Die Rückkehr der Rentiere - Ann-Helén Laestadius - E-Book

Die Rückkehr der Rentiere E-Book

Ann-Helén Laestadius

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Beschreibung

Von der schwedischen Bestsellerautorin und einflussreichsten Stimme der Samen! Die Enge der Stadt, die Weite der Wildnis und der unüberhörbare Ruf des HerzensNach einem verhängnisvollen Vorfall flieht die 29-jährige Marina Hals über Kopf aus ihrer Heimatstadt Kiruna im Norden Schwedens. Doch im warmen und lauten Stockholm fühlt sie sich nicht wohl. Sie beschließt, es wie die Rentiere zu halten, die ihre Kindheit geprägt haben, und ihrem Impuls zur Rückkehr zu folgen. Die Rückkehr aber bedeutet, dass Marina sich ihrer Familie und einer Liebe, die unmöglich scheint, stellen muss. Wird es ihr trotz allem gelingen, endlich sie selbst zu sein? Die Autorin des Weltbestsellers Das Leuchten der Rentiere besticht mit einem tief bewegenden Roman über die Suche einer jungen Frau nach einem Ort, an dem die Widersprüche ihrer Herkunft sich auflösen – und die Sehnsucht danach, endlich genug zu sein. »Ann-Helén Laestadius ist eine Dramaturgin ersten Ranges.« Göteborgs-Posten

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Seitenzahl: 582

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ann-Helén Laestadius

Die Rückkehr der Rentiere

Roman

Roman

Maike Barth | Dagmar Mißfeldt

Kapitel 1

1998

 

Sie zog ihr weißes Huivi fest, sodass der Stoff straff um ihren Kopf lag, ihr Haar verbarg und ihr den Schweiß aus der Stirn hielt. Ihre Fingerspitzen glitten die Stoffkante entlang, und sie schob ein paar einzelne Haare an den Schläfen unter das Tuch. Huivi war ein Wort, das ihr nicht leicht über die Lippen kam. Nur Ritva und Jaana sagten ganz selbstverständlich »Huivi«. Doch die eine hielt sich für etwas Besseres als die andere, denn Jaana sprach Finnisch, richtiges Finnisch, wie sie betonte, kein Mischmasch wie das Tornedalfinnisch. Sie versetzte Ritva einen Stups mit der Hüfte, und beide grinsten einander an.

Zweifelsohne war Marina hier an zwei starke, zupackende Frauen geraten. Mit kräftigen Oberarmen, über denen sich die Arbeitsjacke spannte, und stabilen Oberschenkeln, die sie vom frühen Morgen an trugen, wenn es draußen noch dunkel war, bis sie in der gleichen Dunkelheit wieder nach Hause gingen. Um auch dort mit Kochen fortzufahren. Sie beklagten sich über Männer, die das Essen schneller verschlangen als ihr Hund, und mäkelige, fast erwachsene Teenager, die niemals danke sagten.

Marina fiel aus dem Rahmen. Mit beinahe dreißig und ohne Mann und Kinder. Mit schmalen Armen, und Beinen so mager wie die eines Rentierkalbs. Sie hatte sich im Spiegel über dem Handwaschbecken in der Küche gesehen und war zusammengezuckt, als Mama zurückgeguckt hatte.

Am vergangenen Freitag war sie nach Kiruna zurückgekehrt, und heute war der dritte Tag ihrer ersten Arbeitswoche.

Ihre Kolleginnen hatten sie gleich am ersten Tag ausgefragt, als sie an einem der Tische im Speisesaal saßen und sich einen schnellen Kaffee genehmigten, bevor die Kinder kamen. Ritvas Augen waren schmal geworden. Bestimmt hatten sie schon über sie geredet, als klar war, dass sie den Job bekommen hatte. Bestimmt waren sie sofort misstrauisch gewesen. Die Leute glaubten immer, sie wüssten bereits alles, sobald sie nur ihren Nachnamen hörten. Onkel Sture und seinesgleichen hatten einen gewissen Ruf. Einige Namen in der Stadt und den umliegenden Dörfern verleiteten die Leute zu Schlussfolgerungen. Doch es war schwierig, sich Gewissheit über Verwandtschaftsverhältnisse zu verschaffen, ohne geradeheraus danach zu fragen, und die meisten verzichteten darauf. Ritva hätte aber schon gern gewusst, ob Marina so eine war.

Kein Wunder, dass Marina oft nur ungern ihren Namen nannte. Und Mamas Mädchenname half ihr auch nicht weiter, weil er durch seine Vorgeschichte noch stärker belastet war.

Ihre dritte Kollegin, Camilla, war nicht angestellt, sondern über irgendeine Arbeitsmarktmaßnahme in Teilzeit eingeschleust worden. Camilla sah Marina nicht schief an, sondern freute sich offensichtlich über die beinahe gleichaltrige Arbeitskollegin und hatte ihr angeboten, sie herumzuführen. Da musste Marina dann damit herausrücken, dass sie hier zur Schule gegangen war. Camilla wollte Erinnerungen mit ihr austauschen, an Menschen von früher, aber sie war eben doch jünger, und die fünf Jahre Altersunterschied waren zu viel. Marina war erleichtert.

Besonders peinlich war es, als Ritva Marina mitten im Satz ins Wort gefallen war.

»Hallo? Du bist jetzt in Kiruna, du brauchst nicht so zu sprechen.«

Beschämt hatte Marina die anderen angesehen. Es war ja nicht so, dass sie absichtlich so sprach wie jemand aus dem Süden, doch ihr rutschten immer noch die versnobten I’s heraus, und das war es wohl, was Ritva am meisten störte.

Ihr eigener Ton und ihre Sprachmelodie waren ihr abhandengekommen. Sie erklärte, dass sie es nicht bewusst mache und dass sie sich bedauerlicherweise schnell Dialekte aneigne.

 

Heute gab es Oxjärpar. Die Kinder liebten die kleinen goldbraunen Hackröllchen mit brauner Soße. Mit den Kartoffeln war nicht viel Staat zu machen, aber Marina ließ diejenigen, deren Schale eindeutig zu blau war, heimlich verschwinden. Ritva überwachte die Essensausgabe und sorgte dafür, dass sich niemand zu viel oder zu wenig nahm, ohne den unglücklichen Kinderaugen Beachtung zu schenken.

Servicekraft in der Schulkantine. Als die Sachbearbeiterin im Arbeitsamt der Großstadt gesagt hatte, es gebe tatsächlich eine freie Stelle in einer Schulkantine zu Hause, hatte Marina nicht gezögert.

»Kantinenfrau? Den Job will ich haben.«

Die Frau – sie hatte eine Dauerwelle und brüchige Haarspitzen, die an ihre Schultern stießen – scherzte:

»Ihnen ist aber klar, dass sich Hunderte auf diese Stelle bewerben werden.«

»Vielleicht auch nicht. Wir sind ja alle in den Süden gezogen.«

Darüber hatten sie beide gelächelt, als wären sie alte Bekannte. Aber man wurde in der Großstadt mit niemandem bekannt. Nicht einmal, wenn man dort schon ziemlich genau ein Jahr wohnte. Mehr Zeit wollte sie Stockholm nicht geben. Sie war in einem regnerischen Winter hier eingetroffen, der von einem Frühling abgelöst wurde, in dem das Grün schon spross, als man zu Hause noch eisangeln konnte, dann folgten ein viel zu warmer Sommer und ein Herbst, der noch lange die Blätter an den Bäumen festhielt und nicht die kleinste Spur Schnee zeigte, als der Oktober bereits in den November überging.

Als sie im vergangenen Winter Kiruna verlassen hatte und gen Süden gefahren war, hatte sie das alles nicht wirklich durchdacht. Bei der Arbeitsvermittlung war es schnell gegangen. Eine Arbeitsstelle und ein Umzugskostenbeitrag. Eine Wohnung besorgte sie sich selbst. In der Anzeige schrieb sie, sie sei eine zuverlässige Frau aus Norrbotten, was zu einem Zimmer mit eigener Küche und Bad bei einer älteren Dame in Sollentuna führte, die allein in ihrem Haus wohnte, nachdem ihre Kinder ins Ausland gezogen und ihr Mann dorthin verschwunden war, »wo Rosen niemals sterben«, wie sie sich ausdrückte. Marina hatte der Atem gestockt. Es erinnerte sie an das Lied aus ihrer Kindheit, das ihre Mormor, ihre Großmutter mütterlicherseits, bei einem wilden Tanz auf dem Küchenfußboden im Dorf zu ihrem gemeinsamen Lied erklärt hatte.

Keiner aus ihrer Familie war zum Bahnhof gekommen, um sie zu verabschieden. Sie waren wie gelähmt von dem, was sie getan hatte. Marina hatte auf dem Bahnsteig nach ihnen Ausschau gehalten und dann die Augen zugekniffen, als der Zug an den Mietshäusern in der Bromsgatan vorüberfuhr.

 

Sie war überstürzt geflohen, in dem Glauben, es sei für immer, aber ein Jahr später wandte sie sich wieder gen Norden. Da war so ein Gefühl im Körper. Wie bei den Rentieren, hatte sie gedacht. Die wussten ebenfalls, wann es an der Zeit war, sich in Bewegung zu setzen. Wenn eine Jahreszeit in die nächste überging.

Und wieder war alles genauso schnell entschieden. Sie ließ graunasse Bürgersteige hinter sich und stieg aus dem Zug in den schallschluckenden Schnee. Auch diesmal stand niemand auf dem Bahnsteig.

