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Peter Hochegger lenkte viele Jahrzehnte die Wahrnehmung der österreichischen Bürger. Er galt als einer der mächtigsten PR-Berater des Landes. Mit geschickten PR-Tricks, manipulierten Studien und Interventionen im Graubereich der Politik half er Unternehmern und Politikern, ihre Botschaften in die Köpfe von Millionen Menschen zu bringen. Nach seiner Zeit im Gefängnis erzählt er von den dunklen Seiten der Republik und schreibt dabei ihre Geschichte neu. Wie war das mit der Zeckenimpfung und der Waffenlobby? Was passierte im BUWOG-Deal mit Karl-Heinz Grasser wirklich? Was ist nur Schein und was die Wahrheit? Wer profitierte wovon und wie funktioniert Korruption? Hochegger zeigt schonungslos auf, was hinter den Kulissen passiert.
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Seitenzahl: 268
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Peter Hochegger:
Die Schattenrepublik
Alle Rechte vorbehalten
© 2025 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover: Bastian Welzer
Satz: Bastian Welzer
Inhaltliche & konzeptionelle Beratung: Stefan Kaltenbrunner
Gesetzt in der Premiera
Gedruckt in Deutschland
1 2 3 4 5 — 28 27 26 25
ISBN: 978-3-99001-863-7
eISBN: 978-3-99001-864-4
Peter Hochegger
Ein Lobbyist packt aus
edition a
Für meinen geliebten Bruder Paul, der am 25. April 2019 von uns gegangen ist, in liebevoller Erinnerung an dich und alles, was du für uns getan hast.
Du warst nicht nur mein Bruder, sondern auch mein Vordenker, mein Scout und meine Inspiration. Deine Vision, unsere Beratungsfirma auf die Spezialisierung in Kommunikation auszurichten, legte den Grundstein für unseren späteren Erfolg.
Doch unser gemeinsamer Weg war nicht immer einfach. Das Scheitern unserer Firma durch meinen Fehler hat dich tief getroffen und doch hast du immer wieder an uns geglaubt. Dein Mut, deine Unterstützung und dein unerschütterlicher Glaube an das Gute haben uns durch die schwierigsten Zeiten getragen.
Dein Einsatz, Talente zu entdecken und Menschen zu fördern, hat unsere Gemeinschaft geprägt und den Grundstein für vieles gelegt, was noch kommen sollte.
Dieses Buch ist ein Zeichen meines tiefen Dankes und meiner Erinnerung an dich und unsere gemeinsame Reise – für alles, was du warst, bist und immer bleiben wirst.
In Liebe und Ehrung, dein Bruder Peter
Erster Teil
Die Kunst des Schmeichelns und Täuschens
Zweiter Teil
Im Schatten der Macht
Dritter Teil
Schuld
September 2009
Ein schriller Ton riss mich aus dem Schlaf. Für einen kurzen Moment dachte ich, er hätte sich aus meinem Schlaf in die Wirklichkeit verirrt, ein Überbleibsel der Albträume, die mich in letzter Zeit verfolgten. Doch es war nur das surrende Geräusch meines alten Weckers, der auf meinem mit weißem Klavierlack überzogenen Nachttisch seinen Dienst verrichtete. Er zog mich in die wache Welt, wo es keinen Grund für Sorgen gab. Alles war perfekt. Und es sollte noch besser werden.
Seit zwei Jahren schlief ich nun schon allein in dem großen Bett, mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Mein erster Griff galt dem schwarzen Blackberry. Fünf Uhr früh. Normalerweise würde ich noch neunzig Minuten im Bett bleiben, aber nicht heute. Heute war ein wichtiger Tag. Ich wollte nichts dem Zufall überlassen. D-Day, Deal-Tag.
In der Dusche verdrängte ich erst mit kaltem, dann heißem Wasser die letzten Reste Müdigkeit aus dem Körper. Nach meiner Morgenroutine ging ich im weißen Frotteebademantel in die Wohnküche. Der Geruch von Espresso erfüllte den Raum. Ich öffnete die breite, weißgerahmte Terrassentür und trat hinaus in die kühle Morgenluft. Noch etwas mehr als eine Stunde bis zum Sonnenaufgang. Die meisten Menschen schliefen. Ich stand hier und blickte über sie, blickte über Wien, eine Stadt als Netz, als System von Menschen, die miteinander verbunden waren, die Dinge benötigten und sich Gefälligkeiten schuldig waren, die einander brauchten, ob sie es wollten oder nicht. Diese Beziehungen waren die Ressource meines Geschäfts. Ich musste diese Verbindungen erspüren können, verfolgen, nutzen. Wie eine Spinne musste ich fühlen, wenn sich einer der Fäden bewegte, wenn sich das Netz veränderte. Mein Platz war stets in seiner Mitte. Von dort aus konnte ich alle Verbindungen sehen, vom Bundeskanzler der Republik bis zum weit verzweigten, unübersichtlichen Verwaltungstrakt in Brüssel. Die größten Unternehmen des Landes waren in diesem Netz verknüpft mit ihren Konkurrenten, mit NGOs, mit Politikern, Medien, Aktivisten. Manchmal reichte ein Zug, ein leichtes Erzittern dieses Netzes, und Dinge gerieten in Bewegung. Manchmal musste ich neue Fäden spannen oder Verwicklungen lösen. Und manchmal musste ich Fäden zerreißen. Dieses Netz war das wertvollste Gut, das ich besaß.
