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Die Schlangenfrau schildert Shani Kangagas Reise in die Welt ihrer afrikanischen Ahnen. Aufgewachsen in Wien, zieht Shani Kangaga mit neunzehn Jahren in den Busch nach Kenia, um ein traditionelles Leben zu führen. Sie wird von einem Medizinfrauenbund der Mijikenda, einem Stamm an der ostafrikanischen Küste, aufgenommen und erfährt ihre eigene Initiation zur Medizinfrau. Die traditionelle Heilerin Mama Fatuma wird Shani Kangagas Lehrerin und weiht ihre junge Schülerin in die Geheimnisse der afrikanischen Medizin und Heilkunst ein. Die Schlangenfrau beruht auf wahren Begebenheiten und offenbart tiefe Einsichten in die schamanische Weisheit und die magische Weltsicht der großen Heiler in Kenia.
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Seitenzahl: 276
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Für meine Mütter und Väter
»Die Schlangenfrau« schildert Shani Kangagas Initiationsweg zur Medizinfrau und ihre magische Reise in die Ahnenwelt.
Nachdem Shani Kangaga mit neunzehn Jahren das erste Mal nach Kenia gereist ist, um ihren leiblichen Vater – einen Medizinmann – zu finden, beschließt sie trotz erfolgloser Suche nach ihm, tiefer in die Welt ihres Vaters einzutauchen.
Sie verlässt ihr Zuhause in Wien und zieht in den Busch nach Kenia, um ein traditionelles Leben zu führen. Dort wird sie von einem Medizinfrauenbund der Mijikenda, einem Stamm an der Küste Kenias, aufgenommen und erfährt ihre eigene Initiation zur Medizinfrau.
Bei der traditionellen Heilerin und Medizinfrau Mama Fatuma beginnt Shani Kangagas lebensverändernde Lehrzeit. Mama Fatuma „adoptiert“ sie und weiht sie in die Geheimnisse der afrikanischen Magie und Heilkunst ein. Shani Kangaga lebt ein traditionelles Leben im Einklang mit den Ahnen und der Natur.
Die Entwicklung der jungen Frau zu einer starken Medizinfrau wird mit zum Teil erschütternden und tiefen Einsichten in das Leben, von dem Vertrauen in die eigene Kraft und von der magischen Weltsicht der Heiler und Heilerinnen begleitet. Shani Kangaga bewältigt mittels traditioneller Riten und Zeremonien ihre inneren Ängste und Zweifel und geht durch herausfordernde Prozesse. Ihre Geschichte ist abenteuerlich und offenbart zugleich einen authentischen Einblick in die schamanische Weisheit und in die geheimnisvolle Welt der großen Heiler in Kenia.
Vorwort
Die Spirits
Afrika
Die Initiation
Die erste Zeremonie der Initiation
Die zweite Zeremonie der Initiation
Die dritte Zeremonie der Initiation
Die vierte Zeremonie der Initiation
Die fünfte Zeremonie der Initiation
Der Zauberer
Pflanzenwissen
Die alte Seele
Die Rache des Zauberers
Die sieben heiligen Pfeile
Der Schwur
Der magische Angriff
Verbannung des Zauberers
Kabunda erzählt
Der Medizinmann
Die Heilungszeremonie
Katanas Schwurbruch
Abschied nehmen
Den Schmerz überwinden
Der Tod
Die Geburt der Schlangenfrau
Epilog
Bei den Mijikenda, einem von vielen Stämmen an der Küste Kenias, bedeutet das Wort Mganga so viel wie Medizinperson. Damit ist jedoch noch lange nicht klar, welche vielfältigen Möglichkeiten und Aufgabenbereiche eine Medizinperson hat und ausübt.
Eine Medizinperson kann zum Beispiel ein Heiler, ein Heilpflanzenkundiger oder ein guter Geschichtenerzähler sein. Ein Schamane ist eine Medizinperson. Eine Medizinperson muss aber nicht gleichzeitig ein Schamane sein.
Die Mijikenda haben einen weiblichen und einen männlichen Medizinweg. Medizinfrauen und Medizinmänner in diesem Kulturkreis erhalten somit unterschiedliche Ausbildungen. Letztere werden auch Initiationen genannt. Ich erhielt die Ausbildung zur Medizinfrau.
Die Initiation ist keine Prüfung, wofür eine Arbeit zu schreiben ist mit anschließender Benotung und überreichtem Diplom. Sie ist keine Examensform der westlichen Kultur. In den Selbsthilfebüchern der westlichen Kultur zum Thema Initiation werden die jeweiligen Riten als einfach zu durchschreitende Prozesse beschrieben.
Doch kämen diese weisen Menschen in die Situation wie ich damals in Kenia: hart auf hart …, vielleicht würden sie zum Teil nicht anders reagieren, als ich es getan habe.
Keiner meiner Prozesse war einfach. Wovon dieses Buch handelt.
Meine Prüfer sind keine Menschen, sondern die Ahnen, und der Test ist manchmal lebensgefährlich und kann den Verlust von Kraft oder auch den Tod bedeuten.