Sie hatte die Stelle in der Schule bekommen. Zwar wusste sie, dass man zu Hause bestimmte Strippen ziehen konnte, um Dinge zu regeln. Leute wurden bevorzugt behandelt, weil sie zur Verwandtschaft gehörten, gemeinsam jagten oder freitags zusammen in der Sauna saßen – dass es aber auch Strippen gab, an denen eine Frau ziehen konnte, die einen Kantinenjob haben wollte, damit hatte sie nicht gerechnet.

Sie hatte die Anzeige Torbjörn gezeigt, der in dem Restaurant, in dem sie angestellt war, als Koch arbeitete, und er überraschte sie, als er sagte, er komme aus Pajala, habe in Kiruna gewohnt, und nicht nur das, er war außerdem der Cousin des Ansprechpartners in der Kommune, der damit beauftragt war, Fragen zu der Stelle zu beantworten. Also rief er dort an und empfahl Marina auf das Wärmste. Nach einer Minute wandte sich das Gespräch anderen Dingen zu.

»Ja, das war ein richtiger Lachssommer …«; »Allerdings, zur Elchjagd mit dem alten Herrn, wie immer …«; »Du hast doch sicher gehört, dass Jocke verkaufen will. Natürlich kommst du zurück nach Pajala«; »Klar, ich komme natürlich auch … haha … irgendwann«.

Ihr wurde ganz schwindlig, während sie Torbjörn zuhörte, der vor ihren Augen ein anderer wurde, als er übergangslos in den heimischen Dialekt wechselte.

»Ich hatte ja keine Ahnung«, sagte sie hinterher matt. »Dass du auch von da oben bist. Du klingst nicht so.«

»Ich bin schon vor langer Zeit dort weggezogen. Aber natürlich kann ich auch so sprechen wie normale Menschen.«

»Aber warum hast du nichts gesagt?«

Fast hätte sie ihren Entschluss bereut, vielleicht hätte Tor-björn ein Bekannter hier in der Großstadt werden können. Wenn sie nur gewusst hätte, dass sie vom gleichen Schlag waren.

Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, immer ein Zeichen von Müdigkeit. Sie hätte ihn gern gefragt, ob es ihm ebenso erging wie ihr, ob Stockholm auch ihm die Seele aussaugte. Kannte auch er die Sehnsucht nach zu Hause? Sie hatte sie so deutlich in seiner Stimme gehört.

»Was zieht dich denn zurück nach Kiruna, Marina?«

Er.

»Ich gehöre einfach nicht hierher.«

Torbjörn zuckte die Schultern und sagte, sie werde die Stelle bekommen.

»Das kannst du doch nicht wissen.«

»Doch.«

Er sollte recht behalten. »Grüß zu Hause«, sagte er, und sie reiste ab.

 

Die ersten Klassen der Unterstufe waren jetzt da und standen Schlange. Einige spähten schon jetzt ängstlich zu Ritva hinüber. Würde sie heute am Abfallbehälter Wache stehen? Ein Junge in einem grünen Rollkragenpulli machte einen Freudensprung, als er sah, was es gab. Im Flüsterton wurde die Botschaft weitergegeben, und die Kinder rückten in kleinen Schritten vor, wobei sie sich bemühten, nicht zu drängeln. Sie kannten die Regeln: zuerst das Tablett, dann das Besteck, und gleich darauf standen sie vor Marina. Sie half den Kleinen, sich Essen zu nehmen, auch wenn die das mittlerweile eigentlich selbst machen sollten.

In der Schlange stand eins von Onkel Stures Enkelkindern, ein kleines Mädchen mit glatten langen Haaren, und schaute scheu zu Marina hinüber, nur um den Blick dann genauso schnell wieder abzuwenden.

»Nur ein bisschen«, sagte sie, als sie an der Reihe war, den Blick fest auf ihr Tablett geheftet.

»Hallo. Schön, dich zu sehen. Ein oder zwei Hackröllchen?«

»Eins. Und nur eine halbe Kartoffel.«

Die unzugängliche Art des Mädchens war besorgniserregend. Marina zerteilte die Kartoffel und tat sie ihr auf den Teller. Keine Soße. Kaum eins der jüngeren Kinder wollte Soße. Das Tablett in der Hand balancierend, gingen sie weiter und schenkten sich Milch ein. Nahmen sich Knäckebrot, bestrichen es mit Butter und leckten sich die Finger ab.

Die Sonne stand novembertief vor den Fenstern, und sie hatte vergessen, wie kurz sich die Tage anfühlen konnten. Doch die Dunkelheit hatte sie noch nie bedrückt. Schwieriger war es im Frühling, wenn das Licht danach verlangte, dass man ihm glückstrahlend entgegenging.

Ritva ging an der Geschirrrückgabe vorüber, blieb stehen und überwachte das Geschehen aus der Distanz. Sie wiegte sich hin und her, als säße ihr immer noch ein Kind auf der Hüfte, wischte dann die umstehenden Tische ab, ließ den Abfallkübel dabei aber nie aus den Augen.

Marina ging in die Küche und suchte nach Vorwänden. Sie winkte Ritva zu sich und fragte unschuldig, ob sie nicht Servietten nachfüllen müssten, und falls ja, wo sie die herbekäme?

Drüben im Speisesaal scharrten Stühle über den Boden, Füße rannten um die Wette. Marina kannte die Angst, an den Tisch zurückgeschickt zu werden, um aufzuessen. Früher einmal hatte es sie getroffen.

Ritva schnaubte, »Voi herratun aika«, und eilte zurück auf ihren Posten. Marina zählte eine Handvoll Geretteter. Heute war ein guter Tag.

Wieder stand sie vor dem Spiegel und richtete ihr Huivi. Dabei erkannte sie nicht nur Ähnlichkeiten mit Mama, auch Farmor war dabei, ihre Großmutter väterlicherseits. Das war nicht immer so gewesen, sondern hatte sich mit den Jahren so entwickelt. Doch davon wollte sie nichts wissen. Farmor hätte beim Anblick ihrer Kopfbedeckung allerdings wohlwollend genickt.

Gott sei mit dir, Marina.

Kapitel 2

1978

 

Sie gingen Hand in Hand, nachdem sie sich auf dem Gehweg in der Bromsgatan hinter den Häusern in Ullspiran getroffen hatten. Mama hatte ausnahmsweise aus dem Fenster geguckt, bis Eva von dem rosa tintenfassförmigen Bläckhornhaus auf der anderen Straßenseite angelaufen kam. Beide Mädchen trugen die gleichen Rucksäcke und lange Zöpfe. Marina hatte Mama gebeten, ihr einen französischen zu flechten, und sie hatte ihr den Pony neulich bis knapp über die Augenbrauen geschnitten. Sie wollte gern so aussehen wie Eva. Die beiden waren Cousinen, ihre Väter Brüder, und sie fühlten sich wie Schwestern. Marina, die keine Geschwister hatte, war das besonders wichtig. Eva hatte zwei ältere Brüder, zwei jüngere Schwestern, einen kleinen Bruder, und ein Baby war unterwegs. Das war ungerecht, und Marina betete jeden Abend im Flüsterton und mit gefalteten Händen. LieberGott, der du die Kinder liebst.

Über die Schlussformel machte sie sich keine Gedanken, bis Eva ihr an diesem Morgen klarmachte, dass sie das aber sollte.

»Das Glück kommt, das Glück geht, Glück ist mit dem, den Gott liebt«, sagte sie ernst und erklärte, dass alle ihre Geschwister der Beweis waren, wie sehr sie geliebt wurde. Marina nuckelte an ihrem Zopf, damit sie nichts Dummes sagte.

Sie gingen in dieselbe Klasse, in die 1A an der Bolagsschule. Die Lehrerin hieß Ann-Marie, und bei ihr im Klassenzimmer stand eine Orgel. Jeder Morgen begann mit einem Psalm, den Marina und Eva mit hellen Stimmen sangen. Sie kannten alle Kirchenlieder auswendig, die die Lehrerin bisher mit ihnen gesungen hatte. Ann-Marie behauptete, sie sei zweiundvierzig Jahre alt; das Merkwürdige war nur, dass sie jedes Jahr, wenn sie sie nach ihrem Alter fragten, immer zweiundvierzig blieb. Sie war streng und schnaubte verärgert über schlechten schriftlichen Ausdruck. An manchen Tagen schenkte sie ihnen exotische Früchte und brachte den Kindern bei, sich zu bedanken, wenn ihnen etwas angeboten wurde. Zu sagen, dass man etwas nicht mochte, war nicht erlaubt.

»Was hast du nur für eine Kinderstube, Mädchen!«

Die Lehrerin goss Saft ein und Marina sagte: »Stopp.«

»‚Stopp‘ sagt man nicht, ‚Danke‘ heißt das!«

Doch Ann-Marie mochte die christlichen Mädchen, sie sagten keine Schimpfwörter und waren fleißig. Marina hatte gehört, dass sie sie anderen Lehrerinnen gegenüber die christlichen Mädchen nannte, und Marina wusste nicht, ob sie das richtigstellen sollte. Außerdem gehörten sie und Eva ja auch zusammen, sie gingen immer untergehakt und spielten oft Reiten. Marina hatte eigentlich Angst vor Pferden, doch solange sie nur spielten, rannte sie in den Pausen mit Eva und den anderen Mädchen wiehernd um die Wette.

