Die Quotenmaschine - Norman Ohler - E-Book

Die Quotenmaschine E-Book

Norman Ohler

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Beschreibung

Willkommen zu: Die Quotenmaschine. »Willkommen in Manhattan, wo die Quotenmachinisten frei durch die nächtliche Stadt flottieren, mit Drogen vollgepumpt, in sexueller Ekstase oder sonst wie auf der Flucht vor der Geschichte und den eigenen Biographien.« Dies ist die Geschichte von Ray, der als stummer Detektiv Maxx Rutenberg Welt und Cyberwelt vermischt, um der eigenen Identität auf die Spur zu kommen. Als Hypertext 1995 veröffentlicht, gilt »Die Quotenmaschine« als erster Internet-Roman der Literaturgeschichte. »Ein Zukunftsroman mit happy end und kein bisschen verzuckert – erstaunlich!« (RBB Info-Radio)

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Seitenzahl: 350

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Norman Ohler

Die Quotenmaschine

Roman

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Norman Ohler

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Die QuotenkarteWillkommen zu: Mitten ins GesichtWillkommen zu: SichumgebenlassenkönnenWillkommen zu: Lebens-Netz-VirusWillkommen zu: SichfallenlassenkönnenWillkommen zu: Inside-OutWillkommen zu: Kalte GeburtWillkommen zu: Unnötiger Lärm verbotenWillkommen zu: Welt als eine Frage der Substanzen im KopfWillkommen zu: Mieze kaputtWillkommen zu: GleichgesichterWillkommen zu: KonsensrealitätWillkommen zu: Über-StimWillkommen zu: Z. K. Lebens-DateiWillkommen zu: Kranke KommunikationWillkommen zu: DoppelgängsterWillkommen zu: Willens-PunktuationenWillkommen zu: GegenwartskontrolleWillkommen zu: VerhängnisverhütungWillkommen zu: Z. K. Lebens-DateiWillkommen zu: Zeichen der DurchkreuzungWillkommen zu Ray – Robot …Willkommen zu: Systemsucht (Ausführung)Willkommen zu: Paul SelbstmordWillkommen zu: HohlweltkonsequenzenWillkommen zu: Die Katzenjammer-KidsWillkommen zu: JelängerjelieberWillkommen zu: Der Schrei des stummen DetektivsWillkommen zu: Das Fließen von Information wie das Zirkulieren von Blut
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Willkommen zu: Mitten ins Gesicht

Die Welt ist schon da! schlaf-schnüffelte Ray und roch Schärfe. Von ganz tief unten tauchte er auf, trieb an der hauchdünnen Grenze zwischen Nacht und Normalität, wurde von zooigem, muffigem Geruch bedrängt und fiel hinüber in den Tag. Öffnete die Augen einen Haarspalt und sah durch die vibrierenden Riffel seiner Wimpern das Laken, das wohl die ganze Nacht auf seinem Kopf gelegen hatte. Laken, das ihn immer noch schützte vor sichtbarem Draußen, Gerüche allerdings nicht abschirmte. Benommen überlegte er: Scheint spät zu sein. Muß mich kümmern. Will doch nicht schuldig werden: angeklagt wegen fehlender Aktion in einer progressiven Welt. Immer noch waren seine Augen verklebt, und er dachte darüber nach, was er eben gedacht hatte. Keinen Respekt vor Müdigkeit, Sätze. Irgendwann mal durch meine Haut geschwommen, jetzt einsatzbereit. Sätze, die sich einnisten, Kinder kriegen und Krankheiten verbreiten, dann schwimmen sie wieder raus und unter die Menschen.

Raus und unter die Menschen! verkündete Ray, lüftete den Stoff und sah: Licht: fransig im Detail, ultraviolette Schlieren, die sich langsam zu Konturen von Wirklichkeit verbanden. Mehrere Meter starrte er durch dünne Luft, dann blickte er tief in gelbe Augen, die ihn blöde anstumpften. Der Panther! Der gottverdammte Panther. So hat der noch nie gestunken. Muß ne warme Nacht gewesen sein.

Majestätisch, das Tier. Ausgestopft. Die vier Pfoten dicht beisammen auf ein verstärktes Skateboard genagelt. Die Rollen des Skateboards auf Stahlschienen, die eine fast bis zur Decke reichende Rampe entlangliefen. Herzstück von Ließas kommender Ausstellung. Unglaublich traurig, der Gesichtsausdruck des Tieres. Freute sich nicht über seinen Auslauf. Ray wendete sich ab.

Ließa sollte das Ding auf den Speicher tun. Meine lebendige Katze reicht.

Katze? rief er, drehte sich, suchte nach seiner kleinen gemeinen Hauskatze und sah statt dessen: Mitmensch. Leben! stieß er aus.

Ebenfalls – antwortete Ließa schläfrig und rollte auf die andere Seite.

Nein! Nicht von mir wegdrehen. Er schoß vor, um ihre Haut zu fühlen. Packte ihren linken Fuß, streichelrieb ihn. Hornhaut. Stolz gewachsene Hornhaut, von der ich langsam und vorsichtig ein großes Stück abzieh/Au! fauchte Ließa, warf die Decke wieder über Ray, griff in ein Bonbonglas, reichte ihm ein daumengroßes Kristall kandierter Süßigkeit nach und begab sich noch einmal Richtung Schlaf.

 

Dies ist das Werk eines unstabilen Geistes! denkt Maxx Rutenberg und liest noch einmal durch, was er gerade aufgeschrieben hat.

Detektiv ist er, trägt eine Plastiksonnenbrille und sitzt auf dem Dach seines Hauses, um Distanz zu haben von der: Schwere der Tatsachen. Spekulieren kann er hier oben, frei über Rays Leben schreiben. Vor ihm: die ruhige, dabei gigantische Skyline von Manhattan, das gute alte Postkartenbild. Auf dem Klapptisch, an dem er Platz genommen hat, steht ein Laptop – Computer, den er mit seinen Erkenntnissen futtert: Erkenntnisse über Ray, dessen Schicksal er untersucht, um herauszufinden, wieso dieser einen Menschen auf dem Gewissen hat.

Dunkel ist die Plastiksonnenbrille von Maxx Rutenberg. Weitsicht durch gehärtetes Erdöl – vor allem das Grobe erkennbar, Fragmente. Er paust, sein Blick schweift unruhig zwischen eindeutigen, bekannten New-York-Gebäuden hin und her: Da muß doch mehr zu sehen sein!

Er nimmt die Sonnenbrille ab, läßt seinen Blick ins klare Wolkenkratzergetümmel tauchen, sieht Details und nimmt sein Schreiben wieder auf. Die Buchstaben rennen den Ereignissen hinterher:

 

Müde, Ließa. Atmete bewußt langsamen Nachtatem. Sah Rays Augen unter ihren Lidern: menschliche Sonnen, zwei. Dachte daran, wie er vor einer Woche plötzlich vor der Tür gestanden hatte. Rote Nylontasche über der linken Schulter, oben raus guckte der Kopf dieser Katze – war, glaub ich, vor allem die Katze dran schuld, daß ich sie reingelassen hab. Sensible Katze, die als erste die Faszination zwischen mir und Ray gespürt hat, die möglichen Möglichkeiten.

