Die Ruhelosen - Michèle Minelli - E-Book
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Michèle Minelli

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Beschreibung

Eine opulente europäische Familiensaga

Nur dank eines Zufalls stößt die Zürcher Ornithologin Aude auf eine Spur ihrer Familiengeschichte, die in eine andere, ferne Zeit führt. Während seit Jahrhunderten ihre Vorfahren der eigenen Herkunft stets den Rücken gekehrt haben, wendet sich Aude nun genau dieser Vergangenheit zu. All die unglaublichen Legenden über unstete Friseure, raffinierte Maskenbildner, begnadete Musiker, tüchtige Krämer und deren eigensinnige Frauen, in denen sich die Großmama beim Erzählen verstrickt hatte, fügen sich plötzlich zusammen. Vor Aude breitet sich ein verführerisches Geflecht aus drei Familien über acht Generationen und 150 Jahre aus.

Michèle Minelli lockt uns mit unzähligen sinnlichen, skurrilen, tragischen und leidenschaftlichen Episoden in diese bis in die k. u. k. Zeit zurückreichende Familiensaga von europäischem Zuschnitt.

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Michèle Minelli

Die Ruhelosen

Roman

Impressum

Michèle Minelli, Die Ruhelosen

Mit einer Karte

ISBN E-Pub 978-3-8412-0383-0

ISBN PDF 978-3-8412-2383-8

ISBN Printausgabe 978-3-351-03386-6

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, März 2012

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die Originalausgabe erschien 2012 bei Aufbau, einer Marke der

Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung hißmann, heilmann, hamburg

unter Verwendung eines Motivs von Boorah Farleeh, from ›Drawings of Birds from Malacca‹, c.1805-18 / © Royal Asiatic Society,

London, UK / Bridgeman Berlin

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

www.aufbau-verlag.de

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Innentitel

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

Impressum

Inhaltsübersicht

Prolog

die Namenlose

Zug, 4. März 1435

Teil 1 Instinkte. 1855–1860

der Haarteilmacher

Kassa, 1859

die Giraffe

Livorno, 1855–56

Alžbeta

Kassa, 1859

la famiglia

Bergamo, 1859

allein

Kassa, 1859

das Seismoskop

Livorno, 1859

Verlust

Kassa, 1859

Engel und Pferd

Bergamo, 1859

Hals über Kopf

Kassa, 1859

erschöpft

Livorno/Ferrara, 1859

für die Ewigkeit

Bergamo, 1860

rotweiß gescheckt

unterwegs, 1860

Macrolepidoptera csökei

irgendwo an einem nicht näher bezeichneten Ort im Russischen Reich, 1860

Teil 2 Nestlinge. 1860–1899

wie sich Dinge lösen

Ödenburg, 1860/1861

Bild aus Draht

Alzano Lombardo, 1860 –1876

Tiere der Nacht

Triest, 1887

Wunsch und Wirklichkeit

Ödenburg, 1887

Fait accompli

Fiume, 1889

böse Wunderwelten

Ödenburg, 1893

Couvade-Syndrom

Alzano Lombardo, 1894

zweite Garnitur

Ödenburg, 1894

Aufschwung

Fiume, 1894

von Pferden und von Hunden

Alzano Lombardo, 1894

Sünde, Sünde

Ödenburg, 1896

Elia, der Unerschrockene

Fiume, 1899

aus dem Nest geworfen

Miskolc, 1899

die große Reise beginnt

1899, Herisau

la suffragista

Westaustralien, 1899

Teil 3 Paarungsrituale. 1900–1932

das Ungeheuer aus den Abruzzen

Herisau, 1900

ein rotes Kreuz

irgendwo auf einer Eisenbahnstrecke fern des Asowschen Meeres, in einem Land ohne Namen, 1901

Füchslin, Bisig, Öchslin, Schädler, Ruhstaller und der Pfarrer Kälin auch

in der March, 1902–1906

im Sommerhoch

Küsnacht, 1910

günstige Gelegenheit

Sankt Immer, 1913

le tzigane de la mer

Atlantischer Ozean/Rio de Janeiro, 1914–1915

Bildersturm

Küsnacht, 1916

gesichert

Bern, 1916

alle Folgerichtigkeit der Dinge

Aarau, 1916

das längste halbe Jahr

Küsnacht, 1921

dem Teufel vom Karren

Zug, 1922

das Mazel der Wanderjahre

Lausanne, bis 1925

Familienalbum

Bern, 1926

selbst ist die Frau

Barcelona, 1929–1930

Prinzessli von Bern

Bern/Budapest, 1931

ein süßes Geheimnis unter dem Busen

Küsnacht, 1932

endgültig Feierabend

Zürich, 1932

Teil 4 Selbsterhaltungstrieb. 1933–1964

die Flucht

irgendwo in den Wäldern des Kantons Zürich, 1933

acht Tage Bedenkzeit

Kippel im Lötschental, 1935

das Wunderkind

Arosa, 1935

Nunzio schlägt die Türen zu

Küsnacht, 1935

der Gehörnte

Wien, 25. Juni 1936

Abel und Josiane

Braunwald, 1936

was man alles wegdenken kann

Sopron/Miskolc, 1936

dä Schnäller isch dä Gschwinder

Küsnacht, 1936

was man alles nicht wegdenken kann

Budapest, 1936

letzte Ehre

Küsnacht, 1936

Loch im Hals

Bern, 1939

Bier, Brot und Beromünster

Küsnacht, 1941

die große Freiheit

Schweiz, 1941–1944

Nunzio und die Politik des Landes

Herschmettlen, 1944

die Attacke

Basel, 1946 –1950

Parallelwelten

Küsnacht, 1951

Gottes verlorenes Kind

Richterswil, 1958

Briefe für Amimour

Atlantischer Ozean/San Juan, Puerto Rico, 1957/1958

Musiker, Juden, Zigeuner, dunkles Pack

Küsnacht, 1960

das ist ein gnädiger Tod, der alle Spuren verwischt

Gstaad, 1964

Teil 5 Mauser. 1965–1989

Neubeginn

Küsnacht/Männedorf, 1965

halbe Helden

Männedorf, 1966

geweihtes Haar auf Schweizer Köpfen

Männedorf, 1967

abschwören

Zürich, 1968

Überfremdung

Forch, 1974

Teleboy und Omnibus

Regensdorf, 1978

selektiver Mutismus

Forch, 1979

Vibrationen

Küsnacht, 1984

Tempelruhe

Zürich, 1985

einer, der kommt, und einer, der geht

Schweiz, 1987–1988

Páneurópai Piknik

Sopron, 1989

Teil 6 Zugunruhe. 1990–2010

Rabenmutter

Zürich, 1990

Kuckuckskind

Zürich, 1995

Otis tarda

irgendwo an einem nicht näher bezeichneten Ort in der Mongolei, 1997

Flüsse, durch ein Leben mäandernd

Bäch, 1998

Herr der Welten

Zürich, 2002

doch die Aare

Bern, 2006

Internettelefonie

Zürich/Ibiza, 2009

Autobahnwunder

unterwegs auf der A3, 2009

ungarische Rhapsodie

Sopron, 2010

Cuauhtemallan, Land der Bäume

Río Dulce (Frontera, Guatemala), 2010

Teil 7 Brutfürsorge. 2010–2011

quergedacht

Zürich, 2010

Geflecht aus lauter Stille

Zürich, 2010

die Welt auf einem Stecknadelkopf

Büttenhardt, 2011

das fehlende Glied

Büttenhardt, 2011

Aurin

Büttenhardt, 2011

Windsbraut

Ventspils, 1986

das Päckchen

Košice, 2011

Teil 8 Lebenszyklen. 2011–2012

Brimsennocken und Salonzucker

Zürich, 2011

Familienzuwachs

Zürich, 2011

Europa

Zürich, 2012

Epilog

der Namenlose

ohne Zeit

Dank

Anhang

Karte

Für Jermaine Jerome, wieder einmal und in dankbarer Erinnerung an O’Mama und O’Papa, Grosmami und Grosvati

