Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen - Barbara Frischmuth - E-Book

Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen E-Book

Barbara Frischmuth

0,0

Beschreibung

Über die Natur nachdenken mit der wunderbaren Autorin und leidenschaftlichen Gärtnerin Barbara Frischmuth Natur und Kultur lassen sich nicht voneinander abgrenzen. Ständig greifen sie ineinander über, ob sichtbar oder unsichtbar, gelegentlich auch ohne zu harmonieren. Seit jeher versucht der Mensch, die Natur zu zähmen, sie sich untertan zu machen. Je spektakulärer ihm das gelingt, desto seltener denkt er daran, wie abhängig er noch immer von ihr ist. Am deutlichsten wird das in der Sprache, mit der wir versuchen, die Natur zu benennen und zu beschreiben, ob erzählend, poetisch, sachlich oder wissenschaftlich. In ihrem Essay versucht Barbara Frischmuth zu zeigen, wie Natur in Alltag, Literatur, Kultur und Wissenschaft zur Sprache kommt. Die Natur zu unterschätzen, wäre lebensgefährlich. Sie zu schätzen, ja zu lieben, eine menschenwürdige Erkenntnis.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 79

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Barbara Frischmuth

NATURund die Versuche,ihr mit Sprachebeizukommen

Aus der Reihe »UNRUHE BEWAHREN«

Unruhe bewahren – Frühlingsvorlesung & HerbstvorlesungEine Veranstaltung der Akademie Graz in Kooperation mit dem Literaturhaus Graz und DIE PRESSE

Die Frühlingsvorlesung zum Thema »NATUR und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen« fand am 17. und 18. Juni 2021 im Literaturhaus Graz statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2021 Residenz Verlag GmbH

Wien – Salzburg

Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks

und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Herausgegeben von Astrid Kury, Thomas Macho, Peter Strasser

Beratung: Harald Klauhs

Umschlaggestaltung: Kurt Dornig

Lektorat: Jessica Beer

ISBN Print 978 3 7017 3528 0

ISBN eBook 978 3 7017 4657 6

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Bibliografie

I.

Das Beste, was wir tun können,

ist nach einer Welt zu streben,

die gut genug ist, wobei »gut genug«

immer unvollkommen und

verbesserungswürdig heißt.

Anna Lowenhaupt Tsing:

»Der Pilz am Ende der Welt«

Seit der Klimawandel immer deutlicher die Zähne zeigt, rückt auch die Natur stärker ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Hinzu kommt die Pandemie, denn auch sie gilt als Naturereignis, selbst wenn der Mensch samt seiner Kultur in Verdacht steht, das Seine dazu beigetragen zu haben. Womit wir bei der uns beschäftigenden Frage angekommen sind, was Natur bezeichnet und was sie bedeutet. Das Wortfeld, auf dem sie noch immer beackert wird, ist groß und nicht immer überschaubar, seit die Natur vor ungefähr zwölftausend Jahren, das heißt, zum Ende der Würm-Eiszeit begonnen hat, ihrer Kontrahentin, der Kultur (lat. cultura von colere: hegen und pflegen), das Wasser zu reichen, indem sie die von ihr geschaffene Erde der Kultur zur Bestellung freigegeben hat.

Aber noch einmal: Was heißt Natur und was bedeutet der Begriff? »Natur« kommt vom lateinischen nasci, geboren werden, entstehen, im Griechischen: physis, das immer wieder Gebärende, Hervorbringende. Natur meint aber auch die natürliche Beschaffenheit, die Schöpfung, das Wesen eines Gegenstandes. Zu ihr gehört alles, was sich ohne fremdes, sprich: menschliches Zutun nach den ihr innewohnenden Kräften und Gesetzen entwickelt. So hieß es, und dass die Naturdinge sich von künstlichen Dingen nur dadurch unterschieden, dass erstere ihren Bauplan in sich selbst trügen. Aber damit nicht genug, aus christlicher Sicht wurde das Natürliche zum Gegenbegriff des Übernatürlichen, zur Bezeichnung von allem, was nicht göttliche Offenbarung ist.

Voltaire wiederum meinte, es sei alles Natur, und bezog damit Stellung gegen die Anwesenheit göttlicher Offenbarungen in den Naturdingen. Andere trafen die Unterscheidung zwischen organischer – belebter – und anorganischer – lebloser – Natur, dem gegenüber stellte sich wiederum die These der Allbelebung.

