Die Reise meines Lebens - Oliver Driver - E-Book

Die Reise meines Lebens E-Book

Oliver Driver

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Beschreibung

Was passiert, wenn ein Ingenieur aus einer zufälligen Begegnung heraus zum Heiler wird und mit mehr Fragen als Antworten dasteht? Er begibt sich auf eine Reise in die Vulkanberge Guatemalas um herauszufinden, welche Gedanken und Theorien hinter dem Erlernten stehen könnten. Dort trifft er auf den Aussteiger Earl und dessen Freunde, die ihm Antworten auf seine Fragen geben und ihn in die Grundlagen der Spiritualität einweisen. Auch der Maya und Schamane Don Marco, der noch das uralte Wissen seines Volkes bewahrt, lehrt ihn wichtige Dinge. Ein spiritueller Neuling trifft hier auf Heiler, Schamanen, Aussteiger und andere schillernde Gestalten, die ihm auf lockere und unterhaltsame Art einen möglichen Weg weisen, der auch den Skeptiker überzeugen kann.

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Oliver Driver

Die Reise meines Lebens

Begegnung mit dem Schamanen

Ein spirituelles Abenteuer

Der Autor

Oliver Driver begann als Bauingenieur und arbeitet heute als Inhaber des coaching salon in Köln in der Personalentwicklung mittelständischer Unternehmen sowie als Coach für Führungskräfte und Privatpersonen. Sein Herz schlägt für systemisches Coaching und Großgruppenarbeit, aber auch für schamanische Rituale und Spiritualität. Er bildet Coachs, Trainer, Heilpraktiker u. a. in schamanischen Techniken aus.

Zu diesem Thema sowie angrenzenden Bereichen hat er verschiedene, im Schirner Verlag erschienene Bücher geschrieben. So, wie Schamanen Grenzgänger zwischen den Welten sind, wechselt Oliver Driver vom Coach zum Schamanen und zum Autor und verbindet so diese gar nicht so verschiedenen Welten.

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.shamanic-coach.de

Das Buch

Was passiert, wenn man als ganz normaler westlicher Mensch aus einer spontanen Entscheidung heraus eine Schamanenausbildung macht?

Dies beschreibt Oliver Driver hier auf kritische und unterhaltende Art und Weise. Im Rahmen einer anschließenden Reise nach Mittelamerika trifft der Autor einige Aussteiger in einer von Vulkanen beherrschten Gegend Guatemalas, am Atitlàn-See, die ihm ihre Sichtweise der Welt erklären und ihn in für ihn völlig neue Gedanken einführen.

Geeignet für alle Leser von Dan Millman's »Der Pfad des friedvollen Kriegers«.

Dieses Buch enthält Verweise zu Webseiten, auf deren Inhalte der Verlag keinen Einfluss hat. Für diese Inhalte wird seitens des Verlags keine Gewähr übernommen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich.

Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-8434-6204-4

© 2011 Schirner Verlag, Darmstadt

1. E-Book-Auflage 2015

Umschlag: Murat Karaçay, Schirner

Redaktion: Maike Lübbers & Manuel Radke, Schirner

E-Book-Erstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt, Germany

www.schirner.com

Für Doris und Lilli

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel – Venlo

2. Kapitel – Köln

3. Kapitel – Die Arbeit des Schamanen

4. Kapitel – Abreise

5. Kapitel – Auf der Suche

6. Kapitel – Der Guru

7. Kapitel – Alles ist eins

8. Kapitel – Backgammon

9. Kapitel – Meditation

10. Kapitel – Religionen

11. Kapitel – Buddhismus

12. Kapitel – Hinduismus

13. Kapitel – Daoismus

14. Kapitel – Zen

15. Kapitel – Leere

16. Kapitel – Don Marco

17. Kapitel – Physik und Philosophie

18. Kapitel – Relativitätstheorie und Quantenphysik

19. Kapitel – Die Rede des Indianerhäuptlings

20. Kapitel – Zeit

21. Kapitel – Flamenco-Abend

22. Kapitel – Zufall

23. Kapitel – Aura

24. Kapitel – Wahrnehmung und Beobachtung

25. Kapitel – Seele

26. Kapitel – Ego

27. Kapitel – Das Unbewusste

28. Kapitel – Glaubenssätze

29. Kapitel – Ausflug mit Don Marco

30. Kapitel – Leiden und Hoffnung

31. Kapitel – Heilung

32. Kapitel – Sprache und Kommunikation

33. Kapitel – Liebe

34. Kapitel – Glück

35. Kapitel – Ziele, Erwartungen, Affirmationen

36. Kapitel – Der Tod

37. Kapitel – Visionssuche

38. Kapitel – Vergeben, Loslassen – Gegenwärtigkeit

39. Kapitel – Abschied

40. Kapitel – Mein Fazit

Nachwort

Literaturliste

Copyright-Hinweise

Fußnoten

»Immer wieder treffen wir auf Menschen, die sich anscheinend Mühe geben, sich von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen. Man findet bei diesen Leuten keine Liebe und kein Verständnis. Warum aber? Was verbergen sie hinter dieser Art? Werden sie vielleicht von Angst und Einsamkeit getrieben? Denken diese Menschen, das Leben nicht anders bewältigen zu können?

Der Schamane kritisiert nicht und verurteilt nicht. Er redet auch nicht schlecht über die anderen, denn er weiß, dass er in all dieser Verzweiflung und Unzufriedenheit nur ein Spiegelbild seines Selbst sieht.

Der Schamane freut sich, da er auf diese Weise viel über sich selbst lernen kann. Durch das Erkennen seines eigenen Spiegelbildes beginnt er, an sich zu arbeiten. Er findet seine Fehler und Schwächen in den anderen und nutzt die Gelegenheit, um diese anzunehmen und aufzulösen.«

(Oliver Driver)

Vorwort

In diesem Buch stehen wundervolle Wahrheiten. Wenn Sie es mit dem Herzen lesen. Dieses Buch ist voller Widersprüche. Aber nur, wenn Sie es mit Ihrem Verstand und Ihrer Logik lesen.

Es gibt derzeit einen breiten Trend zur Mystik, zu spirituellen Sichtweisen und alternativen Heilmethoden als Gegengewicht zu unserer aus dem Gleichgewicht geratenen Religion, Kultur und Gesellschaft. Unsere Welt scheint in einer Krise zu stecken, ich habe in einer Krise gesteckt, Sie stecken vielleicht gerade in einer Krise. Wir haben festgestellt, dass wir trotz aller wissenschaftlichen und materiellen Erfolge sowohl im ganzen Land als auch auf unser kleines Selbst bezogen nicht glücklicher werden. Ja, schlimmer noch: Fahren wir in Dritte-Welt-Länder, so sehen wir dort mit Verwunderung, dass die Menschen viel fröhlicher sind und auch glücklicher aussehen. Sie haben so gut wie nichts und scheinen nur in den Tag hinein zu leben, trotzdem wird man allerorts freundlich angelächelt. Wenn man dann wieder zurück auf Deutschlands Straßen ist, fällt einem der zumeist grimmige, distanzierte Blick unserer Mitmenschen auf. Wie ist das möglich?

Den mäßigen Lebensstandard der Dritten Welt hatten wir bei uns doch bereits vor vierzig Jahren und sind jetzt eigentlich froh, dass wir diese Zeiten überwunden haben. Wieso sind wir nicht auch entsprechend glücklicher? Unser Leben besteht aus Dramen und Freude, Kampf und Liebe, Einsamkeit und Lachen, Schmerz und Leiden und aus viel, viel Arbeit. Es zeigt insbesondere einen eklatanten Mangel an Zeit für die Dinge, die wir gerne machen würden, wenn wir nur könnten, wie wir wollten. Unsere Wahrnehmung aber ist verfälscht: Wir rennen etwas hinterher, das wir nie erreichen können. Und dann, ganz zum Schluss des Dramas, droht auch noch der eigene Tod. Zusätzlich wächst die Erkenntnis, dass wir dabei sind, unsere Welt und uns selbst zu zerstören. Menschen entfremden sich von sich selbst, und die Vorherrschaft des Verstandes, der Rationalität, ist stark. Die Seele wird vernachlässigt. Immer mehr Menschen leiden unter Phobien und psychischen Störungen, die früher nicht einmal existierten.

Die Menschen gehen zum Psychiater, ohne auch nur eine ungefähre Ahnung zu haben, was ihr Problem ist. Sie spüren lediglich eine innere Unruhe, eine Angespanntheit, und fühlen sich innerlich abgestorben. Sie sind latent traurig, niedergeschlagen, ohne Hoffnung, verzweifelt. Sie spüren, dass das Leben ihnen wie Sand durch die Finger rinnt. Ihr einziges Ziel ist der Konsum als Ablenkung von ihren wahren Problemen; wer nicht konsumieren kann, dem geht es noch schlechter. Wofür leben wir? Letztlich geht es uns bei der Suche nach dem Sinn unseres Lebens um Heilung, um ein »Wieder-ganz-Werden«, um ein »Wieder-heil-Werden«, um die Suche nach einem scheinbar verloren gegangen Teil unseres Selbst. Wir wollen als Ganzes heil werden. Ich denke, dass diese Suche nach sich selbst in Zukunft eine größere Rolle in der Evolution der Menschheit spielen wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass den ganzheitlichen Heilmethoden die Zukunft gehört. Ärzte und Heiler, Physiotherapeuten und Akupunkteure, Homöopathen und Chirurgen werden zusammenarbeiten, um die Menschen zu heilen. Die Heilung der Seele wird die ihr angemessene Rolle spielen, das oberflächliche Herumdoktern an Symptomen wird ein Ende haben.

