Die Rückkehr zur Spiegelwelt (Die Spiegelwelt-Trilogie 2) - Izzy Maxen - E-Book

Die Rückkehr zur Spiegelwelt (Die Spiegelwelt-Trilogie 2) E-Book

Izzy Maxen

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Beschreibung

»Ich bin dein Licht, du bist meine Dunkelheit. Wir brauchen einander, wie der Tag die Nacht braucht.« Seit den dramatischen Ereignissen in der Spiegelwelt ist Sienna am Boden zerstört. Einzig der mysteriöse und gefährlich attraktive Thy hält noch zu ihr. Er ist es, der nun in der Menschenwelt an ihrer Seite steht und ihr dabei helfen will, die alles verändernde Prophezeiung zu verhindern. Auf ihrer gemeinsamen Reise kommen Sienna und Thy sich immer näher. Bis sie bei ihrer Rückkehr in die Spiegelwelt feststellen müssen, dass dort ein alter Feind auf sie wartet: Der Mann, dem Sienna einst ihr Herz geschenkt und der sie auf schlimmste Weise verraten hat … Bist du bereit, für das Wohlergehen einer gesamten Welt alles aufs Spiel zu setzen – auch dein Leben? //Dies ist der zweite Band der magisch-romantischen »Spiegelwelt«-Trilogie. Alle Bände der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Die Prophezeiung der Spiegelwelt (Die Spiegelwelt-Trilogie 1) -- Die Rückkehr zur Spiegelwelt (Die Spiegelwelt-Trilogie 2) -- Das Orakel der Spiegelwelt (Die Spiegelwelt-Trilogie 3) (erscheint im Oktober 2022)//

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Seitenzahl: 374

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Izzy Maxen

Die Rückkehr zur Spiegelwelt

»Ich bin dein Licht, du bist meine Dunkelheit. Wir brauchen einander, wie der Tag die Nacht braucht.«

Seit den dramatischen Ereignissen in der Spiegelwelt ist Sienna am Boden zerstört. Einzig der mysteriöse und gefährlich attraktive Thy hält noch zu ihr. Er ist es, der nun in der Menschenwelt an ihrer Seite steht und ihr dabei helfen will, die alles verändernde Prophezeiung zu verhindern. Auf ihrer gemeinsamen Reise kommen Sienna und Thy sich immer näher. Bis sie bei ihrer Rückkehr in die Spiegelwelt feststellen müssen, dass dort ein alter Feind auf sie wartet: Der Mann, dem Sienna einst ihr Herz geschenkt und der sie auf schlimmste Weise verraten hat …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Triggerwarnung

© Sarah Kastner Fotografie

Izzy Maxen lebt mit ihrer Familie in Süd-Hessen. Seit 2017 veröffentlicht sie Liebesgeschichten und romantische Fantasy-Romane. Sie hat Germanistik, Buchwissenschaften und Geschichte studiert. Seit Mai 2021 ist sie als freie Lektorin tätig. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten mit ihrer Familie und ihren Freunden. Sie liebt es zu reisen, neue Städte und Menschen kennenzulernen und ist großer Fan echter Rockmusik.

VORBEMERKUNG FÜR DIE LESER*INNEN

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Izzy Maxen und das Impress-Team

DIE PROPHEZEIUNG

Ein Blick in den Spiegel, in eine andere Welt,

ein Volk rebelliert, sie alle stellt.

Der Silberne Krieg bringt Elend und Tod,

vernichtet sie alle, bis das Licht sich erhebt.

Ein Friede geschlossen, ein trügerisch’ Bild,

die Welt vor dem Abgrund, sie alle verschlingt.

Ein Spiegel bringt Wahrheit, Erkenntnis dringt vor,

ein Volk, das verloren, kommt wieder empor.

Tod und Zerstörung für Schatten und Licht.

Die Spiegelwelt wird untergehen:

Folgt Eurer Pflicht!

Nur ein Bund kann sie retten, im Zeichen der Vier,

um Einklang zu bringen wie Hunderte Jahre zuvor.

TAGEBUCHEINTRAG VON TYRONE

Frühjahr im Jahre 1100 (2. Jahr des Leuchtenden Friedens) // 1993 in der Menschenwelt

Mein Vater ist tot. Lucan, der Weiße König, hat es mir gesagt, nachdem er mich gefangen genommen hatte. Somit bin ich der letzte lebende Sturmprinz in der Spiegelnden Welt. Der letzte Graue, der durch die Welten springen kann, und der letzte Nachfahre des Grauen Königs, der das silberne Schattenlicht hütet. Die Verantwortung, die damit auf mir lastet, bringt mich fast um.

Es grenzt an ein Wunder, dass ich Lucan entwischt bin. Aber der Trottel hat unterschätzt, dass selbst eine winzige Spiegelscherbe, versteckt im Medaillon meiner Mutter, ausreicht, um an einen anderen Ort zu springen. Ich habe zunächst das silberne Schattenlicht geholt. Er hatte es noch nicht einmal sonderlich gut versteckt. Es war ein Kinderspiel, es aus seiner Schatzkammer zu stehlen. Man merkt, dass die Weißen keinerlei Erfahrung in Kriegsdingen haben – sie verschanzen sich hinter ihrem Nebel und wiegen sich dort in Sicherheit.

Jetzt bin ich in dieser fremden Welt. Ich war zwar schon ein paar Mal hier, vor allem, um mir einige ihrer technischen Erfindungen anzuschauen. Aber diesmal ist es etwas anderes. Denn ich muss bleiben. In meiner Welt werden mich die anderen Könige jagen bis ich tot bin. Der Gedanke behagt mir nicht, und ich weiß nicht, was ich hier tun soll. Ich kenne niemanden, verstehe die Art der Menschen zu leben nur bedingt und habe keine Idee, wie ich hier langfristig überleben soll. Ich kann nur hoffen, dass ich jemanden finde, der mir weiterhilft.