»Du und ich, wir sind beste Freundinnen«, sagte Eva, und davon wurde Marina im ganzen Körper warm und weich. »Darum wollen wir immer alles gleich machen.«

Die Donnerstage waren für Eva immer ein Problem. Da hatten sie in der letzten Stunde am Nachmittag Sportunterricht, der sündig sein konnte. Eva zog sich vor den anderen nicht um, sondern schloss sich dafür auf dem Klo ein. Sie wurde ganz blass im Gesicht, als Ann-Marie verkündete, dass sie »Reise nach Jerusalem« spielen würden. Das bedeutete Musik, und die war nicht erlaubt.

Da Marina auch zu den christlichen Mädchen zählte, durfte sie mit Eva in den Kraftraum gehen, während die anderen jedes Mal, wenn die Musik unterbrochen wurde, versuchten, sich möglichst schnell auf einen der wenigen übriggebliebenen Stühle zu setzen.

In dem fensterlosen Kraftraum, wo es dunkel und muffig war, stemmten sie Hanteln. Marina versuchte, sich nicht zurück in die Turnhalle zu sehnen. Sie setzte sich in ein Gerät, mit dem man die Beinmuskeln trainierte, und drückte die Gewichte mit möglichst viel Kraft von sich weg.

»Jetzt spielen wir Brennball. Jetzt könnt ihr rauskommen!«

Das rief Nicke, der den Kopf zu ihnen hereinsteckte, Eva eine Hantel aus der Hand riss und sie mehrmals über den Kopf hob.

»Scheißleicht!«

Marina warf treffsicher und wich geschickt den weichen Bällen aus, die über die gekippten Bänke flogen. Eva wollte sofort getroffen werden, um auszuscheiden, damit sie sich hinsetzen konnte.

Nicke gewann, obwohl man niemandem den Ball an den Kopf werfen durfte.

Anschließend machte Marina im Umkleideraum ihren Zopf auf und ließ sich die lockigen Haare ins Gesicht fallen. Sie freute sich, wenn die Mitschülerinnen ihre Wellen anfassen wollten. Holte eine goldfarbene Haarspange heraus, die sie am Morgen ins Seitenfach ihres Rucksacks gesteckt hatte, fasste einen Teil ihres Haars seitlich zusammen und steckte es über dem Ohr fest. Die Spange glänzte. Eva kam aus der Toilette und schaute sie lange an.

Auf dem Heimweg hielt sie Marinas Hand nicht. Es nieselte, und bevor sie die Bromsgatan erreichten, hatten sich ihre Filmstarwellen in ihr übliches glattes dunkelbraunes Haar aufgelöst.

»Macht nichts. Ich flechte es wieder«, sagte Marina. »Morgen habe ich dann wieder Wellen.«

Sie hoffte, dass Eva auch gern so aussehen wollte, doch die bekam, als sie sich verabschiedeten, kaum den Mund auf und sauste weg wie ein Berglemming.

Marina rannte zum Hof von Hausnummer acht, zu den Schaukeln. Zu dieser Tageszeit waren sie meist frei. Sie stellte sich mit einem Fuß auf den rechten und mit dem anderen auf den linken Rand des Gummireifens und holte Schwung, bis sie schnell in die Höhe flog. Die Ketten fühlten sich an den Händen kalt an. Das Wasser, das sich nach dem Regen in der Nacht im Reifen gesammelt hatte, spritzte sie nass. Als sie kurz davor war, sich zu überschlagen, stellte sie beide Füße auf den vorderen Teil und sprang ab. Landete mit einem Plumps im Sand. Zog mit ihrem Clog einen Strich und lief schnell zurück. Das konnte gut und gerne ihr bisher weitester Sprung gewesen sein. Als sie noch einmal absprang und ein paar Zentimeter weiter landete, ertönte Mamas Stimme.

»Marina! Komm rein!«

Sie guckte zum Balkon im zweiten Stock hoch, wo Mama mit verschränkten Armen stand. Mit Clogs durfte man nicht von der Schaukel springen, weil man sich dann die Füße verstauchte, darum war Mama jetzt bestimmt sauer. Marina schnappte sich ihren Rucksack, lief zur Haustür und nahm dann drinnen auf der Wendeltreppe immer zwei Stufen auf einmal. In der Wohnung schleuderte sie ihre Clogs von den Füßen, hängte ihre Jacke auf und ging in die Küche. Die Balkontür stand offen, und Zigarettenrauch wehte ihr entgegen. Meistens rauchte Mama nur, wenn sie nervös war. Eigentlich hatte sie aufgehört.

Marina öffnete den Kühlschrank und nahm sich Milch. Mama tat, als würde sie von dem Rauchgeruch, den sie mit in die Wohnung brachte, nichts merken.

»Warum hattest du die in der Schule drin?«

Die Milch war eiskalt, Marina trank kleine Schlucke und überlegte gleichzeitig, was sie falsch gemacht hatte.

»Die Haarspange. Wir haben doch gesagt, die ist nur für besondere Anlässe. Und warum hast du den Zopf aufgemacht, der war doch so schön?«

Marina wartete schweigend auf die Fortsetzung.

»Helmi hat angerufen«, sagte Mama schließlich. »Du weißt, wie sie ist.«

Es zwickte im Zwerchfell. Zuerst fühlte es sich wie ein Schmetterling an, und dann brannte es.

»Trag die Haarspange nicht in der Schule und lass den Zopf den ganzen Tag drin. Ist doch lustig, dass ihr so ähnlich ausseht, du und Eva, oder?« Mama lächelte ein wenig und berührte unbeholfen Marinas Schulter. »Möchtest du ein Butterbrot?«

»Aber jetzt behalte ich die Spange an.«

»Zu Hause kannst du machen, was du willst.«

Marina schob die Unterlippe vor. Das stimmte nicht. Wenn Onkel Sture und Helmi zu Besuch kamen, galten andere Regeln.

»Wollen wir Eva anrufen und sie fragen, ob sie später zum Spielen rüberkommen will?«

Sie schüttelte den Kopf, war lieber allein. Die Spange war nach unten gerutscht, sie nahm sie heraus und riss sich dabei ein paar Haare aus. Es ziepte. Sie befestigte sie wieder, hoch und fest.

Klatschtrine geht in jedes Haus, trinkt alle Tassen aus, aus, aus.

Kapitel 3

1998

 

Die Wohnung lag auf der falschen Seite der Stadt. Dies waren nicht die Straßen ihrer Kindheit, nicht die Orte, die ihr etwas bedeutet hätten, aber sie wohnte seit 1995 hier und hatte sich eingelebt. Die Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss eines älteren gelben Holzhauses mit orangem Dach und hübschen weißen Schnitzarbeiten rund um die Fenster lag ganz am Ende vom Hjalmar Lundbohmsvägen. Während sie im Süden gewesen war, hatte sie sie der Tochter eines Nachbarn vermietet. Die Wohnung war hübsch und hatte Aussicht in alle Richtungen, zum Festlokal Petsamo, zum Loussa-Konsum und, wenn man sich ein wenig anstrengte, zum Slalomhang. Sie hatte helle Tapeten und hohe Decken, knarrende Fußböden, die Küche war vielleicht eine Ahnung zu klein, aber Marina aß sowieso meistens im Wohnzimmer vor dem Fernseher.

Die Mitarbeiterin des ambulanten Pflegedienstes, die immer die Dame in der Wohnung über ihr besuchte, war Christin und gehörte derselben Fraktion innerhalb der Bewegung an wie Onkel Sture und Helmi, und wenn sie draußen vorbeiging, reckte sie immer ihren Hals, um in Marinas Wohnung hineinschauen zu können. Vor ein paar Tagen waren sie sich im Treppenhaus begegnet, hatten einander wiedererkannt und beide ruckartig den Kopf abgewandt. Hatten einander kalte Schultern gezeigt. Die Frau war mit Eva auf dem Gymnasium, wo sie das Pflegeprofil gewählt hatten, in dieselbe Klasse gegangen. Hatte sie nicht irgend so einen Doppelnamen gehabt? Auf jeden Fall kam sie aus Kuttainen. Sie stampfte die Treppe hinauf, sodass ihr geflochtener Zopf gegen ihren Rücken schlug. Bei einer erwachsenen Frau sah so ein langer, dünner Zopf doch ein bisschen geschmacklos aus. Die Pflegerin hatte wohl auch einen schnellen Blick auf Marinas Kupferlocken geworfen. Über irgendetwas ließ sich ja immer tratschen. Sie würde keine Zeit verlieren. Die Nachricht, dass Marina wieder da war, würde die Telefondrähte zu den umliegenden Dörfern zum Glühen bringen. Falls man überhaupt bemerkt hatte, dass sie ein Jahr lang fort gewesen war. Es wäre wohl anmaßend, das zu glauben. Gleichzeitig wäre Marina erleichtert, wenn möglichst wenige wüssten, was geschehen war.

 

Sie schloss die Tür ab und zog dreimal an der Klinke. Schon Freitag heute, die erste Arbeitswoche war schnell vorübergegangen. Sie würde den ganzen Weg zur Arbeit zu Fuß gehen. Das Auto hatte sie noch nicht angerührt, seit sie wieder hier war. Die Batterie war nach der langen Zeit, die der Wagen vor dem Haus geparkt stand, wahrscheinlich noch störrischer geworden. Außerdem wollte sie auch gern einen Spaziergang machen, obwohl es ein weiter Weg war. Sie brauchte den Rhythmus ihrer Schritte, damit ihre Gedanken aufhörten, sich im Kreis zu drehen.

