Die Psyche des Hundes - Robert Mehl - E-Book
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Die Psyche des Hundes E-Book

Robert Mehl

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Beschreibung

Alles beginnt im Kopf – nicht nur beim Menschen. Das Gehirn ist die Schaltzentrale, von hier aus werden nahezu alle Körperfunktionen, Gefühle und Verhalten gesteuert. Der Psychologe Robert Mehl schafft es, das trockene Thema Neurobiologie so aufzubereiten, dass es unglaublich spannend wird. Er spaltet Schädel, um die Lage des Zwischenhirns darzustellen. Er zeigt auf, in welchen Bereichen Wut und Aggression ausgelöst werden und was passiert, wenn diese nicht gehemmt werden können. Er erklärt, warum bei Aggression der Funktionskreis "Nahrung" ausgeschaltet wird und man deshalb einen knurrenden und an der Leine tobenden Hund nicht mit einem Leckerli locken kann. Mehl bietet in seinem Buch einen faszinierenden Ansatz, der hilft, Verhalten, Motivation und Bewusstsein des Hundes ganzheitlich zu verstehen.

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Seitenzahl: 276

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Für Rambo.

„Es ist so leicht, andere, und so schwierig, sich selbst zu belehren.“

(Oscar Wilde)

Und für Ripley, Bones und Dr. No.

KAPITEL 1

EINBLICKE IN DAS GEHIRN

Wozu braucht man neuroanatomisches Wissen, wenn man verstehen will, warum ein Hund Angst vor Silvester hat, die Nachbarskatze jagt oder an der Leine zieht?

Wenn wir Verhalten wirklich verstehen wollen, müssen wir das Organ verstehen, welches bei Säugetieren das Verhalten steuert: das Gehirn. Das Gehirn ist jedoch kein einheitliches Organ, es besteht aus vielen verschiedenen Teilen mit ganz verschiedenen Aufgaben. Ähnlich wie Instrumente in einem Orchester zusammenarbeiten, um eine Sinfonie erklingen zu lassen, bringt das harmonische Zusammenspiel der Hirnteile Erleben und Verhalten hervor. Die Hirnstrukturen tragen lateinische Namen. Davon darf man sich nicht einschüchtern lassen. Es ist nicht notwendig, die Hirnstrukturen auswendig zu lernen, es reicht, sich die Begriffe bis zum Ende eines Kapitels zu merken, um zu wissen, über welche Hirnteile wir gerade sprechen und wer mit wem kommuniziert. Ein bisschen ist das wie eine Seifenoper. Wir versuchen zu verstehen, wer mit wem in welchem Verhältnis steht und wie sich alle gegenseitig manipulieren.

Um die folgenden Abschnitte nicht in eine reine Aufzählung anatomischer Begriffe zu verwandeln, werden wir von jeder beschriebenen Struktur schon einige ihrer wichtigsten Funktionen kennenlernen. Diese Funktionen müssen wir uns jetzt noch nicht merken, sie erschließen sich viel deutlicher, wenn wir in späteren Kapiteln ganze Funktionssysteme, wie z. B. das Stresssystem, betrachten.

ANATOMISCHE GROBGLIEDERUNG DES NERVENSYSTEMS

Das Nervensystem der Säugetiere gliedert sich in einen zentralen und einen peripheren Bestandteil. Zum zentralen Nervensystem (ZNS) gehören Gehirn und Rückenmark. Der Begriff „zentral“ sagt es schon: Hier laufen Informationen zusammen, werden verarbeitet und von hier gehen Steuerbefehle aus. Das ZNS beinhaltet den Großteil der Nervenzellkörper, die untereinander mithilfe von Nervenfasern kommunizieren. Das periphere Nervensystem (PNS) besteht dagegen überwiegend aus Nervenfaserbündeln und den peripheren Nervenzellkörpern. Es leitet die Steuerbefehle in die Peripherie des Körpers, also von Gehirn und Rückenmark ausgehend in die Muskeln und inneren Organe. Umgekehrt empfängt das ZNS über das PNS auch Informationen von der Körperoberfläche und den Muskeln, Gelenken und inneren Organen.

Nehmen wir zunächst das Gehirn aus seiner knöchernen Schädelhülle und betrachten es von außen (s. Abb. 1). Wir sehen das Rückenmark, welches vom Gehirn ausgehend Richtung Schwanz herunterhängt, und das Gehirn selbst, das schon von außen sichtbar in verschiedene Teile gegliedert ist. Beginnend beim Rückenmark werden wir diese Teile nun nacheinander kennenlernen.

Das Rückenmark

Das Rückenmark beginnt am unteren Ende des Gehirns am verlängerten Rückenmark, der sogenannten Medulla oblongata (s. Abb. 2 u. 3). Das Rückenmark ist in den Wirbelkanal eingebettet, an dessen unteren Ende Nervenfaserbündel als sogenannte Cauda equina (Pferdeschwanz) austreten. Diese können durch krankhafte Veränderungen gequetscht werden, was zu den typischen Symptomen führt (Schmerzen, Lähmungen). Aber auch zwischen den Wirbelkörpern treten entlang der gesamten Wirbelsäule Nervenfasern aus. Das spüren Hunde beispielsweise bei einem Bandscheibenvorfall. Sind sie jedoch gesund, leiten die Nervenfasern Impulse des Gehirns an den Körper weiter und umgekehrt Informationen aus dem Körper zurück an das Gehirn.

Im Rückenmark gibt es neben den Nervenfasern auch Nervenzellkörper. Einige von ihnen sind die letzte Durchgangsstation, bevor motorische Impulse das ZNS Richtung Skelettmuskulatur verlassen. Sie sind sozusagen die letzte Schaltstelle, bevor aus den unsichtbaren Prozessen im Organismus sichtbares Verhalten wird. Eine andere Gruppe von Rückenmarksneuronen nimmt sensorische Impulse aus dem Körper auf. Sie ist die erste Schaltstelle, in der Signale aus den Sinneszellen des Körpers verarbeitet und weiter Richtung Gehirn geschickt werden.

