Die Runenmeisterin - Torsten Fink - E-Book

Die Runenmeisterin E-Book

Torsten Fink

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Beschreibung

Fantasy vom Bestsellerautor, für Leserinnen und Leser ab 13. 

Eher unfreiwillig landen die Zwillinge Ayrin und Baren beim kauzigen Runenmeister Maberic vom Hagedorn. Nun ziehen sie mit ihm durchs Land und erlernen die Magie der Runen. Ein Handwerk, das viel gefährlicher ist, als es den Anschein hat. Bald geraten die Zwillinge in ein Spiel finsterer Mächte, in dem Hexen, Drachen und die magische Urkraft selbst im Verborgenen ihre Fäden spinnen. Als sich Ayrins großes magisches Talent offenbart, wird klar, dass die Zwillinge etwas mit den Mächten, die die Menschheit bedrohen, verbindet. Woher stammt Ayrins Kraft? Schlummert etwas Dunkles in dem Mädchen? Wird Ayrins Kunst, die Runen zu zeichnen, am Ende über das Schicksal der Menschen entscheiden?

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Seitenzahl: 583

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Das Buch

Eher unfreiwillig landen die Zwillinge Ayrin und Baren beim kauzigen Runenmeister Maberic vom Hagedorn. Nun ziehen sie mit ihm durchs Land und erlernen die Magie der Runen. Ein Handwerk, das viel gefährlicher ist, als es den Anschein hat. Bald geraten die Zwillinge in ein Spiel finsterer Mächte, in dem Hexen, Drachen und die magische Urkraft selbst im Verborgenen ihre Fäden spinnen. Als sich Ayrins großes magisches Talent offenbart, wird klar, dass die Zwillinge etwas mit den Mächten, die die Menschheit bedrohen, verbindet. Woher stammt Ayrins Kraft? Schlummert etwas Dunkles in dem Mädchen? Wird Ayrins Kunst, die Runen zu zeichnen, am Ende über das Schicksal der Menschen entscheiden?

Der Autor

© privat

Torsten Fink, Jahrgang 1965, aufgewachsen an der Nordsee und im Nahetal, arbeitete lange als Texter, Journalist und literarischer Kabarettist. Er schreibt und lebt heute in Mainz, am liebsten mit Blick auf den Dom.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

Der Gefangene streckte die Hand aus, er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Die unsichtbare Wand war jedoch noch genau dort, wo sie seit über dreihundert Jahren war. Wie oft hatte er schon nach ihr getastet? Er wusste es nicht. Doch diese Wand sperrte nur seinen Körper ein, nicht seinen Geist. Mit ihm konnte er hinaus, konnte sie berühren, nicht die Welt, aber die allgegenwärtige, unsichtbare Kraft, die sie durchdrang. Diese Energie war so alt wie die Götter, vielleicht sogar älter, und nur wenige erfassten ihr Wesen so, wie es der Gefangene vermochte. Helia, so hatten die Weisen diese magische Urkraft getauft. Sie durchdrang die ganze Welt, und doch wussten nur wenige, dass sie existierte.

Selbst die meisten Hexen und Zauberer ahnten nicht, dass die schwarze und weiße Magie nur ein Echo der Helia waren, im besten Fall ein Mittel, winzige Stücke dieser Urkraft zu nutzen, die die Welt wie ein Netz umspannte.

Kein Mensch hatte diese Energie je so gut verstanden wie der Gefangene, der nun seine Hand gegen die unsichtbare Mauer streckte und die Augen schloss. Kurz badete er in der Erinnerung an seine Macht, an den Rausch, den er immer empfunden hatte, wenn er an den Fäden dieses Netzes gezogen hatte. Er trat von der Mauer zurück, wandte sich ab und versuchte, die aufkeimende Bitterkeit zu unterdrücken. Er hatte das Gefüge der Welt erschüttert, und dann war ihm, auf der Schwelle des Sieges, die Kontrolle entglitten. Die Helia hatte sich gegen ihn gewandt, hatte ihn verraten, hatte den nahen Triumph in eine vernichtende Niederlage verwandelt und ihn durch seinen eigenen Zauber eingesperrt.

Der Gefangene schüttelte den Kopf über seine damalige Torheit. Hätte er seinerzeit nur gewusst, was er heute wusste! Erst im Angesicht der Katastrophe hatte er begriffen, dass die Helia einen eigenen Willen besaß, dass sie selbst handelte, langsam und doch in zäher Zielstrebigkeit. Sie verfolgte Pläne, ließ Entscheidungen heranreifen, vor allem aber entzog sie sich ihm seit jenem schicksalhaften Tag und ließ ihn zurück mit der kümmerlichen Macht schwarzer Magie.

Vielleicht wäre er längst in seinem Kerker verrottet, wenn er nicht eines Tages entdeckt hätte, dass die Helia auch einen Schatten warf, noch flüchtiger und schemenhafter als sie selbst. Und diese Schemen konnte er berühren, ja, mit äußerster Vorsicht sogar beeinflussen und das wiederum hatte Wirkung auf die göttliche Kraft selbst. Er hatte einen Weg gefunden, die Helia zu hintergehen.

Der Gefangene seufzte, schloss die Augen und folgte den Schatten in die Ferne. Die magische Urkraft zog sich an einer bestimmten Stelle zusammen, schien etwas zu beobachten, vielleicht auch zu beeinflussen. Er zwang sich zur Ruhe, folgte der Bewegung mit angehaltenem Atem. Was war die Ursache dieser Veränderung? Wohin wiesen die Schattenfäden? Er erhaschte den flüchtigen Umriss eines Dorfes, unweit der Grauberge. Was ging dort vor? In dieser Gegend gab es weder Macht noch Weisheit, eigentlich gab es dort gar nichts von Bedeutung. Er hatte Diener ausgesandt, auch ins Horntal, doch die Ernte aus Leid und Schmerz, die sie für ihn einbrachten, war bisher kümmerlich. Wem oder was also schenkte die Helia so viel Beachtung?

Und, vor allem, wie konnte er diese Veränderung zu seinem Vorteil nutzen?

Fünf Nägel lagen in der offenen Hand, einer krummer als der andere. Ayrin betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Mehr hast du nicht bekommen?«, fragte sie ihren Bruder schließlich.

»Meister Ramold steckte mir außerdem noch zehn Heller zu, weil ich nicht nur seine Schmiede gefegt, sondern auch frisches Wasser am Brunnen geholt habe!« Baren wirkte beleidigt.

»Nicht viel, dafür, dass du drei Stunden fort warst. Du lässt dich ausnutzen. Ist das ein Hufnagel?«

»Er wird seinen Zweck erfüllen«, erwiderte er, sichtlich verstimmt. »Hilfst du mir jetzt aufs Dach, oder willst du nur herumstehen und meckern?«

Blecherne Schläge hallten über das Dorf. Der Priester rief die Bewohner von Halmat mit der Stabglocke zum Tempel, um die Riten abzuhalten. Ayrin seufzte. Sie und Baren waren schon lange nicht mehr im Tempel gewesen. Die Ritentage waren die einzigen, an denen sie Zeit für die alte Nurre hatten.

»Trödelt nicht, Kinder! Und du, mein Junge, pass nur auf, dass du nicht herunterfällst!«, schnarrte diese vom offenen Fenster der Hütte aus. »Das fehlte noch, dass du dir das Genick brichst, nur weil du das Dach einer alten Frau flickst, die es, das wissen die Götter, nicht mehr lange brauchen wird.«

»Wenn es hineinregnet, muss das Dach ausgebessert werden«, entgegnete Ayrin mit einem Lächeln, »oder willst du dir den Tod holen, Muhme?«

Die Alte schnaubte verächtlich. »Den brauche ich nicht zu holen. Er sitzt schon auf der Schwelle, Kind.«

»Aber wir wollen nicht dafür verantwortlich sein, dass er eintritt«, entgegnete Ayrin ernsthaft.

»Meinetwegen, aber jetzt hilf deinem Bruder. Und bitte die Götter, dass sie ihn beschirmen. Und du, Baren, achte darauf, wo du hintrittst, mit deinen ungeschickten Füßen! Nicht, dass du den Schaden noch vergrößerst. Und beeilt euch, es wird bald dunkel. Doch macht es ja ordentlich!«

»Ja, Muhme.« Baren schnitt eine Grimasse und schob ein altes Fass an die Hüttenwand. Mit skeptischer Miene prüfte er die Festigkeit des Deckels, schwang sich darauf und dann vorsichtig weiter aufs Dach. »Gib mir die Bretter.«

»Wo hast du die denn her?«, fragte Ayrin, als sie ihm die zugesägten Stücke nach oben reichte. »Das scheint mir gutes Holz zu sein.«

»Der Müller braucht sie nicht mehr.«

»Du hast ihn gefragt?«

»Nein, aber sie lagerten mit ein paar Dutzend anderen schon seit Monaten vor seinem Schuppen. Er wird gar nicht merken, dass sie fort sind.« Das Dach knarrte unter seinem Gewicht. »Den Hammer …«, kommandierte er.