Die Initiation ist kein wetteiferndes Symbol, sondern ein Geschenk, welches den Menschen dienen soll. Derjenige, der die Prüfung der Ahnen besteht, trägt die Verantwortung, sein Wissen dem Bittenden im bestmöglichen Sinne zur Verfügung zu stellen.
Die Initiation ist ein Übergang von einer Bewusstseinsstufe zu einer anderen, von Nichtwissen zu Wissen. Sie bedeutet für den Geprüften die Einweihung in die Geheimnisse einer bestimmten Personengruppe: in meinem Fall des Medizinfrauenbundes der Mijikenda.
Als ich mit neunzehn Jahren das erste Mal nach Afrika ging, um meinen leiblichen Vater - einen Medizinmann - zu suchen, begab ich mich auf unbekanntes Terrain. Ich hatte keine Ahnung von Initiationen, von Stammesleben oder von irgendeiner der Aufgaben, die mich erwarteten. Mein Wille galt dem Finden meines Vaters. Doch wie das Schicksal es wollte, fand ich ihn nicht. Stattdessen stieß ich auf eine Welt, die mich verschlang, in ihren Bann zog und als vollkommen anderes Wesen wieder ziehen ließ. Es war die Welt meines Vaters, die Welt meiner Ahnen.
Als Kind besuchten mich die Ahnen und Geister und als Jugendliche drängten sie mich weiter. Als ich schließlich nach Kenia zog, gaben die dort gefundenen Aufgaben meinem Leben einen Sinn. Ich hatte eine Perspektive für mein Leben gefunden: etwas, das ich tun sollte, ein Leitbild, ein Leitgedanke. Ich hatte meine Medizin bekommen.
»Nicht du hast entschieden, sondern die Ahnen wollten es so«, sagte damals meine afrikanische Lehrerin Mama Fatuma.
Dies ist nun meine Geschichte, mein Initiationsweg, der sich auf so vielen Ebenen abgespielt hat. Mein Dank gilt meinen Ahnen und meiner Lehrerin Mama Fatuma, deren Segen ich für dieses Buch bekommen habe. Ich wurde reich mit Wissen beschenkt, musste durch schmerzvolle Prozesse gehen, um letztendlich in meine Kraft zu kommen und die innere Weisheit meines Herzens in meinem Leben zu leben.
Ich möchte – und dies ist eine weitere Aufgabe – diese Geschenke und dieses Wissen weitergeben und der Leserin und dem Leser Hoffnung, Mut und Freude bereiten.
Die Informationen in diesem Buch sind keine genaue Wiedergabe eines Stammessystems, sondern meine persönlichen Erfahrungen mit den Mijikenda, die mich aufgenommen haben. Ein Medizinfrauenbund adoptierte mich als ihre Tochter. Ich bin nun für immer ein Teil von ihnen.
Da ich niemals zuvor ein traditionelles Leben geführt hatte, war ich aufs Strengste bedacht, in der Rolle der Schülerin aufzugehen. Meine westlich geprägten Weltansichten beziehungsweise das Wissen meiner kulturellen Herkunft ließ ich, soweit es ging, zurück, um mich wie ein Kind in die Arme von Mama Afrika fallen zu lassen. So hatte ich Einblick in ein Leben im Einklang mit der Natur und unseren Ahnen wie auch in die tiefsten dunklen Ecken meines Seins, die Erleuchtung finden wollten.
Und da sehe ich dieses Bild von diesem alten, großen Baum, der seine Wurzeln ganz tief in der Erde hat und ist. Und ich sehe hinauf, ganz hoch zu den Blättern und »entdecke«, dass es keine Blätter sind, sondern viele kleine, flinke, bunte Vögel, die durch die Lüfte kreisen.
Und ich frage mich, was dieses Baum-Wesen wohl ist. Und ich kann es nicht herausfinden, nur staunen. Und ich gebe ihm einen Namen: leuchtender Stern.
(Philipp Stary 2001)
Meine Reise nach Kenia lag zwei Tage zurück. Es war ein heißer Julitag in Wien und ich saß im Schneidersitz am offenen Fenster auf meinem Bett. Mein Rücken lehnte an der kühlen weißen Wand und die Nachmittagssonne schien durch mein großes Schlafzimmerfenster herein.
Eigentlich wollte ich jenes Buch in meiner Hand lesen, dessen Absatz ich zum dritten Mal begonnen hatte. Doch meine Gedanken kreisten fortwährend um Afrika.
Schließlich klappte ich das Buch genervt zu.
Kleine Staubpartikel wirbelten in der Luft auf, als ich mich vom Bett erhob und in die Küche ging, um mir ein kaltes Glas Wasser einzuschenken.
Ich nahm einen Schluck und dachte nach.
Einen Monat war ich in Afrika gewesen, um dort meinen leiblichen Vater zu finden. Die Suche nach ihm gestaltete sich schwieriger als zunächst angenommen. Ich hatte einfach zu wenig Informationen über ihn gehabt: weder Name noch Adresse.
Schließlich machte ich mich unter Schmerzen mit dem Gedanken vertraut, dass er möglicherweise schon gestorben war. So sehr hatte ich mir gewünscht, meinem Vater zu begegnen. Doch ich musste nun den Tatsachen ins Auge blicken und erkennen, dass ich ihm wahrscheinlich niemals begegnen werde.
