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Renate Bergmann

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Beschreibung

«Weiße Weihnachten! Das hatten wir schon SO LANGE nicht mehr. Lassen Se sich von alten Leuten nicht einreden, dass es früher IMMER weiße Weihnachten gab. Das ist Quatsch! Einmal blühten sogar die Kirschbäume. Andererseits: Ich kann mich noch an Winter erinnern, die waren so kalt, dass die Ziegen auf die Bäume geklettert sind und die Zweige abgefressen haben, weil sie nirgends mehr was fanden! Wie dem auch sei: Ich habe schon immer das Beste aus dem gemacht, was das Leben meinte, mir vor die Füße werfen zu müssen!» Renate Bergmann hat schon 82 Feste gefeiert, zu denen es mindestens genauso viele Geschichten gibt. Die schönsten erzählt sie in diesem Buch.

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Renate Bergmann

Die Reste frieren wir ein

Weihnachten mit Renate Bergmann

Über dieses Buch

Adventszeit ist Dehnbundzeit!

 

«Weiße Weihnachten! Das hatten wir schon SO LANGE nicht mehr. Lassen Se sich von alten Leuten nicht einreden, dass es früher IMMER weiße Weihnachten gab. Das ist Quatsch! Einmal blühten sogar die Kirschbäume. Andererseits: Ich kann mich noch an Winter erinnern, die waren so kalt, dass die Ziegen auf die Bäume geklettert sind und die Zweige abgefressen haben, weil sie nirgends mehr was fanden! Wie dem auch sei: Ich habe schon immer das Beste aus dem gemacht, was das Leben meinte, mir vor die Füße werfen zu müssen!»

 

Renate Bergmann hat schon 82 Feste gefeiert, zu denen es mindestens genauso viele Geschichten gibt. Die schönsten erzählt sie nun hier. Denn eines ist klar: Zu Weihnachten gehören Gänsebraten, Dominosteine, «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» – und ein Renate-Bergmann-Buch.

Vita

Renate Bergmann, geb. Strelemann, wohnhaft in Berlin. Trümmerfrau, Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfach verwitwet: Seit Anfang 2013 erobert sie Twitter mit ihren absolut treffsicheren An- und Einsichten – und mit ihren Büchern die ganze analoge Welt.

Torsten Rohde, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Sein Twitter-Account @RenateBergmann, der vom Leben einer Online-Omi erzählt, entwickelte sich zum Internet-Phänomen.

«Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker» unter dem Pseudonym Renate Bergmann war seine erste Buch-Veröffentlichung – und ein sensationeller Erfolg –, auf die zahlreiche weitere, nicht minder erfolgreiche Bände und ausverkaufte Tourneen folgten.

Guten Tag,

 

hier schreibt Renate Bergmann. Sind Se mir nicht böse, wenn ich nebenher noch ein Auge auf den Herd haben muss, aber hier simmert der Grünkohl für Weihnachten auf kleiner Flamme. Da muss ich nebenher ab und an umrühren, nicht, dass der ansetzt. Er braucht seine vier Stunden auf kleinem Feuer, damit er richtig schmeckt, aber man muss aufpassen, dass er nicht anbrennt. Die Beilagen sind doch das Beste!

«Zum Weihnachtsbraten?», werden Se sagen, «Jetzt? Es ist doch gerade Oktober!» Ja, die Sprüche kenne ich! Ihr jungen Dinger, die ihr immer alles auf den letzten Drücker erledigt. Grünkohl hält sich eingefroren nicht nur prima, der schmeckt sogar besser, wenn man ihn aufwärmt. Wenn überhaupt, gibt es bei so Grünschnäbeln höchstens Grünkohl aus dem Glas. «So billich kannste alleine gar nicht kochen!», sagt meine Nachbarsche, die Meiser, immer, wenn sie wieder den Büchsenöffner ansetzt. Das mag stimmen, aber wissen Se, wenn ich koche, dann koche ich und mache nicht warm. Ich will schließlich, dass die Teller hinterher blitzeblank sind und nicht, dass nur appetitlos in meinem Essen rumgestochert wird. Laden Se sich wenigstens bei der Mutti oder der Omi ein, bevor Se Fertigzeugs essen, kann ich nur mahnen. Die freuen sich zudem noch, wenn Besuch kommt, gerade über die Feiertage. Wer ist da schon gern allein?

 

Weihnachten. Ach, da kriege ich gleich so ein Huchgefühl, wenn ich nur dran denke.

Hochgefühl.

