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Von der eigenen Technik überrannt, mussten die Soraner in die Körperlosigkeit fliehen, um als rein energetische Entitäten der Verfolgung der Maschinenintelligenz auf ihrem Heimatplaneten zu entgehen. Diese KI hat sich die Vernichtung allen biologischen Lebens im Universum zur Aufgabe gemacht und baut eine Raumflotte auf. Auf der Suche nach einer neuen Heimat entsenden die Soraner Erkundungsschiffe in die Weiten des Alls, um sowohl einen geeigneten Planeten als auch Wirtskörper für sich zu finden. Als sie auf die Erde stoßen, ergibt sich das Problem, dass die Menschen viel zu aggressiv für die friedliebenden Soraner sind und zunächst einmal befriedet werden müssen. Dafür erschaffen sie einen Hybriden, der dank außergewöhnlicher Fähigkeiten die Menschheit zivilisieren soll. Doch in dem Hybriden sind nun eben jene Gene am Werk, wegen denen die Soraner sich vor einer Invasion der Erde scheuen …
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2017
Manfred Hirschleb
Roman
Copyright: © 2017 Manfred HirschlebLektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.netSatz & Umschlag: Erik KintingCoverbild: © sdecoret (fotolia.com)
Erschienen bei tredition GmbH, Hamburg
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Dies ist die Geschichte von Aonghus, der von den Soranern geschaffen wurde, deren Umsiedlung von ihrem verlorenen Planeten auf die Erde vorzubereiten. Die Soraner haben schon lange die höchste Stufe der Evolution erreicht und existieren seither als körperlose Entitäten in einer Enklave im Andromedanebel. Ihr Planet wird von einer künstlichen Intelligenz beherrscht, welche die Vernichtung allen biologischen Lebens zum Ziel hat.
Den Soranern gelang es, die Entfernung zur Erde zu überwinden, die sich als einziger erreichbarer Planet für ihre Zwecke eignet. Aonghus ist die letzte Hoffnung. Er soll die menschliche Spezies befrieden, damit die Soraner deren Körper und damit auch den menschlichen Gencode übernehmen können. Die soranische Entität beeinflusst Aonghus Menschwerdung und verleiht ihm übermenschliche Fähigkeiten. Das fremde Bewusstsein vermischt sich jedoch mit dem menschlichen und ein innerer Konflikt entsteht. Der Anfang für die Erneuerung ist gemacht. Wird die Invasion gelingen?
Es passierte mit elementarer Gewalt: Während der Mann das Feld bestellte, saß seine Frau strickend vor dem prasselnden Kaminfeuer. Noch sah man ihr die Schwangerschaft nicht an. Riesige Wolken türmten sich auf und verdunkelten den Himmel: Der Wind frischte schlagartig auf und Blitze zuckten am Firmament. Einer schlug in das naheliegende Gehölz und setzte es in Brand. Die Luft knistert und roch nach Ozon, doch kein Regentropfen benetzte den ausgedörrten Boden. Eilig wurden Fenster und Türen geschlossen, um das Wüten der Elemente draußen zu halten. Der Mann schaffte es gerade noch ins Haus.
Als die Frau die Tür öffnete, um ihren Mann einzulassen, schoss eine bläulich schimmernde Energiekugel durch den Türspalt. Der Zusammenstoß warf sie mit Wucht in die Zimmerecke, wo sie benommen liegenblieb. Die knisternde Kugel hinterließ auf den Holzdielen eine Brandspur quer durch den Raum und verschwand durch den offenen Kamin.
Der Mann stürzte zu seiner Frau, die außer ein paar Prellungen nichts weiter abbekommen hatte. Auf seinen besorgten Blick hin nickte sie nur zuversichtlich und ließ sich von ihm aufhelfen.