PROLOG

An einem fremden Ort zu einer anderen Zeit …

Hart prasseln Wassertropfen gegen die Scheibe des Dachfensters, hinterlassen eine vertraute Musik, während der Geruch nach Regen durch die offene Balkontür dringt. Es ist warm im Zimmer, sodass sich innerhalb von Minuten ein dünner Schweißfilm auf meiner nackten Haut bildet.

Ich atme zitternd aus, will Emily nicht wecken, deren leises Seufzen meine rechte Schulter kitzelt. Aber in mir tobt ein Sturm. Aus Gefühlen, Empfindungen, aber vor allem aus Schmerz. Die letzten Stunden waren der Wahnsinn, und immer noch klingt die matte Befriedigung, die Emily in mir ausgelöst hat, in meinem Körper nach. Doch das hat mich nicht aus dem Schlaf gerissen.

Ich drehe mich auf die Seite, sehe hinaus. Ich mag Regen und das beruhigende Geräusch, das von ihm kommt. Aber ich mag auch Stürme mit Gewittern und peitschenden Winden, die grenzenlos und frei über das Meer und den Strand toben, der sich direkt hinter unserem Haus befindet.

Wieder zuckt ein beißender Schmerz über meinen Rücken, brennt eine reißende Spur aus Feuer und Eis hinein. Es fühlt sich an, als würde jemand meine Haut abziehen. Scheiße, was ist das?

Keuchend krampfe ich mich zusammen, presse die Faust auf meinen Mund, damit ich nicht laut aufschreie. Scharfe Stiche schießen von meinem Rücken aus durch meinen Körper, nehmen mir den Atem und lassen mich nun doch verzweifelt brüllen.

Übelkeit kriecht meine Speiseröhre hinauf, lässt mich würgen. Verdammt!

Polternd falle ich von der Matratze, krieche auf Händen und Füßen in Richtung Badezimmer. Es ist schon ein Wunder, dass Emily nicht wach wird, aber sie liegt nach wie vor im Bett, ohne nach mir zu sehen.

Der Schmerz macht mich blind. Immer wieder breche ich krampfend zusammen und würde am liebsten ein weiteres Mal laut schreien. Aber ich presse tapfer die Lippen aufeinander, denke an meine Mum, die im Zimmer neben uns schläft. Ich will sie nicht beunruhigen, auch wenn ich immer weniger verstehe, was mit mir los ist. Das kann keine normale Reaktion auf das erste Mal sein.

Duschen, schießt es durch meinen Kopf. Vielleicht hilft kaltes Wasser, das Brennen auf meinem Rücken zu lindern. Ich robbe ins Bad, bleibe keuchend liegen. Eine weitere Welle tost über mich hinweg, lässt mich erneut die Augen schließen. Ich fluche das ganze Alphabet an schmutzigen Schimpfwörtern herunter. Die Zähne zusammengepresst, ziehe ich mich am Waschbecken hoch, kralle meine Hände um den kalten Rand des Porzellanbeckens und atme.

Zu mehr bin ich nicht in der Lage. Blinzelnd öffne ich die Augen, erkenne mich selbst im Spiegel mir gegenüber. Erschrocken keuche ich auf. Scheiße, was ist das denn?

Meine braunen kurzen Haare kleben an meiner Stirn, Schweiß läuft mir übers Gesicht. Doch meine Augen, die eigentlich blau sind, strahlen mir wie silberne Sterne entgegen. Panik wallt durch mich hindurch, lässt meinen Körper erzittern. Immer wieder schlucke ich die Übelkeit hinunter, während ich unverwandt mein Spiegelbild anstarre. Das kann nicht sein. Das alles, was gerade geschieht, kann einfach nicht wahr sein. Ich habe keine silbernen Augen, meine sind blau. Es gab nur einen Menschen, der solche Augen hatte – und der ist schon sehr lange tot.

Ein erneuter Schmerz schießt meine Wirbelsäule hinauf, explodiert in meinem Kopf, und diesmal kann ich nicht verhindern, dass ich schreie. Meine Hände verlieren ihren Halt, mir wird schwindelig. Ein weiterer Schrei kommt aus meiner Kehle, aber ich höre nichts mehr, sehe nichts mehr, fühle nur noch den unbändigen Schmerz, der in meinem Körper tobt. Panisch schlage ich um mich, als mich eine weitere Welle nach vorne wirft und meine rechte Hand auf dem Spiegel landet.

Von einer Sekunde auf die andere ist der Schmerz verschwunden. Und um mich herum ist es still.

Ich öffne zitternd die Lider, blicke in meine silbernen Augen, als mich unerwartet ein kräftiger Sog packt. Ich habe das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Erneut verliere ich den Halt, aber ich falle nicht. Schreie dringen aus meinem Mund, denn mein Körper wird in Tausend Teile zerrissen. Zumindest fühlt es sich so an. Kälte drückt auf mich ein, Schwärze macht mich blind, und immer mehr habe ich das Gefühl zu fallen. Mein Körper wird herumgeschleudert, irgendetwas Scharfes reißt an ihm, harte Splitter dringen in ihn ein. Blind taste ich um mich, schreie, so laut ich kann.

Wieso hört mich Emily nicht? Oder wenigstens meine Mum?

Die Kälte nimmt mir den Atem, und ich habe das Gefühl, zu ersticken. Meine Hände legen sich um meinen Hals, panisch ringe ich nach Luft, aber in dieser verdammten Schwärze um mich herum kann ich immer noch nichts erkennen.

