Die Romantherapie für Kinder - Ella Berthoud - E-Book

Die Romantherapie für Kinder E-Book

Ella Berthoud

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Beschreibung

Geschichten wirken besser als jede Pille, das wissen wir spätestens seit dem großen Erfolg von Die Romantherapie. Nun wenden sich die Autorinnen den kleinen Patienten zu: Von A bis Z, von der »Angst im Dunklen« bis zu den »Windpocken«, beraten sie uns Erwachsene bei dem Griff zur passenden heilsamen Lektüre – mit viel Humor und Feingefühl für die Probleme und Ängste der Kleinen.

Das Kleinste weigert sich, ins Bett zu gehen, der Bruder klebt permanent am Bildschirm, und die Größte leidet unter dem ersten Liebeskummer? Rettung naht – in Form von Büchern. Die Romantherapie für Kinder ist ein Buch für alle Eltern und Großeltern, Tanten und Onkel, Paten und Lehrer – für all diejenigen, die meinen, dass die Bücher, die ein Kinderleben prägen, nicht dem Zufall überlassen werden sollten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 465

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Ella Berthoud und Susan Elderkin empfahlen sich bereits beim Literaturstudium in Cambridge gegenseitig Romane. Ella widmete sich anschließend der Kunst, Susan dem Schreiben. Seit 2008 bieten sie an der Londoner School of Life Bibliotherapie-Sitzungen an und schrieben daraufhin Die Romantherapie, die 2013 erschien. Zwischen vier Kindern, zwei Ehemännern, einigen Katzen, Hunden, Mäusen und Schildkröten verfassten sie nun Die Romantherapie für Kinder.

Traudl Bünger ist Programmredakteurin der lit.COLOGNE, Literaturkritikerin und Autorin. Ihr literarisches Debüt Lieblingskinder erschien 2012, und 2013 folgte Die Romantherapie. Ihr aktuelles Lieblingskinderbuch, von ihren Zwillingen gleichermaßen geliebt, ist Mia schläft woanders

Ella Berthoud & Susan Elderkinmit Traudl Bünger

Die Romantherapie für Kinder

233 Bücher, die Kinder glücklich, gesund und schlau machen

Übersetzung aus dem Englischen

eBook Insel Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2017.

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2017

© Ella Berthoud and Susan Elderkin, 2016

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Für unsere eigenen, wenn auch merkwürdigen, so doch wundervollen Geschöpfe:

INHALT

Einleitung

Zum Gebrauch dieses Buches

Lebenslagen und Leiden von A bis Z

Verzeichnis der Lebenslagen und Leiden

Verzeichnis der Leseleiden

EINLEITUNG

Zwischen »Es war einmal« und »glücklich bis ans Ende ihrer Tage« liegt ein Land, in dem wir alle schon waren. Ein Land, in dem merkwürdige und wundervolle Dinge passieren.

Manchmal sind das Dinge, die wir normalerweise nicht machen – auf dem Rücken eines Drachen reiten oder die Goldene Eintrittskarte zur Schokoladenfabrik finden. Oft sind es auch Dinge, die wir zwar gern mal machen würden, die zu machen wir uns aber entweder nicht trauen oder für die wir viel zu vernünftig sind – von zu Hause weglaufen zum Beispiel. Und manchmal sind es Dinge, die zu erleben wir uns überhaupt nicht wünschen, von denen wir aber trotzdem gern wüssten, wie es wäre, wenn sie uns doch zustoßen würden – zum Waisenkind werden, auf einer einsamen Insel stranden, von einem Dachs aufgezogen oder tragischerweise in einen Felsen verwandelt werden. Wenn wir dann mit neuem, weltläufigem Blick zurückkehren und uns den Staub vom Hut klopfen, wissen nur wir allein, was wir erlebt, erfahren und ausgehalten haben. Und dass wir noch etwas entdeckt haben: Egal, was gerade in unserem wirklichen Leben geschieht und wie es uns damit geht, jemand anderem ist es schon mal ganz genauso gegangen. Wir sind nicht allein, immerhin.

Als wir in unserem ersten Buch, Die Romantherapie, die These aufgestellt haben, dass es helfen, ja sogar therapeutisch heilsam sein kann, das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt zu lesen, war diese Idee noch überraschend neu. Dass Kinderbücher für Kinder genau dasselbe tun können, wird nun niemanden mehr überraschen. Eltern, Patinnen, Großeltern und netten Onkeln – um mit Bibliothekarinnen, Deutschlehrerinnen und Buchhändlern, die natürlich allesamt nichts anderes sind als verkappte Bibliotherapeuten, gar nicht erst anzufangen –, ihnen allen ist schon seit langem klar, dass es für Kinder und Jugendliche in einem schwierigen Augenblick oft nichts Besseres gibt als eine Geschichte, völlig unerheblich, ob sie in der Schule gemobbt werden, zum ersten Mal verliebt sind oder das liebste Kuscheltier verschollen ist. Die besten Kinderbücher stellen sich den großen Themen und Gefühlen mit einer angstfreien Freude, sind dabei aber immer auch gleichermaßen verlässlich spannend und beruhigend.[1] Kein randalierendes Kleinkind ist nach der Lektüre von Wo die wilden Kerle wohnen noch so von der Rolle wie davor. Und kein präpubertäres Mädchen fühlt sich nach Charlottes Traum mit seinen Fragen noch so allein.

In diesem Buch finden Sie die besten Kinder- und Jugendbücher, die Sie den Kindern in Ihrem Leben schenken oder vorlesen können – egal, ob diese drei Jahre alt sind oder schon dreizehn, ob sie Bücherwürmer sind oder ob sie Büchern eher aus dem Weg gehen, ob sie schlecht stillsitzen können, lieber mehr Spielzeug hätten, Nissen in den Haaren oder Albträume haben oder ob sie unbedingt selbständiger sein wollen. Für viele gehört ein Lieblingsbuch aus Kindertagen zu den wertvollsten Besitztümern – und es darf auch nicht einfach irgendeine Ausgabe sein, sondern nur exakt das Exemplar, das ihnen schon damals gehört hat, das mit Wachskreide verunstaltet ist und bei dem die Aufklappteile längst abgerissen sind. Für Susan ist es ein Exemplar von Go, Dog. Go![2] von P. ‌D. Eastman mit seinem endlosen Hundekatalog: mit kleinen Hunden, großen Hunden, einfarbigen Hunden und Hunden mit geflecktem Fell, Hunden, die in offenen Cabrios fahren oder in dem größten Bett schlafen, das man sich nur vorstellen kann, um dann frühmorgens gleich nach dem Aufwachen hinaus in kunterbunte Farben und gleißendes Licht zu springen. Mit jedem Mal, in dem es gelesen oder richtiger: eingehend betrachtet wird – denn in diesem Buch geht es vor allem um die Bilddetails –, kann man wieder neue versteckte Witze mit dem Autor teilen: Da ist dieser eine Hund, dessen Augen mitten in der Nacht weit geöffnet sind, oder der, der bei Tagesanbruch noch immer döst. Für Ella ist es Tarzan bei den Affen von Edgar Rice Burroughs – das erste von vierundzwanzig Tarzan-Abenteuern, die sie eins nach dem anderen verschlungen hat und deren vergilbte Seiten überquellen vom Kreischen und Rufen des Dschungels. Auf den Seitenrändern ihres Exemplars finden sich ihre eigenen, ab und an den Text übermalenden bunten Versuche von geschmeidigen Schlangen, farbenfroh beflügelten Papageien und von Ast zu Ast springenden Affen. In diesen Büchern scheint wie in mächtigen Zeitkapseln nicht nur das zu stecken, was wir einmal waren, sondern auch das, was eines Tages zu sein wir uns damals erträumten.

An welchen Kindheitsbüchern unsere eigenen Kinder festhalten werden, lässt sich nur mutmaßen – aber es werden sicherlich welche sein, die man anfassen kann, die dinghaft sind. Tablets sind großartig darin, ein Buch für den Moment hell aufstrahlen zu lassen. Weil es aber zusätzlich zum Sehsinn auch noch den Tast- und den Geruchssinn anspricht, kann man sich in einem Buch aus Papier doch sehr viel besser verlieren.[3]

Und in solchen Momenten werden wir an einen anderen Ort versetzt. In solchen Augenblicken reisen wir in jenes Land.

Wenn Sie dann bequem sitzen, können wir anfangen.

ZUM GEBRAUCH DIESES BUCHES

Dieses Buch ist für Erwachsene, die in der aufregenden Situation sind, für Kinder oder Jugendliche Bücher aussuchen zu dürfen – also für Eltern, Erzieher und Erzieherinnen, Großeltern, Freunde, Lehrerinnen, Bibliothekare oder weit weg lebende Tanten, die aus der Ferne eine kleine Liebesbezeigung (oder auch eine mahnende Fabel) schicken wollen.