Im Wandel der Weltanschauungen lösten einander Verehrung der Natur und Verurteilung ihrer angeblichen Geist- und Wertefeindlichkeit ab. Was gleich blieb, war der Versuch, den Begriff der Natur einzugrenzen und ihn innerhalb seiner Grenzen mit einer Reihe voneinander abhängiger Bedeutungen auszustatten.

Wer immer den Begriff »Natur« verwendet, muss sich entscheiden, welche Bedeutung des Begriffs er meint. Ist die Natur, von der ich spreche, die Wirkkraft, sozusagen der Akteur, wie es neuerdings heißt, der erosionsbezogen einen Steinschlag verursacht, oder eine Herbstlandschaft, die mit ihrem Farbenrausch im Betrachtenden ein Glückshormon freisetzt? Oder meine ich mit Natur vielleicht meine eigene psychische Veranlagung, wenn ich sage: Extremsport liegt nicht in meiner Natur, die Beschäftigung mit Pflanzen jedoch schon?

Natur meint so vieles und profiliert sich meist durch ihren Gegensatz, der aber brüchiger wird, seit der Mensch mit immer größerer Kraft in sie eindringt, so dass es auch nicht mehr hilft, wenn man der Natur den Geist entgegensetzt und sie zur bewusstlosen und kausal determinierten Erscheinung macht, während der Geist als Prinzip von Bewusstsein und Freiheit dasteht. Versuche der Versöhnung, wie sie noch im 18. und 19. Jahrhundert gang und gäbe waren, greifen nach den heutigen Erkenntnissen nicht mehr, seit die Kultur sich als dualer Kontrahent andauernd an der Natur zu schaffen macht, um sie in die Rolle einer kultivierten Natur zu zwingen. Gleichzeitig eignen die Errungenschaften der Kultur wie Technik, Industrialisierung und Atomkraft sich die Natur via Raubbau und Missbrauch an, ohne zu berücksichtigen, dass die Natur nicht nur Ressource, sondern auch ein Akteur ist, der agiert und reagiert, wie die Realität immer öfter zeigt.

Der Mensch, der in vieler Hinsicht für die Kultur steht und selbst ein Produkt der Natur ist, hat von Anfang an versucht, die Natur auszunutzen, schon lange vor Jahwes Gebot, sich die Erde untertan zu machen. Wenn man es genau wissen will, stößt man auf viele Indizien dafür, dass und wie die Natur, wenn es zu viel wird, einen Ausgleich fordert und, falls dieser ausbleibt, mit drastischen und zerstörerischen Aktionen aufwartet.

Und wie steht es um die Sprache, die angeblich uns Menschen überhaupt erst zu Menschen macht? Die Weitergabe von Information funktioniert schließlich auch ohne Sprache, beziehungsweise ohne ein System, das auf einem gesprochenen oder geschriebenen Vokabular basiert und von einer Grammatik geformt wird. Hunde und Katzen zum Beispiel informieren sich weitgehend olfaktorisch, schnüffeln und markieren. Pflanzen setzen obendrein Duftstoffe ab, die anzeigen, dass ihnen von Schädlingen Gefahr droht, und rufen auf diese Weise den Feind ihres Feindes zu Hilfe. Vögel warnen mit bestimmten Schreien andere Vögel oder auch Säugetiere, mit denen sie eine Art lockere Symbiose (hilfst du mir, dann helf ich dir!) verbindet. Bienen tanzen aufschlussreich und weibliche Elche urinieren vor der Nase des männlichen Geweihträgers, wenn sie sich lieber noch um ihren Nachwuchs kümmern wollen, anstatt sich gleich wieder schwängern zu lassen.

Es sind größtenteils Körpersprachen, die zur Weitergabe von Information taugen, ob mit Gerüchen, Gesten oder Lauten – wie das Bellen, Jaulen, Miauen, Fauchen und Krächzen der Tiere – oder auch chemischen, über Blüten und Wurzeln ausgetauschten Nachrichten bei Pflanzen. Nicht zu vergessen, dass auch Bakterien, Viren und jede andere Art von Mikroben über entsprechende Informationsnetzwerke verfügen, was an ihren Reaktionen ablesbar ist.

