Die schönsten Märchen und Sagen, 1. Band - Verschiedene Autoren - E-Book

Die schönsten Märchen und Sagen, 1. Band E-Book

Autoren Verschiedene

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Beschreibung

Wir lesen im 1. Band Märchen und Sagen von Ludwig Anzengruber, Achim von Arnim und Ludwig Bechstein. Aber was sind Märchen und Sagen überhaupt? Der Begriff "Märchen" kommt von dem Wort "Maere", was so viel wie "Erzählung" oder "das, wovon gern und viel gesprochen wird" bedeutet. Märchen sind erfundene Geschichten, die sich schon vor über tausend Jahren erzählt wurden. Sie wurden lange weitererzählt und dann irgendwann aufgeschrieben. In Märchen gibt es keine genauen Orts- und Zeitangaben, man weiß also nicht genau WO und WANN die Märchen spielen. Eine Sage ist, dem Märchen und der Legende ähnlich, eine zunächst auf mündlicher Überlieferung basierende, kurze Erzählung von fantastischen, die Wirklichkeit übersteigenden Ereignissen. Da diese mit realen Begebenheiten, Personen- und Ortsangaben verbunden werden, entsteht der Eindruck eines Wahrheitsberichts. Die ursprünglichen Verfasser sind in der Regel unbekannt, im Gegensatz zu den Sammlern und Herausgebern, welche die schriftlich fixierten Fassungen oft inhaltlich und sprachlich bearbeitet und literarisch geformt haben.

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Verschiedene Autoren

Die schönsten Märchen und Sagen

1. Band

Die schönsten Märchen und Sagen

1. Band

Verschiedene Autoren

Impressum

Texte: © Copyright by Verschiedenen Autoren

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2023

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Ludwig Anzengruber: Die Märchen des Steinklopferhanns

Achim von Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber

Ludwig Bechstein: Deutsches Märchenbuch

Ludwig Anzengruber: Die Märchen des Steinklopferhanns

Die breite Straße lief eine geraume Weile neben gelben Kornfeldern hin, bis ihr die Augen weh taten, da war sie recht froh, daß der Tannenwald bis zu ihr hinrückte und sie eine andere Weile im Grünen und im Schatten laufen konnte. Die Felder bogen aber da von der Straße ab und zogen weithin an dem grünen Walde, und das Korn sagte zu den Tannen: »Was so ein Wald für ein unnütz Ding ist, höchstens umgehauen mag er das zu Ende führen, was wir begonnen, mag backen helfen und die Leute wärmen, denen wir Leib und Seel zusammenhalten.« Die hohen Tannen schüttelten die Köpfe und sagten: »Muß sich einer nie einbilden, er richt's allein auf der Welt; wir stehen hier auf der Wacht, daß nicht der kalte Wind über die Niederung weht und euch verbläst, daß ihr die grünen Halme verfroren auf den Boden sinken laßt, und wir ziehen den Regen herbei, der euch tränkt, und laßt uns einmal ausgehauen sein, dann wächst die weite Niederung hinab nicht halb soviel, und der Kies und das Geröll und die nackte Erde rücken gegen das Dorf, um dem Bauer gute Nacht zu sagen.«

Ob die Bauersleut manchmal so dachten vom Walde wie das Korn? Heute taten sie es nicht, sie hatten bis an den Mittag geschnitten, jetzt war's heiß geworden, kaum zu ertragen, nun sollte Rast gehalten werden, und da lobten sie sich den Wald, setzten sich in seinen Schatten nieder, aßen und ließen sich's die kleine Weile der Ruhe wohl sein.

Zuweilen saßen auch ein Bursch und eine Dirn abseits von den andern allein, es ist sonderbar, daß sich das oft trifft und daß alle Bursche und alle Dirndln sich fast immer das nämliche Zeug vorreden, eines wie das andere, seit unvordenklichen Zeiten, und will das Ding nicht anders werden bis heut.