Kopfschüttelnd betrachteten sie die noch leicht qualmende Brandspur durch ihre Stube. Sie kamen zu dem Schluss, dass es ein Kugelblitz gewesen sein musste, den sie wie durch ein Wunder überlebten. Den Schreck noch in den Gliedern schlang die werdende Mutter die Arme um ihren Bauch und dankte ihrem Schöpfer, dass er sie und das in ihre heranwachsende Kind verschont hatte.
Das werdende Leben im Bauch der Mutter … Erst vor wenigen Wochen aus der Verschmelzung von Samen- und Eizelle hervorgegangen, vorläufiges Ergebnis der Chromosomen, die weitere Details festlegten und den genetischen Code festlegten. Die Stammzellen begannen, kaum dass sie auf den Plan getreten waren, mit der Umsetzung der in diesem Code enthaltenen Baupläne. Und in dieser Situation, am Anfang der Entwicklung eines der komplexesten Geschöpfe des Universums, drang der energetische Splitter jener fremden Entität in diesen Vorgang ein. Die Entität war nicht an Materie gebunden, bestand aus reiner Energie und bemächtigte sich des genetischen Codes, begann einzelne Sequenzen umzubauen.
Er wuchs ungewöhnlich schnell. Während andere Embryos neun Monate bis zur vollen Reife benötigten, war er schon nach drei Monaten bereit, das Licht der Welt zu erblicken. Er empfand leichten Schmerz, als Milliarden Neuronen explosionsartig mit ihrer Arbeit begannen. Die Synapsen waren kaum in der Lage, den Informationsfluss zwischen ihnen zu bewältigen, musste dieser doch von elektrischen in chemische Impulse umgewandelt und mittels Neurotransmittern zwischen den Synapsen übertragen werden. Dort wurden sie zu Informationen umgewandelt, die nicht nur in seine Gehirnzellen implantiert wurden, sondern in jede Zelle seines Körpers. Es waren keine selbst gewonnenen Informationen, sondern sollten dem jungen Leben mühsames und zeitaufwendiges Lernen ersparen.
In diesem Moment erlangte er nicht nur Bewusstsein, sondern auch Jahrtausende altes Wissen. Er blickte sowohl in vergangene Zeitalter wie auch in die Gegenwart. Alles existierte zur gleichen Zeit. Er besaß Intelligenz. Etwas Wunderbares war passiert! Das noch junge Leben wurde von etwas Großem gestreift – einer Kraft, die es ihm ermöglichte, in die Sphären des Kosmos hinauszugeleiten. Und da war noch etwas, nicht Greifbares: Es war der Wunsch, nach den Anfängen menschlichen Lebens zu suchen.
Und während er geborgen in seiner Schutzhülle verweilte, begann er zu sehen. Mit wachen Sinnen durchstreifte sein Geist die Zeitalter des Planeten wie im Zeitraffer und er sah …
Da war ein mit einem blauen Ozean bedeckter Planet mit einem einzigen Kontinent. Dieser brach auseinander und bildete einzelne Landmassen, die auseinanderdrifteten. Die Elemente wüteten. Die in dem glühenden Inneren des Planeten treibenden Landmassen schoben sich ineinander und untereinander, türmten Gebirge auf, während brodelnde Vulkane das Land neu formten. Wälder, Wüsten und Savannen entstanden und vergingen, reißende Flüsse speisten Seen, Täler und Auen und rissen wieder alles mit sich. Es vergingen Jahrmillionen, in denen Flora und Fauna den Planeten prägten. Ebenen und Wälder reichten bis an den Rand der Eisfelder. Riesenhirsch, Wollnashorn und Mammut waren ständig auf der Hut vor Säbelzahntigern und anderen Räubern. Den Himmel beflügelten unzählige Arten von Vögeln und in den Meeren explodierte maritimes Leben. Dann entdeckte er die ersten Menschen, gerade erst von den Primaten abgespalten, die gelernt hatten, mit Werkzeugen und Waffen ihr Spektrum zu erweitern. Sie zähmten das Feuer und nutzten Kleidung aus Tierfellen gegen die Kälte. Es vergingen weitere Jahrtausende. Es bildeten sich Gemeinschaften, Stämme, Clans. Sprache entstand. Ständig auf der Suche nach Nahrung dominierte die Jagd das tägliche Leben. Angst ums Überleben und die Vermehrung des Clans hatten oberste Priorität. Die Fortpflanzung erfolgte noch recht willkürlich. Sex diente in erster Linie dem Zweck zur Reproduktion. Polygamie war eine Überlebensstrategie und hatte sich fest in den Genen verankert. Es war die Zeit der Jäger und Sammler …
Auch er war ein menschliches Wesen, doch bereits im Mutterleib in der Lage, seinen Geist über sich selbst hinauswachsen zu lassen. Wie war das möglich? Der Drang, die Entwicklung seiner Spezies zu erkunden, saß tief in ihm.