Es war naiv gewesen, zu glauben, dass sie so ohne Weiteres an ihre alte Schule zurückkehren könnte. Einige ihrer ehemaligen Lehrer arbeiteten immer noch dort, aber sie bestätigten ihr nur ihre Unsichtbarkeit. »Sind Sie wirklich in meine Klasse gegangen? Ich erinnere mich doch sonst immer an alle meine Schüler.«

Sie ging unter den Straßenlaternen entlang, die wegen der morgendlichen Dunkelheit immer noch eingeschaltet waren, vorbei am Rosa Kiosk und an Östlunds Lebensmittelladen, und sah dabei das Bergwerk vor sich. Es war sehr raumgreifend und von fast überall in der Stadt aus sichtbar. Als Marina klein war, hatte sie in den Absätzen der Halde gigantische Treppenstufen für Riesen gesehen. Und manchmal einen Adler, der seine Schwingen ausbreitete.

Das Bergwerk nahm und gab im selben Atemzug. Es hatte den halben Luossasee verschluckt und grollte unter ihren Füßen, war wahrscheinlich noch lange nicht satt.

Die Bolagsschule war die Schule, die dem Bergwerk am nächsten lag, und hatte keinen besonders guten Ruf, während die Högalidschule, oben auf einem der Hügel, als feiner galt. Davon hatte sie als Kind jedoch keine Ahnung gehabt. Sie hatte weder die Villen in der Umgebung der Högalidschule noch das Mietshaus, in dem sie aufgewachsen war, als Zeichen der sozialen Stellung wahrgenommen. Alles war schließlich Kiruna, alle waren gleich. Daran hatte sie damals nie einen Gedanken verschwendet, eigentlich erstmals im Restaurant in Stockholm, als sie sich in einem schwachen Moment mit einem Gast unterhalten hatte, der nach der abendlichen Schließung noch im Lokal saß. Es war ein freundlicher älterer Herr mit schief sitzender Fliege, der immer sonntags kam. Er hatte sich interessiert nach ihrer Herkunft erkundigt, und sie erzählte ihm, dass ihr Vater Bergarbeiter sei und ihre Mutter in einem Schuhgeschäft arbeite. Er war entzückt und sagte, sie entstamme der echten Arbeiterklasse. Und sie hatte nicht gewusst, ob sie beleidigt oder stolz sein sollte.

Jetzt ging sie schneller, kam am Rathaus mit seiner Reihe erhellter Fenster und dem Glockenturm mit goldenem Zifferblatt vorüber. Das Gebäude war ein Postkartenmotiv und der ganze Stolz der Stadt.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag die Bibliothek, ein Ziegelbau mit grünem Blechdach, der damals in ihren kindlichen Fantasien mit seiner breiten Steintreppe und den Sprossenfenstern ein Gutshaus gewesen war. Sie war schon oft dort gewesen, zuerst mit Mama und später allein.

Aber Erwachsene lasen keine Bücher. Das braun furnierte Bücherregal in der Bromsgatan war ein Platz für Fotos und Nippes aus Porzellan, Zinn und Keramik. Nie hatte sie Mama oder Papa mit einem Buch in der Hand gesehen. Kein Erwachsener käme wohl jemals auf so eine Idee. Wann sollte Mama dafür auch Zeit haben? Sie kochte, putzte und wusch, und Papa war nach den Wechselschichten, die seinen Tagesrhythmus durcheinanderbrachten, chronisch übernächtigt. Irgendjemand musste schließlich auch das Auto betanken, Fahrräder aufpumpen und den neuen Fußboden in der Hütte verlegen.

In der Schulbibliothek hatte sie ihren Fantasien nicht nachhängen können, nicht vor aller Augen. Man musste so sein wie alle, auch wenn sie ein wenig auffiel, weil sie von allen die meisten Bücher auslieh. Bis sie sich nicht mehr damit brüsten konnte, Stapel ausgeliehener Bücher zum Klassenzimmer zu balancieren und sie schneller durchzulesen als alle anderen.

Trotzdem war es auch schön, wieder in der Bolagsschule zu sein, wie sie sich einzureden versuchte. In der Bolkki, Bolags, Bolack. Auch wenn sie nur in der Kantine arbeitete. Die Bibliothek wäre etwas anderes gewesen, doch bislang hatte sie einen Bogen darum gemacht, denn was wäre, wenn es nicht mehr so war wie in ihrer Erinnerung? Welche Erinnerungen waren dann echt? Und außerdem gab es auch Dinge, an die sie sich nicht erinnern wollte.

In der Bibliothek waren mehrere Klassenfotos aufgenommen worden. Ein unruhiger Hintergrund, hatte Mama gesagt, und Marina hatte nie verstanden, was sie damit meinte. Die Bibliothek war ja im Gegenteil ein Wunder an Präzision, mit gleichmäßig, alphabetisch geordneten Buchrücken.

Jetzt ging sie wieder durch die Straßen ihrer Kindheit und schaute zu Stures und Helmis Haus hinüber, dessen Fenster alle erleuchtet waren. Als Kind hatte sie Eva beneidet, die in einem rosa Haus aufwachsen durfte, das einer Barbie würdig gewesen wäre. Natürlich hatte Eva keine Barbie besessen und sich auch geweigert, mit Marinas zu spielen.

An der Schougatan nahm sie die Abkürzung durch die in den Schnee getrampelte Spur und hielt Kurs auf den Mietkomplex Jerusalem. An dem Giebel, von wo aus man die roten Ziegelgebäude in der Bromsgatan mit ihren grünen und blauen Balkonen sah, hatte sie damals mit Eva spioniert. Dort blieb sie jetzt stehen.

Sie hätte Mama und Papa besuchen sollen. Oder zumindest anrufen. Ihnen sagen, dass sie wieder hier war. Zwischen den Häusern hindurch erkannte sie die Teppichstange, an der sie als Kind mit der Zunge festgefroren war. Sie stand mit schlaff herabhängenden Armen und angespanntem Bauch da. Was, wenn Mama jetzt aus dem Haus käme, einen Stapel Teppiche unter dem Arm? Würde sie Marina in so großer Entfernung winken sehen? Und ihr zurufen, sie solle herüberkommen?

Enná.

Das war ein ungesprochenes Wort. Nicht verboten – es existierte nur einfach nicht.

Im Süden hatte sie angefangen, hin und wieder an Mama als Enná zu denken, ohne jedoch das Wort in den Mund zu nehmen. Wenn sie sich besonders rastlos fühlte und einen Spaziergang rund um den Norrviken machte, sich nach Wald und Wasser sehnte und nichts sich richtig anfühlte, hatte sie in ihrem Kopf immer und immer wieder das Wort Enná gehört. Als sie es schließlich doch probierte, als sie dort am Ufer, wo Vögel schwammen, die es zu Hause nicht gab, halblaut Enná zu sich selbst sagte, klang es hoffnungslos hohl. So bald würde sie es nicht noch einmal versuchen.

Stattdessen quälte sie sich selbst, hörte Stimmen und Dinge, die nie gesagt worden waren, und fragte sich, ob Mama sich gewünscht hatte, Enná sein zu dürfen.

Es existierte ein Foto von Marina und ihrer kleinen Schwester Jessika in roten Kolts und weißen Schals mit kurzen Fransen, aufgenommen bei einem richtigen Fotografen und mit dem Borg-Mesch-Stempel in der rechten unteren Ecke. Jessika konnte damals noch nicht laufen, und Marina war acht Jahre alt. Sie war stolz darauf gewesen, endlich eine kleine Schwester zu haben, mit der sie fotografiert wurde. Aber ausgerechnet dieses Bild wurde zu Hause nie aufgestellt. Stattdessen andere Fotos, wie jenes, das die Mädchen in gleichartigen grünen Samtkleidern und mit unsicherem Lächeln zeigte. Sie konnte sich nicht erinnern, nach diesem Fototermin irgendwann noch einmal einen Kolt getragen zu haben, und außerdem waren die Kleider von Verwandten geliehen gewesen.

Ja, Stockholm hatte Dinge in ihr aufgewühlt, die man lieber hätte ruhen lassen sollen. Man hätte denken können, dass eine Stadt, die immer in Bewegung war, die zu laut war und beengend, den Gedanken keinen Raum lassen würde. Und natürlich hatte der Versuch, mit allen anderen Schritt zu halten, sie ermüdet, aber da war ein Beben in ihrer Brust, eine Unruhe, die es ihr unmöglich gemacht hatte, stehen zu bleiben. Zu Hause in Kiruna hatte sie niemals so viel gegrübelt, und sie musste dorthin zurück, um ruhig zu werden. Es war leicht, sich etwas einzureden oder sich selbst zu belügen. Denn natürlich ging es um mehr als nur darum, Mama Enná nennen zu dürfen.

Der ältere Herr im Restaurant hatte sie eine Weile beobachtet und sich dann erkundigt, ob sie Samin sei. Ungeniert hatte er sie angestarrt und war den Konturen ihres Gesichts und der Form ihrer Augen gefolgt. Ja, erklärte er ihr, als sie zögernd eingestand, dass er recht hatte, man sehe es ihr an. Es folgten Fragen, auf die sie keine Antwort hatte, und er war fast ein wenig aufgebacht, weil sie nicht mehr über ihr eigenes Volk wusste. Dann schien er enttäuscht zu sein, weil sie weder Rentiere besaß noch joiken konnte. Und sie hatte das Gefühl gehabt, ihm erklären zu müssen, dass ihre Familie durchaus Rentiere hatte, auch heute noch. Sie war selbst erstaunt, dass es ihr so wichtig war, ihm etwas zu beweisen, das sie in ihrer Heimatstadt niemals laut sagen würde.