Gegen die Straße zu saßen auch ein Paar so Verliebte, beide nicht mehr gar zu jung, aber recht saubere, stramme Leute. »Mein Gott«, sagte die Dirn – wie denn die Weibsleute immer die Sache von der praktischen Seit anfassen –, »mein Gott«, sagte sie, »jetzt gehn wir schon als Knecht und Dirn sieben Jahr miteinander, wenn's nur zu was führen möcht, so wär ja alles gut.«

Drauf sagte der Bursch mit einem schweren Seufzer: »Freilich wär dann alles gut, aber daß wir halt so viel arm sein müssen.«

»Mein alte Bas nähm uns probweis als Pfleger auf ihr klein Anwesen«, sagte die Dirn.

»Probweis«, sagte der Bursch und strich sich die Haare aus der Stirn, »probweis freilich wohl«, dabei fischte er mit dem Löffel einen Brocken aus der Schüssel, die er auf seinen Knien hatte, »glaub's schon, gibst du den Spatzen in der Hand für die Taubn am Dach? Wenn die Prob übel ausfallt, so ist alles verfahren. Es hat der Bauer dieweil schon andere Leut – wir möchten uns nit ein Dienst auffinden, du möchst da, weiß der liebe Gott wo, dann ein Unterkunft finden ...«

Die Dirne langte zitternd den Löffel aus der Schüssel.

»Hast halt recht; daß grad wir so viel arm sein müssen.«

Mittlerweile schallten von der Straße herauf von Zeit zu Zeit einige Hammerschläge.

»Sie schlagn wieder Steine für die Straß«, sagte die Dirne leise und sah zur Seite, sie wollte gerne von etwas anderem reden als von ihrer gemeinsamen Not.

»Da ist gewiß auch der Steinklopferhanns nit weit«, meinte der Bursch.

Da sang es unten auf der Straße:

»'s Salz tut ma zbröseln

Und gibt's in ein Faß,

Und die Berg tut ma zbröckeln

Und streut s' auf die Straß,

So müssen sö alle,

Auch d' vurnehmsten Herrn,

Ob s' wölln oder nit wölln,

Doch Bergkraxler werdn;

Dem ein verreißt's die Stiefeln und

Den andern schupft's in Wagn,

Das schaut sich so viel lustig an

Beim Steinerschlagn! – Juhe!«

Der Knecht und die Dirne oben im Walde waren aufgestanden.

»Dös is er selber«, lachte der Bursch.

Die Dirne kicherte.

Beide traten in die Lichtung, an der ein schmaler Weg in Mannshöh über der Straße führte, und sahen hinab. Unten stand der Steinklopferhanns, das war ein lediger Mensch, schon nah an die Sechzig, er trug einen Filzhut, weiß Gott, wo er den einmal gefunden hatte, für den Regen mochte er gut sein, denn in der Krempe waren viele Löcher, durch die das Wasser sogleich ablaufen konnte, unter dem Hut fiel langes, schon etwas grau gemischtes Haar bis auf die Schultern herab, das hätte ihn, den Hanns nämlich, nicht den Hut, recht ehrwürdig erscheinen lassen können, hätte nicht ein wahres Spitzbubengesicht daraus hervorgeschaut; einen Bart trug er, der war vor nicht gar kurzer Zeit einmal rasiert gewesen und sah sich an wie ein Stoppelfeld; einen gewaltigen Brustfleck hatte er um – eine Weste mochte ihn zu sehr spannen bei der Arbeit –, und geflickte Hosen hatte er und Schuhe nicht von den feinsten. Jetzt fuhr er sich mit dem Hemdärmel übers Gesicht wegen der Hitze, damit machte er's aber nicht besser, denn den Schweiß wischte er wohl weg, den Staub aber strich er sich vom Ärmel ins feuchte Gesicht.

»Steinklopfer!« riefen die von oben.

Er sah nach den beiden hinauf.

»Haha«, lachte er, »die ewig Liebsleut, grüß enk Gott!«

»Mußt heut nit deßtwegn spotten, Steinklopfer«, sagte oben der Bursch, »'s liegt uns grad schwer aufm Herzen, daß's so is und wir, wer weiß wie lang, 'd' ewig Liebsleut' sollen heißen müssen, 's is halt nit anderscht, wenn man so viel arm is!«

»No, no«, sagte der Steinklopfer unten auf der Straße und legte den schweren Hammer zur Seite, »tut enk d' Frotzlerei auf einmal weh? Hätt's nit denkt, sollt's schon gwohnt sein, denk ich; wollts nit 'd' ewig Liebsleut' heißen, machts a End, tuts enk zsamm, is doch 's Gered, ös sollts als Pfleger auf der Bas ihr Anwesen kommen.«

»Ja, probweis«, brummte oben der Bursch.