Mit dieser Erkenntnis wuchs das junge Leben heran. Bald würde er die Welt mit anderen Augen sehen. Was er jedoch nicht bemerkte, war die fremde Präsenz, die jede seiner Zellen durchdrungen und sich in ihm manifestiert hatte.
Sein Bewusstsein entsprach nicht seiner körperlichen Entwicklung. Er war anders: Und da war noch eine Bestimmung, ein Plan, eine Aufgabe … Die Präsenz wurde immer stärker …
Die Geburt begann, ein unabwendbarer Vorgang, dem er jedoch voll Neugier entgegensah. Unaufhaltsam wurde er durch den engen Tunnel gepresst, dem uralten Plan folgend, der im genetischen Code hinterlegt war. Muskelkontraktionen schoben ihn unaufhörlich dem Licht entgegen, er wurde am Kopf gepackt und herausgezogen – und da war er. Den Klaps auf den Hintern interpretierte er als Aufforderung seine Lungen zu gebrauchen, also schrie er. Es fühlte sich an wie ein Urschrei, ein Initialisierungsritual. Er erkannte, dass er geboren werden musste, um genau diese Erfahrung zu machen, die Basis allen Lebens war. Aber warum das alles? Noch fehlten ihm Informationen …
Die Hebamme reinigte ihn, wickelte ihn in sauberes Tuch und legte ihn in die Arme seiner Mutter, die ihm sogleich die Brust gab. Intuitiv begann er zu saugen, was ihm befremdlich vorkam. Die Liebe, die seiner Mutter Herz erfüllte, durchflutete auch ihn.
Er sah den plötzlichen Schreck in den Augen seiner Eltern und der Hebamme, vernahm ihre Worte: »Mein Gott! Unser Junge ist blind. Sieh nur seine Augen, sie sind ganz weiß. Er hat überhaupt keine Pupillen!« Tränen rannen über seiner Mutter Wangen und tropften auf sein Gesicht. Erschrocken beugte sich sein Vater über ihn, strich mit der Hand mehrmals über seine Augen, um herauszufinden, ob sie reagierten. Aber da waren keine Reflexe, denn deren Sinn und Zweck erschloss sich dem Neugeborenen nicht, da er sie nicht benötigte.
Er war nicht blind, nur etwas irritiert ob ihrer Hilflosigkeit, sah er doch mehr als sie alle zusammen: Äonen der Zeitgeschichte. Es würde nicht lange dauern, bis er sich verständlich machen konnte. Sie würden es nicht verstehen – noch nicht. Da man ihn gegen seinen Willen in dieses Dasein geholt hatte und seine erste Erfahrung Schmerz, aber auch Zuneigung und Liebe war, drängte sich ihm die Frage auf, weshalb das so war. Und wieso sollte gerade er dies ergründen? Sein Geist überbrückte Vergangenheit und Gegenwart, denn die Evolution war grenzenlos. Was war der Mensch, was machte ihn aus? Die Entwicklung einer Spezies war für sie ein Wimpernschlag, für den Einzelnen, aber auch ganze Gesellschaften oder Kulturen, jedoch ein langer Weg. Der Schlüssel für Tun und Handeln fand sich nicht allein in kultureller oder zivilisatorischer Entwicklung noch in aktuellen Lebensumständen. Mit Klarheit erkannte er die Wichtigkeit des archaischen Erbes für das Individuum. Es war fest in den Genen verankert und dominierte jedes Lebewesen.