Daraus leiten sich die zwei Aufgaben des Rückenmarks ab. Erstens transportiert es Informationen zwischen Körper und Gehirn.

Die zweite Aufgabe des Rückenmarks besteht darin, Informationen auf einfache Weise zu verarbeiten. Auf dieser Grundlage kann das Rückenmark Reflexe hervorbringen, an denen das Gehirn zunächst nicht beteiligt ist. Man unterscheidet Eigen- und Fremdreflexe. Bei Eigenreflexen wird die Reaktion in dem Organ ausgelöst, welches gereizt wurde. Wird ein Muskel kurz gedehnt, z. B. durch einen Schlag auf die Sehne, registriert ein Dehnungsrezeptor dies und sendet elektrische Signale an eine Nervenzelle im Rückenmark. Diese gibt die elektrische Erregung über eine einzige Verbindung (monosynaptisch) an eine zweite Nervenzelle im Rückenmark weiter, die ihrerseits mit einem elektrischen Signal den Muskel stimuliert, der gedehnt wurde, sodass er sich nun zusammenzieht (Beispiel: Kniesehnenreflex beim Menschen). Aufgrund der monosynaptischen Verschaltung ist die Reflexzeit sehr kurz (ca. 10 ms) und die Ermüdung bei Wiederholung nur gering. Bei Fremdreflexen erfolgt die Reaktion durch ein anderes Organ als jenes, welches gereizt wurde. Hier sind mehr als zwei Nervenzellen auf unterschiedlichen Ebenen des Rückenmarks beteiligt (polysynaptisch). Dadurch ist die Reflexzeit vergleichsweise lang (ca. 50–150 ms) und die Ermüdbarkeit bei Wiederholung hoch. Zu den Fremdreflexen gehören einfache Schutzreflexe. Werden beispielsweise Hautrezeptoren am Fuß durch einen Tritt in eine Glasscherbe gereizt, wird mithilfe von Anspannung einiger Muskelgruppen und koordinierter Entspannung antagonistischer Muskeln das Bein gehoben, um es von der Reizquelle zu entfernen.

Sowohl bei Eigen- als auch bei Fremdreflexen werden gleichzeitig auch Informationen über den Vorfall zum Gehirn geleitet, sodass uns letztlich (nach vielen Umschaltungen innerhalb des Gehirns) bewusst wird, dass uns jemand mit dem Hämmerchen auf das Knie geschlagen und daraufhin unser Bein gezuckt hat oder wir in eine Glasscherbe getreten sind und gerade noch den Fuß wegziehen konnten. Da das Gehirn lediglich informiert wird, kann es wie ein Beifahrer nur zusehen, wie der Körper sich schon in Sicherheit bringt. Es kann Schutzreflexe jedoch nachträglich modifizieren, ihre Stärke abschwächen oder eine Abwehrbewegung umlenken.

Das Gehirn

Nachdem wir nun das Rückenmark entfernt haben, halten wir das Gehirn in der Hand (s. Abb. 1). Einige Hirnteile sehen wir erst, wenn wir das Gehirn entlang der Mittellinie spalten und eine Hirnhälfte beiseite legen. Wir blicken dann von der Seite in die übrig gebliebene Hirnhälfte (s. Abb. 2 für ein Hundehirn u. Abb. 3 für ein menschliches Gehirn). Wenn wir das Gehirn von oben, unten und von der Seite betrachten, sehen wir seine unterschiedlichen Abschnitte: Medulla oblongata (verlängertes Mark), Pons (Brücke), Mesenzephalon (Mittelhirn), Dienzephalon (Zwischenhirn), Cerebellum (Kleinhirn), Telenzephalon (Großhirn, Endhirn). Diese Einteilung wurde aufgrund morphologischer, funktionaler und entwicklungsgeschichtlicher Unterschiede zwischen den grob sichtbaren Hirnstrukturen getroffen. Der Aufbau des Gehirns ist bei verschiedenen Säugetierarten ähnlich und so vergleichbar, dass Erkenntnisse aus Tierexperimenten an den Gehirnen von Nagetieren, Primaten, Katzen und Hunden sich i. d. R. erfolgreich auf den Menschen übertragen lassen.

Das Großhirn

Das Großhirn macht den größten Teil des Gehirns aus und ist in interessante funktionell und anatomisch verschiedene Gebiete unterteilt, denen wir jeweils ein eigenes Kapitel widmen. Es ist der Teil des Gehirns, der Motivation und Emotion hervorbringt, Aufmerksamkeit und Gedächtnis, Persönlichkeit und Sozialverhalten, Handlungsplanung und Bewegung, und letztlich Bewusstsein.

Seine beiden Hälften sind durch einen tiefen Spalt getrennt und unterhalb des Spaltes durch den Balken (Corpus callosum, s. Abb. 2) verbunden. Der Balken ist die Datenautobahn, über die beide Hirnhälften kommunizieren.

Die Oberfläche des Großhirns ist bei Hunden wie bei Menschen stark gefurcht. Die Ursache dafür erkennen wir mithilfe eines Papiertaschentuchs. Glatt ausgebreitet nimmt es eine große Fläche ein. Wenn wir es nun in ein Überraschungsei stecken möchten, dann knüllen wir es zusammen und erzeugen dabei Wülste und Furchen auf der Oberfläche unseres Taschentuchballs. Je größer die Oberfläche des Großhirns einer Spezies ist, desto stärker muss sie gefurcht sein, um in den engen Raum des Schädels zu passen. Diese Oberfläche besteht u. a. aus den Nervenzellen (Neurone). Die Anzahl der Neurone wächst mit dem Ausmaß der Informationsverarbeitung. Es deutet sich also bereits in der starken Furchung ihres Großhirns an, dass Hunde zu ganz erstaunlichen kognitiven Leistungen in der Lage sind. Um besser zu verstehen, was „viele Neurone“ bedeutet, bietet sich ein weiterer Vergleich an. Ein einziges menschliches ZNS besteht aus so vielen Nervenzellen, wie es Sterne in unserer Galaxis gibt, und es wird geschätzt, dass diese Neurone untereinander so viele Verbindungen bilden, wie es Sterne im gesamten Universum gibt. Jeder Mensch – und sicherlich auch jeder Hund – hat also sein eigenes Universum im Kopf, zumindest was die unvorstellbare Komplexität der Informationsverarbeitung angeht, die letztlich sogar Bewusstsein hervorbringt (s.Kapitel 9).