Mit meiner ersten Afrikareise war ich einem Traum gefolgt, und noch immer ließ er mich, einem Geist gleich, nicht in Ruhe.
Die Reise hatte mich inspiriert und verändert, aber vor allem neugierig gemacht. Ich wollte mehr über meine afrikanischen Wurzeln erfahren, mich intensiver einlassen auf ein Leben, das so reich an Traditionen und Wissen ist. In Afrika spürte ich die Anwesenheit meiner Vorfahren. Sie sahen auf mich, deuteten auf etwas, das ich noch nicht verstand oder nicht verstehen wollte und konnte.
Afrika übte auf mich eine Faszination aus. Ein Ort, wo Mythen, Magie und alltägliches Leben noch ineinanderflossen. Die warme Erde unter meinen Füßen, die rot glühende Sonne, wenn sie unterging, die lachenden Gesichter der Kinder, die laut schreienden Händler am Straßenrand, der Geruch von Feuer, die aufrecht gehenden Frauen, wenn sie ihre schwere Last auf dem Kopf balancierten - dies alles sah ich bildlich vor mir, als ich in meiner Küche die Augen schloss und mein Wasser trank.
Ich musste etwas tun, ich musste eine Entscheidung treffen. Etwas in mir wollte sich verändern, wusste aber noch nicht wie. Und obwohl ich in Österreich aufgewachsen war, fühlte ich mich fremd in meinem eigenen Land und sehnte mich zurück in den Schoß von Mama Afrika. Mein Herz schrie förmlich in den weiten Kosmos hinaus, doch ich fand keine Antwort. Nur kalte, schweigende Unendlichkeit starrte mich an.
Einige Tage später beschloss ich, nach Deutschland zu fahren. Ich nahm den Nachtzug nach Hamburg und wollte mich dort mit meiner Freundin Mia treffen, die ich ein Jahr zuvor in Mexiko kennengelernt hatte. Eine schöne und hochgewachsene Frau.
Als ich in der Früh am Bahnhof ankam, fielen wir uns glücklich in die Arme. Mia trug ihre langen blonden Haare offen und wie immer funkelten mich ihre grünen katzenartigen Augen fröhlich an. Sie sah einfach umwerfend aus. Ich war sehr dankbar für unsere Freundschaft und hoffte, dass mir unsere Gespräche mehr Klarheit bringen würden. Ich brauchte Antworten auf meine vielen Fragen.
Schnell warf ich meine Reisetasche auf Mias Autorücksitz und wir fuhren zu ihr nach Hause. Ich war etwas erschöpft von der langen Reise, konnte es aber kaum erwarten, ihr von Afrika zu berichten.
Als wir in ihrer kleinen Wohnung ankamen, machten wir es uns auf dem Balkon gemütlich. Wir saßen auf ihren Sonnenstühlen und hatten einen reichlich gedeckten Frühstückstisch.
»Hier, ich habe uns leckere Brötchen vom Bäcker geholt.« Mia reichte mir den Brotkorb. »Erzähl schon und spann mich nicht weiter auf die Folter. Wie war Afrika?« Mia klatschte vor Ungeduld in ihre Hände und grinste mich an.
»Hm, wo soll ich bloß anfangen? Es war sehr aufregend und ich habe wahnsinnig viele Menschen kennengelernt, außer meinem Vater.«
»Ist das in Ordnung für dich? Bist du sehr enttäuscht?«, fragte meine Freundin und sah mich besorgt an.
»Ich weiß es nicht. Natürlich bin ich enttäuscht, dass ich ihn nicht gefunden habe, aber ich bin auch nicht traurig. Die Reise hat mich irgendwie verändert.«
Ich griff nach der Marmelade und strich etwas auf mein Brot. Während ich überlegte, wie ich Mia verdeutlichen könne, was in mir vorgehe, nahm ich einen großen Bissen und schloss beim Kauen genüsslich die Augen.
»Weißt du, ich bin wirklich glücklich, hier zu sein. Nach den ganzen Strapazen in Afrika habe ich mich sehr nach einem ruhigen Ort gesehnt«, sprach ich mit vollem Mund. Ich sah Mia entschuldigend an und schluckte runter. »Und obwohl es bei dir gemütlich ist, fühle ich mich innerlich so unruhig. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich zurückfahren nach Afrika, um den Weg meines Vaters zu gehen und die Schülerin einer Medizinperson zu werden? Oder sollte ich den sehnlichsten Wunsch meiner Mutter und meines Ziehvaters befolgen und in Wien studieren? Meine Eltern wollen schließlich, dass aus ihrer Tochter etwas wird.«
Meine letzten Worte betonte ich würdevoll und ahmte den sorgenvollen Blick meiner Mutter nach. Mia und ich grinsten uns an, wurden aber dann wieder ernst. Seit Afrika fand ich keine Antwort auf diese Fragen und meine Gedanken quälten mich. Ich fühlte mich vollkommen aufgewühlt. War ich denn schon bereit, einen solchen Schritt zu wagen? War ich bereit, den Weg einer Medizinfrau zu beschreiten?
Ich erzählte Mia jede Einzelheit meiner Reise. Nur kurz unterbrachen wir unser Gespräch, um unsere Brote und das frische Obst zu essen oder wieder Tee zu kochen. Gespannt hörte meine Freundin zu und erst zur späten Mittagsstunde war meine Geschichte zu Ende erzählt.
Ich beschloss meine Sachen im Schlafzimmer auszupacken, während Mia noch schnell etwas einkaufen ging. Sie hatte eine schöne helle und aufgeräumte Wohnung und im Wohnzimmer war in einer Ecke des Zimmers ein großer Altar aus Birkenzweigen aufgestellt. Auf ihm standen Statuen, Steine und Kraftgegenstände aus aller Welt, vor allem aber aus Mexiko.
Mia war weit gereist und hatte viele kraftvolle Orte und Heiler und Hüter der Erde besucht. Ich setzte mich vor den Altar und entzündete ein paar Salbeiblätter, um mich mit dem wohlriechenden Rauch zu reinigen. Schließlich meditierte ich einige Stunden und betete zu Mutter Erde, damit ich meine innere Ruhe wiederfände.
Als der Tag langsam zur Neige ging, saßen Mia und ich wieder auf ihrem Balkon. Sie hatte uns einen Salat gemacht und dazu köstliche Spaghetti mit Pesto gekocht.
»Lass es dir gut schmecken, meine Liebe«, sagte Mia.
»Ja, danke, ich habe wirklich Hunger«, antwortete ich.
»Ah, bevor ich es vergesse, ich kann dir vielleicht helfen. Ich habe einen Lehrer. Ein Medizinmann. Er heißt Strong Bear und ist zurzeit hier in Deutschland. Er kommt aus den USA. Wir können ihn morgen besuchen gehen, vielleicht kann er dir weiterhelfen. Du musst ihm nur Tabak mitbringen, denn er lebt nach der indianischen Tradition.«
Ich wusste, dass eine Medizinperson von jedem Besucher ein Geschenk erwartete, wenn dieser um etwas bitten möchte. Nimmt sie die Gaben an, muss sie dem Bittsteller helfen.
»Ich bin wirklich gespannt und freue mich darauf, deinen Lehrer endlich kennenzulernen«, sagte ich zu Mia.
Mias Vorschlag versetzte mich augenblicklich in helle Vorfreude. Vielleicht war dieses Treffen das fehlende Puzzleteil und ich könnte danach klarer sehen, was zu tun wäre. Mia und ich unterhielten uns noch lange über die weisen Lehrer dieser Welt, über Mutter Erde und über unsere Träume. Die Sonne glühte noch einmal vor dem Horizont auf, bis sie schließlich versank und der späte Abend über uns hereinbrach. Das Vogelgezwitscher wurde leiser, bis es schließlich verstummte und einige Zikaden im Hof anfingen, ihr Nachtlied zu trällern. Der Mond tauchte auf und spendete der Stadt sein kühles Licht.
Mia hatte nach dem Essen eine Matratze und ein paar Decken auf den Balkon gelegt. So konnten wir es uns gemütlich machen und draußen übernachten. Eine ganze Weile saßen wir ruhig und still nebeneinander. Schließlich entschieden wir eine kleine Zeremonie durchzuführen, da meine innere Unruhe wieder wuchs. Mia bereitete schnell alles dafür vor.
»Shani, leg dich hier hin«, bat sie mich.
Dann hielt sie eine Räucherschale in der Hand und der Duft von verbranntem Salbei durchdrang die Luft.
»Ich spüre leichte stechende Schmerzen in meiner Brust«, sagte ich, »obwohl ich absolut keine physischen Probleme habe. Seltsam, was könnte das bedeuten?« Ratlos blickte ich Mia an.
»Ich weiß es nicht. Aber über diese Zeremonie wirst du Klarheit bekommen. Dann wirst du wissen, was dir fehlt«, antwortete sie.
Ich willigte ein, legte mich flach auf den Rücken und schloss die Augen. Davor bereits hatte ich regelmäßig und jedes Mal sehr lange meditiert, weshalb es mir nicht schwerfiel, den Atem zu kontrollieren und ihn ruhig fließen zu lassen.
Mia holte noch mehr Salbei und zündete ihn an. Ein süßer Geruch entstieg der Räucherschale und umfing uns wie einen sanften Schleier.
Ich sog den milden Duft des Salbeis ein und wartete, bis Mia zunächst ihren Körper und schließlich meinen geräuchert hatte. In Gedanken rief ich die Kräfte der vier Himmelsrichtungen und betete um ihren Segen und ihren Schutz. Dann konzentrierte ich mich wieder auf meinen Atem, darauf bedacht, mit der Nase ein- und mit dem Mund auszuatmen. Es dauerte nicht lange und ich fiel in eine leichte Trance.
Damit begann meine innere Reise.
Ich befand mich direkt in meiner rechten Brustseite und konnte den Punkt erkennen, der mich schmerzte. Irgendetwas bewegte sich dort, doch ich sah nur verschwommene dunkle Konturen. Ich näherte mich der Stelle und nahm schließlich die Umrisse einer Person wahr. Ein Mann in einem schwarzen Umhang stand gebeugt vor mir, auf seiner Schulter saß ein Rabe. Sein Gesicht war von einer dunklen Kapuze verhüllt.
Verwundert über diese Begegnung, starrte ich ihn an.