Ayrin reichte ihn hinauf. »Vom Schmied?«

»Geliehen. Und ja, ich habe gefragt.« Baren prüfte das Werkzeug. Der Kopf wackelte. »Ich hätte ihn länger ins Wasser legen sollen. Der Schaft hätte noch quellen müssen. Aber für die paar Nägel wird es reichen.« Er kroch auf allen vieren über das Dach. »Sag der Muhme, sie soll mit dem Besenstiel dort gegen die Decke klopfen, wo es hineinregnet.«

Ayrin gab die Anweisung weiter und trat dann ein Stück zurück, um ihren Bruder auf dem Dach besser sehen zu können. Bald erklang zweifaches Hämmern. Nurre hörte nicht auf, innen zu klopfen, obwohl Baren schon dabei war, ein Brett über die schadhafte Schindel zu nageln. Die Sonne stand tief im Westen und der scharfe Wind ließ nadelfeinen Raureif von den Weiden regnen. Im Norden ragten die Grauberge in den Himmel. »Man sollte sie Weißberge nennen. Sie sind die einzigen, die noch reichlich Schnee tragen, in diesem komischen Winter. Ich glaube, diesen Sommer werde ich ein wenig in ihnen herumklettern«, rief Ayrin.

Ihr Bruder hielt mit der Arbeit inne. »Der Ohm wird es kaum erlauben.«

»Aber wenn wir uns erst freigekauft haben …«

»Dann kannst du klettern, soviel du willst, Schwester. Doch wird das noch mindestens ein Jahr dauern – wenn alles gut geht. Und wann geht schon einmal alles gut?«

Ayrin seufzte. Ihr Bruder hatte recht. Der Ohm fand immer einen Grund, ihnen irgendetwas vom Lohn abzuziehen, als wäre der nicht schon karg genug.

Nurre steckte ihren Kopf aus dem Fenster. »Was ist, seid ihr bald fertig?«

»Gleich«, sagte Baren und machte sich wieder an die Arbeit.

»Erstaunlich, wie lange dein Bruder braucht, um ein paar Nägel in ein Brett zu hämmern«, murmelte die Alte. Dann kniff sie die Augen zusammen und fragte: »Was ist das? Werden da Ochsen ins Tal getrieben?«

Ayrin drehte sich um und stellte wieder einmal fest, dass die Muhme nicht mehr besonders gut sah. Tatsächlich waren es ein Dutzend berittene Soldaten, die von Burg Grünwart hinabkamen. Sie folgten der Straße, die ein gutes Stück von der Hütte entfernt ins Dorf führte, aber dann hielten die beiden Vordersten kurz an, besprachen sich und einer von ihnen lenkte sein Pferd hinüber zu der Hütte, während die anderen weiterzogen.

Der Reiter war ein junger Mann, blonde Locken zeigten sich unter seinem Helm, und sein leichter Lederpanzer war mit dem Wappen von Burg Grünwart verziert.

»Was mag der wollen?«, fragte Ayrin.

»Nichts Gutes«, brummte Nurre und beäugte den Reiter mit unverhohlenem Misstrauen.

Baren hörte auf zu hämmern und rutschte an die Dachkante heran.

»Ich grüße Euch, edle Damen, und auch Euch, Meister Dachdecker«, rief der Soldat mit einem gewinnenden Lächeln.

Ayrin nickte nur knapp zurück. Dieser Mann wollte etwas, und ihr Gefühl sagte ihr, dass ihr sein Anliegen nicht gefallen würde.

»Hat Euer Pferd den Weg verloren, Waffenknecht?«, fragte Nurre, die jetzt mit verschränkten Armen vor die Tür trat.

Der Reiter klopfte seinem Pferd freundschaftlich den Hals. »Oh, nein, wir beide kennen die Wege von Halmat recht gut, edle Dame. Ich dachte jedoch, es könnte sich lohnen, jenen Mann in Augenschein zu nehmen, der am Ritentag den Hammer schwingt.«

»Das ist nicht verboten«, verteidigte Ayrin ihren Bruder.

»Gewiss nicht, und wenn es das wäre, würde es wenigstens Euch nicht kümmern, Ayrin Rabentochter, nicht wahr? Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich Euch und Euren Bruder, als Ihr noch jünger wart, mehr als einmal aus den Obstgärten der Grünburg verjagen musste.«

»Ah, Ihr seid dieser lahme Wächter? Ich sage nicht, dass wir je in diesen Gärten waren, nur, dass uns, falls doch, keiner je gefangen hätte.«

Der Reiter lachte, dann sagte er: »Es genügte mir, Euch zu verjagen, mein Fräulein, denn hätte ich Euch gefasst, was mir mehr als einmal leicht möglich gewesen wäre, hätte ich Euch über das Knie legen müssen. Und ich schlage nun mal keine Mädchen.«

»Aus Angst, sie könnten sich wehren und Euch besiegen?«, gab Ayrin bissig, aber mit honigsüßem Lächeln zurück.

Die Augen des jungen Mannes verengten sich kurz, dann schmunzelte er wieder. »Beruhigt Euch, ich bin nicht hier, um alten Frevel zu bestrafen, ganz im Gegenteil. Euer Bruder ist nicht nur ein gewitzter Apfeldieb, sondern auch ein geschickter Handwerker, wie mir scheint. Für so jemanden hätten wir Verwendung.«

»Er hat schon eine Anstellung, vielen Dank«, beschied ihn Ayrin.

»Was für eine Verwendung?«, fragte Baren.

»Ein fingerfertiger Handwerker hat alles, was es braucht, um ein guter Kämpfer zu werden. Wir sind in Halmat, um Soldaten anzuwerben, und Ihr, Baren Rabensohn, seht mehr als tauglich aus.«

»Gibt es etwa Krieg?«, fragte Nurre.

»Aber nein, edle Dame, keineswegs«, rief der Reiter, »doch wird man auch in diesem Dorf gehört haben, dass vom Norden her Unruhe ins Land gekommen ist. Räuber streifen durch das Horntal, stehlen Vieh und überfallen Reisende.«

»Ihr wollt also gegen bewaffnete Räuber kämpfen. Das scheint mir auf jeden Fall gefährlich«, sagte Ayrin.

»Ich möchte wetten, dass der Hexenfürst dahintersteckt«, zischte Nurre. »Er lenkt das Übel in der Welt. Und mein Ziehsohn wird gewiss nicht gegen den Obersten der schwarzen Zauberer fechten.«

»Der Hexenfürst wurde seit Jahrhunderten nicht gesehen, edle Dame. Und ganz gewiss werden wir ihm nicht im Horntal oder in den Graubergen begegnen. Nein, es geht nur darum, Waffen und Rüstung sehen zu lassen, damit dieses feige Räuberpack sich wieder dahin verzieht, wo es hergekommen ist. Ich glaube, dass wir nicht einmal kämpfen müssen. Sie werden fliehen, sobald sie unsere Schwerter sehen. Wir werden ganz leicht viel Ruhm und noch mehr Beute gewinnen.«

»Das würde ich auch sagen, wenn ich Soldaten für so ein gewagtes Unterfangen anwerben müsste. Mein Bruder wird auf Eure Märchen jedoch nicht hereinfallen, nicht wahr, Baren?«

Der schwieg.

»Es gibt auch ein stattliches Handgeld …«

»Handgeld?«, fragte Baren jetzt.

»Sechs Kronen für einen gewöhnlichen Krieger, aber da Ihr ein geschickter Handwerker zu sein scheint, kann ich den Hauptmann gewiss dazu überreden, sieben daraus zu machen.«

»Volle sieben Kronen?«

»Jede Beerdigung kostet mehr, Herr Soldat«, schnarrte Nurre. »Wir sind nicht interessiert. Und Baren ist auch noch nicht fertig mit meinem Dach. Ihr könnt ihn also nicht haben! Guten Tag und gehabt Euch wohl.«

»Ihr habt es gehört«, schloss sich Ayrin grinsend an. »Die Muhme hat gesprochen. Sucht Euch einen anderen Dummen.«

Der Reiter lächelte wieder. »Die Dummen und die Vorwitzigen können wir nicht gebrauchen, edles Fräulein, Euch, Baren Rabensohn, hingegen schon. Sieben Kronen Handgeld, freie Kost und jeden Ritentag eine Krone Sold, dazu einen Anteil an der Beute. Und Ihr stündet nicht mehr unter der Fuchtel gewisser scharfzüngiger Frauen. Überlegt es Euch. Wir bleiben allerdings nur eine Nacht im Dorf. Einen schönen Abend!« Er wendete sein Pferd und ritt davon, bevor Ayrin ihm eine gepfefferte Antwort geben konnte.

Später saßen sie in der kleinen Stube beim Essen. Der Ofen bullerte und Kerzen spendeten warmes Licht.

»Es ist ein Ritentag, und wieder kann ich euch keinen Braten anbieten«, meinte Nurre mit übertriebener Bitterkeit in der Stimme, als sie den schweren Topf vom Herd hob.

»Kein Braten ist so gut wie deine Suppe, Muhme«, entgegnete Ayrin bestimmt, woraufhin die Alte nur den Kopf schüttelte.