Das Grübeln, das Stockholm in ihr ausgelöst hatte, hatte sie bis nach Hause verfolgt und würde wohl nicht so schnell wieder aufhören, wenn überhaupt jemals. Und jetzt war es wieder so weit, dass sie fürchtete, dieselbe Sache immer und immer wieder gedanklich durchzukauen.

Sie ging am Jerusalem vorbei und sah in der Ferne die Bolagsschule. Sie machte winzige Schritte, um nicht zu früh da zu sein. Bemühte sich, die Gedanken loszulassen.

Dennoch.

Mama sollte Enná sein, und Mormor sollte Áhkku sein.

Dieser Gedanke war es, der ihre Grübeleien immer wieder anschob, und sie konnte sie nicht zum Stillstand bringen, auch heute nicht. Sie hatte immer gedacht, Mormor heiße Enná und Morfar, ihr Großvater mütterlicherseits, heiße Ísa. So nannte Mama sie schließlich. Und als Kind im Dorf hatte sie es Mama nachgemacht, hatte nach Ísa gerufen, wenn er draußen auf dem Hof war. Niemand hatte sie korrigiert. Irgendwann wurde eine lustige Anekdote daraus, dass sie geglaubt hatte, Ísa sei sein Name. Am Ufer des Norrviken war ihr bewusst geworden, dass es alles andere als lustig gewesen war. Warum hatten sie sie nicht berichtigt? Sie erinnerte sich noch an das Gelächter, wenn sie nach Ísa rief. Das Gelächter, das sie in sich aufgesogen hatte wie den Sonnenschein. Sie dachte, sie sei ihre Sonne. Hatten sie es ihr irgendwann erklärt, oder ließen sie sie in ihrem Glauben, bis sie selbst ihren Irrtum erkannte?

Ísa war ihr entglitten, wurde nicht mehr ausgesprochen, und dann war er irgendwann einfach Morfar. Nicht einmal »Moffa«. Streng und ohne weiche Rundungen. Morfar. Schwedisch.

Farmor war im Cousinenkreis »Fammo«. Und Farfar – ihr Großvater väterlicherseits – war »Faffa«. Das ließ die Weichheit in den Worten hervortreten. Obwohl es eigentlich umgekehrt hätte sein müssen, wenn man bedachte, was sie für sie bedeuteten. Sie wusste nicht, warum es so geworden war. Als sie klein war, vermischten sich die Sprachen miteinander, und kein Kind konnte sagen, was was war. Einige Sprachen durfte man nicht überall und mit allen Menschen sprechen. Man gewöhnte sich daran. Passte sich an. Entwickelte Antennen für jede Situation. Man wurde älter und glaubte, man hätte es sich selbst so ausgesucht. Man wurde schwedisch.

 

Sie war bei ihrer Arbeitsstelle angekommen. Gleich würde sie ihr Huivi umbinden und das Essen in große Bottiche füllen. Das versprach immerhin eine Weile Ruhe im Kopf. Ritva und Jaana würden so miteinander sprechen, dass sie sie nicht verstand. Papa hatte immer gesagt, im Bergwerk sei es genau dasselbe, überall Finnisch. Von Haus aus sprach er Meänkieli, doch ging auch er zurückhaltend mit dieser Sprache um. Aber er redete nie darüber, darüber redete man einfach nicht.

Sie legte die Hand auf den Türgriff und schaute gleichzeitig nach rechts durch das Fenster in die Kantine. Camilla winkte. Quietschend schloss sich die Tür hinter ihr, sie atmete den stechenden Geruch der Gummimatte ein und trat in den Flur mit dem Steinfußboden. Mädchen im Teenageralter mit einem Make-up, das die morgendliche Müdigkeit nicht kaschieren konnte, überholten sie, sich lautstark unterhaltend. Natürlich war sie unsichtbar. Die Mädchen dufteten nach Haarspray und süßem Kaugummi. Der Flur war lang, und sie liefen bis zu seinem Ende, von wo sie nicht mehr zu hören waren. Dort lag das Café Smulan. Wieder zerging ihr der Helgolandskuchen auf der Zunge. Damals hatten sie Dreieck dazu gesagt.

Kapitel 4

1979

 

Farmor stand mit einem glatten Zehn-Kronen-Schein in der Hand vor ihr im Flur. Schaute traurig drein und schmollte.

»Niemand umarmt Fammo. Wenn du Fammo umarmst, kriegst du einen Zehner.«

Ihre Stimme wurde immer weinerlich, wenn sie sich so aufführte. Manchmal tat sie auch, als würde sie wirklich weinen, bedeckte die Augen mit den Händen und gab leise Klagelaute von sich. Kinder wissen nicht, wie man weinende Erwachsene tröstet. Aber Marina hatte gelernt, ein paar Schritte auf sie zuzugehen und sich von Farmor einfangen zu lassen, die ihr dann die feuchten Lippen auf die Wange drückte und sie mit einem lauten Schmatzer küsste. Dazu eine Umarmung, die sich zu eng anfühlte, unbeholfen und schnell vorbei war. Der nasse Kuss landete eher auf Marinas Schläfe als auf ihrer Wange und war so aber besser auszuhalten. Sie bekam ihren Zehner und steckte ihn in die Tasche ihrer dunkelgrünen Cordhose. Farmor war der Meinung, in einem Rock würde sie hübscher aussehen, und versprach, ihr einen zu nähen.

»Du hast jetzt keine Zeit mehr zum Umziehen, aber das solltest du eigentlich«, sagte sie, obwohl sie dabei Mama anschaute.

Farmor trug wie üblich ihren langen schwarzen Rock, eine beige Bluse, einen schwarzen Mantel und ein Kopftuch. Sie hatte beschlossen, mit Marina und Eva zu Fuß zur Kirche zu gehen, und Marina wurde zuerst abgeholt. Da Jessika noch ein kleines Baby war, brauchte sie nicht mitzukommen. Aber so ein großes Mädchen wie Marina, die schon stillsitzen konnte, musste machen, was sich für große Mädchen eben gehört. Mama hatte skeptisch ausgesehen und angeboten, sie beide zu begleiten.

»Jetzt will ich mal mit Marina zusammen sein«, sagte Farmor. »Und du kannst bei Jessika bleiben und dafür sorgen, dass du dich ausruhst, wenn die Kleine schläft. Ich sehe doch schon von Weitem, dass dir die Schultern wieder wehtun.«

Marina wusste, dass Mama vorhatte zu backen, während ihre kleine Schwester schlief, und wenn Farmor das gewusst hätte, hätte sie sie am Schlafittchen mitgeschleift.

Langsam stiegen sie die Treppe nach unten. Farmor war wegen ihres schwächlichen linken Beins gezwungen, die Stufen wie ein Kind mit Doppelschritten hinunterzugehen. Daran war sie gewöhnt, beschwerte sich nie und schnaufte nicht einmal, wenn sie draußen ankamen. Stattdessen starrte sie eine Nachbarin an, die große Wäschesäcke an ihnen vorbeischleppte.

»Am Ruhetag lauscht man nur Gottes Wort«, sagte sie zu Marina, laut genug, dass die Frau es hörte, doch die verzog keine Miene.

Im Körper kribbelte es unangenehm, fast so, wie kurz vorm Weinen. Sie wollte eigentlich nicht in die Kirche gehen, aber Farmor interessierte das nicht. Sie behauptete, sie müsse hin, weil Gott sich nach ihr sehne.

Eva stand schon vor ihrem Haus, ihr pastellgelber Rock flatterte im Wind, heute hatte sie zwei Zöpfe. Marina hatte einen, der ihr bis über die Schulterblätter fiel. So lange Haare hatte sie noch nie gehabt. Als Eva ihnen lächelnd zuwinkte, waren ihre Halsschmerzen wie weggeblasen, und sie rannte Farmor voraus. Nach der Kirche sprangen sie seil, knoteten eine lange Wäscheleine mit dem einen Ende ans Teppichgestell und wechselten sich beim Hüpfen ab. Es kamen immer andere Kinder dazu, weil sie mitmachen wollten, genau wie in der Schule, und dann konnten sie die Leine losbinden und besser springen.

Eva zog die Oberlippe hoch.

»Guck mal, mir ist ein Zahn ausgefallen.«

Da Marina nicht schlechter dastehen wollte, zog sie an ihrer Unterlippe.

»Und mein Zahn kommt bald raus.«

Farmor nahm sie beide an die Hand, obwohl sie sich zu groß dafür fühlten; sie gingen den Bamsebacken hoch, über die Hauptstraße, weiter am Kiosk vorbei und kamen kurz danach an der Gula Raden, der gelb gestrichenen Holzhäuserzeile, vorbei. Farmor erkundigte sich nach der Schule und fragte, ob Ann-Marie mit ihnen Kirchenlieder sang, und machte ein zufriedenes Gesicht, als Marina und Eva nickten.

»Der Herr ist gut zu denen, die auf ihn warten, zu der Seele, die ihn sucht.«

Das blieb unbeantwortet. Wie immer war es schwierig, diese christlichen Dinge zu verstehen und zu wissen, was man darauf sagen sollte.