Plötzlich knalle ich unsanft auf den Boden, falle auf meine Knie und kann mich gerade noch mit meinen Händen abfangen. Die Schwärze vor mir reißt auf, trübes Licht flutet über mich hinweg, Regen trifft auf meine Haut. Unbändiger Schmerz wütet in meinem Kopf, und ich erbreche mich heftig in das Gras – Gras? – zwischen meinen Händen.

Eine ganze Weile realisiere ich nichts anderes als die Übelkeit, die mein Inneres nach außen kehrt. Erst langsam beruhige ich mich, bis ich irgendwann zusammenbreche und mich mit letzter Kraft auf die Seite werfe. Mit geschlossenen Augen drehe ich mich auf den Rücken, mein donnernder Herzschlag dröhnt in meinen Ohren, und der Regen prasselt unentwegt auf mich herab. Mein Körper fühlt sich an, als wäre ich von einem LKW überrollt worden, und in meinem Kopf ist nichts als beängstigende Leere.

»Hey, Mann, geht es dir gut?«

Erschrocken reiße ich die Augen auf. Vor mir steht ein junger Mann in einer schwarzen Lederkluft, der stirnrunzelnd auf mich herabblickt. Seine schwarzen kinnlangen Haare locken sich feucht glänzend um seinen Kopf, und seine graubraunen Augen mustern mich eindringlich. »Ist alles in Ordnung bei dir?«

Ich starre ihn an wie einen Geist. Wo ist der Kerl bloß hergekommen? Die Panik kocht erneut in mir hoch, und hektisch krieche ich rückwärts von ihm weg. Meine Füße finden kaum Halt in dem durchweichten Gras, sodass ich ein ziemlich erbärmliches Bild abgeben muss. Der Fremde macht keine Anstalten mir zu folgen.

Meine Gedanken überschlagen sich, als ich kurz innehalte. Wo zur Hölle bin ich? Und wer ist der Typ? Mit letzter Kraft werfe ich mich herum, komme zitternd auf die Beine und renne los. Ich schaue nicht nach hinten. Keine Ahnung, ob der Kerl mir folgt oder nicht, ich will einfach nur noch weg. Der verdammte Regen lässt mich blinzeln, und ich erahne die Wände, die jetzt um mich herum auftauchen, mehr, als dass ich sie tatsächlich sehe. Meine Hände prallen gegen Stein, fahren hektisch eine Mauer entlang, auf der Suche nach einem Ausgang. Ich wende mich nach links, vorbei an zerbrochenen Fenstern, bis zu einer mannshohen Öffnung in der Wand. Blind laufe ich darauf zu, nehme nebenbei wahr, wie Splitter in meine nackten Füße schneiden.

»Hey, bleib stehen!«

Der Fremde muss dicht hinter mir sein. Ich stürze durch die Öffnung und stoppe abrupt, keuchend. Vor mir erhebt sich zu allen vier Seiten eine graue Steinwand mehrere Stockwerke hoch. Es ist dunkel, nur das diffuse Licht vom Himmel über mir erhellt den Raum ein wenig. Meine Muskeln spannen sich an, ich balle meine Hände zu Fäusten. Mein Herzschlag rast in meiner Brust, aber ich zwinge meinen Atem zur Ruhe. Die Panik flackert immer noch hell in meinem Körper, doch ich lasse nicht zu, dass sie mich erneut überrumpelt. Ich habe nur eine einzige Chance. Nur einen einzigen Schlag, ihn zu überraschen. Und der muss sitzen.

Erst jetzt fällt mir auf, dass der Schmerz aus meinem Körper verschwunden ist und sich mein Rücken vollkommen unversehrt anfühlt. Was immer passiert ist, was immer die Ursache dafür ist, dass ich gerade diesen Wahnsinn erlebe – es muss eine logische Erklärung dafür geben.

Das leise Knirschen zertretener Scherben verrät ihn. In Sekundenschnelle drehe ich mich herum, hebe meinen rechten Arm und lasse meine Faust nach vorne fliegen. Doch so schnell ich auch bin, der Fremde ist schneller. Er duckt sich zur Seite, sodass ich von meinem eigenen Schlag nach vorne gerissen werde und stolpere. Meine Knie schlagen hart auf, als ich falle, aber ich spüre den Schmerz nicht. Erneut will ich aufspringen, doch eine kräftige Hand legt sich auf meine Schulter.

»Ruhig, ich will dir nichts tun.« Der Fremde hat eine beruhigende dunkle Stimme, und erst jetzt fällt mir auf, dass er irgendwie anders spricht. Ich verstehe ihn, aber trotzdem klingt die Sprache seltsam in meinen Ohren.

»Mein Name ist Kit. Weißt du, wo du bist?«

Es irritiert mich, dass er so ruhig mit mir spricht. Und noch mehr, was er sagt. Langsam schüttele ich meinen Kopf. Ich will ihm nicht antworten und ihm durch meine zitternde Stimme verraten, dass ich deutlich mehr Angst habe, als ich vorgebe.

Seine graubraunen Augen mustern mich. Er ist in die Knie gegangen, sodass sein Kopf auf derselben Höhe ist wie meiner. Er kann kaum älter sein, als ich es bin. Sein Blick geht an meinem Kopf vorbei, zu der Hand, die immer noch auf meinem nackten Rücken liegt. Ich zucke kurz zusammen, als er mit einem Finger vorsichtig über meine Schulter fährt und dann langsam nach unten gleitet, als würde er einer unsichtbaren Spur folgen. Meine Nackenhaare stellen sich auf, und unwillkürlich verspannt sich mein ganzer Körper.

»Lass das!«, knurre ich dunkel, und meine Angst weicht einer brodelnden Wut. Was fällt dem ein, mich so zu berühren?