Nun begann er zu verstehen.
Die Menschen wurden von einer Vielzahl von Trieben gesteuert, die tief in ihren Genen und dem Unterbewusstsein verankert waren. Sie hatten sich vor Abertausenden von Jahren entwickelt und daran änderte die Neuzeit nichts. Die stärksten Triebe waren der Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb, wichtigste Werkzeuge der Evolution. Ersterer hat in weiten Teilen der Menschheit fast seine Bedeutung verloren, weil die Gesellschaft dessen Notwendigkeit nivelliert hatte. In anderen Teilen der menschlichen Rasse dagegen gehört der Überlebenskampf immer noch zum Alltag, weil der Schutz der einen nicht alle miteinschloss. Der Drang zur ständigen Reproduktion führte im Laufe der Evolution zum raschen Anstieg der Populationen und Konflikten, irgendwann würden die Ressourcen des Planeten aufgebraucht sein. Er sah, wie sich diese wundervolle blaue Kugel langsam veränderte. Die Menschen waren dabei, ihre eigene Existenzgrundlage systematisch zu zerstören.
Er begann die Wichtigkeit seines Auftrages zu begreifen. Er sollte etwas vorbereiten. Dafür musste er lernen zu verstehen, fühlen und wachsen.
Jetzt aber sah er die Angst seiner Eltern neben ihrer Liebe und Zuneigung. Sie dachten, er wäre blind, und machten sich Sorgen, was aus ihm werden sollte: Würde er weiter so schnell wachsen? Waren das Folgen eines Gendefektes? Würde er gar sterben, noch bevor er laufen konnte?
Sie nahmen ihn mit nach Hause und betteten ihn in die vorbereitete Wiege. Das Leben als Familie begann …
Urplötzlich waren sie da, ihre Gedanken, einfach in seinem Kopf. Er konnte ihre Worte über ihre Gedanken hören: »Bleibt er für immer blind?«, fragte seine Mutter, während sie zu ihm in die Wiege sah. Ihr Herz war erfüllt von Stolz und Freude. Schon so lange hatten sie sich ein Kind gewünscht und nun lag er in seiner Wiege und nuckelte am Däumchen. Sie war unendlich dankbar für diesen Kindersegen.
Sein Vater saß vor dem Kamin, rauchte seine Pfeife und trank einen starken Grog. Aromatischer Duft vermischte sich mit dem Brandgeruch des Kaminfeuers, während ein Ast unentwegt ans Fenster klopfte. Draußen wirbelte der Wind das Laub umher. Seines Vaters Blick fiel unwillkürlich auf die Brandspur auf den Holzdielen. Was war damals wirklich geschehen?, fragte er sich.
Er spürte die Angst seiner Eltern. Sie waren verunsichert, machten sich Gedanken, was aus ihm werden sollte, wenn er größer wurde. Er wuchs doch so schnell und das war unheimlich für sie. Aber da war auch ihre unendliche Liebe, das Glück, das ihnen in so späten Jahren noch ein Kind beschert hatte.
»Wir wissen nicht, ob er sehen kann. Vielleicht, vielleicht nicht. Aber ich glaube, dass dieses Kind kein normales ist. Wir werden es bald wissen«, antwortete der Vater. »Schau ihn doch an, er strotzt vor Gesundheit. Ihm fehlt nichts. Zu einem Arzt können wir nicht gehen, dann nimmt man ihn uns vielleicht weg. Die Hebamme hat versprochen zu schweigen. Schon die kurze Schwangerschaft zu verbergen war schwierig. Und er wächst weiterhin viel schneller, als ein normales Kind.«
Zärtlich strich sie dem Jungen über das Köpfchen, beugte sich hinab und küsste ihn auf die Stirn. »Mein lieber, lieber Junge, ich bin so glücklich. Du wirst einmal ein großer junger Mann werden, auf den wir stolz sein können. Wir werden dich immer lieben. Du bist etwas Außergewöhnliches und bald wirst du uns dein Geheimnis verraten. Was meinst du?«, fragte sie ihren Mann. »Ach was, du bist ja jetzt ein Vater, du alter Mann«, frotzelte sie. »Also, Papa! Kannst dich schon mal daran gewöhnen.« Ihren Augen blitzten voller Stolz.