»Ich will, dass du öfter mit Eva in die Kirche gehst. Ihnen macht das so viel Spaß, all den Kindern. Oder, Eva?«

Ihre Cousine nickte eifrig, und Marina wollte fragen, was da so viel Spaß machte. Der Sommer lag in der Luft, und sie dachte lieber an die Sommerferien in der Hütte oder im Dorf bei Mormor und Morfar. In den Birkenwäldern wollte sie mit ihren Cousinen herumlaufen, die nicht in die Kirche gingen. Zum Badestrand fahren, nach Stichlingen suchen und in den eisigen Strömungen des Flusses baden. Eva konnte doch stattdessen dabei mitmachen.

»Ich habe deiner Mutter gesagt, dass du diesen Sommer zu einer großen Gemeindeversammlung mitkommst.«

»Oh ja, komm mit, Marina. Das macht so viel Spaß.« Eva machte vor Freude einen Luftsprung.

Ohne Mama, Papa und Jessika wollte sie nirgendwohin weit wegfahren. Sie schluckte und sagte kein Wort. Hatte Mama das wirklich zugesagt?

Beim Centralgård bogen sie den Hügel hinauf ab, und bald war die rote Holzkirche zu sehen, die, umgeben von Birken und Ebereschen, hoch in den Himmel ragte. Große Familien gingen in geschlossenen Gruppen, die Frauen mit Kopftüchern und die Männer im guten Anzug mit blank geputzten Schuhen. Als Marina die Kolts sah, schaute sie besonders genau hin. Konnte das da Mormor sein? Farmor hatte gesagt, sie hätte Mormor ein paarmal bei deren Versammlungen in der Kirche gesehen. Sie hatte ein wenig die Lippen gekräuselt. Es war schwer zu verstehen: dass es anscheinend nicht wirklich gut war, obwohl man in die Kirche ging.

»Christlich kann man auf verschiedene Weise sein«, hatte Mama erklärt.

Das verstand sie. Farmor war in dem Punkt streng, und bei Mormor war es, als gäbe es Gott gar nicht.

Farmor ließ ihre Hand los, weil sie stehen blieb, um sich mit einer älteren Frau zu unterhalten, die von Kopf bis Fuß Schwarz trug. Beide hatten Tränen in den Augen, und Marina schaute weg. Hoch zur Kirche mit ihren großen goldenen Skulpturen auf dem steil abfallenden Dach. Dass sich ein Mann in der Waffenkammer erhängt hatte, daran wollte sie nicht denken, tat es aber doch, immer wenn sie hier war. Evas ältere Brüder hatten ihnen Angst eingejagt mit einer ausführlichen Erklärung, was für eine unglaubliche Sünde es war, sich das Leben zu nehmen. Und das auch noch in der Kirche zu machen, war so abscheulich, dass die Erwachsenen kaum darüber sprechen konnten. Dass er in der Hölle schmorte, stand ohne Zweifel fest.

Zwischen den dünnen Birken auf dem Kirchhügel standen vier Mädchen zum Weitsprung von einem Stein aus an. Eva strahlte und zog Marina mit sich zu ihnen. Springen konnte sie! Richtig weit sogar. Also stieg sie auf den Stein, stieß sich ab und flog am weitesten. Eines der Mädchen beschwerte sich, dass das Springen für sie schwieriger war, weil sie Röcke trügen, aber sie sagten ihr lächelnd, sie sei supergut. Sie sprangen immer wieder, und bald hatte Marina den Grund vergessen, warum sie eigentlich dorthin gekommen waren. Doch als die riesige Glocke zu läuten begann und Farmor sie von der Tür aus zu sich winkte, verzog sich auch die Sonne hinter die Wolken. Marina hielt das für ein schlechtes Zeichen, aber das durfte man nicht laut aussprechen.

Sie fanden Plätze in der Mitte der Kirche, ganz dicht am Gang. Die Holzbänke fühlten sich rutschig wie Seife an, und bequem zu sitzen, war schwierig, wenn die Füße den Boden nicht berührten.

»Wie geht es Helge?«, flüsterte jemand in der Bankreihe Farmor zu, die kurz zusammenzuckte.

»Besser, er ist aber nicht in der Lage, herzukommen.«

»Ist die Operation gut verlaufen?«

»Schon, aber er ist noch schwach.«

»Wir beten weiter für ihn.«

Sie gaben sich unter Tränen lächelnd die Hand. Farmor hatte oft gesagt, dass hinter Farfar eine ganze Gemeinde stand. Aber wenn Gott ihn nun heimrufen sollte, dann war das Sein Wille. Christen schienen keine Angst vor dem Tod zu haben, jedoch hatten sie große Angst davor, zu Lebzeiten Fehler zu begehen. Und vor allem konnten sie wütend werden, wenn man nicht gehorchte.

Mama klang immer schlecht gelaunt, wenn sie Papa sagte, dass sie beide nicht so viel auf Farmors und Stures Meinung geben sollten.

»Wir sind nicht christlich, Alfred.«

Trotzdem forderte sie Marina auf, keine Musik anzumachen, wenn Sture und Helmi bei ihnen zu Besuch waren. Stattdessen mussten sie sich anhören, wie Sture versuchte, Papa davon zu überzeugen, dass es besser sei, wenn man christlich war. Er sprach dabei mal mit sanfter und mal mit harter Stimme, und manchmal brachte er die Bibel mit, weil er ihnen laut daraus vorlesen wollte.

Sture erinnerte auch gelegentlich daran, dass er in jungen Jahren Papa das Leben gerettet hatte. Sie waren mit einem Boot hinausgefahren, um ein Netz einzuholen, als Papa ins Wasser fiel und fast ertrunken wäre. »Aber«, sagte Sture, »ohne Gottes Hilfe hätte ich es nie geschafft, dich rauszuholen, Alfred.« Bei dieser Vorstellung lief Marina ein Schauer über den Rücken; ohne Sture wäre Papa tot – und sie würde es gar nicht geben.

Andere kamen zu Farmor, legten ihr eine Hand auf die Schulter und sprachen ihr Gottes Segen zu. Marina beobachtete ihr Gesicht, das sich mit jedem Menschen, der ihr mit Gottes Güte Trost spendete, aufhellte.

Sie kramte in ihrer schwarzen Handtasche.

»Hier, Mädchen, Süßigkeiten.«

Marina bekam Weingummi und beäugte neidisch Evas Himbeerbonbons.

Die mächtige Orgel mit den stahlgrauen Pfeifen ertönte, und Marina hielt die Luft an. Etwas regte sich in ihrer Brust, sodass ihre Unterlippe zu zittern begann. Die Mädchen, mit denen sie von dem Stein abgesprungen waren, saßen in der Reihe vor ihnen und drehten sich ab und zu lächelnd um. Evas Gesicht war so hell wie Farmors. Doch die Musik, die durch die Kirche dröhnte, brachte Marina wieder den Tränen nahe.

Das Altarbild, auf dem ihre Augen sonst ruhten, um Trost zu finden – sie hatte gelernt, sich in der Fantasie auszumalen, was sich dort hinter den Bäumen unter den Sonnenstrahlen abspielte –, half ihr jetzt überhaupt nicht. Auch nicht der Gedanke, dass ein Prinz das Bild gemalt hatte. Sie versuchte trotzdem, sich vorzustellen, wie der Prinz ausgesehen hatte, ob er eine Krone getragen hatte. Und wie war er überhaupt da oben hingekommen?

Als der Prediger davor warnte, wie leicht Satan von den eigenen Gedanken Besitz ergreifen und Begierden wecken konnte, drückte sie sich an Farmor und flüsterte, sie müsse pinkeln. Farmor ließ sie gehen, und der dicke rote Teppich, der zur Ausgangstür lief, dämpfte ihre Schritte. Er war gefährlich, denn er verführte sie dazu, jemand anderes zu werden. Und wenn es einen Ort gab, an dem man nicht davon träumen durfte, Schauspielerin zu sein, dann war es dieser hier.

Die Schwingtür ließ sich mit einem leichten Stoß öffnen, sie stand in der dunklen Waffenkammer und versuchte, an etwas anderes zu denken als an Satan und die Möglichkeit, dass er ihre unreinen Gedanken gehört haben könnte. Sie wusste nicht, was schlimmer war: dass Satan oder Gott ihre Gedanken belauschte.

In der Toilette stank es, und es kam kaum Pipi. Beim Händewaschen schaute sie in den Spiegel, suchte das helle Leuchten, das Farmor in den Augen hatte.

Die anklagende Stimme des Predigers drang durch Wände und Türen, sie musste raus. Kehrte voller Angst in die Waffenkammer zurück, dass der Erhängte dort herumspukte. Drückte die schwere schwarze Eingangstür auf und stand draußen auf der Kirchentreppe. Ließ sich vom Wind abkühlen, bis sie zitterte. Die Stadt war jetzt grau, die Wolken hingen tief, und es roch nach Regen.

Die Eingangstür ging wieder auf, und da stand Eva mit strengem, erwachsenem Gesichtsausdruck und sagte, sie müsse wieder reinkommen.

»Bist du nicht ganz klug?«, sagte sie.

Das erinnerte Marina an Madita. Sie liebte es, Madita zu lesen, und Mama hatte gesagt, dass im Herbst im Fernsehen eine Serie zur Bücherreihe kommen würde. Eva würde sie nicht gucken dürfen. Sie hatte nicht einmal Julkalendern geschaut, die Vorweihnachtsserie für Kinder. In keinem einzigen Jahr. Und wenn von Kindersendungen wie Fünf Ameisen sind mehr als vier Elefanten die Rede war, wollte sie nichts davon hören. Sie hatten keinen Fernseher, weil das Sünde war.