Prolog

Vor rund 150 Millionen Jahren entstanden aus besonders anpassungs- und entwicklungsfreudigen Echsen die ersten Vögel, die uns unter dem Namen Archeopteryx bekannt sind. Im Laufe ihrer abenteuerlichen Entwicklungsgeschichte lernten sie, praktisch alle Zonen unserer Erde zu bewohnen, jede nur erdenkliche Ernährungsmöglichkeit auszunützen, und konnten weit über 10000 Arten herausbilden, von denen heute noch rund 8 500 leben, die größten drei Meter hoch und die kleinsten gerade maikäfergroß. Jede Art ein großes Wunder der Natur.

die Namenlose

Zug, 4. März 1435

An dem Abend, als die namenlose große Frau nach ungezählt vielen Tagen und Nächten der steten Wanderung, die ihre Beherztheit unter Prüfung stellte, an einem Ort ankam, an dem sie ernstlich in Erwägung zog, nicht nur Herberge, sondern auch Heim zu finden, stürzte die Welt unter ihren Füßen ein und versank.

Die Gasse roch sauber, die Häuser standen dicht bei dicht, keine Schweine in den Gräben, Vögelchen zwitscherten munter auf den Dächern, und in der Luft hing ein frischer Geruch nach See. Die namenlose große Frau blieb einen Moment stehen, lange genug, um ihre Idee abzuwägen und auch, um des Vagabunden ansichtig zu werden, der ihren Blick erhaschte, kurz nur, spöttisch wissend, der Erkennungsblick aller Heimatlosen. Festen Schrittes ging sie weiter, drehte in die nächste Gasse ab und dann in die übernächste, dem Zugersee entgegen.

Noch aus der niederen Gasse suchte die namenlose große Frau mit ihren Blicken die zitternde Spiegeloberfläche im Glast der Sonne ab, sah die steil ins Ufer gerammten hölzernen Palisadenpfähle, die Einmäster, die Flößer, die weißen und die schwarzen Vögel auf dem See, drehte sich um, betrachtete die trutzig stolzen Giebel der Häuserzeile, die Menschen, die auf und ab und ihres Weges gingen, den gelben Hund, der vor einem Hauseingang stand und wachsam schaute.

Ein plötzlicher Schwindel hinter ihrer Stirn, ihre Hand, die sich an einem Gesims abstützte. Sie horchte. Tatsächlich, kein Vogellaut mehr, nur Stille und Starre. Und während sie sich noch wunderte und staunte, flogen mit einem Male alle Wasservögel auf. Ein anschwellendes Rauschen in ihren Ohren, von dem sie nicht wusste, ob es in der Welt um sie herum auch zu hören war oder allein in ihrem Inneren, und dann, mit unvermitteltem Druck und rasender Wut, ein infernalisches Krachen, das ihren Körper erschütterte. Danach war nichts mehr, wie sie es kannte.

Als sich der See aufbäumte, sanken bereits die Häuser in sich zusammen wie müde Fassaden aus Tuch, und das Kopfüberbild des Vagabunden auf ihrer Netzhaut wurde in dem Moment ausgelöscht, als eine dicke Staubwolke über sie hinwegwalzte, die dem Auge nichts mehr sichtbar ließ, außer dem leeren Platz, der da prangte, wo der Mann einen Herzschlag zuvor noch gestanden hatte.

Die namenlose große Frau machte einen Satz irgendwohin und dann noch einen und noch einen, floh Satz für Satz, schürfte sich an etwas Hartem auf, sprang in wildem Schrecken rückwärts und weg vom berstenden Gebälk, weg vom Boden, der unter ihren Füßen abrutschte, und weg von der Doppelhäuserzeile, die in sich zusammenfiel und in tosendem Weh in den Fluten unterging. Ein regloser Körper tauchte aus den Wassermassen auf; so einfach stirbt ein Mensch, dachte die Frau. Eine Katze schrie um ihre Jungen, die im ersten Stock eines aufgerissenen Hauses übereinanderpurzelten, und weiter war da in ihrem Schlafgemach ein Weib, das sich hektisch an den Haaren zog und schrie und stöhnte, und die Namenlose nahm ziellos Satz für Satz für Satz für Satz und kletterte irgendwohin, egal wohin, nur fort von dieser Vorspiegelung von Ankunft und Heim. Sie würde ein andermal wiederkommen müssen, wenn überhaupt.

Was man von ihr noch hätte sehen können, hätte man ihr nachgeschaut, wie sie da mit mächtigen Schritten über die Felder rannte, war ein kupferner Widerschein, ihr langes goldrotes Haar, das den Weg für sie, und nur für sie, erleuchtete.

Teil 1 Instinkte. 1855–1860

Ist es eine Ahnung des kommenden Frühlings, welche die Vögel noch tief im eisigen Winter bunt werden lässt? Die sie schmückt mit Federn und Farben von berückendem Zauber? Auch wenn es das nicht ist, auch wenn wir heute diese Ahnung, diese Sehnsucht so nüchtern hormonproduzierende Hypophyse nennen – es ist dennoch ein Wunder!

der Haarteilmacher

Kassa, 1859

Man könnte ihn drehen und wenden, schütteln und knüppeln, man könnte ihn auf den Kopf stellen, in ein Fass stecken, den hohen Hügel hinab und in den Hornád rollen und ihn dort ersäufen, man könnte ihn schlagen und plagen und foltern, es würde doch nichts aus ihm herauszubekommen sein, sein Lebtag nicht, nicht, solange er noch ein Restchen Stolz in sich hatte, und den hatte er doch, sich doch aufbauen können diese letzten paar Jahre über, auch wenn er erst dreiundzwanzig war, sein Stolz reichte für dreißig, und dieses bisschen Sicherheit, das er sich damit erobert hatte, dieses Fleckchen Land, das wie abgemessenes Leder unter seine Fußsohlen passte, gleichviel, wohin er seine Schritte lenkte, würde er sich nicht wieder abpressen lassen, durch nichts und niemanden; zu einem Geständnis war er nicht bereit.

Er ließ sich nichts anmerken, so dachte er zumindest, als er die Ribartierspangen etwas fester anklemmte, aber der Gummibügel streifte wohl doch spürbar unsorgfältig über die hohe Stirn der Dame, die unter seinen sonst so geübten Händen nun ein erstes und ernstzunehmendes Mal aufstöhnte. »Franta, was machst du denn? Du bringst mich ja um!« Er lächelte kläglich. »Magst du mich etwa nicht mehr leiden, František Schön?«

Sie spielte mit ihm wie eine ihrer unzähligen Katzen mit der Maus, das mochte er nicht, seine Lippen blieben verschlossen. Er konnte es jetzt gar nicht gebrauchen, dass seine Finger zu transpirieren begannen. Rasch wandte er sich seinem Instrumentenkasten zu, hantierte mit dem Klebtaffet herum, den er als Unterlage bei der Toupetklebestelle verwenden wollte. Die alte Dame langte nun ihrerseits nach seinen gesammelten Gütern, den wunderlichen Artefakten und zauberhaften Materialien, linkisch, gespielt ungekonnt, und griff schließlich leicht schnaubend, als ob sie soeben eine ungeheure Anstrengung hinter sich gebracht hätte, nach der Holzschachtel mit dem Asiatenhaar, aus dem František Schön so herrliche Modepostiches aller Art anzufertigen wusste. Er war ein Künstler, nur benahm er sich nicht so, sie fand sogar, er war viel zu scheu, und ein bisschen Frivolität hätte ihm gut angestanden, immerhin war er einer der wenigen, der sich in ihre Gemächer allein vorwagen durfte. Zumal zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch nicht hergerichtet war.