»Sieben Kronen«, murmelte Baren und löffelte Graupen. »Und eine weitere pro Woche.«

»Es klingt mehr, als es ist, Holzkopf. Und es ist sauer verdient. Denk nur an den einbeinigen Hum und an Balger Halbhand«, meinte Ayrin. »Die sind auch nur zu den Soldaten gegangen, um ein paar Wilderer zu jagen und kamen halb tot zurück. Sieh sie dir nun an, wie sie jetzt jeden Heller dreimal umdrehen, bevor sie es wagen, ihn auszugeben. Denn die Krone, von der du träumst, gibt es nur für jene, die noch alle Glieder haben. Aber davon wollte dieser aufgeblasene Reiter nichts sagen.«

»Aufgeblasen, ja, das war er, ein Wunder, dass er nicht aus dem Sattel schwebte«, stimmte die alte Nurre zu. »Auch wenn ich zugeben muss, dass er auf seinem Pferd eine recht stattliche Figur machte, meinst du nicht auch, Ayrin?«

»Das war das Verdienst des Pferdes, möcht ich meinen.«

»Wirklich? Und wer von beiden hatte dieses hübsche Lächeln, das dich bei der Begrüßung erröten ließ. Auch das Pferd?«

»Ich bin nicht errötet«, gab Ayrin knapp zurück.

»Soso, bist du nicht«, sagte die Muhme und grinste.

Ayrin schoss einen wütenden Blick auf sie ab. »Auf jeden Fall hatte er mehr Interesse an Baren als an mir.«

Nurre legte die Stirn in Sorgenfalten. »Und er brachte schlechte Nachrichten, übler, als er selbst wusste. Einfache Räuber? Dass ich nicht lache! Dieser Jüngling kann sagen, was er will, es ist der Hexenfürst, der hinter all dem steckt.« Sie schüttelte den Kopf und hustete dann mitleiderregend. »Dass ich das auf meine alten Tage noch erleben muss. Der Herr der schwarzen Magie kommt ins Horntal!«

»Ach, Muhme, der Hexenfürst ist doch schon lange tot.«

»Hast du denn die Geschichten vergessen, die ich früher erzählt habe? Er ist verflucht und kann gar nicht sterben!«

»Und warum hat man ihn dann seit Menschengedenken nicht mehr gesehen?«, fragte Baren und schöpfte noch Suppe aus dem Topf.

»Weil er an seine schreckliche Festung gebunden ist, Dummkopf!«

»Dann kann er also gar nicht ins Horntal kommen, Muhme«, stellte Ayrin lächelnd fest.

Nurre suchte einen Moment nach einer passenden Antwort, dann schüttelte sie mit düsterer Miene den Kopf und raunte: »Ihr werdet schon sehen. Die Zeichen sind da, man muss nur Augen und Ohren öffnen. Eine Amsel, die mitten in der Nacht singt, das tot geborene Kalb von Bauer Lam, die Krähen, die vor den Graubergen hin- und herziehen, so als würden sie auf etwas warten; die Seuche, die in andere Dörfer eingefallen ist, und dann dieser Winter ohne Schnee! Es sind Warnungen vor der Unbill, die zu uns kommen wird. Aber natürlich verschließen alle die Augen vor dem Unglück. Ach, was habe ich den Göttern nur getan, dass sie so düstere Schatten auf meine letzten Tage werfen?«

»Und wovor genau haben dich die Zeichen gewarnt?«, fragte Ayrin mit mildem Spott. Dabei fand sie diesen Winter selbst eigenartig. Gegen Ende des Herbstes hatte es reichlich geschneit, doch kurz nach der Sonnenwende war vom Süden ein Sturm gekommen und hatte Tauwetter gebracht. Zwar war es danach wieder kalt geworden, Schnee fiel aber nur selten und viel zu wenig. Und auch jetzt lagen die Felder braun und nackt im Frost. Ayrin weigerte sich jedoch, darin ein böses Vorzeichen zu sehen.

»Du wirst es schon noch erkennen, Ayrin Rabentochter! Schon bald wirst du an meinem Grab stehen und deinen Spott bereuen«, sagte die Muhme, drohte mit dem hölzernen Löffel und schickte ein Stoßgebet zu den Göttern. Ihr Blick blieb an einem feuchten Fleck an der Holzdecke hängen. »Und du meinst, das wird halten, mein Junge? Du warst ja nicht sehr lange auf dem Dach …«

Baren zuckte mit den Schultern. »Wird der nächste Regen zeigen. Deine Schindeln sind nur in zwei Reihen gelegt. Drei wären besser.«

»Wie sollte eine alte Magd sich so etwas leisten können? Doch darauf kommt es nun ja bald auch nicht mehr an«, sagte Nurre düster und hängte ein schwaches Husten an ihren letzten Satz.

»Was hat eigentlich der Heiler gesagt?«, fragte Ayrin unschuldig.

»Warum sollte ich mit ihm meine Zeit verschwenden? Ich brauche diesen Kräutermischer nicht, um zu wissen, dass es zu Ende geht, Kind.«

»So hast du ihn also nicht gefragt? Er war eine ganze Woche im Dorf.«

Nurre runzelte verärgert die Stirn, dann winkte sie ab und hustete wieder. »Ich werde mich wohl besser hinlegen. Das Kochen hat mich mehr angestrengt, als ich dachte.« Sie erhob sich und schleppte sich hinüber zu ihrer Schlafstatt.

»Leg dich nur hin, Muhme, wir kümmern uns um den Abwasch«, versicherte Baren.

Als der erledigt war, verließen die Geschwister die Hütte und gingen den sanften Hang hinunter zum Dorf. Wieder erklang die Stabglocke des Priesters. Das Signal, dass die Zeit der Riten vorüber war, und das Dorf zum Alltag zurückkehren würde.

»Wir sollten uns beeilen. Der Ohm kürzt uns sonst wieder den Lohn.«

»Du sollst sie nicht immer aufziehen«, meinte Baren.

»Die Muhme? Ach, ich glaube, sie will es nicht anders. Wie lange liegt sie jetzt schon im Sterben? Drei Jahre?«

»Mindestens«, gab ihr Bruder grinsend zurück. »Weißt du noch, wie sie im letzten Sommer auf das Hügelgrab stieg, um dort den Tod zu erwarten?«

»Und aus heiterem Himmel fing es an zu hageln«, fiel Ayrin in die Erzählung ein. Sie lachten beide, aber dann sagte Ayrin: »Allerdings mache ich mir schon Sorgen. Sie hat abgenommen, und sie sieht und hört immer schlechter.«

»Das ist dir also auch aufgefallen? Ich glaube, sie hat diese Soldaten wirklich für eine Herde Ochsen gehalten.«

»Damit lag sie vielleicht gar nicht so falsch«, meinte Ayrin grimmig.

»Ach? Gilt das auch für den Reiter, der zur Hütte kam?«

»Besonders für den.«

»Du wirst rot, wenn du an ihn denkst.«

»Das ist nur der Zorn. Ich hoffe, du bist nicht auf seine Lügen hereingefallen. Handgeld kannst du nicht mehr ausgeben, wenn du tot bist.«

»Schon klar«, brummte Baren, »aber ohne wird es noch lange dauern, bis wir uns aus der Knechtschaft freikaufen können. Und was dann? Wenn wir frei sind, müssen wir immer noch Geld verdienen, und ich will mein Leben nicht als Tagelöhner fristen. Meister Ramold ist zwar gewillt, mich als Lehrling in der Schmiede aufzunehmen, aber nicht ohne das Lehrgeld von hundert Kronen. Wie soll ich das Geld auftreiben, wenn ich nicht, wenigstens für eine Weile, zu den Soldaten gehe?«

»Das wird sich schon finden. Und was soll ich denn erst sagen? Ich will meine Freiheit nicht erlangen, um mich dann wieder als Magd verdingen zu müssen.«

»In Burg Grünwart werden die Mägde besser behandelt und bezahlt.« Baren gab seiner Schwester einen sanften Stoß in die Rippen. »Und wer weiß, vielleicht findet ja einer deiner Verehrer doch noch dein Gefallen.«

Ayrin schnaubte nur verächtlich, aber ihr Bruder ließ nicht locker. »Du weißt schon, dass viele der Knechte und Bauernsöhne nur ins Gasthaus kommen, weil sie auf ein Lächeln von dir hoffen, oder? Und unter den Soldaten mag sich jetzt auch der eine oder andere in diese Schar einreihen. Und wenn du als Magd auf der Burg arbeitest, und ich Waffenknecht bin …«

»Na, besten Dank, Baren. Ich weiß nicht viel, nur, dass weder du noch ich mit den Soldaten gehen werden. Ich will hinaus, etwas von der Welt sehen. Vielleicht Gramgath, die Hauptstadt, ganz gewiss aber das Meer, von dem Lell so gerne erzählt.«

»Du weißt schon, dass unser Koch das Meer nie selbst gesehen hat, oder? Er hat diese Geschichten von haushohen Wogen und tanzenden Schiffen alle nur von seinem Vetter gehört.«

»Und deshalb können sie nicht wahr sein?«, fuhr Ayrin ihren Bruder wütend an.

»Ich verstehe einfach nicht, wie du dich nach etwas sehnen kannst, das du nur vom Hörensagen kennst«, gab der zurück.

»Das merke ich.« Sie seufzte, und dann, nach einem Moment, in dem sie schweigend nebeneinanderher liefen, sagte sie leise: »Und ich will nach Mutter suchen.«

Baren blieb stehen. »Warum willst du nach einer Frau suchen, die ihre eigenen Kinder auf der Schwelle eines Gasthauses ablegt, ohne Gruß, ohne Hinweis, mit nicht mehr als den Namen auf einem Zettel? Es ist klar ersichtlich, dass sie mit uns damals nichts zu tun haben wollte und es auch heute nicht will, sonst hätte sie längst einmal nach uns gesehen.«

»Vermutlich wird sie irgendwie daran gehindert, und …«

»Lass es gut sein, Ayrin«, unterbrach Baren sie schroff, wie so oft, wenn sie diesen wunden Punkt berührte.