Er nickte nur, sog an seiner Pfeife und rückte sich die Decke über den Knien zurecht. »Wir müssen ihm einen Namen geben. Was hältst du von Aonghus?«, brummte er.
»Wie der Gott der Liebe und Jugend? Hört sich gut an. Für mich ist er schon ein kleiner Gott.« Zärtlich spielte sie mit seinen kleinen Füßchen, mit denen er schon munter strampelte.
»Gut, dann soll es so sein!« Er stand auf, streifte sich die Decke ab und legte Holz im Kamin nach, sodass die Funken stoben.
Dann setzte er sich wieder zufrieden in den Sessel, starrte ins Feuer und blickte verstohlen zur Krippe hin. Vaterstolz durchflutete sein Herz. Ja, der Allmächtige hatte es wirklich gut mit ihnen gemeint. Normalerweise hatte er es nicht so mit der Religion, doch dieses späte Geschenk Gottes konnte er nicht leugnen.
Er freute sich über seinen Namen. Aonghus. Ein Gott wäre er zwar nicht, aber dennoch für Großes bestimmt. Er spürte ihre reine Liebe und die Kraft und den Aufopferungswillen, die sie für ihn empfanden. Sie waren einfache, gute Menschen, die schwer für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. Ihr Wunsch, ihn glücklich zu machen, war allgegenwärtig. Satt und geborgen hätte er ihnen gerne gesagt, dass er sie verstehen konnte, aber jetzt fühlte er die Bestimmung, die es zu erfüllen galt. Er wurde von einer ihm unbekannten Macht getrieben, die er noch nicht erfassen konnte, die jedoch drängend in seinem Unterbewusstsein präsent war. Sein Geist musste weiter ausholen, die Welt und ihre Geschichte erkunden. Die unbekannte Entität zwang seinen Geist weiterzuforschen. Er musste die Entwicklungsgeschichte der Menschheit begreifen lernen. Nur so war es möglich, sich auf das Kommende vorzubereiten …
Dank der Gemeinschaften konnten die notwendigen Ressourcen, um in der kalten Jahreszeit überleben zu können, bereitgestellt werden. Mittlerweile konnte man sich auch verständigen. Noch war es keine richtige Sprache und vieles drückte man mit Symbolen aus. Heilkundige konnten bereits diverse Verletzungen versorgen und die ersten Götter zogen ins Denken der Menschen ein. Die Sonne hatte den größten Stellenwert. Sie brauchten außerdem einen Gott der Jagd, des Feuers, der Fruchtbarkeit, des Schutzes und der Mutter Erde und noch weitere kamen hinzu. Es waren deren viele. Man musste sie gnädig stimmen, sie anrufen, zu ihnen beten und auch um Hilfe bitten. Stellten sich Misserfolge ein, hatte man sie zu wenig beachtet oder zu wenig Opfer gebracht. Einfacher war es, einen Schuldigen zu finden, der wider die Götter gesündigt hatte. Dieser eignete sich bestens als Opfer, um die Geister und Götter zu besänftigen. Also wurden Vermittler benötigt, die die Gabe besaßen, Harmonie zwischen den Menschen und der Götterwelt herzustellen und aus den Heilkundigen wurden Schamanen. Aber da gab es auch Machtanspruch und Zwietracht, Neid und Intrigen. Der Anspruch des Stammesführers und des von den Göttern Berufenen wetteiferten miteinander. Die Saat des Bösen hielt Einzug in die Geschichte.