Es ist wie ein medizinisches Nachschlagewerk aufgebaut. Man blättere zum jeweiligen »Leiden« – sei es Langeweile, Pubertät oder Museumsbesuche; sie nicht mögen –, und schon stößt man auf einen Therapievorschlag in Form von ein oder zwei Büchern.

Da sich Lesekompetenz und -verhalten bei jedem Kind unterschiedlich entwickeln, haben wir unsere ›Therapien‹ nach Kategorien geordnet und nicht nach Alter. Wir arbeiten mit den Abkürzungen B für Bilderbuch, A für Leseanfänger, J für Junge Leser und T für Teenagerliteratur. Sie können also ein Buch auf dem für ein bestimmtes Kind passenden Niveau finden, indem Sie einfach nach den betreffenden Initialen suchen.

Auch wenn jede Abkürzung mehr oder weniger mit einer bestimmten Altersgruppe übereinstimmt (vgl. nachfolgende Tabelle), empfehlen wir trotzdem, sich frei zwischen den Kategorien zu bewegen. Manche Kinder lesen schon mit sechs richtige Bücher mit mehreren Kapiteln, viele lassen sich aber auch, obwohl sie schon selbst lesen gelernt haben, noch sehr gern ihr Lieblingsbilderbuch vorlesen. Auf schwierige Themen wird in unseren Beschreibungen der Bücher regelmäßig hingewiesen. Manche Leiden – zum Beispiel Aufmunterung, Ungezogenheit und Widerspenstigkeit – umfassen sämtliche Altersstufen, weswegen wir Heilendes aus allen Kategorien anbieten. Andere Leiden wiederum sind altersspezifischer – zum Beispiel Akne, Lieblingsspielzeug; es verlieren oder Erster Kuss – und benötigen entsprechend nur aus einer Kategorie einen Therapievorschlag. Manchmal sind wir auch kategorieübergreifend vorgegangen: Ein vielsagendes Bilderbuch kann genau das richtige Mittel sein, um an einen schwer zu erreichenden Jugendlichen heranzukommen; und natürlich wollen umfangreichere Kinderbücher, diese goldenen Fundgruben, genauso gern laut vorgelesen als auch still allein gelesen werden, was sie überaus geeignet macht als gemeinsame Gute-Nacht-Geschichten.

Unsere Heilmittel und Therapievorschläge umfassen bekannte und weniger bekannte, klassische und zeitgenössische Geschichten, geschrieben von Autorinnen und Autoren von fern und nah, Bücher, die Teil einer größeren Serie sind (wo notwendig, nennen wir die jeweilige Serie in Klammern), und die, die ganz für sich stehen. Aber immer gehören sie der erzählenden Literatur an.[4] Manchmal treten sie als Listen auf – zum Beispiel als Die zehn besten Hörbücher für lange Autofahrten oder Die zehn besten Gute-Nacht-Geschichten für die Kleinsten (ein Verzeichnis sämtlicher Listen finden Sie auf S. 354). Wir haben auch Vorschläge für den Umgang mit geläufigen Leseleiden wie Lesen, nur widerwillig oder Verfilmung; sie vor dem Buch sehen wollen (das Verzeichnis der Leseleiden finden Sie auf S. 353). Und weil viele Kindheitsleiden für den begleitenden Erwachsenen genauso herausfordernd sein können wie für das Kind selbst, haben wir zusätzlich noch ein paar Hilfen für Erwachsene hinzugefügt. Diese Hilfen kommen ebenfalls in Gestalt von Kinderbüchern daher – schließlich ist dies hier ein Buch über Geschichten für Kinder, und ein gutes Buch ist und bleibt ein gutes Buch, völlig unerheblich, für wen es geschrieben wurde.[5]

ALTER

SYMBOL

BESCHREIBUNG

bis 6

Bilderbücher. Bilderbücher führen Kinder, die noch nicht des Lesens mächtig sind, an das Konzept »Buch« heran, weil sie Geschichten erzählen, die sämtliche Sinne ansprechen. Bleiben Sie ihnen ruhig eine Zeit lang treu: Viele Bilderbücher bringen großartige Erstleser und -leserinnen hervor, und die besten unter ihnen sind so vielschichtig, dass sie auch nach dem sechsten Geburtstag noch jahrelang interessant sind.

5-8

Leseanfänger. Mit ihrer großen Schrift, ihrer einfachen Sprache und ihren Illustrationen zielen diese Bücher auf Leseanfänger und -anfängerinnen ab.

8-12

Junge Leser. Bücher für junge Leserinnen und Leser gibt es in einer Bandbreite von »relativ einfach« bis »ziemlich anspruchsvoll«. Man schenke sie einem Kind, das sie allein für sich verschlingt, oder lese sie zusammen laut vor – je nachdem, wie lesekompetent Ihr Kind ist und ob Sie es ertragen, die Geschichte zu verpassen.

ab 12

Teenagerliteratur. Diese florierende Sektion auf dem Kinderbuchmarkt thematisiert das, was Heranwachsende beschäftigt. Mit relativ komplexen, möglicherweise sogar schonungslosen Handlungsverläufen ist zu rechnen. Viele Jugendliche sind natürlich auch schon so weit, dass sie Erwachsenenliteratur lesen können; in diesem Fall verweisen Sie bitte auf unseren Begleitband Die Romantherapie.

[1] Natürlich gibt es in dieser Hinsicht auch markante Ausnahmen, Märchen von dunkelster Anmutung, die ihren Beitrag dazu leisten, dass Psychiater weiter gut im Geschäft sind. Etwa Hilaire Bellocs Klein-Kinder-Bewahr-Anstalt. 15 erbauliche Geschichten zur Warnung vor den schlimmen Folgen jugendlichen Überschwangs und Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter.

[2] Leider wurde das Buch nie ins Deutsche übersetzt, eine Lücke, die unbedingt schnell geschlossen gehört.

[3] Sollten wir doch vereinzelt einmal ein E-Book empfehlen, dann gilt diese Empfehlung nur älteren Kindern. Empfohlen werden lediglich elektronische Bücher ohne Bilder, die nicht (mehr) lieferbar sind und auf die zu verzichten uns zu sehr geschmerzt hätte. (Ein Tipp für Verächter des Tablets: Meist sind solche Bücher noch gebraucht zu bekommen!)

[4] Nun ja, fast immer.

[5] Wie schon C. ‌S. Lewis sagte: »Eine Kindergeschichte, die nur Kindern gefällt, ist nicht im Entferntesten eine gute Kindergeschichte.«

Lebenslagen und Leiden von A bis Z

A

ABENTEUERLUST

Wenn sich an der Hintertür keines zeigt, warten in Büchern jede Menge Abenteuer auf Ihr Kind.

DIE NEUNUNDDREISSIG[1] BESTEN ABENTEUERBÜCHER

Wir gehen auf BärenjagdMichael Rosen, Ill. von Helen Oxenbury

Peterchens MondfahrtGerdt von Bassewitz, Ill. von Hans Baluschek

Jim Knopf und Lukas der LokomotivführerMichael Ende, Ill. von F. ‌J. Tripp

Die Schule der magischen TiereMargit Auer, Ill. von Nina Dulleck

Der Zauberer von OzLyman Frank Baum

Zirkus MirandusCassie Beasley

Der Junge und der ElefantRachel Campbell-Johnston, Ill. von Henning von Gierke

Stuart Horton. Acht Münzen und eine magische WerkstattLissa Evans, Ill. von Temujin Doran

Die wilden HühnerCornelia Funke

Die rote Zora und ihre BandeKurt Held

Mumins lange ReiseTove Jansson

Alabama MoonWatt Key

Doktor Dolittle und seine TiereHugh Lofting

Eine Woche voller SamstagePaul Maar

WildwoodColin Meloy, Ill. von Carson Ellis

Professor Mirakels Geheime-Wünsche-WerkstattSusan Niessen, Ill. von Nina Dulleck

Dieses Buch ist echt das LetztePseudonymus Bosch, Ill. von Sabine Völkers

Schwupp und wegPhilip Reeve, Ill. von Sarah McIntyre

Rico, Oskar und die TieferschattenAndreas Steinhöfel, Ill. von Peter Schössow

Die SchatzinselRobert Louis Stevenson

EntführtRobert Louis Stevenson

Die geheime Benedict-GesellschaftTrenton Lee Stewart, Ill. von Carson Ellis

Die große WildnisPiers Torday

Klein StuartElwyn Brooks White, Ill. von Garth Williams

Der schweizerische RobinsonJohann David Wyß

Das letzte EinhornPeter S. Beagle

Vango – Zwischen Himmel und ErdeTimothée de Fombelle

Tobie Lolness – Ein Leben in der SchwebeTimothée de Fombelle, Ill. von François Place

In die WildnisJon Krakauer

Die Fließende Königin (Merle-Trilogie)Kai Meyer

Boy 7Mirjam Mous

▶ Langeweile

▶ Sommerferien

ABGELENKT SEIN

▶ Tagträumer; einer sein

ABKAPSELUNG

Das hier ist kein TagebuchErna Sassen

Bou ist 16. Bou ist depressiv. Seit Monaten hat er sich ganz und gar von der Welt abgewandt. Niemandem gelingt es, zu ihm durchzudringen. Bis sein Vater ihn vor die Entscheidung stellt: Tagebuch und Pergolesi oder Psychiatrie. Er fängt also an, Tagebuch zu führen und Pergolesis Stabat Mater zu hören. Das Ergebnis dieser erzwungenen Schreibtherapie ist der Text von Erna Sassens Das hier ist kein Tagebuch.