»Für wen hast du diesen hübschen Zopf gekordelt?«

»Für Sie, Gräfin. Ausschließlich für Sie.«

Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Dieses »Ausschließlich für Sie« war das Tüpfelchen auf dem i, der Höhepunkt aller Gefühle; das bisschen Schall und Rauch einer jeden Zaubernummer, das noch in der Luft hängen bleibt, wenn der Artist die Bühne längst verlassen hat, wie der Beweis für ein eingelöstes Versprechen – die alte Hausherrin seufzte und gab endlich Ruhe.

Er wäre ein schöner Schafskopf gewesen, hätte er ihr gegenüber etwas zugegeben. Nun wieder in der gewohnten Sicherheit, die die Stille für ihn bedeutete, befestigte der Perückenmacher die fertige Montur auf den kahlen und auf den spärlich behaarten Stellen. Für ihn hatte es nichts mit Schönheit oder Hässlichkeit zu tun, dass seine Dienstherrin, Gräfin Csöke, eine Halbglatze hatte, darin unterschied sich ihr Kopf nur wenig von dem Holzkopf, den er nach ihren Maßen angefertigt hatte. Sämtliche Haarteile und aufgenähten Tressen für ihre Halbperücke fanden zuerst an diesem Holzkopfmodell Halt. An ihm erprobte er die teuren Chinahaare, die veredelten, gebleichten und gewellten Indohaare, die Federn und die Bänder, den Baumwolltüll. Und wenn er sich dann schließlich an ihr, der lebenden Person, zu schaffen machte und ihr Äußeres in Schwung brachte, so war das für ihn jedes Mal nur der gerechte Lohn für seine Anstrengung: das Bild einer gemachten Frau dank modisch perfekter Frisurenlinie. Es war für ihn ganz einfach nur folgerichtig, dass die Damen zu Hofe, die Freundinnen der Gräfin Csöke, ihre Herzallerliebsten, Gnädigsten, ihre Schwägerinnen, Basen und Nichten, unter seinen Fingern zum Maximum ihrer Anlagen fanden. Freilich, zuweilen waren diese Anlagen doch recht dürftig, vielleicht weil sich viele so fürchterlich und heimlich grämten über ihr Nichtstun, und Nichtstun war František Schön ein Gräuel. Aber dennoch, sie wurden durch sein Werk zum bestmöglichen Vorzeigeobjekt, und mehr waren sie ja auch nicht, oder?

Nein, sie alle nicht. Die da in ihrer Phantasie Leidenschaften ausbrüteten, die sie nicht einmal der besten Freundin hinter vorgehaltener Hand ins Ohr zu flüstern gewagt hätten und von denen ihre Ehemänner ganz bestimmt nicht die geringste Ahnung hatten. Das wusste er schon, er spürte es an ihren anzüglichen Blicken, den mehrdeutigen Bemerkungen, den Föppeleien, die er dann und wann über sich ergehen lassen musste, speziell, wenn die eine Dame die andere in seiner Gesellschaft antraf. Aber dafür konnte er nichts. Er hatte sie nicht ermuntert, er war nicht an ihnen interessiert. Nicht an ihnen als Figuren, als Frauen, menschlichen Wesen von Verstand gar, das, woran er tatsächlich ab und zu eine gewisse Freude hatte, und das merkten die Damen nicht zu selten und gaben ihm auch gerne neuen Stoff, ebendiese Freude zu nähren, war ihre Ausgefallenheit! Ihre Gefallsucht, ihr Geltungsdrang, mit immer wieder überraschenden und noch unglaublicheren Haarteilen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen. Und dadurch natürlich auch auf ihn, den etwas schmächtigen, dunklen, sanften, ach so stillen Posticheur zu Hofe. Und was sie sich nicht alles ausdachten, um ihn herauszufordern und ins Schwitzen zu bringen, das gefiel ihnen, ja, das hatte er schon gemerkt, dass sie ganz begeistert waren und ihre behandschuhten Händchen zusammenklatschten, wenn er nach Luft japste, wenn sie wieder einmal einen Spleen äußerten. Und diesen natürlich nicht als Spleen, sondern als unwiderrufbares Dekret. Als ob man ihn ansonsten den hohen Hügel hinunterrollen würde und im Hornád ertränken …

Aber sie hatten ja auch Ideen! Frische Lorbeerblätter aus Florenz, weiße Wolfshaare aus den Abruzzen, Fasanenköpfe aus der Walachei, Miniaturmarionettenfiguren aus Lemberg und glasierte Schwanenschnäbel aus Wien – was nicht noch alles wollten sie in ihre Frisuren und Perücken von ihm eingearbeitet haben! Bunte Webborten, kristallbestückte Tressen, aufgesteckte Glasperlen und schillernd eingefärbte Bürzel der Nebelkrähe am Seidenband, aber auch getrocknete und schwarz getönte Seesterne, alles war ihnen einen Versuch wert in ihrem spielerischen Wettbewerb, die andere auszubooten. Und sie freuten sich ja wirklich, wenn er ihnen den Spiegel vor die Augen hob und sie in Andacht still umrundete, Schritt für Schritt. Sein leicht vorgebeugter Gang – aufgrund einer Rachitis, die er als Kind durchlitten hatte – störte sie da wenig, im Gegenteil, das brachte ihn nur noch näher an sie heran, so dass es der einen oder anderen hin und wieder gelang, seinen Duft einzuatmen. Seinen aufreizenden Jungmännerschweiß, der ihm aus den Poren drang, und damit sein einziges großes Ärgernis über sich selbst.

Und eigentlich waren sie gar nicht so schlimm, gar nicht so etepetete, wie sie gerne vorgaben zu sein, eigentlich waren sie wie kleine Kinder, verrückt nach ihrem eigenen Spiegelbild, was hatten sie denn sonst?

Ihre Stoffe, ihre Kleider, ihre Korsetts und Mieder, diese ganzen Spangenschuhe aus Venezien und die Crefelder Seidenstrümpfe, bergeweise Tand – das alles konnte doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich langweilten! Sie waren ihrer selbst so überdrüssig, ihrer eigenen Gedanken, die doch nie irgendwohin führten, ihrer Stickereien, mit denen sie gegen die Tristesse ins Gefecht zogen, ihrer erfolglosen Liebschaften, ihrer gewichtigen und stets abwesenden Ehemänner – denen er nur zu gerne auch eine ordentliche Frisur verpasst hätte, einen gekonnten Backenbart –, ja, überdrüssig der eigenen Gesellschaft sogar. Da war die eine wie die andere. Und auch ihre Zeitvertreibe, deren sie sich bemüßigten, die buntbemalten Brettspiele, das Puzzle, bei dem sie mittels unzähliger kleiner gestanzter Teilchen immer und immer wieder die Ländereien ihrer Männer falsch zusammenfügten und darüber lachen konnten und sich ergötzen konnten, als sei die Welt der Politik ein Spiel für Teegesellschaften! Oder dann die Gräfin Csöke selbst, die eine eigentümliche und das Maß alles Erträglichen übertreffende Katzenzucht betrieb – all diese lächerlichen Selbstbeschäftigungen waren nichts gegen einen echten Beruf! Ein Beruf nur gab einem Menschen Profil, gab ihm Selbstbewusstsein, Stand. Und er, František Schön, war Perückenmacher mit Leib und Seele. So brachte er den Damen des Adels und ihren Trabanten, den Emporkömmlingen und jenen, die in Kassa etwas auf sich hielten, Abwechslung und Zauberei ins höfische Leben.

