Die Rettung der Welt - Rudolf Müller - E-Book

Die Rettung der Welt E-Book

Rudolf Müller

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Beschreibung

Was passiert, wenn ein billionenreicher Unternehmer und Erfinder sich auf Die Rettung der Welt stürzt? Im Jahre 2022, an seinem 50. Geburtstag, beschließt Roderich Cue, der reichste Mann der Welt, dieses Wagnis. Und da es mehr als viel zu tun gibt auf unserem Planeten, angefangen vom Umweltschutz mit Klimawandel über Armut und Analphabetentum, bis hin zur passiven Demokratie mit ihren Sozialsystemen, bringt er gleich sein komplettes Unternehmen in diese Sache ein. Dabei setzt er alles konsequent auf eine Karte, denn eine Vielzahl von Nicht-Regierungs-Organisationen tummelt sich bereits auf diesem Gebiet. Mit Greenpeace als bekanntestem Vertreter, neben vielen Tausenden anderer Entwicklungs- und Hilfsorganisationen staatlicher, kirchlicher und privater Herkunft. Gleichzeitig stehen große Gegenkräfte seinem Vorhaben im Weg. Und während deren Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft mit aller Macht versuchen, den Helden an seinem Vorhaben zu hindern, scheint die Glaubwürdigkeit seines Rettungsplans in der Öffentlichkeit prompt zu schwinden. Selbst seine eigenen Zweifel wachsen, als bestimmte Gruppierungen mit Lügen und Intrigen versehen auch vor tätlichen Angriffen nicht zurückschrecken. Doch Roderich Cue, unterstützt von treuen Gefährten und der attraktiven Psychologin und Umweltaktivistin Thora Masters, gibt nicht auf. Nicht das System der Wirtschaft ist das Problem, so seine feste Überzeugung, sondern allein der Mensch mit seinem Denken, seinen Werten und seiner mangelnden Konsequenz. Es ist eine lange und dornige Strecke der Erkenntnis und des Bewusstseinswandels, die Roderich Cue zurücklegen muss, um sein Ziel zu erreichen. Auf einem Weg allerdings, der auch von zunehmenden Erfolgen, Bestätigungen und letztlich von der allumfassenden Kraft von Liebe und Vertrauen geprägt ist...

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Rudolf Müller

Die Rettung der Welt

Ein Unternehmer löst die Armuts-,

Umwelt- und Energieprobleme der Erde

Die Rettung der Welt, Band 1 Die Macht

Rudolf Müller, www.weltrettung-vision.de

Copyright: © 2014 Rudolf Müller

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-1046-2

Lektorat: Rüdiger Lehmann, www.rltextory.de

Umschlaggestaltung: Gisa Kogler

Fotos: Fotolia, Autorenfoto privat

Der Trieb zum Guten

ist dem Menschen eingepflanzt von Natur

Prolog 1

Von Engeln umringt schaute Gott ratlos hinab auf die Erde.

„Der blaue Planet liegt im Argen“ sprach er und seine Stimme hallte hinaus bis zu den entferntesten Planeten.

„Armut, Krankheit, Krieg, Kriminalität, Egoismus und Hedonismus verderben ihn. Was haben meine Kinder nur aus ihrer Welt gemacht, nachdem ich sie aus dem Paradies warf? Viele Propheten habe ich ihnen gesandt, sie haben sich vermehrt und sich die Erde untertan gemacht ohne sich geistig zu entwickeln.“

Da erhob ein Engel seine hohe Stimme.

„Die Menschen wissen nicht mehr, was sie tun sollen. Vielen geht es schlecht und wenige leben in Saus und Braus, meist auch ohne dabei glücklich zu sein.“

Und Gott sprach weiter „Soll ich etwas Neues ausprobieren?“

„Ja“, erwiderte der Engel „denn so kann es nicht weitergehen“.

„Dann mache ich dieses Mal einen Unternehmer mit unbegrenzten Mitteln zum Vorbild und wir schauen uns an, was er daraus macht.“

„Und warum lässt du nicht mal ein Paar antreten?“ fragte ein anderer Engel. „Die Menschen denken immer noch, dass Gott ein Mann sei, da alle Propheten Männer waren und viele Religionen in deinem Namen die Frauen unterdrücken.“

Stumm schaute Gott weiter auf den blauen Planeten und sprach dann:

„So sei es also. Ein Mann und eine Frau übernehmen die Aufgabe, die Welt zu retten. Doch müssen sie sich erst finden.“

Und alle Engel sangen im Chor in solch hellem Klang, dass das Universum noch einmal so stark erstrahlte.

„Halleluja, Halleluja….“

Prolog 2

Der Brennpunkt

2013, Afrika

Es war die kälteste Zeit des Jahres, als Manga sich um Latifa sorgte. Das Kind, das so gerne mit seinen Steinen, Knöpfen und Pflanzen spielte, die es immer wieder neu anordnete, liebevoll ansprach und ihnen Namen gab, lag seit drei Tagen apathisch auf der kleinen Bastmatte. Und während Manga mechanisch die Fliegen verscheuchte, die immer wieder auf Latifa zu landen versuchten, dachte sie an Ogondo, der viele Jahre in der Stadt am großen See verbracht hatte. Der ihr von den vielen Krankheiten erzählte, die mit den Fliegen ins Haus kommen würden, wo diese doch in Wirklichkeit von den bösen Geistern kamen, die die Schamanin des Dorfes schon so oft vertrieben hatte. Auch wenn das gestrige Ritual wirkungslos geblieben war.

Die siebenjährige Latifa stöhnte und ihre Mutter dachte an die beiden anderen Kinder, die bereits auf ähnliche Weise erkrankt und dann gestorben waren. Dabei spürte sie zwei Dinge, die sie begleiteten, solange sie sich erinnern konnte - Angst und Hunger. Ihre Augen streiften durch die kreisrunde Hütte, zur Feuerstelle, in der sich noch Glut befand. Von etwas Erde bedeckt war sie für eine Mahlzeit kaum noch gut. Aber was konnte sie zubereiten? Ohne Feuerholz, das die anderen entkräfteten Kinder heute nicht sammeln konnten und aus einem Mehlsack, der leer war...

Ein Mädchen und ein Junge, beide älter als Latifa, saßen mit zwei kleineren Kindern unter dem Fensterloch, das so wenig von der kühleren Luft hereinließ. Das jüngste Baby trug Manga auf dem Rücken. Es war sehr dünn und bekam kaum Nahrung aus einer Brust, die viel zu wenig Milch produzierte. Magoma, der Vater und Ernährer der Familie, bearbeitete den kargen Acker in der Nähe, auf dem nur Mais wuchs. Er schlug sie oft, und dass er sich tagsüber kaum blicken ließ, bedauerte niemand. Die einzigen zwei Hühner, die durch ihre Eier noch zum Leben beigetragen hatten, waren vor einigen Tagen aufgegessen worden.

„Die weiß angezogenen Menschen in den Steinhäusern haben immer zu essen“ hauchte Latifa und sah sie mit flehenden, rotgeschwollenen Augen an.

Manga nahm das Kind, das kaum mehr wog als ihr Baby auf ihrem Rücken, in die Arme und traf eine Entscheidung.

„Pass auf die Kleinen auf“, sagte sie zur älteren Tochter. „Ich gehe in die Station, vielleicht kann ich dort etwas zu essen und Heilung für deine Schwester bekommen. Dein Bruder wird mich begleiten.“

Das Mädchen nickte müde und Manga gab ihr das Baby. Sie verließen die aus getrocknetem Kot, Lehm und Wasser gebaute Hütte, die inmitten der kargen Vegetation ihre unendliche Traurigkeit widerzuspiegeln schien.