Die Tagebuchform ist für den Stoff, den die Autorin entwickeln will, und für die Absicht, die sie verfolgt, gut gewählt: Drei Monate schreibt Bou auf, was er denkt und empfindet, was er erlebt und erinnert. Authentisch, unsentimental, oft sogar witzig. Und dabei findet er ganz allmählich aus der Einsamkeit zurück ins Leben: Schreibend erinnert er sich an die lange psychische Krankheit seiner Mutter und an ihr schreckliches Ende. Schreibend wagt er es, seine Gefühle zu benennen, die neben akzeptierten wie Trauer und Einsamkeit auch verstörende Anteile wie Hass und Wut umfassen. Das tieftraurige Stabat Mater entwickelt einen kathartischen Effekt: Es schenkt Bou einen Raum, in dem seine Einsamkeit widerhallt und in dem er seine disparaten Gefühle wahrnehmen, aushalten – und schließlich sogar überwinden kann.

Todtraurig ist der Stoff, den sie gestaltet, aber Erna Sassen hält sich an die Genrekonventionen und gönnt dem Leser und der Leserin immer wieder helle Momente: Bou ist zwar einsam, aber nicht allein. Es gibt eine kleine Schwester, die er über alles liebt, eine wunderbare Großmutter und eine ebensolche Tante. Und es gibt den Vater, der Bou vertraut und ihm das richtige Instrumentarium an die Hand gibt.

Als Therapie gegen Abkapselung und Einsamkeit funktioniert Das hier ist kein Tagebuch nicht nur so gut, weil es den Leser an die Hand nimmt und ihm einen Weg aufzeigt. Mindestens ebenso wichtig ist, dass Sassen die unbequemen Anteile einer komplexen Gefühlslage thematisiert, die oft tabuisiert und mit Scham belegt sind.

▶ Anders; sich so fühlen

▶ Einzelgänger; einer sein

▶ Freunde; gefühlt keine haben

▶ Freunde; nur schwer welche finden

▶ Trauma

▶ Unverstanden; sich so fühlen

ADHS

▶ Aufmerksamkeitsspanne, kurze

▶ Ruhe beim Lesen, mangelnde

ADOPTION

Das Huhn, das vom Fliegen träumteSun-Mi Hwang, Ill. von Nomoco

Früher sollten sich adoptierte Kinder zu einem völlig willkürlichen Zeitpunkt ihrer Kindheit mal kurz hinsetzen, dann bekamen sie aus dem Nichts heraus die »Ach übrigens, du bist adoptiert«-Keule übergezogen. Glücklicherweise sind wir bei diesem Thema heutzutage etwas weiter und träufeln das entsprechende Wissen von Anfang an in homöopathischen Dosen in ein adoptiertes Kind. Bilderbücher sind hierbei eine ebenso großartige Hilfe wie die häufige Wiederholung der Botschaft, dass auch ein adoptiertes Kind geplant und aus tiefstem Herzen gewollt ist. Welche Geschichte am ehesten den richtigen Nerv trifft, hängt von den spezifischen Umständen der jeweiligen Adoption ab. Suchen Sie sich aus der untenstehenden Liste doch diejenige aus, die am besten passt.

Wenn ein adoptiertes Kind älter wird, stellt es in der Regel häufiger Fragen über seine leiblichen Eltern, vielleicht versucht es sogar, sie ausfindig zu machen. Das bedeutet sowohl für das Kind als auch für die Erwachsenen, die es adoptiert haben (▶ Hilfe für Erwachsene), eine regelrechte Flut neuer, ambivalenter Empfindungen. Eine Geschichte, die zeigt, dass es vollkommen normal ist, gemischte Gefühle gegenüber dem eigenen Adoptiertsein zu haben, ist Das Huhn, das vom Fliegen träumte, geschrieben von der südkoreanischen Autorin Sun-Mi Hwang. Sprosse ist eine Legehenne mit einem Traum: Nein, sie träumt nicht vom Fliegen, sondern davon, Mutter zu werden. Gemeinsam mit ihrem Freund Streuner, einem Erpel, flieht sie aus dem Hühnerstall und fängt ein neues Leben in der Wildnis an. Ab jetzt sucht sie sich ihr Futter selber und gibt alles, um dem stets hungrigen Wiesel aus dem Weg zu gehen. Als sie in einem Dornengestrüpp über ein Nest stolpert, in dem ein »großes und hübsches« und sogar noch warmes Ei liegt, setzt sie sich über Nacht darauf. Am folgenden Morgen kann sie durch die Schale hindurch ein winziges Herz schlagen spüren.

Als das kleine Entenküken – als das es sich herausstellt – schlüpft, ist Sprosses Glück perfekt. Mit ihrem Kind namens Kleines im Schlepptau defiliert sie stolz an den Tieren im Hühnerhof vorbei, vollkommen unempfänglich für deren Spott. »Dann ist es eben eine Ente und kein Huhn. Na und?«, sagt sie sich. »Es weiß trotzdem, dass ich seine Mutter bin!« Als Kleines allein schwimmen und dann fliegen lernt – und ganze Tage lang über dem Stausee seine Kreise zieht –, freut Sprosse sich mit ihm, obwohl sie selbst auf der Erde zurückbleibt. Eines Tages wittert Kleines, dass sich etwas dem See nähert – etwas, das den gesamten Himmel ausfüllt und die Luft mit seinem Geschrei erfüllt … Und in einer Mischung aus Aufregung und bevorstehendem Verlust fängt es an zu zittern …

In dieser fabelgleichen Novelle geht es um viele Dinge – um den Wunsch, ein Kind zu haben, und um das Bedürfnis eines Kindes, sein zu dürfen, was es nun einmal ist. Was uns aber am meisten im Gedächtnis haften bleibt, ist die allumfassende Liebe, die Sprosse für ihr Kind empfindet. Sie weiß, dass sie ihrem Sohn den größten Liebesdienst erweist, wenn sie versucht, ihn zu verstehen – auch, wenn das bedeutet anzuerkennen, dass er anders ist als sie und sie vielleicht irgendwann verlassen muss, um herauszufinden, wer er wirklich ist. Geben Sie dieses Buch einem Kind, das anfängt, Fragen über seine leiblichen Eltern zu stellen, und zeigen Sie ihm so, dass Sie Verständnis haben.

DIE ZEHN BESTEN BÜCHER, IN DENEN ES UM ADOPTION GEHT

Kind ist KindBrigitte Weninger, Ill. von Eve Tharlet

Paule ist ein GlücksgriffKirsten Boie, Ill. von Silke Brix

Hallo, Mister Gott, hier spricht AnnaFynn

SonntagskindGudrun Mebs, Ill. von Rotraut Susanne Berner

Anne auf Green GablesLucy Maud Montgomery

Konrad oder Das Kind aus der KonservenbüchseChristine Nöstlinger, Ill. von Annette Swoboda

ZirkusschuheNoel Streatfeild

MarienkäfertageUticha Marmon

Lauren, vermisstSophie McKenzie

Daughter of Smoke and BoneLaini Taylor

Hilfe für Erwachsene

Das grüne KükenAdele Sansone, Ill. von Anke Faust

Diese Geschichte hilft Ihnen in den schwierigen Momenten, wenn sich die Neugier Ihres Kindes nach seiner leiblichen Herkunft regt. Als der Gänserich ein besitzerloses Ei findet, ist seine Freude grenzenlos: Schon so lange wünscht er sich ein eigenes Kind. In null Komma nix ist es ausgebrütet, und das schönste – grüne – Küken blickt ihm entgegen: »Es hatte wunderschöne, glitzernde Schuppen. Und einen langen Schwanz hatte es auch.« Den Gänserich stört das nicht. Liebevoll zieht er es auf, bis es zu dem kritischen Moment kommt, wo andere Tiere dem Nachwuchs zurufen: »Du bist ja gar kein Gänseküken!« Verunsichert macht sich das grüne Küken auf die Suche nach seinem leiblichen Vater. Wie die Geschichte endet, können Sie sich vermutlich denken, und dennoch empfehlen wir, dieses Buch zur Hand zu nehmen, wenn Sie Trost und Bestätigung brauchen – einen schöneren Moment als den, wenn Küken und Gänserich sich wieder in die Arme schließen, findet man kaum.