Und damit eben auch das eine oder andere beißende Geheimnis, nach dessen Aufklärung der Gräfin Csökes Blicke verlangten. Aber da gab’s nichts, da hielt er sich bedeckt.

Eine der ungezähmten Katzen, die diesen Hof so unsicher machten, sprang an seinem Bein hoch. Es war wahrscheinlich nur eine der jungen gewesen oder der greise gescheckte Kater, den offenbar gar nichts umbringen konnte, der hatte seinen eigenen Tod gewiss schon sieben Mal überlebt. František Schön wischte das Tier impulsiv und unbesehen mit dem Handrücken fort. Er hasste diese Viecher, sie waren überall, und man konnte sich nie sicher sein, ob einem nicht irgendwo eines auflauerte. Am schlimmsten war es, wenn eine der Katzen sich in die Haare einer Dame verkrallte, nur weil sie ein Seidenbändchen mit einem Mäuseschwanz verwechselte. Oder vielleicht tat sie es auch absichtlich und aus teuflischer Bosheit, wer weiß das schon zu sagen bei so einem Tier.

»Aber nicht doch! Das war doch nur Flecki!«, tadelte ihn Madame, aber da war er schon mit der Dachshaarbürste dabei, ihr den Nacken frei zu wischen, ein Ritual, auf dem sie bestand, seit sie es ihn bei ihrem Mann hatte ausführen sehen. Dass es sich dabei um das Wegwischen nicht vorhandener Rasurhaare handelte, war ihr schnurzegal, viel wichtiger war der Akt selbst, das Berührtwerden, der eine Moment der Zärtlichkeit zwischen ihnen beiden. Es war so etwas wie eine kleine Heimlichkeit, die sie eifrig hütete, wenn sonst schon nichts war, dann wenigstens dies, dass ihr Posticheur sie sanft an Hals und Nacken koste mit seinem zweifarbigen Pinsel.

Er spielte das Spiel mit und spielte es herunter. Wenn er ganz ehrlich gegen sich gewesen wäre, hätte er diesen Ort sofort verlassen. Aber was dann? Wohin dann? Und wäre es dort, wo auch immer, nicht doch wieder nur dasselbe? Die Damen reagierten nun einmal so auf ihn, er konnte es sich nicht erklären. Die kurzen Augenblicke, in denen er sich selber in einem Spiegel betrachtete, brachten ihm kein Enträtseln. Er war ein normal großer, vielleicht etwas zu dünn geratener Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit dunkelbraunem Haar, leicht gewellt und stets ordentlich, aber, ja, er gab es gerne zu, altmodisch in seiner Konsequenz nach hinten frisiert, sein Backenbärtchen war bescheiden gehalten und sein Kleid dem Stande entsprechend dezent. Natürlich trug er die Seidenschals, die ihm die Damen schenkten, und im Winter die fellverbrämten Handschuhe aus feingegerbtem Hirschleder, den wollenen Rock, aber vieles hatte er nicht an Kleidsamem, was ihn herausstaffiert hätte; er blieb ein einfacher Perückenmacher mit einem Händchen für das Ausgefallene.

Nun ja, seine Hände, hier musste er fast lächeln, seine Hände waren schon etwas Besonderes. Kräftig und feingliedrig zugleich, mit sicheren Fingern … Speziell wenn sie in das Haar der einen eintauchten, ihren Hals entlangglitten, ihre Wangenknochen berührten … Er hatte lange Finger, die in perfekte Nägel ausliefen, jedes Nagelbett mit einem weißen Halbmöndchen, das die flachen, kurzgehaltenen Nägel verschönte, er hatte gleichmäßige, fast identische Fingerknöchel, die immer etwas heller waren als die Finger selbst, und er hatte blaue Adern, die sich unter der Haut erhoben und durch sie hindurchleuchteten, unterirdische Flüsse, die strömten, so dass seiner Hände Farbe je nach Lichteinfall changierte und ähnlich faszinierend anzusehen war wie Schildpatt im Sonnenlicht. Das wusste er wohl, und dieses Wissen war die einzige Eitelkeit, die er sich erlaubte.

»Gräfin«, sagte er. Das war der Moment, den all die Damen am intensivsten herbeisehnten und doch am meisten verabscheuten, war er doch beides zugleich: größte Lust und Abschied in einem. Gräfin Csöke ließ ihn ganze vier Mal den schweren geäderten Spiegel um sie herumtragen, ihr Anblick, dessen sie im Oval des Zinnamalgamblattes ihrer Poudreuse ansichtig wurde, überzeugte sie nur halb. Zumindest gab sie das vor.

»Da fehlt doch noch was, Franta, irgendein Detail, etwas, das mich heute ganz besonders herausputzt, findest du nicht? Zeig mal her, was hast du noch für Kostbarkeiten mitgebracht?«

Geduldig und wie in einer einstudierten Zugabe holte er ein Schiffchen aus bemaltem Balsaholz mit Segeln aus fliederfarbenem Seidentaft hervor. Es maß nur etwa eine halbe Handlänge von Kiel zu Bug, und es war auch nicht besonders zart herausgeschnitzt – sein Talent für Holzbearbeitung lebte er lieber bei den Modellköpfen seiner Kundschaft aus –, aber es war recht eigenwillig und irgendwie hübsch mit seiner barbusigen Gallionsfigur, und es war auch irgendwie – »Rokoko, nicht wahr?«.

»Wenn Sie so sagen, Gräfin.«

»Gut, mach es rein.« Und so kam Gräfin Csöke zu einem weiteren Viertelstündchen, in dem die zartgliedrigen bleichen Finger des sonst eher dunklen Posticheurs in ihren Haaren zugange waren, sie hier und dort unabsichtlich streiften und unverzüglich wieder aufflogen wie hektische Vögelchen, wenn die Katze naht. Oder auch – sinnierte sie – wie die Hände eines Klavierspielers, der die Tasten nur kurz antippt und doch genau so zu größtem Überschwang treibt …, und sie, die Gräfin, war das hohle Instrument, das erschallte und den ganzen Raum für sich einzunehmen vermochte. Wie üblich sprang Gräfin Csöke dann unvermittelt auf, piepste ihr schnippisches »So« und schlug ihm zwei-, dreimal mit ihrem venezianischen Fächer auf die Hände. »Jetzt aber genug gefingert, eine Dame hat auch noch anderes zu tun, als ihrem nicht mehr ganz so blutjungen Haarteilzauberer Modell zu sitzen. Egal, wie sehr es schmerzen mag, die Sitzung ist beendet. Hopphopp, husch ab zu deinesgleichen – oder zu wem auch immer du nun huschen musst!«

Er war bereits eiligst damit befasst, seine Kapitalien zusammenzuräumen und sich rückwärts und bücklings von ihr zu verabschieden, als sie das sagte. Diese kleine Stichelei, die er zu seinem Abgang empfangen durfte, brachte ihn nicht aus der Ruhe. Es war einfach ganz und gar unmöglich, dass sie wirklich etwas wusste, und raten konnte sie, soviel sie wollte, sie käme ja doch nie ganz dahinter. Solange er nur an sich hielt, die Nerven und den Kopf behielt, seinen Mund hielt.

Beinahe wäre er über Flecki gestolpert – oder war es Schecki?, Tatzi-Fratzi?, Molli-Wolli, Mietzi-Trietzi, Pfoti, Punkti?, auf alle Fälle eines ihrer lästigen Katzi-Katzi-Viecher, und damit eben auch eine Hochheiligkeit seiner Logisgeberin. Aber sie hatte es zum Glück nicht bemerkt, sie tat sehr geschäftig an ihrer Frisierkommode herum, und er lachte einen Augenblick in sich hinein, mehr aus Erleichterung denn aus Hohn.