Ließa öffnete die Lider und sah den Panther, an dem sie in den letzten Tagen manisch gearbeitet hatte. Ihre Halbaugen wanderten, strichen über das Chaos ihres Studios, bis sie den neben ihr liegenden Ray im unscharfen Bildausschnitt sahen. Sie dachte an seine Vergangenheit, von der er ihr erst beiläufig, dann auf Nachfragen hin ausführlicher erzählt hatte. Spürte ihn: Energie. Sie war gespannt. War optimistisch. – Jedesmal, wenn meine Augen grün sind und nicht blau, wirds wunderschön. Sie fühlte: Ihre Augen würden glänzen, später, glänzen wie nasses Gras.

Unter der Decke schob Ray die Süßigkeit in den Mund und war ersatzbefriedigt. Kontemplierte über Nahrungsaufnahme/Fressen und rief: Katze? Schon wach, Katz?

Keine Antwort. Hört mich niemand, wenn ich unter der Decke liege? Kümmert sich niemand darum, wie’s mir hier unten geht?! Gut gehts mir, danke. Dem Monster gehts gut.

In mehreren Ansätzen hatte er Ließa in den letzten Tagen geschildert, wieso er Monster war – seit seiner Geburt. Spezialanfertigung, Meisterwerk – Zitat – moderner Medizin. Spezialanfertigung eines gewissen Kipplers, eines Grenzgängers des technisch Möglichen, der die Profilierungschance seines Lebens witterte, als Rays Mutter bei einem Autounfall getötet wurde – im fünften Schwangerschaftsmonat. Apparate waren damals schon so gut, daß das Expertenteam um Kippler es wagen konnte, Teile der Leiche am Leben zu halten, vor allem den Bauchbereich, um somit: Fötus, Ray: zu retten. Ein Medienspektakel: fragile Sensation im künstlich angereicherten Saft der Fruchtblase. Kabel in die tote Mutter rein, Kabel aus ihr heraus, alles unter ständiger Videobeobachtung.

Ray schlug die Decke beiseite und beschaute Ließas Haare, die wie lebendiges Holz von ihrem Kopf wegflossen. Er näherte sich ihr und flüsterte ins Ohr: Ich bin froh. Alles hat sich gelohnt.

Ließas Stimme frech, überraschend wach: Froh über perfekt gesteuerte Aufzucht?!

Sie beugte sich über ihn, drückte vorsichtig seine Lider nach unten und säuberte mit den Fingerspitzen die verklebten Winkel seiner Augen. Erzähl mir noch was!

Er stöhnte. Seit ich dir davon erzähle, gibts nur noch Horrorfilm in meinem Kopf und immer die ewigselben Szenen auf der Leinwand. Ich im Zuchtbauch, und auf der anderen Seite der Bauchdecke spielen sie Mozart, weil kulturell wertvoll. Ich, Gefühle und Körper irgendwelchen Kennern verdankend, die mich monatelang mit den ihrer Meinung nach richtigen Reizen stimulieren, im kontrollierten Bauchumfeld einer Leiche. Eine Stunde am Tag Fernsehen, aber keine Nachrichten, die könnten mich depressiv machen. Schichtweise müssen Krankenschwestern den Bauch streicheln: genügend Liebeseinheiten, sonst wird der Junge zum Außenseiter.

Ließa streichelte Kreise um seine Brustwarzen. Sagte: Kippler ist mittlerweile überall mit seiner Organhandelsfirma: LEBENSNETZ. Nicht mehr umstrittener Arzt, sondern erfolgreicher Geschäftsmann, hat sich weiterentwickelt. Ziemlich skurriler Typ, der dich da ans Licht geführt hat. Talk-Show-Abklapperer.

Schau ich mir nicht an. Ray ließ seine Augen wie sensible Suchschweinwerfer durch die Wohnung schweifen. Rief: KATZE?

Interessiert dich alles nicht?! Gut! Soll ich alles zurücknehmen? Auch gut. Also: Das alles ist nicht passiert. Besser?

Ray drehte sich weg. Katz?! Wo hast du dich versteckt, verdammt noch mal?!

Blaustich im Grün von Ließas Augen. Aufgeregt betrachtete sie ihr Studio: ein Universum konstruierter Installationen, Anordnungen. Universum, an dem sie in Energieausbrüchen baute, Kameras benutzend, mattglänzende Monitore, blinkende Motoren in verschiedensten Größen, Speicherplatten. Sieht aus wie eine: Intensivstation, dachte sie und bestarrte den Panther, den sie dem New Yorker Zoo abgekauft hatte, wo dieser nach nur halbjährigem Aufenthalt verstorben war.

Unter völliger Kontrolle im Zuchtbauch meiner Kunst. Begrenzte Freiheit innerhalb von Gefangenschaft.

Sie stand auf, ging von Ray weg, ging zu dem ausgestopften Tier, fuhr über das blauschwarzglänzende Fell und drückte auf einen Schalter, der an der Unterseite der Rampe angebracht war. Dunkle Synthesizerklänge ertönten, einer melancholisch und tief gespielten Kirchenorgel ähnlich. Das Skateboard setzte sich langsam in Bewegung, fuhr mitsamt seiner Last nach oben. Die Augen des Tieres: leer, kein Leben, kein Sinn mehr drin, Maul: geschlossen, lange nicht gebrüllt. Das schwer beladene Skateboard fuhr hoch und wurde dabei von Strahlern beleuchtet, die an der Rampe angebracht waren. Hoch, langsam wieder runter und wieder hoch, dazu die verfremdete Musik.

Sie hörte Ray rufen: Hast du vielleicht meine Real-Katze gesehn?

Hab gestern abend die Tür aufstehen lassen, antwortete sie. Kann ohne Durchzug nicht schlafen. Mein Gehirn braucht Sauerstoff, und Katzen brauchen Auslauf.

Ray starrte: Die ist doch nicht draußen, oder?

Luft tut der gut, sagte Ließa, und ihre Worte seegrasten durch den Raum. Die schnappt Luft.

Nein! Die läuft davon!

Wird im Treppenhaus sein.

Ray stöhnte: In den Eingeweiden der Hausmaschine. Leise wurde seine Stimme, traurig, so unzufrieden: Kaattzzz?

Ganz ruhig, antwortete Ließa. Ganz ruhig.

Sie dachte an den unendlichen Gesichtsausdruck des ausgestopften Panthers. Passiert schon nichts Schlimmes, sagte sie lotusstimmig. Ich bring das schon in Ordnung.

 

Die Tür, die leicht offenstand, durchschreitend, trat Ließa ins hölzerne Treppenhaus, das ihre Nachbarinnen mit frauhohen, immergrünen Topfpflanzen vollgestellt hatten, die aufgrund eines hochkomplexen Gießplans die Zeiten zu überleben schienen.

Wo hast du dich versteckt, Tier? rief sie und wartete auf ein schüchternes Miau.

Stille.

Langsam stieg sie die Stufen nach unten, schob das dichte Blattwerk des Zuchturwalds auseinander und spähte nach einem Katzenfell. Stockwerk um Stockwerk suchte sie ab, dann sah sie inmitten der Pflanzen einen zart gefleckten Schwanz, der gemütlich um die Holzpfosten des Geländers strich. He! rief sie, und die Katze drehte ruckhaft den Kopf, fror in ihren Bewegungen ein, die schweigenden, schimmernden Augen auf sich näherndes Wesen gerichtet.