Aber woher kommt es eigentlich, dass immer mehr Menschen sich auf die Suche begeben? Woher kommt diese neue Spiritualität nach der Esoterikbewegung der 70er-Jahre? Wenn wir hier schon ein erstes Mal auf Carl Gustav Jung zurückgreifen wollen, so stellt er in seinem Buch »Archetypen« fest, dass »… unser Intellekt zwar Ungeheures geleistet hat, derweilen unser geistiges Haus zerfallen ist.« (49)

Wir können zwar immer mehr entdecken und erforschen, schauen mit Teleskopen bis in die tiefsten Abgründe des Universums und entdecken gleichzeitig die kleinsten aller kleinen Teilchen, die sich dann, wie Sie später sehen werden, nur noch zeigen, wenn wir sie beobachten und ansonsten gar nicht vorhanden sind. Aber wir kommen nicht wirklich weiter. Irgendwann stellen wir fest, dass wir nicht alles verstehen können, dass es Dinge gibt, die man bestenfalls akzeptieren, vielleicht noch fühlen kann. Ist man erst einmal so weit gekommen, so wird man mehr und mehr der Seele Gehör schenken und ehrlich gegenüber sich selbst sein. Offensichtlich kommen wir mit dem Verstand und der Vernunft – die C. G. Jung als »die Summe aller Voreingenommenheiten und Kurzsichtigkeiten« (49) bezeichnete – nicht mehr weiter und beginnen vielleicht, alsbald auf unsere Seele, unsere Spiritualität zu hören. Wir akzeptieren plötzlich, dass wir sehr wenig wissen, wollen jedoch unserer Neugierde folgen und suchen die Wahrheit, anstatt uns einfach mit der Tatsache abzufinden, dass wir keine Ahnung vom wahren Leben haben. Dieser Weg führt uns zwangsläufig in unsere eigenen seelischen Tiefen. Sich selbst möglicherweise erstmals zu betrachten, ist oft nicht einfach. Wir sehen uns, wie wir wirklich sind, und nicht nur unsere Maske, die wir der Welt zeigen; wir sehen unser wahres Gesicht. Hierzu gehört ein gewisser Mut. Nicht jeder will hinter die in Jahrzehnten aufgebaute Fassade blicken, denn dann sehen wir, wie sehr wir selbst verantwortlich sind für unser Leben, und können nicht mehr die anderen dafür verantwortlich machen. Es liegt an jedem Einzelnen von uns, dies zu beginnen, nicht an den anderen, nicht an unserer Umgebung. Ändern wir uns selbst als Teil eines großen Ganzen, so ändert sich das große Ganze ebenfalls. Sobald wir unsere eigene Denkweise und Sicht der Dinge ändern, werden wir feststellen, dass sich auch unsere Umwelt ändert. Jegliche spirituelle Arbeit an uns wirkt sich auch gesellschaftlich aus.

Und wie machen wir dies? Wenn man in die zahlreichen kleinen Spezialitätenbuchhandlungen oder Esoterikabteilungen geht und dort von der unglaublichen Vielfalt der Bücher in allen Farben des Regenbogens und mit den exotischsten Themen erschlagen wird, sollte man meinen, dass es genug erprobte Rezepte gibt. Es gibt zu jedem Thema mindestens ein Buch, eher zehn, es gibt zu jeder These eine Gegenthese, der eine glaubt an dies, der andere an das. Für jedes Problem gibt es ein Rezept, und wenn es nur ist, das Gewünschte doch einfach beim Universum zu bestellen.

Mein Wunsch, dieses Buch zu schreiben, ist entstanden, als ich in meiner Schamanenausbildung Dinge erlebte, die auf erstaunliche Art und Weise funktionierten, ich jedoch dabei keine Ahnung hatte, wie dies alles möglich war. Es funktionierte und half meinen Klienten, was genau aber geschah, blieb mir ein Rätsel. Insofern wurde dieses Buch zu einer Geschichte, einer Geschichte, die sowohl mein Leben und meine Erfahrungen beinhaltet als auch das Wissen und die Lehren vieler weiser Menschen gepaart mit fiktiven Personen und Ereignissen, die so oder ähnlich hätten passieren können. Realität und Fiktion gehen nahtlos ineinander über, nichts ist, wie es scheint.

Einige Dinge habe ich zum besseren Verständnis vereinfacht, vielleicht finden sich auch einmal logische Ungereimtheiten und Widersprüche, doch dies erscheint mir nur natürlich bei einem Thema, das unser Verstand nicht erfassen kann und zu dem es so viele Ansichten und Theorien gibt. Ob der Mensch an sich überhaupt in der Lage ist, dieses wichtige Thema verstandesmäßig zu erfassen, darf angezweifelt werden; wir müssen uns auf unser Gefühl verlassen. Es ist nicht möglich, von unserem materiell fundierten Standort aus einen geistigen Weg zu verstehen. Ein wenig Glaube und Liebe ist erforderlich. Erwin Schrödinger, der österreichische Physik-Nobelpreisträger, sagte einmal:

»Einem einzelnen Verstand ist es beinahe unmöglich geworden, mehr als nur einen kleinen spezialisierten Teil der Wissenschaft zu beherrschen. Wenn wir unser wahres Ziel nicht für immer aufgeben wollen, dann dürfte es nur einen Ausweg aus dem Dilemma geben: dass einige von uns sich an die Zusammenschau von Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise aus zweiter Hand stammt und unvollständig ist – und sie Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen.« (69)

In diesem Sinne verzeihen Sie mir Fehler bei der Erklärung gewisser Sachverhalte. Ich selbst kam mir in den letzten Jahren manchmal wie ein kleiner Junge vor, der die Welt neu entdeckt. Ich veränderte mich. Dieses Buch ist Ihnen nicht zufällig in die Hände gefallen ist. Es gibt keine Zufälle. Ihr Leben, Ihre Seele haben Sie dazu gebracht, dieses Buch gerade jetzt in der Hand zu halten. Es hat entschieden, dass für Sie der Zeitpunkt gekommen ist, es zu lesen. Möglich, dass dieses Buch für Sie ein erster Schritt in die Spiritualität ist. Vielleicht spüren Sie danach – wenn Sie es bisher nicht schon taten – eine Verbindung, eine Einheit mit »Etwas« oder besser mit »Allem«. Als Kinder konnten wir uns alle noch über so viele Sachen wundern, wir saßen staunend vor der Pusteblume und beobachteten, wie die Samen im Wind flogen. Als Erwachsene empfinden wir das alles als normal. Wenn wir uns jetzt noch wundern, dann meist über das Verhalten anderer Menschen, das uns nicht passt. Wo ist unsere Neugierde geblieben? Wenn wir meinen, wir hätten mehr oder weniger alles, was wir brauchen, und deshalb nicht mehr suchen, irren wir uns. Es gibt immer noch viel mehr zu entdecken, als wir überhaupt erahnen können. Auch in der persönlichen Entwicklung dürfte bei den meisten noch erheblicher Spielraum sein, aber wir meinen, wir wüssten schon alles, und bleiben stehen. Wir wollen uns nicht verändern, unsere Bequemlichkeit verlassen, Neues über uns lernen und in uns entdecken. Das Leben ist durchorganisiert und angepasst, daran hängen wir. Es war schließlich oft mühsam genug, überhaupt so weit zu kommen. Wenn wir jetzt eine neue Sichtweise kennenlernen wollen, müssen wir uns dem Neuen öffnen, ohne es mit unseren eigenen vorgefassten Meinungen und Urteilen abzugleichen. Tun Sie nichts als esoterischen Unfug ab, lassen Sie das Ihnen bisher Unbekannte, das Neue zu; es ist nicht wirklich neu, es steckt schon immer in Ihnen, denn jede Wahrheit steckt in allem, wie Sie später sehen werden. Erlauben Sie sich selbst, diese neue Sichtweise zu erfühlen, indem Sie nicht ständig an allem zweifeln und meinen, es mit Ihrem Verstand hinterfragen zu müssen. Lassen Sie Ihren Verstand erst einmal außen vor und lesen Sie dieses Buch, als ob es keinen Zweifel an den darin enthaltenen Gedanken gäbe. Sie können sich nachher immer noch ärgern und alles als unlogische Hirngespinste abtun. Lesen Sie dieses Buch einfach unter der Annahme, dass alles genau so ist, wie es hier steht. Es kostet Sie nur etwas Zeit – Zeit, die es in unserem Sinne so nicht gibt, wie Sie dann später wissen werden – es kostet Sie also letztendlich nichts und am Ende können Sie immer noch entscheiden, ob Sie alles für Unfug halten wollen oder Ihrem Leben eine Chance geben werden. Seien Sie neugierig wie ein Kind, das Dinge hinterfragt und sich noch nicht auf dem Erreichten ausruht. Sie werden neue Dinge entdecken. Wecken Sie Ihre intuitiven Fähigkeiten wieder, Ihre Seele wartet nur darauf und wird es Ihnen danken.