Am strahlend blauen Himmel stand die Sonne, die alles verbrannte, wenn nicht ab und zu etwas Regen fiel oder Wasser aus den wenigen Brunnen geholt werden konnte. Sie hatte von fruchtbareren Plätzen gehört und von den Menschen dort, die weitere Ansiedler durch ihre Krieger abwehrten. Ihre älteste Tochter lief täglich eine Stunde zum Brunnen. Danach sammelte sie mit ihrem Bruder das Holz für die Feuerstelle. Eine Schule gab es hier nicht und bald würde sie das Alter erreichen, in dem die Schamanin sie beschneiden würde. Manga war selbst beschnitten und hatte immer darunter gelitten. Zwar hatte Ogondo ihr gesagt, dass Beschneidungen von der Regierung verboten seien, doch hatte sie nur eine verschwommene Vorstellung von einer Regierung. Wer konnte schon eine höhere Autorität haben, als der Dorfälteste und sein Rat?

„Nun, Manga, wie sieht es heute mit der Kleinen aus? Gestern war doch die Schamanin da?“ fragte ihre Nachbarin im Vorbeigehen, doch Manga konnte nur schwach antworten.

„Ich gehe in die Station der Weißen, dort wird man uns helfen.“

Viele Stunden wanderten sie in glühender Hitze und wechselten sich beim Tragen von Latifa ab. Als die Station am Horizont auftauchte, schien die Sonne noch immer gnadenlos, doch das eckige, aus großen Hölzern gebaute Gebäude, gab ihr allein durch seinen Anblick etwas an Kraft zurück. Eine kleine Holztreppe führte auf eine Veranda, auf der eine Afrikanerin ihr entgegenkam und sie in ihrer Sprache anredete. Sanft strich sie über Latifas heißen Kopf.

„Was ist mit ihr?“

„Seit einigen Tagen ist sie kaum ansprechbar und spricht fast nur noch im Traum. Sie ist mein kleiner Augenstern und hat mir gezeigt, dass ich hierher gehen soll.“

Die Frau nahm ihr das Kind behutsam aus dem Arm.

„Kommt herein, vermutlich ist es Malaria. Wir können ihr helfen, sie ist so schwach.“

In einem weiß gekalkten Raum, durch den ein kühler Windhauch wehte, deutete die Frau auf eine Holzbank.

„Setzt euch hier hin, ich bringe euch etwas zu essen. Der Doktor wird sich das Kind anschauen.“

Manga schüttelte den Kopf.

„Ich will dabei sein, wenn der weiße Schamane meine Latifa heilt. Solange will ich nichts essen.“

Sie befahl ihrem Sohn zu warten und folgte der schwarzen Frau bis zur dritten Tür, durch die ein großer blonder Mann in weißer Kleidung sie zu sich winkte. Eine weiße Frau mit langen schwarz-roten Haaren und einer leuchtend bunten Bluse lächelte Manga an. Sie nahm der schwarzen Helferin das kranke Kind ab, bettete es auf eine Liege und führte ihm einen durchsichtigen Stab in den Mund. Während der Arzt zwei Knöpfe mit Schnüren, die in eine Metallplatte mündeten, in seine Ohren steckte, hielt sie Latifas Hand als wolle sie ihr Kraft geben. Langsam führte der Arzt die Metallplatte über Rücken und Brust des Mädchens, öffnete ihre Augen indem er die Lider herunterzog und nahm ihr den Stab aus dem Mund. Die freundliche weiße Frau schaute darauf und sagte etwas in fremder Sprache.

Nachdem der weiße Mann ein kleines Rohr aus Metall, das sehr spitz aussah, aus einem Behältnis an der Wand genommen hatte, griff er sanft nach dem Arm des Kindes.

„Was tut er da?“ fragte Manga ihre Landsmännin.

„Er gibt ihr die Spritze gegen Malaria. Sie muss hierbleiben, weil sie das eine Woche lang jeden Tag benötigt. Dann wird sie leben. Wir werden ihr ein Bett und zu essen geben. Du kannst beruhigt sein.“

Der Mann stach ihrer geliebten Latifa in den Oberarm. Manga kniete sich vor Latifa und nahm ihre Hand. Der Doktor sagte etwas, was die schwarze Frau übersetzte:

„Du kannst nach Hause gehen. Wir werden deine Tochter hier pflegen. In einer Woche kommst du wieder und holst sie ab.“

1 Der bedeutungsvolle Geburtstag

Das Orakel

30. Juli 2022, Landhaus, Roderich Cue

Mein ockergelbes Entspannungszimmer wirkte seltsam und unwirklich. Die pastellfarbenen Wände, die Möbel und der herrliche Blick durch die weit geöffnete Terrassentür waren mir noch nie so zerbrechlich und sterblich erschienen wie in diesem Augenblick. Ob man es mir ansah? Gaben die Eröffnungen der vergangenen Tage mir einen betroffenen Gesichtsausdruck oder konnte ich es verstecken? Offensichtlich nicht, denn als ich langsam in Richtung des hellroten Sofas ging, begrüßte Madame Theresa mich dort mit einem Blick, der eher auf das Erste schließen ließ.

Sie war eine zierliche Frau mit schulterlangen rotbraunen Locken, und in ihrem schwarzen mit Pailletten und Stickereien besetzten Kleid wirkte sie jünger, als sie in Wirklichkeit sein mochte. Lächelnd streckte sie mir ihre mit bunten Armreifen und einer Vielzahl von Ringen versehene Hand entgegen.

„Schön Sie kennen zu lernen, Madame Teresa. Ich habe schon viel von Ihnen gehört“, begrüßte ich sie, bemüht, ihr Lächeln zu erwidern. Sie hielt meine Hand einen Moment lang bevor sie antwortete.

„Ganz meinerseits, Herr Cue. Ich danke Ihnen für die Einladung.“

 

Trotz der Vorbehalte, die viele ihrer Arbeit gegenüber hegten, galt sie auch in kritischen Kreisen als Frau mit hoher Kompetenz. Und als ob sie meine Gedanken lesen konnte, sprach sie weiter, bevor ich etwas erwidern konnte.

„Sie können mir vertrauen, Herr Cue. Was ist Ihr persönliches Anliegen für diese Sitzung?“

 

Schwerfälliger als sonst ließ ich mich in den ihr gegenüber stehenden Sessel fallen, lockerte meine Krawatte und betrachtete den Stapel Karten, der auf dem runden Teakholztisch lag. Obwohl ich ihr vertraute, beschloss ich, zunächst nicht zu viel zu sagen. Ich wollte herausfinden, ob und wo sich bei ihr seherische Kräfte und geschickte Psychologie voneinander absetzten.

„Mein heutiger 50. Geburtstag ist auch die Schwelle zu einer neuen Etappe meines Lebens“, begann ich und stellte dabei fest, dass es mit eher schwacher Stimme geschah. „Ich habe viel erreicht, Ruhm, Macht, Einfluss, Geld und gesunde Kinder natürlich. Meine Mitarbeiter sind kompetent und führungsstark und, auch wenn meine Ehe daran zerbrochen ist, ich arbeite gerne.“

Während sie mir aufmerksam und liebevoll in die Augen schaute, spürte ich, wie mein Herz klopfte.