Gemeinsam kehrten sie wieder in die Kirche zurück, und Farmor strich Marina über den Zopf, als sie sich wieder hinsetzte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als aufs Altarbild zu starren, dann weiter nach oben zur Decke, den Kopf so weit wie möglich in den Nacken gelegt. Und plötzlich sah sie Farfar vor sich. Ein unangenehmer Gedanke machte sich breit. Es fühlte sich an, als würde er sterben. Sie kniff die Augen zu und versuchte stattdessen, an Madita zu denken und sich vorzustellen, wie sie im Fernsehen aussehen würde. Was wäre, wenn sie selbst die Schauspielerin sein könnte? Das war ihr geheimer Wunsch. Doch auch das konnte die Unruhe nicht vertreiben. Der Gedanke war wieder da. Farfar würde sterben. Sie starrte Farmor von der Seite an, machte den Mund auf, um zu sagen, was sie dachte. Farmor sang laut und drehte sich nur kurz zu ihr, um ihr die Lieder Zions in die Hand zu drücken und auf die Textzeilen zu zeigen.

»Kinderglaube, oh, Kinderglaube, so rein und klar, du stellst uns eine goldene Brücke zum Himmel dar.«

Sie bewegte erst nur die Lippen. Manchmal hatte sie Angst vor den Texten, dieses Mal jedoch nicht. Und das Lied half, für die hässlichen Gedanken war kein Platz mehr. Sie musste laut singen, und da Eva nicht hinter ihr zurückstehen wollte, sang diese noch lauter. Farmors Augen füllten sich mit Tränen.

Hinterher atmete Marina schwer, japste nach Luft. Eine unerwartete Müdigkeit überkam sie. Es wurde nicht besser durch den Prediger, der wie in Wellen sprach, weil seine Stimme abwechselnd laut und leise wurde. Ihr wollten die Augen zufallen; eine Gnade wäre es, wenn sie einnicken dürfte.

Vielleicht war sie tatsächlich kurz eingeschlafen, denn plötzlich war die Stimmung umgeschlagen. Das, wovor sie am meisten Angst gehabt hatte, vibrierte zwischen den Bänken. Mama hatte gesagt, es könne passieren, dass einige Erwachsene traurig wurden. »Wieso traurig?«, hatte sie gefragt, und Mama meinte, das sei kein Grund zur Sorge.

Der Prediger schraubte jetzt die Stimmlage hoch und klang aufgeregt.

»Eure unzüchtigen Gedanken!«

»Abschaum und Auswurf der Welt!«

Einige in den Bankreihen schluchzten und jammerten laut. Marina schnappte nach Luft und tastete nach Eva, doch deren Hände waren wie beim Beten gefaltet.

Eine ältere Frau mit runden, roten Wangen stand auf und weinte so sehr, dass ihr ganzer Körper bebte. Sie drängte sich in den Bankreihen vorwärts neben eine andere Frau und heulte wie ein Schlosshund. Marina hielt sich die Ohren zu, ihr Herz hämmerte gegen die Rippen. Die Vergebung der Sünden, hatte Mama gesagt. Sie baten Gott und auch einander um Vergebung. Das klang wie etwas Gutes, war es aber nicht. Einige sahen wütend aus, doch im nächsten Moment umarmten sie sich fest und schienen sich nicht mehr loslassen zu können. Auch das war sie nicht gewohnt, dass Erwachsene sich umarmten, aber hier hielten sie einander fest, ohne dass sie sich schämten.

Evas Gesicht war nicht mehr hell, sah aber auch nicht ängstlich aus; sie schaute sich neugierig um, als wäre alles in schönster Ordnung. Marina sackte zusammen und wollte sich abermals an Farmor schmiegen, traute sich aber nicht. Das würde sie Mama nie verzeihen, dass sie von dem Ganzen hier gewusst und zugelassen hatte, dass Farmor sie mitgenommen hatte. Ihr Hals brannte, aber sie durfte nicht weinen, durfte nicht wie die Erwachsenen werden. Hatte keine Sünden zu bekennen. Ja, doch, hatte sie. Sie hatte ihre Haare gewellt und sich die Nägel lackiert. Und Morfar hatte ihr Kartenspielen beigebracht. Sie müsste eigentlich alles beichten und weinen wie die anderen.

Helmi saß ein paar Bankreihen weiter vorn und drehte sich zu ihnen um. Sie sah verbissen aus, als wüsste sie, dass auch Marina ihre Schuld herausschreien müsste.

Dann musste Marina sich übergeben. Es kam einfach hoch. Geradewegs auf die Schuhe und den Boden.

Hinterher würde Helmi sagen, dass die Sünde auf dem einen oder anderen Weg aus dem Körper musste.

Kapitel 5

1998

 

Ihr elfter Tag in Kiruna. Der sechzehnte November, das Tageslicht schwand nun schneller. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, war es dunkel. Sie knipste das Licht im Flur an und seufzte, weil immer noch unausgepackte Umzugskartons neben dem Schuhregal standen. Reklamezettel und die Kiruna-Tidning lagen auf der Fußmatte unter dem Briefschlitz. »Zehn Seiten Hockey-Special« lautete der Aufmacher, und drei Hockeyspieler in roten Weihnachtsmannmützen grinsten direkt in die Kamera. Sie hatte die Zeitung abonniert, als sie weggezogen war, und hatte das Abo nach ihrer Rückkehr weiterlaufen lassen. Als Erstes blätterte sie immer zu den letzten Seiten, um nachzusehen, wer ein Haus gekauft, ein Unternehmen gegründet, geheiratet oder ein Kind bekommen hatte. Oft war es eine ehemalige Mitschülerin aus dem Gymnasium, die da im langen weißen Kleid stand. Manchmal erkannte sie auch die Namen unter den Geburtsanzeigen wieder.

In Stockholm galt man nicht als sonderbar, wenn man mit dreißig noch keine Kinder hatte, aber zu Hause war es nicht ungewöhnlich, dann schon zwei Kinder zu haben. Das stresste sie mehr, als sie zugeben wollte. Darum hatte sie gedacht, dass Stockholm ihr das Gefühl von Freiheit schenken würde, ohne Erwartungen und ohne Mitleid. Den Leuten wäre es einfach egal. Damit, dass sich das Leben dort dann als ziemlich einsam herausstellte, hatte sie nicht gerechnet. Alle redeten viel, aber es wurde nie etwas Greifbares daraus.

Überhaupt waren die Menschen dort unten anders. Zur Begrüßung umarmte man sich, und es entstanden peinliche Situationen, wenn sie sich versteifte und die anderen sich zu ihr herunterbeugen mussten, weil sie so viel kleiner war. Nicht, dass es so viele gegeben hätte, die sie umarmten, aber bei dem Kick-off war es immerhin vorgekommen. Dort hatten sich die Leute nicht so korrekt verhalten wie bei der Arbeit, sondern waren ein bisschen mehr sie selbst. Was immer das bedeuten mochte. Jedenfalls waren sie anders als sonst, und das machte sie nervös.

Als sie nach Kiruna zurückgekehrt war und an jenem ersten Spätnachmittag die Stille in der Wohnung nicht ertragen konnte, hatte sie das Radio eingeschaltet und war von Finnmix begrüßt worden, das an ihrem Wundschorf gescheuert hatte. Es war zu nah am Herzen. Einzelne Wörter auf Meänkieli konnte sie verstehen, aber das meiste nicht. Es war die Sprache von Farfar und auch die von Papa, wenn er in der Hütte war oder an der Tankstelle oder wenn er Holz kaufte. Dort hatte diese Sprache ihren Platz. Selten einmal zu Hause. Nur wenn etwas besprochen wurde, das nicht für die Ohren der Mädchen gedacht war. Aber die Heimlichtuerei schlug fehl, weil Papa Meänkieli sprach und Mama leise auf Schwedisch antwortete und Marina die Ohren spitzte. Zwar konnte Mama Papas Sprache verstehen, auch wenn sie nicht antwortete, sondern sich meist darauf beschränkte, zustimmend zu nicken, aber er verstand gar nichts von ihrer Muttersprache. Da gab es einen deutlichen Unterschied, den sie als Kind nicht erkannte. Klar war nur, dass sowohl Mama als auch Papa ins Schwedische wechselten, sobald sie die Wohnungstür von außen hinter sich schlossen.

Nein, Meänkieli war auch nicht ihre Sprache, doch wenn sie im Radio so watteweich redeten, fühlte es sich an wie zu Hause.

Bei Finnmix rief man an, um Grüße und Glückwünsche zu senden, und unter den Anrufern waren auch solche, die vor allem das Schwedische in sich hatten, und dann lauschte sie besonders aufmerksam. Sie wollten »kratulieren« und zählten zahlreiche Namen auf, und manchmal konnte man hören, dass jemand sich vorher mit einem Pilsner gestärkt hatte. Schließlich war es Freitag. Am liebsten mochte sie die Frauen, die so wichtigtuerisch klangen, weil sie nun zum ersten Mal im Radio waren. Sie gratulierten und rasselten hastig Namen und Geburtsdaten herunter, bis ihnen fast die Puste ausging.

»Kyllä, siinä kaikki.«

Ja, das war alles.