Das Kleinhirn

Die Furchen sind ein guter Anhaltspunkt, um den nächsten Hirnteil zu identifizieren: das Kleinhirn, mit seinen schmaleren Wülsten und Furchen. Teilt man das Gehirn entlang der beiden Hirnhälften mit einer Axt und entfernt eine Hälfte, dann kann man von der Seite in die übrig gebliebene Hirnhälfte hineinsehen. In dieser Ansicht ähnelt das Kleinhirn einem halbierten Blumenkohl, der oben auf dem verlängerten Rückenmark und der Pons sitzt (s. Abb. 3). Trotz seiner geringen Größe enthält es einen Großteil aller Nervenzellen.

Das Kleinhirn übernimmt verschiedene Funktionen. Obwohl es keine direkte Verbindung zum Rückenmark hat, ist es beteiligt am Erlernen, der Koordination und der Feinabstimmung von Bewegungsabläufen, d. h. von sichtbarem Verhalten. Dazu erhält es Informationen über den Bewegungszustand der Gliedmaßen, die Muskelspannung, den Gleichgewichtszustand und die Lage des Körpers. Darüber hinaus senden die motorischen Zentren der Großhirnrinde Kopien ihrer Bewegungsprogramme an das Kleinhirn. Das Kleinhirn integriert die Programme für verschiedene Einzelbewegungen zu zeitlich aufeinander abgestimmten Gesamtabläufen, korrigiert gegebenenfalls die Programme und sorgt so dafür, dass Bewegungen möglichst effizient und fehlerfrei ausgeführt werden.

Das Kleinhirn ist außerdem an bestimmten impliziten Lernprozessen beteiligt, u. a. an der klassischen Konditionierung und am prozeduralen Lernen von automatisierten Bewegungsabläufen. Für die Freunde des Clickertrainings und des Dogdancings ist das Kleinhirn also ein ganz wichtiges Hirngebiet.

Der Pons – die Brücke im Gehirn

Unterhalb des Kleinhirns liegt die Pons oder Brücke (s. Abb. 2 u. 3). Sie enthält viele Fasern, die von den Brückenkernen (Nervenzellverbänden in der Pons) ins Kleinhirn ziehen. Außerdem laufen hier Nervenfasern durch, die vom Großhirn ins Rückenmark ziehen. Es handelt sich um so etwas wie ein Autobahnkreuz.

Darüber hinaus liegen hier wichtige Hirnnervenkerne. Die Hirnnerven sind Faserbündel, die aus dem Gehirn aus- bzw. ins Gehirn eintreten. Sie sind mit römischen Zahlen nummeriert und haben spezifische Aufgaben. So bündelt z. B. der Nervus vestibulocochlearis (VIII) die sensorischen Nervenfasern, die aus dem Gleichgewichtsorgan (Labyrinth) im Innenohr sowie aus der Hörschnecke (Cochlea) austreten, und führt diese ins Gehirn. Der Nervus facialis (VII) versorgt motorisch große Teile der Gesichtsmuskulatur sowie Drüsen im Gesicht (u. a. Tränendrüsen, Drüsen der Nasenschleimhaut, Speicheldrüsen). Seine sensorischen Anteile sind an der Geschmackswahrnehmung beteiligt. Der Nervus trigeminus (V), als letztes Beispiel, ist motorisch u. a. für die Kaumuskulatur zuständig und führt bei Entzündungen zu unerträglichen Schmerzen.

Medulla oblongata

Unterhalb der Pons schließt sich die Medulla oblongata (verlängertes Mark, s. Abb. 3) an, die fließend ins Rückenmark übergeht. Auch hier ziehen Nervenfasern aus dem Gehirn ins Rückenmark durch und umgekehrt, ähnlich einer vielspurigen Autobahn.

Auch in der Medulla oblongata liegen Hirnnervenkerne. Besonders hervorzuheben ist der Nervus vagus (X), der lebenswichtige Funktionen bei der vegetativen Steuerung übernimmt. Er ist der größte Nerv des parasympathischen Nervensystems, zuständig für Ruhe und Erholung. Er steuert motorisch u. a. die Eingeweide des Bauchraumes, Herz und Kehlkopfmuskeln und empfängt Informationen u. a. aus Eingeweiden, Rachen und Ohr.

In der Medulla oblongata liegen außerdem Zentren für Würgereflexe und Erbrechen, Saug- und Schluckreflexe, Husten- und Niesreflexe, für die Regulation der Atmung und des Blutkreislaufs sowie Zentren, die an der Regulation des Schlaf-Wach-Zyklus beteiligt sind.

Formatio reticularis

Wir haben uns auf unserer absteigenden Reise durch das Nervensystem weit vom Großhirn entfernt. Um uns jetzt dem Mittelhirn zu nähern, folgen wir der aus der Medulla oblongata durch die Pons bis ins Mittelhirn aufsteigenden Formatio reticularis. Sie bildet den inneren Teil des Hirnstamms. Hier finden sich, neben den schon zu erwartenden durchziehenden Bahnen zwischen anderen Hirnteilen und Rückenmark, zahlreiche interessante Kerngebiete.

Da sind zum einen die Raphe-Kerne (s. Abb. 4). Dies sind Ansammlungen von Nervenzellkörpern, die in einem länglichen Gebiet in der Formatio reticularis verstreut sind. Die Neurone der Raphe-Kerne produzieren den Neurotransmitter Serotonin und ihre Fortsätze ziehen in weite Bereiche des Gehirns. Serotonin hat im Gehirn an zahlreichen Stellen eine anregende bzw. hemmende Wirkung und kann somit Einfluss nehmen auf die Wirkung anderer Signale, indem es diese abschwächt oder verstärkt. Die immense Bedeutung der Raphe-Kerne für Tiere und Menschen liegt in ihrer Beteiligung am Schlaf-Wach-Zyklus (Zerstörung der Raphe-Kerne führt zu Schlaflosigkeit) und der Schmerzverarbeitung (elektrische Stimulation eines bestimmten Kerns führt zur Aufhebung der Schmerzempfindung). Darüber hinaus sind die Raphe-Kerne durch ihre Verbindungen zum limbischen System auch an den emotionalen Zuständen des Individuums beteiligt.