Aufmerksam         napffffffpppgr

Metallisches Blinken in den Augen. Ließa griff nach einer Palme, rückte sie beiseite, um an das Tier heranzukommen. Die Katzenaugen folgten dem Arm wie eine Kamera. Was du schon alles gesehn hast! dachte Ließa. Immer die Pupillen auf allem. Speicherst du das ab? Hab doch gesehn, wie du bei mir in jede Ecke gekrochen bist, um mit den Augen Bilder zu fressen. Wie seh ich denn aus mit ihm? Ließa fühlte: Informationsmangel. Würde mir gern mal den Film in deinem Kopf ansehen. Detailhunger!

Mit einem schnellen Griff packte sie die Katze mit beiden Händen an den Rippen, hielt sie in Augenhöhe und Armeslänge vor sich und quetschte ihr leicht den Bauch. Muß dich vielleicht mal anzapfen. Das Tier wand sich, versuchte auf den Boden zu springen. Schillernde Katzenregenbogenhaut. Zerbrechliche Juwelenaugen hast du. Bilder speichern, und alles ist geheim, weil dir Fell wächst zum Abschirmen. Aber was, wenn ich an dein Zeug rankommen muß? In der Besteckschublade schläft eine lange Schere. Pass auf, daß ich die nicht an dir ausprobiere!

Die Katze gurrte auf, dann gab sie keinen Laut mehr. Wollte nicht abrufbar sein, sträubte ihr Fell.

Ließa griente und stieg mit dem widerspenstigen Tier langsam nach oben: in ihre bewohnte Wohnung.

 

Stunden später: Ließas Studio verlassen, Ray, äußerst vorübergehend allerdings: so hoffte er. Bei Ließa aufwachen, bei Ließa frühstücken, dann durch nachmittägliches New York spazieren – Leben! Nebenwirkung: Zweifel, die Ließa immer wieder provozierte, indem sie über seine Geburt reden wollte. Geburt, die bisher zweitrangiges Kuriosum gewesen war, mittlerweile gigantische Schatten warf.

Man müßte wissen, wann genau man Zuchtpflanze ist und wann eigene Person, meinte er: zur Katze, die königinnenhaft auf seiner linken Schulter saß, keinerlei Reaktion zeigte und dem Spaziergang durch Manhattans East Village mit relativer Gelassenheit begegnete. Aufgrund des Überangebots an für sie bedeutungslosen Stimulierungen hatte sie auf Durchzug gestellt.

Das Gegenteil von allein sein ist sich verlieren, singsangte Ray, und allein kann niemand sein, weil jeder Worte im Kopf hat, und die formen immer dieselben Sätze, und weil wir permanent Sätze murmeln, die allen gehören, sind wir nie allein.

In wenigen langen Sprüngen überquerte er die First Avenue. Also paß ich nicht mehr zu mir, wenn ich von meinem Leben erzähle. Da liegt doch das Problem mit Ließa. Verstehst du, Katz?

Apathische Reaktion des Tieres, ausgeführt durch ein kaum spürbares Strecken der Krallen in Rays Fleisch. Versunken. Schweigender Kopf auf den Verkehr gerichtet: geisthafte, schattenhafte Purpur-Schlieren, Chromoprotein, zu einem Quittegelb ausbleichend – halbierte Buchstaben, die als zerstückte Wellen daherkommen, pink blumen, nibbeln am durch

gangLicht hier ......

Lief weg von Ließa, Ray, lief durch: East Village, buntester Stadtteil von Manhattan: dichtbewohntes Künstler- und Einwandererviertel, Backsteinhäuser, fünf, sechs Stockwerke hoch, von schwarzglänzenden Feuerleitern beklettert, dunklen Alleebäumen beschattet: voller Menschen, das Viertel: Ray wurde umarmt von summenden Straßen, in denen er treiben konnte, ohne Ziele entwickeln zu müssen. Mittendrin sein, deshalb keine Richtung einschlagen: Er badete in Sprachfetzen, stieg über frischgeklaute Mäntel und Schuhe, mit denen ein Händler den Bürgersteig eingekleidet hatte, lief an Barfenstern vorbei, schaute rein, ob er jemanden kannte: Ungemein stärker als der der Katze wurde sein Blick ununterbrochen zum Streunen verleitet: Neonwerbung für eine Wahrsagerinnen-Stube brach leuchtend in sein Sichtfeld, Domino-Tische, um die Dutzende von Puertoricanerinnen saßen, Graffiti auf jeder Mülltonne: kaum eine Stelle, die nicht von einer Botschaft in Besitz genommen war. Kaum eine Stelle, die Rays Augen in Ruhe ließ: Ein Gedicht auf Packpapier, an eine Wand geklebt. Durch einen Nebel von Nachrichten drängte er sich: Frei fühlte sich Ray, frei, weil abgelenkt.

Von zufriedener Katze begleitet drehte er Runden auf den Schachbrettstraßen des East Village, das ihn immer wieder an dieselben Stellen führte, und dieselben Stellen sahen jedesmal anders aus. Fühlte sich frei, aber wußte, das hält nicht ewig: Hunger! Bald was zu essen organisieren – irgendwo schlafen heute nacht. Er dachte an Ließa: Nein, kann da nicht schon wieder hin. Dachte an sie, und ihr Bild verschwamm vor seinen Augen zu farbigen Schlieren, die von der nie gesättigten Atmosphäre ohne Spuren absorbiert wurden. Was bleibt übrig? Die Straßenecken werden zu abgerundeten Kanten, in allen Fenstern schillern künstliche Regenbogen, und wenn ich nach oben schau, gibts Wolken im Himmel, graue Wolken, die aussehen wie Laborgeräte.Mein Sex mit einer Ameise: Ich will deinen freien Fluß von Informationen lecken Mich in deine verwirrten Verteidigungssysteme einspeisen Systeme, die immer noch Unterscheiden möchten zwischen Gut und Böse Sirius, ¥/3.

Ray wollte in eine Seitenstraße abbiegen, da stand vor ihm eine Frau mit Zwillingskinderwagen, die ihn einen Impuls lang an: Ließa erinnerte. Er bremste ab: Ausgestopft! Aber keine Angst – haben doch Räder unten dran. Wird alles gut, oder?! Blieb vor der Frau stehen, versperrte ihr den Weg. Wird alles gut, was?!!

Scheiße, ein Verrückter.

Die Frau drückte sich an ihm vorbei, Ray fauchte hinterher, ging weiter.