»Is amal a Bauer gwest«, sagte der unten auf der Straße, »der hat sich einmal was an die Knöpf abzählen wollen, hat aber dreihundertfünfundsechzig Westen ghabt und hat von ein Morgen zum andern gwart, was die ander Weste dazu sagt, hat 's ganze Jahr zählt und nichts zwegn bracht.«

Der Bursche oben stampfte in den Boden. »Meinst doch nit, ich bin a Letfeign!«

»Gar nichts mein ich«, sagte der Steinklopfer, »was vertrittst denn die Grashalm mitn Füßen, die habn dir doch nichts getan!«

»Geh, Hanns«, sagte die Dirne, »komm rauf in Tann! Verzähl was, Rast is noch a Weil, du arbeitst ja ehnder jetzt auch nit.«

»Dös wär recht«, sagte der Bursch, »verzähln kann er so viel schön.«

»No«, sagte der Steinklopfer unten und streckte sich höher, »dös mein ich wohl selbst, ich mag euch schon was verzähln.« Damit ging er ein Stück die Straße hinunter, wo der schmale Weg hinanging, und trat in den Wald zu den »ewigen Liebsleuten«. Dort streckte er sich nieder ins Gras, setzte seine kurze Pfeife in Brand und sagte: »Ich will enk verzählen.«

1. Vom Hanns und der Gretl

Dort, wo der Wald niedergeht und ein Spitz wie eine Nasen ins Land streckt, dort is vor undenklichen Zeiten einmal a Häusel gstanden, drin hat a kluge Frau gwohnt. 's liegen dort in der Näh drei Dörfer, die warn in der Zeit, von der ich red, auch schon da, 's mag 's eine mehr Häuser ghabt habn als das andere, 's eine mag mit der Zeit von der Straß zruckgangen sein und 's andere bis hervor zu ihr, das macht nix. – Den Örtern geht's wie den Leuten, sie versterbn und lassen eins dahinter, das ihren Nam fortführt, und ist kein Brösel von ihnen selber mehr auf der Welt, als was so das Kind von ihnen überkommen hat; so ist wohl wenig mehr von dö alten Dörfer da, als daß neue Höf stehen an der Stell, wo einmal die alten gestanden sind, und ein oder der andere Stein mit hinein vermauert ist. Na, so war's halt, auf der Waldnasen hat die weise Frau ghaust, und rundum waren drei Dörfer, in ein Dorf war a Knecht, der hat Hanns gheißen, in andern a Dirn, die hat Gretl gheißen, und in der Mitten is das dritte Dorf glegen. Das dritte Dorf war das reichste, und 's hat oft dort im Wirtshaus Tanz und Unterhaltung gebn, und da hat der Hanns die Gretl kennenglernt, allzwei warn arme Teufeln, hätten gern gheirat, aber haben's immer überlegt, müßt amal a Glück kommen, daß sie's riskiern könnten, haben s' denkt. 's Glück is jahrlang ausblieben, sie sein d' Jahr lang miteinand gegangen, und da haben 's halt die Leut – ihr müßt es nit in Übel aufnehmen, aber die Leut warn allemal so boshaftig und nixnutzig wie heut –, da haben s' halt die Leut auch die »ewig Liebsleut« gnennt.

Einmal aber nimmt sich der Hannsl ein Herz und sagt, sie könnten doch auch die weise Frau um Rat fragn, denn warum net? Viele haben's schon getan, keinm seine Sach wär dadurch schlechter wordn, im Gegenteil hätt sie bei den mehrern den Nagel aufn Kopf gtroffen – na und so – freilich warum denn nit?

Freilich, meint die Gretl, ein rechter Rat wär doch immer was Rechts, und wann s' einem zu was Waghalsigem verleiten wollt, müßt man's ja doch nit tun und könnt's bleibenlassen. Und so viel wird's ja auch nit kosten, und es wird zum derschwingen sein.