▶ Anders; sich so fühlen

▶ Eltern

▶ Wut

AKNE

Fleisch ist mein GemüseHeinz Strunk

Puh, Akne. Das ist hart. Das ist hart für Sie, weil Sie dieses Thema bitte keinesfalls ansprechen dürfen. Wir wissen, Sie wollen. Aber hier hilft weder Information (Akne ist eine Erkrankung des Talgdrüsenapparates und der Haarfollikel, die zunächst nichtentzündliche Mitesser, sogenannte Komedonen, hervorbringt, im späteren Verlauf aber auch eine Reihe entzündlicher Sekundäreffloreszenzen wie Papeln, Pusteln und Knoten entstehen lassen kann), noch hilft Trost (»Hatte ich auch ganz schlimm. Als der letzte Pickel weg war, kam direkt die erste Falte«).

Das ist aber vor allem hart für Ihr Kind, denn im Ernst: Welcher sadistische Schöpfer hat sich das ausgedacht, dass man genau in dem Moment, in dem man nicht souverän mit seinem sich merkwürdig verändernden Körper sein kann, in dem man hormongeflutet und extrem bedürftig ist, auch noch mit Papeln, Pusteln und Knoten geplagt ist? Und nicht etwa unter der Achselhöhle. Nein. Im GESICHT!

Bei Akne ist die Romantherapie diffizil, weil sie sehr, sehr subtil vorgehen muss. Aber genau das ist ja ihre Stärke. Wir müssen nicht den Holzhammer schwingen und »Nie wieder Akne« auf den Nachttisch des Nachwuchses legen. Mit dem passenden Roman können wir uns dem Thema auf Schleichwegen nähern. Zum Beispiel mit einem Roman über eine sehr lange Jugend in der deutschen Provinz? Einem zum Brüllen komischen, zum Staunen ehrlichen und herzerwärmend melancholischen Roman? In dem es um Musik geht, um Aufbruch, große Träume, um Sex und wie man ihn bekommen kann? In dem die Hauptfigur ganz zufällig auch mit einer wirklich harten Akne zu kämpfen hat. Fleisch ist mein Gemüse ist der Name dieser subtilen und wirkungsvollen Akne-Romantherapie. Klar, nach der Lektüre ist ihr Kind nicht um einen einzigen Pickel ärmer, aber es hat einen Leidensgenossen kennengelernt, einen richtigen, der keinen schalen Trost im Angebot hat, sondern echte Verzweiflung – und ein Happy End. Denn aus dem verpickelten Provinzler ist ein gefeierter Autor und Entertainer geworden.

▶ Pubertät

▶ Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper

ALBTRÄUME

Das TraumfresserchenMichael Ende, Ill. von Annegert Fuchshuber

Werden Sie nachts von einem Kind geweckt, das einen Albtraum hatte und sich nun vor dem Einschlafen fürchtet, machen Sie es mit dem Traumfresserchen bekannt. In einem Königreich, in dem ein erholsamer Schlaf das höchste Gut ist, wird ausgerechnet die Königstochter von Albträumen geplagt. Niemand weiß Rat, keiner kennt ein Mittelchen, eine Zauberformel oder ein Ritual, das ihr wieder ruhige Nächte bescheren könnte. Also begibt sich der König selbst auf die Suche nach Hilfe und stolpert geradezu über die Lösung des Problems – nämlich über ein kleines leuchtendes Wesen mit einem runden Mondgesicht, Stacheln auf dem Kopf und einem riesigen Mund, aus dem so merkwürdige Ausdrücke wie »Pfui Schmatzwatz« und »Zibbeldibix« kommen. Ausgehungert wie es ist, freut sich das Kerlchen ungemein über die Kunde, dass es da ein albtraumgeplagtes Mädchen im Reich des Königs gibt. Denn sein Name ist Programm: Das Traumfresserchen ernährt sich von Albträumen und lässt nur die schönen Träume zurück. Alles, was man braucht, um es zu rufen, ist ein Spruch, den es dem König auf Pergament schreibt. Und eben dieser Spruch wird auch Ihr Kind beruhigen und wieder in die süßen Gefilde des Schlafs entführen – wenn es nicht schon die ersten Seiten dieser wunderbaren Geschichte von Michael Ende und die entrückten, traumähnlichen Illustrationen von Annegert Fuchshuber getan haben.

▶ Angst

▶ Einschlafprobleme

ALKOHOL

▶ Drogen

▶ Gruppenzwang

ALLEIN SPIELEN, AM LIEBSTEN

▶ Einzelgänger; einer sein

ALLERGIEN

Eine Allergie zu haben ist für ein Kind alles andere als ein Spaß. Es muss in diesem Fall nicht nur ständig darauf achten, den Kontakt zu meiden mit der Substanz, die eine Reaktion auslöst – seien es Pollen, Pudel oder Pekannüsse (▶ Sorgen) –, nein, zusätzlich muss es auch noch klarkommen mit den jeweiligen Auswirkungen auf sein Sozialleben und seine engeren Beziehungen. Ein Kind, das sehr starke Allergien hat, fühlt sich möglicherweise irgendwann abgeschnitten von allem, was Freude bereitet, und empfindet sich als deutlich anfälliger als alle anderen (▶ Anders; sich so fühlen; Freunde; nur schwer welche finden).

▶ Esser; ein heikler sein

▶ Sorgen

ALTER, KEIN RESPEKT VOR DEM

Gangsta-OmaDavid Walliams, Ill. von Tony Ross

Mit Kindern, die keine Lust auf Oma-, Opa- oder Erbtantenbesuch haben, sich mit Ausreden drücken, um dann nach langer Überredung und Erpressung muffelig mitzukommen, sich knapp für die fünf Euro zu bedanken und anschließend in ihr Smartphone zu vertiefen, haben wir mitunter wenig Geduld. Begriffe wie »Toleranz«, »Mitgefühl« und »Dankbarkeit« liegen uns auf der Zunge und eine Predigt darüber, dass alle Menschen eine interessante Lebensgeschichte haben. Ersparen wir uns all das und legen wir unseren altersphobischen Kindern David Walliams' Gangsta-Oma auf den Nachttisch. Denn hier werden sie genau da abgeholt, wo sie sind: Ben ist elf und muss jeden Freitag bei seiner Oma übernachten. Und die ist ein harter Fall: Brille, Hörgerät, Haare am Kinn, Gebiss, benutztes Papiertaschentuch im Ärmel. Sie pupst und stinkt, nennt ihn »Bennilein« und kocht Kohl. Varianten zu Kohlsuppe sind Kohlauflauf oder Kohlkuchen. Und sie liebt Scrabble.

Achtung, hier könnte schon der erste Therapieeffekt einsetzen; denn so ein harter Fall sind Oma und Opa oder Erbtante Ulla wahrscheinlich nicht. Mögliches Therapieergebnis: Demut und Erleichterung.

Ben ist extrem genervt von diesen Omabesuchen und die Leser sind voll und ganz bei ihm. Denn David Walliams, einer der erfolgreichsten Kinderbuchautoren Englands, versteht sich auf Dramaturgie, auf Spannungsaufbau und auf Milieus. Die lustigen Zeichnungen von Tony Ross und die zahlreichen eingestreuten Listen (zum Beispiel mit all den ätzenden Minuspunkten der Oma) machen zusätzlich Spaß und halten unseren altersphobischen Patienten bei Lese-Laune. Und dann passiert das, was wir in unserer Predigt sagen wollten: Ben entdeckt in der Wohnung seiner Oma eine Dose mit Juwelen und plötzlich entrollt sich vor seinen Augen ein ganz anderes, geheimes Leben seiner Oma. Eines, das alles ist, nur nicht verstaubt und langweilig.

Achtung, erwarten wir nicht zu viel: Unser Altersphobiker wird mit Erbtante Ulla wohl nicht wie Ben mit seiner Oma auf Juwelenraubzug gehen. Aber vielleicht wird er beim nächsten Besuch an Ben denken und nicht nur auf sein Smartphone glotzen, sondern sich ein bisschen umschauen. Und vielleicht entdeckt er etwas, das ihn interessiert. Ein Foto, ein Andenken, irgendeinen Anker aus dem langen Leben von Ulla, die ja auch nicht immer nur Erbtante gewesen ist.