Ein weiterer interessanter Kern in der Formatio reticularis ist der Locus coeruleus (himmelblauer Kern, s. Abb. 5). Dies ist ein längliches Kerngebiet, dessen Nervenzellen Noradrenalin produzieren. Seine Aktivität sorgt für die Aktivierung des gesamten Nervensystems im Sinne einer unspezifischen, großräumigen Erregungssteigerung (Wachheit). Er spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der Lenkung der Aufmerksamkeit.

In der Formatio reticularis liegen wichtige Kerngebiete des sogenannten ARAS (Aufsteigendes Retikuläres Aktivierendes System), welches die Erregung des gesamten Nervensystems beeinflusst. Um es mir leichter zu merken, stelle ich mir zwei Aras (Papageien) vor, die auf meinen Schultern sitzen, mir von rechts und links ins Ohr kreischen und so meine Aufregung steigern. Beeinflusst werden sie unter anderem von den Raphe-Kernen (Serotonin) und dem Locus coeruleus (Noradrenalin).

Durch weitere Verschaltungen innerhalb der Formatio reticularis nimmt diese Struktur auch Einfluss auf Kreislaufregulation und Atmung. Sie filtert darüber hinaus eingehende Reize aus den Sinnesorganen. Nur Reize, die den Filter passieren, können Veränderungen in der Wachheit und Aufmerksamkeit des Individuums auslösen, die zu unmittelbaren Reaktionen führen. Andere Reize können passieren, bleiben aber auf der Verhaltensebene oft folgenlos. Impulse aus der Formatio reticularis, die Richtung Körper absteigen, haben je nach Situation erregende oder hemmende Wirkung auf den Ruhetonus der Skelettmuskulatur. Rhythmische Bewegungsmuster, wie sie z. B. beim Laufen auftreten, stehen ebenfalls in Zusammenhang mit Impulsen aus der Formatio reticularis. Darüber hinaus steuert die Struktur Augen- und Kopfbewegungen, die mit der Orientierung auf neue Reize auftreten.

Das Mittelhirn

Oberhalb der Pons liegt das Mittelhirn (s. Abb. 2). Um es nicht mit dem Zwischenhirn zu verwechseln, kann man sich merken, dass das Zwischenhirn zwischen den beiden Großhirnhälften liegt, oberhalb des Mittelhirns.

Auch durch das Mittelhirn laufen die Nervenfaserautobahnen, die wir schon kennen. Darüber hinaus besteht auch das Mittelhirn aus vielen verschiedenen Strukturen, von denen einige besonders interessant sind.

Zum einen finden wir auf der Rückseite (oberhalb des Kleinhirns Richtung Großhirn) die Vierhügelplatte. Diese besteht aus zwei unteren Hügeln (Colliculi caudales; beim Menschen Colliculi inferiores) und zwei oberen Hügeln (Colliculi rostrales; beim Menschen Colliculi superiores). Die oberen Hügel sind eine wichtige Schaltstelle des optischen Systems. Signale, die aus der Netzhaut in die Colliculi rostrales weitergeleitet werden, können schnelle Augen- und Kopfbewegungen auslösen, wodurch in der Peripherie des Gesichtsfeldes auftauchende Reize schnell auf den Punkt des schärfsten Sehens in der Netzhaut gebracht werden. Die unteren Hügel sind mit dem auditorischen System verbunden.

Einige Hirnnervenkerne liegen im Mittelhirn, z. B. die des Nervus oculomotorius (III), der für Augenbewegungen nach innen, oben, unten und außen-oben zuständig ist sowie für die Krümmung der Linse (Akkommodation – wichtig zum Scharfsehen) und die Veränderung der Pupillenweite, die den Lichteinfall reguliert.

Darüber hinaus liegt noch ein weiterer interessanter Kern im Mittelhirn. Das zentrale Höhlengrau (periaquäduktales Grau) spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerzwahrnehmung und -unterdrückung und der Verarbeitung externer bedrohlicher Reize. Er ist damit an der Stressverarbeitung unmittelbar beteiligt.

Das Zwischenhirn

Das Zwischenhirn ist die letzte Station unserer Reise durch das ZNS. Im Gegensatz zu tiefer liegenden Hirnteilen ist das Zwischenhirn fähig, Informationen auf einem höheren Komplexitätsniveau zu verarbeiten. Einerseits finden wir hier Strukturen für die Filterung und weitere Verarbeitung von Sinnesreizen und andererseits für die Koordination und Steuerung der vegetativen Funktionen des Körpers, insbesondere in Verbindung mit emotionalen und motivationalen Zuständen. Einerseits bemerkt der Rüde mithilfe dieser Strukturen den Geruch und Anblick der läufigen Hündin, andererseits werden hier die körperlichen Anpassungen initiiert, die ihm ggf. den Paarungsakt ermöglichen (Anstieg von Puls, Atemfrequenz und Blutdruck, Steigerung der Durchblutung der Genitalien). Eine weitere Struktur im Zwischenhirn sorgt im Anschluss daran für den ungestörten Nachtschlaf.

Zum Zwischenhirn gehören der Thalamus, der Hypothalamus und der Epithalamus (s. Abb. 3).

Der Thalamus ist eine paarige Struktur mit zwei Anteilen, einem auf der rechten, einem auf der linken Seite des Gehirns, die über eine schmale Brücke, die interthalamische Adhäsion, verbunden sind. Bedeutsame Veränderungen der Dicke dieser Brücke treten im Verlauf der Hirnentwicklung auf sowie auch bei Abbauprozessen wie der Caninen Cognitiven Dysfunktion (CCD), einer Demenzerkrankung bei Hunden.