In aller Ruhe guckte Katze von links nach rechts nach links, Schulter bekrallt. Hatte auf visuellen Vielfraß gestellt, ließ sich von aufgeregtem Ray durch die Straßen tragen, schluckte Bilder und verdaute im Gegensatz zu ihm sowenig wie möglich. Reagierte nur auf abrupte Ausnahmen, die es schafften, aus der Farbensuppe aufzutauchen, Konturen zu gewinnen. Sie merkte auf:

Ein japanisches Restaurant mit Tischen auf dem Bürgersteig: Roher Fisch in Reichweite. Sie benutzte Rays Oberkörper als Leiter: Leute rückten ihr Essen ein Stück weg, freuten sich über die niedliche Mieze, wollten aber nicht zu freundlich werden und verloren ambivalente, auf Distanz bleibende Komplimente an Katz, die diese nicht einordnen konnte. Aufmerksam. Ray betrachtete die Tische, genoß den Anblick: so rein, der Fisch; wäscht sich sein ganzes Leben lang schwimmend sauber. So unbearbeitet, nicht durch Maschinen gelaufen, so unkompliziert. Schlenderte langsam vorbei:

Ließa hat meistens Sushi da. Vor ein paar Tagen rohen Lachs von meinen Brustwarzen gegessen. Wir beide essen nichts lieber als Sushi, was?! Zufrieden. Zentrum meldet: Zufrieden. Miaute, Katz. Wieso sind wir eigentlich nicht dageblieben? Find das so schön, wie ihre Augen wechseln: von Grüüün über Silber nach Gewaschen-Blau. Du willst dich gleich bei der einnisten, oder? Mjauu. Warm bei Ließa, ja, ja. Nein, geht nicht. Kann da nicht bleiben. Katze grummelte. Aber weißt du, was ich mir wünsche?! Heute abend gehen wir Sushi essen, zu dritt!

Ein Schnurren wie Donner.

Pardon – wie funktioniert das eigentlich bei euch?

Keine Antwort, nur ein Lächeln für das Tier von einem vorbeispazierenden Paar, Hand in Hand.

Ray stieg über verstreuten Müll, der, keiner Chaostheorie gehorchend, den Bürgersteig zupuzzelte, lief die 7. Straße entlang und überlegte, wie er sein tägliches Orakel heute befragen würde: Agatha, Pizzabäckerin am Tompkins Square Park.

 

Den Ort hat Maxx Rutenberg gewechselt, ist unten in seiner Wohnung, starrt auf den bläulich blassen Monitor seines Computers und sieht sich darin gespiegelt.

Auf der Flucht ist Maxx, im Exil, denn der Fall, den er bearbeitet, ist kein beliebiger Fall: Der Text, den er aufschreibt, behandelt die Geschichte seines eigenen Lebens, und zwar aus einem Grund, der an simpler Komplexität nicht zu übertreffen ist:

Er selbst ist jener Ray gewesen, dessen Leben er jetzt festhält, er selbst war es – bis er einen anderen Namen annahm, sich zu Maxx Rutenberg wandelte und stummer Untersucher wurde, weil er als Ray: scheiterte.

 

Hunger! War unruhig plötzlich, die Katze. Duckte sich, spannte an, krallte und: Ray hielt sie vom Springen ab. Punkfrau auf dem Boden, gegen Häuserwand gelehnt. Becher in der Hand: riecht interessant – was zum Fressen drin? Runterbeugen: Oh – die schläft. Vorsichtig schnuppern, Näschen dran reiben – riecht nach: Hund! Weiter.

Wie wärs mit Dollar-Pizza bei Agatha?! fragte Ray, streichelte, und die Katze schmiegte ihren Kopf gegen sein Ohr. Er drückte sich durch Menschengetümmel, das vor einer Jazzkneipe durcheinanderschnatterte, ignorierte ein plötzliches allgemeines Aufraunen, kombiniert mit dem Blitzen und Klacken von Fotoapparaten, die wie Blumen aus Stahl und schwarzem Plastik in die Höhe sprossen, bemerkte, wie Katzens Pupillen davon angezogen/abgestoßen/angezogen wurden, lief sprunghaft weiter, eilte über Avenue A, wo ihn ein Taxi wild hupend umkurvte, stieg durch wolkigweißen Dampf, der haushoch-dick aus einem Gully quoll, Katze fauchte, wurde von kreischenden Sirenen geschockt, die vorbeidopplerten, blickte zum braun angelaufenen Himmel, schüttelte den ersten Gewitterregentropfen ab wie eine unwillkommene Einmischung, spürte ein sich entladen wollendes Drucksystem bleidampfig auf der Schädeldecke lasten, fühlte Grummeln im tiefsten Innern, unterhalb aller Überlegungen, Ängste, hörte auf dieses Grummeln und erkannte es als die unschuldige Beschwerde des Magens, der Beachtung forderte. Ray sog Luft durch die Zähne, lächelte einer Obdachlosen zu, die auf der Straße Schachteln mit dem geblümelten Schriftzug: Abtreibungswurzeln/15. Jahrhundert ausgebreitet hatte, betrat den billigsten Pizza-Laden des East Village: Ecke 7. Straße/Avenue A.

Schneidende Atmosphäre, aber simpel und sättigend. Agatha mit dem Rücken zur Theke. Ray wartete.

Katze prüfte mit einem Weitwinkelblick ihre Optionen und klebte die Augen auf ein verbranntes Stück Peperoni-Pizza, das am designierten Platz für Haustiere aller Art, hinten in einer Ecke des Ladens, wartete. Die cognacfarbenen Flecken auf ihrem hellen Fell pulsierten: Ich will! Ein emanzipatorischer Sprung weg von Rays Schulter: verschwunden, sie.

Um: drehte sich Agatha, Hände teigverklebt. Ray verbeugte sich und fragte sein Orakel: Was ist wichtiger – Personen oder Geschichten?

Jugendliches Grinsen, schwimmend im Gesicht der intensiv nach Hitze und Käse duftenden alten Frau. Roter Pulli, auf den mit Braun die Worte: SO VIEL SCHOKOLADE – SO WENIG ZEIT geflockt waren. Eine sich überschlagende Stimme:

Personen sind verdichtete Geschichten!

Ray schaute sie zweifelnd an, sagte: Ich hab eine Frau kennengelernt, die sieht mich als Geschichte, dabei will ich Person sein, und alles, was ihr dazu einfällt, ist: Du mußt dichter werden.

Moment! unterbrach ihn Agatha. Noch mal langsam. Du meinst also, du hast eine Frau getroffen, die dir sagt, du kannst erst Person sein, wenn du deine Geschichte kennst?! Wunderbar. Hoffentlich ist das alles auf Band.

Ray blinkte in die Überwachungskamera, die über der Tür installiert war: Ein weiterer Moment meines Schicksals, der dokumentiert wird. Oder wird das rausgeschnitten?!

Um Gottes willen, gluckerte Agatha, schob ihm rotdampfende Pizza auf einem Pappteller hin. Woher sollte ich denn wissen, was ich wegkürzen darf? Freu mich schon drauf, mir das heute abend noch mal anzusehn.

Buch lautete der Arbeitstitel des Werkes, an dem Agatha seit Jahren schrieb. Auf mittlerweile über tausend Seiten sammelte sie die vorher auf Band aufgenommenen Aussprüche von Kundinnen und Kunden, die ihrer Meinung nach einen akkuraten Spiegel der Gegenwartsmenschheit darstellten. Sie betrachtete ihren Laden, der für den Urbetrag von einem Dollar die Urmahlzeit Pizza mit Tomaten und Käse lieferte, als eine Kultstätte menschlichen Austausches. Katzenbekanntschaften hieß der aufs wunderbarste passende Titel des Kapitels, in das Ray eingeordnet war – der von diesem potentiellen Druckwerk übrigens weniger hielt als von den Orakelsprüchen, die Agatha daraus zog und: live vortrug.

