Die Verlorene - Michèle Minelli - E-Book

Die Verlorene E-Book

Michèle Minelli

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Beschreibung

"Wie ich nun gar einsehen musste, dass ich das angstvoll gehütete Geheimnis preisgeben müsse und die Schande nicht mehr länger verheimlichen könne, gewann jener schreckliche Gedanke alle Macht über mich. Es ist entsetzlich, was ich tat, aber ich flehe Ihre Barmherzigkeit an, mir die Gnade des Lebens zu schenken. Die Unglückliche. Frieda Keller"

Als Frieda Keller 1904 in St. Gallen ihr Gnadengesuch schreibt, liegen der Alptraum eines Missbrauchs, eine Verzweiflungstat und ein skandalöser Prozess hinter ihr. Michèle Minellis Roman beruht auf dem historischen Kriminalfall, in dem die Schneiderin Frieda Keller in die Mühlen einer männerbestimmten Justiz geriet, die alle Schuld der Frau auflud und den Vergewaltiger ungeschoren ließ. Als Friedas Dienstherr die Tür verriegelt und sich an sie drängt, ist sie verloren. Hinter ihr liegt eine unbeschwerte Kindheit im thurgauischen Bischofszell und vor ihr die jahrelange Schmach einer ungewollten Mutterschaft. Im aufstrebenden St. Gallen kann sie in der Anonymität der Stadt untertauchen, das Kind hält sie vor allen in einer Kinderbewahranstalt versteckt. Weil der Junge aber dort nicht bleiben darf und sie nicht für ihn sorgen kann, ergreift allmählich ein düsterer Plan von Frieda Keller Besitz ...

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Seitenzahl: 550

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Informationen zum Buch

»Wie ich nun gar einsehen musste, dass ich das angstvoll gehütete Geheimnis preisgeben müsse und die Schande nicht mehr länger verheimlichen könne, gewann jener schreckliche Gedanke alle Macht über mich. Es ist entsetzlich, was ich tat, aber ich flehe Ihre Barmherzigkeit an, mir die Gnade des Lebens zu schenken.

Die Unglückliche. Frieda Keller«

Als Frieda Keller 1904 in St. Gallen ihr Gnadengesuch schreibt, liegen der Alptraum eines Missbrauchs, eine Verzweiflungstat und ein skandalöser Prozess hinter ihr.

Michèle Minellis Roman beruht auf dem historischen Kriminalfall, in dem die Schneiderin Frieda Keller in die Mühlen einer männerbestimmten Justiz geriet, die alle Schuld der Frau auflud und den Vergewaltiger ungeschoren ließ.

Als Friedas Dienstherr die Tür verriegelt und sich an sie drängt, ist sie verloren. Hinter ihr liegt eine unbeschwerte Kindheit im thurgauischen Bischofszell und vor ihr die jahrelange Schmach einer ungewollten Mutterschaft. Im aufstrebenden St. Gallen kann sie in der Anonymität der Stadt untertauchen, das Kind hält sie vor allen in einer Kinderbewahranstalt versteckt. Weil der Junge aber dort nicht bleiben darf und sie nicht für ihn sorgen kann, ergreift allmählich ein düsterer Plan von Frieda Keller Besitz.

Michèle Minelli

Die Verlorene

Die Geschichte der Frieda Keller

Roman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Davor

Altishausen, 1866

Eins

Zwei

Drei

Danach

Nachwort – Ich habe nicht nach Frieda gesucht. Sie hat mich gefunden

Dank

Über den Umgang mit Dokumenten, Namen und Persönlichkeiten

Wichtigste zitierte und herbeigezogene Schriften

Über Michèle Minelli

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Der Verlag bedankt sich für die Unterstützungbei

und

Für Friedaund Ernst

Davor

Altishausen, 1866

Und dieser Morgen ist noch dunkel. Kein fahles Licht verdrängt die Nacht, als sich ein Mädchen auf den Weg begibt, ein Päckchen im Arm, über die Felder, dem Walde zu. Das Mädchen, oder ist es eine junge Frau?, kennt den Weg, es hat ihn sich dutzendfach gedacht. Und doch ist jeder Schritt wie ein Schritt ins Leere, ungewiss, ob der Fuß, der ganze Mensch nicht selber auch versinkt. Und verschwindet.