Der Thalamus heißt Thalamus, weil alles durch den Thalamus muss. Er ist das Tor zum Bewusstsein. Alle aus den Sinnesorganen, mit Ausnahme des Geruchssinns, kommenden Signale werden hier vorverarbeitet und gegebenenfalls aussortiert. Nur Signale, die die Filter des Thalamus passieren, können zum Großhirn gelangen und dort bewusst werden. Die zweite wesentliche Funktion des Thalamus besteht darin, Erregungszustände, die aus der Formatio reticularis stammen, ans Großhirn weiterzugeben. Damit spielt der Thalamus eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Schlaf- und Wachzuständen und der Aufmerksamkeitssteuerung, z. B. im Rahmen kognitiver Prozesse oder bei der Beachtung sensorischer Reize bzw. emotionaler Zustände. Nicht alle Reize führen zu einer gleichartigen Aktivierung der Großhirnrinde. Ein wachsamer Hund wird zum Beispiel ruhig weiterschlafen, wenn sein schlafendes Gehirn oben im Haus seine Besitzer über laut knarrende Dielen zum Klo gehen hört, während ein leises Geräusch an der Eingangstür ihn aus dem Schlaf aufschrecken lässt.

Der Hypothalamus heißt so, weil er unter (lat. „hypo“) dem Thalamus liegt. Der Neuroanatom Trepel bezeichnet ihn als das „Innenministerium des Körpers“, das oberste Integrationszentrum des vegetativen Nervensystems und der endokrinen Organe. Seine Aufgabe ist es, das lebenswichtige Gleichgewicht im Zusammenspiel aller Körperfunktionen aufrechtzuerhalten. Dazu passt er mithilfe des vegetativen Nervensystems die Körperfunktionen permanent an sich ändernde Anforderungen an, z. B. aufgrund von sich verändernden Umweltbedingungen (zu warm, zu kalt) sowie emotionalen (Angst, Wut, Freude) und motivationalen Zuständen (Hunger, Fortpflanzung). Der Hypothalamus ist sowohl mit den tiefer gelegenen Zentren des Hirnstamms verbunden, welche für die Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Funktionen des Körpers zuständig sind, als auch mit dem höher gelegenen Großhirn und dem limbischen System. Hierdurch wird ermöglicht, dass psychische Vorgänge (wie Emotionen und Gedanken) Einfluss auf körperliche Vorgänge (wie Verdauung, Aktivität der Sexualorgane, Immunsystem, Blutdruck, Atmung und Puls) nehmen können. Unterhalb des Hypothalamus liegt die Hypophyse, über welche der Hypothalamus selbst Hormone ins Blut abgeben und so direkt und indirekt verschiedene Organe im Körper steuern kann (z. B. Milchdrüsen, Schilddrüse, Nebennierenrinde, Eierstöcke, Hoden).

Der Epithalamus besteht aus der Epiphyse (Zirbeldrüse) und einigen damit verbundenen Strukturen (s. Abb. 6). Die Hauptaufgabe der Epiphyse ist es, Serotonin in Melatonin umzuwandeln. Melatonin ist ein „Zeitgeberhormon“, das dem Körper anzeigt, dass es Nacht ist. Auf diese Weise ist es entscheidend an der Aufrechterhaltung der sogenannten circadianen Rhythmen beteiligt. Die Aktivität der vegetativen Hirnzentren und vieler Organe und Gewebe im Körper schwankt im Tages- und Nachtverlauf, mit einem Rhythmus von ca. 24 Stunden (circadian). Dies führt z. B. zur Absenkung der Körpertemperatur in bestimmten Schlafphasen oder zur Erhöhung des Cortisolspiegels in den Morgenstunden unmittelbar vor dem Aufwachen. Darüber hinaus unterliegt die Melatoninproduktion bei vielen Tierarten und dem Menschen auch jahreszeitlichen Schwankungen, insbesondere auf den Teilen der Erde, wo der Lichteinfall sich im Jahresverlauf verändert. Bei vielen Tierarten wurde beobachtet, dass Melatonin die Freisetzung von Hormonen hemmt, die für das Sexualverhalten und die Entwicklung der Keimdrüsen wichtig sind. Dies könnte den Zusammenhang zwischen jahreszeitlichen Schwankungen im Lichteinfall und dem Sexualverhalten vieler Spezies erklären. Melatonin ist darüber hinaus in das Schlafverhalten eingebunden, welches wir in Kapitel 8 genauer betrachten werden.

WICHTIGE STRUKTUREN DES GROSSHIRNS

Nachdem wir das Nervensystem nun grob gegliedert haben, kommen wir noch einmal zurück zum Großhirn. Diese Struktur ist so komplex und untergliedert sich in so viele Abschnitte, dass wir ihr hier ein eigenes Kapitel widmen.

Viele Verhaltensweisen des Hundes, die den Menschen interessieren – Sozialverhalten (bspw. aggressives Verhalten), störendes Verhalten (bspw. Jagen) und Störungen im Erleben (bspw. Ängste) und Verhalten (bspw. übermäßig impulsives Verhalten) –, sind nur mithilfe des Großhirns möglich. Daher ist ein Verständnis dieser Struktur unabdingbar für ein umfassendes Verständnis des Hundes selbst. Mithilfe des Großhirns kann der Hund Informationen miteinander verknüpfen (assoziieren), bewerten und vergleichen. Er bildet Gedächtnisinhalte und speichert Erinnerungen an seine Erfahrungen und sein Leben, die ihm helfen, in der Zukunft bessere Entscheidungen zu treffen.