1. Kapitel – Venlo

In der dunklen Kapelle des alten Klosters bei Venlo liegen auf Decken kreuz und quer fünfzehn Personen in Rückenlage auf dem Boden. Davor hocken, knien und sitzen fünfzehn Juniorschamanen, kreisen mit den Händen über imaginären Chakras, suchen Energiefelder, rühren in ihnen, jeder guckt, was der andere gerade tut, keiner weiß, was er da eigentlich genau macht.

Neben mir beginnt eine der auf dem Boden liegenden Frauen laut und stoßend zu lachen, weiter hinten hört man ein leises Wimmern, das dann zu einem beängstigenden, wahren Weinkrampf wird. Einige Minuten später singt jemand, allerdings nur konstant einen glasklaren Ton, der hin und wieder die Höhe wechselt. Einige schluchzen jetzt laut. Wo bin ich hier nur gelandet? Pass bloß auf, dass du nicht auch noch so endest, denke ich. Das hätte mir noch gefehlt. Panik, mein Ego meldet sich. Meine vor mir liegende Klientin regt sich nicht auffällig, was mich einerseits beruhigt, mir andererseits aber auch Sorgen macht. Warum schreit, zuckt oder singt sie nicht, was mache ich nur falsch? Keine Träne, nichts. Die Nervosität steigt, was soll ich hier eigentlich sehen, wie sieht denn so ein Chakra aus, wo finde ich den Schmutz, den andere seit Minuten mit Schweiß auf der Stirn aus den Chakras schaufeln? In meiner Vorbereitung auf diesen Kurs – eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete, hatte ich mir gedacht, und alles Passende noch schnell gelesen – hatte ich bei dem großen Schamanenausbilder Alberto Villoldo erfahren, dass man einfach so tun solle, als ob man etwas »sehen« würde, und das mache ich also auch.

Dann kommt mir der Gedanke, dass vielleicht ein wenig Fantasie nicht schaden könne. Mehr als nichts »sehen« kann ja wohl nicht passieren (gegen Ende dieses Buches werde ich sogar wissen, dass es gilt, dieses Nichts – allerdings in einem anderen Sinne – zu erleben). Ich beschließe, eine Blume in das Sexualchakra, sprich den Bauchnabel meiner Klientin, zu pflanzen. Ich setze also einen fiktiven Samen, bedecke ihn gedanklich vorsichtig mit Erde, die ich leicht fest puste. Keiner merkt etwas, das kann ja heiter werden. Eine ganze Woche soll die Geschichte hier dauern? Mit ein wenig gepustetem Regen entwickelt sich nach und nach ein kleiner gelber Keim, sprießt aus der Erde, will von mir gepflegt werden. Ich umwedle ihn wie ein Schlangenbeschwörer mit den Händen und puste dabei gelegentlich vorsichtig. So wächst mein kleines Pflänzchen wohl behütet im Bauchnabel meiner Klientin zu einer fetten, fleischig-grünen Pflanze mit behaarten Blättern und länglichen violetten Blüten.

Eine der Assistentinnen, die jetzt hinter mir steht, flüstert mir zu: »Mach weiter so, sie kommt.«

Sie kommt?! Ich schaue mir meine Klientin nochmals genauer an, und siehe da, könnte da nicht eine kleine Träne kommen, zittert die Halsschlagader nicht ein wenig mehr als vorher? Sind da nicht viel weniger Fliegen auf ihren Armen? Achtet auf die Zeichen, hatte der Meister gesagt. Begeistert mache ich weiter. Zum Abschluss habe ich die fette, fleischige und leicht behaarte Pflanze, einer Sonnenblume nicht unähnlich, natürlich wieder weggepustet; eine Blume gehört nicht ins Chakra, sagen die Fachleute. Nichts gehört da hinein, ein Chakra hat glasklar zu sein. Ich hatte keine Ahnung, ich hatte noch nie eins gesehen, aber das war hier wohl auch egal. Meine Klientin hat sich nachher massiv bei mir beschwert, wie ich auf die Idee käme, ihr eine Blume dort hineinzupflanzen. Und warum ich so wenig gepustet hätte, die anderen hätten viel mehr und auch besser gepustet. Nicht schön, wenn der erste Patient, den wir Klient nennen sollen, bereits eine Reklamation hat. Ich glaube aber schon, dass es auch geholfen hat. Nach dieser ersten wirklichen Heilung und deren Wirkung auf einige meiner Mitschüler entschließe ich mich tief drinnen, hier erst einmal nicht an mein eigenes Eingemachtes zu gehen, bevorzuge es, nur die meiner Ansicht nach zweit- bis drittwichtigsten Themen, sprich Probleme meines Lebens, zu offenbaren und behandeln zu lassen. Schadet ja nicht, wenn man die auch los wird. Themen in diesem Sinne sind die eigenen Probleme jedweder Art – Schmerzen, Krankheiten, Sorgen oder was auch immer –, die man gerne loswerden würde.

Es ist der dritte Tag des einwöchigen Heilerkurses einer Energieschule, eine Woche, die mein Leben auf den Kopf stellen sollte. Auf den ersten Blick war ich hier aus reiner Langeweile gelandet. Der Job machte keinen Spaß, ich hatte gerade Zeit und irgendwie hatte ich auch noch diese körperlichen Wehwehchen, die ich schon länger mal weghaben wollte. Mal wieder ganz ohne Stuhl oder Treppe die Schnürsenkel verknoten, das wäre doch was. Irgendwann im Leben kommt wohl jeder an den Punkt, an dem er innehält und zurückblickt. Man schaut auf seine gemachten Erfahrungen, seine Erfolge – oft werden die Fehler jedoch mehr beachtet – und sieht, was man aus all dem gelernt hat oder auch nicht. Haben wir etwas für die Zukunft mitgenommen, haben wir Verhaltensmuster geändert? Wir wissen jetzt, wie wir funktionieren und gebaut sind. Unsere Enttäuschungen und Ängste, Verletzungen und Verluste haben uns geformt. Für viele Menschen gab es Zeiten, in denen sie vielleicht nur noch wenig Hoffnung hatten, dass sich die Situation wieder verbessern würde. Zum ersten Mal war das bei den meisten wohl so, als die erste große Liebe zerbrach. Ich persönlich hatte als Motto in einer schwierigen Zeit meines Lebens: »Immer nur ein- und ausatmen«. Ich war mir sicher, dass es irgendwann wieder bergauf gehen würde, wenn ich dies beherzigte. In jedem von uns steckt eine Kraft, die uns das Leben leben lässt, auch wenn wir vielleicht manchmal das Gefühl haben, dass sich gerade alles gegen uns richtet.

Zu diesem Schamanenkurs hatte ich mich in dem klaren Bewusstsein angemeldet, dass, wenn ein einziger in dem Kurs durchfiele – sprich nicht zu heilen lernte – ich das sein würde. Natürlich hoffte ich insgeheim darauf, dass der Meister recht hatte, als er sagte, dass das wirklich jeder lernt. Na ja, dachte ich, er kennt mich noch nicht.

Nun, der eigentliche Auslöser für mich war mein Nachbar in Köln. Angefangen hatte alles im Treppenhaus unseres Mietshauses, als dieser, auch ein Bauingenieur wie ich, meinte, ich solle doch mit meinem Bandscheibenvorfall mal einen Schamanen ausprobieren. Es gäbe da einen in Köln, der hätte ganz sensationelle Erfolge. Ich und zum Schamanen, sonst noch Wünsche? Was für eine idiotische Idee. Fehlt ja nur noch, dass ich zu den Ärzten meiner Mutter gehe: Homöopathen, Heilpraktiker, Psychologen, alle esoterisch alternativ angehaucht, die in D200-Verdünnungen das Heil der Welt sehen. Schließlich war ich doch sogar bei Prof. Grönemeyer gewesen, der Koryphäe in Sachen Bandscheibenvorfall und Mikrochirurgie. Und selbst der konnte mit all seinen Methoden und Mittelchen nichts ausrichten. Während meiner langjährigen Odyssee hatte ich alle nur erdenklichen Therapien probiert bzw. probieren lassen. Angefangen bei Massagen, Wärmepackungen, Osteopathie, Cranio-Sacral- und Dorn-Therapie, Therapien, deren Namen ich schon gar nicht mehr weiß, allen möglichen und unmöglichen Medikamenten, von denen dann auch noch eines während der Behandlung vom Markt genommen wurde, weil dabei zu viele Todesfälle aufgetreten waren, über Akupunktur bis hin zu Infusionen und Krafttraining. Weiter mit dem Racz-Katheder, eine sehr unangenehme Erfahrung, bei der ein Schlauch vom Steißbein aus in den Wirbelkanal bis zur betroffen Stelle geführt wird, dort zwei Tage verbleibt und man das Vergnügen hat, sich selbst über eine Pumpe die entsprechende Medikamentendosis zu verpassen. Wegen des Drucks auf den Nerv hatte ich erhebliche Schmerzen, die nur langsam nachließen, aber dafür gab es einen Cocktail aus Tramal und Novalgin zum Selbermischen. Der half, der Cocktail. Für ein paar Stunden, das war's aber auch schon. Später gab es unter dem Computertomographen dann noch Injektionen direkt an den Nerv, das half immer nur für einen Tag, wenn der Schmerz der Behandlung erst einmal nachgelassen hatte. Die Rückfahrt von Bochum nach Köln war jeweils mein eigener Krankentransport, nur bei der Kasse abrechnen konnte ich das nicht. Als auch die OP mittels eines feinen Lasers, der die Bandscheibe durch Hitze schrumpfen lassen sollte, nicht half und ich aufgab, habe ich die Krankheit zumindest teilweise angenommen (zur Bedeutung von »angenommen« später mehr). Ich hatte den Ärztemarathon satt und sagte mir, dann guckst du halt nur noch fern und arbeitest ausschließlich im Stehen. Sitzen war nicht drin. Fernsehen hat mich zwar nicht geheilt, allerdings waren die Schmerzen nach vielleicht einem Jahr Fernsehen und Herumliegen deutlich erträglicher als während der gesamten zweijährigen Behandlung.