Jetzt wird es Zeit, du kannst damit nicht ewig warten, hatte Vatti gesagt. Und die Stoffe, die Mueti ihr fürs Päckchenbinden reichte, waren keineswegs nur minder. Auch wenn die Bänder an den Enden ausfransen und immer einen Schritt zurückbleiben, hinter ihr und dem Päckchen im Wind ihr Adieu flattern.

Sie geht, und sie weiß nicht, dass sie geht, weiß nur, wohin sie geht und durch all die langen Felder bis zum Wald hinan. Er winkt in hellem Birkenkleid, sie winkt zurück mit Bändern.

Und nun wird der Boden weich, auig der Wald, in dem sie steht, allein, ein Atem nur, der geht.

Ein ausgestreckter Ast, der nach dem Päckchen langt, unter ihren Füßen der Morast, ein Balancieren. Und jetzt rennt sie, auch wenn das falsch ist, ein nasser Busch, ein Schlag übers Gesicht, und sie spürt es, es federt nach, und ihre Füße sumpfen, und ihre Füße suchen einen Halt im Hain, im endlos weichen Boden, der nachgiebig ist und willens für das, was sie vorhat, so willens, seit hundert Jahren schon.

Sie denkt an den Weg und kann sich nicht erinnern. Jetzt muss etwas geschehen, und Mueti rückte bestickte Bänder heraus.

Und hier ist sie, mit diesem viel zu leichten Päckchen in ihrem Arm, und stößt voran, weiter, tiefer noch hinein, dorthin, wo der Boden vom Schlamm schwarz ist, der Wald im Feuchten wurzelt. Wo er Kalkholz, Aspenholzli und Himmelisbuchen heißt.

Jetzt kniet sie also doch. Jetzt ist es bald so weit. Und jedes Schlucken dünkt sie jämmerlich und nicht zu schluchzen ein Verrat. Und wie das Päckchen langsam, langsam ihr aus beiden Armen rutscht, gleitet auch sie wie aus sich selbst hinaus, und wie es vor ihren Augen absinkt und untergeht, verschwindet und ertrinkt auch sie und weiß es, weiß es ganz genau, dass es diese Nacht, diesen frühen Morgen, diesen einen Tag nie gegeben haben wird, und auch den Nachmittag, den einen, nicht, ein Dutzend Tage noch davor gab es nicht, nichts von alledem war jemals wahr, und wahr würde es auch niemals werden.

Der Mond schaut hinab und leuchtet in ein ordentliches Bild. Denn da unten, auf seiner Erdenschwester, ist alles, wie es sich gehört. Und zu weit von seinem herrlichen Blick entfernt, der Laut vom All verschluckt, die schweren Lehmbatzen, die das Heimwärtseilen der jungen Frau, ja, jetzt ist sie es, eine Frau, die Kindheit hinter sich gelassen, über feuchten fremden Acker mühsam machen, die schweren Lehmbatzen an den Füßen, stolpert sie, und sie stolpert allein, weißer Hauch, der ihr vor dem Munde steht, und ein Atem, ein Atem nur, der geht.

Eins

Schreib, Mädchen, wenn du irgendetwas zu sagen hast, um Himmels willen, schreib es jetzt!

Wie kann man diese Tat in Worte fassen?

Wozu?

Da sitz ich hier, die Hände eingefaltet für ein bisschen Wärme und gar nicht viele Schritte von daheim entfernt. Sind es siebzig oder hundert? Mehr? Die Rorschacherstrasse leicht den Hang hinab.

Ich bin mitgegangen, was hätte ich auch sonst –

… diese Straße, die zum See hinführt. Daran will ich jetzt nicht denken.

Was mir am meisten fehlt, ist die Stimme meiner Mutter. Ihr breites Bern, das in jedes Wort die Liebe flicht. Und wie sie mich anschaut, wenn sie fragt: »Was brauchst du, Kind?«

»Sie brauchen dringend Hofgang, Wärme, Licht«, hat der freundliche Herr gesagt. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen. Ich kenne seinen Namen nicht. Es ziemt sich nicht, allein mit einem Mann zu sein. Auf engem Raum. Und doch. Ich musste immer wieder zu ihm hinblinzeln. Wie ein Mensch von einer anderen Erde. Von einer fernen Welt. Mit ihm herein war der Duft von Flieder gegaukelt, das wenigstens bilde ich mir ein, einen Atem der Frische, einen Hauch Frühling, den der Wind unter seinen Hemdkragen geweht hat. Immer weht der Wind irgendetwas irgendwohin. Den Wind kann man nicht bremsen. Der Wind ist wie ein Mann.