Man hatte ihm hier zu Hofe eine Kammer gerichtet. Eigentlich zwei, wollte man die kleine Holzwerkstatt hinten bei den Stallungen dazuzählen, die er gelegentlich und auf Nachfragen hin benutzen durfte. Sein Zimmer war im äußersten Westtrakt untergebracht, dem renovierungsbedürftigen Teil des Schlosses, und František durfte hier so lange hausen, als die Damen der ersten Gesellschaft seine Dienste in Anspruch zu nehmen gesonnen waren, und das hieß: ewig. Wie ein Spielzeug und um den anderen zu zeigen, was sie an ihm besaßen, liehen sie ihn hin und wieder an andere Adelshäuser aus. Dann musste er jeweils seine Kisten, Bündel und Schachteln packen und wurde mit einem Einspänner vom magyarischen Stallburschen zum nächsten Schloss gefahren, wo er dann die Mütter und Töchter und Cousinen des Hauses aufhübschen konnte.

Mit der Zeit hatte sich František Schön von ihnen allen eine ganze Sammlung von Holzköpfen geschnitzt, gehobelt und zurechtgefeilt, die wie eine Parade von Versprechungen und lebenslanger Versicherung akkurat aufgereiht auf dem obersten Tablar neben der Menora in einer Wandnische standen. Darunter dann die verschieden großen Haarhecheln, die Lederkardätschen, die Kordelmaschine und der Kopfhalter, die Zwingen und Spulen, die Hechelschrauben und die Zangen, Scheren, Hammer, die Montierstifte und all die Näh- und Knüpfnadeln, die er sich in den neun Jahren seiner Berufstätigkeit hatte zusammenkaufen können oder die er vom Vater geerbt hatte. Ein Regal weiter unten prangten die Pappschachteln, jede einzelne mit Tusche und feiner Hand beschriftet. Sie enthielten Tressierfaden, Nähfaden, Blumendraht und Federn, Fischhaut und in braune Fläschchen abgefüllten Zaponlack. Toupetpflaster und Postichespangen, Seidenbänder und Hohlbänder zum Einfassen von Federn. Baumwollbänder und verschiedenfarbige Kordelbänder. Und schließlich die Truhen mit den Stoffen und Stoffballen: englischer Steiftüll, Seidengaze, das feinste Gewebe aus Thal bei Rheineck, Etamine, Nanking und Hirschleder, Baumwolle und Samt für das Geflecht.

Am kostbarsten aber waren ihm die Haare, über deren fachmännische Lagerung er wie eine Bracke über das erlegte Wild wachte: Schnitthaare vom lebenden Kopfe, Remishaare, ausgefallene Wirrhaare, die er neu präparierte und inszenierte. Und erst all die Exporthaare: Indohaare, Chinesenhaare und Haare der Südländer, die in dicken Zöpfen gehandelt wurden, denn die Südländer hatten ganz einfach noch Tradition.

Aber auch Büffelhaare für die Bartteile der Männer und Angorahaare oder Bockhaare hielt er sauber und trocken abgepackt in Schachteln. Es war ihm selbst immer wieder wie ein Wunder, wie er es fertigbrachte, sein Handwerk mit den Ideen und Wünschen seiner Kundschaft zu vereinen. Wie er der Damen lieblos wirkendes Eigenhaar dank der Herstellung von gekraustem Falschhaar beleben konnte, ja, er war ein Virtuose auf dem Gebiet des Haarekrausens, und er arbeitete darin sehr gewissenhaft mit einer Messerspitze Soda und einem Tropfen Glyzerin auf einen Liter Wasser, und auch bei der Säurespülung wusste er, wie und wie lange er das Material behandeln durfte, damit es weich und jugendlich elastisch wurde. Je nach Wickelart brachte er dicke Locken zustande oder heitere Spiralen, selbst kleinste Kräuselungen konnte er mit der Kammspitze hervorbringen. Er wusste wie. Und er wusste, dass die Damen wussten, dass er es konnte. Und weil er wirklich ein Künstler in seinem Fach war und ihn diese Frauenzimmer auch tatsächlich dauerten in ihrem einfältigen Leben, bemühte er sich redlich, deren Phantastereien umzusetzen und sie so mit wuchtigen Kamelhaarbüscheln aus fernen Steppen, gülden gefärbten Daunensträußchen der russischen Eiderente, einem hauchdünnen Webschleier aus Pfauenfedern der eigenen Zucht und einmal sogar mit einem kunstvoll gefertigten filigranen Diadem aus farblich ansprechend arrangierten und überwältigend zarten Schmetterlingen auftreten zu lassen. Die Gräfin hatte sich hierzu der Beute der etwas läppischen Freizeitbeschäftigung ihres Gatten bemächtigt; ein völlig überflüssig naturbegeisterter Mann, der in gewalkten Gamaschen über flatternder Leinenhose buntem Gefleuch hinterherjagte, es mit lächerlichen Netzen, die er jubelnd durch die Luft schwang, einfing und es dann zu Hause in seinem staubigen Kabuff, möglichst weit entfernt von ihren Gelassen, systematisierte und nach penibel überwachten Nadelungsregeln durch den Thorax auf Spannbrettchen festpinnte. Aber da dieser Verrückte ohnehin wieder einmal seine Gattin alleine zurückgelassen hatte, nur um irgendwo in entlegenen Gebirgen, Steppen oder Sümpfen neuen Mosaikmustern nachzuhechten, hatte sie sich ihren Teil geholt und die seltensten Imagines für sich und ihre eigene Vergänglichkeit beansprucht.

František war für noch so extraordinäre Wünsche zu begeistern, ihn konnte in dieser Hinsicht nichts mehr aus der Fassung bringen, und so überlegte er zufrieden und etwas selbstgefällig, womit er die Gräfin Csöke wohl morgen überraschen könnte. Als er sich umdrehte und die Flügeltür zum Vorzimmer der Gräfin Csöke verschloss und den langen gewundenen Flur entlanggehen wollte, der ihn über drei Treppen und Fluchten und durch unzählige weitere Flügeltüren zum Westteil des Anwesens führen sollte, ließ ihn plötzlich und unerwartet die Stimme von Alžbetas Kammerzofe aufschrecken, wie sie zu jemand anderem sagte: »… und das ist ganz gewiss, er hat sich in die junge Csöke vergafft und sie sich in ihn, da gibt es keinen Zweifel.«

die Giraffe

Livorno, 1855–56

Costanza Modigliani war eine große, schlanke junge Dame mit Beinen, die eins zwanzig maßen. Ihre Kleider wurden maßangefertigt und ihre Hüte zumeist flach gehalten. Im Jahr 1855, als sie ihren sechzehnten Geburtstag feiern sollte, empfahl sich mit einem Schlag das Lächeln aus ihrem Gesicht. Wo einst ein glückliches, leicht übermütiges und ebenso leicht überhitztes junges Mädchen voller Lebenslust war, nahm nun ein Schatten Position ein, der wie ein nasses Tuch an einem hohen Stock schlaff herunterbaumelte. Nie zuvor war ihre giraffenartige Körpergröße so störend empfunden worden wie in der Sekunde des väterlichen Basta, als sich jegliche Freude, jegliche Leichtigkeit und auch jeglicher Lebenswille von ihr verabschiedeten. Costanza Modigliani war von der einen zur anderen Sekunde zur alten Frau geworden, noch bevor ihr Körper überhaupt richtig erblüht war.