Hihi, ein Huchgefühl hatte ich letzthin, als so ein Bengel an der Bushaltestelle in die Pfütze hüpfte und mich nass gespritzt hat.

Nee, an Weihnachten wird mir immer ganz wohlig ums Herz. Es ist das Fest der Liebe, der Wärme und der Hoffnung. Und auch das Fest des guten Essens. DAS darf nämlich nicht fehlen, wenn die Lieben zusammenkommen. Man will sich schließlich nichts nachsagen lassen, nich wahr? Wie unangenehm ist es doch, wenn der Kuchen abgezählt ist. Wie anno – lassen Se mich überlegen – anno ’81 bei meiner Frau Liebeldank-Henning. Das war die Kulturtante bei der Reichsbahn, die hatte uns, die örtliche Frauengruppe, zu sich eingeladen. Stellen Se sich mal vor, da saßen tatsächlich 12 Personen bei Tisch. Und für eine Gruppe dieser Größe hatte die Liebelzank nur vier Kuchen gebacken! Ich kriege bis heute eine aufsteigende Hitze, wenn ich an die unangenehme Situation denke, als man schon fast das Muster auf der Tortenplatte sehen konnte, weil so viel weggegessen war. So eine Schmach. Die Gäste mussten ja denken, sie hatte nicht satt zu essen! Wochenlang wurde geredet, bis zum Fasching hin. Nee, Weihnachtszeit ist Dehnbundzeit. Da lässt sich eine Renate Bergmann nichts nachsagen.

 

Wenn die Familie da ist, wird aufgetischt. «Liebe geht durch den Magen», heißt es, und ich habe bis auf den heutigen Tag noch nie gehört, dass das Sprichwort «aber nur ein schmales Stückchen» weitergeht. Auch in schweren Zeiten, wenn wir übers Jahr manchmal gehungert haben (na ja, wissen Se, ganz ehrlich: Wir wohnten auf dem Land, wir hatten immer satt zu essen. Aber manchmal gab es keinen Nachtisch! Und auch keinen Nachschlag) – zum Weihnachtsfest wurde nur das Beste aufgetragen. Selbst im Hungerwinter 46/47, als Mutter die Hennen und Karnickel alle an die Berliner vertauscht hatte, die in voll besetzten Zügen zu uns rauskamen, selbst da hat sie für uns was zurückbehalten und ein Festmahl gezaubert. Opa Strelemann hat seinerzeit Biber gewildert. Wissen Se, wie soll so ein Städter denn einen abgezogenen Biber von einem gehäuteten Karnickel unterscheiden? Oma und Mutter haben die Dinger gut verhökert und noch Rezeptempfehlungen mitgegeben, und ich bin mir sicher, die hatten alle schöne Festtage.

 

Als meine Tochter Kirsten noch richtig gegessen hat und nicht nur Salatblätter und Körner zermalmte, da hat es auch noch Spaß gemacht, für sie zu kochen. Trotzdem musste ich uns mal vegetarisch machen am ersten Feiertag, weil ich in der Aufregung am Tag vorher – wir wollten in die Kirche, der Rotkohl drohte anzusetzen, und die Gans musste begossen werden, alles gleichzeitig, und dazu hatte ich noch die Wickler im Haar, keine Brille auf und das gute Kleid schon an! – na ja, da habe ich zwei Teelöffel Schayennpfeffer auf den Vogel getan statt Beifuß. Bis Silvester hin habe ich fast nur geweint wegen der Schande. Dass das einer gestandenen Hausfrau und Köchin wie mir passiert, nee, der Makel sitzt mir bis heute auf der Seele wie ein Fettspritzer auf der ansonsten blütenweißen Kochschürze meiner Mutter. Aber eine Renate Bergmann ist eine ehrliche Person, die auch mit solchen Dingen nicht hinterm Berg hält, sondern sie offen einräumt. Wir haben Kartoffeln mit Rotkohl gegessen, der war nämlich wunderbar weich wie immer, und zum Nachtisch gab es Götterspeise mit Vanillesoße. Das ging auch mal. Wir haben in dem Jahr Kaffee und Torte – es muss ’83 gewesen sein, auf jeden Fall gab es hinterher noch «Die Peter-Alexander-Show» im Pantoffelkino – eine Stunde vorgezogen, sodass der Hunger nicht allzu groß war. Bis heute habe ich nicht darüber gesprochen, aber nun, wo Gras über die ollen Kamellen gewachsen ist, kann ich es wohl zugeben.

Aber das reicht nun auch, mehr sage ich nicht über den Vorfall!