▶ Omas küssen müssen

▶ Unfreundlichkeit

ANDERS; SICH SO FÜHLEN

ElmarDavid McKee

WunderRaquel J. Palacio

Vielleicht ist es größer als alle anderen, vielleicht ist es Linkshänder oder es lispelt. Vielleicht lebt es in einem fernsehlosen Haushalt, in einem Baumhaus oder mit einem Dutzend Wellensittichen zusammen. Sollte ein kleines, Ihnen bekanntes Kind sich anders fühlen als alle anderen, dann lesen Sie ihm Bücher vor, die es in seinem Anderssein bestärken. Denn manchmal ist das, was ein Kind anders macht, gleichzeitig seine große Stärke – dann muss das Kind nur den Mut haben, seine Andersartigkeit auch auszuleben. So wie Elmar, der Patchwork-Elefant. Wegen seiner wunderhübschen bunten Karos auf der Haut und seiner Neigung, den Clown zu geben, wird Elmar von allen anderen Elefanten bewundert. Aber eigentlich gefällt es ihm gar nicht, so anders zu sein. Eines Tages läuft er weg und wälzt sich in grauem Beerensaft, kehrt dann zurück und findet heraus, wie es ist, vollkommen durchschnittlich zu sein. Noch für das allerkleinste Kind ist offensichtlich, dass Elmars Außenhaut etwas Besonderes ist – was Elmar zum Schluss auch selbst sehen kann. Kinder, die mit Elmar aufwachsen, werden Andersartigkeit schöner und lustiger finden, als so zu sein wie alle anderen.

Manche von uns müssen auch mit dem Gefühl umgehen, sehr viel stärker anders zu sein, so anders wie der zehnjährige August in dem außergewöhnlichen Buch Wunder. An keiner Stelle erfahren wir genau, wie Augusts Gesicht aussieht, wir wissen nur, dass er mit einer Kieferspalte geboren wurde, dass er ein Loch im Gaumensegel hat und keine richtigen Ohren und dass seine Augen bei ihm weiter unten im Gesicht sitzen, als sie das sollten. »Was immer ihr euch vorstellt«, erzählt August uns gleich auf Seite eins in dieser Mischung aus Ehrlichkeit, Mut und Witz, die wir im Verlauf der Lektüre noch gut kennenlernen werden, »es ist schlimmer«.

Bisher ist August von seiner Mutter zu Hause unterrichtet worden, aber jetzt steht ihm der erste Schultag bevor (▶ Schulwechsel). Sowohl Augusts Eltern als auch seiner älteren Schwester Via (die ein tolles Vorbild in Sachen ermutigender Schwester ist) klopft das Herz bis zum Hals, als sie ihn am ersten Tag die Schule betreten sehen – und uns auch. »Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird«, so sagt es sein Vater. Die anderen Kinder starren August offen an oder schauen kurz hin, um dann schnell den Blick von ihm abzuwenden – und sogar Mrs Garcia legt ein besonders strahlendes Lächeln auf. Julian, einer der Klassenkameraden, macht einen gemeinen Vergleich mit dem entstellten Darth Sidious aus Star Wars. Als sich allerdings Jack, ein beliebter, lustiger Junge, auf den freien Platz neben August setzt, geht uns das Herz in der Brust auf. Jack schreckt nicht davor zurück, August zu fragen, warum er keine Schönheitsoperationen bekommen kann. »Hallo?«, erwidert August. »Ich hatte Schönheitsoperationen, siehst du das nicht?« Jack schlägt sich mit der Hand vor die Stirn und lacht hysterisch. »O Mann, den Arzt solltest du unbedingt verklagen!«, sagt er, und die beiden müssen so sehr lachen, dass die Lehrerin sie die Plätze mit ihren Sitznachbarn tauschen lässt. August hat einen Freund gefunden, dem seine Andersartigkeit egal ist.

Natürlich sind Augusts Probleme damit nicht vorbei – und wir sehen ihm dabei zu, wie er es mit einer ganzen Menge an Widrigkeiten zu tun bekommt, angefangen bei einem Streit mit Jack (▶ Verrat) bis hin zu dem schlechten Gewissen, das er ständig hat, weil er seinen Kummer an seiner stets verständnisvollen Mutter auslässt. Aber schlussendlich bringt ihm seine Fähigkeit, verletzte Gefühle außen vor zu lassen und einer Situation humorvoll zu begegnen, den Respekt der gesamten Schule ein. Kaum ein Kind wird nicht in Tränen ausbrechen, wenn Mr Tushman, der Schuldirektor, einen gewissen Schüler hervorhebt als denjenigen, dessen »stille Stärke« im Laufe des Schuljahres »die meisten Herzen bewegt hat«. Kinder, die das Gefühl haben, anders zu sein, werden bewegt und inspiriert von der schieren Masse an Problemen, mit denen August es zu tun hat. Und Kinder im Umfeld eines Kindes, das sich anders fühlt, werden nach der Lektüre entschlossen sein, von jetzt an zu versuchen, »immer ein bisschen freundlicher zu sein als unbedingt nötig«.

▶ Autismus

▶ Behinderung

▶ Einsamkeit

▶ Freunde; nur schwer welche finden

▶ Mobbingopfer; eines sein

▶ Pubertät

▶ Unverstanden; sich so fühlen

ANERKENNUNG SUCHEN

Die unendliche GeschichteMichael Ende

Kinder sind darauf programmiert, nach Anerkennung zu streben, erst vom innersten Kreis ihrer Familie und später dann von ihren Freunden, Lehrern und diversen Zaungästen in ihrem Leben.[2] Diejenigen, die keine Anerkennung erhalten – oder in jungen Jahren förmlich damit zugeschüttet werden –, verbringen unter Umständen den Rest ihres Lebens mit der Suche danach. Einer davon ist der Junge mit dem außergewöhnlichen Namen Bastian Balthasar Bux in der Unendlichen Geschichte, der, bislang nicht unbedingt mit Lob und Anerkennung verwöhnt, ein solches Verlangen danach entwickelt, dass er immer abhängiger davon wird. Diese warnende Geschichte schildert, wie sein Verlangen nach Anerkennung ihm beinahe den Tod bringt.

Bastian ist einsam und lebt bei seinem Vater, der mit den Gedanken immer irgendwo ist, nur nie bei seinem Sohn. Eines Tages entdeckt der Junge in einem Antiquariat ein wunderschönes altes Buch. Dieses Buch zieht ihn so sehr in seinen Bann, dass er es in einem unbeobachteten Moment klaut und damit wegläuft. Sobald er die erste Seite aufschlägt, wird er in die Geschichte hineingezogen und ist Teil von ihr. Er trifft auf Atreju, einen jungen Krieger, der das Land Phantásien davor bewahren will, Stück für Stück vom »Nichts« verschlungen zu werden – eine Metapher für die Gier nach Macht und Besitz. Zuerst weiß Bastian nicht, wie er Atreju helfen könnte, doch nach und nach stellt er fest, dass er mit seiner Einbildungskraft und seinem Talent, Geschichten zu erzählen, Phantásien Geschichte für Geschichte wieder aufbauen kann, und er wird zu einem wahren Helden.

Doch sein Heldentum ist teuer bezahlt. Jedes Mal, wenn er ein Stück von Phantásien zurückwünscht, verliert er einen Teil seiner Erinnerungen an sein wahres Leben. Die Einwohner von Phantásien lieben ihn und überschütten ihn mit Geschenken und Auszeichnungen. Doch mit der Zeit wird er förmlich abhängig von dem Reichtum und dem Respekt, die sein Erzähltalent ihm verschaffen, und wir ahnen, dass er Gefahr läuft, von der Selbstherrlichkeit und der Gier nach Macht übermannt zu werden, gegen die er zugleich mit seinen Geschichten ankämpft. Wird er sich noch genug Erinnerungen bewahren, um nach Hause zurückkehren zu können, oder wird er vergessen, dass er einmal einen Vater hatte? Diese zum Nachdenken anregende phantastische Geschichte taucht tief in die Psychologie des Geschichtenerzählens ein und in die Frage, warum Autoren und ihre Leser Geschichten brauchen. Dabei betrachtet sie vor allem den Moment, in dem Genialität sich in Ichbezogenheit oder Geltungsbedürfnis verwandelt. Lassen Sie Bastians Dilemma ihren Kindern zeigen, wie man Lob annimmt, ohne es sich zu Kopf steigen zu lassen.

▶ Eltern, strenge

ANFÜHRER; EINER SEIN WOLLEN

Herr der FliegenWilliam Golding

Viele Kinder machen nichts lieber, als einem Anführer oder einer Anführerin zu folgen, und ein selbstbewusstes Kind nimmt eine solche Führungsrolle auch gern an. Aber wenn dieses letztere Kind es übertreibt mit dem Anführen, wenn es auf seinen Vorstellungen, wie die Dinge zu laufen haben, beharrt und sich mit denen, die nicht an seinem Strang ziehen, überwirft, dann steuert es in seiner Position in Richtung Diktatur. In William Goldings außergewöhnlichem Buch Herr der Fliegen, einer Geschichte um das Überleben auf einer einsamen Insel, die sich immer noch in der Flut an heutigen Abenteuerromanen behaupten kann, machen zwei Jungs den schmalen Grat zwischen einem Anführer und einem gefährlichen Despoten anschaulich.