In den Augen des Fremden blitzt etwas auf. Und eine Sekunde lang könnte ich schwören, dass es Hoffnung ist. Aber dann verzieht er seinen Mund zu einem spöttischen Grinsen, und der Eindruck ist verschwunden. »Willkommen in der Spiegelnden Welt, Sturmprinz.«

TAGEBUCHEINTRAG VON TYRONE

Herbst im Jahre 1104 (2. Jahr des Leuchtenden Friedens) // 1994 in der Menschenwelt

Livia ist wundervoll. Sie ist das größte Glück, das mir in meinem Leben je widerfahren ist, und ich bin dem Unsichtbaren Gott immer noch dankbar, dass ich sie getroffen habe. Sie hat mich bei sich aufgenommen und gestattet mir, bei ihr im Gästezimmer zu wohnen. Dafür helfe ich ihrem Bruder in der Werkstatt und repariere alle möglichen Maschinen mit ihm. Glücklicherweise hatte ich schon immer ein großes Interesse für Technik, sodass es mir keine Mühe bereitet, mich zurechtzufinden.

Seit ein paar Tagen habe ich immer wieder Kopfschmerzen. Sie kommen ganz plötzlich und verschwinden meist nach ein paar Stunden wieder. Danach fühle ich mich merkwürdig, fast schwach. Vielleicht sollte ich zu einem Arzt gehen. Ich befürchte nur, dass mir niemand in dieser Welt weiterhelfen kann.

KAPITEL 1

Ich sehe nichts, fühle nichts anderes als Schmerz. Kälte hüllt mich ein. Schwarze Krater reißen an meiner Haut, lassen mich bluten, doch mein Schrei verhallt tonlos im dunklen Nichts. Jemand umfasst meine Taille, drückt mich an sich. Mein Körper ist zu taub, um zu verstehen, um zu begreifen, was um mich herum passiert. Ich höre leise Worte an meinem Ohr, dennoch zu weit weg, um sie zu verstehen. Ich ersticke, bekomme keine Luft mehr.

Eine Hand legt sich um meinen Hinterkopf, drückt mich gegen einen Körper. Wärme dringt in mich ein, lässt mich Luft holen. Die Kälte sticht in meinen Lungen, und erneut muss ich schreien. Dann sehe ich Licht. Helles, goldenes Licht flutet über mich hinweg, Strahlen, die meinen geschundenen Körper wärmen. Ich bin zu schwach, um zu lächeln, um mich zu freuen, doch Glück strömt wie eine heiße Quelle durch mich hindurch. Dankbar schließe ich die Augen, aber das Licht bleibt. Ich strecke meine Hand aus, will danach greifen. Stattdessen werde ich nur noch fester gepackt. Und da verstehe ich, was gerade geschieht. Ich sterbe. Dankbar wende ich mich dem Licht zu, halte die Tränen nicht länger zurück, die hinter meinen Augen brennen, und lasse den Schmerz los, der immer noch in meinem Körper tobt.

Ciaran. Vater. Rhea.

Sie alle habe ich verloren, daher ist es nur gerecht, dass ich folge.

Etwas Hartes knallt gegen meinen Kopf, wirft ihn herum. Es ist mir egal, ich habe keine Kraft mehr. Der nächste Schlag folgt. Und noch einer. Das Licht um mich herum flackert, verliert seine goldene Kraft. Ich hebe meinen Arm, will die Schläge aufhalten und habe doch keine Chance. Das Licht verschwindet, und mit ihm kommt die Dunkelheit. Die schwarze, träge Nacht um mich herum macht mich erneut blind, doch tief in meinem Inneren erwacht etwas. Etwas, das ich vergessen glaubte, das ich in den letzten Tagen aufgegeben hatte. Leise schießt glühende Wut durch meinen Körper, brennt in meinen Adern. Wärme kitzelt in meinen Fingerspitzen, weckt mein Feuer, das kribbelnd über meine Haut rennt.

Den nächsten Schlag wehre ich ab.

Ein leiser Pfiff ertönt. Erschrocken reiße ich die Augen auf.

Blau. Blau wie der Ozean, blau wie der Himmel im Winter. Ich verstehe nicht, wo ich bin, aber ich stelle fest, dass ich liege und Thys Gesicht nur Zentimeter über meinem schwebt.

»Okay, du bist wach. Ich wollte nur sichergehen, dass ich dich unterwegs nicht verloren habe. Ruhe dich aus!«

Er richtet sich zu seiner vollen Größe auf, sieht von oben auf mich herab. In seinen tiefblauen Augen spiegelt sich der goldene Schein einer Lampe, der ihnen einen funkelnden Glanz verleiht. »Willkommen in meiner Welt, Lichtprinzessin.«

Eine Sekunde schaue ich ihn an, begreife nicht, was er sagt, bevor die Dunkelheit erneut über mir zusammenbricht und mich mit sich reißt.

***

Ciarans kühle Lippen pressen sich auf meine. Kälte durchdringt meine Haut, kriecht durch meinen Kopf, in meinen Verstand. Er tut mir weh. Panisch reiße ich die Lider auf, sehe nichts als seine undurchdringlichen schwarzen Augen. Angst, Erbarmungslosigkeit und Tod stehen darin. Eine Warnung. Ich gehöre ihm, nur ihm.

Ein Schrei löst sich aus meinem Mund, angsterfüllt will ich ihn von mir schieben, mich gegen ihn wehren. Aber meine Hände greifen ins Leere, finden keinen Halt, und hilflos stolpere ich nach vorne. Ich falle, schlage hart auf dem Boden auf, und ein stechender Schmerz schießt durch mich hindurch. Panisch hebe ich den Kopf. Zerrissene Körper liegen vor mir, gefrorenes Blut spiegelt sich auf den blank polierten Marmorfliesen. Der Ballsaal, die Verlobung, das Massaker … Mein Herz rast, mein eigener Schrei klingt dumpf in meinen Ohren. Kein Meter von mir entfernt steht Ciaran, der Dunkle König, mein Ehemann. Er sieht auf mich herab, aus schwarzen Augen, in denen nichts als Kälte flackert. Langsam neigt er den Kopf und verzieht seinen Mund zu einem abfälligen Lächeln. Ich starre ihn an, unfähig, mich zu bewegen. Die Fliesen unter meinen Händen werden kälter, und glitzerndes Eis überzieht ihre Oberfläche, über die langsam schwarzer Nebel wabert.