 

Im Gegensatz zu der Geschichte, die erst letztes Jahr passiert ist, die schreibe ich Ihnen in Gänze auf. Vorab nur so viel: Kurt hatte zwei Gänse bei seinem Karnickelzüchterfreund Lothar bestellt. Sie wissen ja, wie das ist, die zähen Viecher aus dem Gefrierer in der Kaufhalle kann man nicht essen. Wenn man sie aufgetaut hat, sehen sie schon grau und nicht sehr appetitlich aus. Gleich beim Anbraten entlassen sie so viel Fett, dass man Schmalz bis zum Frühjahr hin hat, und je länger man den Vogel brät, desto mickriger und zäher wird er. Wie Gummi! Nee, so was kommt mir nicht in die Pfanne. Da gebe ich sehr gern ein paar Mark mehr aus und kaufe eine Gans vom Bauern. Euro, wir haben ja den Euro. Bei Lothar haben die Tiere das ganze Jahr Auslauf, die baden sogar im Anger, fressen grünes Gras von der Wiese und kriegen sonst nur Kartoffeln, die Lothars Inge ihnen jeden Tag mitgekocht hat. Gläsers und ich hatten die Gänse von Lothar schon jahrelang abgenommen. Im Frühjahr haben wir bestellt, Lothar hat uns aufgeschrieben und zwei Gössel mehr gekauft, und wenn das Fest ran war, sind Kurt, Ilse und ich mit dem Koyota los und haben die Vögel abgeholt, küchenfertig geschlachtet und ausgenommen, den Hals, den Bürzel und die Innereien beigelegt, damit es eine schöne kräftige Soße gibt, so wie es abgemacht war. Bis Lothar im letzten Jahr ausfiel und wir unsere Gans bei einem anderen Kurt-Kumpanen namens «Keule» bestellen mussten.

Ich mache das hier mal kurz und erzähle später ausführlich: Kurt wusste am Heiligen Abend nur, dass Keule «eine gute halbe Stunde» außerhalb von Berlin wohnte. Er war nie bei ihm gewesen und hatte auch keine Telefonnummer. Die sahen sich ja immer nur bei der Rammlerausstellung! An dem Tag sind wir mit dem Koyota in mehr märkischen Dörfern gewesen als der Fontane bei seinen Wanderungen, sage ich Ihnen. Fix und fertig bin ich gewesen und sah mich am Festabend schon Kirstens Smufies mit dem Trinkhalm schlürfen. Ach, das war eine Aufregung! Wie wir doch noch zu einem butterzarten und wunderbar saftigen Gänsebraten kamen, davon berichte ich Ihnen. Nur Geduld.

Ja, sehen Se, und so drehen sich viel Geschichten, an die ich mich erinnere, wenn ich an Weihnachten denke, um den Festtagsbraten und um das Essen. Sehr gern schreibe ich Ihnen davon auf, wissen Se, was sollen die im Schatzkästchen meiner Erinnerungen verdörren? Wenn Sie Freude daran haben, lasse ich Sie gern teilhaben. Man muss nicht alles mit ins Grab nehmen, die netten Geschichten kann man doch teilen. Es gibt genug dunkle Geheimnisse, die ich nicht ausplaudere, auch, wenn Se gerade die vielleicht hören wollen. Hihi.

Nun wollen wir mal loslegen. Ich schreibe Ihnen jetzt nicht noch lange auf, wie alt Ilse und Kurt sind und wer noch so alles vorkommt in dem Büchlein. Da mache ich Ihnen auf den Vorsatz so kleine Biographien, da können Se nachgucken, wenn Se jemanden nicht kennen. Aber Sie kennen doch meine Leutchen schon, oder?

 

Huch, jetzt muss ich aber dringend den Grünkohl umrühren, sonst setzt der doch noch an. Währenddessen können Sie ja anfangen zu lesen.

 

Ihre Renate Ber…

(Herrje. Jetzt ging doch glatt der Brandmelder an.)

Es war eine schwere Zeit, aber in allem steckt immer auch was Gutes: Unser Turnlehrer hat im Winter ’46 den Stufenbarren verheizt, weil es nichts zum Feuern gab. In Geräteturnen war ich nie eine Leuchte!

Gut Finkenhof, 1946

1946, da war ich knapp davor, ein Backfisch zu werden, feierten wir ein Weihnachtsfest, an das ich bis heute als eines meiner schönsten zurückdenke.