Richtig, kosten wird's auch was, meint der Hanns. Umsonst ist der Tod, und der kost 's Leben – leben will so a kluge Frau doch auch, und wann man s' verhungern ließ, tät man völlig allen guten Rat im ganzen Gau aushüngern. Wird net so viel sein. Ihr guter Rat tät doch gleich sein Dienst, und braucht man nit so lang z' warten wie aufs liebe Himmelreich, für das sich die geistlich Herrn doch auch zahln lassen. Und die Gretl sollt nur auf die nächste Vollmondnacht hingehn.

Das taugt aber der Gretl nit, denn sie tät sich so viel fürchten, und der Hannsl war doch a Mannsleut und der Kuraschiertere.

»Dös schon«, sagt der Hanns und wird um zwei Fingerbreit höher, kratzt sich aber gleich wieder hinterm Ohr und wird a Trümmerl kleiner, wie er eher war; »aber«, sagt er, »weißt, Gretl, allein kann ich's nit dertun.« No, er hat sein Lohn stark angriffen ghabt die Woch, auf Bier oder Tabak – wann s' auch schon graucht habn vor die undenklichen Zeiten, von dö ich verzähl? – Was weiß ich!

Zletzt kommen s' halt überein, daß jedes die Halbscheid von die Kosten tragt und daß der Hannsl hingeht.

Der Hannsl is halt so viel kuraschiert gwest, und wie der nächste Vollmond is, macht er sich aufn Weg; durchs Dorf an die Felder vorbei hat er sich noch eins pfiffen, wie er aber auf die verrufene Waldnasen zukommt, da is er ganz stad wordn, der Mond hat so durchs Gezweig gschienen, daß der Schatten von die Äst wie kohlschwarze Sammetbandeln übern Weg glegen is, und der Hanns hat sich eingredt, er könnt über eins oder 's andere stolpern, und hat fleißig auf die Erd gschaut – burr, fliegt ihm ein Nachteul eine Spanne übern Hut weg – na, er war aber recht kuraschiert, und wie er erst gwußt hat, was es war, hat er nach einer Weil über den »Malefiz-Vogel« ein rechts Maul ghabt.

So kommt er zur Waldfrauhütten. Dort hat er erst sich ein bissel bsonnen und hat sich eingeredet, wie er so schnell müßt gegangen sein, weil ihm das Herz so schlagt. Und wie er schon das dritte Mal sein Finger krumm macht – nie is er ihm recht angstanden – und will anklopfen, da tut sich die Tür von selber auf, und die kluge Frau steht vor ihm und sagt: »Na, bist einmal da, ich hab dich schon lang erwart!«

»Jesus«, sagt der Hanns – ich weiß zwar nit, ob die Leut in dö unvordenklichen Zeiten, wovon ich derzähl, schon Jesus gsagt habn, aber das tut nix. »Jesus«, hat also der Hanns gsagt und sich verwundert, daß die Waldfrau weiß, daß er zu ihr will. Und er hat's doch schon die ganze Wochen im Dorf ausgschrien, wo er mit nächstem Vollmond hingeht.

Die kluge Frau hätt also nit gscheit sein müssen, wenn sie das nit gwußt hätt! So sagt sie zu ihm: »Komm hrein!«

Der Hanns geht also in die Hütten, dort brennt aufm Herd ein großes Feuer, und wie er so seitwärts hinblinzelt, ist am Boden ein großer Kreis von Totenbeiner und Totenköpf, und da hat's ihm ein klein Rucker nach der Tür hin geben, und er hätt recht gern »Gute Nacht« gsagt, wenn ihm nit auf einmal gar so trocken im Hals worden wär, und so ohne »Bhüt dich Gott« davonrennen, das wär doch unschicksam, bsonders gegen a kluge Frau, mit der man's schon gar nit verderben darf.

»Na«, sagt die Waldfrau, »da marschier hinein und setz dich!« Und meint in die Mitten von den Totenknochen, wo ein Schemel gstanden is.

