Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Diese kleinen Meisterwerke der Fantasie sind zugleich ein Plädoyer gegen die Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Blau schillernde Käfer, pelzige Nachtfalter, mutige Heuschrecken und flirrende Libellen sind die Held*innen von Barbara Frischmuths neuen Erzählungen. Doch wenn wir genauer hinsehen, so geht es der Autorin nicht nur um sorgfältig beobachtete Insekten: Es geht um fein gezeichnete Symbiosen von Mensch und Natur, um seltene Mischwesen zwischen Mädchen und Käfer, um sprechende Libellen oder um das, was wir uns von den schlauen Heuschrecken abschauen können. Mit liebevollem Humor zeigen uns diese Geschichten, wie sehr wir Menschen Teil der Natur sind. Denn, so wird die Gärtnerin und Dichterin Barbara Frischmuth niemals müde zu betonen: Nur in einem Zusammenleben mit der Natur, das von Respekt und Achtsamkeit geprägt ist, haben wir alle eine Überlebenschance.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
BarbaraFrischmuth, geboren 1941 in Altaussee, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt seit 1999 wieder in Altaussee.
Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane »Die Klosterschule« (1968), »Die Mystifikationen der Sophie Silber« (1976) oder »Kai und die Liebe zu den Modellen« (1979), aber auch ihre zahlreichen Gartenbücher. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: »Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen« (2021) und »Schaufel, Rechen, Gartenschere« in der Reihe »Dinge des Lebens« (2023).
Barbara Frischmuth
Erzählungen
Residenz Verlag
© 2025 Residenz Verlag GmbH
Mühlstraße 7, A-5023 Salzburg
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
www.residenzverlag.com
Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Hanna Zeckau
Grafiken: © busenda (S. 5); © RP Pro (S. 23, 73); © SpicyTruffel (S. 103)
Lektorat: Jessica Beer
ISBN Print 9783701718047
ISBN eBook 9783701747450
Die Techniken der Libellen
Käfer überall
Die Geschichte der Plumpschrecken
Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter
Es ist ein sonniger Tag, an dem die Zwillinge nach dem Frühstück zum Wald aufbrechen, durch Haselnusssträucher, Kiefern, Buchen, Weiden, Eichen, Pappeln, Laub- und Nadelbäume, und dort in einen springenden Bach gehen wollen. Sie greifen und hanteln sich durch, als gäbe es keine Wege, nur Richtungen mit Erwartungen. Schon hören sie das Wasser an die Steine klatschen und sehen, wie sich das Grün zum erhöhten Blau öffnet. Rundum gibt es ein wenig Wiese und stumpfes Holz, das von gefällten Bäumen zurückgeblieben ist.
Der große Tom sieht als erster die Blauflügel-Prachtlibellen, während der kleinere Tim ein Mädchen mit grünem Hut und gelber Jacke auf einem dicken Erlenast bemerkt, den die Holzfäller vergessen haben.
Bist du …, fragt Tim, aber das Mädchen kommt ihm zuvor: Ja, ich bin Cecilia und ihr seid die Zwillinge, stimmt’s?
Tom dreht sich um: Olala, die Jungfer vom Fluss.
Du bist Tom, oder? Der große Tom, der die Bäche und Flüsse kontrolliert, Temperaturen misst und nach Schleichschwänzen sucht.
Tom nickt, gleichzeitig wiegt er den Kopf.
Und du, sie schaut auf Tim: Wer bist du?
Ich bin der Rest. Ich kontrolliere, ob Toms Kontrollen auch richtig verbucht wurden. Und du, wer bist du denn außer Cecilia?
Sie wartet ein wenig, neigt den Kopf nach vorn und öffnet den Mund: Ich gehöre zu einer anderen Art, das heißt, ich bin anders schön. Gleiche Gattung, doch andere Art, dafür sind wir ja bekannt.
Tom und Tim nicken: Das wissen wir.