Sie zog Jacke und Mütze aus, nahm die Zeitung mit aufs Sofa und erinnerte sich daran, wie unangenehm das Titelbild der Kiruna-Tidning mit dem brennenden Odd-Fellow-Gebäude sie berührt hatte. Sie war spät vom Restaurant nach Hause gekommen, und als sie auf dem Bild die Flammen sah, war sie ins Grübeln verfallen. Nicht, dass ihr das Gebäude besonders viel bedeutet hätte, aber es hatte schon immer dort gestanden, neben dem Kiosk am Hjalmar Lundbohmsvägen, der von den Kindern der Gegend so stark frequentiert wurde, dass die umliegenden Rasenflächen von Trampelpfaden durchzogen waren. Es hatte sie an Pfade denken lassen, und Tränen waren in ihr hochgekrochen.

Sie hatte ein Gespür für Pfade, das sich nicht wirklich in Worte fassen ließ. Bevor das hohe Gras bei Mormor und Morfar gemäht wurde und in Sand und Kies ertrank, hatte sie ihren eigenen Pfad gehabt, der von dort zu Onkel Nils-Ante hinüberführte. Seine Tür stand ihr immer offen. Und auf diesem Pfad konnte sie alles sein.

Sie war winzig klein gewesen und das Gras hoch. Dieser Pfad hatte ihr eine eigentümliche Geborgenheit vermittelt, und Mormor sagte, er sei etwas Besonderes. Dort seien schon so viele vor ihnen entlanggegangen, den Abhang zum See hinunter, wo jenseits des Wassers, weit entfernt, blau schimmernde Berge lockten. Sie benutzte nicht die großen Worte, was sie hätte tun können, wenn sie ihre eigene Sprache gesprochen hätte. Dann hätte es für alles Worte gegeben. Dann war Mormor Enná, obwohl sie ja eigentlich Áhkku war. Aber das hatte Marina noch nicht verstanden.

Es hatten noch weitere Pfade existiert. Einer verlief am Fluss, wo sie mit Ísa entlanggegangen war, der eigentlich Áddjá war. Sie durfte nicht allein in die Nähe der großen Stromschnellen und der steil abfallenden Untiefe gehen, die nur wenige Meter vom Ufer entfernt lag. An diesem Pfad gab es kein hohes Gras, aber manchmal weißen Sand unter den kurzen Halmen, so weiß, dass er nicht in ihre Gegend zu gehören schien, sondern zu einem anderen Erdteil mit grün schimmerndem Meer.

Es waren die Pfade, die sie in der Großstadt vermisst hatte. Sie war in Sollentuna am Wasser entlanggegangen und hatte sie gesucht und manchmal auch gefunden und dabei ein leichtes Kribbeln im Körper gespürt. Doch ihr Körper ließ sich nicht betrügen. Diese Pfade bedeuteten nichts, und das stete Rauschen von der E4 ließ keine Fantasien zu.

Sie ließ die Zeitung auf den Glastisch fallen, der dringend abgestaubt werden müsste, legte sich der Länge nach auf das schokoladenbraune Ledersofa und starrte an die Zimmerdecke. Sie sollte etwas essen, hatte aber keinen Hunger.

Nicht nur aus Wehmut trauerte sie um die Pfade. Sie trug eine Trauer in sich um alles, was hätte sein sollen.

Im Winter lag ihr Pfad im Dorf unter Schnee verborgen, und sie hatte sich nach dem Frühling und nach dem Sommer gesehnt. Pfade im Schnee waren nicht dasselbe. Auch wenn sie versucht hatte, eine Spur zu Nils-Ante hinüber auszutreten, an derselben Stelle, wo im Sommer der Pfad verlief. Aber der Schnee lag meterhoch, und sie sank ein, verlor einen Schuh und musste um Hilfe rufen. Morfar hatte die Gabe, sie immer zu hören, egal wie weit entfernt sie war. Nicht lange, dann stand er neben ihr und zog sie mit starker Faust heraus, um dann die Hand in die Kuhle zu stecken und ihren Schuh herauszuholen, der voller Schnee war. Aber er zog ihn ihr nicht wieder an, nein, selbstverständlich trug er sie, und sie fror am Fuß. Trotzdem war das Gefühl ganz wundervoll. Der Rhythmus seiner Schritte, seine Arme um sie und das Lachen im Mundwinkel.

»Du bist ja verrückt, Biigá.«

Sie war seine Biigá. Dieses Wort tauschte er niemals gegen ein schwedisches aus. Aber auch dieses Wort wurde schließlich erstickt.

Sie legte sich den Arm über die Augen und atmete in den Pullover, den Mormor gestrickt hatte. »Vielen Dank!«, hatte sie gesagt und ihn sofort angezogen. Ollu giitu. Aber nur in Gedanken.

Wenn man es laut sagte, konnte es unbehaglich werden. Als sie noch kleiner waren, Jessika und sie, hatten sie wohl hin und wieder versucht, etwas zu sagen, nur um für eine Weile dazuzugehören. Jessika war noch zu klein gewesen, um zu bemerken, dass eine allgemeine Spannung aufkam. Für sie war es nur ein Spiel, es machte Spaß, etwas in einer anderen Sprache sagen zu können. Marina war alt genug gewesen, um wahrzunehmen, dass etwas nicht stimmte. Die Verlegenheit der anderen. Bestimmt war ihre Aussprache falsch, und sie hatte die Wörter komisch betont und alles nur noch schlimmer gemacht.

Einmal hatte sie Jessika gefragt, ob ihr das Samische nicht fehle, aber ihre Schwester hatte sie verständnislos angesehen.

»Warum sollte es?«

Jessika ging damals in die Oberstufe und war vollauf damit beschäftigt, ihren Rang in der Mädchenclique zu verteidigen. Sie war klug genug, das Beschämende für sich zu behalten. Die Schwestern sollten das Thema nie wieder ansprechen. Jessika war anders. Die Sehnsucht nach Pfaden würde sie niemals verstehen.

Auch dass sie Marina zu Dank verpflichtet war, verstand sie nicht.

Als Helmi mit einem von Evas kleinen Geschwistern im Schlepptau herübergekommen war und gesagt hatte, das Kind brauche eine Freundin, also Jessika, die sie in die Kirche begleite, hatte Marina das verhindert. Sie hatte ihrer Mutter zugezischelt, sie solle nein sagen, sie hätten andere Pläne. »Welche denn?«, hatte Helmi gefragt und sie gezwungen zu lügen. Manchmal zerrte Marina Jessika ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn auf, und wenn es dann klopfte, rief sie, dass ihre Schwester gerade in die Badewanne gestiegen sei. Dabei drückte sie Jessika die Hand auf den Mund und flüsterte ihr zu, dass sie nur Spaß machten, und brachte sie zum Kichern. Sie spritzten sich gegenseitig nass und ließen das Wasser ab, sobald die Wohnungstür sich wieder geschlossen hatte.

Sie waren verschieden, Marina und Jessika, nicht nur äußerlich, auch wenn das als Erstes auffiel. Marina war feingliedrig und klein, flink wie Mama, während Jessika ihnen schon als Zwölfjährige über den Kopf wuchs, einen ganzen Kopf größer wurde, und Papas kerzengerade Haltung und Farmors breite Hüften entwickelte. Die dunkle Haarfarbe hatten sie gemeinsam, aber Marinas Haar flatterte dünn im Wind, während das ihrer Schwester die Zopfgummis sprengte.

Jessika trainierte Jazzdance und Handball. Marina träumte eine Zeitlang davon, Turnerin zu werden, aber Mama fand das zu gefährlich, man konnte sich das Genick brechen. Sie trainierte trotzdem, machte Spagat und konnte auf den Händen laufen, bis ihr Gesicht dunkelrot anlief. Jessikas Jazzdance wurde vor Farmor geheim gehalten, und Marinas Schwester hatte kein Problem damit, die Unwahrheit darüber zu sagen, wo sie sich dienstags gegen achtzehn Uhr aufhielt. Denn sie wusste nicht, dass Lügen die Eintrittskarte zur Hölle waren.

Verärgert setzte sich Marina auf dem Sofa auf. Sie waren gar keine Laestadianer gewesen, nicht einmal Christen, und trotzdem. Trotzdem.

Sie stand auf und ging in die Küche. Als Abendessen reichten ihr sicher Joghurt und in Scheiben geschnittene Banane. Sie holte einen Löffel und ein Schälchen aus dem Schrank, gab Joghurt hinein und schnitt die braun gesprenkelte Banane in Scheiben. Im Schrank fand sie ein Päckchen Rosinen und streute eine Handvoll davon über den Joghurt. Dann löschte sie das Licht, schaltete den Fernseher ein und drehte den Ton voll auf. Laute Geräusche konnten sie von scharfkantigen Gedanken ablenken. Sie warf einen Blick auf die Uhr – die Pflegerin würde gleich zu ihrer Nachbarin hinaufgehen, sie kannte deren Zeiten. Sie schlürfte ihren Joghurt und musste an die Kollegin im Edelrestaurant denken, die gesagt hatte, man solle nichts Kaltes essen. Die Kollegin ging zum Yoga und zur Akupunktur und wusste, wo im Körper die Meridiane verliefen. Als Marina einmal Kopfschmerzen gehabt hatte, war sie, ohne um Erlaubnis zu fragen, zu ihr gekommen und hatte an ihrem Körper herumgedrückt und nach weit vom Kopf entfernten Punkten gesucht, die den Schmerz ausschalten sollten.