Sie schwieg, war aber, anders als ihr Bruder, nicht bereit, ihre Mutter aufzugeben. Sie musste für ihr Handeln einen guten Grund gehabt haben. Und wenigstens den wollte sie eines Tages herausfinden.

Die Hütten am Dorfrand rückten näher. Trübes Licht fiel aus den Fenstern, hinter denen die Tagelöhner und Knechte hausten. Ein Stück weiter stemmten sich die steinernen Mauern der großen Bauernhöfe, die den Kern von Halmat bildeten, gegen den ewigen Wind. Die Zwillinge erreichten den Marktplatz, und auf der anderen Seite erwartete sie groß und imposant das einzige Gasthaus des Ortes – der Blaue Drache.

Sie eilten zum Hintereingang und trafen auf dem Gang zur Küche auf Grit, die Schankmagd, beladen mit einem halben Dutzend Tellern. »Da seid Ihr ja endlich«, keuchte sie. »Schnell, nehmt die Schürzen. Die Gaststube ist voll, wegen der Soldaten, und alle haben sie Hunger und Durst.«

»Und der Ohm?«, frage Ayrin besorgt.

»Grener Staak ist nach den Riten mit Müller Ulcher gegangen, die haben wohl etwas zu besprechen.«

»So ein Glück«, entfuhr es Baren.

»Na, ich würde mich nicht zu früh freuen. Der Müller will bestimmt sein geliehenes Geld endlich zurück und ihr wisst ja, dass euer Ohm keines hat. Also wird er ihm wieder Anteile an Haus und Hof überschreiben müssen. Ich will Meister Staak nicht über den Weg laufen, wenn er wiederkehrt.«

Ayrin seufzte. Wenn der Ohm Geld brauchte, würde ihm auch wieder einfallen, dass die Geschwister sich freikaufen wollten. Vielleicht würde er sich etwas Neues ausdenken, um den Preis dafür in die Höhe zu treiben. Dann beschloss sie, sich darüber keine Gedanken zu machen und stürzte sich in die Arbeit.

Es war wirklich viel zu tun, denn beide Gaststuben waren voll besetzt. Der blonde Soldat, es stellte sich heraus, dass er ein Leutnant war, saß mit seinem Hauptmann in der hinteren Stube, die sonst den bessergestellten Bewohnern des Dorfes vorbehalten war, während die einfachen Soldaten bei den Knechten in der großen Stube saßen. Sie schienen besonders durstig zu sein, jedenfalls kamen Grit, Baren und Ayrin kaum hinterher mit dem Schleppen der schweren Bierkrüge. Je später es wurde, desto lauter und lustiger ging es zu, und bald fiel die eine oder andere anzügliche Bemerkung und es gab Hände, deren Besitzer vergaßen, was sich gehörte. Ayrin hatte Übung darin, Berührungen auszuweichen und zweideutige Bemerkungen zu überhören, und die stämmige Grit, unangefochtene Herrscherin des Blauen Drachen, sorgte mit Witz und Entschlossenheit dafür, dass keiner der Männer auf wirklich dumme Gedanken kam. Später setzte sich der Leutnant zu den Knechten und unterhielt sie mit Erzählungen von Heldentaten und reicher Beute. Ayrin hatte nicht die Zeit, seinen wilden Geschichten zu lauschen, sandte ihm nur hin und wieder einen missbilligenden Blick. Doch er schien dem, zu ihrem leichten Ärger, keinerlei Beachtung zu schenken.

Der Ohm kehrte erst spät in der Nacht zurück, lange nachdem die letzten Gäste gegangen waren. Ayrin wurde in ihrer Stube wach und hörte ihn hinunter in den Keller poltern. Noch ewig hörte sie ihn fluchen und jammern, und sie hatte keine Zweifel, dass er sich ausgiebig am Branntweinvorrat des Gasthauses bediente.

Am nächsten Morgen war Ayrin früh auf den Beinen. Sie heizte den Kachelofen im Gasthaus vor und riss Fenster und Türen auf, um den Geruch von schalem Bier und fettigem Essen aus den Stuben zu vertreiben.

Sie freute sich auf die Gelegenheit, dem Leutnant noch einmal ihre Meinung zu sagen, doch erfuhr sie, zu ihrer Enttäuschung, von Grit, dass der Trupp bereits im Morgengrauen weitergezogen war. »Sie haben einen Knecht von Müller Ulcher überredet, sich ihnen anzuschließen, und den Gesellen von Schuster Solla auch. Zum Glück war dein Bruder zu schlau, um auf die schönen Märchen dieses Leutnants hereinzufallen. Du solltest ihn wecken, es ist viel zu tun.«

»Ich glaube, als Baren hörte, dass diese Soldaten vor Sonnenaufgang aufzustehen pflegen, war seine Begeisterung erloschen«, sagte Ayrin grinsend. »Du weiß nicht zufällig, wie dieser Leutnant hieß, Grit?«

»Na, das ist doch der Sohn vom alten Tegan, der drüben auf Burg Grünwart die Waffenkammer verwaltet. Botaric ist sein Name, er wird aber, glaube ich, nur Bo genannt. Jetzt hilf mir, den Boden zu schrubben, auch wenn es vergebene Liebesmühe scheint. Die alten Dielen wollen nicht mehr recht glänzen.«

»Das war Botaric Tegan? Ich höre die Mägde am Brunnen oft über ihn kichern. Sie reißen sich geradezu darum, Botengänge hinüber zur Burg zu machen, nur um Ritter Bo zu Gesicht zu bekommen.«

»Ja, wäre ich nur ein paar Jahrzehnte jünger, würde ich bei seinem Lächeln auch ins Seufzen kommen. Ich wundere mich, dass du ihn nicht kennst. Er ist ja hin und wieder bei den Riten dabei.«

»Leider ist der Ritentag der einzige, an dem Baren und ich uns richtig um Nurre kümmern können.«

»Stimmt, verzeih, das hatte ich vergessen. Bei den Göttern, ich vermisse sie. Der Blaue Drache ist einfach nicht mehr derselbe, seit sie aufs Altenteil gezogen ist. Wie geht es ihr denn?«

»Unverändert, möchte ich sagen. Sie erklärt bei jeder Gelegenheit, dass sie mit einem Bein im Grabe stehe, wie seit Jahren schon. Doch sie ist wirklich nicht mehr gut zu Fuß. Und ihre Augen werden immer schlechter.«

Ein helles Räuspern unterbrach ihr Gespräch. Ayrin blickte auf, Grit ebenso. Sie verstummten beide.

Eine Fremde stand in der Eingangstür und sah sich in der Gaststube um. Ayrin fand sie viel zu vornehm und schön, um in einem Gasthaus wie dem Blauen Drachen zu erscheinen. Sie blinzelte, aber es war keine Erscheinung, die Fremde wartete wirklich im weit offenen Eingang der Schänke und wirkte etwas verloren.

»Was will die denn hier?«, fragte Grit, den Putzlumpen in den Händen.

»Das Beste wird sein, du fragst sie«, meinte Ayrin und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Grit erhob sich ächzend, trocknete sich umständlich die Hände an der Schürze ab und schlurfte in ihren Holzschuhen hinüber zur Theke. »Was kann ich für Euch tun, edle Dame?«, fragte sie.

»Ein Quartier für eine Woche«, lautete die Antwort.

»Bei uns?«, fragte Grit und wirkte erschrocken.

»Gibt es in diesem Dorf denn noch ein anderes Gasthaus?«, lautete die freundliche Gegenfrage.

»In Halmat? Du liebe Güte, natürlich nicht. Nur, dass hochgestellte Herrschaften für gewöhnlich um Unterkunft in Burg Grünwart ersuchen. Die liegt nur drei Meilen entfernt, auf halber Strecke nach …«

Ayrin hielt es nicht mehr aus. Sie eilte hinüber und rief: »Aber selbstverständlich seid Ihr im Blauen Drachen willkommen, edle Dame.«

»Bin ich das?«, fragte die Fremde und zog den pelzbesetzten Umhang enger um die Schultern. Die Frau, sie mochte um die dreißig sein, wirkte leicht abwesend. Ayrin konnte nicht entscheiden, ob sie sie verspottete, oder ob die Frage ernst gemeint war. »Es ist uns eine Ehre«, stieß sie ihrerseits hervor.

»Dann für sieben Tage und Nächte ein Zimmer für mich und Platz im Stall für meine Pferde und meinen Diener.«

Der Genannte stand draußen vor der Tür und hielt die beiden Reittiere. Ein scharfer Wind trieb einzelne, einsame Schneeflocken über die Straße.

»Das wären am Tag drei Heller für Euch und drei für die Pferde und den Diener. Der Stall ist schräg gegenüber. Er gehört dem Schmied, doch stellen wir die Pferde unserer Gäste auch dort unter. Wir hätten noch Platz für Euren Diener in der großen Schlafstube, Herrin«, sagte Ayrin. »Es würde nur einen halben Heller mehr die Nacht kosten.«

Die Frau blickte gedankenverloren zur Decke. Unwillkürlich folgte Ayrin ihrem Blick. Eine Wolfsspinne kroch träge über einen der Balken.