„Ich möchte, dass Sie mir sagen, was Sie für meine neue Etappe sehen und fühlen. Ob der jetzige Zeitpunkt der richtige ist und wo Gefahren lauern?“

 

Nach einer kurzen Pause nahm sie ein Blatt Papier und las davon ab:

„Ich habe ein detailliertes Geburtshoroskop für Sie erstellt. Roderich Siegfried Cue, geboren in Kassel, Löwe mit Aszendent Schütze, richtig? Der Mond ist im Skorpion….“

Mit geschlossenen Augen mischte sie langsam die Karten für mich, den reichsten und einflussreichsten Menschen des Planeten. Es schien eine Art Trance zu sein, in die sie hineinglitt und die auch auf mich übergriff. Zumindest merkte ich, wie alle Anspannungen des Vormittags in den Hintergrund traten, einschließlich der schockierenden Nachricht der letzten Tage. Sie hielt mir einen Kartenfächer hin.

„Wählen Sie bitte 10 Karten!“

Ich zog, sie mischte noch einmal und legte die Karten danach in Form eines Kreuzes auf dem kleinen Tisch aus. Nach einer Weile begann sie mit Ausführungen über meine Herkunft und meinen Aufstieg in Wirtschaft und Gesellschaft, was sicherlich leicht aus Presseberichten zu entnehmen war. Sie wusste aber auch, wie sehr ich als kleiner Junge unter Ungerechtigkeiten gelitten hatte und mir Sorgen um die Beziehung meiner Eltern machte. Dass ich bei meinen ersten großen Erfindungen nächtelang wegen möglicher Begleitschäden von etablierten Unternehmen nicht schlafen konnte und, dass meine beiden Kinder keine Anstalten machten, in meine Fußstapfen zu treten und Verantwortung im weitverzweigten Firmenimperium zu übernehmen.

 

Doch erst ihre Ausführungen über meine Zukunft versetzten mich in wirkliches Erstaunen. Hatte sie mein Redekonzept von heute Abend gelesen? Von meinen Kompensationsgedanken alles wieder gut zu machen, was ich mit harten Bandagen und Rücksichtslosigkeiten bisher angerichtet hatte? Dass ich vom Saulus zum Paulus gereift war? Unmöglich, denn das alles lag im Tresor und selbst engste Mitarbeiter wie Zoltan, David und meine Sekretärin Meng Li wussten davon nichts.

 

Madame Teresa schüttelte sanft den Kopf.

„Das wird Ihnen niemand abnehmen“, sagte sie zu meiner Überraschung. „Die Medien werden Sie verdächtigen, nach noch mehr Macht zu streben. So wie der normale Bürger am Stammtisch auch.“

Sie zeigte auf die Karte DER TEUFEL mit dem weißen Bergziegenbock.

„Es ist ein wichtiger Mensch in Ihrer Nähe, der Ihnen nicht folgen wird. Passen Sie gut auf, er wird zur Gefahr werden. Wer das ist, ist nicht erkennbar.“

Dann deutete sie auf die Karte der HOHEPRIESTERIN und danach auf DIE LIEBENDEN.

„Eine neue Frau stößt zu Ihnen. Wie und als was, ist nicht zu sehen.“ Sie schloss die Augen. „Am Anfang wird es Reibungen geben, aber da ist ganz viel Gefühl, Vertrauen und große Liebe. Diese Frau wird Ihnen wichtige Impulse geben und die Umsetzung Ihres Projektes entscheidend fördern, trotz der auch zu erwartenden Rückschläge.“

 

Ich stand auf, ging zur Terrassentür und schaute schweigend hinab auf den See, den Wald und die Wiesen, die sich vor mir ausbreiteten. Von unten hörte ich die Stimmen der Gäste, mit denen ich eben schon gefrühstückt hatte. In der Ferne waren dunkle Wolken zu sehen. Kamen sie auf uns zu oder entfernten sie sich? Und als Madame Teresa weiter sprach, erkannte ich, welche symbolische Bedeutung die Wolken besaßen.

„Hier ist noch eine Karte, die für Ihr weiteres Leben sehr wichtig ist“, sagte sie leise und zeigte auf eine Karte mit vier Schwertern und einer Rosenblüte im Mittelpunkt.

„Es gibt ein Problem mit Ihrer Gesundheit, aber das wissen Sie selbst ja am besten, oder?“

Ich hatte mich wieder zu ihr umgedreht. Ihre Augen verengten sich, als sie meinen betroffen Gesichtsausdruck sah. Nur mein Leibarzt und Carina, die Leiterin unseres Teams für Medizin, wussten das, so wie ich selbst, seit einigen Tagen. Ich atmete tief ein und fuhr mir mit beiden Händen durchs Haar, bevor ich mich wieder zum Fenster wandte.

 

Sie hatte etwas gesehen, bei dem es um mein Überleben ging. Obwohl ich auf meinen Reisen um die Welt immer alle Malaria-Schutzvorkehrungen getroffen hatte, war es ausgerechnet die seltene Variante der Anopheles-Mücke gewesen, die meine Chance auf ein langes Leben, ich plante 130 Jahre, zurzeit brutal minimierte. Ein Anflug von Tränen stieg in mir auf, als ich die Stimme von Madame Teresa hörte.

„Sie haben viel Kraft und das Schicksal hat Ihnen alles Notwendige für die Aufgaben mitgegeben, die jetzt zu lösen sind. Gehen Sie hin und verkünden Sie Ihren Auftrag, Gott wird mit Ihnen sein. Und auch in Momenten der größten Einsamkeit werden Sie wissen, was zu tun ist.“

Als sie aufstand fiel ihr Blick auf das hinter ihr hängende Bild mit der Flussmündung. Sie hielt einen Moment inne. Dann sagte sie:

„Ich fühle eine Bedeutung in diesem Bild. Welche das ist, werden Sie wissen, wenn es an der Zeit ist. Aber das scheint noch weit in der Zukunft zu liegen.“

 

Als sie den Raum verlassen hatte betrachtete ich noch lange das Bild, das in überwiegend gelben und roten Tönen gemalt war. Die Landschaft war karg und das Wasser des Meeres nahm nur einen geringen Platz ein, es wurde größtenteils durch Wolken verdeckt. Da mein Kopf schwirrte, entschloss ich mich für ein kurzes meditatives Training. Mir wurde deutlich, wie sehr Madame Teresa mich in meinem Vorhaben bestärkt hatte. Ich hatte den Termin mit der Wahrsagerin nur aufgrund des Drängens meines Bruders angenommen, als sein Geburtstagsgeschenk, aber nun war ich doch etwas dankbar dafür.

„Ich werde schaffen, was ich mir vorgenommen habe“, sagte ich leise zu mir selbst.

 

Der Gästeparcours

30. Juli 2022, Landhaus, Paola Reli

Auf der dem Landhaus gegenüberliegenden Seite des Sees drängten sich die Menschen unter Zeltdächern und Sonnenschirmen, die in der letzten Stunde mit verschiedenen Verkehrsmitteln eingetroffen waren. Schon einige Minuten hatte ich das Haus im Blick gehabt und dort erschien nun fast pünktlich unser verehrter Chef Roderich auf der Terrasse. Er stieg aufs Podium, packte die Handgriffe der Seilbahn und stieß sich ab. Wie ein Paraglider schwebte er das Gefälle hinab, über die kleine Insel hinweg und hinüber zu uns auf dem anderen Seeufer, das von Palmen mit Solarkollektoren an den Wurzeln umsäumt war. Ein Böllerschuss kündigte ihn an und als seine Leibwächter ihn direkt vor mir in Empfang nahmen ertönte ein Hallo aus mehr als 500 Kehlen, begleitet von lautem Klatschen. Siggi stand in seiner üblichen, relativ steifen Kleidung direkt neben mir und ich hörte auch sein lautes „Hallo“.