Wir lebten damals auf dem Gut Finkenhof, das liegt im Märkischen. Wenn ich «wir» sage, meine ich damit Mutter, meinen kleinen Bruder, den Fritz, und Oma und Opa Strelemann. Der Krieg war zwar vorbei, aber die Zeit des Darbens und der Entbehrungen war es noch lange nicht. Zu allem Leid, das der Krieg über uns gebracht hatte, kam auch noch einer der härtesten Winter, an die man sich bis heute erinnert.

Es gab Weihnachtsfeste, an denen mehr geschehen ist und von denen zu berichten sich vielleicht auch lohnen würde. Wie damals, als Ilse von der Leiter gefallen ist, weil sie am ersten Feiertag unbedingt noch Staub vom Kronleuchter wischen wollte und Kurt … also, das gehört auch eigentlich nicht hierher. Nein, viel Schlimmes, Verrücktes oder Komisches ist damals nicht geschehen. Ich möchte Ihnen aus einem anderen Grund von genau diesem Weihnachtsfest erzählen. Ich will Ihnen berichten, wie die Zeit damals war und wie wir uns über das Wenige, das wir hatten, freuten und es in unseren Herzen wuchs und wuchs.

Wir schliefen damals alle in einem Bett, das müssen Se sich mal vorstellen. Das sparte Heizung! Oma, Mutter und wir Kinder kuschelten uns im großen Ehebett im Elternschlafzimmer aneinander und wärmten uns gegenseitig. Opa bettete sein Haupt nachts nicht mit in der Schlafstube, sondern in der Küche auf den schieren Dielen. Gerade den spanischen Bettvorleger hatte er als Matratze.

Moment.

Spartanisch, nicht spanisch.

Es war so bitterkalt, dass wir unseren Odem als weißen Dunst sahen, wenn einer ausatmete. Opa schnarchte ein bisschen. Na, ein bisschen … wir hörten es bis rüber ins Bett! Im Laufe der Nacht wurde sein Grunzen immer trockener, und manchmal hatte ich Angst, dass seine Mandeln einfroren.

 

Opa Strelemann schlief aber nicht aus Rücksicht auf dem Küchenboden, sondern weil er früh rausmusste, um die Kuh zu melken.

Ja, wir waren wer. Wir hatten eine Kuh!

Das kann in der heutigen Zeit ja keiner mehr nachvollziehen, was das bedeutet hat. Wir hatten Milch und konnten selber Käse und Quark machen, und das wiederum konnte Mutter gut verkaufen oder vertauschen. Kurz nach dem Krieg, bis in die 50er Jahre hinein, gab es Lebensmittel nämlich nur rationiert und auf Bezugskarte. Da blühte der Schwarzhandel mit den Bauern auf dem Land, sage ich Ihnen. Auf die Kuh hat Opa aufgepasst wie auf den Schlüssel zum Schuppen, in dem die Destille stand. Der schlief mit einer Forke neben seinem Nachtlager, damit er einem möglichen Einbrecher sofort hätte den Garaus machen können. Die Susi – so hieß sie, die Braungefleckte – bekam nicht nur jeden Morgen warm zu saufen, während wir uns mit eisigem Wasser die Zähne putzen mussten, nein, Opa wärmte sich auch immer die Hände an, bevor er ihr ans Euter fasste. Regelrecht verwöhnt hat er sie! Oma wurde beinahe neidisch. «Die blöde Kuh», hat sie manchmal gesagt. Aber natürlich war sie froh, dass wir die Susi hatten.

Wir liefen zu der Zeit bis in den November hinein mit nackten Füßen rum, weil wir nur ein Paar Strümpfe hatten, und die mussten geschont werden für den Winter. Als der dann kam, kam er krachend kalt und legte das ganze Land unter Schnee und Eis. Der Ostwind pfiff wochenlang so schlimm, dass Oma kaum krauchen konnte mit ihrem Ischias. Uns Kindern waren die Zehen blau gefroren. Wo der kleine Fritz war, konnte man schon immer an der Schnodderspur sehen: Seine Nase tropfte egal fort, bis Oma ein Einsehen hatte und eine Strickjacke von Vater, die sie bis dahin als Erinnerung aufbewahrt hatte, aufräufelte und ihm aus der Wolle ein paar Extrasocken strickte.