»Tsifer trennt sich nicht gerne von den Pferden«, sagte die Fremde. »Er macht sich nichts aus Häusern oder Betten.« Sie zwinkerte Ayrin mit ihren dunklen Augen zu, beugte sich zu ihr hinüber und raunte: »Er ist ein bisschen verrückt, müsst Ihr wissen.«

»Sehr wohl«, erwiderte Ayrin unbeholfen.

»Der Punkt ist doch, dass wir gar keine Einzelzimmer haben, Ayrin«, meldete sich Grit zu Wort. »Und das Viererzimmer können wir ihr nicht geben, weil der Viehhändler Trax mit seinen Gehilfen schon darin wohnt. Er ist ein sehr alter und guter Kunde. Der Meister Staak wird nicht wollen, dass wir ihn ausquartieren.«

Die Fremde schien ihr nicht zuzuhören. Sie starrte in die Ecke, in die sich die Spinne inzwischen zurückgezogen hatte. Endlich zog sie aus einem Beutel an ihrem Gürtel sieben Münzen, die sie, ohne hinzusehen, nacheinander auf den Tresen legte. »Für sieben Tage Unterkunft, Verpflegung und Heu für die Pferde.«

»Meine Güte, Silberkronen!«, entfuhr es Grit.

»Wir können das Dachzimmer herrichten«, rief Ayrin.

»Das wird Meister Staak aber nicht recht sein, weil seine Stube darunter liegt, und er es nicht mag, wenn Gäste des Morgens dort umhertrampeln.«

Ayrin verdrehte die Augen. »Für sieben Silberkronen wird er eine Ausnahme machen. Am besten, du weckst ihn und sagst ihm, dass wir vornehmen Besuch haben.«

»Ich? Grener Staak wecken? Du weißt doch, wie unleidlich er ist, wenn man ihn vor dem Mittag weckt. Sein Abend gestern war wieder lang und unerfreulich, möchte ich wetten.«

»Dann gehe ich eben selbst. Der Ohm wird noch viel unleidlicher werden, wenn er erfährt, dass wir einen so vornehmen Gast weggeschickt haben. Ich schicke dir Baren, damit er der edlen Dame mit ihrem Gepäck hilft, und dann müssen wir die Stube heizen, und putzen müssen wir sie auch. Aber das dauert nur einen Augenblick, werte Dame. Ihr könnt Euch dort auf der Ofenbank wärmen.«

»Was für eine Aufregung!« Grit seufzte, aber endlich schien sie zu begreifen, dass hier gutes Geld zu verdienen war. Ayrin eilte die Treppe zum ersten Stock hinauf und hörte die Schankmagd sagen: »Soll ich Fenster und Türen schließen? Wisst Ihr, wir lassen immer frische Luft herein, es hilft beim Putzen, vertreibt üble Gerüche und dunkle Gedanken. Wollt Ihr etwas zum Frühstück? Dann wecke ich den Koch …«

Aus vielen Gründen hätte Ayrin gerne darauf verzichtet, den Ohm zu wecken, doch sie nahm ihre Pflichten ernst. Sie klopfte an die Tür, erhielt erst keine Antwort, klopfte aber weiter, bis sie irgendwann auf der anderen Seite ein schlecht gelauntes Stöhnen und Knurren hörte.

»Wir haben einen Gast, Ohm, eine Fremde«, rief sie.

Ein schwerfälliges »Dann kümmert Euch gefälligst« drang durch die Tür.

»Es ist eine vornehme Dame, Ohm. Sie verlangt eine Einzelstube. Dürfen wir die Dachkammer herrichten? Sie zahlt mit gutem Silber, und sie fragt nicht nach dem Preis. Eine ganze Krone pro Tag will sie geben.«

»Silber?«, fragte es durch die Tür. Die Stimme des Ohms klang gleich viel wacher. Er hustete, stöhnte und spuckte geräuschvoll aus, dann polterte er: »Warum lungerst du dann noch vor meiner Tür herum, dumme Gans? Heizt die Gaststube, weckt den Koch, und bereitet ihr die verdammte Kammer!«

»Wir sind schon dabei, Ohm, doch wollten wir dich wecken, damit du den Gast persönlich begrüßen kannst.«

Auf der anderen Seite der Tür fiel polternd ein Stuhl um. Der Ohm fluchte, vermutlich hatte er sich irgendwo gestoßen. Dann rief er: »Ohne mich geht es natürlich wieder nicht. Ich komme. Und du, Ayrin Rabentochter, schlägst besser nicht Wurzeln vor meiner Tür. Mach dich endlich nützlich!«

Zwei Stunden später trat Ragne von Bial in den dämmrigen Stall auf der anderen Seite des Platzes. Meister Ramold, der ihn führte, war nebenan in seiner Schmiede und fertigte Hufnägel, und so klang lautes Hämmern hinüber in die Wärme des dunklen Holzbaus, in dem ein halbes Dutzend Pferde untergestellt war.

»Tsifer, wo steckst du?«

Eine Gestalt erhob sich aus dem Stroh. »Hier drüben, Euer Gnaden. In dem Quartier, das mir Eure Großzügigkeit zugewiesen hat.«

Ragne lächelte. »Hier wirst du besser schlafen als im Gasthaus. Die Rune muss irgendwo dort drüben versteckt sein. Ich kann sie fühlen. Du würdest es in dem Haus vermutlich gar nicht aushalten. Ich habe selbst schon unerträgliche Kopfschmerzen und die einfachsten Zauber fallen mir schwer.« Sie warf ihm einen Apfel zu. Einen zweiten verfütterte sie an ihr Pferd.

Tsifer fing den Apfel mit einer Hand und polierte ihn mit dem Ärmel. »Es war eine dumme Idee, in dieses Dorf zu gehen. Wir hätten uns weiter in den Wäldern verbergen sollen, solange die Rune wirkt, wie bisher auch.«

Ragne rümpfte die Nase. »Ich bin nicht wie du, Tsifer. Nicht einen Tag länger hätte ich es in diesen eisigen Wäldern ausgehalten. Dieses ewige Verstecken hat mich mürbe gemacht. Ich weiß gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, mal eine Nacht nicht zu frieren. Und du hast gehört, wie unzufrieden der Fürst mit unseren Fortschritten ist. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, tagelang darauf zu lauern, dass uns irgendein Trottel in der Wildnis ins Netz geht, Tsifer.«

»Und doch war es ein Fehler, in dieses Dorf zu gehen. Es wird ein böses Ende nehmen. Du wirst sehen.«

»Wir werden hoffentlich nicht lange bleiben müssen. Hast du von deinen Freunden etwas erfahren können?«

»Ich habe sie gefragt, wie du es verlangt hast, aber, wie ich es voraussagte, wissen sie nichts von der Rune. Sie haben mir allerdings erzählt, dass die Speicher dieses Ortes gut gefüllt scheinen, vor allem jene, die dem Schmied gehören.«

Ragne sah ihn ungnädig an. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du mich nicht duzen sollst, solange ich die vornehme Dame gebe. Man weiß nie, wer zuhört.«

»Hier sind nur wir, die Pferde und ein paar Mäuse. Die werden gewiss nichts verraten, Eure Hoheit«, sagte Tsifer und lachte meckernd, bevor er in den Apfel biss.

»Schön. Ich gehe zurück ins Gasthaus und werde versuchen, herauszufinden, wo dieses verfluchte Zeichen versteckt ist. Und wenn ich daran denke, werde ich dir später etwas zu essen schicken lassen.« Sie betonte den letzten Satz so, dass ihr Begleiter merkte, dass sie durchaus in Erwägung zog, es zu vergessen.

Er antwortete mit einem Achselzucken, biss noch einmal in den Apfel und legte sich dann mit aufreizend breitem Grinsen wieder ins warme Stroh.

»Hat sie eigentlich gesagt, was sie bei uns will?«, fragte Ayrin. Sie stand mit Grit an der Theke und spähte hinüber zu der Fremden, die schon eine ganze Weile in der Stube saß, erst am Kachelofen, jetzt, da sich die Gaststube langsam füllte, an einem kleinen Tisch in einer Nische. Merkwürdigerweise wollte sie nicht in der hinteren, der besseren Stube sitzen.

»Dem Meister hat sie gesagt, dass sie wegen Geschäften hier sei«, erwiderte Grit.

Ayrin füllte den nächsten Krug mit Bier. »In Halmat?«

Die Schankmagd grinste. »Das hat Grener Staak auch gesagt, und als er nachfragte, was für Geschäfte dies seien, hat sie erwidert, dass sie für irgendeinen Auftraggeber nach guten Gelegenheiten Ausschau halte.«

»In Halmat?« Ayrin stellte den letzten Bierkrug auf das Tablett.

Grit lachte, nahm es auf und schleppte es hinüber zu den Tischen. Die große Gaststube, und auch die hintere, waren viel besser gefüllt als sonst unter der Woche, was, da war sich Ayrin sicher, der Fremden zu verdanken war. Sie winkte ihren Bruder heran und stellte einen Krug Wein auf den Tresen. »Der ist für unseren besonderen Gast«, sagte sie, und stellte einen schön bemalten Steingutbecher dazu.

Baren nickte und hob das Tablett zögernd auf, sie aber hielt ihn am Arm fest. »Vergiss nicht, zu fragen, ob sie noch einen Wunsch hat.«

»Fragen?« Ihr Bruder blickte sie entsetzt an.