»Ein Zwerg? Ihr wollt mich an einen Zwerg verschachern?«

Sie raffte ihre gepolsterten Röcke und Unterröcke aus Pferdehaar und gesteiftem Rohr, die herrlichen Volants, die applizierten Schleifen und Rosetten, um ihre imposanten weißbestrumpften Beine zu befreien und stampfte laut auf. »Nein! Das könnt ihr mit mir nicht machen!«

»Es ist das Beste für dich. Und das Beste für uns, Costanza.«

Aber die Giraffe Costanza versuchte es noch einmal und stieß den Fuß so kräftig auf den Boden, dass all die aufgebauschten Stoffe, die Röcke und Unterröcke, an ihren langen Beinen herunterraschelten und dabei ein Geräusch machten wie das Ligurische Meer, das bei Sturm an seine Ufer schlägt.

»Find dich damit ab, Costanza. Und damit basta.«

Die Modiglianis wohnten schon geraume Zeit in Livorno und Umgebung, man hatte sich hier mit anderen sephardischen Juden aus Portugal und Spanien niedergelassen und lebte nach einer recht liberalen Auslegung des Glaubens. Dennoch war wichtig, dass bewahrt blieb, was bewahrt bleiben musste. Und dass Lazzaro Israël ein rechtschaffener Jude war, der zudem ein beträchtliches Vermögen gemacht hatte mit seiner Ledergerberei am Arno, konnte nicht von der Hand gewiesen werden. Er war einer der Ersten, die Maschinen für die Gerberei benutzten, und er betrieb mit ebensolchem Erfolg die Lacklederfabrikation, wie er sich auf das Weißgerben von Schaf-, Lamm- und Ziegenfellen verstand, und wer weiß, was nicht noch alles in seiner Fabrik veredelt und hergestellt wurde, wo doch die Kamine unablässig weiße Wölkchen in den blauen Himmel pafften.

Costanzas Vater würde sich bei einem seiner nächsten Besuche noch etwas genauer erkundigen, ja, das würde er.

Und dass Lazzaro Israël ein bisschen zu kurz geraten war, na ja, darüber konnte man im wahrsten Sinne des Wortes doch einfach hinwegsehen, nicht wahr? Die Paarung Modigliani – Israël jedenfalls war über diesen nichtigen Defekt erhaben, denn sie versprach Dauerhaftigkeit und Anerkennung dank sicherer geschäftlicher Beziehungen. Vielleicht, so die stille Hoffnung des Herrn Papa, vielleicht würde sogar er selbst wieder ins Geschäft einsteigen, der Handel mit Leder war dieser Tage zu einem lukrativen Betätigungsfeld geworden, wenn man es richtig anpackte. Da konnte eine Ledergerberei in der Verwandtschaft nicht schaden. So ein kleines Import-Export-Unternehmen auf seine alten Tage, das täte ihm schon taugen. Einmal ganz davon abgesehen, dass er damit seiner stets etwas kränklichen Frau entfliehen konnte. Wieder reisen. Ganz legitim. Und schließlich: Dass man einen Passenden in ihrer Größe gefunden hätte, war ohnehin Illusion. Costanzas Gestalt war eine Zumutung, kein Vater hätte das vermocht, eine adäquate Giraffe für diese Giraffin aufzutreiben, und wenn er sich noch so darum bemüht hätte. Nun, er hatte sich auch nicht gerade überanstrengt, aber Giraffen sind Exoten, wieso also nicht eine Giraffin mit einem sagen wir mal Büffelchen vereinen? Wenn doch alles andere geradezu wunderbar stimmte.

Für Costanza Modigliani war Lazzaro Israël kein Büffelchen. Er war Schildkröte, Froschlurch, Molch, seine wässrigen Glupschaugen auf sich zu spüren ertrug sie nicht und noch weniger die geriffelte Haut seiner Hände, die er sich bei irgendwelchen chemischen Arbeitsvorgängen verhässlicht hatte, egal, wie oft er sie sich mit Gallseife schrubben mochte. Mit einem Wort: Sie verabscheute ihn. Und dass dieser Lazzaro Israël nur winzige Einmeterfünfzig maß, war der Gipfel der Unverschämtheit. Er war ein Zwerg. Sein Kopf reichte gerade mal knapp über ihre Hüfte – wie sollte sie so einen Mann je lieben können? Und dann sein Stock mit dem geschnitzten Papageienschnabel aus Jade – wer glaubte er eigentlich zu sein? Nein, diesen Menschen konnte sie nicht ehelichen, lieber würde sie sterben.

Sie schnitt ihn. Wann immer sie seine Zwergenschritte im Haus um eine Ecke tapsen oder die Stufen zu den Wohngemächern hinaufsteigen hörte, verschwand sie gazellengleich in einem der oberen Zimmer. Oder sie huschte eine andere Treppe wieder hinunter und entwischte ins Atrium, durch den Hinterhof und ohne ein Geräusch zu verursachen, auf leisen Sohlen – sie hielt dazu ihre Schuhe in den Händen – die Bedienstetentreppe hinauf, nur, um kurz vor den Bedienstetenkammern vom eigenen Vater überrascht und entschieden zurück in den Salon geführt zu werden.

Es war besiegelt. Sein verkniffenes Gesicht duldete keine Widerrede. Und so verstummte Costanza Modigliani, schluckte ihren Abscheu, ihre Angst und ihren Ärger hinunter und beschränkte sich auf ein nunmehr traumloses, hoffnungsloses Leben, das jeglicher Phantasie entbehrte. Ihr Flair fürs Zeichnen erstarb an dem Tag, als sie Lazzaros Ring überstreifen musste. Nie wieder würde sie mit dieser Hand etwas Neues schaffen, nie wieder einen Kohlestift oder einen Pinsel anrühren, nichts, gar nichts.

Lazzaro Israël, achtundzwanzig zum Zeitpunkt seiner Hochzeit, war zwar kurz gewachsen, aber sein Verstand übertraf den der meisten seiner Zeitgenossen um Längen. Nicht zuletzt seiner geistigen Wendigkeit und seiner messerscharfen Denkweise hatte er den Erfolg als Fabrikant und Unternehmer zu verdanken. Aber auch in Gefühlsbelangen trog ihn sein Spürsinn nicht. Sein Empfindungsvermögen hatte sich früh schon zu einem verlässlichen Seismoskop ausgewachsen, das jegliche Stimmungsregung umgehend aufnahm, registrierte und auswertete. Dass seine junge Frau, Costanza Israël, geborene Modigliani, ihm mit keiner Faser ihres Wesens zugeneigt war, entging ihm nicht, er spürte es in jeder einzelnen seiner Zellen – und lernte damit zu leben. Er hatte schnell begriffen, dass sie alles und jedes, das er ihr vorschlug, ausnahmslos ausschlug. Ihr Trotz war das letzte Überbleibsel ihres einst so fröhlichen Lebensmutes, das letzte Fünkchen Lebendigkeit, das in diesem beeindruckenden und so wendigen Körper durchgehalten hatte. Traurige Ironie, dass dieses bisschen Selbst, das da noch irgendwo in ihr atmete, ein fremdbestimmtes war, denn was anderes als Fremdbestimmung war schon Trotz?

Die Staffelei, die er ihr ins hintere Winterzimmer gestellt hatte, rührte sie nicht an. Und mit wachsender Traurigkeit nahm er wahr, dass die Melodien, die sie auf dem Pianino anstimmte, von Tag zu Tag düsterer und monotoner wurden.