»Warum, Ciaran?« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Krächzen. Ich erkenne mich selbst kaum.

Er sieht mich mit einem abgrundtief bösen Funkeln in seinem Blick an und hebt langsam die Hand. »Weil du mir gehörst, Sienna!«

Ich schreie. Schreie, so laut ich kann, aber weiß doch, dass ich gegen ihn keine Chance habe. Meine Glieder gehorchen mir nicht mehr, sind längst festgefroren auf dem eisigen Untergrund. Mein Körper zittert, meine Atmung überschlägt sich. Ich verliere mich in meinen Schreien, Panik und Angst brechen über mir zusammen. Und um mich herum ist plötzlich nichts als undurchdringliche, kalte Dunkelheit.

»Sienna, wach auf!« Arme halten mich fest, ein warmer Körper drückt mich an sich. »Beruhige dich, er kann dich hier nicht finden.« Besänftigende Worte dringen an mein Ohr, während Hände zart über mein Gesicht fahren.

Die Dunkelheit um mich herum zerbricht, mein Körper hört langsam zu zittern auf. Mein Atem normalisiert sich, aber immer noch fühle ich den Nachklang der Angst in mir. Und die Müdigkeit, die an meinen Gliedern zerrt.

»Thy …« Eine fremde Stimme sagt etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe.

Wo bin ich?

»Hier, trink das.« Etwas Feuchtes berührt meine Lippen. Ich öffne den Mund, schlucke die warme Flüssigkeit, die angenehm meine trockene Kehle hinabrinnt. Das Trinken kostet mich all meine Kraft, und mit jedem Schluck nähert sich die Dunkelheit bereits wieder.

»Ciaran.« Meine Stimme ist so leise, dass ich mich selbst kaum höre. Aber allein der Name schickt eiskalte Wogen durch meinen Körper und lässt mich erzittern. Und doch ist da etwas in mir, das mein Herz sich schmerzhaft zusammenziehen lässt.

Ciaran ist mehr als nur Kälte und Angst. Er ist mein Ehemann, mein Freund. Er war der erste Junge, dem ich mein Herz geschenkt habe und den ich heiraten wollte. Ich habe ihn geliebt. Tue ich es noch? Ich weiß es nicht.

»Du bist mein Licht«, hat er einmal gesagt. Und er ist meine Dunkelheit. Hell und Dunkel, zwei Seiten, die ohneeinander nicht können. Tief in mir drin – nicht mehr als ein eiskalter Windhauch in meinem Kopf – kann ich ihn spüren. Durch unsere magische Verbindung, die während der Hochzeitszeremonie geknüpft wurde und die mich wissen lässt, was er fühlt, wie es ihm geht. Diese Verbindung hat mich völlig unvorbereitet getroffen. Denn weder meine Eltern noch Meister Taurin haben jemals etwas Derartiges erwähnt. Doch seit sich unser Blut vermischt hat, ist er immer bei mir. Und ich bin bei ihm.

»Ich … muss zu ihm.« Das Sprechen schmerzt, und mit aller Kraft versuche ich, meine Augen zu öffnen. Eine Hand drückt mich zurück in die Decken, fährt mir vorsichtig über das Gesicht. Blinzelnd erkenne ich eine Frau über mir. Wer bist du?, will ich fragen, aber der Gedanke verhallt in dem dunklen Nichts um mich herum.

***

Als ich aufwache, ist es dunkel. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich realisiere, dass ich nicht weiß, wo ich bin. Das hier ist nicht mein Zimmer. Es ist nicht der Palast in Sonnensee. Als ich den Gedanken weiterspinne, überzieht eine unangenehme Gänsehaut meinen Körper. Das hier ist noch nicht einmal meine Welt.

Das Nächste, was mir bewusst auffällt, ist ein unbekannter Duft. Die Luft in den Lichtlanden ist trocken, heiß, und meist ist da ein leichter Brandgeruch. Was ich hier einatme, ist feuchter, schwerer, und ich kann nicht zuordnen, was genau ich da wahrnehme.

Ich erkenne nur Schemen, aber es reicht, um zu verstehen, dass ich in einem fremden Zimmer liege. Links neben mir ist eine Tür, rechts gibt eine Glaswand den Blick nach draußen preis. Das Glas ist so klar, wie ich es nie zuvor gesehen habe, nicht einmal in Häusern im Schattenland, wo es Menschen in ihre Fenster einsetzen, um sich vor der Kälte zu schützen. Dass es Glas sein muss, erkenne ich auch nur deshalb, weil Tausende Wassertropfen eine glitzernde Spur nach unten ziehen. Fasziniert schaue ich den Regentropfen eine Weile zu, bewundere ihre Anmut und ihren Glanz. Regen ist für jeden Hellen etwas Besonderes. Ich habe ihn erst wenige Male erlebt.

Langsam hole ich Luft, presse die Augen zusammen, bis ich grelle Blitze sehe. Dann reiße ich sie abrupt wieder auf und setze mich auf. Wie lange liege ich schon hier?

Alles dreht sich, und ich bin kurz davor, wieder zurückzusinken. Aber ich darf nicht länger schwach sein. Ich habe jahrelang mit Kit das Kämpfen geübt. So oft hat mein Freund mich auf die Matte geschickt, mir blaue Flecken zugefügt, und trotzdem bin ich immer wieder aufgestanden. Da zwingt mich so ein kleiner Schwindel nicht zurück ins Bett. Auch wenn er diesmal nicht von einem Kampf herrührt, sondern von der zehrenden Leere, die immer noch in meinem Körper herrscht.