Er betrachtete Katze beim eifrigen Fressen und fragte: Wie stehts um die Haustierliste diese Woche?

War ne Schlange da, antwortete Agatha. Gabs schon lange nicht mehr. Brav und wunderschön, ein Ukrainer mit Anzug und Hut hat die über den Schultern gehabt. Ansonsten hatten wir einen Leguan, einen sandfarbenen, mit lila Zunge, dann eine Wasserschildkröte im tragbaren Aquarium und mal wieder ein Wiesel.

So was wie’n Wiesel fällt dir noch auf?

Erst abends. Erst auf dem Band. Hat sich sehr im Hintergrund gehalten. Dabei wars sogar ein Albino, glaub ich, obwohl ich das nicht so genau sehen konnte, weil die Aufnahme schwarzweiß ist.

Zoo York. Ray wandte sich zum Gehen: Die Person muß sich jetzt leider verabschieden. Er schnappte die Katze, die damit überhaupt nicht einverstanden war und verbissen an einem im Vergleich zum Maul monströs großen Pizzastück festhielt.

Paß auf: die Stadt ist dicht heute, sagte Agatha.

Ray trat durch die Tür: Seit Jahren leben wir im Reiche des Fürsten Mangogul! rutschte ihm in die Kamera, und er ging nach draußen. Fettessen in der Hand, unzufriedenes Tier auf dem Rücken.

 

Zuckerwattenluft auf Avenue A, klebrig und schwer. Ankündigung von Unwetter. Ray streichelte die Katze, die gewisse Schwierigkeiten hatte, sich gleichzeitig auf der Schulter festzukrallen und zu fressen. Er dachte: Lebendiges Porzellan, du. Wertvoll.

Keine Reaktion.

Er biß: ihr erst ganz sachte ins Ohr, dann in seine Pizza. Kurzes Murren. Dachte: Schmecken kann sie wunderbar, die Zunge. Nur Probleme beim Sprechen. Fürst Mangogul? Er spazierte, dachte an Agathas Abschiedsworte, fand sie alles andere als zutreffend: Geradezu leer, der Bürgersteig, die Straße, alle geflüchtet, da schwarze nasse Türme im Himmel. Kann doch nicht sein, daß ich hier so gut wie allein bin. Ruhe vor dem Eingang zu Tompkins Square Park. Ruhe im Village. Seltsam. Wo sind denn alle hin? Er schaute Katze zu, die schwer kaute, schaute sich die goldenen Flecken ihrer grasigen Iris an – und erstarrte: Einen Film sah er abspulen auf der Schwärze der Pupillen: Er schaute weg: schaute wieder hin: wieder der Film: Er selbst in der Hauptrolle: Wie er versucht, in Ließa hineinzusteigen, versucht, sich reinzutasten – ohne, daß sie’s merken soll, weil sie schläft, ganz vorsichtig will er sein, nichts kaputtmachen, Finger, einer nach dem anderen, dann die ganze Hand, dann immer weiter, und dann hört er nicht auf und will seinen Unterarm vorschieben, und sie schreit, und er schreit, aber anders als sie, weil es ihm gefällt. Mensch! fuhr er die Katze an, hastete über die Straße und wand sich durch dick tröpfelnden Regen.

Er klaubte drei faustgroße Pflastersteine auf, fing an zu jonglieren, ging im Jonglieren weiter, woraufhin die Katze: auf höchste Alarmstufe schaltete.

Ging, und Regen schwängerte zur ersten Pfütze. Ray senkte seinen Blick hinein, jonglierte: sah einen vorbeifahrenden Stadtbus im unruhigen, löchrigen Wasser, schaute auf: sah den Bus: die Werbung über der Breitseite des Busses: Er fror ein: Ozeanblau auf Weiß: LEBENSNETZ – WEIL WIR LIEBEN – Steine klackten auf die nasse Straße. Vom Bus nur noch die Rücklichter zu sehen. Wie eine Druckwelle ins Gesicht – Regen fiel heftig. Ray fühlte sich – allein: Kontrolliert und allein. Fühlte seine Schulter schwer werden – nicht von der Katze.

Kontrolliert. Seit der Geburt.

Regen wusch hektisch durch die Luft.

Er dachte an Ließa, verschiedene Menschen vor Ließa. Ließa. Wieso kann ich niemanden lieben?

Katze legte die Ohren an, versuchte, ihren Kopf unter Rays Haaren zu verstecken. Regen verstärkte sich schubhaft:, ging in Hagel über. Blitze. Ray dachte an Kippler. Haß plötzlich in ihm. Prügelte das leere Wort Kippler durch seinen Kopf: nutzlos. Dachte an seine Katze, die Nässe fürchtete: Katz mag es bei Ließa. Bekommt bei ihr ein Lorbeerblatt aufs Futter gesteckt, und das Futter auf einen richtigen Teller. Ich mags da auch: Mensch, wie schön Ließas Stimme war, als ich unter der Bettdecke: Ach, das macht doch alles nichts. Dreh dich noch mal um. Ich sag dir Bescheid, wenn es soweit ist. Hab ihr sofort alles geglaubt. Will ihr alles glauben, sagte er, ließ seine Worte naß werden und lief über den menschenleeren Bürgersteig von Avenue A, auf den ein dumpftrommelnder dicker Hagelschauer niederging. Hätte ihr von Anfang an glauben sollen. Die Katze kroch in Rays nasse Halsmulde, triefendes Fell. Das Prasseln stärker, so hart jetzt, Ray rief und konnte sich nicht hören. So hart jetzt auf die Metalldächer der parkenden Wagen, daß plötzlich eine Auto-Alarmanlage nach der anderen aktiviert wurde und die Straße innerhalb weniger Sekunden in einem ungestimmten Kanon von Sirenen ertrank. Die Katze schloß vor Panik die Augen, vertraute auf Ray, und der lief durch das einsame Inferno von krachenden Eisstücken, Donnern, Blitzen, heulenden Automobilkarosserien. Durchnäßte vollständig, weichte auf, konnte sich bald selbst nicht mehr unterscheiden von der auf ihn zustürzenden Wasser- und Lärmumgebung, wußte nicht mehr, ob er weinte oder schrie oder ganz still war. Hielt sich aber an diesem Wort fest, das in monotoner Wiederholung in seinem Kopf wütete: Kippler! Kippler! Kippler! Kippler! Kippler! Kippler!

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Willkommen zu: Sichumgebenlassenkönnen

Permanent variierendes Synthesizerrauschen durchfließt die Lageretage wie welliger, farbiger Äther. Die Augen weit offen, steht Maxx Rutenberg am Fenster, stößt dessen Flügel auf, achtet aber nicht darauf, was dahinter liegt. Seine Regenbogenhäute glänzen.