Ayrin nickte ernsthaft. »Je mehr sie bestellt, desto mehr Silber nehmen wir ein und desto besser wird der Ohm gelaunt sein. Und da sie sicher reich ist, fallen vielleicht auch ein paar Heller für uns ab.«

»Wenn der Ohm nur nicht wieder alles verspielt. Müller Ulcher hat seine Würfel mitgebracht.« Baren zog mit finsterer Miene ab.

»Du liebe Güte, was ist denn in deinen Bruder gefahren«, fragte Grit und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Er sieht aus, als müsse er zum Heiler, um sich einen Zahn ziehen zu lassen.«

»Ich habe ihm nur aufgetragen, die Fremde nach ihren Wünschen zu fragen.«

»Du bist manchmal ein Biest«, sagte Grit und lachte, während sie auf die nächsten Humpen wartete.

Ayrin lud ihr das Tablett voll. »Irgendwann muss er doch einmal lernen, mit Frauen zu sprechen«, sagte sie lächelnd, während sie das nächste Bier zapfte.

Ragne von Bial sah sich um. Sie hatte ihren Platz mit Bedacht gewählt, denn er verschaffte ihr einen guten Überblick über die voll besetzten Schankräume. Der Wirt saß in der hinteren Stube, an einer großen Tafel mit anderen, offenbar wichtigen Männern des Dorfes und widmete sich dem Branntwein und dem Würfelspiel. An den weniger vornehmen Tischen wurde gelacht und getrunken und es wurde viel über die Fremde geraunt. Ragne hatte längst begriffen, dass in dieser abgelegenen Gegend eine reisende Frau eine Rarität war, noch dazu, wenn sie nicht in der Kutsche, sondern zu Pferde und nur mit einem vorgeblichen Diener, aber ohne Ehemann unterwegs war.

Sie ignorierte die vielen neugierigen Blicke und folgte lieber den Abenteuern ihrer kleinen Spione, die sich auf Spinnenbeinen durch das Haus tasteten und nach einem verdächtigen Beutel Ausschau hielten. Dieser alte Kasten war groß und verwinkelt. Der Runenbeutel konnte überall sein. Er war auf jeden Fall nah und erschwerte ihr selbst diese kleine Zauberei. Dann wurde sie auch noch gestört und musste die Verbindung fahren lassen.

»Wie bitte?«, fragte sie freundlich, weil ein junger Mann sie angesprochen hatte.

Dieser wich ihrem Blick aus. »Ich soll fragen, ob Ihr noch einen Wunsch habt, Euer Gnaden.« Er hatte ihr den Wein gebracht, den sie verlangt hatte.

Sie lächelte und tippte mit ihrem Zeigefinger auf den Rand des Bechers. »Ist es in diesem Dorf nicht üblich, einem Gast einzuschenken, wenn man serviert?«

»Doch, doch, verzeiht«, sagte der junge Mann. Der Krug schlug hart auf den Rand des Bechers auf.

»Sagt, junger Freund, wie ist Euer Name?«, fragte Ragne freundlich. Sie legte ihre schlanke Hand auf seinen Unterarm, um ihm zu bedeuten, dass ihr der Krug voll genug war.

»Baren, Herrin«, kam es zurück.

»Baren ist ein hübscher Name. Und wie weiter?«

»Baren Rabensohn, Euer Gnaden. Entschuldigt mich.« Er rannte fast zurück zur Theke.

Ragne sah ihn mit dem Mädchen sprechen. Sie schätzte beide auf etwa siebzehn Jahre. Sie sahen sich auf den ersten Blick nicht ähnlich: Er war dunkelblond und breitschultrig, sie hingegen war schlank und schwarzhaarig. Und dennoch war unübersehbar, dass sie Geschwister waren, vermutlich sogar Zwillinge. Sie nippte an dem Wein, der ihr zu sauer war, und winkte hinüber zur Theke. Das Mädchen schickte ihren Bruder. Das war Ragne nur recht, denn sie begann, einen Plan zu entwickeln, in dem der junge Mann eine Rolle spielen sollte.

»Ihr … Ihr habt noch einen Wunsch, edle Dame?«

»Ist die junge Frau dort Eure Schwester?« Und nach einem Nicken des Jungen fuhr sie fort: »Rabensohn ist ein eigenartiger Name, vor allem für ein Mädchen.«

»Oh, sie wird natürlich Rabentochter genannt. Wir sind Findelkinder, Herrin. Und in Halmat sagt man, dass die von Raben gebracht werden.«

»Wirklich? Wie faszinierend! Was den Wein betrifft, so ist er ein wenig zu herb und vor allem zu dünn für meinen Geschmack. Vielleicht gibt es im Keller dieses Gasthauses noch einen etwas milderen und gehaltvolleren Tropfen?«

»Gewiss, Herrin.«

Er brachte kurz darauf einen neuen Krug. »Der hier ist aus Kandt, Euer Gnaden.«

»Ah, das ist ja beinahe meine Heimat«, sagte Ragne mit einem Lächeln. Sie nippte am Becher. »Ja, der schmeckt nach den sanften Hängen von Kandt und Bial. Damit habt Ihr mir eine Freude gemacht, Baren Rabensohn.« Sie legte eine Silbermünze auf den Tisch.

Er starrte wie gebannt auf das Geldstück.

»Ihr könnt die Krone ruhig an Euch nehmen.«

Verstohlen blickte er hinüber zur hinteren Stube, in der ein Müller namens Ulcher das Wort und die Würfel führte. »Es ist nur, dass wir dem Ohm alles Trinkgeld abgeben müssen, Herrin.«

»Nun, von mir wird er davon nichts erfahren«, flüsterte Ragne ihm verschwörerisch zu und schob die Münze über den Tisch. »Und ich glaube, Ihr könnt Euch noch mehr verdienen, junger Freund. Ihr seid angenehme Gesellschaft.«

Er wurde rot, nahm die Münze rasch an sich und verschwand zur Theke, wo er sie gleich seiner Schwester zeigte. Ragne lehnte sich zufrieden zurück. Es war also etwa so, wie sie es sich gedacht hatte. Der Herr des Hauses versetzte seine Bediensteten nicht nur in Angst und Schrecken, er hielt sie auch noch knapp. Der junge Mann konnte ohne Frage Geld gebrauchen. Vielleicht gab es hier irgendwo im Dorf ein Mädchen, das er mit einem Geschenk beeindrucken wollte. Da konnte sie ihm helfen.

Ragne nippte an dem Wein, der nicht viel besser war als der vorige und suchte wieder die Verbindung zu ihren achtbeinigen Lieblingen, die das Haus durchstöberten, aber bislang immer noch nicht fündig geworden waren. Nach einer Weile winkte sie den jungen Rabensohn erneut heran.

»Vielleicht könnt Ihr mir eine Frage beantworten, mein Freund. Ich bin auf meinem Weg an einigen Dörfern vorübergekommen, die hart von der Seuche getroffen worden waren. Viel Vieh war verendet und auch die Menschen waren erkrankt und ganz elend. In diesem Dorf scheinen hingegen zumindest die Bewohner wohlauf zu sein.«

»Wir haben wahrscheinlich Glück«, sagte der junge Mann und schien verlegen auf eine Bestellung zu warten.

»Nur Glück?«, fragte Ragne und legte noch eine Silberkrone auf den Tisch.

Er strich sie ein und raunte: »Und natürlich eine Rune.«

»Ah, eine Schutzrune! Wie weise! Ich nehme an, sie wird von jenem Priester in seinem Tempel verwahrt, oder? Der kleine Mann dort drüben, in der hinteren Stube, der mit dem langen Bart, das ist doch ein Priester, nicht wahr?«

»Das ist er, aber Aba Brohn ist viel unterwegs, weil er auch für andere Dörfer die Riten abhalten muss. Außerdem ist es besser, die Rune in der Mitte des Ortes zu verwahren, anstatt auf dem Hügel. Sie soll ja Vieh und Mensch beschützen, nicht einen Priester, der selten da ist.«

»Mir scheint, die Halmater sind kluge Leute. Aber ich vergaß beinahe, dass ich etwas zu essen bestellen wollte. Was kann mir Eure Küche anbieten?«

Der junge Mann zählte ein halbes Dutzend reichhaltige Mahlzeiten auf, aber sie bestellte nur etwas Brot, Butter und Honig, was er mit sichtbarer Verwunderung zur Kenntnis nahm.

Kaum war der Schankknecht fort, fiel ein Schatten auf Ragnes Tisch. Ein Mann in geschwärztem Kettenhemd hatte sich vor ihr aufgebaut und betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. Sie hatte ihn eben noch in der hinteren Stube gesehen.

»Kann ich etwas für Euch tun?«, fragte sie freundlich.

»Das will ich meinen oder hoffen, wenn Ihr erlaubt. Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Fremde in dieses Dorf eingefallen sind. Fremde, die nicht von hier sind, sodass es mir Aufgabe, Ehre und Pflicht ist, nachzufragen, was es mit Euch auf sich hat oder nicht hat. Hauptmann Hufting, zu Euren Diensten, Befehlshaber der Wache von Halmat.«

»Es gibt eine Wache in diesem Dorf?«

»Natürlich. Ich könnte nicht ihr Hauptmann sein, wenn es sie nicht gäbe, oder? Das heißt, im Grunde genommen bin ich derzeit nur mein eigener Hauptmann, denn seit der alte Grol gestorben ist, wache ich alleine über die guten Leute dieser Siedlung. Und wenn viele auch sagen, das sei überflüssig, weil es Jahre her ist, dass der letzte Räuber es wagte, hier sein ungewaschenes Gesicht zu zeigen, so halte ich jenen entgegen, dass dies wohl vor allem mein Verdienst ist, der ich hier wache, Nacht für Nacht! Wir brauchen diese aufgeblasenen Soldaten von Burg Grünwart nicht, die sich in der Summe nur höchst selten hier blicken lassen und dann doch nur im Wirtshaus auf ihrem gepanzerten Gesäß herumsitzen und zu viel trinken.«

»Ihr erfüllt ohne Frage eine noble Aufgabe«, sagte Ragne von Bial, die Schwierigkeiten hatte, den umständlichen Ausführungen des Mannes zu folgen.