Das war eine rechte Not, hat sich doch der Hanns gefürchtet, er tritt so ein Toten aufn Kopf, und wer weiß, wo die Alte die Köpf aufglesen hat, es haben die schönsten Leut darunter sein können, die ihrn Respekt verlangen, vielleicht sein eigener Urgroßvater.

So tappt er halt in Gottsnam hinein in den Zauberkreis, und vor er sich auf den Schemel setzt, meint er: Es würd sich doch nicht recht schicken, und er is net kommen, um ihr Beschwer zu machen, und will er sich halt doch ein klein wengerl niedersetzen, daß er der klugen Frau 'n Schlaf nit austragt, und will ihr schnell sagn, was er eigentlich will.

»Das weiß ich schon«, sagt die Waldfrau und gibt ihm ein großes Stundenglas in die Hand, geht dann von ihm weg, langt ein Laib Brot von der Stellen herunter und schneidt die Gottesgab an ...

Der Hanns hat dieweil die Totenköpf angschaut und die ihn, und denkt sich der Hanns: Was das für a Zeit sein wird, wo du auch wirst keine Nasen habn und so viel große Augen und doch nix sehen damit?! Und wie lang wird wohl hin sein?

Jetzt bist noch stämmig und rüstig, und die Leut nennen dich »kein unebnen Bubn«. Die Gretl ist auch so ein mordsaubers Dirndel. Die Jahr her, die ich mit ihr geh, is s' nur säubriger wordn.

»Ah geh«, sagt die Gretl, »du schmeichlerische Katz, siehst denn nit, daß ich doch schon bissel abfall, und auf der Stirn kommen schon die Falten, wenn s' auch noch so fein sein wie die Spinnenwebn.«

»Na«, sagt der Hanns, »laß gut sein, du taugst mir deßtwegen noch alleweil, meinst, mir bleibt aus, was dir blüht? Und so is's gut, und so is's recht, so habn wir uns doch die Unsäubrigkeit nicht vorzuwerfen.«

»Aber, Hanns«, sagt die Gretl, »das alles wär schon recht, aber die Kräfte verlassen ein doch auch.« »Teufel hnein«, sagt er, »freilich, an das hab ich nit denkt, aber zum verspürn fang ich's auch schon an.« »No, no«, sagt die Gretl, »dann is's Rest, wann wir nimmer arbeiten können wie früher, dann is's gar gar!«

»Es will nimmer weiter«, sagt die Gretl, »mein Bauer hat gsagt, ich taug ihm nimmer, ich verdienet nimmer 's Wasser mit meiner Arbeit, ich sollt schon lieber zum Betteln schaun.«

»Oh, du mein Gott«, sagt der Hanns, »dasselb hat mein Bauer heut auch zu mir gsagt.«

»So, na schön«, sagt die Gretl, »da komm nur gleich und laß uns zur Kirchtür herstelln.«

»Gut – gut – la – la«, lacht der alte Hanns und stellt sich zur Kirchtür. »Hihi, Gretl, wie du ausschaust!«

»Du alter Schüppel«, sagt die Gretl, »meinst, du shaust lieber aus? Taug ich dir leicht nimmer? – Gelt, als jung Ding war ich dir recht, daß ich die Jahr neben dir herlauf? – O du!« – Dabei gibt sie ihm mit der geballten Faust ein Renner.

»Du Bisgurn«, sagt der alte Hanns und hebt sein Stock.

Da fahrt ihm das wüste Weibsbild in die Haar, und sie balgen sich vor der Kirch, und die Leut weichen aus und schimpfen und lachen.