Aber es reicht nicht. Wir sind die drei, die beides sein könnten, wenn wir uns besser verständigen, mit uns selbst und mit den anderen. Schönheit kann ja auch eine Hilfe sein, zumindest für die Menschen, und unser allerschnellstes Fliegen mit eigenem Strom ebenso.
Warum? Weil wir so viele Jahre hindurch nur gejagt, gefressen und gelernt haben. Das hat unser Denken samt allen unseren Einfällen gestärkt. Wir sind ein immer wieder zusammenwachsender Körper, der lebt, vergeht und sich dabei erneuert. Die Zellen begeben sich auf neue Wege, um herauszufinden, ob es brauchbare Verbesserungen gibt, nicht bloß Technisches aus Bequemlichkeit. Wir waren schon da, als die Saurier kamen, waren klug und wurden kleiner. Deshalb leben wir, trotz aller Unerträglichkeit, noch immer in dieser Welt. Jetzt wird es heiß, nach den Eiszeiten kommen die Dürren. Das haben wir schon öfter erlebt. Einige der Unsrigen sind bereits in den Norden gezogen, doch der Norden ist zu klein für uns alle, seit die Menschen zu viele geworden sind. Kontrolle hat nur Sinn, wenn das zu Kontrollierende danach entsprechend verändert wird.
Beim Frühstück sagte Tom, er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, der ihm beinahe den Atem genommen habe.
Genau wie ich, meinte Tim. Dieses Mädchen mit dem grünen Hut, das ununterbrochen schnatterte …
Die Mutter fand es merkwürdig, dass Zwillinge dasselbe träumen konnten, sagte aber nichts dazu. Der Vater der beiden war, als sie noch nicht einmal richtig sprechen konnten, von einem der Himalaya-Gipfel gestürzt, weil er wissen wollte, wie hoch Libellen fliegen, wenn die Sonne schien. Seine Frau hatte darauf bestanden, dass das, was von ihrem Mann übriggeblieben war, zu ihr gebracht würde, damit es ein Grab gab, an das sie mit den Kindern die ausgefallensten Blumen bringen könnte, so dass sie alle immer wieder gerne an sein Grab kämen.
Habt ihr etwas für den Nachmittag vor?, fragte die Mutter.
Wir wollen schauen, ob die Blauflügler bereits in Rudeln kommen und die Frösche nach ihnen schnappen, meistens sind ja die Libellen schneller.
Tim hoffte, dass auch die gelbgefleckten Flussjungfern samt den Großen Quelljungfern schon da wären, die angeblich nur noch hier existierten.
Ich nehme an, ihr werdet auch schwimmen und die Badehosen …
Haben wir schon angezogen, man sieht es nur nicht.
Wollt ihr eine Jause mitnehmen?
Schon in der Tasche!
Kommt nicht zu spät zum Abendessen, es gibt Lachs mit Röstkartoffeln, die Lieblingsspeise eures Vaters. Es ging ihr noch immer darum, dass die Kleinen, die inzwischen größer waren als sie, nicht vergaßen, dass sie auch einen Vater gehabt hatten, sogar einen, der mit Tieren und Pflanzen umgehen konnte.
Nach dem Frühstück liefen sie zum Wald und dann zum Bach. Diesmal nicht im Traum. Sie kannten den Weg und wussten, wo die Libellen wie Wolken schnell durch die Luft sausten, bis zu 50 km/h, mit den Muskeln direkt an den Flügeln.
Das soll ihnen mal einer nachmachen, rief Tom. Die können ihre Flügelpaare unabhängig voneinander bewegen, und dadurch abrupt die Richtung wechseln, in der Luft stehenbleiben oder sogar rückwärts fliegen!