Aber zurück zum Nachbarn. Den »Schamanentipp« gab er mir noch zwei-, dreimal im Treppenhaus, aber ich ignorierte das konsequent. Ich hatte keine Lust, mich umtanzen zu lassen von einem wild angemalten Typen, der mich mit Cola anspuckte und möglicherweise auch noch ein Meerschweinchen über meinem Kopf erst umherschwenken und dann abstechen würde. Irgendwann drückte mir der Nachbar dann auf seiner Geburtstagsfeier das Buch des Schamanen Martin Brune in die Hand. Noch im Bett fing ich aus Neugierde an, zu lesen, und hörte erst in der Nacht mit der letzten Seite auf. Er hatte mich gekriegt. Etwas, was jeder lernen kann, etwas, was immer funktioniert, etwas, woran man nicht glauben muss. Ideal für mich: Diese Voraussetzungen erfüllte ich allein durch meine Existenz auf dieser Erde. Am nächsten Tag rief ich beim Schamanen an und vereinbarte einen Behandlungstermin, natürlich gegen Vorkasse. Ich machte mich also zum vereinbarten Datum auf nach Neuehrenfeld in eine der schönen Ecken Kölns, voll von Gründerzeithäusern und baumbestandenen Straßen. Zur Sicherheit war ich 15 Minuten früher da, man konnte ja im Wartezimmer noch Zeitungen lesen, wahrscheinlich lagen die neuesten esoterischen Magazine und Horoskopzeitschriften herum. Komisches Schamanismus-Institut, sieht von außen aus wie ein Wohnhaus. Ich klingle, und im Treppenhaus ruft jemand, ich solle um Punkt Eins wiederkommen, man sei gerade in einer telefonischen Behandlung. Auch das noch, Fernbehandlung per Telefon, der Brune ist sich wirklich für nichts zu schade. Schon klar, übers Telefon, sonst noch was? Jetzt will ich es wirklich wissen und stehe vor ein Uhr wieder vor der Tür und begehre um Einlass.

Der für mich gebuchte Schamane ist eine Schamanin, die ganz normal aussieht. Es ist warm, allzu viel an hat sie nicht, ein Wolfsfell hat sie auch nicht über den Kopf gezogen. Aber warum gibt es hier gar keine Praxis, sondern nur ein Wohnzimmer, das sie mir als heiligen Raum vorstellt, aus dem nichts, was wir machen, herausdringen könne? Meine Sturheit zahlte sich hier aus, ich wollte wissen, was dran ist an der Geschichte, auch auf die Gefahr hin, dass ich über mich selbst reden und Details preisgeben musste, die nicht einmal meine langjährige Freundin und damalige zukünftige Frau wusste. Wenn das der Preis war, bitte. Im Laufe dreier Sitzungen, die ich dann auch bar bezahlen konnte, hatte ich meine Existenzängste, meinen Rücken und meine Beziehung ausgebreitet und behandeln lassen. Während ich auf dem Tisch lag und die Schamanin mal hier und mal da pustete, mit einer Flüssigkeit prustete, die nach Zahnarzt roch, aber etwas ganz Besonderes von den Originalschamanen aus Peru sein sollte, und wer weiß was sonst noch machte, erlebte ich nichts. Gar nichts. Was für ein Beschiss. Wieso war ich zu blöd, ein normaler Schamanenpatient zu sein, das konnte doch gar nicht wahr sein. Sie hatte mich vorher gewarnt, ich könnte zittern, schreien, weinen, was auch immer. Aber: nichts. Nur die Müllabfuhr vor dem Fenster und ein paar spielende Kinder. Ja, und diese Helligkeit, als ich die Augen wieder öffnete, die ich aber als völlig normal betrachte, wenn ich eine halbe Stunde mit geschlossenen Augen im Dunkeln verbracht habe.

Also gut, es half alles nichts, ich musste selbst Schamane werden, um der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht fehlte mir die theoretische Grundlage. Vielleicht musste ich das Ganze mal logisch angehen, ingenieurmäßig halt. Ich buchte den nächsten Kurs, bezahlte (natürlich wieder vorab) und wurde per E-Mail vom Institut beglückwünscht zu diesem mutigen Schritt, mir wurden wunderbare Erfahrungen versprochen. Billig war die Sache ja nicht gerade; angesichts der spartanischen Unterkunft sowie des miserablen Essens war sie eigentlich sogar verdammt teuer. Aber so weit, so gut. Wenigstens passierte mal etwas Neues in meinem Leben. Die Reaktionen meiner Familie und Freunde waren unterschiedlich, so etwas hatte man von mir nicht erwartet. Alle amüsierten sich königlich darüber, dass ich eine Woche lang bei Wasser und Brot in einem Mehrbettzimmer mit allen Ökos und Esoterikern dieser Welt Mantren chanten würde.

Trotzdem überkam mich nach der Anmeldung der Wahn, dass ich Schamane werden würde. Und ein richtiger Schamane braucht auch eine richtige Ausbildung, Brune hin oder her, da musste es noch mehr geben. Ich durchforschte tagelang das Internet, bis ich meinen privaten Ausbildungsplan fertig hatte. Der brasilianische Wunderheiler XY sollte im Herbst in Bad Hersfeld sein, kurz nach dem Alpenschamanentreffen in Österreich und kurz vor der Esoterikmesse in Köln. Danach ging es dann zum Esoterikkongress nach München, welcher sich gut mit der jährlichen Immobilienmesse verbinden ließ, auf der ich sowieso immer war. Vorher bestand die Möglichkeit, mit einem österreichischen Psychologen zu Don Agustin nach Peru zu fahren und dort eine Originalbehandlung im tiefsten Amazonasdschungel beim Profi mitzumachen. Zur Sicherheit meldete ich mich da gleich auch noch an. Nach meiner geistigen und körperlichen Säuberung am Amazonas wollte ich dann Macchu Picchu besuchen, wo die Schamanen vor 1000 Jahren zu Dutzenden gelebt hatten, ein verdammt magischer, spiritueller Ort also. Schnell hatte ich verstanden, welche Heilmethoden man zügig lernen konnte und entschloss mich, irgendwann auch Reiki-Meister zu werden, die erste Stufe war schließlich in drei Tagen drin. Cranio-Sacral ging ebenfalls an einem Wochenende, nur die NLP-Ausbildung wurde problematisch, die dauerte elf Wochenenden und ließ sich beileibe nicht mit meinen anderen Veranstaltungen koordinieren. Also stellte ich das erst mal zurück.

Zwischendurch wollte ich heiraten, und entsprechend gut gefiel meiner Freundin die Vorstellung, dass ich nach der Hochzeit drei Wochen allein in den Dschungel gehen wollte, um dort irgendwelche halluzigenen Drogen zu nehmen, nach denen man bekanntermaßen erst einmal stundenlang kotzte, um dabei einen LSD-artigen Trip zu erleben. Wer weiß, was da alles passieren kann. Lust, den Trip zu zweit zu machen, hatte sie dann aber auch nicht. Und ich ebenso wenig. Seine Probleme bearbeitet man schließlich allein. Hatten wir das nicht zu Hause so gelernt? Parallel zu diesen ganzen Vorbereitungen war ich übrigens wieder beim Orthopäden gelandet. Ich konnte mir die Schuhe wieder gerade so selbst zuschnüren und brauchte keinen Tisch, auf den ich erst mal das Bein hieven musste; ich ging etwas übereifrig joggen, hatte mich im Tennisverein angemeldet und mich dann natürlich nach wenigen Wochen so richtig verletzt. An allen Ecken und Enden meines Körpers entzündeten sich plötzlich die Übergänge von der Sehne zum Knochen. Das wurde mittels Krankengymnastik, Osteopathie und Cortisonspritzen bekämpft – nach der Methode: Ach, da ist noch was drin in der Spritze, dann spritzen Sie das doch bitte noch hier und hier hin, da tut´s auch weh. Der Erfolg hielt nur für einen Tag an. Zum Abschluss seiner nicht ganz so erfolgreichen Therapierungsversuche fragte ich irgendwann meinen Kölner Arzt: Es ist psychisch, oder? Er nickte, froh, dass ich einsah, dass es an mir lag und nicht an ihm. Diese Symptome habe ich übrigens jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, immer noch; wir werden sehen, wie es gegen Ende dieses Buchs aussieht. Wie gesagt, ein ordentlicher Schamane, sprich deutscher Ingenieur, will gut vorbereitet sein. Wenn ich dort beim Kurs auf diese ganzen Esoteriktanten treffen würde, musste ich wenigstens halbwegs Bescheid wissen. Also suchte ich mir die entsprechende Literatur, hangelte mich über Empfehlungslisten, Internetlinks und so weiter quer durch die Engel bis hin zu den schwergängigen Philosophen. Ich bestellte der Reihe nach, was mit mindestens 4,5 Sternen bei amazon. de bewertet wurde und sich nicht allzu abgehoben anhörte. So kann man sich auch Druck machen: Stell dir einfach 20 Bücher ins Regal mit der Aufgabe, diese schnellstmöglich zu lesen.