Die aufgehende Sonne tauchte das prunkvolle Haus der Industriellenvereinigung in ihr warmes Licht. Die Dunkelheit wich langsam dem Tag und ich ging vom Dachgarten der Penthouse-Wohnung ins Wohnzimmer zurück. Das Sonnenlicht beschien die Dinge an der Oberfläche, mit denen sich die meisten Menschen zufrieden geben. Die Oberfläche ist es, die Orientierung bietet. Doch das Netz, mit dem ich arbeitete, spannte sich darunter, wie das Wurzelwerk, das einen Wald zusammenhält.
Ein paar Stockwerke tiefer würden bald hundert Menschen an die Arbeit gehen, um dieses Netz zu pflegen, zu vergrößern und zu nutzen. Alle trugen einen Teil dazu bei, aus diesem Netz Geschäfte zu machen. Sie übernahmen die Laufarbeit, so wie ich das vor vielen Jahren getan hatte. Mittlerweile hatte ich das nicht mehr nötig. Ich riss die Deals auf, legte das Fundament, gab eine Richtung vor. Und während der Plan in die Tat umgesetzt wurde, war ich schon beim nächsten Projekt. Es war diese Phase, die mich begeisterte, nach der ich fast süchtig war. Das Gefühl, die richtige Perspektive, die richtige Idee gefunden zu haben. Ein Rausch, der alles hinwegschwemmte. Es ging gar nicht mehr ums Geld oder um Macht oder Einfluss. Es ging um dieses Gefühl.
Keine zwanzig Minuten später fuhr ich mit dem Lift zur Garage. Nur das Nötigste war in meinem Handkoffer verstaut. In der Garage wartete mein Maserati GT. Als ich in das Auto stieg, die weichen Ledersitze in meinem Rücken spürte, das Aufheulen des Motors hörte, fühlte ich nichts. Das Auto war bloß Mittel zum Zweck. Die PS-Zahl war kein technisches Detail, es war ein Symbol. Manche Deals waren bereits in dem Moment entschieden, in dem mich mein potenzieller Kunde aus diesem Auto steigen sah. Andere Male kam ich mit dem Taxi. Bei manchen löste ein Maserati Ehrfurcht aus, bei anderen Neid. Das richtig einzuschätzen, war ein wichtiger Teil des Geschäfts.
Außer dem Blackberry hatte ich keine Technik bei mir. Keine Präsentationen oder Zahlen, die würden später kommen, vorbereitet von meinen Mitarbeitern, wenn das Geschäft schon beschlossen war. Alles, was ich brauchte, war in meinem Kopf. Worte, die eine Zukunft heraufbeschworen, wie mein Gegenüber sie sich wünschte. Ideen, von denen er glaubte, ich hätte sie ihm direkt aus dem Kopf gesaugt, obwohl ich sie dort erst eingepflanzt hatte.
Auf dem Weg zum Flughafen holte ich Anna ab. Sie war jünger als ich, verfügte aber bereits über viel Erfahrung. Ihr graues Kostüm saß perfekt, bändigte ihre Attraktivität und lenkte sie in jene Richtung, die für Erfolg hilfreich war. Sie besaß jene Eigenschaft, die meine engsten Partner alle hatten und die ich mit ihnen teilte: Sie wollten etwas von der Welt. Und sie hatten keine Angst, es sich zu nehmen.
Anna sprach Bulgarisch, Deutsch, Englisch und Russisch. Im Flugzeug, das uns nach Sofia brachte, gingen wir die Details noch einmal durch. Sie würde Geschäftsführerin meiner bulgarischen Firma werden und dort das Bindeglied sein zwischen Interessen aus dem Osten, vor allem aus Russland, und Wien. Wir würden in Sofia den Cousin des bulgarischen Premierministers treffen. Die Familie war der kürzeste Weg zum Ziel. Die Regierung hatte gewechselt, mit der alten hatten wir gute Geschäfte gemacht und die neue hatte Interesse daran, diese fortzuführen. Ehemalige Politiker wie Ernst Strasser und Karl Blecha hatten die Weichen gestellt.
Ein paar Tage zuvor hatte es ein erstes Treffen mit dem Cousin und seiner Frau in Wien gegeben. In den besten Restaurants der Stadt hatte ich ihnen erklärt, welche Möglichkeiten uns offenstanden. Unbegrenzte Möglichkeiten. Über mich bekam er alle Kontakte, die er in Österreich brauchte. Und er hatte für mich Aufträge in Bulgarien.
In der Empfangshalle des Flughafens in Sofia wartete bereits einer unserer zukünftigen Geschäftspartner und brachte uns in die Innenstadt, wo meine Firma ihr Büro hatte. Graue Betonblöcke wuchteten sich aus dem Boden, der Sozialismus hatte seine unverwüstlichen Spuren hinterlassen. Vor einem Jahr waren die Lehman Brothers in die Pleite geschlittert und mit ihnen die ganze Welt. Die große Wirtschaftskrise hatte Milliarden verschlungen, doch dadurch war Raum entstanden. Und Geld bewegte sich ständig, stand nie still, war stets darauf bedacht, die leeren Räume zu füllen.
Am frühen Abend holten der Cousin und seine Frau Anna und mich vor unserem Hotel ab. Im Restaurant schüttelte uns der Küchenchef persönlich die Hand und führte uns an den Tisch. An diesem Abend gehörte das Restaurant exklusiv uns. Als Willkommensgeschenk gab es Wodka und Kaviar. Fünf Kellner warteten in Lauerstellung um den Tisch, stets darauf bedacht, unsichtbar und allgegenwärtig zur gleichen Zeit zu sein. Doch ich schmeckte kaum, was ich zu mir nahm. Das Essen, die netten Worte, die Fahrten durch die Stadt, das alles war nur Beiwerk, ein Abtasten und Umkreisen, ehe wir zum Kern der Sache vorstießen, zum Grund unserer Reise, zum Geschäft.
Keine Unterlagen waren nötig, keine Präsentationen, ein paar Worte umrissen eine Idee, die sich im Geist des Cousins zusammensetzte. Am Ende bestellten wir nochmal Wodka, stießen an und waren Geschäftspartner. Spät kam ich an diesem Abend ins Hotel zurück, ein wenig angetrunken, doch noch mehr berauscht von der Euphorie des Geschäfts als vom Alkohol. Als ich mich ins Bett fallen ließ, war ich zufrieden. Das hier war die Realität, nicht die Albträume, die hinter dem Schleier des Schlafs auf mich warteten. Ich freute mich darauf, mit diesem großen Deal im Gepäck zu meinem Zweitwohnsitz nach Brasilien fliegen zu können, wohin ich mich seit mehreren Jahren vor allem in den Wintermonaten zurückzog. Mit Gedanken an Palmen, frische Früchte und das immer warme Wetter schlief ich ein.
Am nächsten Morgen fuhren Anna und ich zu unserem bulgarischen Anwalt. Das Meeting war langweilig, aber notwendig. Verträge mussten unterzeichnet, Details geklärt werden. Mein Telefon läutete, ein Journalist des Wirtschaftsblatts, aber ich drückte ihn weg. Ständig riefen Medien an, der Austausch mit ihnen war einer der Eckpfeiler meines Geschäfts. Stets hatte ich eine gute Story für sie, die zugleich auch eine gute Story für meine Geschäftspartner war.
Nach einiger Zeit machten wir eine Pause, ich trat aus dem stickigen Büro in den Flur, ging ein paar Schritte, lockerte die steifen Beine. Ich holte mein Blackberry heraus. Mehrere Anrufe in Abwesenheit. Offenbar ein hartnäckiger Journalist. Ich drückte die Tasten für die Mobilbox. Die metallene Stimme informierte mich, dass ich eine neue Nachricht hatte. Mit dem Handy am Ohr blickte ich durch die Glasscheibe in den Konferenzraum hinein, Anna lächelte, der Anwalt lächelte auch, es war alles perfekt.
Dann meldete sich der Journalist. Seine Worte wurden zu Sätzen, die Sätze zu einer Geschichte. Die Gesichter hinter der Glasscheibe verschwammen. Als ich das Handy vom Ohr nahm, hatte sich meine Welt für immer verändert.
»Alles, was der Mensch insgeheim im Schutze der nächtlichen Finsternis tut, wird einmal ans Tageslicht gelangen.«
Khalil Ghibran
Im Leben gibt es keine Zufälle. Was also bedeutete es, als ich 1949 im kleinen Dorf Mürzsteg in die Großfamilie Engelbrecht hineingeboren wurde? Das wissen wir wohl erst am Ende unserer Geschichte. Die Engelbrechts waren eine Unternehmerfamilie, meine Großmutter Leopoldine führte sie seit dem Tod ihres Mannes Leopold an. Der Familienbetrieb bestand aus einer Landwirtschaft, einem kleinen Hotel namens »Zum Goldenen Adler« und einem Sägewerk.
Nach dem Krieg kam mein Vater in das kleine Dorf, heuerte als Sägeleiter im Familienbetrieb an und verliebte sich in die Tochter Gertraud. 1948 heirateten sie, ein Jahr später kam ich zur Welt. Das Unternehmen, das neben meinen Eltern von meinem Onkel Walter und meiner Tante Lotte geführt wurde, verlangte ihnen viel ab. Schon früh sah ich, was nötig war, um Essen auf den Tisch zu bringen. Jeder Raum, in den ich als Kind stolperte, war geprägt von Arbeit. Die Gaststube, in der ausgeschenkt wurde. Das Büro, auch Kanzlei genannt, gefüllt mit Blättern und Ordnern. Der Wald, wo das Holz gehackt, oder das Sägewerk, wo es verarbeitet wurde. Zu den Mahlzeiten saßen alle zusammen am Familientisch des Gasthauses. Oft kam es dort zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten. Ein Unternehmen zu führen war keine einfache Sache, das war mir schon als Kind klar.
Mit neun Jahren kam ich in ein Internat, der erste große Bruch mit der vertrauten Welt. Im evangelischen Schülerheim Fürstenfeld wurde mein Leben plötzlich in ein enges Korsett an Regeln gesteckt. Für alles gab es bestimmte Zeiten: Essen, Lernen, Schlafen. Jeder Schritt wurde kontrolliert, Privatsphäre war ein Privileg für Ältere. Mit siebzehn anderen Burschen lag ich im Schlafsaal und träumte vom Hof meiner Eltern und meinem fünf Jahre jüngeren Bruder Paul, mit dem ich bis dahin gespielt und die Welt erkundet hatte. Diese Welt war mit einem Mal unendlich viel größer geworden, dunkler und undurchsichtiger. Nur alle zwei Monate durfte ich für zwei Tage nach Hause. So stellte ich mir das Gefängnis vor. Später sollte ich herausfinden, dass es durchaus Gemeinsamkeiten gab.
Meine Schullaufbahn brachte mich in das Gymnasium von Waidhofen an der Ybbs, wo ich im dortigen Internat aufgenommen wurde. Der Heimleiter war ein Abiturkollege meines Vaters und so wurde mir eine Gymnasialbildung ermöglicht. Besonders prägend war mein Deutschlehrer. Für diesen Herrn waren Rechtschreibung und die Fähigkeit, seine Gedanken zu Papier zu bringen, wichtig, doch am allermeisten schätzte er die Kraft der Rhetorik. Große antike Rhetoriker wie Cicero waren ihm Vorbild, wenn er uns die Macht der freien Rede demonstrierte. Wer es schaffte, seine Worte in den Verstand seines Gegenübers zu pflanzen, damit sie dort wachsen und gedeihen konnten, der hatte eine Verbindung hergestellt zwischen sich selbst und diesem anderen, einen unsichtbaren Faden gespannt, an dem er ihn lenken und bewegen konnte. Er begann jede Deutschstunde mit einer Redeübung, bei der ein Schüler kurz und frei über ein aktuelles Thema referieren sollte. Den meisten war es unangenehm, doch ich liebte diese Übungen. Wenn sich niemand meldete, was oft vorkam, ergriff ich die Möglichkeit, stand auf und sprach über alles, was mir einfiel. Danach wurde diskutiert: Was war daran gut, was schlecht, was hatte man gelernt, was hatte einen begeistert? Dies war die erste richtige Schule meines Lebens.
Nach fünf Jahren Gymnasium wechselte ich mit sechzehn Jahren an die HTL für Maschinenbau und Elektrotechnik im selben Ort. Der Deutschlehrer wechselte ebenfalls und motivierte mich, am bundesweiten Redewettbewerb teilzunehmen, der von der UNO gefördert wurde. Dafür gab er mir sogar Privatstunden. Ich lernte, wie man eine Rede aufbaute, wie man das Publikum in den Bann zog, wie man es zu seinem Komplizen machte, welche Lautstärke angenehm war, wie der Redefluss beschaffen sein musste, um einen dramatischen Effekt zu erzielen. »In der Politik«, erklärte mir mein Mentor, »lässt man kleine Dinge groß erscheinen, um die eigene Position zu erhöhen und die anderen abzuwerten. Die antiken Philosophen Sokrates und Platon bezeichneten die Rhetorik als Kunst des Schmeichelns und des Täuschens.«
Mein Rhetoriktalent brachte mich bis zum Landeswettbewerb nach Wien. Ich war der erste Schüler der HTL Waidhofen, der so weit gekommen war. Von da an war ich es, der für die Klasse sprach, der bei Veranstaltungen auf der Bühne stand. Mein Mentor war stolz auf mich. Niemand beherrschte die Kunst des Schmeichelns und Täuschens so gut wie ich.
Bevor ich zum Studieren nach Wien ging, hatte ich noch eine prägende Begegnung in Waidhofen. Es war das Jahr 1970, als der damalige Oppositionsführer und SPÖ-Spitzenkandidat Bruno Kreisky in den Ort kam. Noch war nicht abzusehen, welche Bedeutung er in den nächsten zehn Jahren für das Land haben würde. Die Veranstaltung, bei der er sprechen sollte, fand im großen Saal des Hotels Inführ statt. Zufällig saßen mein Bruder Paul und ich an diesem Tag im Hotelcafé. Als die Tür aufging und ein ganzer Tross an Anzugträgern an uns vorbeimarschierte, wurden wir natürlich neugierig. Kreisky tauchte auf, eine beeindruckende Erscheinung, das markante Gesicht, die kleinen, in sich zurückgezogenen, funkelnden Augen, hinter denen sich ein Verstand verbarg, den niemand so recht zu durchschauen vermochte. Er suchte den Kontakt, nickte den Menschen zu, baute die Distanz zwischen sich und den anderen ab. Plötzlich trafen sich unsere Blicke, er kam zu unserem Tisch und streckte mir die Hand entgegen. Verdutzt ergriff ich sie.
»Genosse«, begrüßte mich Kreisky mit einem Lächeln. Und es kam mir vor, als würden wir uns tatsächlich kennen, als wäre dieser Mann mein Freund. Er erkundigte sich nach uns, stellte Fragen und lud uns schließlich zu seinem Vortrag ein. Als er den Tisch verließ, fanden weder Paul noch ich Worte. Was war denn das gewesen?
Da erst bemerkte ich die rote Krawatte, die ich an diesem Tag gedankenlos angezogen hatte. Für Kreisky war sie ein Symbol, er erkannte an der Krawatte einen zukünftigen Sozialisten. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, an diesem Tag der Rede von Kreisky zu lauschen, nun aber zog es mich in den Saal. Dieser platzte aus allen Nähten, knapp zweihundert Menschen stritten sich um jeden freien Zentimeter.
Einer der lokalen Politiker wollte die Gäste begrüßen, doch das Mikrofon funktionierte nicht. Ein halbes Dutzend Männer wuselten über die Bühne, trugen Dinge hin und her, werkten am Mikrofon herum, während die Menge langsam unruhig wurde. Ich suchte nach Kreisky. Dort saß er, in der ersten Reihe, las ruhig in seinem Manuskript und blickte kein einziges Mal auf. Ein paar Minuten später funktionierte das Mikrofon endlich und der lokale Politiker stammelte seine Begrüßungsworte. Ich musste in jugendlichem Übermut lächeln. Von Rhetorik konnte keine Rede sein. Dann erhob sich Kreisky. Langsam und bedächtig schritt er zum Podium. Dann sprach er. Und zum ersten Mal begriff ich die Macht der Worte.
Seine Stimme war ruhig und gefasst. Seine Worte klar und präzise. Seine Aussagen dafür umso stärker. Über Aufbruch und Reformen sprach er, über eine Zukunft, an die vor seinen Worten niemand gedacht hatte und die sich danach jeder wünschte. Das waren so viel mehr als Worte, das waren Versprechungen, Verheißungen, es war ein Sog. Ein Gefühl ergriff mich, bewegte etwas in mir, ließ mich Teil von dem sein wollen, was Kreisky hier erschuf. Am Ende klatschte der ganze Saal euphorisch.
Nicht lange danach traten Paul und ich der SPÖ bei. Ich blieb bis zum Ende meiner Studienzeit Mitglied, Paul gar bis an sein Lebensende. An diesem Tag hatte ich zum ersten Mal die Macht der Rhetorik am eigenen Leib erfahren. Wer Wörter beherrschte, beherrschte die Situation, beherrschte seine Gegenüber, ihre Gedanken und Wünsche.
Viele Jahre später wurde mir klar, dass dies der Kern des Lobbyismus war. Mit wenigen Worten die Komplizenschaft zwischen Menschen herzustellen, sie in ein gemeinsames Geheimnis einzuweihen, dessen größte Anziehungskraft nicht aus Geld oder Macht bestand, sondern in der verschwörerischen Vertrautheit der Eingeweihten.
Nach der Matura sagte ich zu meinem Vater: »Ich möchte mir das Studium selbst finanzieren, dafür möchte ich so lange studieren können, wie ich will.« Mein Vater stimmte zu. Ich verspürte neben Dankbarkeit auch den Stolz, meinen ersten Sieg als Erwachsener erzielt zu haben.
Um meinen Plan umzusetzen, bewarb ich mich als technischer Ingenieur in verschiedenen Münchner Büros. Dort wurde gutes Geld bezahlt, besser als in Österreich. Nach mehreren Angeboten entschied ich mich für das Lukrativste, damals waren das 12,5 D-Mark (6,25 Euro) pro Stunde. Es war ein Job in Ottobrunn bei der Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), wo ich am ersten Airbus-Projekt mitarbeiten durfte. Die Kollegen waren angenehm, nach Feierabend gingen wir oft auf eine Weiße und ein Maß Bier. Bald schon kannte ich die bayrischen Gepflogenheiten.
Die Arbeit erfüllte mich nicht besonders, doch ich lernte einige wichtige Dinge für meine spätere Karriere. Mein Abteilungsleiter verriet mir etwa, dass mir das Ingenieursbüro zwar 12,5 D-Mark zahlte, aber für jede Ingenieursstunde 65 D-Mark an MBB verrechnete und MBB vom Staat wiederum für jede dieser Fachkraft-Arbeitsstunden 235 D-Mark kassierte. Zu diesem Zeitpunkt war für mich klar, dass ich von einem solchen System profitieren wollte. Das würde mir aber nur gelingen, wenn ich kein Teil mehr davon war.
Nach meinen ersten Erfahrungen als Ingenieur ergriff ich einen völlig anderen, aber ebenso lukrativen Ferienjob, jenen als Reiseleiter. Die Stelle war nicht nur gut bezahlt, sondern auch eine Möglichkeit, die Welt zu entdecken. Nach einigen Jobs in der Branche landete ich schließlich beim südafrikanischen Reiseveranstalter Rontour, wo ich nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter arbeiten konnte, denn in Südafrika waren die Winter warm und trocken. Von Johannesburg aus führte ich die Reisegruppen einen Monat lang durch Europa. Zwanzig bis vierzig Menschen, bunt zusammengewürfelt, vertrauten sich mir an. Die erste Station war meist Israel, und dann ging es durch alle Metropolen des Kontinents, von Athen über Rom und Venedig nach Innsbruck und Köln, weiter nach Amsterdam und Brüssel, schließlich nach Paris und London. Ende der 1970er-Jahre waren internationale Reisen ein Privileg reicher Menschen, die ich als Reiseleiter kennenlernen durfte.