Musiknebel durchfließt seinen Körper, fließt in seinem rechten Arm nach vorne, fließt nach vorne in heller werdenden, tropfigen Klängen, die den Arm wellend in der Luft halten, wellend schweben lassen, die: plötzlich, abrupt: stoppen: Seine Bewegungen gefroren in Luft für: Momente: Dann gewinnt Musik wieder an Tempo, und sprudelnde Bläschen rauschen durch ihn, rauschen in seine Fingerspitzen, die heiß atmen, geladene Fingerspitzen, die von rechts nach links ziehen, von rechts nach links ziehen: Er öffnet ein zweites: Fenster und gießt sich in Raum, der sich vor ihm erstreckt:

Maxx tanzt, hellwach, überhellwach. Den Punkt, an dem Müdigkeit überwunden ist, lange passiert. So gut wie nicht geschlafen letzte Nacht, seit Wochen kaum geschlafen, trotzdem: pulst Energie in Schlaufen durch seinen Kopf. Hinter dem zweiten Fenster: Raum hinter diesem zweiten Fenster: ausgelaufener Wassermalkasten, durch den er taucht, überwaschende Musik, durch die er tanzt, von Farbe zu Farbe. Jede Faser luftleicht, fahren seine Hände am Körper entlang, streicheln an Schenkeln entlang, an Brust, Gesicht, Brust, Schenkeln, er malt Spiralen auf seine Haut, malt Blutbahnen nach mit fließenden Fingern: Rhythmus explodiert momentelang: Finger vibrieren: Schnelligkeit durchschießt Maxx, zuckt durch ihn durch und blitzt nach allen Richtungen in den leeren Raum um ihn, wird nicht zurückgeworfen: Wird plötzlich doch zurückgeworfen: Maxx: prallt gegen schwere blaue Töne, die sich zu schwingenden samtigen Streifen verdichten, durch die er jetzt zuckt, die er mit: fontänenhaft nach vorne waschenden Armen teilt, sich durch Tonstreifen windend, die mitten in ihm wehen. Schwunghaft bewegt er sich und ist: hindurch: die Streifen aus seinem Hörfeld: Licht dahinter, und Maxx kopfspringt in glitzrigen Staub: Ratsch! Reißt ab: die Musik: Kassette am Ende, ein lächerliches Klacken des Rekorders. Reißt ab, abrupt: Maxx Rutenbergs Sichumgebenlassenkönnen.

Er blickte aus dem Fenster: bekannte Situation.

Drehte sich um, immer noch Helligkeit in den Augen, lief hinüber zur Stereoanlage. Nahm die Kassette heraus, auf der mit Schwarz das Wort Fötusurbanrauschen geschrieben stand, und schob sie in einen Walkman, den er in die Brusttasche seines Pullovers steckte. Mit ausholenden Schritten durchquerte er den weiten Raum der Etage, die er bewohnte, ging auf die Treppe zu und stieg hinunter.

Er stellte sich vor den Eingang des Abbruchhauses. Müllandschaft. Punkige Industriewüste. Randgebiet von Hoboken, einer Kleinstadt auf der: anderen Seite des Hudsons. Drüben, direkt hinterm Wasser: New York. Ort, dem Maxx erst mal fernbleiben wollte, weil er immer noch geschockt war vom Ausgang des Lebens, das er dort geführt hatte, als er noch Ray hieß. Kein Wort seit der Ankunft in Hoboken gesprochen, kein Wort: Ermittler war er geworden.

Er betrachtete das Schild, das er neben den Eingang an die brüchige Wand genagelt hatte. Geschwungener Schriftzug in tiefblauer Farbe, der sich stolz und deutlich sichtbar in die menschenleere Öde hinausrief:

Stummer Detektiv – Sprechstunden nur nach Vereinbarung!

Maxx Rutenbergs einziger Fall: eigene Person. Bezahlung: miserabel, da nicht vorhanden.

Er durchsuchte seinen Pullover, stieß auf nichts als den Walkman, klopfte seine Taschen ab, fand dann: in der rechten Socke: die Weichpackung Newport, aus der er eine Zigarette nahm, die Augenblicke später seinen Mund mit der Außenwelt verband. Er bezündete und warf das Streichholz auf die verseuchte Erde. Rauchte nur beim Gärtnern, Maxx, und ging deshalb in Richtung seiner Beete, die er nahe am colabraun fließenden Hudson angelegt hatte. Lief am ranzigbuttergelben Lagerhaus vorbei, dessen Fenster glaslos höhlten, stieg durch die Hitze und stand vor der splitterhaften Ansammlung von Erdflecken, aus denen flaschengrüne Triebe nach oben ragten, weg von den Wurzeln. Zeug, das er wegen des Gifts im Boden nicht essen würde, was ihn aber noch lange nicht davon abhielt, es: zu ziehen. Klettertomaten baute er an, Koriander und Sojasprossen. In einer Erde, die er erst aufhacken mußte, so verkrustet war sie von: Das will ich gar nicht so genau wissen. Der einsame qualmende Gärtner mit Plastikgießkännchen. Wasser sozusagen frisch aus dem Fluß. Der einsame Gärtner, hartnäckig anbauend inmitten von: Industrie wüste. Rauchender Maxx beim Gärteln: brennt seine Energie ab für eine andere (niedrigere?) Lebensform, wässert, zieht Pflanzendampf ein. Gasfeuerzeug in seiner schwarzen Jeanshosentasche. Staubwüsten, Teerlungen um ihn herum.

Maxx: zog an seiner Zigarette. Nahm Walkman und Kopfhörer, schaltete an und legte beides auf die Erde. Musik pulste in den Boden, lockerte den Boden. Zufrieden ging er zum Uferrand, der mehrere Meter über dem großstädtischen Wasser des Hudsons thronte. Jenseits: Manhattan, unruhige Impulse abgebend. Guter Hintergrund am Abgrund. Ein Raunen spann sich von drüben über den Fluß, zusammengesetzt aus Millionen von Geräuschen, zusammengepuzzelt aus zahllosen unterschiedlichen Klangquellen, ständig den Führungston wechselnd. Fötusurbanrauschen. Tanzbare Stadt.

Humaner als die menschliche Stimme, dachte Maxx. Humaner als Worte, weil Worte zu Anweisungen werden und Anweisungen Leben betondefinieren. Dachte an Ray und die Sätze, die dieser gesagt hatte. Wollte mit dem Sprechen warten, bis ihm schönere Sätze einfielen. Dis-Tanz zu De-Kadenz.

Er wußte: Der Bruch mit seinem New-York-Leben war unausweichlich gewesen – aufgrund der Tat, zu der es am Ende gekommen war. Am schmutzigen Wasser stand Maxx: Drüben New York, Ließa, Ermittlungsbehörden: kein sauberer Bruch, alles in Sichtweite. Er dachte an: Ließa. Sie durchschwamm das Netz seiner Gedanken. Unklar war ihm, welche Möglichkeiten noch offenblieben – welche Möglichkeiten mit ihr.

Er warf die geendigte Newport in die Fluten, ließ die Musik bei den Pflanzen und nahm die Hintertür. Stieg das hallende Treppenhaus nach oben und klongte die Stahltür seiner Etage auf. Abgebrochene Stecknadelköpfe durchschwammen sein Blut. Virus Ray. Läßt mich nicht mehr in Ruhe. So ein Virus, der zu viele Bahnen kennt, um das System je wieder verlassen zu müssen. Immer ist da noch eine und: huuubs: schon wieder die nächste. Ray-Satz dazu: Angriff der Vergangenheit auf die übrige Zeit.