Als sie ankamen, wurden sie geradezu geblendet von den Lichtspielen der Libellenflügel und deren pfeilschneller Jagd nach anderen Insekten. Hin und wieder schnellte ein Frosch in die Höhe, um nach einer dieser Schönen zu schnappen, aber das gelang nur sehr selten. Das Sirren der Flügel hörte sich an wie ein Kichern, als wollten sie sagen: Ihr kriegt mich nicht! Auch wenn ihr mit euren Schnellfüßen meterhoch springt! Je höher, desto mehr Geplätscher! Die Ringelnattern, die größeren Fische, die Vögel … Man sollte immer wachsam sein, wenn es einem an den Kragen geht. Und darauf achten, dass man, wenn man sich im Flug von unten nach oben oder von links nach rechts die Mahlzeiten holt, nicht das Pech hat, selbst gemahlzeitet zu werden.
Es war Tim, der immer wusste, was kommt. In seinem Kopf bündelten sich die Nachrichten, die er zu sortieren hatte. Ob Schein, ob Wahrheit, ob Gewalt oder Zuspruch, er durfte nichts übersehen. Das Gewesene lässt sich nicht wiederholen, das Zukünftige nicht vorhersehen. In der Gegenwart liegt die Chance, aber auch das Versagen.
Bei so vielen verschiedenen Lebewesen muss alles alert sein, wenn es am Leben bleiben will.
Im Krieg oder in der Waffenruhe – die einen machen es mit den Zähnen, die anderen mit Gewehren – beides ist tödlich.
Dazwischen Liebe, Schönheit, Lachen, Freundlichkeit, Genuss und Dankbarkeit. Das ist die Welt, dazu gehören auch Hilfsbereitschaft und Zufriedenheit.
Tim hatte das alles im Kopf. Er ist in der Leitung, empfängt und antwortet, ohne Laute, ohne Sprache, ohne jeden Befehl, er fühlt, spürt und begreift. Seine Stimme ist hell, sein Körper schmal, seine Kraft ist die Aufmerksamkeit.
Die beiden zogen sich aus bis zur Badehose, wühlten mit den Füßen im Sand. Die Libellen schossen an ihnen vorüber, blieben plötzlich stehen in der Luft, sahen sie an mit ihren vielen Augen, surrten davon, kamen wieder und glitzerten in blauen, grünen und roten Farben.
Kühl, meinte Tom, tauchte bis zum Bachboden, wo die weißen Steine und die grünen Pflanzen lagen. Die einen zeigten, dass das Wasser klar war, die anderen, dass es darin auch Nahrung gab.
Tom schwamm ein wenig unter Wasser, sah Beine, zarte Beine, die sich selbst weiterstießen, und einen Mädchenbauch samt Hals und Brüsten.
Auftauchen! Er sah ein Gesicht, ähnlich wie das im Traum und doch anders, mit grünen Augen, schwarzem Haar und weißer Haut.
Hallo! Der große Tom stand da, der Bach war nicht tief, gerade so, dass man darin schwimmen konnte.
Der Zusammenstoß blieb mild, so wie das Hallo!
Von ihr her kam kein Laut.
Ich bin Tom! Er blieb stehen, für sie war es nicht so einfach. Ihre Beine waren zu kurz, um den Boden zu erreichen. Trotz aller Bemühungen landete sie in Toms Armen.
Lula, sagte sie und schluckte ein wenig Bachwasser, da sie den Mund zu lange offen gelassen hatte.
Willst du raus? Tom deutete auf ein Stück Sandstrand, Lula nickte. Die Sonne schien durchs Gebüsch und schickte Strahlen, die Muster aus Schatten malten.
Tom half ihr über die letzten spitzen Steine unter Wasser bis zum Sand.
Gleich danach kam Tim, auch er kletterte zum Sand hin.
Hallo Lula, warst du schon länger im Wasser?, fragte er.
Tom und Lula setzten sich gerade. Woher Tim ihren Namen kannte, wusste nur er. Lula saß zwischen den beiden. Immer wieder blieben die Mosaikjungfern vor ihnen stehen und glotzten sie neugierig an. Das sind die neugierigsten in der Libellenwelt. Kaum bewegte sich Tom, zogen sie nach oben, flogen mehrmals im Kreis, dann kamen sie von der anderen Seite wieder.