Indes, Lazzaro war nicht nur ein präziser Denker, er war auch ein anspruchslos Harrender. Seine ganze Kindheit und Jugend lang, die von Hänseleien und Übergriffen, von körperlichen wie seelischen Quälereien geplagt waren, wusste er, seine Zeit würde kommen. Und so hatte er Tag für Tag Neues dazugelernt, hatte sich den geschmähten Beruf des Gerbers angeeignet, hatte sich dazu gedrillt, gelassen mit sich selber und seiner Größe umzugehen, hatte geübt, gerade zu stehen und anderen aufrecht ins Gesicht zu blicken, selbst wenn der Winkel, den er zu überwinden hatte, zumeist um die 18 Grad ausmachte. Mit der Zeit und einem anwachsenden Vermögen hatte es Lazzaro Israël schließlich geschafft, ein geachtetes Mitglied der israelitischen Gesellschaften von Ferrara, Florenz und Livorno, den ganzen Arno entlang, zu werden. Sein Name war bekannt.

Und so wollte er es auch bei der Eroberung dieser verschlossenen Frau halten. Still und anspruchslos dulden, dass die Türe zu Costanzas Zimmer zugesperrt war und er ergebnislos mit dem Handrücken dagegenklopfte.

War die Hautevolee im Umgang mit dem Kleinwüchsigen schon immer etwas gehemmt, so befremdete sie das ungleiche Ehepaar nun umso mehr. »Der langer Schabbes mitn kurzn Freitig« wurden sie genannt, und so gab Lazzaro Israël aus Rücksicht auf seine Frau keine Empfänge. Seine geschäftlichen Verhandlungen tätigte er weitestgehend in seinem Kontor oder direkt vor Ort in der Fabrik, gesellschaftsorientierte Konversation benötigte er keine. Alles ohnehin nutzloses Geschwafel, die Leute reden gerade mal so, wie der Wind weht, da ist kein Verlass, kein Bestand, nichts von Bestand. Trost fand er hingegen in der verlässlichen Beständigkeit seiner Frau und in ihrer Ablehnung ihm gegenüber, und obwohl er wusste, dass dies ein irriger Trost war, begann er doch, sich in genau dieser Ablehnung zu Hause zu fühlen.

Als er am 8. Dezember des Jahres 1856 spät abends von seinen anspruchsvollen Unternehmungen heimkehrte – die Arbeiter hatten einen Aufstand versucht, weil sie eine höhere Arbeitssicherheit im Umgang mit den chemischen Farbstoffen forderten –, setzte er sich müde an den Tisch, den ihm allabendlich Costanza bereithielt. Den frischen Tomatensalat verspeiste er mit sichtlichem Genuss, die dampfende Cacciucco mit den nahrhaften Miesmuscheln, den Kraken und dem Tintenfisch, den Heuschreckenkrebsen und den geschmeidigen Salbeiblättern, die zwischen mächtigen Garnelen wie Samtfähnlein im Rot der Suppe schwammen, bewunderte er in gewählt zarten Worten; aber seine Hand blieb brav liegen, er spürte ihren Blick darauf, der zugleich ängstlich über ihr eigenes Hoheitsgebiet, ihren Körper, wachte. Dann sagte er ohne Vorankündigung, ohne Einleitung, einfach so: »Costanza, ich möchte dich bitten, die Tür zu deinem Zimmer heute Nacht offen zu lassen.«

Sie zeigte keine sichtbare Reaktion, aber er spürte, dass er sie mit dieser Bitte im Innern getroffen hatte. Er kannte Costanzas Vater, seit der Zeit der Eheschließung hatte er auch beruflich mit ihm zu tun, und er wusste, dass er ein Mann des Herrschaftswortes war, kein Bittsteller, nie. Die Geduld, die Lazzaro seiner Frau lange gezeigt hatte, sowie diese schlichte Bitte hatten sie getroffen. So etwas kannte sie nicht, es war nicht vorhanden als Schema in ihrem dürftigen Verhaltensrepertoire: Sie dachte nach.

Nach dem Essen schenkte sie ihm wortlos ein Glas Rotwein ein. Dann, als er ausgetrunken hatte, stand sie auf, trug das Geschirr in die Küche und begann den Abwasch. Es war ihr Wunsch, zumindest abends kein Dienstpersonal zu beschäftigen, sie fühlte sich ganz offensichtlich wohler so in ihrem neuen Daheim, in dem ihre Seele nie wirklich angekommen war. Bedrückt, aber doch von einer kleinen Hoffnung beflügelt, betrachtete er im Türrahmen angelehnt den Rücken seiner Frau. Wie groß sie war, wie augenscheinlich reif mit ihren siebzehn Jahren. Und wie traurig ihre Haltung jeden Tag. Vielleicht, vielleicht …, aber das wagte er fast nicht mehr zu hoffen. Mit einem Seufzer streckte er sich und zog sich in die Bibliothek zurück.

Als die Nacht am tiefsten war, gab er sich einen Ruck und kletterte mit einer flackernden Kerze bewehrt die Stiegen hinauf zu ihrem Zimmer. Mit leisem Druck presste er die Klinke hinunter und fand die Türe wundersamerweise unverschlossen. Er trat ein. Die Dunkelheit umhüllte ihn wie einen Dieb. Er musste ein paar Atemzüge nehmen, bevor er weiterging, sein Herz war mit einem Male ganz aufgewühlt. Er empfing einen Duft von Veilchen und Lavendel, er hatte dieses Zimmer seit Costanzas Einzug in seinem Hause nicht mehr betreten. Hatte es schon früher so eigenartig geduftet? Die kalte Luft, die durch das geöffnete Fenster hereinstrich, erfasste seine Locken, kitzelte an seinem Schnauzbart.

Da lag sie, seine große Schöne, wie eine hastig zusammengeklappte Leiter in einem viel zu kurzen Bett. Dass er daran nicht gedacht hatte, sie bräuchte eine Spezialanfertigung, dringend, morgen früh als Erstes!

Er tat einen Schritt auf die Liegende zu. Schlief sie? Spielte sie ihm ihren Schlummer vor? Sein Seismoskop weigerte sich, irgendwelche fremden Signale zu empfangen, er spürte nur sich selbst, sein Herz klopfen, seine wackeligen kurzen Beine, den unsicheren Fuß, als er sich noch weiter an das Bett heranschob und schließlich dicht neben seiner Frau zu stehen kam. Er brauchte sich nicht zu ihr hinunterzubücken, sein Arm reichte, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu wischen, sanft, ganz sanft. Jetzt wusste er, dass sie die ganze Zeit gewacht hatte, dass sie auf ihn, auf sein Eintreten in ihr Gemach, gewartet hatte, auf diese Berührung, diesen Moment. Er betrachtete sie lange still. Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht, das konnte nur der altbekannte Trotz sein, die Fremdbestimmung. Er erschrak. Lazzaro wurde von einer meertiefen und meerweiten Traurigkeit erfasst: Seine Frau würde ihn nie lieben können.

Müde entledigte er sich seiner Kleidung, bis er nackt neben ihr stand. Dann schlüpfte er ungeschickt und viel zu schnell zu ihr ins Bett und suchte mit seinen Händen nach einem Ort auf ihrer Haut, der etwas weniger kalt und klamm erschien als ihre Arme, ihre Hüfte, ihre Schenkel. Auf ihrem Bauch ließ er sie zur Ruhe kommen und atmete tief durch.

… Costanza spürte, wie seine abgearbeiteten harten Finger wie Blindschleichen über ihre Haut irrten. Ihre Augen hielt sie fest verschlossen, und in ihrem Schädel dröhnte immer und immer wieder des Vaters Basta!, es fiel ihr schwer, ruhig zu atmen. Als seine Hand zwischen ihre Beine rutschte, schrie sie kurz nutzlos auf. Seinen Geruch empfand sie noch immer als unerträglich, egal, wie sehr er sich gesäubert haben mochte, der Umgang mit faulenden Häuten und Chemikalien setzte doch jenen Gestank in seinen Poren ab, den sie unweigerlich mit seiner unzulänglichen Postur verband.