Die Großhirnrinde

Das Großhirn des Hundes ist wie das anderer Haussäugetiere und des Menschen auf der Oberfläche gefaltet. Das liegt daran, dass viele Millionen Nervenzellen in der Großhirnrinde (Cortex) eng gedrängt in Schichten übereinanderliegen, wie bei einem Papiertaschentuch. Soll das Taschentuch in ein Überraschungsei gesteckt werden, muss man es zerknüllen, wobei auf seiner Oberfläche jene Wülste und Furchen entstehen, die man auch beim Großhirn erkennt. Tierarten wie Vögel und Nager, deren Cortex glatt und ungefurcht ist, haben also weniger Nervenzellen und Faserverbindungen in dem engen Raum ihres Schädels unterzubringen. Mehr Nervenzellen und mehr Verbindungen untereinander bedeuten differenziertere Datenverarbeitung und bessere kognitive Leistungen.

Betrachten wir das Großhirn zunächst von oben, sehen wir die zwei Großhirnhälften (Hemisphären), die durch eine tiefe Furche (Fissura longitudinalis cerebri) voneinander getrennt sind. Jede Hemisphäre lässt sich weiter in 4 Lappen unterteilen: Frontallappen, Parietallappen, Temporallappen und Okzipitallappen.

Der Frontallappen (Stirnlappen, s. Abb. 1) interessiert uns als Hundehalter besonders. Er ist insbesondere an der Planung und Ausführung von Willkürbewegungen, assoziativer Verarbeitung von Reizen und bestimmten Formen des Kurzzeitgedächtnisses beteiligt. Auch Persönlichkeit, Sozialverhalten, Selbstregulation und höhere kognitive Leistungen (kombinatorisches und planerisches Denken) stehen eng mit dem Frontalhirn in Verbindung, insbesondere mit dem präfrontalen Cortex, dem vorderen Bereich des Frontalhirns.

Der Okzipitallappen (Hinterhauptlappen, s. Abb. 7 u. 8) verarbeitet u. a. visuelle Informationen und leitet diese vorverarbeitet an die Assoziationszentren in Parietal- und Temporallappen weiter.

Der Parietallappen (Scheitellappen) verarbeitet Informationen aus den Sinneszellen für Temperatur, Druck- und Tastempfindungen und Schmerzreize aus dem Körper sowie Informationen aus dem Gleichgewichtsorgan (Vestibularapparat) im Innenohr. In assoziativen Zentren werden z. B. Seh- und Hörinformationen zusammengebracht, Bewegungen analysiert und Geschwindigkeiten abgeschätzt (s. Abb. 8, dorsaler Pfad).

Der Temporallappen (Schläfenlappen) spielt eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von akustischen Reizen. Beim Menschen liegen hier auch wichtige Zentren für die Sprachverarbeitung.

EXKURS

Eine vergleichende Studie (Mensch-Hund) fand an vergleichbarer anatomischer Lage auch beim Hund eine Art „Sprachzentrum“ im Temporallappen, in dem nicht nur Wörter und Laute von Hunden und Menschen gezielt verarbeitet werden, sondern auch der emotionale Gehalt der Lautäußerungen bewertet wird.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Temporallappens ist die Verknüpfung von visueller Information mit gelernten Inhalten, sodass beispielsweise Gegenstände wiedererkannt werden können (s. Abb. 8, ventraler Pfad).

Das Großhirnmark

Unterhalb der Schichten der Nervenzellen in der Großhirnrinde liegen die vielfältigen Faserverbindungen, die die Großhirnareale untereinander und mit tiefer gelegenen Hirnstrukturen vernetzen. Aufgrund ihrer Färbung werden sie als „weiße Substanz“ bezeichnet, in Abgrenzung zur Großhirnrinde mit ihren Nervenzellkörpern, der sogenannten „grauen Substanz“. Viele dieser Fasern bilden Strukturen (Datenautobahnen), die leicht zu identifizieren sind. Die auffälligste Datenautobahn ist der Balken (Corpus callosum, s. Abb. 2), über den die beiden Großhirnhälften miteinander verbunden sind und Informationen austauschen. Wird der Balken chirurgisch durchtrennt, weiß die rechte Hirnhälfte nicht mehr, was die linke tut und umgekehrt. Vor dem Balken liegt eine deutlich kleinere Datenlandstraße (Commissura rostralis, s. Abb. 2), über welche die entwicklungsgeschichtlich alten Hirnteile beider Hirnhälften, die u. a. für die Geruchsverarbeitung zuständig sind, miteinander kommunizieren. Daneben findet man im Großhirnmark Ansammlungen von Nervenzellkörpern, sogenannte „Kerngebiete“ (Nuclei), die Strukturen bilden, die aufgrund ihrer Bedeutung für Motorik, Gedächtnis, Antrieb und Emotion eine große Rolle bei der Entstehung psychischer Erkrankungen spielen.

Die Basalganglien

Die Basalganglien (Nuclei basales) liegen im Marklager tief im Innern des Großhirns und setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Striatum (Corpus striatum) und Pallidum (Globus pallidus). Zusammen spielen sie eine wichtige Rolle bei der Modulation jeder willkürlichen Bewegung, also fast dem gesamten sichtbaren Verhalten des Hundes. Ein kleiner Teil der Basalganglien ist in das Motivations- und Belohnungssystem eingebunden und entscheidend beteiligt an der operanten Konditionierung und der Entstehung von Suchtverhalten (Ventrales tegmentales Areal und Ncl. accumbens, s. Abb. 9).

Das Striatum, zu deutsch auch Streifenkörper, heißt so, weil es im Schnittbild gestreift erscheint. Es besteht selbst aus zwei Teilen, Nucleus caudatus und Putamen, die von Fasermassen (Capsula interna) getrennt werden. Entwicklungsgeschichtlich bildeten sie ursprünglich nur ein Kerngebiet, sind bei moderneren Spezies aber nur noch über schmale Verbindungen, die namensgebenden Streifen, miteinander verbunden. Das Striatum wirkt in erster Linie hemmend auf die Motorik und kann Bewegungsimpulse teilweise oder ganz unterdrücken. Motorikfördernde Anteile des Striatums finden sich jedoch ebenfalls. Das Striatum arbeitet eng mit dem Großhirn (Planung von Bewegungen) und dem Kleinhirn (Koordination von Bewegungen) zusammen. Es ist dadurch vor allem an motorischen, aber auch an kognitiven Lernvorgängen beteiligt und wird uns in Kapitel 6 wieder begegnen, wenn wir erforschen, wie das Gehirn des Hundes Verhalten (Bewegungen) hervorbringt. Das Pallidum liegt innen neben dem Striatum. Seine Hauptaufgabe ist es, fördernd auf Bewegungsimpulse einzuwirken. Es ist damit der Gegenspieler des Striatums bei der Steuerung der Motorik.