Die Menschen hatten sich weiterentwickelt, vermehrt und große Teile der Kontinente besiedelt. Noch immer standen sie im Kampf ums Überleben gegen Naturgewalten und klimatischen Veränderungen. Noch war der Globus in ständiger Bewegung. Große Eiszeiten lösten kleinere ab. Und so begannen die Wanderungen. Aber Aonghus sah auch Neues. Der Geister- und Götterglaube war nun fester Bestandteil der Menschheit, es wurde kräftig geopfert und nicht immer waren es die Früchte der Natur, auch Menschenopfer wurden dargebracht. Und da man die eigene Gemeinschaft nicht schwächen wollte, bediente man sich dafür vorwiegend der Feinde, die man bezwungen hatte. Die nötigen Ressourcen, die einem Stamm oder Volk das Überleben sicherten, stahl man gerne von anderen. So hielten Krieg, Raub und Versklavung Einzug in die Menschheitsgeschichte. Das Vergewaltigen der Frauen war wurde festes Ritual der Sieger. Frauen und Kinder nahm man gefangen und assimilierte sie. Sklaverei gehörte schnell zum Alltag, zum Überlebenskampf und zur Existenzsicherung.
Mit Schrecken verfolgte Aonghus eine bestimmte Entwicklung: In einigen Kulturen wurden die Feinde verspeist. In erster Linie ging es nicht um Hunger, sondern darum, dessen Kraft in sich aufzunehmen. Das Sammeln von Trophäen erlegter Tiere gab es schon immer, das der menschlichen Feinde wurde später auch kultiviert. Man schlug ihnen die Köpfe ab und schrumpfte sie. Der Ekto-Kannibalismus dagegen hatte zum Ziel, die Toten des Stammes in sich aufzunehmen, damit sie in der Gemeinschaft verblieben. Zu diesem Zwecke wurden sie verbrannt, die Asche mit gestampftem Bananenbrei verrührt und von der Dorfgemeinschaft gegessen.
Aonghus‘ Ungläubigkeit nahm kein Ende. Was er sah, war die permanente Angst vor Überfällen, Tod und Versklavung durch andere. Und da sich in jedem Clan, Stamm oder Volk eine eigene Kultur entwickelte, entstand auch Andersartigkeit und Vielfalt. Geister, Götter und rituelle Kulthandlungen entwickelten sich getrennt voneinander, was zur Bekämpfung der Andersgläubigen führte, was wiederum zur Legitimation beitrug, diese auszurauben, zu töten oder zu versklaven.
Mit Klarheit erkannte er: Der Grundstein zur Entwicklung von Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass oder Andersgläubigkeit war elementarer Bestandteil des archaischen Erbes. Langsam erhielt er Antworten auf seine Fragen und sie gefielen ihm nicht. Die Menschen besaßen ein hohes Aggressionspotenzial …
Er ließ seinen Geist weiter ausholen. Wo waren das Gute, die Tugenden? Mitgefühl, Verständnis, Mitleid, Trauer oder gar so etwas wie Empathie für den Nächsten oder gar für Andersdenkende und Andersgläubige? Vielleicht für einen anderen Kulturkreis?
Während er in den Sphären der Vergangenheit dahinglitt, sah er eine Mutter, die ihr Kind liebevoll umsorgte, es nährte, reinigte und warmhielt. Liebe, Zuneigung, Fürsorge und auch Trauer erkannte er. Verletzte sich jemand oder starb, war da Empathie. An den Feuern wurde musiziert, getrommelt. Singsang, Freude und Gelächter erfüllte die Behausungen.
Doch da war noch mehr: Starb jemand, trauerten alle um das verlorene Mitglied der Gemeinschaft. Aonghus erkannte die Anfänge eines Totenkultes. Grabbeigaben und Begräbnisstätten entwickelten sich in jedem Kulturkreis unterschiedlich. Vom einfachen Erdhügel bis hin zu Monumenten reichte die Palette. Je wichtiger die Persönlichkeit des Verstorbenen, umso pompöser die Grabanlage. Da war bereits die Kunst: Es wurde Schmuck hergestellt; Waffen verziert und manche Künstler verewigten ihr Werk an den Wänden von Höhlen oder Felsen.