Nun, da saß ich also am ersten Kurstag in einer großen Runde, und jeder sollte sich kurz vorstellen und sagen, warum er da war, dazu kurz rasseln und laut »Houuu« rufen. O Gott, dachte ich, das hat dir gerade noch gefehlt. Als ich an der Reihe war, sagte ich, dass ich wissen wollte, ob das wirklich jeder lernen könne und wenn ja, dass ich dann Schamane werden wolle, um endlich meinen Traum wahr machen zu können und irgendwo am Meer zu leben. Als Strandschamane auf Mallorca leben, das wär´s doch. Gegen Kursende hatte ich verstanden, was ich da für einen Mist verzapft hatte – und nicht nur ich, auch die meisten anderen. Jeder lügt sich selbst in die Tasche und verdrängt seine Probleme, keiner war zufällig dort, niemand war da, um eine Zusatzausbildung zu machen, keiner der Coaches und Heilpraktiker. Es gibt keine Zufälle. Es hat alles einen tieferen Sinn. Um das zu verstehen, brauchte ich jedoch noch etwas länger. Nach einer Woche verließ ich Venlo in einer so verdammt guten Stimmung, dass ich lange dachte, dies wäre die beste Woche meines Lebens gewesen. Noch ein Grund mehr, der Sache endgültig auf den Grund zu gehen. Warum schreibe ich also nicht parallel ein Buch über all das, was ich auf meiner Suche entdecke und lerne? Vielleicht interessiert es noch mehr Menschen?

2. Kapitel – Köln

»Onkel Olli, was ist denn eigentlich ein Schamane? Mama hat gesagt, dass du meinst, dass du Schamane bist und zaubern kannst, und sie hat auch gesagt, dass das alles Quatsch sei. Und Papa hat gesagt, dass das nichts für kleine Kinder ist.«

Gerade war meine letzte Klientin gegangen, ich räumte noch schnell alle meine Utensilien weg. In Gedanken war ich schon in den guatemaltekischen Bergen, da stürmte Fiona in mein Zimmer, in den heiligen Raum, in dem ich gerade behandelt hatte. Ich war ihr Patenonkel, und da ihre Eltern einmal in Ruhe shoppen gehen wollten, hatten wir die Achtjährige für diesen Samstagnachmittag in unserer Obhut. Ihre Mutter, meine Schwester, hatte eine natürliche Abneigung gegen alles Spirituelle und dies offensichtlich auch zu Hause schon kundgetan; das hielt sie aber nicht davon ab, sich bei Schmerzen gerade mal die Hand auflegen zu lassen. Man konnte ja nie wissen.

»Was sind das denn hier für komische Sachen? Was ist denn in der Flasche? Warum riecht es hier so fies? Was hast du denn gerade mit der Frau gemacht?«

»Ja, weißt du, die Frau war so furchtbar traurig und da habe ich ihr geholfen, wieder ein wenig glücklicher zu werden. Und die Sachen hier sind meine Werkzeuge, die ich dafür brauche.«

Mit vor der Brust verschränkten Armen stand sie vor mir; wie immer, wenn sie irgendwo zu Besuch war, für meinen Geschmack zu schick, unpraktisch und wenig kindgerecht angezogen. Mit kritischem Kinderblick beäugte sie mich.

»Bist du denn Arzt? Ist ein Schamane ein Arzt?«

»Na ja, nicht so richtig. Ein Schamane heilt mit Energie, er hat keine Medizin und operiert auch nicht. Es ist sogar verboten, wenn man Schamane ist, die Leute, die man behandelt, Patienten zu nennen. Deswegen sagen wir Klienten.«

Sie schaute immer noch fragend. Ich erklärte ihr, dass ein Klient eine Art Patient oder Kunde ist.

»Und die Frau von gerade ist jetzt nicht mehr traurig?«

»Ich weiß es noch nicht, aber ich hoffe, es geht ihr bald besser. Weißt du, es dauert immer etwas, bis man die Wirkung der Behandlung merkt.«

»Warum ist denn die Frau so traurig, ist jemand gestorben?«

»Ach, das kann so viele Gründe haben, man kann sehr einsam sein, man kann Angst vor dem Tod haben, oft haben die Menschen sehr große Angst, dass sie keiner mag. Aber was die Frau gerade hatte, darf ich dir nicht erzählen, das ist geheim. Als Schamane darf ich das nicht weitersagen.«

Fiona war eigentlich eher still und zurückhaltend, so viele Fragen hatte sie mir bisher noch nie gestellt. Gelegentlich hoffte ich zwar, dass dieser durch alles hindurch schauende, leicht abwesende Blick vielleicht darauf hindeutete, dass sie gewisse spirituelle Neigungen hatte, aber das war reine Spekulation. Wirklich aufgefallen war ihren Eltern und mir nur, dass sie, als ich sie wenige Tage nach meinem Schamanenkurs besuchte, plötzlich auf mich zustürmte und ihre Stirn ganz fest an meine drückte. Bis zu dem Tag hatte sie mir gegenüber immer eine ziemliche Distanz bewahrt, was bis zu schreiendem Davonlaufen reichte, wenn ich auf sie zuging. Offensichtlich sah sie an diesem Tag etwas, was die anderen nicht sahen, eine Veränderung in mir, die auch ich selbst fühlte. Kinder haben bis zu einem gewissen Alter eben die Fähigkeit, Dinge zu sehen, die Erwachsene nicht mehr erkennen. Ein ganz wichtiger Aspekt übrigens, wenn Eltern beispielsweise der Ansicht sind, dass ihr Kind nicht gehorcht, sie tyrannisiert und ihnen selbst den schönsten Urlaub zur Hölle macht. Das hat dann oft weniger mit falscher Erziehung zu tun. Das Kind sieht und spürt lediglich die Probleme der Eltern, die diese vielleicht verdrängen. Es merkt, dass die Eltern nicht authentisch sind, dass es da eine Spannung gibt, die vertuscht wird. Ein Kind aber reagiert noch instinktiv, es will diese Spannungen nicht und reagiert sich durch entsprechendes Verhalten ab. Kinder sprechen beim Spielen ja auch mit fiktiven Menschen neben sich, sehen Elfen, Geister und Feen. Irgendwann hört das dann auf, beim einen früher, beim anderen später. Ich für meinen Teil kann mich allerdings überhaupt nicht daran erinnern, jemals Geister gesehen zu haben. Überhaupt war meine Kindheit wenig spirituell, eben 60er-Jahre-Standard.

»Und was hast du dann mit der Frau gemacht?«, bohrte Fiona weiter.

»Wenn du möchtest, mache ich mir jetzt einen Tee und dir einen Kakao, und dann setzen wir uns draußen auf die Bank unter dem großen Baum und ich erzähle dir, was ein Schamane ist.«

Sie war einverstanden. Vielleicht wollte sie auch nur einen Kakao mit Sahne. Als ich dann mit Tee und Kakao, Kind und ein paar Keksen unter dem Baum saß, versuchte ich, Fiona zu erklären, was ein Schamane ist. Sie saß erst einmal ganz gespannt auf der alten grünen Holzbank, über uns das sommerliche, dichte Laub der Eiche, hielt den Kakao in beiden Händen und wartete.