An einer dieser Reisen, die ich leitete, nahm ein gewisser Harvey Du Plessis teil. Er war eine stattliche Erscheinung, fast zwei Meter groß, trug einen adretten Oberlippenbart und war stets in einem eleganten hellen Anzug gekleidet, sofort zu erkennen an seinem weißen Panama-Hut. Du Plessis war zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre alt und Generaldirektor einer südafrikanischen Versicherungsgruppe, zu der die Firma Rontour gehörte, für die ich arbeitete. Du Plessis wollte sich offenbar selbst ein Bild davon machen, wie Rontour arbeitete, und suchte bald das Gespräch mit mir. Du Plessis war freundlich und unprätentiös und wir verstanden uns auf Anhieb. Er hatte nebenbei gerade selbst ein Studium begonnen und wir tauschten uns Abend für Abend über unsere Erfahrungen aus. So gelangten wir zum Thema meiner Doktorarbeit und Du Plessis schlug mir vor, über den Tourismus in Südafrika zu schreiben. Obwohl ich von dem Land nicht viel Ahnung hatte, ich kannte nur Johannesburg, wo ich meine Reisegruppen abholte, sicherte mir Du Plessis seine Unterstützung zu.
Im September 1978 flog ich schließlich nach Südafrika, um dort ein halbes Jahr zu recherchieren. Du Plessis holte mich persönlich vom Flughafen ab, wohnen durfte ich in seiner Villa außerhalb der Hauptstadt Pretoria. Es war ein großes weißes Haus mit polierten Möbeln aus schwerem Holz und Hausmädchen, die alles ständig sauber hielten. Die Ehefrau von Du Plessis stammte aus dem angrenzenden Namibia und nahm mich ebenso freundlich auf wie ihr Mann. Zudem sprach sie ausgezeichnet Deutsch.
Kurz darauf erklärte mir Du Plessis, er würde für mich einen Termin beim Tourismusminister des Landes arrangieren. Er buchte mir einen Flug nach Kapstadt und ein Hotel. Ein paar Tage später stand ich etwas unsicher um kurz vor zehn Uhr vor meinem Hotel und wartete auf eine dunkle Mercedes-Limousine, die mich abholen und ins Regierungsgebäude bringen würde. Sie erschien pünktlich, der Fahrer in dunkelgrauer Uniform und schwarzer Schildkappe öffnete mir galant die Tür. In der Limousine gab es nicht nur feine Ledersitze, sondern auch einen Klapptisch aus Wurzelholz. Ich fühlte mich wie ein erfolgreicher Geschäftsmann und nicht wie ein armer Student.
So fuhr ich also zum Parlament der Republik Südafrika, um einen Minister zu treffen. Vor dem prächtigen Gebäude im Kolonialstil kam ein kleiner Mann mit feinem hellbraunem Anzug auf mich zu. Es war der Sekretär des Tourismusministers Le Grange. Er führte mich in einen kleinen Salon, wo ich in einem mit bordeauxrotem Samt überzogenen Sessel Platz nahm. Ein Butler mit weißen Handschuhen brachte Tee in feinem Porzellan. Ich begutachtete die Wandgemälde, die Teppiche, die massiven Holzmöbel, und fühlte mich wie in einer anderen Welt, die mir fremd war, die ich aber um jeden Preis zu meiner machen wollte.
Da ging die Doppeltür auf und Le Grange trat heraus, begleitet von seinem Sekretär. Die Schläfen des Ministers waren bereits ergraut, doch er war eine imposante Erscheinung. Er trug einen eleganten schwarzen Dreiteiler, eine goldene Kette hing aus seiner Westentasche. Le Grange begrüßte mich so herzlich wie einen alten Freund.
Obwohl ich für meine Recherche gekommen war, stellte zunächst der Minister Fragen. Er wollte viel über mein Heimatland wissen und wie der Tourismus dort funktionierte. Ich erzählte ihm von meiner Dissertation und überreichte ihm eine Liste, die ich zusammen mit Du Plessis erstellt hatte. Darauf standen alle Personen, die ich gern treffen wollte: der Generaldirektor der South African Airways und der Vorstand der South African Railways, der Chef des statistischen Forschungsinstituts sowie einige Professoren. Der Minister warf nur einen kurzen Blick darauf, dann reichte er die Liste seinem Sekretär.
»Machen Sie die Termine«, sagte er. »Und wenn Ihre Dissertation fertig ist«, fuhr er an mich gewandt fort, »schicken Sie ein Exemplar an die Botschaft in Wien. Die werden sie übersetzen und an mich weitergeben.« Dann verabschiedete er sich ebenso freundlich, wie er mich begrüßt hatte. Als hätte dieser einfache Händedruck einen unsichtbaren Prozess in Gang gesetzt, geschah alles genau so, wie der Minister vorhergesagt hatte. Ich traf alle Personen, die ich treffen wollte, und sie alle halfen mir bei meiner Recherche. Das, erkannte ich, war Macht: die Richtung vorzugeben, in die sich Dinge bewegten. Diese Macht wollte auch ich eines Tages besitzen.
Ein wesentliches und einschneidendes Geschehnis für meine Lobbying-Karriere war meine Verbindung mit der berühmt-berüchtigten US-Sekte Scientology.
Der Kontakt zu dieser Sekte entstand über meinen Bruder Paul. Es war in den späten 1970er-Jahren, während meines Studiums. Es begann mit einem Telefonanruf, den ich während meines letzten Studienjahres bekam. Mein Bruder Paul meldete sich, nachdem ich über ein Jahr nichts von ihm gehört hatte. Das Jahr zuvor hatte ich Paul noch einen Job in einer Event-Agentur verschafft, aber kurz danach war er weg. Dass Paul so plötzlich verschwunden war, hatte mir nicht nur Sorge bereitet, sondern mich auch gekränkt.
Doch all das war vergeben und vergessen, als sich Paul telefonisch bei mir meldete. Sofort wollte ich ihm Dutzende von Fragen stellen. Wir verabredeten uns noch für denselben Nachmittag um vier Uhr im Café Westend gegenüber des Wiener Westbahnhofes. Ich war ein wenig früher da, machte es mir an einem Ecktisch des spärlich besuchten Lokals gemütlich und bestellte einen Kaffee und ein Mineralwasser.
Pünktlich um vier Uhr tauchte ein Mann im Anzug auf, den ich beinahe nicht beachtet hätte. Doch er steuerte auf mich zu. Grinsend stand ein schlanker Bursche mit kurzen Haaren in Anzug und Krawatte vor mir: mein Bruder Paul. Meine Überraschung war wohl nicht zu übersehen und Paul grinste noch breiter. Er setzte sich zu mir an den Ecktisch und bestellte ein Glas Soda, was mich einmal mehr erstaunte. Normalerweise bestellte er bei unseren Treffen stets Bier.
Er führe jetzt, begann Paul zu erzählen, ein ganz neues Leben. Begeistert und durchaus wortgewandter, als ich ihn in Erinnerung hatte, schilderte Paul, dass er nun für eine tolle Organisation arbeite. Den Namen Scientology hatte ich damals überhört oder gleich wieder vergessen, die Sekte war in Österreich noch kaum bekannt. Viel mehr interessierte mich der Lebenswandel von Paul.
Er hatte dem Alkohol entsagt. Er schwärmte von seinen neuen Freunden, von einem Mentor, der ihm eine neue Welt eröffnet habe und erklärte mir, wie er die Dinge jetzt sehe. Paul lud mich sofort ein, seine Organisation, die ein Büro in Wien hatte, zu besuchen. Ich solle, so Paul, einen Persönlichkeitstest machen und am besten einen Kurs belegen, um meine Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern.
Ich hatte zwar keinen Bedarf an solchen Kursen, hatte ich doch im Rahmen meines Studiums jede Menge Kommunikationstheorien kennengelernt und Seminare in Gruppendynamik belegt. Doch Paul meinte, er habe sich im Rahmen seiner Ausbildung zum Auditor Wissen angeeignet, das weitaus tiefer gehe als jenes, das uns während eines Universitätsstudiums vermittelt wird.
Natürlich wollte ich von ihm wissen, was denn so ein Auditor macht. Paul erklärte mir, dass ein Auditor seinen Klienten ähnlich wie ein Psychoanalytiker themenspezifische und strukturierte Fragen stelle. In solchen Sitzungen werde ein völlig neuartiges Messgerät verwendet, das in der Lage sei, Emotionen anzuzeigen. Durch die Fragen würden Schwingungen ausgelöst, die von dem Gerät registriert würden. Der Auditor könne die Antwort durch diese zweite, emotional gesteuerte Ebene genauer einordnen. Das klang unglaublich. Irgendwann wollte ich dem auf den Grund gehen. Aus dem Nachmittag im Café Westend wurde sehr rasch ein Abend. Wir verabschiedeten uns gegen zehn Uhr herzlich und versprachen, einander von nun an wieder regelmäßig zu sehen.
Zumindest einmal im Monat traf ich Paul zu einem langen Gespräch. Wir hatte in unserer Jugend wenig Gemeinsamkeiten, aber nun erzählten wir uns so ziemlich alles. So erzählte ich ihm von meinem Liebeskummer und versteckte nicht, in welch schlechter Phase ich mich befand.
Paul hatte bereits bei unserem ersten Treffen meine Niedergeschlagenheit und Energielosigkeit bemerkt. Meine damalige Freundin, eine junge Ärztin, hatte mich verlassen, was mich sehr getroffen hat. Kaum hatte ich ihm alles gebeichtet, begann mein lieber Bruder, der offenbar eine Chance erkannte, über Emotionsstufen zu philosophieren. Jeder Mensch, so Paul, befinde sich laut der Lehre von Scientology auf einer gewissen Emotionsstufe, die einer klaren Einteilung entspräche. Und je nachdem, auf welcher Stufe wir uns befänden, würden wir die Welt, unsere Umgebung und unsere Mitmenschen immer verschieden wahrnehmen. Dann kam Paul auf meine Situation und meine momentane Emotionsstufe zu sprechen. Was er sagte, klang logisch und es tat mir gut, meine Situation nüchtern von außen zu betrachten. Paul hatte das Gespräch gut aufgebaut und fuhr mit Begeisterung fort, mir Scientology zu erklären. Mit dem Wissen, das dort angeboten werde, könnten fähige Menschen erfolgreich werden. In meiner damaligen Verfassung klang das, was Paul mir mit Feuereifer erläuterte, plausibel und verlockend. An diesem Abend willigte ich ein, schon am nächsten Tag einen Persönlichkeitstest zu absolvieren. Am Ende dieses Abends versicherte mir Paul, dass ich über mein momentanes Stimmungstief bald lachen würde.
Wie vereinbart traf ich Paul schon nächsten Tag im Büro der Scientology in Wien, ein nüchtern wirkendes Seminarzentrum. Der Persönlichkeitstest, den ein anderer Mitarbeiter mit mir machte, zeigte auf, dass meine Kommunikationsfähigkeit verbessert werden könne. Um das auch gleich zu erreichen, buchte ich vor Ort zwei Kurse. Paul machte mir außerdem ein Auditing schmackhaft und kümmerte sich persönlich um mich. Die Kurse und das Auditing waren ganz in Ordnung, wenn auch nicht die erhoffte Erleuchtung. Tatsächlich war auch mein Liebeskummer rasch verflogen. Ich beschäftigte mich eingehender mit Scientology und entdeckte rasch, dass diese Organisation von verschiedenen Seiten als gefährliche US-Sekte eingestuft wurde. Für mich gaben diese Informationen den Ausschlag, kein Mitglied der Scientologen zu werden. Glücklicherweise reiste ich bald nach Südafrika ab und so musste ich mich Paul gegenüber auch nicht weiter rechtfertigen. Ich betrachtete das Kapitel Scientology damit für mich als erledigt.
Da hatte ich allerdings die Rechnung ohne die Scientologen und Bruder Paul gemacht. Nach meiner Rückkehr aus Südafrika Ende September 1979 wollte ich mich natürlich sofort mit Paul treffen, hatte ich ihn doch fast ein Jahr nicht gesehen. Zu meiner Überraschung schlug er als Treffpunkt kein Café oder Restaurant, sondern das Büro seines neuen Arbeitgebers in der Argentinierstraße im vierten Wiener Bezirk vor.
Die Firma, für die er nun arbeitete, hieß Expansion Service. Alles weitere wollte er mir bei unserem Treffen erzählen. Als ich im Dachgeschossbüro ankam, fiel mein Blick sofort auf ein Organigramm, das an der Mauer prangte. Was bedeuteten all diese Kästchen? Am obersten Ende sah ich ein Bild vom Gründer Harald Fritz. Bevor ich mir das Gebilde genauer ansehen konnte, bog eine freundlich lächelnde Frau um die Ecke. »Hallo, Peter, ich bin Brigitte, Chief Administration Officer von Expansion Service«, sagte sie freundlich. »Ich bringe dich zu deinem Bruder Paul und stelle dir Robert vor, meinen Mann und CEO von Expansion Service.«
Fürs Erste war ich beeindruckt. Ich folgte ihr, wir durchquerten einen großen Büroraum, rechts und links standen weiße Schreibtische mit den passenden Büromöbeln. Die Plätze waren mittags leer, die Mitarbeiter waren sicherlich beim Lunch. Am Ende des Büros befanden sich zwei Doppelflügeltüren. Neben der rechten Türe stand ein Schild beschriftet mit »Executive Office« und drei Namen, links »Consulting Department«. Dort fand ich den Namen meines Bruders.
Die rechte Tür ging auf und ein hochgewachsener Mann Anfang dreißig kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu. »Hallo, Peter«, begrüßte er mich ebenso freundlich wie zuvor Brigitte, »ich bin Robert und leite das Expansion Service. Paul hat mir schon viel von dir erzählt.« Er führte mich in sein Büro, wo die Wände mit Charts und Statistiken plakatiert waren.
Kaum hatten wir Platz genommen, erschien mein Bruder in einem eleganten, dunkelblauen Anzug und einem breiten Lächeln im Gesicht. Ich erkannte, dass sie diesen Auftritt wohl eingeübt hatten, um mich zu beeindrucken. Kaum hatten Paul und ich uns begrüßt, begann Robert, mir von WISE zu erzählen, der World International Scientology Enterprise. »Unsere Kunden sind Firmen, die Scientologen gehören«, erklärte er mir. »Wir beraten diese Firmen, wie sie erfolgreicher werden können. Dafür nutzen wir die Lehren von Scientology. Im Mittelpunkt unserer Beratung steht einerseits die Kommunikation zwischen Entscheidern, Abteilungen und Mitarbeitern und andererseits die Kommunikation zwischen Firma und Kunden.«
»Und welche Kunden betreut ihr?«, fragte ich.
Robert nannte drei Kleinunternehmen: einen Forstbetrieb, eine Bettfedernfabrik und einen kleinen Lebensmittelbetrieb. Das beeindruckte mich zwar nicht besonders, ich gratulierte trotzdem. Nun kam Robert zum Punkt. »Peter«, sagte er und blickte mich ernst an, »wir bieten dir einen Job als Berater bei uns an.«