»Gretl«, sagt der Hanns keuchend, »laß gut sein, du verreißt mir mein wenig Haar – krallt hast mich auch, du wilde Katz – mir sein recht nette Bettelleut, in dem Kirchspiel halten s' uns schon für versoffen, da geben s' uns nix.«

Und die alte Gretl schleicht mit ihm weg von der Kirchtür, und sie setzen sich allzwei auf ein Grab nieder, wo ein großer Stein davor in der Kirchmauer war und drauf ein großer Totenkopf mit Beiner übers Kreuz; – d' jungen Dirndln redt man davon ab, aber a Totenkopf darf s' schon so habn, die Beiner. »Jesus«, sagt der Hanns, »wie lang wird's noch dauern, so schaun wir auch nit anderst aus!«

Die Gretl trocknet ihm mitm Tüchel 's Blut vom Gsicht, wo's ihm nach ihrem Kratzen hergloffen is. »Ich wollt, 's wär schon am End«, sagt s' »wann nur früher a schöner Lebn gwesen wär.« »O du mein«, seufzt der Hanns. »Wohl, wohl, wir habn uns halt verpaßt, was lieget dran, wann's auch am End so kommen wär und nit anderster, könnt mer doch sagen, mer hätt glebt; Kinder könnt mer habn, dö was taugn und 'n alten Eltern zeitweis was vergunnen und zukommen ließen, und wer weiß, hätt's grad so kommen müssen? Hätt der Himmel nöt können sein Segen drein gebn, wann wir ihm vertraut und aus unsere arbeitsam Händ baut hätten?!«

»O freilich«, sagt die Gretl.

»Ja«, sagt der Hanns, »bei sündigem Fürnehmen geht's 'Hüst und Hott' und bei rechtschaffene Vorsätz ist's 'Öha!' Mir hättn uns all die Spottredn versparn und a gscheit Lebn führn können, so habn wir alles verpaßt! Wie ruhig könnt mer dasitzn aufm Grab und fragn: 'Wann kimmt die Reih auf uns? Wann werdn wir so ausschaun wie der Boanerbartl dort an der Wand?' Wann wir so glebt hätten wie ander Leut! So habn wir uns nie z' leben traut, und hitzt soll's ans Sterben gehn – wann s' uns mal ausgrabn, wir müssen ganz verdrehte Köpf habn! Im Himmel laßt sich auch nix einholn, der Pfarrer sagt, dort geb's keine Mandln und Weibln, wir habn's für Zeit und Ewigkeit verhaut. O Herrgott, gabst, daß wir nochmal jung wurden, ich wüßt, was ich tät!«

»O du mein Herr und Heiland«, sagt die Gretl, »dös wird halt nimmer sein«, und dabei weint die Alte, daß 'n Hanns, so wie er neben ihr sitzt, auch mit beutelt.

»Du bist doch a gute Seel«, sagt der Hanns, und wie er mit seine zittrigen Händ hinüberlangt, damit er die Alte um die Achsel nehmen und trösten kann, fallt ihm sein Stock aus der Hand ... und ...

»Du Sakra du«, schreit die Waldfrau, »verbrich mir die Sanduhr nit!«

Und er schaut auf, da sitzt er aufm Schemel, neben ihm auf der Erd liegt die Sanduhr, die er hat fallen lassen, und rundum sind die Totenköpf – – er ist in der Hütten der Waldfrau, und alles war nur so ein einwendigs Gsicht.

Die Waldfrau aber is grad mitm Messer um 'n ganzen Brotlaib herumkommen – nit länger hat 's Ganze dauert, als sie ihr Stückel Brot gschnitten hat. – Jetzt nimmt sie's in die eine Hand, beißt ein rechtschaffen Stück ab und hält die andere Hand offen hin. Der Hanns sucht mit zitterndem Finger aus all seine Säck seine Kreuzer zusamm, nit ein hat er bhalten, alle hat er der klugen Frau geben. Ganz aufrecht is er dagstanden, als ob er das Dach von der Hütten traget und wär ihm nur a Spaß!

Die Augen habn ihm geleucht, und die Zähn hat er übereinander gebissen.

Und die Waldfrau hat 's Maul voll ghabt und 'kaut und geschluckt.

Keins hat ein Wörtl gredt.

Der Hanns ist fortgangen, und die Waldfrau hat hinter ihm zugriegelt. Dann is es lang still blieben draußen in der klaren Nacht, bis einer beim letzten Baum, wo die Waldnasen aufhört, ein Juchezer tan hat, daß die Blatteln aufm Baum und 's Gesträuch aufm Boden zitternd wordn sein, und drüben hat er einen schlafenden Berg aufgweckt, daß der auch mit einm Schrei munter wordn is.