»Wer bist du?«, war das Einzige, was ich hervorbrachte.
Langsam drehte sich die Gestalt zu mir, sodass ich direkt in ein altes Gesicht blicken konnte. Nun sah ich die stechenden, grauen Augen des Mannes, deren Blick wissend und weise auf mir ruhte. Ich wurde nervös.
»Ich möchte deinen Körper, um zu heilen«, sagte der Unbekannte.
Verwirrt wollte ich weitere Fragen stellen. Doch plötzlich fing alles an sich zu drehen. Ich verlor die Orientierung. War es der Raum, der sich drehte, oder wirbelte ich umher wie eine Wilde?
Eine raue, starke Hand packte mich. War es der mysteriöse unbekannte Alte, der nach mir griff? Wollte er mich verwirren?
Die Hand schleuderte mich kräftig umher … jemand stieß mich … die Hand stieß mich … ich verlor das Gleichgewicht … der Mann mit dem Raben stieß mich und ich fiel in einen bodenlosen schwarzen Abgrund. Schrecken erfasste mich, denn ich verlor jegliche Orientierung. Ich wusste nur, dass ich fiel und dass dieser Zustand kein Ende fand. Ängstliche Fantasien ergriffen von meinem Verstand Besitz. Mein Körper wurde steif und kalt. Unsanft landete ich in einem dunklen schwarzen Raum. Nichts als Dunkelheit umhüllte mich.
»Zünde eine Kerze an, damit du etwas siehst«, hörte ich eine leise Stimme zu mir sprechen.
Meine Finger tasteten panisch im Dunkeln umher und tatsächlich fand ich nach kurzer Zeit direkt neben mir auf dem kühlen Boden eine Kerze und sogar ein Feuerzeug. Ich zündete die Kerze an und sah mich um. Das fahle Licht erhellte nur schwach den Raum, doch ich konnte erkennen, dass ich mich in einer Gruft oder alten Grabkammer aufhielt. Überall lagen Skelette und Totenschädel umher. Mir grauste es und nackte Angst packte mich. Ich stand auf und suchte panisch einen Weg aus diesem Raum heraus, aber ich fand weder eine Tür noch ein Fenster.
Unsicher setzte ich mich im Schneidersitz in die Mitte des Raumes. Eine innere Kraft bewog mich dazu, die Augen zu schließen und in einen tiefen meditativen Zustand zu fallen. Ich war nicht mehr ich selbst, sondern hatte das Gefühl, eine Hohepriesterin zu sein, der eine Prüfung bevorstand. Eine Schlange kroch meinen Rücken hinauf. Sie bewegte sich geschmeidig über meinen Körper und legte sich dann sanft zwischen meine Beine. Durch die Meditation wurde ich ruhiger und ich öffnete wieder meine Augen.
Auf einmal flog ein weißes, durchscheinendes Gesicht an mir vorüber. Gefolgt von noch einem und noch einem. Einige Gesichter hatten auch einen Körper, wobei ich deren Gliedmaßen nur schemenhaft erkennen konnte. Es kamen immer mehr Geistwesen aus dem tiefschwarzen Nichts hervor. Sie streiften meinen Körper und bei jeder ihrer Berührungen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.
Die Situation geriet außer Kontrolle. Ich war gefangen und mein Herz fing an, wie wild zu rasen. Ich wollte nur noch weg von hier.
Durch einen Schleier versuchte ich Mia zu erreichen. Ich erklärte ihr meine Situation und tatsächlich kam sie mir zu Hilfe.
»Gut, Shani, bewahre deine Kontrolle. Ich werde dein Krafttier, den Bären, rufen, damit es dich aus dieser Dimension rausholt. Bruder Bär, hilf deinem Schützling!«, bat sie in die Stille der Meditation hinein.
Wenige Sekunden später hörte ich, dass jemand an der Außenwand dieser fürchterlichen Grabstätte kratzte. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Ich vertraute Mia und meinem Krafttier und wusste, dass sie mich nicht im Stich ließen. Ein kleiner Lichtstrahl, der nicht von meiner Kerze ausging, fiel in den Raum. Jemand hatte ein kleines Loch in die Wand gearbeitet. Ohne zu zögern, glitt ich hindurch.
»Nur weg von diesen Geistern oder Spiritwesen!«, dachte ich.
Mein Krafttier, der Bär, erwartete mich bereits auf der anderen Seite und half mir auf. Ich fragte ihn gar nicht erst, was passiert war, denn ich sah, wie er sich vor der kleinen Öffnung, durch die ich vor Kurzem noch hindurchgekrochen war, hinstellte und reglos stehen blieb, ohne eine Miene zu verziehen.
Am nächsten Tag lernte ich den Medizinmann Strong Bear kennen. Mia hatte mir erzählt, dass Strong Bear aus Texas komme und Freunde in Deutschland besuche. Er war vorübergehend bei einem seiner Schüler untergebracht und führte aber das Leben eines Nomaden. Er leitete Zeremonien und Schwitzhütten und gab gerne und großzügig sein Wissen weiter.
Wir standen alle in seinem kleinen Zimmer, das nur mit zwei Stühlen, einem einfachen Bett und einem Tisch möbliert war. Es roch angenehm nach verbranntem Salbei und Zeder.