Maxx überlegte: Wo hab ich gestern aufgehört? Ray durch Gewitter gelaufen, Katze auf der Schulter. Wo ist der Anschluß? Brauche ich einen Anschluß?

Er lief durch den kaum vermöbelten Raum, lief zum Fenster, und seine Augen verhakten sich mit dem perfekten Ausblick aus dem dritten Stock: Ausblick, der aus nichts bestand als einer absurd hohen, scheinbar unnötigen Backsteinmauer, die auf einen kaum meterbreiten Flecken Erde zwischen Gebäude und Fluß gebaut war.

Äußerste Reduzierung bekannter visueller Anreize.

Von Anfang an hatte Maxx die Mauer als Hauptattraktion des Lagerhauses betrachtet, da sie tagsüber eine Sicht blockierte, die ihn vom Schreiben abgelenkt hätte, und nur ein Stückchen computerbildschirmblauen Himmel präsentierte, nachts dagegen ein völlig neues, faszinierend abstraktes Bild der nahen Mega-Stadt lieferte: Zwar verhinderten die Backsteine auch im Dunkeln jeglichen direkten Ausblick auf die majestätische Insel Manhattans, ließen aber deren Lichtwerte am oberen Mauerrand vorbei und in seinen Raum fließen. Dort überzogen sie die Wände mit einem unruhigen Film aus flackernden Lichtstreifen und Lichtpunkten, den Maxx stundenlang von seinem Bett aus einsog, um so die Aktivitäten unzähliger unbekannter Menschen drüben in New York zu studieren: Millionen von Fälle.

Maxx betrachtete die Mauer, die jetzt in praller Sonne lag, lief rüber zu seinem Schreibtisch, ließ sich in den mit frischem Pferdeleder überzogenen Sessel fallen und: war tot. Wind, der zwischen offener Tür und offenen Fenstern hin und her zitterte, schob beschriebene Seiten sachte über den Tisch. Die wichtigen waren mit blanken Kieselsteinen beschwert. Maxx starb immer dann, wenn er sich besonders auf seinen Fall konzentrieren, äußere Einflüsse ausschalten wollte:

Ray und Katze im Regen – die Katze bekommt Grippe, und Ray versucht, mehr über Kipplers LEBENSNETZ herauszufinden. Er verabredet sich mit Zara, Kipplers Tochter –

Ohne die Augen zu öffnen, aktivierte Maxx seine Hände, ließ sie über den Tisch tasten, ein Gewirr aus Mikadostäben, Zigaretten, Enden von Kabeln und Eßstäbchen begreifen, dann: den Anschaltknopf seines Computers finden. Kitten hatte er die Maschine getauft, Erinnerung an die Katze, an seine Katze, die es: nicht mehr gab. Tastend fingen die Finger an zu tippen:

WILLKOMMEN ZU: GRUSSFORMEL

Aus deiner Vergangenheit kannst du nicht ausbrechen. Nur hinzuaddieren kannst du, dachte Ray und lief in Richtung des Amphibia-Cafés, in dem er Zara treffen wollte.

Bewegliche Buchstaben ließ Maxx über den strahlenden Schirm gleiten, produzierte einen verletzbaren Text, der als anfälliger Fluß von Elektrizität existierte. Jeden Tag löschte er Teile des Textes, jeden Tag fügte er neue Abschnitte hinzu, ließ ein verwuchertes Bild wachsen.

Er sah hinter geschlossenen Lidern: farbige Bahnen, Stricke, die sich auf komplexe Art zu einem Netz verknüpften, das gleichzeitig die Verbindungen in seinem Körper und die Verbindungen zwischen seinem Schicksal als Ray und seiner Gegenwart als Maxx repräsentierte. Finger flogen:

Amphibia, dachte Ray. Paßt. Auf dem Festland der harten Wirklichkeit und unter Wasser in der eigenen Traumwelt: gleichzeitig. Er lief, lief Zara entgegen, hatte beschlossen, mehr über Kippler herauszufinden, ging deshalb Richtung Zara.

Maxx überlegte. Finger in der Luft, wartend. Immer noch zu wenig wußte er über Zara; viel zuwenig über LEBENSNETZ. Er sicherte den Text.

Paul muß helfen.

Paul, der seit einiger Zeit sein Partner war und sich vor allem um LEBENSNETZ-Fakten kümmerte. Maxx hoffte auf Neuigkeiten von ihm und aktivierte Kittens Kommunikationsprogramm, um nach elektronischer Post zu sehen, die über das zigarrenschachtelgroße Modem eingehen konnte, das neben dem Computer auf dem Tisch lag.

Er gab sein Paßwort ein, klickte per Maus den Postkasten an und las die Ankündigung auf dem Bildschirm:

Nachricht von [email protected] | Thema: LEBENSNETZ.

Wunderbar, dachte Maxx und hatte Paul vor Augen. Seltsame Gestalt Paul, die anstelle des rechten Beines eine: Chromtitan-Prothese trug und damit vor zwei Wochen unangekündigt bei Maxx vorbeigehumpelt kam, um technische Ausstattung und logistische Hilfe anzubieten, dürfte er nur Teilhaber des einzigen Detektivbüros von Hoboken werden. Bei diesem ersten Treffen auch hatte Paul seine merkwürdige Geschichte erzählt, von der Maxx immer noch nicht wußte, inwiefern sie Wahrheit, inwiefern Wahn darstellte.

Sie können sich auf mich verlassen, hatte Paul geschnarrt, als Maxx auf dessen Partnerschaftsangebot vor allem mit überraschtem Lachen reagiert hatte. Sie können sich unbedingt auf mich verlassen. Ich besitze genügend Informationen über mein Leben, um präzise überblicken zu können, wie lange wir in der Lage sein werden, erfolgreich zusammenzuarbeiten. Aufgrund meines Wissens habe ich keine unrealistischen Ambitionen, was die Ressourcenaufteilung angeht, und kann genau einschätzen, welche Aufgaben ich in welcher Zeit zu bewältigen vermag. Somit schließt sich für Sie jegliches Risiko aus, das eine Zusammenarbeit mit einem Fremden bringen könnte.

Der Grund für meine ungewöhnlichen Kenntnisse, hatte Paul weiter erzählt: eine komplette Gen-Analyse, für die ich mich vor Jahren im Rahmen eines Forschungsprojektes der Columbia-Universität zur Verfügung gestellt habe. Anhand meiner Erbanlagen wurde eine ausführliche Prognose erstellt, die alle wichtigen körperlichen und seelischen Veränderungen meiner weiteren Existenz umfaßt. Selbst eine Schätzung, wann ich mich endgültig verabschieden werde, gibt es – natürlich unter dem Vorbehalt, daß mich niemand künstlich am Leben erhält.

Ich habe diese Analyse durchführen lassen, weil ich die Entschädigung benötigte. Davon habe ich meine Bein-Prothese finanziert.