Wie hübsch sie sind, diese Blauflügler, samt den Gebänderten, die ihnen ähneln. Wie auch die Königslibellen, die Flussjungfern und sogar die Plattbäuche, und alle sind sie Kannibalen, die fressen, was in ihre Fangkörbe kommt. Aber wir brauchen sie. Sie fressen viele, die für uns schädlich sind, damit wir nicht krank werden.
Aber auf die Dauer wird es für uns alle nicht gehen, wenn Käfer, Schrecken, Schmetterlinge, Bienen und alle anderen Insekten dieser Welt aus dem Gleichgewicht fallen.
Vergesst die Techniker nicht!
Tom warf Kiesel um Kiesel ins Bachwasser. Das meiste haben wir nachgemacht. Die Frage ist nur, wie die Natur sich rächen wird.
Sie kommt schon des Weges, Tom, man riecht sie, meinte Tim. Noch sind wir diejenigen, die die Richtung zeigen, zumindest sieht es so aus. Aber was soll’s, ich bin hungrig nach dem Schwimmen. Wenn ihr wollt, schwimme ich rüber und bringe den Beutel mit der Jause.
Tim stand auf, und da niemand etwas sagte, lief er ins Wasser und begann zu schwimmen, schneller, als man schauen konnte.
Was sagst du dazu? Lula legte ihre Arme um die Knie.
Tom zuckte mit den Schultern: Manchmal glaube ich alles, was Tim sagt, dann aber wieder nicht. Dass sich vieles ändert, habe auch ich wahrgenommen, aber was sollen wir tun? Wir sind so wenige gegen so viele. Wenn wir alles, was sich geändert hat, tatsächlich wieder ändern wollen, brauchen wir mehr als nur Menschen. Wir sie und sie uns. Noch zweifle ich, dass wir das schaffen. Tim ist schon weiter im Denken, aber wie viele Tims gibt es?
Vielleicht mehr als du glaubst, antwortete sie. Gleich darauf surrte Lula wie eine Libelle, spreizte die Flügel, schrumpfte, so dass Tom sie gerade noch sehen konnte, und sauste hoch in die Luft. Sie glich einer Flussjungfer, die blitzschnell die Gebänderten Prachtlibellen querte, die als Gruppe nach Fressen Ausschau hielten. Lula war zu schnell, als dass eine sie hätte erwischen können. Gleich darauf saß sie wieder als Mädchen bei Tom, schob noch rasch ihren linken Träger auf die Schulter und lächelte, während der Junge nur den Kopf schüttelte. Habe ich geträumt oder tatsächlich alles gesehen?
Wie du glaubst, es liegt an dir.
Tom nahm ihren Arm, küsste ihn von der Schulter bis zum Handgelenk und zurück. Ich glaube, was ich spüre, ob du davongeflogen bist oder nicht. Ich kann es nicht sagen, aber wenn ich meine Lippen an deinem Arm habe, weiß ich, dass ich dich geküsst habe.
Lula kicherte in ihren anderen Arm, drehte sich dabei um und wieder zurück. Wir sehen so viel, wie wir sehen wollen, und so wenig von dem, was geschieht. Oder umgekehrt. Es gibt so vieles, was geschieht, doch die Menschen haben zu wenig Augen. Zwei sind bei weitem nicht genug, selbst wenn du direkt davor sitzt.
Tom glaubte zu hören, wie Tim aus dem Wasser stieg. Er ist geflogen, sagte Lula. Du hast es nicht gesehen, nur gehört, dass er wieder gelandet ist.
Tim sprach von einem Korb, schüttelte ihn, wie um zu sagen, dass er alles mitgebracht habe.
Lula legte ein riesiges Blatt auf den Sand und holte die Jause aus dem Korb. Schon wurde Tom ein wenig kleiner Das passierte nicht zum ersten Mal, aber es war das erste Mal, dass nicht nur Tim ihn dazu gebracht hatte, sogar Lula deutete hinunter auf ihn.