 

Von den fast 500 Gästen, die Roderich nach der Frühstücksrunde im Familienkreis und mit den engeren Mitarbeitern neu zu begrüßen hatte, waren rund 100 Mitarbeiter der CUE AG. Sie hatten sich schon Wochen vorher für die Feier beworben, für die wir Quoten, verteilt nach Ländern und Kulturen, geschaffen hatten. Sana, unsere oberste Personalverantwortliche im Vorstand, hatte das mit einer zusätzlichen Zufallsauswahl sehr gerecht organisiert.

Auch meine Assistentin Jenny, wie immer im dezenten Rock mit Bluse, stand nahe bei mir. Während ich als Leiterin der PR-Abteilung mehr nach Außen agierte, erledigte sie vorzugsweise die Feinarbeit nach Innen. Wir waren beide eine ethnische Mischung: Ihr Vater war Amerikaner und die Mutter Deutsche, während meine Mutter indigene Brasilianerin war und mein Vater ein Deutscher. Durch meine Herkunft lenkte ich mit meinem dunklen Teint, den großen Augen und schwarzen Locken stets die Blicke auf mich, obwohl ich klein und zartgliedrig und immer in Bewegung war. Auch jetzt spürte ich den Drang in mir, musste aber sicher noch zwei Stunden hier direkt bei Roderich verharren und ihm bei der Begrüßung assistieren und ggf. soufflieren. So unscheinbar wie möglich standen die Bodyguards bei uns, deren Chefin Cynthia über Ohrhörer und Mikro mit der Sicherheitszentrale im Haupthaus verbunden war.

 

Der endlos scheinende Gratulationsparcours dauerte nur so lang wie geplant. Ich soufflierte Roderich die Namen, die ich auf meinem Display am Handgelenk ablas. Über eine Kamera und einen Computer-Funksensor scannten wir die mit einem RFID-Chip versehenen Namensschilder der Gäste in der Warteschlange. Das war schneller und zuverlässiger, als die mit marktgängiger Software zur Personenerkennung versehenen Handys und Armbandcomputer, die natürlich im Hintergrund zusätzlich liefen.

Die meisten Gespräche waren eher belanglos, doch einige wenige sind mir dennoch im Gedächtnis geblieben. Etwa die Worte eines Mitarbeiters aus Südafrika, der Roderich sein Präsent mit den Worten überreicht: „In unserem Stamm gilt dieses Schnitzwerk als Vertreiber des Bösen. Mögen Sie es bei Ihren Unternehmungen immer mitnehmen.“

Ein distinguiert gekleideter Mann, Vertreter einer wichtigen Zulieferfirma aus England, gab unserem Chef einen unverpackten faustgroßen Stein und sagte: „Dieser Stein von Stonehenge bringt Sie in Kontakt mit uralter Weisheit.“ Da ich in den Inhalt von Roderichs Ansprache eingeweiht war, bekam der Stein auch für mich eine Bedeutung.

Dann war es an der Zeit, dass sich Roderich mit einem speziellen Elektrowagen in Richtung des Hauses bewegte, um dort als Gäste das Ehepaar Clinton sowie Michael Gorbatschow zu empfangen, die auch jetzt noch für höhere Ziele arbeiteten. Ich hatte den Hubschrauber gesehen. So war ich jetzt erlöst und konnte wieder meinem Bewegungsdrang nachgehen und Kontakt mit wichtigen Menschen pflegen. Die Medienvertreter waren erst für später zugelassen und die Pressekonferenz würde ich persönlich leiten. Darauf freute ich mich schon. Auch die Abgebrühtesten davon würden sicher Augen und Ohren öffnen, wenn Roderich ihnen seine Pläne vorstellte. Als Brasilianerin war ich von deren Notwendigkeit überzeugt und schätzte unsere Erfolgsaussichten sehr hoch ein. Es war toll, dass ich nun dafür PR machte. Mein Herz hüpfte bei diesen Gedanken. Der Knaller kam noch. Und ich war mitten drin.

 

Die überraschende Ansprache

30. Juli 2022, Landhaus, Roderich Cue

Der ovale See glitzerte in der Abendsonne und die kleine Insel mit ihren grünen Büschen spiegelte sich im stillen unbewegten Wasser. Sie stellte den exakten Mittelpunkt meines Grundstücks dar. In der Luft lag der Geruch von Rhododendron, doch das Zwitschern der Vögel, das diesen Ort so magisch machte, war durch die Geräuschkulisse der Gäste so gut wie nicht zu hören. Auf einer Rasenfläche, unter einem großen Zeltdach, stand das in den See hinein gebaute Podium.

 

Nach dem Gespräch mit den drei politischen Gästen, die beide auch jetzt noch für die Rettung des Planeten tätig waren, hatte ich mich für meinen abendlichen Auftritt, für den ich mir vom früheren legendären Apple-Chef einiges abgeschaut hatte, umgezogen. Vorher hatte ich auch noch zwei, der für heute avisierten Telefonate angenommen. Eines mit dem amerikanischen Präsidenten, der sich aufmunternd nach meinem Gesundheitszustand und meiner Fitness erkundigte und mir ein Treffen im übernächsten Monat in Aussicht stellte. Das andere mit Generalsekretär Ban Ki Moon, der eine wichtige Rolle in meinen Plänen spielte.

Nochmals ließ ich die Bemerkungen meiner prominenten Besucher von vorhin Revue passieren. Dabei war vom Misstrauen der Menschen die Rede gewesen und von jenen Gruppen, die von meinem Projekt Nachteile zu erwarten hätten, auch wenn diese zunächst nur eingebildeter Natur seien. Versonnen schaute ich zum Zelt, in dem die meisten Stühle schon besetzt waren. Langsam ging ich hinüber und bevor ich das Podium erklomm, drückte Siggi mir die Hand. In den kleinen runden Gläsern seiner Brille spiegelte sich der See.

„Sag es Ihnen“, flüsterte er, “ich stehe voll dahinter.“ Ja, mein wichtigster Mitarbeiter und persönlicher Freund war ebenfalls von der Richtigkeit meines Plans überzeugt.

 

Der Mitarbeiterpodcast kam mir in den Sinn. Er würde zeitgleich über Intranet gesendet werden und obwohl die meisten Informationen identisch mit meiner nun folgenden Ansprache waren, gab es doch einen wichtigen Unterschied: Der Satz über die geplante interne Abstimmung fehlte. Da die Presse etwas Zeit brauchen würde, das herauszufinden, erwarteten wir in den nächsten Tagen noch weitere Schlagzeilen.

Auf der Leinwand neben mir sah ich mein Konterfei im Großformat. Meine gelbe Hose und das ockerfarbene Hemd vor einer leicht gelben Leinwand, auf die Bilder wie der blaue Planet und rührende Kindergesichter projiziert wurden, sollten meine Worte dramaturgisch unterstreichen und mit Emotionalität aufladen. Dann wurde es absolut still.

 

„Liebe Gäste, es berührt mich, dass Sie alle meiner Einladung gefolgt sind“, begann ich mit fester Stimme, die mit leichtem Nachhall die Stille durchbrach.

„Viele von Ihnen hatten einen weiten Weg, oft um den ganzen Planeten, wofür ich mich aufrichtig bedanken möchte. Wenn wir heute ein Fest feiern, mit netten Menschen, Gesprächen und einem großen Buffet, ist das für die meisten von uns nichts Ungewöhnliches. Doch vergessen wir dabei nicht manchmal, dass Millionen Menschen auf diesem Planeten heute Abend hungrig ins Bett gehen? Ohne genug zu trinken und vielfach ohne ein Dach über dem Kopf?“

An der Stille hatte sich nichts geändert. Alle im großen Auditorium sahen gespannt zu mir auf, viele von ihnen über drahtlose Ohrstecker mit einer der Übersetzungskabinen verbunden. Ohne die Pause zu lang werden zu lassen, fuhr ich fort.