Die Zähne zusammengebissen, schiebe ich die dicke Decke zurück und stelle meine Füße auf die kühlen Holzdielen, die eine Gänsehaut über meine Haut schicken. Noch einmal atme ich tief durch, um dann entschlossen aufzustehen. Erneut taumele ich leicht, aber mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten kämpfe ich dagegen an. Erst als ich mich halbwegs sicher fühle und glaube, nicht zusammenzubrechen, öffne ich meine Lider wieder und gehe mit wackeligen Beinen auf die hohen Glasscheiben zu.

Unaufhörlich treffen Regentropfen darauf, bilden eine glitzernde Wand, so als wollten sie mich warnen, den letzten Schritt nicht zu gehen. Aber ich habe lange genug gelegen, jetzt will ich vor allem eines: nach draußen.

Suchend fährt mein Blick die Scheibe entlang, dann entdecke ich einen Hebel, mit dem ich nach wenigen Versuchen die Glastür öffnen kann. Ich schiebe sie zur Seite, mache einen Schritt auf die Terrasse hinaus, und sofort treffen Wassertropfen meine nackte Haut. Ich trage ein knielanges Hemd, aber meine Arme und Beine sind unbedeckt.

Der unbekannte Geruch lässt mich innehalten, er sticht in meiner Nase, und ich muss niesen. Doch nach einem kurzen Moment habe ich mich daran gewöhnt und nehme ihn kaum noch wahr. Die Regentropfen kitzeln auf meiner Haut, hinterlassen nasse Spuren, und die feuchte Nachtluft bringt mich zum Frösteln. Ich bin eine Helle, ich brauche das Licht und die Wärme. Dunkelheit und Regen sind beides Elemente, in denen ich mich nicht besonders wohlfühle.

Noch nie kam ich mir so fremd vor, noch nie so allein. Ich bin in einer Welt, in die ich nicht gehöre. In der ich eigentlich nicht sein dürfte. Eine Welt, von deren Existenz ich vor ein paar Wochen noch nicht einmal wusste. Und doch bin ich hier.

Weil ich die Königin getötet habe.

Weil Victoria, ihr Geist – ihr Wesen –, jetzt im Körper des Hellen Königs des Lichtlandes steckt, und sie meinen herzensguten Vater Xentos Calaido, den ich so vermisse, lenkt.

Weil der Dunkle König Ciaran Aegoron, mein Ehemann, unsere Liebe verraten und zugelassen hat, dass ich hingerichtet werden sollte.

Weil Thy, der Verräter, mich gerettet hat.

Weil ich in meiner Welt sterben soll.

Der Schmerz kommt so unerwartet, dass ich mich nicht gegen ihn wappnen kann. Er bricht aus meinem Herz hervor, zerreißt mich und zwingt mich in die Knie. Tränen laufen über meine Wangen und vermischen sich mit dem Regen auf meiner Haut. Mein Trotz, meine glühende Wut und meine Stärke verschwinden mit ihnen, verlaufen sich in einer trostlosen Spur auf dem Boden.

Ich lasse hoffnungslos den Kopf hängen, presse mir eine Hand auf den Mund, um meine schmerzvollen Schreie zu ersticken. Kälte und Nässe hüllen mich ein, aber ich wehre mich nicht länger dagegen. Ich habe es nicht anders verdient. Ciaran. Meine kleine Schwester Rhea. Mein Vater. Sie alle sind verloren, weil ich sie nicht retten konnte. Weil ich zu schwach war. Ich verliere mich im Regen, mit jedem Tropfen ein Stückchen mehr. Und ich lasse es zu. Ich bin nicht länger die Lichtprinzessin.

***

»Sienna!«

Eine Stimme, fremd und zugleich vertraut, zerrt an meinen Nerven. Jemand sagt meinen Namen, weit weg und doch überraschend nahe. Die kalte Dunkelheit hält mich fest, will mich nicht loslassen, aber die fremde Stimme packt mich und zieht mich mit sich. Es wird heller um mich herum, wärmer, bis ich plötzlich die Augen aufreiße.

Das Erste, was ich erkenne, ist Licht. Helle Sonnenstrahlen, die durch die Glastüren hereinscheinen, mich blinzeln lassen und mir beinahe die Tränen in die Augen treiben. Ich drehe den Kopf und fahre erschrocken zusammen. Links neben mir, auf der Kante des Bettes, sitzt eine fremde Frau. Wie bin ich zurück ins Bett gekommen? Ich erinnere mich nur noch an meinen Zusammenbruch draußen auf der Terrasse, der Rest der Nacht ist wie ausgelöscht.

»Sienna …« Sie hat eine freundliche, klare Stimme, aber ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagt. Stattdessen starre ich sie einfach nur an. Sie dürfte etwa fünfzig Jahre alt sein, trägt einen hellen Pullover und eine ungewöhnliche, enge Hose. Sie hat lange dunkelbraune Haare, eine leicht getönte Haut und blaue Augen. Tiefblaue Augen, um genau zu sein. Thys Augen.

Die Frau lächelt mich an, runzelt dann aber die Stirn. Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen und scheint nachzudenken. »Mein Name ist Livia. Du bist hier in Sicherheit.« Sie spricht langsam, und jedes einzelne Wort klingt ungewohnt. Aber es ist meine Sprache.

Als ich nicht reagiere, redet sie weiter.

»Ich habe etwas zu trinken und zu essen für dich.«

Sie steht auf und holt ein Tablett, das auf einem Tisch an der hinteren Wand gegenüber meines Bettes steht. Ein Glas und eine dampfende Schüssel stehen darauf. »Wasser und Suppe«, erklärt sie und hält mir auffordernd das Tablett hin.