Bei all dem Guten sah man auch die Enttäuschung in den Gesichtern der Menschen, wenn ein Mädchen geboren wurde. Es war wichtig für den Stamm, da jedes neue Mitglied seine Existenz sicherte, aber es wurden zukünftige Jäger und Krieger bevorzugt. In diesem Kontext sahen sich die Frauen einem ständigen Zwiespalt ausgesetzt. Sie hatten eine Funktion zu erfüllen und daran wurde ihre Wertigkeit für die Gemeinschaft gemessen. Ihre Existenzberechtigung reduzierte sich aufs Feuermachen, Essen kochen, Kinder gebären und diese großziehen.
Jahrtausend altes Territorialverhalten wurde fest in den Genen verankert. Es gab Zeiten der Freude und des Überflusses, aber auch des Mangels und der Angst. Die Sterblichkeit der Frauen und der Kinder war groß. Der Kampf gegen die Elemente, Hunger und Krankheiten forderte ihren Tribut. Gutes und Böses entwickelte sich parallel. Gesellschaften bildete Untergruppen, die auswanderten und eigene Territorien besiedelten. Diese wurden gegen Außenstehende bis aufs Blut verteidigt. Schweißte anfangs des Überlebenskampfs die Gemeinschaft zusammen, entstand der Wunsch Einzelner, sich über diese zu erheben und sie beherrschen zu wollen. Den von der Gemeinschaft bestimmten Führern standen auch machthungrige Individuen gegenüber. Das Gefühl, über andere herrschen zu können, war wie eine Droge. Aonghus erkannte den Punkt, an dem der Grundstein für Neid gelegt wurde. Missgunst war eine Begleiterscheinung. Die Möglichkeit über andere herrschen zu können, implizierte Konflikte. Hatte eine Gesellschaft eine bestimmte Größe erreicht und war nicht mehr in der Lage alle zu ernähren, trennte man sich. Neue Gruppen entstanden und verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Um eine Gesellschaft stabil zu halten, errechnete man die Ressourcen und begrenzte notfalls die Bevölkerungszahl, wofür sich Kriege hervorragend eigneten.
War das seine Spezies? Die selbst ernannte Krone der Schöpfung? Du musst weiter sehen, um zu verstehen, drängte sich die fremde Entität in sein Bewusstsein. Verstehe …!
Jahrtausende vergingen, währenddessen sich die Menschheit ausbreitete, weiterentwickelte und Hochkulturen entstanden. Es gab viele verschiedene Rassen, Religionen, Riten und Totenkulte. Die Menschen errichteten Monumente und jede Kultur hatte dafür eigene Gründe.
Aonghus‘ Geist erhob sich erneut und sah, wie Kulturen verschwanden und neue Zivilisationen entstanden. Sie unterschieden sich voneinander. Die Zeit der Jäger und Sammler war längst vorbei. Er begleitete ihre Entwicklung auf dem Weg zum modernen Menschen und fragte sich, ob sich die Menschheit zum Guten entwickelte. Sprang in der Zeit zurück und in seinem Bewusstsein fügten sich die Fragmente zusammen und formulierten eine Aufgabe. Noch brauchte er die Zeitgeschichte, um das große Ganze verstehen und seinen Auftrag erfüllen zu können. Der Splitter fremden Bewusstseins in ihm breitete sich immer weiter aus, trieb ihn voran: Du wirst es ändern …!
Während er sich geborgen und in Sicherheit seinen wenigen Erkenntnissen hingab, befiel Aonghus Angst: Suchte er nach der Wahrheit? Und was wäre die Wahrheit? Äonen der Menschheitsgeschichte hatte er bereits durchstreift und die Entwicklung seiner Spezies begleitet. Er stellte Überlegungen an: