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Inmitten der pulsierenden Straßen von Manhattan lebt eine Frau, die sich in den flimmernden Lichtern und den flüchtigen Begegnungen der Stadt verliert. Eine Frau, die sich von ihren eigenen Begierden und der Jagd nach Bestätigung treiben lässt – bis sie eines Tages erkennt, dass die Freiheit, die sie sucht, nicht in den Menschen und den Momenten der Lust liegt, sondern in der Akzeptanz ihrer selbst. "Zwischen Lust und Liebe" ist die packende Geschichte einer Frau, die sich auf eine Reise der Selbstentdeckung begibt. Auf diesem Weg begegnet sie faszinierenden und herausfordernden Menschen – von einem geheimnisvollen Nachbarn bis hin zu einem obdachlosen Mann, der mehr in ihr spiegelt, als sie je erwartet hätte. In einer Stadt, die niemals schläft, kämpft sie mit der Balance zwischen Lust, Nähe und Selbstachtung. Doch die wahre Frage, die sie sich stellen muss, lautet: Kann sie sich selbst lieben, ohne sich zu verlieren? Und kann sie den Mut finden, sich von den Schatten ihrer Vergangenheit zu befreien, um endlich Frieden in der Balance von Verlangen und Selbstrespekt zu finden? Ein fesselnder Roman über die komplexe Suche nach Identität, Intimität und der wahren Bedeutung von Freiheit. "Zwischen Lust und Liebe" ist eine Geschichte über Selbstakzeptanz, den Mut, sich selbst zu erkennen, und die Entdeckung einer Liebe, die tiefer geht als das, was man sehen kann. Für alle, die an die Kraft der Veränderung glauben und wissen, dass der wahre Weg zu sich selbst nur durch die tiefsten Ecken der eigenen Seele führt.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2025
„Die Schatten der Lust“
Akt 1: Der Fall in die Dunkelheit (Kapitel 1-10)
Kapitel 1:
Die Rückkehr zur Unabhängigkeit
Kapitel 2:
Die U-Bahn als Raum der Freiheit
Kapitel 3:
Das erste Treffen mit dem Obdachlosen
Kapitel 4:
Der Nachbar
Kapitel 5:
Die Widersprüche ihrer Lust
Kapitel 6:
Begegnungen in der Dunkelheit
Kapitel 7:
Rückblick auf die Ehe
Kapitel 8:
Die Macht der Anonymität
Kapitel 9:
Der erste Moment der Reue
Kapitel 10:
Die U-Bahn als Ort der Absolution
Akt 2: Zwischen den Welten (Kapitel 11-25)
Kapitel 11:
Eine zufällige Begegnung mit dem Nachbarn
Kapitel 12:
Die Fassade der Freiheit
Kapitel 13:
Der Nachbar wird intensiver
Kapitel 14:
Erneut eine Begegnung mit einem Obdachlosen
Kapitel 15:
Konflikt mit der eigenen Sexualität
Kapitel 16:
Der Wunsch nach Nähe
Kapitel 17:
Ein Vorfall in der U-Bahn
Kapitel 18:
Das erste Mal echte Nähe
Kapitel 19:
Die Konfrontation mit der Vergangenheit
Kapitel 20:
Die Erkenntnis
Akt 3: Der Kampf mit sich selbst (Kapitel 26-35)
Kapitel 21:
Rückzug in die Anonymität
Kapitel 22:
Der Nachbar wird besitzergreifend
Kapitel 23:
Ein Moment der Einsamkeit
Kapitel 24:
Ein Vorfall in der U-Bahn, der sie erschüttert
Kapitel 25:
Der Versuch, sich von der Lust zu lösen
Kapitel 26:
Rückkehr zum Obdachlosen
Kapitel 27:
Eine unerwartete Offenbarung
Kapitel 28:
Wieder ein sexueller Ausbruch
Kapitel 29:
Der Kampf gegen die Einsamkeit
Kapitel 30:
Das erste Mal echtes Vertrauen
Akt 4: Die Rückkehr zur Selbstakzeptanz (Kapitel 36-50)
Thema: Heilung und die Frage nach echter Verbindung Zentrale Konflikte: Sie kommt zu einer tiefen Erkenntnis über ihre Bedürfnisse und beginnt, eine Balance zwischen Lust und echten menschlichen Beziehungen zu finden.
Kapitel 31:
Ein friedlicher Moment
Kapitel 32:
Eine neue Verbindung
Kapitel 33:
Der Nachbar hinterfragt die Beziehung
Kapitel 34:
Eine Entscheidung
Kapitel 35:
Ein Moment der Klarheit
Kapitel 36:
Rückkehr zu den Ursprüngen
Kapitel 37:
Ein Gespräch mit dem Ex-Mann
Kapitel 38:
Eine Nacht der Konfrontation
Kapitel 39:
Der Obdachlose als Spiegel
Kapitel 40:
Ein Moment der Trauer
Kapitel 41:
Der Verlust der Anonymität
Kapitel 42:
Rückkehr zu sich selbst
Kapitel 43:
Eine neue Richtung
Kapitel 44:
Wiederaufnahme der Beziehung mit dem Nachbarn
Kapitel 45:
Eine neue Perspektive
Kapitel 46:
Die Entscheidung für Nähe
Kapitel 47:
Abschied von der Vergangenheit
Kapitel 48:
Der Neuanfang
Kapitel 49:
Ein letzter Blick auf Manhattan
Kapitel 50:
Die Erkenntnis der Selbstakzeptanz
Kapitel 1: Die Rückkehr zur Unabhängigkeit
Die Tür fiel ins Schloss, und sie hörte das vertraute Geräusch des Metalls, das auf den Rahmen traf – ein Geräusch, das wie ein letzter Riegel in einer Kiste wirkte. Sie stand da, mitten im Flur, die Hände fest um ihre Tasche geklammert, als ob sie noch etwas von der Begegnung mitnehmen könnte. Die Luft war schwer, die Sonne draußen schon längst hinter den Wolken verschwunden. New York war wie immer laut und chaotisch, aber in ihr war es still. Zu still.
„Es ist endgültig“, dachte sie, doch das Gefühl der Erleichterung, das sie erwartet hatte, blieb aus. Stattdessen war da nur ein vages Schwindelgefühl, als würde der Boden unter ihr langsam weicher werden. Sie trat einen Schritt nach vorne, drehte sich jedoch noch einmal zur Tür. Es gab nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu tun. Alles, was zwischen ihnen stand, war bereits gesagt worden – Worte, die sie vor Jahren nie hätte aussprechen wollen, die sie immer vermieden hatte.
Sie fühlte sich leer, als hätte ihr Ex-Mann ihr die letzten Bruchstücke ihrer alten Identität weggenommen. Sie war keine Frau mehr, die geliebt wurde, sondern eine, die verlassen worden war. Ein Schatten, ein Hauch der Person, die sie einst war. Und dennoch, es war Zeit. Es war Zeit, zu gehen.
Jeden Tag, an dem sie in dieser Wohnung lebte, war es ein weiterer Tag, an dem sie sich selbst verlor. Doch sie hatte ihn verlassen. Zum ersten Mal in Jahren war sie ohne das Gefühl der Verpflichtung, ohne die ständige Verantwortung, das Richtige zu tun, nach Hause gekommen. Und sie hatte die Wohnung wieder zu ihrem eigenen gemacht, nach all der Zeit, in der sie die Wände mit seinen Worten, seinen Versprechungen und seinen Fehlern gefüllt hatte.
Die Erinnerung an die letzten Worte ihres Mannes hallte noch immer in ihrem Kopf nach, als sie durch den Flur in die Küche ging. Er hatte versucht, sie zurückzuhalten. Er hatte ihr immer wieder gesagt, dass er sie brauchte, dass er ohne sie nicht leben könne. Doch sie wusste, dass es nicht um sie ging. Es ging nie um sie. Es ging immer um seine eigene Unsicherheit, seine Ängste, seine Unfähigkeit, sich von den Ketten der Vergangenheit zu befreien.
„Du wirst das bereuen“, hatte er gesagt. „Du bist nicht stark genug, um alleine zu sein.“
Und sie hatte ihm in die Augen gesehen, ohne Zögern. „Vielleicht, aber das ist mein Weg. Und ich werde ihn gehen.“
Wieder dieser Moment, als sie das gesagt hatte, fühlte sich seltsam fremd an. Sie hatte ihm die Worte hingelegt, wie ein Geschenk, das er nicht hatte, und es war keine Wut in ihrer Stimme. Kein Zorn. Nur eine stille Gewissheit, dass es vorbei war. Und dass es gut so war.
Ihre Finger strichen über den Tisch in der Küche, über die kalte Oberfläche. Sie sah die Tasse Kaffee, die sie vor einer halben Stunde zurückgelassen hatte. Die meisten Menschen würden an dieser Stelle den Raum verlassen und in einen anderen Abschnitt ihres Lebens treten, doch sie stand noch immer da. Ihre Gedanken fühlten sich an, als würden sie sich im Kreis drehen, als würde sie versuchen, einen Ort zu finden, an dem sie sich nicht mehr verloren fühlte.
Der Klang eines Busses draußen erinnerte sie daran, dass das Leben weitermachte, egal wie oft sie versuchte, es aufzuhalten.
„Das ist der Moment“, dachte sie. „Der Moment, in dem alles beginnt.“
Sie zog ihren Mantel an, das Gefühl der Kälte, das über ihre Haut strich, brachte sie für einen Moment aus ihrer Trance. Manhattan wartete da draußen – ein riesiges, pulsierendes Wesen, das sie in seinen Bann zog.
Aber heute war sie nicht nur eine von vielen. Heute war sie sie. Die Frau, die sich gerade erst davon befreite, jemand anderes zu sein. Der Gedanke ließ sie für einen Moment innehalten.
Der Aufzug im Gebäude war der einzige Weg, nach draußen zu kommen. Langsam, mit zögernden Schritten, trat sie hinein und drückte den Knopf für den Erdgeschoss. Die Fahrt schien länger zu dauern als sonst. Sie schloss die Augen, als der Aufzug sanft hinunterfuhr, und stellte sich vor, dass sie so viele Jahre in diesem Lift verbracht hatte, ohne sich je wirklich zu verändern. Immer wieder die gleiche Fahrt, die gleiche Routine. Doch diesmal war es anders. Ihr Herz schlug schneller. Es war der erste Schritt, den sie auf eigenen Beinen tat. Der erste Schritt nach Jahren des Sturzes, des Falls und des Aufstehens.
Das metallische Geräusch der Türen, die sich öffneten, riss sie aus ihren Gedanken. Als sie auf die Straße trat, überkam sie das Gefühl, wieder atmen zu können.
Die U-Bahn-Station lag nur ein paar Straßen entfernt. Der Geruch der Stadt, die hektischen Schritte der Passanten, der Lärm der Autos – sie fühlte sich in dieser Masse nicht allein. Hier war sie nur eine von vielen, ein winziges Teil in einem gigantischen Uhrwerk. Und doch war es genau das, was sie gebraucht hatte – eine Erinnerung daran, dass das Leben weiterging.
Die U-Bahn-Station war überfüllt, wie immer. Doch sie nahm den Platz, der ihr zufiel, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Die Menschen schoben sich vorbei, flüchtige Blicke trafen sich, aber niemand hielt inne. Niemand fragte nach dem, was hinter ihrer Fassade lag. Sie war in ihrer eigenen Welt, in ihrer eigenen Freiheit. Kein Blick, der sie an ihre Vergangenheit erinnerte, kein Wort, das sie an ihren Ex-Mann band. In diesem Moment gehörte sie nur sich selbst.
Als der Zug ankam und die Türen sich öffneten, trat sie ein und fand einen freien Platz. Die Luft war stickig, der Geräuschpegel laut, aber sie fühlte sich ruhig. Der Schmerz war nicht mehr da. Es gab nur eine weite, leere Stille, die sie noch nicht kannte. Doch es war keine Leere, die sie quälte – es war die Freiheit, sich selbst wieder zu finden. Sie schloss die Augen und ließ den Gedanken nachhängen, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich begann, ihre Unabhängigkeit zu spüren.
Kapitel 2: Die U-Bahn als Raum der Freiheit
Es war der Puls der Stadt. Der unaufhörliche Takt, der alles in Bewegung hielt. Menschen, die durch die U-Bahn-Stationen strömten, die ständigen Geräusche der vorbeifahrenden Züge, der Duft von abgestandenem Luft und Abgasen – all das fühlte sich an wie der Beat ihres Lebens. Und sie war Teil davon. Endlich fühlte sie sich wie ein Teil von etwas, das größer war als sie selbst, ohne die Last ihrer Vergangenheit, die sie drückte.
Als sie die U-Bahn-Station betrat, war die Welt draußen für einen Moment vergessen. Manhattan, dieser sich ständig verändernde, lärmende, hektische Ort, war hinter den Wänden der Station fast unsichtbar geworden. Hier war sie niemand. Hier war sie eine von vielen, anonym und gleichzeitig frei. Niemand kannte ihre Geschichte, niemand wusste, was sie gerade hinter sich gelassen hatte. Und das war genau das, was sie brauchte: einen Ort, an dem sie sich selbst verlieren konnte, ohne Rücksicht auf die Erwartungen anderer.
Der Zug, der an der Station hielt, schnaufte wie ein müder Drache und öffnete seine Türen. Ein kurzer Blick auf die Menschen, die sich gerade einen Platz suchen wollten, und sie stieg ein. Sie nahm einen der freien Sitze am Fenster. Ein kleines, aber elegantes Teil der U-Bahn, das ihr genug Raum gab, sich nach außen zu lehnen, ohne dass jemand sie stören konnte.
Die ersten Minuten verstrichen ruhig. Der Zug fuhr durch die Tunnel, und sie beobachtete die schmutzigen Wände, die an ihnen vorbeizogen, wie eine Erinnerung an die vergessene, raue Seite der Stadt. Die Menschen um sie herum schienen so alltäglich, fast wie Gespenster, die in einem ständigen Strom von Bewegungen gefangen waren. Ihre Gesichter waren leer, ihre Augen starr auf ihre Handys oder Bücher gerichtet. Doch sie selbst fühlte sich anders – als wäre sie, auch wenn sie inmitten dieser Masse war, tatsächlich ganz allein.
Es war das Gefühl, das die U-Bahn ihr gab. Hier war sie mehr als nur eine Frau, die durch ihre Tränen und Enttäuschungen hindurchgegangen war. Sie war eine Frau, die sich wieder selbst besaß, die selbst entschied, was sie mit ihrer Zeit und ihrem Leben anstellte.
Doch es war nicht nur die Freiheit der Anonymität, die sie genoss, sondern auch die unvorhersehbaren Begegnungen, die diese Reisen mit sich brachten. Die Menschen, die in diese Züge stiegen, waren wie flüchtige Schatten, die nie lange blieben, aber immer eine Geschichte hinterließen.
Heute war da dieser Mann, der sich plötzlich vor ihr aufbaute. Ein groß gewachsener Typ, im Anzug, aber mit einem unordentlichen, fast gehetzten Aussehen. Er hatte ein irritierendes Lächeln, als würde er sie mit einem Blick durchdringen wollen. Er stand einen Moment lang da, als hätte er Schwierigkeiten, die Worte zu finden. Schließlich trat er einen Schritt näher und setzte sich auf den Platz gegenüber ihr.
„Ist das nicht ein schöner Tag?“, fragte er mit einem Lächeln, das mehr Neugier als Höflichkeit verriet.
Sie sah ihn an, ein wenig überrascht von seiner Direktheit, aber auch fasziniert von seiner Präsenz. Er war ein Fremder, aber in diesem Moment war es das, was sie brauchte. Keine Verpflichtungen, keine Erwartungen. Sie konnte antworten oder schweigen – es war ihre Entscheidung.
„Es gibt keine schlechten Tage hier unten“, sagte sie schließlich, ihre Stimme ruhig, aber fest.
Der Mann lachte leise, als hätte er etwas Unerklärliches verstanden. „Ich sehe, du bist eine von denen, die in den Untergrund eintauchen, um dem Trubel der Welt zu entkommen.“ Er lehnte sich leicht zurück und verschränkte die Arme, als ob er eine weite Geschichte erzählen wollte, die nur in dieser U-Bahnstation Platz fand.
„Vielleicht“, antwortete sie und schätzte, wie wenig sie tatsächlich über ihn wusste. „Oder vielleicht bin ich einfach jemand, der die Stille hier unten genießt.“
Er nickte, als würde er das verstehen. „Stille ist überbewertet. Die Stille kann einen so gut wie erdrücken, wenn man ihr zu lange zuhört.“
Ihre Blicke trafen sich, und sie hatte das Gefühl, dass er etwas wusste, das sie noch nicht verstanden hatte. Irgendetwas an seiner Haltung – der Art, wie er sie ansah, als würde er durch sie hindurchsehen – ließ sie die Stirn runzeln. Und trotzdem fühlte sie sich nicht unwohl.
„Manchmal“, sagte sie nach einer Weile, „muss man den Lärm loslassen, um die Stille zu hören.“
„Das ist poetisch“, antwortete er und lächelte wieder. „Aber auch gefährlich. Denn, wenn man sich der Stille hingibt, stellt man fest, dass die Stimmen, die man all die Jahre nicht hören wollte, jetzt wieder laut werden.“
Der Satz hängte in der Luft, als der Zug in eine neue Station einfuhr. Der Mann stand auf und ging ohne ein weiteres Wort. Ein kurzer Moment, ein flüchtiger Austausch, und er war wieder nur ein weiterer Passant in einer Stadt, die nie stillstand.
Sie beobachtete, wie er verschwand, und für einen Augenblick fühlte sie sich mit ihm verbunden, als hätte er etwas in ihr wachgerufen, das sie längst vergessen hatte. Aber es war nicht der Moment, sich an einem flüchtigen Gespräch festzuhalten.
Sie lehnte sich zurück, schloss für einen Moment die Augen und ließ die Geräusche der U-Bahn auf sich wirken. Die Klicks der Gleise, das Rauschen der Luft, das gelegentliche Husten eines Passagiers. Es war der Klang von Freiheit. Freiheit von allem, was sie zurückgelassen hatte.
Die Türen öffneten sich an der nächsten Station, und eine weitere Welle von Passagieren strömte herein. Ein älterer Mann setzte sich neben sie, ein dicker Aktenkoffer in der Hand. Sie konnte es nicht vermeiden, ihn anzusehen. Es war die Art, wie er seinen Kopf senkte und die Augen verdrehte, dass sie sich fragte, was er in dieser Stadt suchte. Vielleicht war er wie sie. Vielleicht auch nicht.
Aber was es auch war – sie hatte sich entschieden, niemandem mehr zu gehören. Nicht mehr dem Mann in der U-Bahn, nicht mehr den Erwartungen der Stadt, nicht mehr den Gesichtern ihrer Vergangenheit. Niemand konnte sie noch fangen.
Kapitel 3: Das erste Treffen mit dem Obdachlosen
Der Tag war unbeständig. Wolken zogen schnell über den Himmel, als sie die Straßenecke entlangging, die sie jeden Tag passierte, wenn sie zur U-Bahn ging. Die Straße war belebter als üblich – Menschen drängten sich auf den Bürgersteigen, Busse hupten, und der Lärm der Stadt schien endlos. Aber sie hatte ihre eigene kleine Welt in diesem Meer von Eindrücken erschaffen. Der Tag war grau, doch ihre Gedanken waren noch grauer.
Sie hatte noch nie auf diesen Obdachlosen geachtet, obwohl er immer an der gleichen Stelle saß, an derselben Wand, seine Augen leer und verschlossen. Doch heute war es anders. Heute schien der Moment unausweichlich, als sie an ihm vorbeiging, ohne den Blick abzuwenden. Es war ein Moment des Zögerns. Er war groß, seine Haare wild und ungepflegt, und sein Gesicht wirkte wie das eines Mannes, der lange Zeit nichts anderes gesehen hatte, als die Schatten der Stadt. Doch es war nicht das, was ihn in ihren Augen so faszinierend machte.
Es war der Blick, der sie einfing.
Seine Augen verfolgten sie, und für einen Augenblick spürte sie eine merkwürdige Mischung aus Angst und Verlangen. Vielleicht war es der Hunger in seinem Blick, der sie berührte. Vielleicht war es die Art, wie er sie musterte, als ob er sie durchschauen konnte, bis in die tiefsten Ecken ihrer Seele.
„Du gehst schnell, Mädchen“, sagte er plötzlich mit einer rauen, aber nicht unfreundlichen Stimme.
Ihre Schritte stockten, aber sie blieb stehen. Sie hatte die Wahl: Weitergehen oder sich der Herausforderung stellen. Für einen Moment überlegte sie, weiterzugehen, die Unsicherheit in ihren Beinen zu spüren und einfach zu entkommen. Doch etwas in ihr weckte eine unerklärliche Neugier. Etwas, das sie nicht erklären konnte, als sie sich umdrehte und ihm direkt in die Augen sah.
„Was genau meinst du?“ Sie sprach leise, fast unmerklich, aber der Ausdruck in ihren Augen sagte mehr als ihre Worte.
Der Obdachlose grinste leicht, seine Zähne schimmerten gelb im trüben Licht der Straße. „Du hast es eilig. Als ob du vor etwas fliehst.“
„Ich bin nicht hier, um dir eine Geschichte zu erzählen“, antwortete sie, die Worte waren scharf, fast ein Test, ob er sich zurückziehen würde. Doch er ließ sich nicht beirren.
„Nicht jeder flieht vor etwas“, sagte er und stand langsam auf. „Manchmal flieht man vor sich selbst. Aber du…“, er trat einen Schritt näher, „du bist anders. Du hast diese Aura. Die, die Menschen ausstrahlen, wenn sie vor der Freiheit stehen, aber nicht wissen, wie man sie nutzt.“
Ihre Hand zog sich reflexartig in Richtung ihrer Tasche, als ob der fremde Mann eine unsichtbare Grenze überschreiten wollte. Doch dann blieb sie stehen, ihre Augen fixierten ihn. Die Unruhe in ihr, diese Mischung aus Provokation und Faszination, wuchs. Warum war sie so nervös? Was hatte er über sie erkannt? War er wirklich nur ein Obdachloser? Oder war er ein Spiegel, der etwas von ihr widerspiegelte, das sie nicht sehen wollte?
„Und was weißt du schon über Freiheit?“ Sie konnte die Herausforderung in ihrer eigenen Stimme hören.
Der Obdachlose sah sie lange an. „Mehr, als du glaubst“, sagte er schließlich. „Freiheit ist kein Geschenk. Sie ist etwas, das du rauben musst. Sie kommt nicht von selbst. Du musst dich in den Strudel werfen, bevor du sie verstehst.“
Er deutete mit einem fingerabdruckbedeckten Arm in die Richtung des nächstgelegenen Cafés. „Willst du wirklich wissen, wie man sie ergreift?“
Sie wollte lachen. Es war fast wie ein Spiel, ein Spiel von Macht, das sie längst vergessen hatte. Sie war sich bewusst, wie sie da stand: auf der Straße, an einem Ort, an dem niemand sie wirklich kannte, und doch fühlte sie sich beobachtet, als wäre jeder Schritt, den sie machte, ein Teil eines größeren Spiels. Aber sie war nicht bereit zu verlieren.
„Du bist verrückt“, sagte sie, doch ihr Lächeln war schief. Sie sah die Herausforderung in seinen Augen, und sie konnte es nicht verhindern, dass sie etwas von seiner Provokation in sich aufnahm. „Und was willst du von mir?“
Er trat einen Schritt zurück, als ob er die Macht der Situation bewusst werden wollte. „Ich will nichts von dir, Mädchen. Ich will nur sehen, wie du dich in deinem eigenen Spiel verhältst. Wie du auf diese Dinge reagierst, die du tief in dir selbst vergräbst.“
Die Stille zwischen ihnen war seltsam. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt, und der Adrenalinrausch, den sie aus der Begegnung zog, war ein vertrautes Gefühl. Doch sie wusste, dass er nicht nur ein Obdachloser war. In ihm spiegelte sich die Dunkelheit der Stadt wider – ein Teil von ihr, den sie zu ignorieren versuchte.
„Du redest viel“, sagte sie, die Worte kaum mehr als ein Hauch. „Vielleicht ist das alles, was du hast. Geschichten und Worte.“
„Vielleicht“, antwortete er. „Oder vielleicht bist du nur zu beschäftigt, um den Unterschied zu erkennen. Deine Freiheit, deine Macht – du kannst sie nur dann spüren, wenn du dir selbst ins Gesicht siehst. Aber nicht jeder hat den Mut dazu.“
Er ging einen Schritt näher, als ob er den Raum zwischen ihnen noch weiter ausloten wollte. Ihre Augen trafen sich ein letztes Mal. Etwas in ihr drängte sie, sich zu wehren, doch sie ließ sich nicht dazu bewegen. Er hatte etwas in ihr geweckt, das sie nicht bereit war, zu konfrontieren. Ein unbestimmtes Gefühl, das sie mit ihrem Ex-Mann und all den Masken der Welt in Verbindung brachte.
„Du bist nichts, was du sagst“, murmelte sie, als sie sich abwandte und mit schnellen Schritten weiterging. Der Obdachlose sagte nichts mehr, aber sie spürte seinen Blick noch lange, nachdem sie ihn hinter sich gelassen hatte.
Der Rest des Tages war verschwommen. Die Begegnung hatte sich in ihren Gedanken wie ein unsichtbares Gift ausgebreitet. Der Obdachlose war nur ein weiterer Fremder, und doch war er mehr als das. Er hatte sie herausgefordert, sie in eine Ecke gedrängt, in der sie sich nicht sicher fühlte. Und sie hatte sich selbst darin gefangen.
Vielleicht war es der Moment, in dem sie zum ersten Mal wirklich über die Freiheit nachdachte. Über das, was sie in ihrer Welt wirklich kontrollieren konnte. War sie wirklich frei? Oder war sie, wie der Obdachlose sagte, in einem Käfig gefangen, den sie selbst gebaut hatte?
Als sie in ihre Wohnung zurückkehrte, schloss sie die Tür und lehnte sich für einen Moment gegen die Wand. Es war still. Zu still. Aber ihre Gedanken, die noch immer von diesem Gespräch getrieben waren, ließen keine Ruhe.
Sie war nicht sicher, ob sie wirklich Antworten auf die Fragen hatte, die der Obdachlose in ihr aufgeworfen hatte. Aber sie wusste, dass sie sich ihm irgendwann wieder stellen würde. Irgendwann würde sie die Dunkelheit dieser Stadt und die Menschen darin besser verstehen. Und sie würde nicht nur ein weiteres Opfer der Umstände sein.
Kapitel 4: Der Nachbar
Es war ein gewöhnlicher Morgen, der fast schon in den Nachmittag überging, als sie zum ersten Mal ihren neuen Nachbarn traf. Der Himmel war klar, und das Licht der Sonne brach durch die Fenster ihrer Wohnung, doch etwas an diesem Tag fühlte sich anders an. Die Luft war leichter, als ob sich die Stadt einen Moment lang aus ihrer ständigen Erschöpfung befreit hatte.
Sie hatte es fast nicht bemerkt, als sie die Treppe hinaufstieg. Der leise Klicken der Absätze ihrer Stiefel auf den Holzstufen hallte durch das Treppenhaus, das normalerweise von den Geräuschen der Nachbarn erfüllt war. Doch heute war es ruhig. Zu ruhig. Und als sie vor ihrer Wohnungstür ankam, hörte sie plötzlich eine leise Stimme aus der Wohnung nebenan.
„Verdammt“, murmelte der Mann und klopfte gegen die Wand. „Warum zur Hölle ist das schon wieder verklemmt?“
Sie hielt inne. Die Stimme war tief, rau und irgendwie vertraut. Etwas an dem Klang ließ ihr Herz einen Moment aussetzen, als ob sie in eine andere Zeit zurückgezogen worden wäre. Für einen Moment fragte sie sich, ob sie sich geirrt hatte, ob diese Stimme vielleicht irgendwo anders herkam. Doch dann hörte sie das Geräusch eines Schlüssels, der in das Schloss drehte.
„Entschuldigung“, sagte der Mann, als er die Tür öffnete und sie eintrat. „Ich hoffe, ich habe dich nicht erschreckt.“
Er trat aus der Tür und sah sie an. Er war groß, vielleicht ein paar Zentimeter größer als sie selbst, mit kurzen, unordentlichen dunklen Haaren, die ihm ins Gesicht fielen. Seine Kleidung war schlicht, ein graues T-Shirt und eine abgewetzte Jeans, aber es war der Ausdruck in seinen Augen, der sie einen Moment lang innehaltend zurücklässt.
„Oh, ähm“, stotterte sie, leicht überrumpelt von der Begegnung. „Kein Problem.“
„Ich bin übrigens David“, sagte er, als ob er sich gerade selbst daran erinnerte, sich vorzustellen. „Der neue Nachbar. Du musst die Mieterin von nebenan sein.“
„Ja, das bin ich“, antwortete sie, während sie sich versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Ihre Hand griff nach dem Türrahmen, fast instinktiv, als wollte sie sich an etwas festhalten. „Ich bin… Emma.“
„Schön, dich zu treffen“, sagte David mit einem breiten Lächeln. Doch es war nicht nur ein freundliches Lächeln, es war ein Suchen. Ein Flackern in seinen Augen, das sie nicht genau deuten konnte. Es war ein Moment, in dem die Zeit stillzustehen schien.
„Warte“, sagte er dann, als er plötzlich eine Hand in seine Tasche schob. „Ich habe da noch was.“
Er zog einen Schlüsselbund heraus und reichte ihr einen. „Hier, der Schlüssel für die Postfächer. Ich hab vergessen, dir den zu geben, als ich einzog.“
Sie nahm den Schlüssel entgegen, ihre Finger berührten für einen flüchtigen Moment die seinen. Es war nur eine Berührung, doch der kleine Funken, der in ihr aufflammte, war sofort spürbar. Eine kleine Regung in ihrem Bauch, als ob ein Teil von ihr von der Nähe und der Energie dieses Mannes berührt worden wäre.
„Danke“, sagte sie, während sie schnell einen Schritt zurücktrat und den Schlüssel in ihrer Hand festhielt. „Ich muss los, aber… schön, dich kennenzulernen.“
„Ja“, sagte er und nickte. „Schön, dich kennenzulernen, Emma. Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder.“
Sie nickte nur und trat dann in ihre Wohnung. Doch der Moment hatte sie nicht losgelassen. Seine Augen, die für diesen kurzen Augenblick in ihre blickten, hatten etwas in ihr ausgelöst – etwas, das sie lange nicht gefühlt hatte. Ein Zucken in ihrem Inneren, das sie mit einer Mischung aus Neugier und einer unbestimmten Anziehung zurückließ.
Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich einen Moment gegen sie. Was war das? Dieser Mann, der gerade in ihre Welt getreten war, hatte etwas an sich, das sie nicht so schnell loslassen konnte. Ein unbekannter Magnetismus, der sie auf seltsame Weise anzog, obwohl sie wusste, dass es absurd war, sich von einem Fremden, einem Nachbarn, der gerade erst eingezogen war, so sehr beeinflussen zu lassen.
Es war eine Woche später, als sie ihn wieder traf. Diesmal war es kein zufälliges Aufeinandertreffen im Flur, sondern ein tatsächliches Gespräch.
Sie war gerade dabei, den Müll hinauszubringen, als sie ihn auf der Treppe sah. Er trug eine Tasche, offensichtlich auf dem Weg zum Supermarkt oder irgendwohin, und als er sie bemerkte, hielt er an und nickte ihr zu.
„Ah, hallo nochmal“, sagte er und ging ein paar Stufen auf sie zu. „Ich hoffe, du hattest eine gute Woche.“
„Ja, danke“, antwortete sie und versuchte, das leichte Zucken in ihrem Inneren zu ignorieren, als er näher kam. „Ich wollte dir noch für den Schlüssel danken.“
„Kein Problem“, sagte er, als er mit einem schelmischen Lächeln an ihr vorbeiging. „Es scheint, als ob ich dir noch einiges schulde.“
„Ach?“ fragte sie, überrascht von der Bemerkung.
„Du hast mir noch nicht gesagt, wie du dir die Gegend so in der letzten Woche zurechtgefunden hast“, sagte er und drehte sich leicht zu ihr um, als er ein paar Schritte weiterging.
„Es ist… ganz okay“, antwortete sie vorsichtig, versuchte, sich nicht von seiner Nähe verunsichern zu lassen.
Er sah sie nachdenklich an, als ob er etwas von ihr ergründen wollte, was sie selbst noch nicht ganz verstand. „Weißt du, es gibt so viele Menschen hier, die einen einfach übersieht. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass du mehr bist als nur das. Wie lange lebst du schon hier?“
Die Frage war offen, aber sie hatte das Gefühl, dass er mehr wissen wollte, als er zugab. Sie wollte antworten, doch etwas hielt sie zurück. Diese seltsame Anziehung, die zwischen ihnen schwang, ließ sie beinahe sprachlos. Sie spürte den Unterschied in der Luft, als ob er sie auf eine Weise erfasste, die sie nicht wollte. Doch sie konnte ihn nicht entkommen.
„Lange“, sagte sie schließlich, „lange genug, um zu wissen, dass es nicht nur die Stadt ist, die einen verändert.“
„Hm“, murmelte er und betrachtete sie aufmerksam. „Es gibt viel mehr an dir, als du zugeben willst, oder?“
Sie spürte, wie sich der Raum zwischen ihnen noch weiter verengte, als würde die Spannung zwischen ihnen sich verdichten. „Was meinst du?“
„Ich meine, dass du nicht die Art von Person bist, die sich leicht in eine Ecke drängen lässt“, sagte er, seine Stimme leise, aber bestimmt. „Das gefällt mir.“
Etwas in ihr zog sich zusammen. Die Art, wie er sie betrachtete, ließ ihr Herz schneller schlagen. Es war nicht nur ein harmloses Gespräch mehr – es war ein Spiel, das sie nicht einmal verstand. Und trotzdem fühlte sie sich in diesem Moment nicht nur beobachtet, sondern gesehen, in einer Art, die sie lange nicht erlebt hatte.
„Vielleicht“, sagte sie schließlich, „aber vielleicht bin ich auch nicht die, die du denkst.“
Er lächelte. „Vielleicht“, sagte er nur, und die Spannung zwischen ihnen blieb bestehen, als er die Treppe hinunterging, die Tasche fest in der Hand.
Kapitel 5: Die Widersprüche ihrer Lust
Es war eine dieser Nächte, in denen der Mond hinter den Wolken verschwand, und das Licht, das die Stadt erleuchtete, schien sich mit der Dunkelheit selbst zu vermischen. Sie saß allein auf dem Sofa in ihrer Wohnung, das Fenster weit geöffnet, der kühle Wind strich durch die Zimmer und vermischte sich mit dem Geräusch der fernen Autos und hupenden Taxen, die die Straßen entlangfuhren. Ihr Blick war leer, und die Gedanken in ihrem Kopf, die schon den ganzen Tag wie ein unaufhörlicher Strom in ihrem Inneren rasten, wurden nun fast überwältigend.
Es war der Blick aus dem Fenster, der sie dazu brachte, über alles nachzudenken, was sie bis zu diesem Punkt erreicht hatte. Was hatte sie gesucht? Und hatte sie es gefunden?
Sie hatte sich von ihrem Ex-Mann getrennt, hatte die Freiheit erlangt, von der sie geglaubt hatte, dass sie sie brauchte, um zu leben. Die Stadt war voller Verlockungen – fremde Gesichter, flüchtige Begegnungen, die Spannung der U-Bahn, der Geruch der Nacht, der die Luft erfüllte. Und dann war da noch das Spiel mit ihrer eigenen Lust. Sie hatte sich erlaubt, all das zu genießen, sich der Anziehung und der Verführung hinzugeben. Doch an diesem Abend stellte sie sich die Frage, ob das, was sie erlebte, wirklich Erfüllung brachte.
Es war nicht nur die körperliche Lust, die sie suchte, sondern auch das Gefühl von Kontrolle, das sie dabei empfand. Ihre Entscheidungen, ihre Handlungen – sie waren alle ihre eigenen, und doch schien diese Freiheit nicht genug zu sein. Die Gedanken an die flüchtigen Begegnungen, die Gespräche mit Fremden, die intimen Momente, die sie mit so vielen Menschen geteilt hatte, schienen in ihr zu verschwimmen. War sie wirklich glücklich?
Die Erinnerung an das Treffen mit dem Obdachlosen kam ihr in den Sinn. Wie er sie so unverblümt herausgefordert hatte, sie mit seinen Worten konfrontiert hatte, dass sie es fast vergessen hatte, wie sehr es sie erschüttert hatte. „Freiheit ist kein Geschenk“, hatte er gesagt. „Sie ist etwas, das du rauben musst.“ Und sie hatte sich damals so sicher gefühlt. Doch heute fühlte sich diese Freiheit, die sie so sehr zu schätzen geglaubt hatte, nicht mehr wie ein Geschenk an, sondern wie ein Fluch.
Warum war sie nicht zufrieden? Warum stürzte sie sich immer wieder in diese flüchtigen, oberflächlichen Begegnungen, als ob sie nach etwas suchte, das sie nie finden konnte? Wusste sie überhaupt, was sie wirklich brauchte?
In dieser Nacht war die Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Lust unübersehbar. Sie war nicht nur der Ausdruck einer Suche nach Freude oder einer Flucht vor der Leere – sie war auch eine Flucht vor sich selbst.
Sie hatte es nicht gewusst, als sie die Entscheidungen traf, doch jetzt, in der Stille der Nacht, erschien es ihr wie ein dunkles Labyrinth, in dem sie sich immer weiter verirrte.
Es war nicht lange her, dass sie den Nachbarn, David, wieder getroffen hatte. Der Gedanke an ihn kam ihr in einem Moment der inneren Unruhe. Was war es, das sie an ihm so sehr angezogen hatte? War es seine Selbstsicherheit? Oder war es der Moment der Spannung, der in der Luft gehangen hatte, als er sie so direkt und fast fordernd angesehen hatte? Etwas an ihm hatte sie in den letzten Tagen immer wieder beschäftigt, seine Blicke, die Worte, die wie ein ungesagtes Versprechen in der Luft hingen. Und doch war es nicht nur David, der diese Fragen in ihr weckte. Es war vielmehr die Art, wie sie sich selbst durch ihre eigenen Handlungen wahrnahm.
Die ständigen Begegnungen, die schnellen, unüberlegten Entscheidungen, der Körper, der auf jedes Verlangen reagierte – alles war zu einem unaufhörlichen Rausch geworden, der sie auf der Oberfläche hielt, ohne dass sie wirklich in den Abgrund blicken musste. Der Rausch der Lust hatte sie gefangen, aber nicht im Sinne einer tiefen Erfüllung. Es war die Lust nach Freiheit, nach Kontrolle. Und je mehr sie sich in diese flüchtigen Abenteuer stürzte, desto weiter entfernte sie sich von dem, was sie wirklich wollte. Oder was sie dachte, dass sie wollte.