 

Nachdem Opa Strelemann in einer Nacht die Spucke auf dem Küchenboden gefror, sprach er schließlich: «So, Frauensleute, genug ist genug. Heute Nacht lege ich mich bei euch in der Schlafstube hin.» Er schlug sein Ruhelager links neben Omas Bettseite auf, wie immer auf dem harten Dielenboden. Gerade, dass er die Bettumrandung als Unterlage hatte und seine grobe Pferdedecke aus der Küche mitbrachte. Er lag da wie ein Brett und schnarchte mit Oma um die Wette. Kurz vor dem Einschlafen guckten Mutter, Fritz und ich uns an, kniffen kurz die Augen zusammen und schnitten eine Grimasse. Laut zu lachen trauten wir uns nicht, am Ende wären die Großeltern noch wach geworden? Dann drückte uns Mutter noch mal kurz an sich und gab uns eines der seltenen Küsschen auf die Stirn. Mutter hatte es nicht leicht – der Mann, also mein Vater, war im Krieg geblieben, sie musste zwei Kinder satt kriegen, und auch wenn es ein Glück und sie dankbar war, dass wir bei Oma und Opa Strelemann unterkommen konnten, war es nicht immer einfach mit den alten Herrschaften. Olle Leute sind manchmal stur und unverbesserlich. (Heute weiß ich das …)

Mutter konnte sich Zärtlichkeiten nicht oft erlauben, es kam selten vor, dass sie sagte: «Renate, komm mal her, Mama pustet», wenn ich gefallen war oder mir das Schienbein an den Brennnesseln verbrannt habe. Meistens hieß es: «Reiß dich zusammen, jammern nützt nichts.» Sie war keine hartherzige Frau, aber die schwere Zeit zwang sie, eisern zu sein.

Oma hat in jener Nacht, als Opa zu uns in die Schlafstube zog, noch heftig mit ihm diskutiert, dass er seine Forke nicht mit reinnehmen darf, aber da stellte er sich bockbeinig. Was meinen Se, was los war, als Oma im Morgengrauen aufs Häuschen musste und über den Stiel gestolpert ist. Wir waren alle wach, und keiner schlief mehr ein, und Oma zeigte jedem den blauen Fleck am Knie, sogar dem Herrn Pfarrer.

Ja, mit Oma und Mutter war das so eine Sache. Zwei Frauen auf einem Hof und in einer Küche – da können Se sich ja denken, dass das öfter rauchte. Aber die Zeiten waren so, und es ging nicht anders.

 

Meine Mutter war eine schlitzohrige und gerissene Frau. Es gibt Leute, die sagen, ich schlage nach ihr. Sie hat die Hühner, Gänse und Enten, die wir den Sommer über auf dem Bauernhof großgezogen haben, teuer an die Städter verschachert. Das war ja alles streng verboten, wissen Se, es gab damals Lebensmittelkarten, und jeder durfte offiziell nur 100 Gramm Fett die Woche beanspruchen. Und das galt schon für Arbeiter! Kindern und alten Leuten stand noch weniger zu. 100 Gramm Fett die Woche, überlegen Se mal! Das ist das, was meine Freundin Gertrud heutzutage als «kleinen Stich Butter» an ihr Gemüse macht. Von Fleisch reden wir erst gar nicht. Mutter jedenfalls hatte auch in diesem Jahr kurz vor den Festtagen mit der Hilfe von Opa Strelemann das Geflügel geschlachtet und ausgenommen. Von jeder Ente oder Gans hatte sie entweder eine Keule, den Hals oder mal einen Flügel auf die Seite gelegt, für uns. Es war ihr ein Leichtes, so einem dusseligen Stadtmenschen weiszumachen, dass das Tier einen Granatsplitter abbekommen hatte und mit nur einem Bein groß geworden war. Jedenfalls hatten wir eine herrliche Geflügelpfanne zum Fest, mit einer Keule für jeden und Hälsen und Bürzeln für den Geschmack. Opa hat auch Biber gewildert, wissen Se, Naturschutz war damals ja noch nicht. Und so abgezogen ohne Fell sehen die Tiere für so einen Städter doch alle gleich aus, da gleicht sozusagen ein Ei dem anderen. Die hatten zum Fest satt zu essen, und wir kamen gut über die Runden. Mutter hat die Waren nicht verkauft, sondern getauscht. So kam sie zu Stoff, aus dem sie ein Kleid für mich und eine Hose für Fritz schneiderte. Für die große Pute hat sie sogar ein Tafelservice von Meißen bekommen! Damals hieß es: «Die Bauern sind gerissen, die haben sogar Teppiche im Kuhstall liegen.» Ganz so war es nicht, aber es war eben die Zeit, wo der Hunger die Preise diktierte. Mutter verlangte trotzdem