Bei den Säugetieren, zu denen auch wir gehören, erkennen wir die Art und Weise, wie sie sich Informationen beschaffen, besser, und am besten bei Haustieren, die sich dabei nicht bloß um sich selber kümmern, sondern durch das Jahrtausende lange Zusammenleben auch uns gelegentlich an Informationen, die sich nicht bloß auf Brekkies beziehen, teilhaben lassen. So hat vor gar nicht langer Zeit eine Katze mit trauriger Vergangenheit, die aus einem Tierheim adoptiert und im neuen Familienkreis gut behandelt wurde, einem an Diabetes leidenden Kind das Leben gerettet, das wegen eines technischen Versagens bereits im Koma lag. Die Katze biss die Mutter, schrie und lief so lange zwischen dem Eltern- und dem Kinderzimmer hin und her, bis die Mutter die Information als solche erkannte und die Rettung verständigte.

Ähnliche Geschichten zirkulieren, seit die Menschen Haustiere halten, und je besser sie sie halten, mit desto mehr Informationen dürfen sie rechnen. Übrigens sollen sich Katzen ihr alltägliches Miauen des Menschen wegen angewöhnt haben, um quasi auf seine Weise mit ihm kommunizieren zu können. Je älter sie werden, desto öfter mauzen sie. Wildkatzen hingegen schreien höchstens in der Brunft oder bei großem Schmerz.

Dass uns Menschen mit unserem unstillbaren Wissensdurst eindeutige Informationen, wie die Mitbewohner des Planeten sie entwickelt hatten, nicht genügten, ist augenscheinlich, vor allem seit wir entdeckt haben, dass diese eindeutigen Informationen gar nicht immer eindeutig sind. Trickster gab und gibt es bei allen Arten. Manche Individuen sind eben gewitzter als andere und beherrschen das Handwerk, oder sollte man besser sagen: die Kunst des Täuschens, erfolgreicher, was den immer schon bestens informierten Artgenossen wohl ausbaufähig erschien.

Ob die Menschen bereits Menschen waren, als sie zu sprechen begannen, ist wissenschaftlich nicht wirklich entschieden. Ich rede deshalb von »Entscheidungen«, da die Nochnicht-Menschen zwar Skelette und sonstige Spuren ihres Daseins in abgesunkenen Schichten hinterlassen haben, jedoch natürlich keine Töne speichern konnten. Selbst an den archivierten Mundhöhlen samt Ober- und Unterkiefern (Stimmbänder und Kehlköpfe sind wegen ihrer Bindegewebe- und Knorpelhaftigkeit nicht allzu lange haltbar) lässt sich nicht eindeutig ermessen, wann und in welchem Mund (homo erectus oder doch erst heidelbergensis) die Lautsprache auf und in die Welt gekommen ist, als immer noch umfassendstes Informationsvermittlungs-Werkzeug, dem wir Menschen seither verhaftet sind.

Schon zeigt sich, was durch das In-die-Welt-Kommen der Sprache in größerem Ausmaß als je zuvor verloren gegangen ist, nämlich die Eindeutigkeit. Was bedeutet denn das Wort »Verhaftung«? Die Verstrickung in ein Netz oder eine Festsetzung? Führt sie zur Verhaftung als Strafmaßnahme oder als Ausgabe eines Termins? Wobei die »Ausgabe« möglicherweise auch die Begleichung einer Rechnung meint.

Dass die menschliche Sprachwerdung vermutlich über die Kunst des Gesanges durch eine herbere Lautgebung evolvierte, kann man als Wunder der Natur ansehen, aber auch als ambivalentes Konstrukt von Kommunikation mit unendlichen Varianten, das der Diversität aller Lebewesen nacheiferte.

Dass wir uns mit unserer Sprache über alle anderen Lebewesen erhoben haben, ist wahrscheinlich weniger unserer aller und alles überragenden Kreativität (für die ist noch immer die Natur zuständig) geschuldet, sondern einem Talent, aus etwas Bestehendem etwas zu kombinieren, das für unsere Zwecke brauchbar erscheint.

Der Gesang, der bei Vögeln, wie man annimmt, während der Balz am schönsten klingt, wurde vom Menschen, dessen Brunft ja aufs ganze Jahr verteilt ist, zu einer Kunst ausgebaut, die ebenfalls allzeit zur Verfügung steht.

Dass ein Specht sich seine Wohnung aus dem lebendigen Holz hackt, gehört nach Meinung früher Philosophen zur Natur, wohingegen der Mensch, der für seine Behausungen ganze Wälder gerodet hat, der Kultur zugeordnet wird. Dieses nicht bloß sprachliche Dilemma wird uns noch lange beschäftigen.