»Nehmt doch bitte Platz«, sagte Strong Bear auf Englisch in einem breiten texanischen Akzent.
Er selbst setzte sich auf einen Stuhl. Mia nahm den anderen Stuhl neben ihm und da es keine weitere Sitzmöglichkeit gab, setzte ich mich auf das Bett.
Neugierig betrachtete ich seine Medizingegenstände. Auf dem Tisch lagen viele Kristalle und ein großer einfacher Lederbeutel. Daneben befanden sich ein geflochtener Bund mit Süßgras und eine Räucherschale, die mit weißem Salbei und Zeder gefüllt war. An der von mir gegenüberliegenden Wand hing ein reich verzierter, perlenbestückter indianischer Pfeifenbeutel. Ich wusste, dass die Pfeife für die nordamerikanischen Indianer heilig war. Mit viel Ehrfurcht und Respekt sah ich mir den Medizinmann genauer an. Strong Bear war ein großer Mann und schlank gebaut. Seine Hände glichen mächtigen Bärenklauen und an seinen Fingern erkannte ich Ringe in der Form von Bärenkrallen, die mit Türkis-Edelsteinen verziert waren. Er trug eine einfache Jeans und ein dazu passendes Jeanshemd.
Seine langen schwarzen Haare, zu zwei Zöpfen gebunden, reichten ihm bis zur Hüfte. Er hatte die Augen einer Schlange, grün funkelnd, und seine Stimme klang wie die eines gemütlichen Bären, tief und freundlich.
Nach einer stummen Weile blickte mich Mia an und ich wusste, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, dem Medizinmann meine Bitte vorzutragen. So wie der Brauch es verlangte, bot ich Strong Bear Tabak an und fragte ihn, ob er mir helfen könne eine Lösung für mein Problem zu finden.
Eindringlich sah er mich an und schwieg.
Schließlich nahm er meine Hand. »Beschreibe mir, was du fühlst«, sprach er mit warmer, samtiger Stimme.
Zuerst spürte ich nur seine Körperwärme, doch allmählich entglitt ein Energiestrom seiner Hand und floss in die meine. Öffnete mein Herz.
Außerdem waren Tausende Schmetterlinge in meinem Bauch. Mein Herz klopfte, doch nicht aus Angst, sondern weil ich unbeschreiblich glücklich war.
»Ich spüre Liebe«, teilte ich ihm mit.
Er ließ meine Hand wieder los. »Gut, dann kann ich dir helfen«, sprach er und sah mir dabei tief in die Augen.
Strong Bear verlor keine Zeit. Gemeinsam bereiteten wir alles für eine Zeremonie vor. Er verbrannte Salbei, Süßgras und Zeder in der Räucherschale und badete förmlich in dem aufsteigenden, qualmenden Rauch. Schließlich reichte er die Räucherschale an Mia und mich weiter.
Wir taten es ihm gleich. Der Raum füllte sich mit unserer Konzentration und Aufmerksamkeit. Strong Bear machte mit einer Handbewegung deutlich, dass ich mich hinlegen solle. Ich tat es und war sehr aufgeregt, da ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde.
»Schließ deine Augen! Egal, was passiert, lass es zu. Ich bin nur ein Kanal und mache nichts, als die Energien weiterzuleiten«, wies er mich an.
Ich nickte Strong Bear zu, als Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. Er erklärte mir weiter, dass er mit verschiedenen Kristallen an meinem Körper arbeiten werde.
Einige Zeit verstrich, in der er mithilfe der Kristalle meine Chakren reinigte und meine Energie ausbalancierte. Als er geendet hatte, fühlte ich mich entspannt und ließ mich einfach treiben. Zeit und Raum lösten sich auf. Es fühlte sich an, als wären Stunden vergangen. Außer meinem Atem hörte ich kein Geräusch.
Einen Impuls folgend versuchte ich meine Augen kurz zu öffnen, aber meine Lider waren zu schwer. Ich wunderte mich kurz, doch schließlich schaffte ich es – bemerkte aber schockiert, dass ich mich nicht mehr in Strong Bears Zimmer befand, sondern inmitten einer Schneelandschaft stand.
Es kam mir seltsam vor, aber ich blieb ruhig. Wie so oft in meinem Leben hatte sich die Realität verschoben. Ich befand mich nicht mehr in der Alltagsrealität, sondern in einer anderen Dimension. Meine Füße schmerzten, denn sie standen nackt im Schnee und fühlten sich bitterkalt an.
»Shani, was siehst du?«, hörte ich eine weit entfernte Stimme fragen, deren genauen Standort ich nicht ausmachen konnte. Es war Strong Bears Stimme. Aber sehen konnte ich ihn nicht.
»Ich weiß nicht so recht, wo ich bin, aber hier liegt überall Schnee und mir ist kalt!«, rief ich.
Weit und breit stand kein Baum und auch kein Tier oder anderes Lebewesen war zu sehen, außer Schnee, wohin ich blickte. Bitterlich kalt empfing mich weiterhin die Landschaft um mich herum.
»Ich glaube, hier ist irgendwo ein Rabe, doch ich sehe ihn nicht«, sprach ich.