Ein wichtiges Kerngebiet für Hundehalter ist der Nucleus accumbens im vorderen Bereich des Striatums (s. Abb. 9). Diese Nervenzellen haben intensive Verbindungen mit dem limbischen System und sind eine wichtige Schaltstelle für die Entstehung von Verhalten (Bewegung) aus Emotion und Motivation (Antrieb). Der Neurotransmitter, der den Nucleus accumbens antreibt, ist Dopamin, das im ventralen tegmentalen Areal gebildet wird (s. Abb. 10). Der Nucleus accumbens ist Teil des sogenannten mesolimbischen Systems und relevant für Belohnungs- und Bestrafungsempfinden sowie für das Verlangen, bestimmte Handlungen durchzuführen, bis hin zur Entwicklung von Suchtverhalten, welches u. a. mit einer chronisch veränderten Dopaminausschüttung am Nucleus accumbens einhergeht.

Das Limbische System

Auch wenn die Zusammenfassung unterschiedlicher Hirnstrukturen unter dem historischen Begriff des limbischen Systems von Neurowissenschaftlern kritisch diskutiert wird, wollen wir ihn hier weiter verwenden, da er Strukturen umfasst, die für Entstehung von Antrieb und Emotionen (Kapitel 5) und für das Lernen entscheidende Bedeutung haben. Insbesondere in der populärwissenschaftlichen Literatur findet man den Begriff häufig als Synonym für Hirnstrukturen, die Emotion und Antrieb hervorbringen. Das limbische System umfasst eine Reihe von Strukturen, die sich vom restlichen Cortex klar abgrenzen lassen und zuerst vom Neurologen Paul Broca beschrieben wurden (s. Abb. 3, dunkelgrau unterlegte Strukturen). Das lateinische Wort „Limbus“ (Saum) beschreibt die Form dieses Gebietes als Ring, der sich um den Hirnstamm herum gebildet hat. Die wichtigsten Strukturen für Hundehalter sind die Amygdala, der Hippocampus und der Gyrus cinguli.

Die Amygdala

Die paarigen Kerngebiete, welche als Amygdalae (Corpus amygdaloideum, Mandelkerne) bezeichnet werden, liegen vor der Hippocampusformation, welche im nächsten Abschnitt besprochen wird. Hier beginnen alle emotionalen Probleme des Hundes.

Indem wir verstehen, von wem die Amygdala ihre Informationen bekommt, verstehen wir besser, durch welche Stimuli Gefühle ausgelöst werden. Die Amygdala untergliedert sich in kleine Kerngebiete mit unterschiedlichen Aufgaben. Ein Teil dieser Kerne (kortikomediale Subnuclei) bekommt Informationen u. a. aus dem Riechnerv und dem Hypothalamus (Innenministerium). Andere Kerngruppen (basolaterale Subnuclei) werden vom Thalamus (Filter), vom Frontal- und Temporallappen des Großhirns und dem Gyrus cinguli (Antrieb und Aufmerksamkeit, Konfliktverarbeitung) mit gut vorverarbeiteten sensorischen Informationen versorgt. Auf diese Weise können angenehme oder bedrohliche Reize, die aus dem Körperinnern stammen (Berührung, Hitze, Kälte, Schmerz) oder vom Riechsystem wahrgenommen werden, aber auch Gedanken, Erwartungen und innere Konflikte, Gefühle wie Angst, Wut, oder auch Vorfreude auslösen.

Indem wir verstehen, an wen die Amygdala ihrerseits Informationen sendet, verstehen wir die Rolle von Emotionen in der Psyche besser. Die Amygdala selbst beeinflusst neben den oben genannten Strukturen, von denen sie selbst Informationen erhält, u. a. auch den Hypothalamus („Innenministerium“) und tiefer gelegene Hirnareale, welche die vegetativen Körperfunktionen steuern, sowie das Frontalhirn, das u. a. für das Sozialverhalten, Arbeitsgedächtnis, Impulskontrolle und situationsangemessene Handlungssteuerung zuständig ist. Über die Hirnnerven, welche die Mimik steuern, ist sie darüber hinaus am emotionalen Ausdrucksverhalten beteiligt. Gefühle können über diese Schaltwege ihrerseits, neben Erregung, körperlichem Angstausdruck und Sozialverhalten, auch kognitive Prozesse wie Erwartungen, Gedanken und Erinnerungen beeinflussen.

Die Funktion der Amygdala ist vielfach an Menschen und Säugetieren erforscht worden. Eine Reizung dieser Struktur führt bei Versuchstieren – je nach betroffenem Kerngebiet – u. a. zu Speichelfluss, Lecken und Kaubewegungen, erhöhter Aktivität im Verdauungstrakt und Hemmung der Willkürmotorik (kortikomediale Kerngruppen) sowie zu erhöhter Aufmerksamkeit, Erweiterung der Pupillen, Furcht- oder Wutreaktionen (basolaterale Kerngruppen). Menschen, die im Rahmen operativer Eingriffe stimuliert wurden, zeigen ebenfalls häufig emotionale Reaktionen und berichten darüber hinaus von Angstgefühlen, Halluzinationen und Déjà-vu-Erlebnissen. Die Zerstörung dieser Kerngebiete kann bei Versuchstieren zu Zahmheit (ausbleibende Angst- und Wutreaktionen) und gesteigertem Sexualverhalten führen.

Aufgrund ihrer emotionalen Funktion ist die Amygdala wichtig für die Angstkonditionierung. Sie ist darüber hinaus intensiv in Lern- und Gedächtnisbildungsprozesse eingebunden. So wird z. B. emotional bedeutsames Material schneller gelernt und besser im Langzeitgedächtnis behalten.