»Wie wahr Ihr sprecht, edle Dame! So komme ich denn, wie der unfehlbar am Himmel kreisende Adler, zurück auf die eingangs dieser angenehmen Unterhaltung gestellte Frage, was es mit Euch und Eurem Besuch im schönen und bescheidenen Halmat auf sich hat.«

»Oh, ich erkunde geschäftliche Gelegenheiten in dieser Gegend, für einen befreundeten Auftraggeber.«

»Gelegenheiten? Hier? Was hat Euer befreundeter Geber von Aufträgen denn im Sinn, in einer Gegend, die nur in Langeweile unübertrefflich ist?«

»Das ist geheim, wie Ihr vielleicht versteht, aber ich will Euch ein Stück ins Vertrauen ziehen und enthüllen, dass es mit Vieh zu tun hat.«

»Ein Züchter also? Nun, Weideland gibt es hier reichlich und in allen Größen und Lagen, ohne Frage. Und dieser Landstrich ist, wie ich vielleicht bereits angedeutet habe, auch dank meiner unermüdlichen Bemühungen, außerordentlich sicher.«

»Was ich lobend erwähnen werde«, versicherte Ragne.

»Daran tut Ihr nicht völlig unrecht, werte Dame, nicht völlig!«, sagte der Hauptmann, strich sich durch den Bart und zog sich mit einer steifen Verbeugung zurück.

Ragne konnte sich endlich wieder ihren Spinnen widmen. Doch immer noch hatten ihre achtbeinigen Helfer keinen Hinweis gefunden, wo der Runenbeutel versteckt sein mochte.

Der Abend wurde nach und nach lebhafter. Die Befangenheit, mit der die Halmater Ragne lange betrachtet hatten, schwand allmählich. In der hinteren Stube klackerten die Würfel und es wurde viel geflucht und gelacht. Ragne sandte eine ihrer Springspinnen hinüber und war bald sicher, dass der Müller einen gezinkten Würfel im Ärmel versteckte, den er hin und wieder gewinnbringend einsetzte.

An der Theke stritten die Geschwister miteinander, wenn sie Zeit dafür fanden. Es war nicht leicht, eine Laufspinne so nah an die beiden heranzubringen, dass sie etwas hören konnte. Schließlich erfuhr sie, wie Baren seiner Schwester vorrechnete, dass ihnen immer noch einhundertundfünfunddreißig Kronen und einige Heller fehlten, um sich freizukaufen. Eine Krone mehr oder weniger würde da keinen Unterschied machen. Die Schwester sah das anders. Sie drängte ihn, nur ja recht freundlich zu der Fremden zu sein, die vielleicht noch mehr Silber springen lassen würde. Und dann entdeckte Ayrin Rabentochter die Laufspinne an der Wand, nahm ihr Geschirrtuch und schlug sie tot.

Ragne von Bial zuckte zusammen, als der Schlag ihren kleinen Spion traf, es war, als sei sie selbst geschlagen worden. Sie hasste es wie die Pest, wenn so etwas geschah. Doch sie riss sich zusammen. Sie musste ihren Plan vorantreiben.

Bald kam ihr Essen und Ragne nutzte die Gelegenheit, ihre Falle weiter aufzuspannen. »Ich wundere mich, dass sich ein Dorf, wie das hiesige, eine Schutzrune leisten kann.«

»Der alte Maberic verlangt gar nicht so viel dafür, glaube ich.«

»Ah, den Namen hörte ich bereits. Ein wandernder Runenmeister, nicht wahr? Aber wer gibt das Gold, das man der Rune beifügen muss?«

»Gold?«

Ragne nickte ernsthaft. »In diesem Edelmetall steckt noch etwas von der weißen Magie, die im Drachenkrieg verloren ging. Ohne zwei oder drei Goldstücke kann die Rune nicht wirken.«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Niemand in diesem Dorf hat je ein Goldstück gesehen, geschweige denn besessen, meine Dame.«

»Vielleicht halten sie es auch nur geheim, was kein Wunder ist, denn eines ist leicht hundert Silberkronen wert.«

»Hundert?«

»Ja, schwer vorstellbar, nicht wahr?«

Baren Rabensohn nickte.

»Und es ist eine Verschwendung.«

»Die Rune ist ja wichtig, Herrin.«

»Ohne Frage, aber die Magie in einer einzigen Goldkrone reicht für viele Jahre. Ich habe nie verstanden, warum sie immer mehrere davon in diese Runenbeutel legen.«

»Mehrere?«

»So halten sie es für gewöhnlich. Nun, lassen wir das. Was ist das für ein Honig? Stammt er aus diesem Dorf? Er ist köstlich!«

Der junge Mann gab ihr eine gestotterte Antwort und verschwand dann wieder. Den Rest des Abends war er sehr schweigsam. Seine Schwester fragte ihn offenkundig mehrmals, was mit ihm los sei, doch gab er ihr wohl keine zufriedenstellende Antwort. Ragne sah, dass ihre Saat schon austrieb.

Sie sprach mit ihm nicht mehr über Runen. Stattdessen ließ sie Bemerkungen fallen über Freiheit und Unabhängigkeit, und dann erzählte sie beiläufig von Argonos, einem legendären Helden aus Bial, den ein magischer Schatz aus der Knechtschaft befreite und zu großem Ruhm verhalf, und der am Ende vieler Abenteuer das Herz einer schönen Frau eroberte. Sie sah das Leuchten in Baren Rabensohns Augen und fragte sich, ob sie zu weit gegangen war. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn sie ihn hätte mit einem Zauber manipulieren können. Leider verhinderte das die verfluchte Rune, die ihr immer stärkere Kopfschmerzen bescherte. Sie rief sogar ihre Spinnen zurück, weil selbst dieses kleine harmlose Kunststück auf Dauer zur Marter wurde.

Die Zeit schritt fort und in der hinteren Stube wurde inzwischen mehr gestritten als gelacht. Ragne konnte sehen, dass der Wirt betrunken war. Er beschuldigte alle und jeden, ihn zu betrügen, aber die Männer lachten ihn nur aus. Der Priester hatte irgendwann genug und zog sich mit angewiderter Miene zurück. Der Lärmpegel schwoll an, und bald setzte die Schankmagd, die Grit gerufen wurde, recht resolut einige Zecher vor die Tür.

Ragne von Bial zog sich mit einem halben Krug Wein in ihre Kammer zurück. Sie massierte ihre schmerzenden Schläfen und wartete ungeduldig darauf, dass sich Baren Rabensohn in ihrem Netz verfangen würde. Irgendwann, unten war es ruhig geworden, nickte sie ein.

Später schreckte sie hoch und lauschte auf die Stille. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht: Die Kopfschmerzen waren fort! Sie erhob sich, schlich aus der Kammer und dann hinüber in den Stall. Es war an der Zeit, ans Werk zu gehen.

Jemand rüttelte Ayrin an der Schulter. Sie schlug die Augen auf. Eine Kerze spendete Licht. Es war ihr Bruder, der ihre Schultern gepackt hielt. »Bist du wach?«

»Jetzt ja, Holzkopf«, murmelte sie unwillig.

»Gut. Steh auf. Du musst mir helfen.«

»Wie spät ist es?«

»Kommst du jetzt?«

Ayrin reckte sich und gähnte. Sie fröstelte. Die Tür der winzigen Kammer, die sie mit Baren teilte, stand offen. »Was ist denn los?«

»Es gibt Schwierigkeiten.«

Ayrin öffnete den Mund, um Baren zu sagen, dass er sich zu den Nachtalben scheren möge, aber dann sah sie die Besorgnis in seiner Miene und schlüpfte aus dem Bett. »Was hast du angestellt?«

»Zieh dir was über, wir müssen in den Stall.«

»Baren! Jetzt sag doch, was los ist!«

»Besser, ich zeig es dir.«

In Nachthemd und Mantel schlich Ayrin hinter ihrem Bruder die knarrende Treppe hinab, durch die Hintertür hinüber zum schmalen Kuhstall des Gasthauses. Sterne blitzten von einem wolkenlosen Himmel und Frost lag in der Luft.

Baren öffnete das schwere Stalltor gerade so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnten. Ayrin hörte den Atem der schlafenden Kühe. Das Stroh roch warm. Ihr Bruder packte sie am Ärmel, zog sie zur Leiter und kletterte hinauf. Ayrin runzelte die Stirn. Auf dem Zwischenboden lagerten Heu und Stroh für das Vieh. Was konnte Baren dort oben wollen? An einem Eichenträger hielt er an. »Hier«, sagte er und hob die Kerze. Eine Wolfsspinne huschte über den Balken davon.