»Weißt du, der Schamanismus ist die älteste Heilmethode der Welt. Er versucht, mit dem Geist zu heilen, mit der Seele. Soweit ich weiß, gab es die ersten Schamanen in Sibirien bei einem Volk, das ein bisschen aussah wie die Eskimos. Jedes Dorf hatte einen Schamanen, der war nicht nur wie ein Priester, sondern auch ein Zauberer, ein Magier. Der Schamane war etwas ganz Besonderes und außergewöhnlich; er konnte Dinge, die die anderen Menschen nicht konnten, deswegen hatten sie natürlich riesengroßen Respekt und manchmal auch Angst vor dem Schamanen.«

»Und seit wann gibt es Schamanen?«

»Fast schon immer. Es gibt einen Archäologen, der heißt Horst Kirchner, und er lieferte ein eindrucksvolles Zeugnis für die These, dass schon vor 13 000 Jahren in Frankreich schamanisiert wurde, nämlich die bekannte Zeichnung aus der Höhle von Lascaux. Darauf siehst du einen Vogelkopf auf einer Stange, ein Bison und einen Mann (mit offensichtlichem Ithyphallus1) in Schräglage. Kirchner meint, dass dies eine schamanische Geisterbeschwörung mit einem Hilfsgeist, dem Vogel auf der Stange, einem Schamanen natürlich und einem Opfertier, dem Bison, ist.«

»Und was konnte der Schamane denn so Besonderes, dass die Leute Angst vor ihm hatten?«

»Man glaubt, dass der Schamane schon vor vielen tausend Jahren in der Zeit reisen konnte, er konnte in das Reich der Toten gehen und auch wieder zurückkommen. Du musst dir vorstellen, dass das heute schon etwas ganz Besonderes wäre, und damals waren die normalen Menschen ja noch den ganzen Tag damit beschäftigt, zu überleben, also Essen zu finden. Der Schamane muss wesentlich bewusster gewesen sein als seine Mitmenschen. Er konnte zwischen unserer Welt und anderen Welten reisen und vermitteln, und das tat er immer so, dass es seinen Leuten half, wenn sie ein Problem hatten oder krank waren. Der Schamane sieht alles als vom Geist durchdrungen. Krankheiten sind für ihn ein Problem der Seele. Der Schamane wusste schon immer, dass wir alle Teil eines großen Ganzen sind. Er wusste, dass alle Tiere mit uns eins sind und dass wir sie lieben sollten wie uns selbst.«

Fiona wurde hellhörig: »Was erzählst du denn da, was sollen das für andere Welten sein?«

»Das ist ganz schwer zu erklären. Die Leute haben damals geglaubt, dass es eine Unterwelt gibt, die Welt der Toten, und eine Oberwelt, so ähnlich wie der Himmel. Wir selbst leben in der mittleren Welt. Der Schamane konnte also die Toten besuchen und auch die Engel.«

»Ach so. Und wie hat er das gemacht?«

Das Thema »andere Welten« war Gott sei Dank abgehakt, ich wäre auch gewaltig ins Schwimmen gekommen, wenn ich dies genauer hätte erklären sollen.

»Die Schamanen konnten ihren Geist verändern, sie gerieten in Trance. Das ist ein bisschen, wie wenn die Erwachsenen heute zu viel Rotwein trinken, nur war der Schamane eben nicht betrunken. Er wusste die ganze Zeit genau, was er tat, er kontrollierte die Situation. Wenn er in Trance war, konnte er mit seiner Seele reisen und der Körper blieb einfach zurück. Dabei traf er andere Seelen, Geister und vielleicht auch Ungeheuer, mit denen er kämpfen musste.«

Ich schaute sie an und erwartete weitere Fragen und das Problem, dies alles einem Kind zu erklären, wo doch meine eigene Frau es bis heute nicht verstanden hatte. Doch Fiona nahm das einfach mal so hin.

»Der Schamane war also schon damals in der Lage, sein Bewusstsein über das seiner Mitmenschen zu erheben, er war geistig weiter entwickelt. Du kannst dir vorstellen, dass manche Leute auch sehr neidisch auf ihn waren, weil er solche Dinge konnte und sie nicht. Er hatte nicht nur Freunde, sondern auch Feinde, sodass er sein Wissen immer geheimhielt und nur ganz wenige, die einmal später seine Arbeit weitermachen sollten, einweihte.«

»Und warum heißt der Schamane Schamane und nicht einfach Doktor?«

Was für eine Frage, ich stutzte.

»Genau weiß man das gar nicht, es gibt Leute, die sagen, dass es von dem Wort šaman kommt. Das ist aus dem Evenkischen, einer Sprache, die man in einem Teil Sibiriens in der Gegend des Baikalsees einmal sprach. Das Wort ša bedeutet dort ›denken‹ oder ›wissen‹. Andere sagen, es bedeute ›mit Hitze und Feuer arbeiten‹ und komme aus einer ähnlichen Sprache, die die Leute dort sprechen, das Mandschu-Tungusische. Und dann gibt es auch noch Leute, die sagen, dass das Wort aus dem Indischen kommt. Samana, oder cramana in einer anderen indischen Sprache, dem Sanskrit, heißt ›Bettelmönch‹ oder ›Asket‹. Heute werden die Schamanen in allen Ländern unterschiedlich genannt – kein Wunder, wenn es sie doch schon seit Jahrtausenden gibt. Und sie heißen nicht Doktor, weil sie zwar früher ein Doktor für die Leute waren, sich aber heute nur Menschen, die Medizin studiert haben, Doktor nennen dürfen.«

Fionas Interesse schien doch nachhaltiger zu sein, als ich erwartet hatte, denn nun wollte sie wissen, was denn der Schamane genau macht.

»Früher scheint es so gewesen zu sein, dass ein Schamane immer erst in Trance geraten musste. Durch rhythmisches Trommeln, Tanzen, durch Drogen oder auch durch Fasten gelangte er in einen Trancezustand, also in eine Welt zwischen unserer Erde, der Unterwelt und dem Himmel. Um von der Erde in den Himmel zu gelangen, kletterte er einfach in Gedanken auf einen Baum, den Weltenbaum. In der Oberwelt hat er die Ahnen des Wissens und auch verstorbene Seelen getroffen. Genauso konnte er an den Wurzeln des Weltenbaums tief in die Erde, in die Unterwelt hinabsteigen. Dort konnte er dann Dinge sehen, die kein anderer Mensch jemals zuvor gesehen hatte, er konnte Dinge tun, die niemand sonst konnte. In der Unterwelt fand der Schamane die Tiergeister und wählte aus ihnen sein Krafttier. Jeder richtige Schamane hatte immer mindestens ein Krafttier bei sich, das ihm half, die Menschen zu heilen. Mit diesen besonderen Fähigkeiten konnte er Menschen helfen, wieder gesund zu werden, und auch in die Zukunft sehen. Manchmal hat er auch einfach ein wenig gezaubert, glaube ich. Er war also Arzt und Psychiater, Priester und Zauberer in einem.«

Neugierig hakte Fiona nach: »Was ist denn ein Krafttier? Hat er ein echtes Tier mitgenommen? Geht das auch mit einem Pony?«

»Ein Krafttier ist ein Tier, das der Schamane nur in seinen Träumen sehen kann. Es kann ein Pferd, ein Vogel, ein schwarzer Panter oder eine Schlange sein. Aber es ist immer das gleiche Tier, das er gefunden hatte, als er Schamane wurde, und das sein Freund und Helfer geworden ist.«

»Wenn ich ein Pony als Krafttier haben darf, dann will ich auch Schamane werden, geht das?«

»Ja, ich denke schon, dass das geht, wenn du einmal erwachsen bist. Jeder kann Schamane werden, wenn er meint, er sollte es werden, denn jeder besitzt schamanische Anlagen dazu.

Ob du dann ein Pony oder ein Kaninchen als Krafttier hast, wird sich zeigen, denn du suchst es dir nicht selbst aus, sondern es kommt zu dir. Vielleicht ist es auch ein Regenwurm.«

»Iiiiih!« Fiona sprang auf und lief schreiend und Faxen machend ins Haus zurück. Irgendwann würde ich ihr erzählen, dass es Schamanen und ähnliche Erscheinungen in fast allen frühen Kulturkreisen gegeben hat, zum Beispiel den Animismus, den Totemkult, den Ahnenkult, den Geisterglauben und die verschiedenen Praktiken der Naturreligionen. In Großbritannien waren es die keltischen Druiden. Der »alte Bön«, die ursprüngliche, vorbuddhistische Religion Tibets, enthält ebenfalls viele schamanistische Elemente. Auch die im Rahmen des tibetischen Buddhismus, des Vajrayana, bekannten, als »Orakel« bezeichneten Medien werden zum Teil auf die vorbuddhistische Bön-Religion zurückgeführt. Schamanische Rituale gehören in diesen Religionen zu den auch heute noch gebräuchlichen Praktiken. In den afrikanischen Religionen, die später auch nach Amerika gelangten, kannte man den Voodoo-Kult. Insbesondere in Mittel- und Südamerika gibt es indianische Kulturen mit noch immer sehr aktivem Schamanismus, zum Beispiel die Shuar oder die Conibo. Natürlich hatte ich Fiona auch nicht erzählt, dass es im Mittelalter die Hexenverbrennung gab, bei der Menschen, die besondere Fähigkeiten hatten und die wir heute vielleicht auch Schamanen nennen würden, bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Der Schamane versteht Krankheitssymptome, Schmerzen oder Leiden nicht als Probleme oder Gegner, die es zu bekämpfen gilt. Für ihn sind sie Helfer auf dem Weg, ein ganz anderes, das ursprüngliche Problem, zu lösen, sodass auch die Symptome verschwinden können. Er bezeichnet sich nicht als Arzt oder ersetzt ihn, hin und wieder arbeitet er jedoch mit Ärzten zusammen. Auch wenn viele glauben und zum Teil bewiesen haben, mindestens ebenso gute Heilungserfolge wie Ärzte erzielen zu können, ist dies schon aus rechtlichen Gründen nicht zulässig. Ein Schamane darf in Deutschland im Gegensatz zu Ärzten nie eine Heilung versprechen. Zum anderen heilen Schamanen nicht selbst – Ärzte tun das übrigens auch nicht – sie sind nur Medium für das Eine, für Gott, Allah, Buddha und wie man es sonst noch nennt. Auch Ärzte heilen prinzipiell nicht anders, sie arbeiten ebenfalls daran, der Natur die Heilung zu ermöglichen. Manche geben dies zu, andere nicht. Mein Internist sagte einmal, als ich ihn auf Schamanismus ansprach: »Wer heilt, hat recht«. (Paracelsus)