Viele Neurotransmitter wirken an der Amygdala, u. a. GABA, der wichtigste hemmende Neurotransmitter, und Oxytocin, das „Bindungshormon“.

Der Hippocampus

Der Hippocampus ist eine gebogene Hirnstruktur, die von der Form her an ein Seepferdchen (lat. Hippocampus) erinnert. Der Hippocampus spielt eine entscheidende Rolle bei der Gedächtnisbildung, insbesondere bei der Übertragung von Informationen aus dem Kurz- ins explizite Langzeitgedächtnis. Hier laufen zahlreiche Signale u. a. aus der Großhirnrinde (Assoziationsgebiete), der Amygdala (Emotion), dem Gyrus cinguli (Antrieb und Aufmerksamkeit, Konfliktverarbeitung), dem Thalamus (Filter), Raphe-Kernen und Locus coeruleus (Wachheit, Erregung) zusammen. Die Assoziationsfelder der Großhirnrinde versorgen den Hippocampus mit stark verarbeiteten Informationen aus den Sinnesorganen, die im Hippocampus in Zusammenhang mit dem emotionalen Gehalt der Information gebracht werden.

Daneben liegen im Hippocampus sogenannte „Rasterzellen“, die eine räumliche Landkarte bilden und für die räumliche Orientierung und das räumliche Gedächtnis wichtig sind. Sie speichern z. B. die eingeschlagene Bewegungsrichtung beim Aufsuchen bestimmter Orte ab und helfen beim Wiederfinden dieser Orte.

Darüber hinaus nimmt der Hippocampus regulierenden Einfluss auf endokrine, vegetative und emotionale Vorgänge im Abgleich mit gespeicherten Vorerfahrungen.

Der Gyrus cinguli

Der Gyrus cinguli wölbt sich oberhalb des Balkens (Corpus callosum) und bildet einen Übergang zwischen den entwicklungsgeschichtlich alten und den neuen Teilen des Großhirns. Er empfängt Informationen u. a. aus der Großhirnrinde und dem Thalamus und beeinflusst seinerseits u. a. den Hippocampus und die Amygdala.

Der Gyrus cinguli hat vielfältige Funktionen. Er lässt sich grob in einen vorderen und einen hinteren Anteil gliedern. Im hinteren Teil werden u. a. die Aufmerksamkeit für visuell-räumliche Reize und damit zusammenhängende Augenbewegungen gesteuert. Der vordere Anteil spielt u. a. eine Rolle bei der Aufmerksamkeitsregulation, der Fehlerverarbeitung und der Bewegungskoordination v. a. im Zusammenhang mit emotionalem Ausdrucksverhalten. Er überwacht auftretende Konflikte und vermittelt als Schaltstation zwischen dem präfrontalen Cortex (Steuerung von Sozialverhalten) und den entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnarealen des limbischen Systems (Verhaltensimpulse). Im Experiment konnte gezeigt werden, dass Ratten aufhören, ihre Lieblingssüßigkeit zu wählen, wenn dies dazu führt, dass die Ratte im Nachbarkäfig einen elektrischen Stromschlag bekommt. Dabei ist – wie beim Menschen auch – der Gyrus cinguli aktiv. Dies zeigt die wichtige Rolle dieser Hirnstruktur in Zusammenhang mit Empathie und primitiven Stufen moralisch-ethischer Entscheidungsfindung. Schaltet man den Gyrus cinguli aus oder erhöhte die Süßigkeitenmenge, frisst die Ratte weiter (moralisches Dilemma).

Der Gyrus cinguli verfügt über eine direkte Verbindung zum motorischen Kern des Nervus facialis, einem Hirnnerv, welcher in der Pons entspringt und die mimische Gesichtsmuskulatur steuert. Über diese Verbindung kontrolliert der Gyrus cinguli emotional ausgelöste Gesichtsbewegungen (mimisches Ausdrucksverhalten), wobei er selbst dabei von der Amygdala (Emotion) beeinflusst wird.

Schädigungen des Gyrus cinguli (z. B. durch Tumore oder bestimmte Demenzerkrankungen) führen zu schweren Persönlichkeitsveränderungen, Verlangsamung und mangelndem psychomotorischem Antrieb (Abgestumpftheit, Gleichgültigkeit) und vermindertem lokomotorischem Antrieb (Bewegungsarmut, Akinese).

FUNKTIONSWEISE DER NERVENZELLEN

Nachdem wir die Teile des Gehirns, die man mit bloßem Auge sehen kann, untersucht haben, setzen wir uns nun vor das Mikroskop und untersuchen die Nervenzellen selbst. Das Verständnis der Nervenzelle wird uns helfen, zum einen die Funktion der so oft erwähnten Neurotransmitter zu verstehen und damit auch, wie Ernährung, Gifte, Drogen und Psychopharmaka das Verhalten und Erleben beeinflussen. Zum anderen ist das Verständnis der Nervenzellen und ihrer Verknüpfungen die Voraussetzung, um zu begreifen, was Lernen ist und wie Gene Erleben und Verhalten determinieren können.

AUFBAU DES NEURONS

Es gibt verschiedene Arten von Nervenzellen (Neuronen), die sich in der äußeren Gestalt stark unterscheiden können. Dennoch weisen alle Nervenzellen die gleichen wesentlichen Strukturen auf (s. Abb. 11). Wie alle tierischen Zellen haben Nervenzellen einen Zellkörper. Das Besondere an der Nervenzelle sind jedoch ihre Fortsätze, von denen es zwei Arten gibt: Dendriten und Axone. Wo das Axon einer Nervenzelle A auf einen Dendriten einer Nervenzelle B trifft, bilden sie eine Synapse, d. h. eine Verbindung.

Der Zellkörper

Der Zellkörper der Nervenzelle ähnelt den Zellkörpern anderer Zellen. Er enthält den Zellkern, in welchem die verschlungenen Knäuel der DNS liegen, und sogenannte Zellorganellen, die für den Stoffwechsel der Zelle und für die Produktion von Proteinen eine bedeutende Rolle spielen.