»Dann folge dem Ruf des Raben«, erwiderte Strong Bear.
Das laute Krächzen des Tieres lag vor mir. Was bleibt mir schon anderes übrig?, dachte ich mir. Hier stehen bleiben und erfrieren oder vielleicht eine Rettung finden, wenn ich dem Vogel folge?
Ich machte mich also auf den Weg. Die Umgebung war mir fremd. Diffuses Licht wurde zwar von dem Schnee reflektiert, ich konnte aber nirgends eine Sonne erkennen – nur tiefe, hellgraue Wolken standen am Himmel. Somit wusste ich auch nicht, in welche Himmelsrichtung ich ging.
Es schien eine halbe Ewigkeit vergangen zu sein, als sich plötzlich ein endloser schwarzer Abgrund vor mir auftat. Ich hörte noch immer die Stimme des Raben, doch diesmal klang sie von weit weg und kam von eben diesem Abgrund.
Spring hinunter, empfahl mir meine innere Stimme.
Damit wusste ich auch, dass ich dem Raben vertrauen konnte, wenn meine Intuition ihm doch recht gab.
Leicht und schwerelos fiel mein Körper in das schwarze Unbekannte. Und landete sanft auf festem Boden. Meine Füße berührten etwas Kaltes und ich sah, dass ich in einem Eistunnel stand. Die Wände waren weiß und glitzerten an der Oberfläche. Mit den Fingerspitzen berührte ich die kalte Wand. Von Weitem erblickte ich einen matten Lichtschimmer, der die dicken Eiswände zum Leuchten brachte. Das Krächzen war verstummt.
Vorsichtig ging ich einige Schritte auf dem rutschigen Boden, bis sich vor mir der Tunnel in zwei Wege spaltete. Intuitiv folgte ich meinem Herzen und entschied mich für den rechten Weg und in diesem Augenblick hörte ich wieder das Krächzen des Raben. Diesmal jedoch war der Ton schrill. Ungeduld schwang mit dem Laut des Raben mit – als ob er es sehr eilig hätte.
Meine Schritte wurden fester und ich versuchte etwas schneller zu gehen, ohne dabei auf dem Eis mein Gleichgewicht zu verlieren. Schon bald endete der Tunnel und ich betrat eine weiße Sphäre, eine Dimension, die vollkommen aus Licht bestand.
Ich hatte das Gefühl, schwerelos im Raum zu schweben. Versuchte zu gehen, merkte aber, dass ich mich nicht von der Stelle rührte und kaum mehr Kontrolle über meinen Körper besaß.
Plötzlich packte mich ein großer Vogel von hinten an der Schulter und riss mich in die Höhe. Geräuschlos und überraschend war er aus dem Nichts gekommen und flog mit mir immer höher. Ich versuchte meinen Kopf zu wenden und über die Schulter zu blicken, damit ich ihn besser sehen konnte. Es war ein Adler.
Bald verwandelte sich die weiße Sphäre in Erde und wir flogen durch einen unterirdischen Tunnel. Um uns herum tauchten Geistwesen auf und verschwanden so geheimnisvoll, wie sie erschienen waren. Sie sahen uns neugierig und sehr erfreut an.
»Sie kommt, sie kommt!«, riefen sie aufgeregt durcheinander.
Die Stimmen beinhalteten eine unüberhörbare Vorfreude. Auch ich war schon gespannt, was mich erwarten würde.
Ich versuchte immer wieder den Kopf zu wenden, um in die Richtung zu blicken, in der wir flogen, da mich der Adler umgedreht an den Schultern hielt und mein Blick nur auf den bereits zurückgelegten Weg fiel. In Gedanken ermahnte mich der Adler mehrmals nicht nach vorne zu sehen. Ich verstand zwar nicht, warum, befolgte aber seine Anweisungen. Zu viel Ehrfurcht hatte ich vor ihm, um ihm zu widersprechen. Nichtsdestotrotz hatte ich das dumpfe Gefühl, dass wir uns dem Ort näherten, wo ich mich am Vorabend in meiner Trance bereits befunden hatte.
Schließlich landeten wir. Der Adler sah mir fest in die Augen. »Du weißt, wo wir uns befinden. Hinter dir steht eine Tür und du musst rückwärts durch sie hindurchgehen!«
Einige Sekunden lang stieg leichte Panik in mir auf, doch ich beschloss mutig zu sein und das zu tun, was mir der Adler sagte. Ich hörte das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels im Schloss. Jemand öffnete eine Tür.
Kaum war ich rückwärts durch die Tür getreten und hatte beide Beine in den geheimnisvollen Raum getan, schlug die Tür vor meiner Nase zu.
Ich musste mich der Situation stellen. Die Zeit war gekommen. Ich fühlte mich bereit. Hatte keine Angst.
Langsam drehte ich mich um. Mir verschlug es den Atem, als ich etwas erblickte, was ich in meinem ganzen Leben nie mehr vergessen würde.
In der Mitte des Raumes stand ein großer, länglicher Holztisch. Um ihn herum saß eine Vielzahl an Spiritwesen. Ihre Körper erstrahlten in einem leuchtenden Licht. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Die Spirits sahen mich prüfend an. Auch ich ließ mir Zeit, sie zu beobachten. Einige von ihnen waren Afrikaner, andere Indianer. Es herrschte absolute Stille, so als ob der ganze Raum mit seinen Anwesenden, ja gar das ganze Universum für eine Sekunde den Atem anhielt.