Als ich dann allerdings erwähnte, dass ich Schamane werden wollte, bekam ich zur Antwort: »Ach, lassen Sie den Quatsch, Sie haben doch einen vernünftigen Beruf gelernt!«

Alle seriösen Heiler, egal aus welcher Richtung sie kommen, bereiten der Natur und dem Menschen nur den Weg zur Selbstheilung. Ein interessanter Aspekt dabei ist, inwieweit der Klient daran glauben muss oder inwieweit er unterbewusst daran glaubt – darauf werde ich aber später noch eingehen. Die Macht des Schamanen ist nicht seine eigene, er ist nur Werkzeug für die Macht der Natur. Diese kann er nutzen, um andere zu heilen, nicht aber um der Macht selbst willen. Ein guter Heiler ist jedoch immer auch selbst involviert. Alle Menschen sind ständig energetisch miteinander verbunden. Als Heiler kann ich nur helfen, wenn ich erkenne, dass wir, der Klient und ich, immer beide involviert sind. Der Klient kommt nicht zufällig zu mir, ich behandle ihn nicht zufällig. Es gibt keine Zufälle. Jede Begegnung mit einer anderen Person hat einen Sinn, den wir finden können und sollten. Wir können diese Chance ergreifen oder vorüberstreichen lassen. Als Heiler muss ich in der Lage sein, ein Fehlverhalten des Klienten zu verstehen, und dazu muss ich mich mit ihm verbinden, um zu seinem spirituellen Kern zu gelangen. Grundsätzlich hat der Heiler zwar die Aufgabe, zu heilen, er soll Mut machen und Zuversicht geben, nicht mitleiden, aber er ist immer auch selbst mittendrin im Problem und findet sich selbst letztlich ständig wieder in den Problemen seiner Klienten. So entwickelt der Schamane sich weiter in der Behandlung anderer Menschen, er ist immer gleichzeitig Klient. Er heilt nicht nur den Klienten, er heilt auch sich selbst. Der Klient aber sollte immer wissen, dass der Schamane ihm nur beisteht und er für sich selbst mehr tun muss und mithilfe des Schamanen auch mehr vermag, als jeder Schamane, Heiler oder Arzt es könnte. Der Klient muss die Verantwortung für sein Leben übernehmen und behalten.

Bei meinen ersten Klienten war zum Beispiel sehr auffällig, dass sie alle einen finanziellen Engpass hatten, der so weit ging, dass ich sie kostenlos oder mit einem großen »Rabatt« behandelte. Ob mir dies zeigen sollte, dass man auch ein bescheideneres Leben führen kann, oder ob es eine Fügung war, dass ich diesen Menschen half, weiß ich nicht. Bei anderen war es dagegen offensichtlich, dass sie nicht bereit waren, für ihre Seele so viel zu investieren wie für anderes im Leben. Letzteres dachte ich zumindest bei der modisch und ganz in Schwarz gekleideten, frisch manikürten und ihrer Ansicht nach kurz vor Hartz IV stehenden Klientin, von der ich nach der ersten Sitzung nie wieder etwas gehört habe. Es soll ihr jetzt besser gehen. Betrachte ich also Heiler und Klienten als Subjekt und Objekt, ist meine Wahrnehmung nicht geeignet, dem Klienten zu helfen. Diese Trennung zwischen mir, also meinem Inneren, und dem Rest der Welt, dem Außen, funktioniert so nicht. Dann bewerte ich aus meiner absolut subjektiven Sicht und bin gefühlsmäßig nicht entsprechend verbunden. Eine beim Schamanen vorhandene Liebe zu den Menschen, ein gerüttelt Maß an Herzensbildung scheint also hilfreich bei der Behandlung zu sein. Ein guter Schamane oder Heiler kann gefühlsmäßig sicher nicht allzu stark engagiert sein, ansonsten wäre es unmöglich, mehrere Klienten hintereinander zu behandeln. Er ist jedoch auch nicht nur Beobachter, und eine gewisse Betroffenheit lässt sich gar nicht verhindern. Wer angesichts der ernst zu nehmenden Probleme seiner Klienten nicht berührt ist, ist vielleicht auch nicht für deren Heilung geeignet.

3. Kapitel – Die Arbeit des Schamanen

Ich wollte noch schnell meine Reisekiste durchstöbern, einen großen alten Aluminiumkasten, in dem ich alles aufbewahre, was ich auf meinen Reisen irgendwann brauchen könnte oder von dem ich zumindest meine, es könnte sich als nützlich, unersetzlich oder gar lebenserhaltend erweisen. Angefangen bei praktischen Dingen wie Adaptern für alle erdenklichen Steckdosen, Kerzen-Notbeleuchtung für den totalen Stromausfall, einem Allzweckmesser für den kleinen Hunger in der Wildnis, über alles Mögliche gegen Mücken und anderes Ungeziefer bis hin zu Ohrstöpseln für zu dünne Zimmerwände oder zu laute Nachbarn. Ist es nicht schön, zu wissen, dass man gegen alles Unbill des Lebens ausreichend gewappnet ist?

Am nächsten Tag sollte mein Flug nach Guatemala City um 11.00 Uhr ab Frankfurt gehen, und ich packte schnell die restlichen Dinge zusammen, denn eine Behandlung stand noch aus. Ein neuer Klient, ein mir unbekannter Mann, hatte schnellstmöglich eine Behandlung gewünscht. Eine telefonische Behandlung kam für ihn nicht infrage, lieber nahm er eine längere Anreise in Kauf. Pünktlich um 18.00 Uhr klingelte er dann auch. Kurz vorher hatte ich noch den heiligen Raum, den fiktiven Raum, der das Behandlungszimmer wie eine Art energetische Hülle umgibt, durch ein Gebet geöffnet, einen alten Text, der in den Anden schon immer benutzt wurde. Durch ihn werden die Kräfte von Schlange, Adler, Kolibri, Jaguar, Mond und Sternen sowie Mutter Erde um Hilfe gebeten. Vor mir stand dann ein sichtlich verunsicherter, gebräunter, ansonsten dynamisch aussehender Mittvierziger, nennen wir ihn Jens, mit schnittigem silbrig-grauen Kurzhaarschnitt; Ich bat ihn erst einmal, sich zu setzen. Selbstverständlich bin ich mir darüber im Klaren, was es für eine Entscheidung für jeden durchschnittlichen Menschen ist, beim Schamanen anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Für die wenigsten ist das etwas völlig Normales. Mir ging es ja selbst nicht anders.

»Ich werde dir zunächst einmal erklären, was ich heute machen und nicht machen werde, was du dazu tun kannst und was passieren wird. Außerdem werde ich versuchen, dir eine Ahnung davon zu vermitteln, wie die Heilung funktioniert.«

Er nickte einwilligend. Klar, so blieb ihm noch eine Galgenfrist, bis wir zur Sache kommen würden.

»Wir werden gleich beginnen, indem du mir von deinem Thema erzählst, das dich bewogen hat, hierher zu kommen. Ich hatte dir ja gesagt, dass du bitte deine drei größten Probleme überdenkst und auch die Gefühle, die Emotionen aufschreibst, die du mit ihnen verbindest. Gleich kannst du spontan wählen, welches Thema dir heute am nächsten liegt.«

Jens nickte und ich ahnte, dass er überlegte, ob er jetzt wirklich sein größtes Problem besprechen sollte oder nicht. Bei mir und den meisten anderen war es beim ersten Mal schließlich genauso gewesen.

»Danach wirst du dich auf diese Matte legen und dich nicht mehr bewegen, während ich dich behandle, bis ich dich nach etwas einer halben Stunde wieder dazu auffordere. Ich werde dich dabei nur anfangs und kurz vor Ende berühren. Der moderne Schamane oder Energieheiler arbeitet ausschließlich im Energiefeld des Klienten. Dementsprechend lege ich dir nicht die Hand auf oder leite irgendwelche Energien in dich ein. Ich bin lediglich Medium für »etwas«, das die Selbstheilungskräfte in dir anregt, indem ich mit deinen eigenen Energien arbeite. Die Energiemedizin stützt sich auf eine universelle Vitalkraft, Du hast vielleicht schon von Qi oder Prana gehört, ich nenne sie einfach Energie. Alles besteht aus Energie unabhängig von Raum und Zeit.«

Mein Klient nahm dies erst einmal so hin, sicherlich hatte er sich zuvor im Internet ein wenig schlau gemacht, wohin die Reise gehen würde.