„Dies zu ändern, habe ich mir für meine kommenden Jahre vorgenommen.“

 

Ich erinnerte an die Entwicklung meines fast 30 Jahre bestehenden Unternehmens, das zu einem untrennbaren Teil meiner Person geworden war. Dabei würdigte ich besonders Siggi meinen Finanzchef und David aus der Entwicklungsabteilung, die fast von Anfang dazu gehörten. Ich erwähnte einige Erfindungen von mir, die kurz auf der Leinwand erschienen, besonders die bahnbrechende Entwicklung des Chips für die Sprachsteuerung aller Handys und PCs vor rund 10 Jahren, der quasi den Grundstein zum Aufstieg der CUE AG gelegt hatte. Auch das Zahnreinigungsgerät, das zwei Jahre später auf den Markt kam, war heute buchstäblich „in aller Munde“. Bereits ein Fünftel der Weltbevölkerung nutzte es, während unser CO2-Elixier die Welt vor dem Klimaumsturz gerettet hatte, auch wenn die Ressourcen- und Energieprobleme geblieben waren.

 

Die zentralen Fragen der Welt dokumentierte ich auf der Leinwand anhand einer 30 Sekunden-Videosequenz für jedes Problemfeld, was in eine Bildercollage mit neun Feldern mündete.

Aus heutiger Sicht ließ sich feststellen, dass die Millenniums-Ziele der UN, mit denen vor 17 Jahren die Beseitigung der extremen Armut eingeläutet worden war, fehlgeschlagen waren.

„Und damit“, so schloss ich direkt an, „sind wir beim eigentlichen Inhalt meiner Ausführungen. Laut Forbes-Liste bin ich der reichste Mann der Welt, was mich mehr als verpflichtet. Und zwar dazu, dass ich mein gesamtes Vermögen – ich betone nochmals: mein gesamtes Vermögen – ab sofort in den Dienst der Sache stellen möchte.“

Wenn absolute Stille steigerbar gewesen wäre, wäre es in diesem Augenblick geschehen. Fast bewegungslos saß mein Auditorium vor mir und im gleichen Moment stellte ich mir die Frage, ob es nur meine gesprochenen Worte waren, oder auch der Schweiß, der mir plötzlich in dicken Tropfen von der Stirn in die Augen tropfte - schneller als ich ihn mit einem Tuch wegwischen konnte. Meine Diagnose fiel mir ein und ich versuchte konzentriert das leichte Frieren, das sich über meinen Körper ausbreitete, zu ignorieren. Nachdem ich einen tiefen Schluck aus dem Wasserglas genommen hatte, fuhr ich fort.

 

„Ich bin Erfinder und Innovator – und die Lösung dieser Probleme ist nicht nur rein monetär zu suchen. Sie erfordert neben Investitionen vor allem Innovationen mit neuartigen Organisationen und Herangehensweisen. Politik, besonders in den Demokratien, ist kaum handlungsfähig, weil sie national ist, weshalb ich meine persönlichen Prioritäten ganz neu setzen werde. Wie genau, wird noch ausgearbeitet. Fest steht aber schon heute: In etwa sechs Wochen werde ich die klügsten Köpfe des Planeten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu einer Zukunftskonferenz einladen. Im intensiven Dialog in kleinen Gruppen, ohne die Verpflichtung zu diplomatischen Formulierungen eines politischen Kommuniqués, sollen Lösungen und Vorgehensweisen erarbeitet werden. Und jeden, der heute hier zum Zeugen wird, lade ich ein, dabei mitzuwirken.“

Mindestens eine Minute blieb es ruhig und es schien mir wie eine Ewigkeit. Das Fieber in mir wurde stärker und ein Gedanke durchfuhr mich. „Das Publikum, das du eingeladen hast, ist nicht reif für deine Gedanken!“ Doch dann kam der Beifall und er wollte nicht mehr abebben. Mein Herz klopfte, durch meinen Bauch zuckten Blitze und wie auf Knopfdruck schien mein Fieber sich zu verabschieden. Ich fühlte mich nun so, wie ich es von meinen Unternehmenssiegen her kannte und hob nach einigen Minuten die Hände. Der Beifall verstummte.

 

„Auf Ihren Stühlen liegen kleine Notizzettel. Schreiben Sie Ihre Meinungen, Ideen, Vorschläge darauf, auch eventuelle Wünsche an allem mitzuwirken, dann bitte mit Namen.“

Ich deutete mit beiden Händen auf den Gang zwischen den Stühlen. „Dort stehen Kästen, werfen Sie die Zettel bitte hinein. Gegen 22 Uhr wird es in der kleinen Arena im Park eine Pressekonferenz geben. Ich lade Sie ein, währenddessen hier Bilder und Filme über meine ersten 50 Jahre anzusehen, die mein Sohn Marcus zusammengestellt hat. Eine Zeit, die mich prägte und aus der ich bis heute schöpfe. Dafür möchte ich auch meinen anwesenden Eltern und unserem Schöpfer danken.“

 

Noch einmal brandete lang anhaltender Beifall auf. Ich war hungrig und ging in Richtung Buffet. Im Vorbeigehen gratulierte man mir, während von der Bühne her leise klassische Musik erklang. Ich dachte an die Abstimmung von fast einer Million Mitarbeitern darüber, ob das Unternehmen CUE AG direkt an dieser Mission mitwirken sollte oder, ob ich einfach mein Vermögen verflüssigte. Zum Beispiel durch Verkauf von Unternehmensteilen oder einen Börsengang. Das würde viele Diskussionen auslösen. Sana schätzte beide Alternativen mit 50:50 ein, wobei meine persönliche Prognose höher lag. Gleich würde ich mein Vorhaben der ganzen Welt live mitteilen. Die Würfel waren gefallen.

 

Unter den Gästen

30. Juli 2022, Landhaus

Wenigstens für die Gäste gab es Alkohol. Zoltan Zoro hätte sich nicht darüber gewundert, hätte Roderich seinen Gästen nur Wasser angeboten, während er vom Hunger und Durst der leidenden Menschheit sprach. Roderichs abgekochtes heißes Wasser verabscheute er und zog Champagner mit Kaviar vor, von dem er sich gerade einen an einer Bar genehmigte. Auch einen guten Whiskey liebte er. Zoltan dachte mit Grausen an das asketische Frühstück, das Roderich heute den wenigen persönlichen Gästen vorgesetzt hatte. An einem runden Geburtstag, so ging es ihm durch den Kopf, hätte man eigentlich die Puppen tanzen lassen können.

 

Im Hause CUE war Zoltan Zoro das Vorstandsmitglied für Marketing und Vertrieb. Der hochintelligente und durchsetzungsstarke Macher mit der Adlernase und dem kleinen Bart wusste auch in verfahrenen Marktsituationen immer einen Weg. Denn nicht immer waren Roderichs Erfindungen gleich auf reißende Nachfrage gestoßen. Da hatte der Manager, der trotz seiner jungen Jahre bereits eine Halbglatze hatte, oft nachhelfen müssen. Wie etwa bei den vielgelobten Mundreinigungsgeräten, deren Absatz trotz euphorischer Prognosen zunächst sehr schleppend anlief. Erst das von Zoro propagierte Sortiment mit mehreren Modefarben änderte das. Er war ein kritischer Denker und scheute vor keinem Konflikt zurück und seine Erfolge bei Frauen konnte man neben seiner Position vor allem auf seine starke Willenskraft zurückführen.