… Vergeblich versuchte Lazzaro in dieser Nacht, die Arme und Hände seiner Gemahlin in Umarmung um sich selbst zu winden, schlaff fielen ihre Glieder jedes Mal von ihm ab, und er blieb allein in seinem Eroberungszug, einziger Conquistador bei der Erkundung von Neuland, das ihm vor etwas mehr als einem Jahr zugeschlagen worden war. War es das wert? Aber Lazzaro erinnerte sich plötzlich auch all der Momente in seinem Leben, in denen er geschnitten, ausgelacht, gehänselt, geplagt und bedroht, der Lächerlichkeit preisgegeben worden war. Das Schicksal hatte ihm weißgott schon böse genug mitgespielt mit seiner Kleinwüchsigkeit. Wenigstens ein Mensch, ein Mensch auf Erden nur, sollte ihn doch so lieben und annehmen können, wie er war – unvollkommen. Und wer war sie überhaupt, diese Costanza Modigliani, wer glaubte sie zu sein mit ihren Einmeterachtzig und der doch etwas zweifelhaften Herkunft, wenn man es sich recht besah?

… Costanza fühlte, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte, sie war augenblicklich unschlüssig, ob sie die zarten Streichelversuche ihres ihr angetrauten Mannes nun nicht doch ein kleines bisschen erwidern könnte, aber da war er wieder, der Trotz, das Gefühl von Macht und Lebendigsein im Moment ihrer Verweigerung. Sie widersetzte sich, und sie blieb kalt und gefühllos wie eine schiefgeratene und aus der Kollektion ausgesonderte Puppe unter ihm liegen, als er irgendetwas, einen Finger?, nein, zu groß, zu anders, was war es dann?, in sie einführte und mit regelmäßigen Bewegungen und röchelnden Atembemühungen sich ihrem knochigen Körper entlang aufrieb. Als ihre Beine seinen Oberschenkeln Weg geben wollten, weigerte sie sich aufgrund eines Impulses, wie von einer sehr starken, sehr harten und sehr unnachgiebigen Feder zurückgehalten. Und als ihr ein plötzliches Stöhnen aus der Kehle entfuhr, wieso ist mein Mund geöffnet, wieso?, hätte sie sich selbst nur zu gerne der Hölle übergeben, wenn dieser Schmach von Selbstverlust dadurch ein Ende hätte bereitet werden können.

… Lazzaro war jetzt wieder Herr seiner Sinne, er spürte das zögerliche Kommen und Gehen von wohligen Empfindungen, die er seiner Frau durch seines eigenen Körpers Kraft bescheren konnte. Er spürte ihren Kampf, und er spürte den seinen. Wenn er ihr doch nur ein bisschen Beglückung, ein bisschen Freude in ihr trauriges verschlossenes Leben bringen konnte, er wusste, dass das möglich war. Die Mädchen, die er in La Spezia, Genua und Viareggio besucht hatte, hatten es ihm allesamt lustvoll kichernd bezeugt, er war ein ganzer Mann, was das anbelangte, diese Sache war mehrfach erprobt und unbestritten. Es gab ja sogar Mädchen, die weitere Besuche speziell erbaten, wenn er sie seiner Reisen wegen verlassen musste. Und er wusste, wusste einfach, dass diese Freude an der Kraft, die seine schmalen Lenden hervorbrachten, keine geheuchelte war.

… Dass sich Männer und Frauen küssten, kannte Costanza aus eigenen verstohlenen Beobachtungen. Dass dabei aber die männliche Zunge in den weiblichen Mund witscht, war ihr neu und entsetzlich fremd. Wie abartig, wie tierisch, Lazzaro war plötzlich einfach überall in ihr drin, seine Finger in ihren Ohren, in ihrer Halsmulde, ihrem Nabel, ihrem … ach!, und unten, was immer das war, was er da mit zu ihr ins Bett gebracht hatte oder was an seinem schändlichen Körper klebte, es pulsierte in ihr mit einem Eigenleben, so als wollte es etwas aus ihr heraushämmern. Mit überquellender Kraft.

… Lazzaro kannte nun kein Zurück mehr, das Kopfteil des Bettes rumste gegen die Wand, und er wusste, dass er seine Frau mit seiner Leidenschaft nun entweder für sich gewinnen – oder ganz verlieren würde. Seine Zunge erforschte ihren Körper und fand immer wieder, wie um Bestätigung heischend, zurück in ihren Mund. Ihr Speichel schmeckte süß wie Rosenduft, ihre Achselbüschel rau und unerforscht, ihr Nabel tief wie das weite Meer.

Als er sich wie in einem letzten Beweiszug vor Gericht aufbäumte und sich mit zwei, drei festen Stößen in ihr ergoss, blieb Costanza steif und fischblütig unter ihm liegen; sie wusste instinktiv, dass sie ihn damit besiegt hatte.

Alžbeta

Kassa, 1859

»Aber ich habe es gehört, sie hat es ganz deutlich gesagt!« »Ach, Franta, was genau betrübt dich so? Ist sie denn nicht wunderbar, die Liebe?« Alžbeta zupfte an einem Strauß blauer Kornblumen herum und steckte zwei, drei Klatschmohnstängel dazu. Dann setzte sie sich auf die Fensterbank und ließ die schweren nachtblauen Vorhänge herunter und verdunkelte den Raum. Sie tätschelte den freien Platz neben sich mit der flachen, morgendlich unberingten Hand und wies ihren Posticheur damit an, sich neben sie hinzusetzen.

»Die werden aber nicht lang halten. Mohn braucht lockeres Erdreich, keine Überschwemmungen.«

»Ach, Franta, was bist du wieder ungezogen!« Sie liebte es, dieserart mit ihm zu tändeln, so als wäre er ihr Kind. Und fürwahr, es ließ sich ja nicht leugnen, dass Alžbeta Csöke, letzte der sieben Töchter des Grafenhauses Csöke in Kassa, mit ihren bald neunundzwanzig Jahren noch immer unverheiratet, doch schon recht alt war. Mutter könnte sie selbst längst sein, gar Großmutter, so alt war sie. Und störrisch, was das betraf, wie ein Esel. Aber man ließ sie lieber gewähren in ihrer Eigensucht, anstatt sich blaue Male zu holen. Alžbeta galt als unberechenbar. Nicht selten schützten sich ihre Zofen und Kammerdiener, ja selbst die eigene Mutter mit aufgeworfenen Händen und Armen gegen einen Schuh, einen Kamm, ein Buch, die nacheinander geflogen kamen. Was Alžbeta nicht wollte, tat sie nicht. Und umgekehrt hielt sie es genauso. Ein verzogenes Kind, könnte man meinen, aber er ahnte es besser. Und dass, noch bevor er auch nur ein Wort an sie gerichtet hatte oder sie an ihn. Eher ein Kind, das am Rande seiner auf Reichtum und Äußerlichkeiten versessenen Familie still und eigen groß geworden war. Ihre gräfliche Verwandtschaft war wie ein altes, nobles Seidentuch, an den Rändern ausgefranst, und keiner, dem das wirklich wichtig war, keiner, der da hinschaute, solange das Tuch nur in seiner Mitte fest war und berückend glänzte. Eine dieser Fransen, eben sie, reizte ihn, sie, die so etwas wie Persönlichkeit entwickelt hatte in all dem verwirrenden Banalen, fast wie ein intelligenter Mann, dachte František hin und wieder, grad ebenso interessiert und informiert, das war unbestritten; Alžbeta wusste Bescheid.

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