Als ihr Flugzeug über dem Pazifik abgeschossen wird, sind die Schuljungs, die den Absturz überlebt haben, hellauf begeistert darüber, dass sie sich auf ihrem eigenen kleinen Stück vom Paradies wiederzufinden scheinen. Sofort ist klar, dass sie einen Anführer brauchen. Der zwölfjährige Ralph, blond und gutaussehend, hat eine gewisse »Ruhe« an sich, die ihn auf den ersten Blick von den anderen abhebt. Zu dem Zeitpunkt, an dem die weit verstreuten Jungs auf einer Lichtung im Dschungel zusammenfinden, hat Ralph seine Dominanz über den schusseligen Piggy längst behauptet, indem er immer dann, wenn Piggy mit seiner Tante als zweifelhafter Autoritätsfigur aufwartet, wegwerfend sagt: »Scheiß auf deine Tante!« Dass Piggy sich trotz dieser Demütigung wie eine Klette an Ralph hängt, macht den kleineren Jungs unmissverständlich klar, wer hier den stärkeren Charakter hat. Ralphs Macht aber nimmt mit dem Moment feste Gestalt an, in dem er die Lippen an das Muschelhorn legt und den tiefen, durchdringenden Ton erklingen lässt, der durch den Palmenhain dröhnt und bis in die letzten Winkel der Wälder dringt, der Wolken von Vögeln in die Baumwipfel auffliegen lässt und noch die letzten versprengten Jungs aus allen Richtungen zusammenbringt.

Es folgt: der Auftritt des rothaarigen Jack, der eine Truppe marschierender Chorbuben den Strand entlangführt. Sie alle sind in schwarze Umhänge mit weißen Rüschenkrägen gewandet, was sie zunächst wie ein großes, vielbeiniges Insekt erscheinen lässt. Im Unterschied zu Ralph bellt Jack seine Befehle und verlangt Gehorsam von seinem Chor. Sofort tritt er in Wettstreit mit Ralph, indem er sich zum Anführer ernennt, einzig und allein aus dem Grund, dass er an seiner Schule »Schülersprecher« ist und »ein Cis singen« kann. Die Jungs beschließen, über diese Frage abzustimmen, und außer dem Chor – dessen Mitglieder zu eingeschüchtert sind, um eine eigene Meinung zu haben – entscheiden sie sich eindeutig für Ralph.

Indem er Jack die Leitung der aus der Chorgruppe bestehenden »Jäger« überträgt, beweist Ralph umgehend, dass er ein entscheidungsfreudiger und eloquenter Anführer sowie ein instinktiver Diplomat ist. Aber so leicht lässt Jack sich nicht besänftigen. Nur allzu bald ist die Bühne bereitet für eine Schlacht zwischen Demokratie und militaristischer Schreckensherrschaft. Halten Sie tyrannischen, gerade ins Teenageralter eintretenden Kindern diesen Spiegel vor Augen – sie werden erkennen, dass ein Anführer, dem das Wohl aller am Herzen liegt, etwas ganz anderes ist als ein Diktator, der alle dazu zwingt, nur das zu spielen, was er will.

▶ Bestimmer; immer einer sein wollen

▶ Geschwisterrivalität

▶ Hochbegabung

ANGEBEREI

▶ Selbstvertrauen; zu viel davon haben

ANGST

SwimmyLeo Lionni

Stormbreaker (Alex Rider)Anthony Horowitz

Kinder haben gute Gründe, manchmal Angst zu haben, schließlich sind sie kleiner und in einigen Dingen noch nicht so geübt (▶ Klein sein). (▶ Hilfe für Erwachsene) Eine Möglichkeit, sich mutiger zu fühlen, zeigen die kleinen Fische in Swimmy. In seinen berühmten Kartoffelstempelcollagen stellt Leo Lionni uns den kleinen schwarzen Fisch Swimmy vor, der allein durchs Meer schwimmt und voller Staunen die wunderschön gestalteten Kreaturen betrachtet: zum Beispiel eine regenbogenfarbene Meduse (in Violett, Blau und Pink) oder einen Wald aus exotischen Meeresalgen. Irgendwann begegnet Swimmy einem Schwarm kleiner roter Fische, aber sie haben zu viel Angst, um ihr Versteck unter dem Stein zu verlassen und mit ihm auf Entdeckungstour zu gehen. Da hat Swimmy eine Idee: Wenn sie in Formation schwimmen, sehen sie so aus wie der größte Fisch im ganzen Ozean. Lesen Sie dieses Buch mit einem Kind, das zu ängstlich ist, um in die Welt hinauszugehen: Eine Gruppe Freunde kann ein völlig neues Gefühl der Sicherheit geben.

Auch der eher widerwillig zum Spion gewordene vierzehnjährige Alex in Stormbreaker, dem ersten Band der Alex-Rider-Serie, bietet Kindern eine befreiende Lektion. Alex' Onkel Ian, ein angeblicher Banker, bei dem der Junge nach dem frühen Tod seiner Eltern aufgewachsen ist, kommt unter mysteriösen Umständen ums Leben. Nachdem Alex den BMW seines Onkels von Einschusslöchern übersät auf dem Autofriedhof entdeckt hat und selbst nur knapp der Schrottpresse entkommen ist, erhält er eine »Einladung« von Ians Chefs in der »Bank«. Alex, der nur kurz in einem Büro direkt neben dem seines Onkels allein gelassen wird, ist fest entschlossen, sich Zugang zu dessen Unterlagen zu verschaffen, und klettert kurzentschlossen im fünfzehnten Stock aus dem Fenster und über den Sims.

Wie sich natürlich bald herausstellt, war Alex' Onkel ein Spion – und hat seinen Neffen bereits von klein auf darauf vorbereitet, eines Tages in seine Fußstapfen zu treten. Sportlich wie er ist, kann Alex bereits Ski fahren, klettern und mehrere Sprachen sprechen. Doch es ist Alex' Umgang mit seiner Angst, die ihn in den Augen von Ians Bossen so geeignet macht. Da oben auf dem Sims im fünfzehnten Stock erlaubt Alex sich nur zwei Gedanken: Erstens, wenn er jetzt irgendwo auf einem Klettergerüst stünde, würde er über die Gefahren nicht einmal nachdenken. Und zweitens, statt noch länger darüber nachzudenken, sollte er es jetzt einfach tun. 

Und das tut er dann auch. »Ich hab's Ihnen ja gesagt«, bemerkt der Chef des MI6, Alan Blunt, der die ganze Aktion auf einem Bildschirm mitverfolgt, »der Junge ist phänomenal«. Alex wird vom Fleck weg engagiert. Bis zum Ende der Geschichte wird er dem Tod zahlreiche Male und in den unterschiedlichsten, überraschendsten Versionen ins Auge geblickt haben, einschließlich in Form einer tödlichen Riesenqualle. Und jedes Mal handelt er, bevor seine Angst eine Chance hat, ihn zu lähmen. Ihre Kinder werden erkennen, dass es manchmal das Nachdenken über die Sache ist und nicht so sehr die Sache selbst, die sie davon abhält, etwas zu tun.

Hilfe für Erwachsene

Der schwarze HundLevi Pinfold

Erwachsene haben weniger Gründe als Kinder, sich zu fürchten, aber das scheint uns nicht davon abzuhalten. Als ein großer schwarzer Hund vor der Tür der Hopes auftaucht – so groß wie das ganze Haus –, schalten die Eltern in Der schwarze Hund alle Lichter aus, ziehen die Gardinen zu und verbarrikadieren sich. Doch das jüngste Mitglied der Familie, Klein Hoop, verhält sich anders. Das Mädchen geht hinaus, um sich den Hund einmal selbst anzuschauen. Bald erkennt es, dass Angst eine Sache viel größer erscheinen lassen kann, als sie tatsächlich ist. Die eindrücklichen Zeichnungen – eine Kombination aus Hieronymus Bosch, Ludwig Emil Grimm und American Gothic – scheuen sich nicht davor, den schwarzen Hund als eine Metapher für Depression zu kennzeichnen, und laden uns ein, einmal in Betracht zu ziehen, dass wir manchmal vielleicht etwas als angsteinflößend betrachten, obwohl es nur unsere eigene Unsicherheit oder Depression ist, die da spricht. Lesen Sie dieses Buch, um sich wieder daran zu erinnern, dass Angst unter Umständen nur eine Angewohnheit ist. Handeln Sie mutig, auch wenn Sie sich nicht so fühlen, und Sie werden diesen Mut auch auf Ihre Kinder übertragen.