Ich sah eine alte indianische Frau mit langen herunterhängenden Zöpfen. Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Dann erinnerte ich mich wieder. Sie erschien mir öfters in meinen Träumen. Viele Nationalitäten saßen hier vereint an einem Tisch und berieten sich, doch auch wenn sie so unterschiedlich aussahen, verband sie ein Licht, das aus ihrem Körper strahlte. Es umhüllte sie und verschmolz mit ihnen.
Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit durchfloss mich. Ich fühlte mich eins mit meinen Ahnen, meiner Geschichte und meinem Leben. Meine Augen glitten voller Bewunderung und ehrfurchtsvoll über die Spirits.
Da fiel mir eine Gestalt unter ihnen besonders auf. Sein Kopf wirkte größer als die anderen, nicht mehr menschlich, doch ein Augenzwinkern später kam er auf mich zu und ich vergaß beinahe den Unterschied. Es war ein anderes Wesen, doch in seinen Augen sah ich Sanftheit und Liebe.
»Wie h … heißt d … du?« stotterte ich meine Frage an ihn.
Das Wesen erhob sich zu seiner vollen Größe, aber er tat dies so übertrieben, dass es komisch wirkte. »Ich heiße Crocodile Dundee«, sagte er tief und ehrerbietig.
Einen Moment sah ich ihn fassungslos an. Hatte er das ernst gemeint?
»Äh … heißt … heißt du wirklich so?«
Meine Frage kam mir etwas dumm und naiv vor, aber diese ganze Szene überwältigte mich dermaßen – und dann kam so eine Antwort.
»Nein, aber ich wollte etwas lustig sein. Namen sind nicht so wichtig, aber wenn du willst, kannst du mich Ramiris nennen.«
»Warum bin ich hier, Ramiris?«, wollte ich wissen.
»Wir wollen deinen Körper, damit du heilen kannst. Du kannst jetzt gehen. Du wirst von uns hören.«
Ich wagte nicht, noch mehr Fragen zu stellen, denn die Spirits sahen mich nun noch eindringlicher an. Auf eine neunzehnjährige junge Frau schindete dies schon genug Eindruck.
Schließlich trat Ramiris auf mich zu. Er hielt eine Kette in seinen Händen. Sie sah aus wie ein Amulett, das die Form eines umgedrehten Dreiecks hatte. Erst als Ramiris es mir um den Hals gelegt hatte, betrachtete ich es genauer.
Es fühlte sich kühl auf meiner Haut an und ich nahm es in meine rechte Hand. Es war ein klarer Kristall. In seiner Mitte befand sich ein kleiner, runder und violetter Stein. Ich dankte meinen Ahnen. Ich wusste nun die Antwort auf meine Frage.
Ich musste zurück nach Afrika.
Kein Baum kann ohne Wurzeln stehen
(Kongo)
Ich startete meine Reise nach Afrika. Obwohl mich das Erlebnis mit Strong Bear gestärkt hatte, plagten mich Ängste und Zweifel. Ich wusste nicht, auf was ich mich wirklich einließ, nur, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Für meine Familie und Freunde war dies zum Teil schwer zu akzeptieren.
Drückende, schwüle Luft empfing mich in Mombasa und obwohl Trockenzeit war, atmete ich feuchte Luft ein. Eine angenehme salzige Brise Indischer Ozean streifte meine Haut und ließ meinen ganzen Körper prickeln.
Diese wunderschöne Küstenstadt war ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen. In den zahlreichen schmalen Straßen tummelten sich Afrikaner, Inder und Araber. Hier herrschte reges Treiben. Sofort nach meiner Ankunft war ich von dieser neuen Umgebung verzaubert.
Eine Lebendigkeit pulsierte durch Mombasa, wie ich sie selten in Wien erlebt hatte. Ich fühlte mich rundum wohl und betrachtete aus meinem Taxi die vielen verschiedenen Menschengesichter.
Ich fuhr zu Freunden, die ich während meiner ersten Reise nach Kenia kennengelernt hatte. Sie lebten in Bamburi, einem kleinen, verschlafenen Dorf wenige Kilometer von Mombasa entfernt.
Die Freude war groß, als meine Freunde mich wiedersahen. In ihrem Zuhause fühlte ich mich sofort geborgen, und das, obwohl es alles andere als eine Luxusherberge war.
Das Haus war fensterlos, das Wellblechdach löcherig und der Putz an den Wänden war völlig hinüber. Er bröckelte unentwegt bei jedem Schritt.
Trotzdem zählte es zu den geräumigen Häusern, denn es besaß ein Schlafzimmer für die Eltern, ein Zimmer für die verheiratete Tochter samt Ehemann und Kind, je ein getrenntes Zimmer für die Frauen im Haus sowie für die Männer, eine Küche, einen großen Festraum, ein Esszimmer und … zumutbare Toiletten. Letzteres war und ist ein Geschenk in Afrika. Außerdem gab es vor dem Haus einen schönen Hof, in dem die Frauen im Freien das Mittagessen kochten.