Ich fuhr fort: »Jeder Mensch hat um sich herum ein Energiefeld, seine Aura. Ein einfaches Beispiel für dessen Auswirkung ist, wenn dir jemand körperlich zu nahe kommt. Dann merkst du, dass dich etwas daran stört, denn jemand ist mit seinem Energiefeld in deines eingedrungen. Auch sendet jeder Mensch energetische Signale aus, die wir empfangen können. Wenn wir fühlen, dass es dem anderen nicht gut geht, dass er traurig ist, dann »sehen« wir schon einen Teil seiner Energie. Dieses Gefühl, das bleibt, ist Intuition. Das erklärt am besten, was Energie mit uns macht, nämlich: Gefühle hervorrufen. Gefühle sind die Sprache der Seele, deine echten, tiefen Gefühle werden dich niemals täuschen. Grundsätzlich können wir alle Energie sehen, da alles, was wir sehen, Energie ist. Der Schamane hat gelernt, auch diese Energien zu spüren, zu sehen, die tief in uns verborgen und nicht so einfach zu sehen sind.«

»Und was machst du dann da genau, wie siehst du was wo?«

»Nun, das ist schwer zu erklären. Das Spüren von Energie stellt ja die Grundlage für die schamanische Arbeit dar. Gleich, wenn ich dich behandle, werden wir beide in eine leichte Trance geraten. Keine Sorge, diese Trance ist nicht wie unter Drogeneinfluss, es ist auch keine Ekstase, sondern lediglich ein entspannter Zustand, in dem du dich deinen Selbstheilungskräften öffnest und ich die Energien wahrnehmen kann. Deine Energien spüre ich vor allem in deinen Chakras, und dort finde ich normalerweise Energien, die dort nicht hingehören. Dabei ist es gleich, ob ich diese Energien als »gute« oder »schlechte« Energien bewerten würde. »Schlechte Energie« ist nicht wirklich schlecht, sie ist nur an einem Ort, wo sie nichts zu suchen hat und entsprechend vom Schamanen entfernt wird. Aber auch die gute Energie hat in einem Chakra keinen Sinn.«

»Was und wo sind denn diese Chakras, wie muss ich mir die vorstellen?«

»›Chakra‹ ist ein Ausdruck aus dem Sanskrit und bedeutet eigentlich ›drehendes Lichtrad‹. Insgesamt gibt es sieben Hauptenergiezentren in unserer Aura. Diese Körper-Chakras sind wie Trichter entlang der Wirbelsäule angeordnet. Man kann sie sich als Energiestrudel vorstellen, die sich wie das Wasser um einen Siphon drehen und unseren Energiekörper mit Informationen versorgen. Jedes Chakra hat eine eigene Prägung bzw. Charakteristik, die bei der schamanischen Arbeit eine zentrale Rolle spielt. Das 1. Chakra, auch Wurzelchakra genannt, steht beispielsweise für Lebenskraft und Vitalität. Schamanen arbeiten oft mit diesem Chakra, wenn der Klient schwach und energielos ist. Überall auf der Welt haben feinfühlige und hellsichtige Menschen diese Energiezentren in unserer Aura entdeckt, sei es in Indien, Südamerika oder in China. In den Chakras werden aus schamanischer Sicht psychische und physische Erfahrungen abgespeichert. Schwerwiegende Gefühle wie zum Beispiel Ängste - werden nicht allein durch die Psyche, sondern vom Energiekörper aus erzeugt und wirken sich auf die Chakras aus. Nun sind wir in der Lage, die meisten täglichen ›Angriffe‹ auf unser Energiefeld abzuwehren. Der Stress auf der Autobahn, wenn der Hintermann zu dicht auffährt, erzeugt zwar negative Energien, dabei handelt es sich jedoch um ›leichte‹ negative Energien, die im Chakra nicht abgespeichert werden. Dieser unangenehme Moment verschwindet genauso, wie er entstanden ist. Anders ist es bei Traumata, die haften bleiben. Als Trauma bezeichnet man in der Klinischen Psychologie eine von außen einwirkende Verletzung der seelisch-psychischen Integrität.«

Da Jens aber von mir behandelt werden wollte und keine Vorlesung zum Thema Schamanismus benötigte, bin ich auf das wichtige Thema Trauma nicht weiter eingegangen. Hier möchte ich aber doch noch einige Worte darüber verlieren. Traumata spielen bei den Problemen und Themen, mit denen Menschen zum Schamanen oder Therapeuten gehen, eine erhebliche Rolle. Dinge, die uns zumeist in unserer Kindheit, aber auch noch in späteren Jahren zustoßen, können schwere Traumata zur Folge haben. Der Begriff bezeichnet also nicht das bedrohliche Ereignis selbst, welches die psychischen Verarbeitungskapazitäten eines Menschen komplett übersteigt, sondern er beschreibt die von solchen Ereignissen schwer verletzte Seele und daraus resultierende Symptome und Verhaltensweisen. Hierzu gehören Situationen, in denen Lebensgefahr bestand, jemand zu Tode kam bzw. schwer verletzt wurde, oder die körperliche Unversehrtheit der Person selbst oder eines anderen bedroht war. Wie viele Menschen haben Traumata davongetragen aus Erlebnissen wie Flucht, Krieg, Folter, Unfällen, Katastrophen, Kindesmisshandlung, Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch, Mobbing, Krankheiten, Verschüttungen? Ein Trauma kann genauso durch den Verlust einer wichtigen Bezugsperson, eines geliebten Menschen, ausgelöst werden. Nicht selten ist die Folge das Vermeiden von Nähe innerhalb von Beziehungen, weil man große Angst davor hat, auch diese Person zu verlieren. Kommt es nach einem solchen Verlust zu einem erneuten Verlust einer wichtigen Bezugsperson, wird meist das erste Verlassenheitstrauma reaktiviert und man spricht von einer Retraumatisierung. In den 70er- und 80er-Jahren, als Eltern noch nicht bei ihren Kindern im Krankenhaus bleiben durften, ist es bei vielen Kleinkindern und Säuglingen zu solchen Verlassenheitstraumata mit Sofort- und Spätfolgen gekommen. Die Kinder erkannten zum Teil ihre Eltern nicht wieder, ließen sich nicht mehr so tief auf Beziehungen ein oder klammerten verstärkt. David Servan-Schreiber sagt in »Die neue Medizin der Emotionen« (70), nach der Theorie von EMDR, einer auf Augenbewegungen beruhenden Therapie, dass der Auslöser des Traumas nicht entsprechend verarbeitet wird. Bilder, Gedanken, Geräusche, Gerüche, Gefühle, körperliche Empfindungen und Überzeugungen, die man im das Trauma auslösenden Moment empfand oder hatte, werden so gespeichert, wie sie sind, und in keiner Weise verarbeitet. Tritt nun etwas ein, das auch nur die kleinste Erinnerung an das ursprüngliche Ereignis oder auch nur an ein damit verbundenes Gefühl oder einen Geruch weckt, so reagiert der Betroffene. Ein sogenannter Trigger ist also ein Ereignis, das den Traumatisierten unbewusst an sein Trauma erinnert. An das eigentliche traumatische Ereignis erinnert man sich in vielen Fällen gar nicht, besonders wenn es im Kleinkindalter stattgefunden hat. Maßgeblich für die Folgewirkungen des Traumas ist interessanterweise nicht die äußere Intensität des erlebten Ereignisses, sondern die subjektive Wahrnehmung der eigenen, zwangsläufig verdrängten, schweren Kränkung bzw. Verletzung. Nicht jedes Ereignis, welches hier als Trauma definiert ist, muss eine psychische Störung auslösen. Manchmal gelingt es Personen, die traumatischen Ereignisse auch ohne professionelle Hilfe zu bewältigen. Hierbei ist die Schwere des Traumas entscheidend. Je schwerer die belastende Situation war, desto mehr vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Störung entwickelt wird.

Ein Symptom, das auf ein Trauma hinweisen kann, ist zum Beispiel ein stark kontrollierendes Verhalten, da ein Trauma als ein extremer Kontrollverlust erlebt wird. Häufig beinhaltet dies die gedankliche Vorwegnahme des Schlimmsten, damit man nicht überrascht wird. Reaktionen des Traumapatienten sind oft Panikattacken, Angst- oder Zwangserkrankungen. Auch eine Selbstverstümmelung, zu der ich auch ständiges Nägelkauen und Ähnliches zählen würde, können ein Merkmal einer durch ein Trauma verursachten psychischen Störung sein, ebenso wiederkehrende Albträume. Traumatische Erlebnisse werden unter anderem auch als ein maßgeblicher Faktor für die Borderline-Persönlichkeitsstörung angesehen.

Die Auswirkungen von Traumata beeinflussen in starkem Maße das Leben der Betroffenen. Traumatisierte Menschen schwanken häufig zwischen dem Vermeiden von Erinnerungen an die seelische Verletzung und deren Folgen auf der einen und dem plötzlichen »Überfallenwerden« durch Erinnerungen auf der anderen Seite. Ursache, also Trigger für diese scheinbar spontanen »Überfälle«, die natürlich überhaupt nicht spontan sind, können Bilder, Stimmungen, Gefühle oder Gerüche sein, die dann Gefühle und Angstreaktionen auslösen, ohne dass der Betroffene dies auf etwas Bestimmtes zurückzuführen könnte. Oft ignoriert der Betroffene seine eigene fatale Situation und redet sich ein, dass alles ganz normal sei, eine vom Unterbewusstsein gesteuerte und zum Teil über Jahre hinweg antrainierte Schutzreaktion, um erneute Traumatisierungen zu vermeiden.

Ich erklärte also meinem Kienten: »Traumata sind prägende, in der Regel schlimme Ereignisse, die sich als Energie in uns festsetzen können. Diese schweren Energien, die auch schon einmal als ›schwarze Flecken‹ bezeichnet werden, setzen sich in der äußeren Schicht der Aura fest und behindern von da an den