▶ Ängstlichkeit

▶ Dunkelheit, Angst vor

▶ Klein sein

▶ Klein; sich so fühlen

▶ Sorgen

▶ Tiere; Angst haben vor ihnen

ANGST UM DIE ZUKUNFT UNSERES PLANETEN

Die meisten Kinder sind sehr empfänglich, wenn es darum geht, unseren Planeten vor der Zerstörung zu bewahren. Diese erdenrettenden Bücher werden sie inspirieren, informieren und ihnen helfen, daran zu glauben, dass alles, was sie tun, einen Unterschied machen kann.

DIE ZEHN BESTEN BÜCHER, UM DIE WELT ZU RETTEN

Als die Tiere den Wald verließenColin Dann

MaulwurfstadtTorben Kuhlmann

Das Städtchen DrumherumMira Lobe, Ill. von Susi Weigel

GrünlingLevi Pinfold

Der LoraxDr Seuss

Die Geschichte vom blauen PlanetenAndri Snær Magnason, Ill. von Lisa Sophie Rackwitz

Der Baum, der sich nicht lumpen ließShel Silverstein

Liliane Susewind – Delphine in SeenotTanya Stewner, Ill. von Eva Schöffmann-Davidov

Die Monkey Wrench GangEdward Abbey, Ill. von Robert Crumb

Water & AirLaura Kneidl

ÄNGSTLICHKEIT

Der große HundAndrea Hensgen, Ill. von Béatrice Rodriguez

Unten am FlussRichard Adams

Babys und kleine Kinder sind vollständig von anderen abhängig und haben also gute Gründe dafür, ängstlich zu sein. Beruhigende, anheimelnde Geschichten – wie Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab, Thomas und seine Freunde und Frosch und Kröte[3] – sorgen am Ende eines Tages für Sicherheit und Geborgenheit.

Hält die Ängstlichkeit dieser ersten Therapie hartnäckig stand, versuchen Sie es mit dem Bilderbuch Der große Hund. Diese wortlose Geschichte handelt davon, wie man manchmal erste Hilfe von Größeren braucht, um über seine Ängstlichkeit hinwegzukommen – und wie dann plötzlich viele Dinge auch ganz allein zu bewältigen sind.

Ängstlich veranlagte ältere Kinder und Jugendliche werden sich in den langohrigen, nervös herumschnuppernden Helden in Richard Adams' immer noch kaum angestaubter Geschichte Unten am Fluss wiedererkennen. So lange die Amsel singt, wissen die Kaninchen, dass sie in Sicherheit grasen können. Aber wenn das Lied der Amsel zu einem gequälten Kreischen wird, schrecken die Kaninchen in Sekundenschnelle hoch, nehmen Witterung auf und flitzen blitzartig in die entgegengesetzte Richtung davon.

Als auf dem Kaninchenfeld ein Schild aufgestellt wird, das ein Neubauprojekt ankündigt, ahnt Fiver, dass etwas »sehr Schreckliches« passieren wird – was er seinem Bruder Hazel auch umgehend sagt. Hazel weiß, dass er auf die Vorahnungen seines Bruders hören sollte, und noch in derselben Nacht lassen sie sich von den Oberen des Baus den Auftrag geben, jedes Kaninchen, das auf sie hören will, in ein neues, sicheres Zuhause zu führen. Im Verlauf ihrer Reise rettet Fivers siebter Sinn die Kaninchen ein ums andere Mal – und bringt sie schließlich bis zu dem hochgelegenen, trockenen Hügelland, von wo aus sie meilenweit blicken können.

Viele der Kaninchen geraten gern und schnell in Panik; aber dennoch holen sie das Maximum aus den Stärken heraus, die sie, den Legenden aus uralten Zeiten nach, von ihrem Schöpfer Frith bekommen haben. »Gräber, Lauscher, Läufer, sei schlau und voller Listen, und dein Volk wird niemals vernichtet werden«, so geht ihr Gesang, und immer, wenn sie von einem ihrer »tausendfachen Feinde« bedroht werden, setzen sie ihre Fähigkeiten geschickt ein, graben Gänge, horchen auf Gefahren und bringen sich rennend in Sicherheit. Drücken Sie diese Geschichte dem nervösen Kind in Ihrer Mitte in die Hand und ermuntern Sie es, seine eigenen, ganz besonderen Stärken wahrzunehmen. Vielleicht wird es seine Ängstlichkeit nicht gänzlich überwinden, aber seine Stärken werden ihm helfen, auch ängstlich ein erfülltes Leben zu führen.

▶ Depression

▶ Sorgen

ANHÄNGLICHKEIT

▶ Erwachsen; es nicht werden wollen

ANSTÄNDIG; ES IMMER UND ÜBERALL SEIN

Lieschen Radieschen und der LämmergeierMartin Auer, Ill. von Axel Scheffler

Oh ja, auch hier sehen wir Bedarf für eine Buchtherapie! Bei anständigen Ja-Sager-Kindern, die immer genau das tun, was man ihnen sagt. Denn die finden wir schrecklich langweilig. Und abgesehen von der Langeweile: Ist nicht zu befürchten, dass aus anständigen Ja-Sager-Kindern mit ständig sauberen Hosen und leergegessenen Tellern Konformisten werden, ohne Hang zum Exzess, zu Revolution und Poesie?

Wenn Sie jetzt noch ein bisschen Zeit brauchen, um zu entscheiden, wie viel Aufruhr Ihr Leben verträgt, verschaffen Sie sich eine kleine Auszeit und schicken Sie Ihre Kinder mit Lieschen Radieschen in die Leseecke.

Wenn von Lieschen Radieschen Anstand und Zurückhaltung verlangt werden, dann bekommt sie einen radieschenroten Kopf und brüllt. Lieschens Tante hält nichts von diesem Verhalten und droht Lieschen mit dem Lämmergeier, der zornige Kinder holt. Und so kommt es wirklich:

»Lieschen Radieschen, ich komme dich holen!«, sagte der Lämmergeier.

»Du holst mich nicht!«, schrie Lieschen Radieschen. »Ich hol dich!« Und Lieschen Radieschen sprang dem Lämmergeier auf den Rücken.

»He, das ist verkehrt!«, schrie der Lämmergeier. »Ich muss dich in meinen Krallen tragen!« Lieschen Radieschen kniff die Augen zusammen, klappte den Mund zu und kriegte einen roten Kopf.

»Na, was ist«, sagte der Lämmergeier. Lieschens Kopf wurde noch röter.

»Also los!«, schrie der Lämmergeier. Lieschens Kopf wurde noch röter.

»Runter mit dir!«, sagte der Lämmergeier. Da schrie Lieschen Radieschen so laut, dass dem Lämmergeier fast alle Federn ausfielen.

»Ist ja schon gut, ist ja schon gut!«, sagte der Lämmergeier, »Dann fliegen wir halt so.«

Sie ahnen, wie es weitergeht? Genau, niemand wäscht sich hier die Finger oder isst seinen Teller leer. Stattdessen werden im Zorro-Kostüm Räuber gejagt, ein Prinz wird befreit, und es werden so ziemlich alle Regeln des guten Prinzessinnen-Benehmens gebrochen. Und auch wenn es langsam mal Zeit wird, dass aufrührerische Mädchen in den Kinderbüchern andere Methoden anwenden als lautes Geschrei (▶ Eigensinn), Ihre Kinder in der Leseecke werden Spaß an Lieschen Radieschens lustvollem Aus-der-Rolle-Fallen haben. Und möglicherweise Ihren nächsten Versuch, Anstand und Zurückhaltung einzufordern, mit lautem Geschrei kontern. Sollte Ihnen das lästig sein, dann trösten Sie sich damit, dass Sie unsere Hochachtung gewonnen haben. Und dass Sie selbst sich dann und wann auch einmal mit bestem Gewissen einen Tag in Ihrer schmuddeligen Lieblingsjeans leisten können.

▶ Einstehen, nicht für sich

ANSTÄNDIG; ES NIE UND NIRGENDWO SEIN

Monstermäßig erzogen!Michael Fuchs, Ill. von Marie Hübner

Wir sind uns ja alle einig, dass kein Mensch oberanständige Kinder braucht, die Faltenröcke und Schlipse tragen und Knickse und Diener machen. Aber wie so oft (oder eigentlich immer) ist auch dieser Fall kompliziert: Denn Anarchie im Kinderzimmer klingt zwar an sich verlockend, endet aber umgesetzt mit an Polster geschmierten Popeln. Bevor es dazu kommt und Sie vor Verzweiflung doch noch auf den Trip geraten, Freiherr von Knigge um Rat zu fragen, empfehlen wir Ihnen schnell Monstermäßig erzogen! von Michael Fuchs und Marie Hübner.