Nie hätte Maxx geglaubt, es würde sich jemand um den Einstieg in ein Detektivbüro bewerben, das von einem Stummen ins Leben gerufen worden war – aber diese Tatsache hatte Paul nicht im mindesten gestört, da er sich fürjene Art von Kommunikation sowieso nicht sonderlich interessierte. Maxx dachte an Pauls strahlendes Gesicht, mit dem dieser schon kurz nach seinem Antrittsbesuch verschiedenste Computerkomponenten (inkl. späterem Kitten) angeschleppt hatte, von denen ihm anscheinend mehr als genügend zur Verfügung standen. Zusätzlich gab er gleich am ersten Tag eine Einführung, wie Rechner per Modem und Internet Daten austauschen können: Das war die Form von Kommunikation, für die er sich interessierte – und in deren Bann Maxx allmählich geriet. Mit Paul trat: Cyberspace in Maxx Rutenbergs Leben: der kühle, relativ freie, da unablässig sich wandelnde Sauberraum der Computernetze. Eine ständig wachsende, Millionen umfassende Kommune, in der Maxx Möglichkeiten entdeckte, neu/anders zu leben, mit unsichtbaren Menschen vom Bildschirm aus ohne Kontrolle von außen Informationen auszutauschen – digitale Welten zu entwickeln, deren Bewohnerinnen sich Charaktere entwerfen, die mehr mit einem selbst zu tun haben als die jahrzehntelang geformte sogenannte: eigene Persönlichkeit.

Viele Nächte verbrachte Maxx mittlerweile in einer virtuellen Kommune namens ZOO YORK und hing dort bevorzugt in einer Bar namens Speak-Easy ab. Dort störte sich niemand an seinem Entschluss, auf das eingefahrene Ritual des menschlichen Sprechens zu verzichten.

Die Augen von Maxx badeten im Blau von Kittens Monitor, gespannt auf Pauls täglichen Lagebericht.

Schnell hatte Paul herausgefunden, daß Rays Leben in enger Verbindung mit einem mittlerweile verschwundenen Doktor Kippler stand, der durch seine Arbeit als Spektakulär-Arzt, Vortraggeber und Sachbuchautor beträchtlich abkassiert hatte, um mit diesem Profit seine zwielichtige Firma aufzubauen: LEBENSNETZ

Maxx klickte mit der Maus, und Pauls Botschaft erschien auf dem Bildschirm:

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Verschlüsselt. Denkt dauernd, er wird kontrolliert, Paul. Maxx ließ ein Decodierungsprogramm über den Text laufen und sah die Worte in Klarheit vor sich:

Datum: Mon, 5 SEP 12:00:09 BSTVon: [email protected] An: [email protected] Thema: Recherche-Ergebnisse betr. Organhandel mit Afrika

Kipplers Firma LEBENSNETZ Marktführer. Vor acht Jahren nach einem Afrika-Besuch gegründet. Aktivitäten vor allem in Kenia, Sudan und Äthiopien. Noch keine Information, was mit Kippler selbst passiert ist. Ebenfalls ungeklärt: wo sich gewisser Ray zur Zeit aufhält. Bisher keine digitalen Spuren von ihm entdecken können. Später mehr.

Keine digitalen Spuren von ihm entdecken können.

Paul glaubte nicht an herkömmliche Untersuchungsmethoden, deren Ergebnisse aufgrund des körperlichen Eingriffs der Untersuchenden seiner Meinung nach mehr über diese als über das Objekt aussagten.

Er ging davon aus, daß jeder Mensch mit jeder Handlung eine Fährte von Daten hinterließ, die: von zu Hause: per Computer: von jedem anderen Menschen entdeckt und gelesen werden konnten. Diese Überlegung löste in ihm den Wahn aus, nie unbeobachtet zu sein, und Paul sah seine einzige Chance darin, selbst teilzuhaben an der Ekstase des Datenabrufens. Da er davon ausging, daß unbekannte Leute mit Leichtigkeit Tausende seiner Spuren verfolgen konnten, wollte er seinerseits das Spiel des Computerhackens zur Perfektion bringen: Per Modem war er eingeklinkt in zahllose Ströme von Daten, die über Kabel und Satelliten durch die Welt pulsierten, Zeugnis ablegten von Milliarden von Transaktionen, Geldflüssen, Telefongesprächen, Supermarkteinkäufen. Fanatisch hing er an diesem Rausch von Nachrichten, an der Kühle der digitalen Netze, die seiner Meinung nach jede gewünschte Information bereithielten, auch über Ray/Kippler/dessen Firma – fragte sich nur, wo.

Maxx sah in dieser Arbeitsmethode eine fruchtbare Ergänzung seiner eigenen Überlegungen, Rays Leben betreffend. Paul trug von seinem Computerterminal aus Eindeutiges zusammen, das sich (meistens) mit den Ideen von Maxx verband, die eher als Versuche zu verstehen waren. Maxx legte seine Stirn in Origami-Falten und sendete unverschlüsselt:

Datum: Mon, 5 SEP 14:40:09 BSTVon: [email protected] An: [email protected] Thema: Mehr LEBEN ins NETZ!

Gibt neue Erkenntnisse über Ray. Fang gemacht. Details später.

Ein sehnsüchtiges Rauschen des Modems, als es den Text in die Leitung abgab.

Zehn Häuserblocks entfernt saß Paul vor seinem Bildschirm, auf dem plötzlich die Nachricht eintraf. Las sie und speicherte sie ab. Würde sich heute abend auf den etwas beschwerlichen Real-Weg machen.

Per Mausklick ließ Maxx Kitten in Tiefschlaf sinken und beschloß, vor Pauls Besuch und dem Schreiben, das darauf folgen, vielleicht die ganze Nacht über dauern würde, noch einmal in physischen Kontakt mit der Außenwelt zu treten. Nahrung. Er scannte den zum Bild gewordenen Gedanken an die Speisekarte des Sinatra-Cafés durch, für das er eine innige Liebe entwickelt hatte, da es sich trotz seiner Benennung nach Hobokens größtem Sohn ungewöhnlicherweise auf: japanische Küche spezialisiert hatte und japanische Küche wunderbare Effekte auf sein Körpersystem ausübte. Seetang-Reis, Sushi. Leicht machte ihn die Erwartung von rohem Fisch in naher Zukunft, er stand auf, hängte sich eine metallene Trillerpfeife um den Hals, die er in ausgewählten Situationen benutzte, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und warf eine chemierote Acryljacke über, deren Rückseite vom Torso eines weißen Baseballspielers geziert wurde, auf dessen Trikot der Slogan FREIHEIT FÜR NELSON MANDELA gedruckt war.

Nahm, bevor er nach draußen ging, einen Filzstift aus einer Schublade, setzte an und schrieb auf einen Zettel:

ICH WAR RAY.

Er lächelte verloren, hängte die Notiz sichtbar nebens Fenster und wußte, Paul würde sie niemals entdecken, da nicht digital.

Stieg die Treppe nach unten, schob die schwarze Plastiksonnenbrille vor die hellblauen Augen, die einen ungewöhnlichen Stich ins: Rötliche, Lila hatten, und ließ die Tür offen. Ging zum Garten, setzte den Walkman auf und lief rüber zu seinem Mountainbike, das den Namen FettKatz trug. Auf schloß es, machte sich auf den Weg Richtung Innenstadt, weg von verödetem Gebäude.

Ich war Ray, und mein Computer heißt Kitten, und jetzt trete ich in FettKatz, denn die richtige Katze ist: kaputt.

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