Zögernd nicke ich, setze mich langsam auf und schiebe mich an den hinteren Rand des Bettes. Die Decke liegt immer noch auf meinen Beinen, sodass Livia das Tablett auf meinen Schoß stellt.

»Bist du Thys … Mutter?« Meine Stimme klingt brüchig. So, als hätte ich sie tagelang nicht benutzt.

»Ja. Wie fühlst du dich?«

Ich rühre die Suppe nicht an, dafür nimmt mich ihre Gegenwart immer noch viel zu sehr ein. Und die ungefähr dreitausend Fragen, die schlagartig meinen Kopf fluten.

Livia lächelt immer noch. Ihr Gesicht wirkt viel weicher als das von Thy, weniger kantig. Außerdem macht sie mir auf Anhieb einen deutlich sympathischeren Eindruck als ihr Sohn. Sie ist keine Graue, stelle ich fest. Sie muss ein Wesen aus dieser Welt sein, das erkenne ich an ihren Augen.

»Schwach. Aber ich habe keine Schmerzen«, beantworte ich ihre Frage verspätet und schiebe gleich eine weitere hinterher. »Warum sprichst du meine Sprache?« Tatsächlich würde mich viel mehr interessieren, wie Thy ihr Sohn sein kann. Aber das ist etwas, das ich auf später verschiebe. Ich will mich nicht mit ihm auseinandersetzen. Ich will noch nicht einmal über ihn sprechen.

Livia zögert. Dann fährt sie sich mit der linken Hand durch die langen Haare und schiebt sie hinter ihr Ohr. »Tyrones Vater hat sie mir beigebracht. Aber das soll dir mein Sohn erklären.«

Thys vollen Namen zu hören, ist merkwürdig. Ebenso, dass Livia von seinem Vater spricht. Aber es macht mir erneut deutlich, dass so viel mehr in ihm stecken muss als nur ein junger Mann, der mich von vorne bis hinten hintergangen und ausgenutzt hat.

»Ist er … hier?« Ich traue mich nicht, zu fragen, ob Thy im Moment in dieser Welt ist. Dafür ist mir das ganze Konzept der zwei Welten immer noch viel zu suspekt.

»Er ist einkaufen.« Sie wirft einen Blick auf ein Band an ihrem Arm. »Er müsste aber bald wieder zu Hause sein.« Livia erhebt sich. »Wenn du dich stark genug fühlst, möchtest du dich nach dem Essen sicher waschen. Hier nebenan ist ein Badezimmer.« Sie deutet auf die Tür zur linken Seite des Bettes.

Ich sehe an mir hinab, auf meine blassen, von der Woche im Gefängnis noch schmutzigen Arme, auf denen der Regen letzte Nacht helle Schlieren hinterlassen hat. Seit meiner Verhaftung habe ich mich nicht mehr waschen können. Ich muss stinken wie eine Horde Sandtiere, die sich ein Matschbad gegönnt hat.

»Ja, danke!« Meine Stimme klingt belegt und ich wende schnell den Blick ab.

»Dann lass ich dich mal allein. Wenn du Hilfe brauchst oder dir unwohl ist, rufe einfach nach mir. Ich bin im Zimmer nebenan.« Sie zwinkert mir auffordernd zu.

Etwas zupft an meinen Mundwinkeln. Ich mag sie. Ihre ruhige, höfliche Art, die so vollkommen unaufdringlich und anders ist als Victorias. Fast erinnert sie mich ein bisschen an meine eigene Mutter, die ich viel zu früh verloren habe.

Livia verschwindet durch die Tür links neben dem Tisch und lässt mich mit meinen Gedanken alleine. Kaum dass sie fort ist, droht die Panik wieder in mir hochzuwallen, aber ich kämpfe sie nieder. Ich will nicht denken. Weder an Ciaran noch an meinen Vater. Nicht an Victoria, die Grauen und auch nicht an das Lichtland. Und schon gar nicht an meine Welt, in der ich zum Tode verurteilt wurde.

Stattdessen schiebe ich mir einen Löffel Suppe in den Mund und konzentriere mich auf den Geschmack. Überrascht stelle ich fest, dass ich ihn kenne. Es ist eine einfache Suppe aus Linsen und Brühe, die im Lichtland sehr verbreitet ist. Thy muss ihr das Rezept genannt haben.

Ich esse den Teller leer und auch das helle Brot, das daneben liegt. Anschließend geht es mir besser, und ich fühle mich stark genug, mich meiner nächsten Aufgabe zu stellen.

Vorsichtig tapse ich ins Badezimmer, das unseren Baderäumen nicht unähnlich ist. Helles Licht fällt durch ein kleines Fenster an der hinteren Wand. Ich zögere kurz, dann schließe ich die Tür hinter mir. Falls mir doch schwindelig wird, wird mich Livia auch so hören. Anschließend ziehe ich mir das knielange Hemd über den Kopf.

Ich finde mich in diesem Raum überraschend schnell zurecht. Die Unterschiede zur Spiegelnden Welt sind gar nicht so groß, nur dass sich viele Dinge bei uns über Magie steuern lassen. Und Wasser kommt bei uns nicht aus der Decke, wir waschen uns nur mit einer gefüllten Schüssel und einem Lappen. Alles andere wäre Verschwendung, da Wasser immer knapp ist.

Entschlossen trete ich in den abgetrennten Glaskasten und kann ein Seufzen nicht unterdrücken, als warmes Wasser von oben auf mich trifft. Langsam schließe ich die Augen und lasse mich fallen. Mein Kopf ist leer. Mein Körper fühlt sich matt an, geschlagen und schwach. Das Wasser entfernt den Schmutz von meiner Haut und aus meinen Haaren, und so langsam entspanne ich mich.

