind sie mit einer Eisschicht überzogen. Die Soldaten bahnen sich einen breiten Weg durch die Menge, die respektvoll zurückweicht. Die Hellen stellen sich an den Seiten auf und geben den Weg frei für mehrere kleine Kreaturen, die in blaues Licht getaucht nach vorne fliegen.

Mir stockt der Atem. Ich habe davon gehört, aber noch nie im Leben ein Eislicht gesehen. Diese Kreaturen sind so sagenumwoben wie die Sandwesen, und doch fliegt gerade eine davon auf mich zu. Ich hebe fasziniert die Hand, und es lässt sich darauf nieder. Es sieht ein wenig aus wie eine kleine Elfe, nur dass ein Sturm aus winzigen Schneeflocken um es herumwirbelt. Das kleine Wesen macht einen Knicks, streckt die Arme nach oben und erhebt sich dann zurück in die Lüfte.

Den Eislichtern folgen Tänzerinnen, die sich langsam drehend nach vorne bewegen und neben den Soldaten stehen bleiben. Und dann endlich kommt Ciaran.

Mein Herzschlag beschleunigt sich und ich reiße überrascht die Augen auf, als ich sehe, auf was er reitet. Schwarzer Rauch kommt aus den Nüstern des riesigen Nachtläufers, und Eis bildet sich an jeder Stelle, an der seine Hufe den Boden berühren. Rote Augen zucken umher, und sein schwarzes Fell verschluckt alles Licht, das auf ihn fällt. Dieses Wesen vor mir hat etwas Furchteinflößendes, und gleichzeitig strahlt es eine dunkle Eleganz aus. Meister Taurin hat mir einmal erzählt, dass sich diese Wesen von der Furcht anderer ernähren, und in diesem Moment glaube ich das sofort.

Stolz sitzt Ciaran darauf und schenkt den Hellen um ihn herum keinen einzigen Blick. Er trägt eine dunkle Rüstung mit einem fellverbrämten Umhang. Wie in Rheas Vision. Seine schwarzen Haare hat er zurückgebunden, und auf seiner Stirn erkenne ich einen schmalen schwarzen Reif. Da seine Eltern schon tot sind, ist er der Dunkle König. Es steht ihm zu, eine Krone zu tragen. Er führt seinen Nachtläufer durch den Saal und hält kurz vor dem leicht erhöhten Podest an, auf dem wir warten. Er steigt in einer fließenden Bewegung ab und kommt mit langen Schritten auf uns zu.

Im Saal ist es so still, dass jeder mein laut pochendes Herz hören könnte. Meine Hände sind feucht, und in meinem Magen grummelt es. Er sieht fantastisch aus, edel, Respekt einflößend und erwachsen. Mit einem Mal komme ich mir klein und unbedeutend vor. Obwohl ich das überhaupt nicht bin. Doch die Aufregung schnürt mir förmlich die Luft ab. Ihn werde ich heiraten, seinetwegen sind wir alle heute hier. Wie soll ich ihn bloß begrüßen?

Ciaran bleibt vor der Königin stehen, fällt auf die Knie und küsst ihre Hand. Ich starre sie an. Eifersucht durchzuckt mich. Das Protokoll schreibt vor, dass er zunächst die Königin begrüßt, doch es gefällt mir nicht. Ich bin seine Braut, die fünf Jahre lang auf ihn gewartet hat – nicht Victoria!

Die Königin neigt huldvoll ihren Kopf und Ciaran erhebt sich. Er dreht sich in meine Richtung und seine dunklen Augen finden meine. Schlagartig werden meine Knie weich. Mit einer herrischen Bewegung greift die Königin erneut nach meiner Hand und zieht mich zu sich. Ich stolpere, falle fast hin, bevor ich vor ihm stehen bleibe. Zögerlich nimmt Ciaran meine Hand und verschränkt unsere Finger. Ich lasse es geschehen, habe ich kaum noch Kontrolle über das, was mit mir gerade passiert. Am Rande bekomme ich mit, wie die Königin nach hinten tritt und Ciaran mich zu sich heranzieht.

»Sienna«, sagt er leise, und seine Stimme hat einen dunklen Klang.

»Hal…lo«, krächze ich und verfluche mich selbst für meinen unübertroffenen Einfallsreichtum.

Er neigt seinen Kopf zu mir herunter, da er um einiges größer ist als ich. Ich erstarre. Blicke in seine dunklen Augen, spüre seinen frostigen Atem und will überrascht zurückweichen, aber er hat einen Arm fest um meine Taille gelegt. Eine Sekunde später presst er seine kalten Lippen auf meine.

Mein Herzschlag setzt aus, und ich verstehe immer noch nicht, dass ich ihm jetzt so nahe bin. Tausende Helle sehen uns in diesem Moment zu, sehen, wie wir das erste Mal nach so langer Zeit aufeinandertreffen, sehen, wie wir uns küssen. Er bewegt seine Lippen sanft auf meinen, und ich kann nicht verhindern, dass mich die Erinnerung an einen anderen Kuss durchzuckt. Einen gestohlenen Kuss von letzter Nacht. Ich muss an einen Fremden mit dunkelblauen Augen denken, der nach Regen riecht. Nach Sturm. Mein Körper versteift sich und automatisch lege ich meine Hände an Ciarans Brust und drücke ihn sanft, aber bestimmt von mir. Ich will das so nicht. Es fühlt sich nicht richtig an. Ich will diesen intimen Moment nicht mit der ganzen Welt teilen. Diesen Moment, der nur uns gehören sollte – es aber nicht tut.

Der Dunkle König löst sich abrupt von mir und schaut mich verwundert an. Dann verzieht er seinen Mund zu einem Lächeln, von dem ich nicht sagen kann, ob es zufrieden oder missbilligend ist. Er tritt einen Schritt zurück und reckt unsere immer noch verschlungenen Hände nach oben.

Der Jubel, der jetzt im Saal losbricht, ist ohrenbetäubend. Es ist alles eine Inszenierung, wird mir in diesem Moment klar, als ich mir der Zuschauer um uns herum wieder bewusst werde. Eine gut inszenierte, abgeklärte Aufführung, um auch den letzten Bewohner der Spiegelwelt von unserer Macht und unserem Einfluss zu überzeugen. Wir zeigen Einigkeit und Stärke, auch wenn es in Wahrheit nicht so ist.

Mein Lächeln wird ein wenig verbissen, und ich merke, wie Ciaran meine Hand drückt.

»Wir haben es gleich geschafft«, raunt er mir zu, als wir gemeinsam ein paar Schritte nach hinten machen.

Die Königin baut sich wieder vor uns auf, genießt sichtlich den Jubel und die Euphorie, die in diesem Moment nicht ihr gelten.