Im gelben Licht sah Ayrin den Runenbeutel. Sie hatte damals von unten zugesehen, wie der alte Meister Maberic ihn aufgehängt hatte. Ein furchtbarer Verdacht keimte in ihr auf. »Was hast du getan, Baren?«

»Hab nur nachgesehen, weil ich dachte, dass da ein paar Münzen drin sein müssten.«

»Münzen? In einem Runenbeutel? Wie kommst du denn auf die Idee?«

»Hab’s in der Schankstube gehört.«

»Von wem?«

»Weiß nicht.«

»Nicht zufälligerweise von der Fremden, die dir die Silberkronen gegeben hat?«

»Möglich. Ist doch aber auch gleich. Es gibt keine Münzen, und …«

»Und?«

»Na ja, da war so ein Zettel drin.« Er stockte wieder in seiner einsilbigen Erzählung.

»Das Pergament mit der Rune?«

»Kann sein. Ich hab ihn rausgeholt, weil ich ja nachsehen musste, was im Beutel ist, aber da sind nur Huf- und Hornspäne drin und ein Stein und Stroh und so Sachen, und, und … dann ist der Zettel in Flammen aufgegangen.«

»Die Rune ist verbrannt?«

Baren nickte. Er war leichenblass. »Wenn der Ohm das herausfindet, schlägt er mich tot.«

»Ich werde ihm nichts sagen«, erwiderte Ayrin langsam.

»Ich auch nicht, aber wenn das Vieh krank wird …«

»Wird es vielleicht gar nicht. Der Winter ist schon fast vorbei. Und in zwei, drei Monaten kommt Meister Maberic wieder, und wir können ihn bitten, den Schutz zu erneuern.«

»Aber in Hainim ist die Seuche über die Ziegen gekommen und über die Schafe auch. Und dann über die Menschen. Und in Ochsrain sind die Rinder wie die Fliegen gestorben, und dann auch einige Knechte und Bauern. Das ist nicht weit. Und das Ölchen sagt, Pest und Seuche streifen für den Hexenkönig winters durchs Land, und wehe der Herde, die keinen Schutz hat.«

Auch Ayrin hatte von den Unglücken gehört, die über andere Dörfer des Tals gekommen waren. »Ich glaube nicht, dass der Hexenfürst sich viel um unseren Stall kümmert«, sagte sie unsicher.

»Aber er zehrt von Not und Elend. Das weiß doch jeder. Frag das Ölchen.«

»Die ist halb verrückt und darf sich nur um die Lampen im Tempel kümmern, weil sich Aba Brohn dafür zu fein ist. Was sollte die von solchen Dingen verstehen?«, erwiderte Ayrin, ohne viel Überzeugung. »Was hattest du überhaupt vor? Wolltest du die Münzen etwa stehlen?«

»Nein, nein, natürlich nicht. Ich wollte nur sehen, ob sie wirklich da sind.«

»Dummkopf. Wenn da jemals Geld drin gewesen wäre, hätte es der Ohm doch längst verspielt.« Sie seufzte. Spätestens, wenn der Runenmeister wieder ins Dorf kam, würde herauskommen, dass etwas nicht stimmte. Und der Ohm war nicht der Mann, der so etwas mit Gleichmut hinnahm. »Wir müssen sie ersetzen.«

»Die Rune?«

»Was denn sonst? Wir machen einen neuen Zettel, schreiben eine Rune darauf, und legen ihn zurück in den Beutel. Vielleicht merkt der alte Maberic gar nicht, dass etwas nicht stimmt.«

»Aber wie …«, begann Baren, doch Ayrin schnitt ihm das Wort ab.

»Du musst in die Stube schleichen, in der der Ohm die Abrechnung macht. Wir brauchen Pergament, Tinte und Federkiel.«

»Du kannst doch gar nicht schreiben.«

»Ich will ja auch keinen Brief verfassen, ich muss nur eine Rune ersetzen. Ich habe schon ein paar gesehen. Das kann ja nicht so schwer sein.«

»Aber nur ein Runenmeister …«

»Willst du weiter Einwände erheben oder etwas unternehmen, Baren Rabensohn? Mach dich auf den Weg. Wir müssen fertig sein, bevor der Hahn kräht, das Morgengrauen ist nicht mehr fern.«

Baren sah sie mit einem Blick an, in dem Ayrin Bewunderung aber auch Zweifel las, und verschwand dann endlich. Sie blieb allein im Dunkeln zurück. Was hatte sie da vor? Eine Rune fälschen? Das war bestimmt verboten, vielleicht sogar gefährlich, aber weniger gefährlich, als den Ohm merken zu lassen, was ihr Bruder angerichtet hatte. Sie rieb sich die klammen Finger und versuchte sich die Runen in Erinnerung zu rufen, die es im Tempel gab. Sie hatte das Ölchen einmal gefragt, was sie bedeuteten, aber die Alte hatte nur geraunt, dass allein die Priester das wissen durften. Aba Brohn konnte sie jetzt aber nicht fragen, dafür fehlte die Zeit. Er hätte ihr wohl ohnehin nicht geholfen, denn der Priester war zwar beseelt von den Göttern und den heiligen Riten, aber nicht sehr hilfsbereit. Außerdem konnte er nichts für sich behalten.

Baren kehrte bald darauf zurück. Er brachte Feder, Tinte und mehrere Pergamente. »Falls du es beim ersten Mal nicht hinbekommst«, sagte er.

»Dein erster guter Gedanke heute«, murmelte Ayrin. Sie suchte sich einen möglichst ebenen Querbalken und strich das Pergament glatt. Sie sah dem Ohm gelegentlich zu, wenn er die Bücher führte. Er ließ sie, denn er meinte, es sei sogar nützlich, wenn seine Schankmägde rechnen konnten. Mit dem Schreiben von Buchstaben tat Grener Staak sich schwer, und er vertrat die Meinung, dass es für das Gesinde vollends unnütz sei. Und da ging es nur um Buchstaben. Runen waren noch einmal etwas völlig anderes. Sie waren alt, geheimnisvoll, magisch. Vielleicht brachte es Unglück, wenn man sie verwendete, ohne ihren Sinn zu kennen.

»Was ist jetzt? Es dämmert schon«, drängte Baren.

Ayrin schloss die Augen. Sie rief sich die Tempelrunen noch einmal ins Gedächtnis. Es hieß, sie erflehten den Schutz der Götter, und das war genau, was sie jetzt brauchte. Die Runen von Fronar dem Vater und Umone der Mutter kannte sie, doch welches der anderen Zeichen stand für Flehen und, vor allem, welches stand für Schutz?

Sie öffnete die Augen wieder und gestand sich ein, dass sie es nicht wusste. Kurz entschlossen wählte sie die Rune, die für sie am meisten nach Behüten aussah, und begann sie nachzuziehen. Das Ergebnis war erbärmlich.

»Ich weiß nicht, was dieses Zeichen bedeuten soll«, sagte Baren, »aber für mich sieht es aus, als sei es jämmerlich verhungert.«

Ayrin warf ihm einen bösen Blick zu, holte tief Luft und wiederholte das Zeichen, dieses Mal jedoch mit weit schnellerem Strich. Das sah schon besser aus. Baren reichte ihr ein neues Blatt. »Das ist ungefähr so groß wie der Zettel, den ich aus dem Beutel nahm. Leider habe ich die Rune nicht gesehen, weil er ja einfach in Flammen aufging.«

»Schön«, murmelte Ayrin, legte das Pergament auf den Balken, und zeichnete dann mit angehaltenem Atem rasch die Rune, die sie für die richtige hielt. »Warte, bis die Tinte trocken ist«, mahnte sie ihren Bruder, der das Blatt rasch falten wollte. »Wedele es ein bisschen hin und her, wie es der Ohm immer macht«, riet sie ihm und öffnete den Beutel. Ihr Bruder folgte ihrem Rat, mit besorgtem Blick zu den Dachsparren, hinter denen sich das erste Grau des Tages abzuzeichnen begann. Schließlich faltete er den Zettel umständlich und stopfte ihn wieder in den Beutel, den seine Schwester ihm hinhielt.

»Danke«, murmelte er.

Sie nickte ihm knapp zu. Im Dorf krähte der erste Hahn. Ayrin schlich mit ihrem Bruder zurück ins Haus, verfolgt von dem Gefühl, dass diese Sache nicht gut ausgehen würde. Als sie wieder im Bett lag, nahm sie sich vor, der Fremden, die Baren auf diesen dummen Gedanken gebracht hatte, gründlich auf den Zahn zu fühlen.

Ragne von Bial schüttelte sich und löste die Verbindung zu der Wolfsspinne, die sie in den Stall geschickt hatte. Die Balken und Kühe verblassten, und sie fand sich im Mietstall des Schmiedes wieder, in dem sie ihre Pferde und ihren angeblichen Diener untergebracht hatte. Für einen unangenehm langen Augenblick plagte sie das Gefühl, zu wenig Arme und Beine zu haben. »Es ist geschehen«, stellte sie hochzufrieden fest. Sie fröstelte und hielt die Hände näher an die Laterne, die aber fast keine Wärme abgab.

»Das sagtest du bereits vor einer Stunde«, erwiderte der Alb mit zuckenden Augenbrauen. »Warum haben wir nicht längst zugeschlagen?«

»Ich war neugierig, was der Junge unternehmen würde.«

»Was sollte er schon tun? Dieser Dummkopf hat den Zauber zerstört, wie du vorhergesagt hast, und es gibt hier keinen Runenmeister,