Ich habe das alles nicht gewollt. Ganz und gar nicht. Ich wollte immer das Richtige tun, aber als ich erkannt habe, was das ist, war es zu spät. Ich schiebe die beklemmenden Gefühle von mir. Sie holen mich erst wieder ein, als ich nach dem Waschen in den Spiegel starre und sich meine Hände vor Entsetzen an das Waschbecken krallen.

Meine nassen goldenen Haare hängen kraftlos herab, mein Gesicht ist ungewöhnlich schmal und bleich. Meine Wangen sind hohl, von meiner goldenen Haut ist nicht viel geblieben. Stattdessen sehe ich krank aus. Am schlimmsten aber sind meine Augen, die mir leer und trostlos entgegenblicken. Die Bernsteinfarbe ist noch da, aber kein Schimmer liegt in ihnen. Wenn ich es bis jetzt nicht wahrhaben wollte, sagt es mir mein Spiegelbild doch sehr deutlich: Ich bin keine Prinzessin mehr. Ich sehe nicht länger wie eine aus, da ist kein Strahlen mehr, kein Glanz. Vielmehr bin ich eine Mörderin, schuldig gesprochen, eingesperrt und gejagt. Und alles zu Recht. Ich bin nicht länger die Lichtprinzessin. Ich habe durch meine Taten das Recht verwirkt, es zu sein.

Irgendwann ertrage ich meinen Anblick nicht länger und wende mich ab. Meine Beine zittern, und die Kraft, die ich nach dem Essen gefühlt habe, ist verschwunden. Ich will nur noch zurück ins Bett. Ein weißes Handtuch um meinen Körper geschlungen, öffne ich die Badezimmertür – und bleibe wie angewurzelt stehen. Am liebsten würde ich sie direkt wieder zuschlagen, aber dafür ist es zu spät. Außerdem wäre das feige.

»Meine Mum hat mir gesagt, dass du wach bist.«

Blut rauscht in meinen Ohren, meine Hände umklammern zitternd das Handtuch. Thy zu sehen, schutzlos, nur in ein Tuch gewickelt, ist mehr, als ich heute ertrage. Tausend Emotionen explodieren in meinem Körper, und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn vor Wut und Enttäuschung anschreien oder ihm auf Knien danken soll, dass er mich vor dem sicheren Tod in der Arena gerettet hat.

Bilder schießen durch meine Gedanken, sein Körper an meinem, seine Lippen auf meinem Mund, sein Lachen, als er mir das goldene Licht stiehlt und verschwindet. Er hat mich von vorne bis hinten verspottet, mit mir gespielt, bis er hatte, was er wollte. Er hat mich ausgenutzt, hat Gefühle in mir aufkommen lassen, für die ich mich bis heute verachte, nur um mich am Ende vorzuführen. Und zu retten.

Die Situation überfordert mich, aber ich zeige ihm meine Anspannung nicht. Nie wieder lasse ich so mit mir spielen. Scheinbar ruhig, überwinde ich die wenigen Meter zum Bett und lasse mich darauf nieder. Nur meine verkrampften Hände verraten, wie erregt ich tatsächlich bin.

»Wie geht’s dir?« Thy legt seinen Kopf schief und mustert mich eindringlich. Dabei fallen ihm seine braunen Haare, die mittlerweile etwas zu lang sind, in die Stirn. Das Sonnenlicht bricht sich in seinen tiefblauen Augen, lässt sie strahlen, und sein intensiver Blick schickt ein unangenehmes Kribbeln über meinen Körper. Er sieht erholt aus, kräftig und gesund, ganz anders als das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe. Im Gefängnis, als er kurz davorstand, selbst zu sterben, und ich ihn gerettet habe.

»Gut«, antworte ich knapp.

Seine Mundwinkel zucken, und ein zufriedenes Grinsen schleicht sich in sein Gesicht. »Das freut mich.« Er geht einen Schritt zurück, lehnt sich an den Tisch gegenüber vom Bett und macht keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen.

»Wo ist mein goldenes Licht?«, schießt es aus mir heraus, weil das die eine Sache ist, die ich unbedingt von ihm brauche.

»Langsam, Prinzessin. Willst du dich nicht erst einmal dafür bedanken, dass ich dich gerettet habe?«

Seine Gegenwart strengt mich jede Sekunde mehr an. Ich weiß, dass ich mich ihm stellen muss, aber heute kann ich das noch nicht. Außerdem wird mir immer mehr bewusst, dass ich vollkommen nackt, nur mit einem Handtuch bedeckt, vor ihm sitze.

»Du hast mich in eine fremde Welt entführt!«, fahre ich ihn an. Erinnerungsfetzen kommen mir ins Bewusstsein, Thys Arme, wie sie meinen Körper schützen, beruhigende Worte, die mir den Weg durch die Dunkelheit weisen. Thy, der mir Halt gibt. Die Gedanken lassen mich hart schlucken, und ich weiß, dass ich ihm unrecht tue. »Danke!«, sage ich daher leise, aber vollkommen ernst. »Ohne dich wäre ich nicht mehr am Leben.«

Thy stößt sich vom Tisch ab und kommt zu mir. Er zögert kurz, dann setzt er sich neben mich aufs Bett. Er berührt mich nicht, dennoch spüre ich seine Wärme auf meiner Haut. »Ich weiß nicht genau, was passiert ist, Sienna, aber ich konnte dich in diesem Kerker nicht sterben lassen. Zumindest das war ich dir schuldig.«

Verwundert hebe ich meinen Kopf, sehe ihm direkt in die Augen. War es tatsächlich nur Schuld, die ihn dazu gebracht hat, mich zu retten? Sein Blick ist undurchdringlich, verrät nichts darüber, was er fühlt.