Unerwartet war er eingetreten, schlank und lang, geduckt hatte er sich unter dem Türrahmen, drahtig in seinem teuren Kleid. Und wie er geschaut hat. Sein Blick, das ganze Gesicht voll Aufmunterungsbegehren. Wie der aussah in seinem Aufzug, wie hergerichtet für ein Fest. Hier könne ich nicht bleiben, hat er gesagt. Dabei bin ich doch schon ewig hier. Und er erst einen einzigen Moment. Er sagte: »Einen Monat. Einen Monat und einen Tag genau.«

Kann man die Zeit zählen? Die Glocken der Pfarrkirche St. Fiden meinen: Ja.

Ich höre die große mit dem runden Klang wie ein Bauch, der gefüllt sein will, und ich höre diese kleine, heisere, von irgendwoher. Zuvor war sie mir nie aufgefallen, wenn ich hier entlangging. Sie klingt wie ein Schöpflöffel aus Holz, der gegen eine Suppenschale klöppelt. Sie klingt wie ein Kind, das fröhlich ist, weil es weiß, dass es bald zu essen gibt.

Wo hat man Ernstli hingebracht?

Wie es ihm dort geht?

»Dieses Recht habt Ihr verwirkt.« So hat der Landjäger gesagt. Nie würde er mir sagen, wo der Ernstli ist. Ich sei ihm keine rechte Mutter.

Grad weil ich seine Mutter bin.

Grad drum.

Das Fenster geht nach hinten. Die Türe auf den Gang, der Gang führt einen nach draußen. Der freundliche Herr braucht lediglich zu klopfen. Ihm macht man auf. Er kann hinaus. Mir bleibt das Fenster, nutzlos wie eine Luftspiegelung. Der Mörtel und der Kalk rieseln lautlos. Und in diese Stille falle auch ich, falle ich, ich falle.

Dass ich mich nicht waschen kann, geniert mich. Wie viele Glockenschläge, bis es wieder Mittwoch ist? Dabei war der Herr so fein gekleidet. Er tat mir richtig leid in seinem zweireihigen Glanzanzug, Satinbesatz, perlmuttschimmernden Kragen um den rot ausrasierten Hals. Mit seinem Hut in der Hand, wie er nicht recht wusste, wohin mit sich. Seiner großen männlichen Gestalt.

Solche Anzüge hätte ich bei Fräulein Bahon auch gerne genäht.

Ungewaschen, bis es wieder Mittwoch ist. Schuhe ohne Bändel. So geht man nicht zum Haus hinaus. Und ich, ich gehe nirgendshin. Nicht, bis wieder Mittwoch ist. Freitag, und dann Sonntag, und dann Dienstag, und die Stimmen der Vögel, die Amsel am Morgen, die als Erste spricht, das ganze Tschilpgefleuch, das nach und nach ins Lied einstimmt. Das war mir früher nie bewusst. Hier höre ich es. Aber hier gehöre ich nicht hin.

Immer wieder muss ich mir vorstellen, wie sie mich holen kommen. Ich kann nicht dagegen an, da ist eine solche Angst.

Wenn man mir doch vergibt!

In einem langen Marsch werden sie kommen, der Bezirksammann und seine Landjäger. Sie kommen den Gang herunter bis vor meine Zellentür. Ich stelle mir vor, wie der eine den Schlüssel dreht und, ohne ihn abzuziehen, die Türe öffnet, Schlüssel und Klinke in seiner Hand, und ich, mit meinem nicht gewaschenen Haar, mit meinen zusammengefalteten Händen für ein bisschen Warm, sitze auf der Pritsche, ungemacht.

Das kann ich nicht ertragen.

Seine Stimme gehört zu einem Bergkanton, die Worte spricht er abfallend in ein Dunkles hinein. Hier sprechen wir hell und mancherorts gequetscht.

Grübeln hülfe nichts. Mit seinen brunnentiefen Vokalen aus einer gänzlich anderen Welt. Töne, die mich daran erinnern, dass ich tief gefallen bin. Und an meine Mutter. Daran, wie sie fragt: Was brauchst du, Kind? Und auch, wie froh ich immer war. In jener Zeit davor. Als sie noch lebte und für mich da war, als sie noch war.

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