Beim Zustrom der neuen Gäste galt seine Aufmerksamkeit fast ausschließlich den Frauen. Viktoria aus der Vertriebssachbearbeitung war nicht dabei, das wusste er aus der Gästeliste. Aber es gab durchaus noch andere Damen, die ihm gefielen, wobei er mit den Mitarbeiterinnen des Hauses vorsichtig sein musste. Roderich vertrat da altertümliche Ansichten, die von Sana und Siggi geteilt wurden. Doch seine Chancen ausloten, konnte nie schaden. Und es musste ja nicht unter den Augen von Roderichs Leibwächtern geschehen.

 

Am Morgen hatte Zoro seinem Chef noch gratuliert.

„Das ist heute ein großer Bahnhof für Dich. Die Welt weiß sicher noch nicht genug, was Du für sie getan hast.“

Doch jetzt, nach der Ansprache vor 500 Gästen wurde ihm klar, dass Roderich viel weiter gehen wollte, als er erwartet hatte. Er war über das ganze Vorhaben nur oberflächlich informiert worden. Sicher weil Paola die Pressekonferenz leiten sollte und den Inhalt schon vorab kennen musste. Zoro hatte das Projekt als alleinstehende philanthropische Aktion aufgefasst und am meisten ärgerte ihn, dass Paola vorher mehr wusste, als er. Schließlich war er ihr Vorgesetzter.

 

Missmutig trank er seinen Champagner aus und ließ sich noch einmal nachschenken. Er sah große Schwierigkeiten auf sich zukommen als Roderich nach seiner Ansprache durch die Menge ging. Ein wichtiger Kunde kam auf ihn zu und Zoltan konnte sich seinen Gedanken nicht weiter widmen. Thomas Braskonno war der Geschäftsführer einer großen Einkaufszentrale für Elektroartikel und handelte sowohl mit den Sprachchips als auch mit den Mundreinigungsgeräten. Er hatte sie ihm damals persönlich als Sortimentserweiterung verkauft, was einen wesentlichen Umsatzzuwachs bewirkte. Heute, nach dem immensen Wachstum der CUE AG, stand Zoro als Vorstandsmitglied nicht mehr in der direkten Vertriebsverantwortung.

„Hallo, Thomas“, begrüßte er den Kunden mit Handschlag. „Wie gehen die Geschäfte?“

„Bis eben war ich noch zufrieden, Zoltan“, antwortete Thomas und seine Stimme klang gereizt. „Aber nach dieser Ansprache weiß ich nicht mehr, was ich von meinem Lieferanten CUE halten soll. Vielleicht kannst Du mir mehr dazu sagen. Wollt Ihr euch aus Europa zurückziehen? Alles was Roderich Cue eben gesagt hat, bezieht sich doch auf die Entwicklungsländer.“

Zoro nickte.

„Ja, Dein Unverständnis wundert mich nicht. Ich weiß aber kaum mehr als alle eben gehört haben. Eine Konferenz der klügsten Menschen soll ein Programm ausarbeiten.“

Zoro konnte sich nicht vorstellen, wie aus einer solchen Konferenz eine vernünftige Strategie herauskommen sollte. Für ihn gab es nur die Entscheidung durch einen Chef. So hatte er es immer gehalten und war erfolgreich damit gewesen. Die Umsatzentwicklung des Unternehmens hatte das unter Beweis gestellt.

Mit leicht zur Seite gelegtem Kopf sah Thomas ihn an.

„Auf jeden Fall, Respekt, Respekt, mein Lieber. Wenn ein Unternehmen die Welt verändern kann, dann seid Ihr das. Schließlich hat Cue die Welt vor den Gefahren des Klimawandels gerettet. Ich bin gespannt, wie er es dieses Mal anpacken wird.“

„Dann verlass Dich mal darauf, dass CUE die Dinge, die wir anpacken, auch zum Ergebnis bringt.“

Zoro wollte das Gespräch beenden und sich weiter umschauen, was ihm mit ein paar Floskeln auch gelang. Doch schon nach wenigen Schritten begegnete ihm ein weiterer wichtiger Kunde, diesmal aus den USA.

„In unserem Land machen das viele Reiche so“, sagte er unumwunden. „Mit zunehmendem Alter stellen sie fest, dass sie der Gesellschaft etwas zurückgeben müssen und widmen ihr Vermögen ideellen Zwecken. Denken Sie an Bill Gates und Warren Buffet.“

„Nur, dass in den Vermögenswerten hier Welten dazwischen liegen“, antwortete Zoro.

„Umso wichtiger ist die Ankündigung von Roderich Cue. Er hat mich schwer beeindruckt. Wenn er das schafft, wird es einen allgemeinen Aufschwung der Weltwirtschaft geben. Und wenn die armen Leute mehr Geld verdienen wird das zu einer zunehmenden Nachfrage führen.“

Zoro war froh, dass er nicht nach seiner Meinung dazu gefragt wurde.

„Und wo glauben Sie, dass der Plan von Roderich Cue ansetzen müsste?“ fragte er.

„Er müsste als erstes das Energieproblem lösen und die Abhängigkeit vom Öl beseitigen. Dann könnte auch mehr Geld in die Entwicklungsländer fließen und nicht zu den Scheichs oder den Staaten auf Abwegen wie Venezuela und Iran.“

Zoro wollte sich nicht auf eine politische Diskussion mit dem Amerikaner einlassen und entschuldigte sich, nachdem sie zwei gemeinsame Whiskeys genommen hatten.

 

Schließlich lief er Siggi in die Arme, dem Finanzminister der CUE AG und Roderichs bestem Freund. Nach Zoros Einschätzung durfte er schon länger und intensiver in Roderichs Pläne eingeweiht gewesen sein. War Zoro eher sportlich angezogen – mit schwarzem Hemd, wie er es liebte – so glänzte Dr. Sigurd Eru wie immer im schwarzen Nadelstreifenanzug. Ausschweifend erzählte Zoro ihm von den Gesprächen des Abends und von der allgemeinen positiven Resonanz. Siggi ging dann weiter, was Zoltan recht war, denn nun konnte er wieder nach attraktiven Frauen Ausschau halten.

 

Die Frau die sich ihm als Korrespondentin der Financial Times vorstellte, wusste genau, wen sie gerade ansprach und bat ihn um ein Gespräch nach der Pressekonferenz, um Mitternacht auf einer Bank im Hintergrund des Festes. Er war von der Erscheinung der Frau mit den rot-schwarzen langen Haaren angetan. Aber aus ihren Bemerkungen, dass Reiche das alles nur aus schlechtem Gewissen heraus machen würden oder rein zu PR-Zwecken, entnahm er eine große Grundskepsis gegenüber den Aktivitäten von Unternehmen.

„Dürfen Unternehmen das überhaupt?“ fragte sie. „Das ist doch nur Hilfsorganisationen und Stiftungen vorbehalten. Wollen Sie mit der Not etwa auch noch Geld verdienen?“

 

Zoro vermutete, dass sie erst nach der Ansprache von Roderich eingelassen worden war – soweit kannte er das Programm seiner Mitarbeiterin Paola. Sie hatte höchstens ein paar Worte über die weltweiten Absichten seines Chefs aus den Bemerkungen anderer Gäste aufschnappen können. Als sie gegangen war, genehmigte er sich noch ein Glas Champagner. Wie würden sich die Pläne von Roderich auf sein Verkaufsressort auswirken, überlegte er. Wäre das Verkaufen leichter oder schwerer? Wie würden Preisgespräche ablaufen? Er stellte sich darauf ein, dass er im weiteren Verlauf des Festes noch zunehmend mit dem Thema konfrontiert werden würde.