Mahlzeit, auch das Jausenbrot mit den gekochten Eiern hatte sich angepasst.
Energie sparen, zwitscherte Tim.
Ohne mich zu fragen, seufzte Tom. Bei so viel Sonne ist es ja in Ordnung. Aber als Zwilling muss ich mir zu helfen wissen.
Sie aßen und es schmeckte ihnen, ob Brot oder Fisch.
Noch sind wir im Paradies und wissen, was Glück bedeutet. Die Zellen der Lebewesen sind noch intakt, sie existieren im Rhythmus von leben, sterben, sich erneut zusammensetzen und nach mehreren Häutungen wieder zum Leben zurückkehren.
Je kleiner, desto leichter fällt es uns. Wenn wir groß bleiben, wird die Erde zu klein und es braucht Kriege, um wieder Platz zu schaffen, genug Platz. Gewalt ermüdet unsere Zellen und tötet sie zu oft. Bald gibt es kein Paradies mehr, in dem wir Kleinen leben und zeigen können, was den Großen fehlt. Der Welt wird der Bauch platzen und die Zellen zerstören, die wir zum Leben brauchen. Die Erde hat Zeit, sich wieder zu erfinden, wir nicht. Wir haben geglaubt, uns die Erde nach unseren Wünschen einrichten zu können, aber Überheblichkeit hat sich noch nie gelohnt.
Der Sommer war vorbei, der Herbst viel zu warm, das Paradies beinah ausgetrocknet.
Sie waren bereits länger in der Stadt, vor allem Tom, wegen der Universität. Lula zeichnete und malte in Farben, die Menschen gut sehen können. Tim aber fuhr nach Norden, um herauszufinden, wie viele bereits angekommen waren. Er brauchte weder Bleistift noch Laptop, sondern speicherte alles in seinem Kopf. Viele waren schon in die Kälte emigriert. Es kam immer öfter zum Streit, denn die Habitate waren bereits voll. Niemand wollte die Geflohenen.
Nicht allen war es dort zu warm, wo sie wohnten. Es gab auch andere, die die Wärme liebten, bald nahmen sie die Plätze der Geflüchteten ein. Auch da gab es Streit und Kampf um die verlassenen Habitate. Viele aus dem Süden wollten mehr, als die Geflohenen gebraucht hatten. Ihre Eier wuchsen ins Unsägliche, die Larven fraßen die Teiche auf, während im Norden die Gletscher schmolzen und das Wasser stieg.
Lula zeichnete Tims hübsches Gesicht, bevor er sich einen Bart wachsen ließ. Tom liebte Lula und leckte ihre Brüste, wenn er Liebe mit ihr machte. Tim liebte Lula ebenso, wenn auch auf andere Weise. Er war ständig unterwegs, und wenn er dann zurückkam, musste er alles, was er in seinem Kopf gespeichert hatte, in ein Buch schreiben, damit auch die Wissenschaftler etwas davon haben würden.
Verschiedene Libellen-Arten waren bereits ausgestorben, man fragte sich, warum. Am schlimmsten waren die vielen Pestizide, von denen es hieß, dass sie nur für bestimmte Wesen tödlich wären. Eine Lüge. Und Tim versuchte, diese Lüge als Lüge zu entlarven, was schwierig war, aber er fand Interessierte und organisierte Zusammenkünfte.
Tom, der studiert hatte, fertigte die Unterlagen an, mit denen Tim bei seinen Zusammenkünften gelegentlich auch Erfolg hatte, da sie mehr nach Universität als nach Politik klangen, oder auch nach Phantasien für jene, die mit Wissenschaft nicht viel anfangen konnten.
An den Wochenenden fuhren Tom und Lula mit dem Fahrrad zu den Teichen, in denen nicht geschwommen wurde, da sie mittlerweile zu seicht waren und Wasserpflanzen enthielten, vor allem Schilf.
Das Paradies war es nicht, aber es gab eine Reihe von Keilfleck-Mosaikjungfern, Moosjungfern und Smaragdlibellen, je nachdem, wie die Teiche, die Moore, das Altwasser und verschiedene Pflanzen die Libellen lockten. Noch glaubte Tom, neue Arten entdecken zu können, die er als Thema für seine Doktorarbeit verwenden konnte.
Meist nahmen sie das Zelt mit, eingeklemmt auf Toms Gepäckträger, und schliefen unter den Weiden in der Nähe der Teiche, aßen in kleinen Wirtshäusern, in denen man sie bereits kannte, und hofften, dass es an den Wochenenden gutes Wetter geben würde.
Die schönsten Libellen kamen auch immer näher an sie heran, um ihre Neugierde zu befriedigen, sie schienen zu wissen, dass sie ohnehin die schnellsten waren. Manchmal setzte sich eine auf Toms Schulter, und Lula hielt sie rasch in ihrem Malbuch mit einem Stift, der mehrere Farben hatte, fest.
Wenn es regnete, gingen sie in den Wald, suchten Pilze und besondere Moose. Tom wünschte sich, endlich einmal einem Wolf zu begegnen. Man höre so oft etwas über Wölfe und fotografierte die Lämmer, die sie gerissen hatten. Warum hatten die Bauern und die Hirten keine Hunde mehr, die stark genug wären, den Wölfen das Reißen abzugewöhnen? Es seien die Wälder, die die Wölfe nicht mehr duldeten, nur die Menschen dürften noch Lämmer fressen, wie auch Wild, Fische aus kleinen Bächen und so weiter. Scheinbar gehört alles uns.
Und was sagten die Wälder dazu?
Die werden von Käfern gefressen, weil sie zu schwache Wurzeln haben und zu oft neu gepflanzt wurden, so dass die Käfer sich sündhaft vermehren konnten.
Aber noch immer bedeutet der Wald das Schöne und die Sehnsucht nach der Stille, nicht so sehr die Tiere sind es, die still sind, als die Menschen, die eine andere Sprache sprechen als der Wald, ihn aber in der seiner Stille hören möchten.
Wann immer Tom und Lula zu den Teichen blickten, um die schönsten Libellen zu betrachten, erzählten sie einander ihre Zukunft, an die sie noch immer glaubten. Wissenschaft und Kunst, Tom und Lula, sie schienen zu wissen, was sie wollten. Dranbleiben, sagte Tom, und Lula meinte: Aus Farben Märchen machen und mindestens vier Flügel haben, um in dieser Welt zu existieren. Dazu braucht man keine Ohren.
Wie Tom an seiner Universität erfuhr, hätten die Tiere erst im mittleren Ediacarium vor etwa 600 Millionen Jahren damit begonnen, einander zu fressen. Umso mehr mussten sie auch achtgeben, um nicht selbst gefressen zu werden. Eine Lebensweise, die besonders den Libellen geblieben ist. Wahrscheinlich waren auch sie es, die tatsächlich mit diesen Techniken begonnen hatten. Wer weiß? Was man weiß, war immerhin, dass Menschen davon profitierten. Anderswo wurde schon länger gesuppt, gekocht und geröstet. Wohl nicht gerade Libellen, aber ansonsten gnadenlos.
Lula war überzeugt, dass gefressen zu werden, nicht schmerzt. Sie hatte schon öfter gesehen, wie Libellen Fliegen fraßen.
Es war Juni und Tom wurde von seiner Universität beauftragt, mit zwei anderen Studenten herauszufinden, ob auch die Alpen-Smaragdlibellen bereits nach Norden geflogen waren. Tim und Lula fuhren stattdessen gemeinsam zum Paradies.
Tims Mutter war, wie immer um diese Zeit, zusammen mit den anderen Witwen für ein paar Wochen ans Meer gefahren. Und Tim brauchte ein paar Tage, um sich zu erholen, er war zu oft und zu lange auf Reisen gewesen.