Hier ist die Ausgangslage mindestens so problematisch wie bei uns: Kleiner Knirps, der Monsternachwuchs von King-Rülps und von Die-die-alles-umschmeißt, ist geradezu peinlich anständig. Sein Zimmer ständig ordentlich, seine Tischmanieren grausig fein und rülpsfrei, sein Verhalten im Straßenverkehr ohne jeden Pöbel-Faktor. Die Monstereltern schämen sich fürchterlich und geben alles, um Kleiner Knirps zu artgerechtem Benehmen anzuleiten. Leider ergebnislos. Erst der Gang zum Monsterpsychologen bringt die ersehnte Verhaltensbesserung und den Eltern eine wichtige Erkenntnis …

Die Überschriften in diesem in satten Farben und mit dicken Pinselstrichen dynamisch illustrierten Buch gehen auf den Monster-Benimmführer Knacke statt Knigge zurück, in dem sich alle Regeln für das Monsterleben finden – und den es natürlich nur in Michael Fuchs' Kinderbuch gibt. »Monster machen sich vor dem Essen die Hände richtig dreckig« zum Beispiel.

Der therapeutische Effekt für unsere kleinen Monster ist, dass sie verstehen, wie sinnvoll unsere Benimmregeln sind, wenn diese von den Monstern in ihr Gegenteil gekehrt werden: dass es unhygienisch ist, mit schmutzigen Händen zu essen zum Beispiel. Und der therapeutische Effekt für uns Monstereltern ist, dass wir unsere Ansprüche noch einmal auf den Prüfstand stellen und hier und da lockern. Allerdings nicht im Fall von Popeln an Polstern!

▶ Fluchen

▶ Manieren, schlechte

▶ Ungezogenheit

ANZIEHEN; SICH WEIGERN, ES SELBST ZU TUN

Die Geschichte von Babar, dem kleinen ElefantenJean de Brunhoff

Kleine Kinder gibt es in zwei Ausführungen: einmal die, die gar nicht abwarten können, alles alleine zu machen, und dann jene, die keinen Grund erkennen können, warum sie sich von den diversen Mitgliedern ihrer Bedienstetenschaft nicht mehr herumtragen, anziehen, füttern und waschen lassen sollten. Falls Sie finden, es sei höchste Eisenbahn, dass ein Kind Interesse dafür an den Tag legt, selbst auszusuchen, was es anziehen möchte, und es dann auch anzuziehen, geben Sie ihm den elegant gewieften Babar an die Hand.

Als Babars Mutter von Jägern erschossen wird, läuft das verängstigte Elefantenbaby davon und findet sich schließlich in einer Stadt voller Menschen, Straßen und Busse wieder. Sofort fällt ihm ein Gentleman in Nadelstreifen und mit Zylinder auf, und es entscheidet, sich selbst mit einem feinen Anzug auszustatten – wobei es die eindrucksvolle Fähigkeit an den Tag legt, sich rasant an die Sitten und Gebräuche seiner neuen Umgebung anzupassen. Einigermaßen zufällig begegnet Babar dann einer reichen älteren Dame, die ihm anbietet, ihm seine neue Garderobe zu finanzieren. Es ist unmöglich, von Babars Stolz, mit dem er sein augenfälliges neues rosafarbenes Hemd, seinen smaragdgrünen Anzug, seine Melone und die Gamaschen vorführt, nicht gefesselt zu sein. Offenbar ist Babar im Grunde seines Herzens ein Geschöpf mit höchsten Ansprüchen, denen nur maßgeschneidert begegnet werden kann. Wenn Sie gewehrschwenkende Jäger und Exzentrik à la »Ich-heirate-meine-Cousine« (immerhin stammt dieses Buch aus dem Jahr 1933) verkraften können, dann legen Sie doch einen Stapel Babar-Bücher ins Regal und sehen Sie zu, wie aus Ihrem Kind ein kleiner, flotter Garderobier wird.

▶ Faulheit

▶ Verzogen sein

▶ Widerspenstigkeit

APOKALYPSE; ANGST HABEN VOR IHR

Jugendliche, die sich vor dem Ende des ihnen bekannten zivilisierten Lebens fürchten, finden in Robinson Crusoe[4] Trost – und ein großartiges Vorbild in Sachen Überleben. Es ist schließlich möglich, dass die Apokalypse noch eine ganze Weile auf sich warten lässt. Da kann man Teenager in der Zwischenzeit durchaus mit einem guten, dystopischen Roman auf Trab halten. Sollen sie sich doch mit dessen Hilfe diverse Worst-Case-Szenarios schon mal vorstellen und sich gleichzeitig dazu anhalten lassen, dem, was sie (noch) haben, mit Wertschätzung zu begegnen.

DIE ZEHN BESTEN DYSTOPISCHEN LEKTÜREN

Mein Freund PaxSara Pennypacker, Ill. von Jonathan Klassen

Der Report der MagdMargaret Atwood

Die Tribute von PanemSuzanne Collins

Die Auserwählten – Im LabyrinthJames Dashner

Méto – Das HausYves Grevet

The Stand – Das letzte GefechtStephen King

Hüter der ErinnerungLois Lowry

Das Licht der letzten TageEmily St. John Mandel

Ugly – Verlier nicht dein GesichtScott Westerfeld

Die TriffidsJohn Wyndham

▶ Angst um die Zukunft unseres Planeten

▶ Ängstlichkeit

▶ Sorgen

AUFGEBEN, HANG ZUM SCHNELLEN

Allein in der WildnisGary Paulsen

Ganz egal, ob ein Teenager versucht, einen Querfeldeinlauf zu beenden, eine Decke zu häkeln oder Tuba spielen zu lernen: Es ist nicht einfach, der Versuchung zu widerstehen, die Brocken einfach hinzuschmeißen, wenn es nicht mehr ganz so rund läuft. In solchen Momenten können ausgewählte Exemplare einfallsreicher, unermüdlicher Heldinnen und Helden zeigen, was sie draufhaben – und das heißt nicht nur, Beispiele dafür zu liefern, wie Durchhaltevermögen aussieht, sondern auch zu beweisen, dass es auf lange Sicht befriedigender ist, ein Ziel zu erreichen, als nur den kurzen Augenblick des Aufgebens zu genießen.

Der Drang aufzugeben ist in Wahrheit ja der Drang, sich fürs Scheitern zu entscheiden – schließlich scheint einem das Scheitern manchmal einfacher (▶ Versager; sich wie einer fühlen). Wie verführerisch das ist, weiß jeder, auch wenn es bedeutet, die Kontrolle über das eigene Leben preiszugeben, wie es bei Brian der Fall ist, dem Dreizehnjährigen, der sich in Allein in der Wildnis tatsächlich ganz allein in der Weite der kanadischen Wildnis wiederfindet, ausgerüstet mit nichts weiter als einem Beil. Auf dem Weg von New York nach Kanada, wo Brian seinen Vater besuchen will – seine Eltern haben sich erst vor Kurzem scheiden lassen (▶ Eltern, Trennung der) –, erleidet der Pilot des kleinen Flugzeugs einen tödlichen Herzinfarkt. Der schockierte Teenager schafft es gerade so weit einen kühlen Kopf zu bewahren, um mit dem Flugzeug eine Bruchlandung in einem See zu machen. Nach zwei Tagen, in denen er von Moskitos komplett zerstochen wird, die sauren Beeren, die er sich in seiner Verzweiflung in den Mund stopft, wieder erbricht und erkennt, dass ihm nichts zur Verfügung steht, um einen Hilferuf abzusetzen, kriecht er in die dunkelste Ecke einer Höhle und bricht in Tränen aus: »Es war zu viel. (…) Es war einfach zu viel. Er konnte es nicht mehr aushalten.«

Später allerdings blickt er auf diesen Moment als einen Wendepunkt zurück. Ihm wird klar: Weinen fühlt sich vielleicht gut an, hilft aber nicht weiter. Es erhöht die eigenen Überlebenschancen nicht. Was allerdings beim Überleben hilft, ist das Beil – und das Ausschöpfen sämtlicher geistiger und körperlicher Möglichkeiten, zum Beispiel der Fähigkeit, wirklich hinzusehen, hinzuhorchen und Dinge zu durchdenken, Fähigkeiten, die Brian das erregende Gefühl verschaffen, am Leben zu sein. Diese bemerkenswerte Geschichte bringt Jugendliche dazu, ihr gewohnheitsmäßig schnelles Aufgeben zu einem Ritual der Hoffnung, Zähigkeit und Beharrlichkeit werden zu lassen.

▶ Unfähigkeit, gefühlte

▶ Vorbild; eines brauchen