 

Die große Pressekonferenz

30. Juli 2022, Landhaus, Roderich Cue

Trotz des großen Angebots der fahrbaren Bar blieb ich konsequent bei meinem eigenen Quellwasser. Die Gäste nahmen mich in Beschlag und ich ließ mich ein wenig treiben. Als die Sonne unterging und Lampen, Scheinwerfer und Fackeln das Geschehen erleuchteten, stieg die Anspannung meiner Leibwächter, denn selbst die RFID-Überwachung der sich nähernden Personen war nicht hundertprozentig sicher. Gäste konnten bestochen sein, der Ausweis von einer ähnlich aussehenden Person entwendet worden sein und vieles mehr. Bald sollten unsere eigenen Erfindungen im Bereich Sicherheit verfügbar sein, denn mit der neuen Geschäftspolitik machte ich mir ganz sicher auch Feinde. Ich würde mich intensiv darum kümmern müssen, denn spätestens übernächsten Monat, zu meiner großen Reise, sollten diese zu meinem Schutz dienen. Als David, unser Hauptverantwortlicher zu diesem Thema, aus der Menge auf mich zukam, sprach ich ihn darauf an.

„David, wie sieht es mit der neuen S-Entwicklung aus?“ Ich war vorsichtig in der Wortwahl, denn unsere internen Geheimhaltungsvorschriften waren nichts wert, wenn die Chefs sich selbst nicht daran hielten. Die Leistungsfähigkeit von Richtmikrofonen bei den vielen Menschen hier war mir bekannt.

„Rod, machst Du Dir Sorgen in diesem Gewühl?“ polterte David. „In einigen Wochen wird es soweit sein. Wir müssen das Ganze noch mehr kalibrieren. Wann brauchst Du es denn?“

„Also sobald wie möglich, denn mit meiner heutigen Ansprache ist der Gefahrenpegel sicher gestiegen. Spätestens übernächsten Monat. Ich will dann eine große Reise machen.“

 

22.00 Uhr rückte näher. Die Pressekonferenz war gleichzeitig auch die Einweihung der Freilichtbühne, die wie ein griechisches Amphitheater gebaut war. Etwa 120 Journalisten aus allen Kontinenten wurden erwartet und auf der Teilnehmerliste standen so exotische Namen, wie „PosiTV“ aus Deutschland und „Democracy now“ aus New York. Paola leitete die Konferenz und nachdem sie mich angekündigt hatte, stellte ich mich hinter die unzähligen Mikrofone, die in allen Farben und Größen wie ein Regenbogen vor mir aufragten. Die Projektionsfläche für meine Bilder war in der Nacht besser zu sehen als zuvor auf der Seebühne. Mein Vortrag ähnelte dem vom Nachmittag, wenn auch mit mehr Gewicht auf der CUE-Philosophie hinsichtlich Integrität und Wertschätzung. Schließlich waren wir weltweit zu sehen.

Der Beifall der Kommunikationsprofis war verhaltener als der meiner Gäste vom Nachmittag. Dann trat Paola vor die Mikrophone.

„Wie Roderich Cue schon angekündigt hat, können Sie im Laufe des Abends über 100 Mitarbeiter des Unternehmens ansprechen und um persönliche Schilderungen des Arbeitslebens bitten. Sie erkennen sie an den Ansteckern mit dem Planetensymbol. Für das, was jetzt folgt, mussten Sie keine Fragen schriftlich vorlegen, stellen Sie sie ganz einfach und spontan. Die einzige Bedingung ist, dass sie sich kurz beantworten lassen, möglichst in einer Minute. Wenn das nicht reichen sollte, stellen Sie Ihre Fragen bitte schriftlich per Mail an mich. Sie werden dann schnell eine detailliertere Antwort erhalten. Ich werde die Fragesteller auf der Leinwand in der Reihenfolge ihrer Handzeichen auflisten. Wenn Sie Ihren Namen dort sehen, können Sie die Hand herunter nehmen, Sie kommen dann nacheinander dran.“

 

Den Anfang machte ein bärtiger, asiatisch aussehender Mann, der während seiner Frage aufstand.

„Herr Cue, was unterscheidet Sie von anderen Initiativen zur Rettung der Welt, wie beispielsweise die Gates Foundation oder Greenpeace und ATTAC?“

Ich antwortete ihm, dass ich gerade keine gemeinnützige Organisation aufbauen wolle, sondern ein Unternehmen, dass die Bedürfnisse von Kunden – in diesem Fall die gesamte Menschheit - erfüllt.

Ein Frager im schwarzen Anzug aus der ersten Reihe dachte in reinen Wirtschaftsbahnen:

„Ihre genauen Vermögensverhältnisse sind nicht bekannt. Können Sie uns darüber etwas sagen? Werden Sie die CUE AG eventuell ganz oder teilweise an die Börse bringen, um sich mehr Finanzmittel für solche Aktivitäten zu beschaffen? Werden Sie Unternehmensteile abstoßen, die nicht zur neuen Ausrichtung passen? Und in welche Bereiche wollen Sie speziell investieren?“

Ich war auf Fragen in dieser Richtung vorbereitet. „Deine Antworten darauf werden Aktienkurse steigen und fallen lassen“, hatte mir Siggi erklärt. „Du musst bei Deiner Antwort die Gelegenheit nutzen, dass wir aus diesen Börsenbewegungen Kapital schlagen können. Es ist für einen guten Zweck und trifft keine Armen. Sie werden auch nicht allzu stark sein. Wäre doch gelacht, wenn ich nicht zumindest 200 Mio. Dollar dabei herausholen könnte.“

 

Ich baute seine empfohlenen Formulierungen in meine Antworten ein und der Frager im schwarzen Anzug war zufrieden. Eine schwarzhaarige Dame in einer pinkfarbenen Bluse meldete sich zu Wort.

„Herr Cue, Sie haben eben keine klare Antwort zu den verfügbaren Finanzmitteln gegeben. Aber das ist aus meiner Sicht auch nicht wichtig. Sind Sie sich bewusst, dass Ihre Finanzmittel aus Profiten stammen, noch dazu unter Ausnutzung steuerlicher Vergünstigungen und immer aus der Ausbeutung von Menschen resultieren? Und diese wollen Sie nun großzügig für die Menschheit einsetzen und dafür noch Ruhm ernten?“

Ich erklärte in kurzen Worten die Zusammenhänge.

„Ein mittlerer Arbeiter und Angestellte mit einem Durchschnittseinkommen von 1500 Euro netto im Monat muss heute etwa 800 Stunden arbeiten, um ein kleines Auto zu kaufen. Vor 100 Jahren musste er dafür noch 8.000 Stunden aufwenden. Das ist das Werk eines Kapitalisten, der mit vielleicht 5 Prozent des Autopreises Profit macht. Ohne seine Geschäftsidee, sein Organisationstalent, seinen Wagemut und seine Zähigkeit würde ein Auto für breite Schichten der Bevölkerung immer noch unerschwinglich sein. Ist das Ausbeutung? Ich nenne es „Wohlstand für die Menschen“ im Sinne von Adam Smith. Dass dabei Probleme auf dem Planeten entstehen, will ich durchaus nicht negieren. Im Gegenteil, genau das will ich mit meinem in der heutigen Rede angekündigten Vorhaben ja in Angriff nehmen.“

Ich fixierte die Fragestellerin, die sehr hübsch war, aber leider auch voller Vorurteile zu stecken schien.

„Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, empfehle ich Ihnen das Buch „Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls“, sagte ich mit so viel Versöhnlichkeit wie möglich in der Stimme. „Danach ist es immer noch besser, dass ein Kapitalist, der tausend Arbeitsplätze schafft, dabei selbst viel reicher als seine Mitarbeiter wird, als wenn er all dies unterlässt.“

 

Auch wenn ich nicht das Gefühl hatte, dass sie meine Antwort akzeptierte, wandte ich mich den weiteren Fragen zu, die sich mehr den bekannten Problemen der Welt und ihren nötigen Lösungsansätzen widmeten. Aus einer der hinteren Reihen meldete sich ein kahlköpfiger Mann im grünen T-Shirt.

„Herr Cue, Sie machen hier den Eindruck eines Philanthropen. Auch wenn die von Ihnen geschilderten wirtschaftlichen Zusammenhänge in ihren Auswirkungen auf den Wohlstand der Bevölkerung größtenteils stimmen mögen… Wie ist das für Sie als Unternehmer persönlich gewesen? Hat es nicht doch manchmal Situationen in Ihrem Leben gegeben, in denen Ihr Gewinn und Ihr Erfolg einen anderen Unternehmer beeinträchtigt und gar in den Ruin getrieben haben? Dass Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Vielleicht noch nicht einmal durch Marketing und geschicktere Preispolitik sondern einfach durch Ihre Erfindung? Konnten Sie immer gut schlafen, Herr Cue?“

Die Frage traf mich ins Mark. Hatte ich am Anfang meiner Karriere nur an den Erfolg und nicht an weitere Auswirkungen auf andere Unternehmen und Wettbewerber gedacht, lag ich in späteren Jahren immer wieder nächtelang deswegen wach. Es gab Briefe in meinen Akten, in denen mir Menschen von ihrem Ruin durch meine Erfindungen geklagt hatten. Das hatte mich nicht unberührt gelassen, so cool ich auch immer gewirkt haben mochte.

„Das ist eine gute Frage“, antwortete ich und merkte, dass ich für einen Augenblick mit der Festigkeit meiner Stimme zu kämpfen hatte.

„Ich habe ja schon gesagt, dass Ausbeutung keine eindeutige Folge von Profit sein muss. Ideen und Erfindungen können Profit generieren, wenn sie im Markt angenommen werden. Sie bringen immer Veränderungen für Marktpartner, sei es für Kunden oder Lieferanten oder für Mitarbeiter oder Wettbewerber, denen vielleicht der Markt verloren geht. Als ich das Mundreinigungsgerät herausbrachte, kostete es zunächst das Mehrfache einer normalen Zahnbürste. Ich wollte mir ein Stück von der Torte abschneiden und ging davon aus, dass die etablierten Hersteller etwas verlieren würden. Als ich die Preise senken konnte, war der Markt mit herkömmlichen Zahnbürsten in den westlichen Industriestaaten zusammengebrochen. Wer da nicht noch andere Produkte im Sortiment hatte, bekam große Schwierigkeiten.

Beim CO2-Elixier vor fünf Jahren war ich schon etwas klüger. Alle interessierten Firmen konnten zu günstigen Konditionen eine Lizenz von uns erwerben und so die nötigen Geräte in Autos, Heizungen etc. einbauen. Ich hätte auch ihren Markt ruinieren können, habe es aber nicht getan.“

Der Mann stellte keine weitere Frage, doch mir war klar, dass ich mich sehr bald mit diesem Teil meiner Vergangenheit würde beschäftigen müssen. Als die Pressekonferenz gegen Mitternacht zu Ende war, verwies Paola nochmals auf die weiteren Interviewmöglichkeiten. Alle Mitarbeiter hatten Informationen erhalten, wie sie sich gegenüber den Presseleuten am besten zu verhalten hatten. Wer solche Gespräche nicht führen wollte, brauchte den Anstecker einfach nicht zu tragen. Noch einmal erhielt ich Beifall und als Paola wieder die Leitung für die Abschlussinformationen übernommen hatte, verließ ich in ruhigem Schritt die Konferenz.

 

Die lange Nacht

30./31. Juli 2022, Landhaus, Roderich Cue

Langsam ging ich in Richtung Seebühne, auf der Marcus den Film über mein bisheriges Leben gezeigt hatte. Die Stühle, die davor standen, waren beiseite geräumt und während ich etwas aus der Saft Bar trank, konzentrierte ich mich einen Moment auf die Trommelgruppe aus Burundi, die das Konzert mit Musikern aus allen 5 Kontinenten gerade eröffnet hatte. Das Stück sollte böse Geister bannen und die Fruchtbarkeit der Erde beschwören. Eine gleichmäßige Schwingung erfasste mich, trug mich weg von den Gedanken der Pressekonferenz und mir schien, dass auch die anderen Zuhörer von dem erfasst wurden, was ich liebte - Musik und Tanz.

Auf der Tanzfläche sah ich meine Tochter Beryll, in bauchfreier lindgrüner Seide mit ihrer Großmutter, einer ehemaligen Tänzerin. Ich gesellte mich dazu und gemeinsam bewegten wir uns im Takt. Das Podium, das bei der Rede noch allein mein Revier gewesen war, zog mich an und als die lateinamerikanische Band, die den Afrikanern folgte, ihre brasilianische Musik anstimmte, gab ich meiner Tochter ein Zeichen. Ich ergriff die Hand meiner Mutter und zog sie die wenigen Stufen zum Podium hinauf. Die Frontsängerin hatte ihre Musik als etwas angekündigt, das den Sklaven einst Mut und Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung machte. Es war ein Rhythmus, der umgehend in die Beine fuhr und uns sofort zu Vortänzern der begeisterten Gäste werden ließ.

Zu dem folgenden Samba kam auch Gabriela herauf. Während des Tages hatte ich meine derzeitige Freundin nur von ferne gesehen und ich fragte mich, ob es ihr kurzer schwarzer Rock war, mit dem knappen dunkelroten Top, das dieses plötzliche Blitzlichtgewitter entfachte. Ein Geflacker, das so viel stärker war als das bei meiner Rede und das die goldenen Clips in ihren Ohren wie Edelsteine funkeln ließ. Ihr Tanz gab sofort Bewegungen und Tempo vor und mein Gehirn schaltete ab, zumindest der Neocortex, denn der limbische Teil übernahm jetzt die Führung und steuerte meine Bewegungen. Meine Arbeit für heute war erledigt, jetzt konnte ich entspannen, tanzen, leben – mit Gabriela, deren Körper und Bewegungen mir so vertraut waren. Und alles ganz ohne Alkohol oder sonstige Stimulanzien, nur durch Rhythmus und Klang.

 

Auf einer lauschigen überwachsenen Bank in der Nähe des Amphitheaters nahm ich sie später in den Arm und küsste sie. Nachdem ich die Nacht vorher ohne sie verbracht hatte - der folgende Tag sollte schließlich meine ganze Aufmerksamkeit haben - war mein Verlangen nach ihr jetzt umso stärker. Hand in Hand gingen wir den kleinen Umweg um die Gästeschar und den See herum, hinüber zum Seiteneingang des Hauses und von dort schnurstracks in mein Schlafzimmer. Entspannt lagen wir auf den kühlen Laken, wo ich das intensive Liebesspiel mit ihr mit allen Sinnen genoss.

„Wie schön Du wieder bist, Gabriela“, seufzte ich als sie sich mit ihren bunten Ketten zwischen den Brüsten über mich beugte und mir sanft durchs Haar strich.

„Du willst so viel Gutes für die Menschheit“, hauchte sie. „Hoffentlich kann sie das auch würdigen. Ich hoffe es so sehr für Dich.“