Dann ist der eine auf das Dorf zutrabt, wo die Gretl haust; – an der Straßen sind die Wegschranken hingelaufen, da hat er sich angstemmt und einen Balken ausghobn und über die Achsel geschultert, wie die Riesen mit die Wiesbäum getan haben sollen, er ist sich wohl so vorkommen, als wär er heut so ein halbgewachsener Riesenkerl, und wie er zur Gretl ihrm Fenster kommt, tupft er ganz säuberlich mit seinm Wiesbaum an die Scheiben an.

Das Glas war gleich gescheiter und hat nachgegeben, und ein handgroßes Stück is ausgebrochen und im Mondlicht wie eine Sternschneuze ins Gras heruntergeschossen.

Und oben hat die Gretl gschrien.

Und unten hat der Hanns gelacht.

Und wie sich die Gretl erholt hat von ihrem Schrecken, fragt sie, was die weise Frau gesagt hat.

»Gsagt hat sie nix«, sagt der Hanns, »aber geheirat wird!«

»Und geheirat is wordn, und aus is die Gschicht«, sagte der Steinklopferhanns, klopfte sein Pfeifchen aus und machte Anstalt, wieder nach der Straße hinabzusteigen. »Bhüt euch Gott«, sagt er und geht ein paar Schritt, dann bleibt er stehen. »Ist doch schad, daß es heuttags kein Waldfrau mehr gibt!«

Mittlerweile hatte auch auf den Feldern die Arbeit wieder begonnen, und die »ewigen Liebsleut« beeilten sich, auf ihren Arbeitsplatz zu kommen.

Der Bursch spuckte in die Fäuste, und nachdem er den ersten Sensenschwung getan, sagte er über die Achsel hinüber nach der Dirn, die in seiner Nähe arbeitete: »Ich geh doch probweis!«

Die beiden sprachen nicht ein Wort weiter, aber die Arbeit ging ihnen so flink von der Hand; hätte sie die alte Base sehen können, sie hätte ihre helle Freude über diese Probleute haben müssen.

Nun, die hatte sie auch bald.

»Und geheirat is wordn, und aus is die Gschicht.«

Abend war's geworden. Der Steinklopferhanns tat den letzten Schlag, warf die schweren Hämmer über die Achsel und machte sich auf den Heimweg; durch das Dorf ging er nicht, aber an den letzten Häusern, die an der Straße lagen, mußte er vorüber. Die letzte Hütte sah gar armselig aus, und wenn ihr Inwohner, der »Gruß-Franzl«, wie jetzt nach Feierabend, vor derselben auf der hölzernen Bank saß, so sah dies wie ein gerechtfertigtes Mißtrauen gegen das Gemäuer aus, das, statt Schutz zu verheißen, im Gegenteile durch seine Dachlücken mit aller Ungunst des Wetters im Bunde zu stehen schien und mit seinen Sprüngen, Rissen und Senkungen sich so bedrohlich ausnahm, als wollte es seinem Eigner die wenigen Atemzüge in der freien Luft noch gestatten, um dann nachts über ihm zusammenzustürzen. Ob er das wohl recht übelgenommen hätte?!

Er sah selbst verfallen und vom Wetter und Schicksal hart mitgenommen aus. Er hieß der »Gruß-Franzl«, weil er im Gebrauche hatte, jedermann, der die Straße vorüberzog, er mochte ihrn bekannt sein oder nicht, demütig mit abgenommener Mütze zu grüßen; das sollen nun oft Fremde mißverstanden haben, und sie ließen ein oder die andere landesübliche Münze in die vorgehaltene Mütze gleiten; die Leute im Dorf sagen es dem »Gruß-Franzl« nach, daß er sich nie die Mühe nahm, dieses Mißverständnis aufzuklären, sondern die kleine Gabe lieber in seine Tasche schob. Neidische Leute! Er hatte recht, er war ein höflicher Mensch und wollte den mitleidigen Seelen die Verlegenheit ersparen, einen ehrlichen Arbeiter, der seine artige Angewohnheit hatte, für einen Bettler angesehen zu haben. Wie leicht hätten dann diese braven Leute auch bei wirklichen Bettlern nur dankend an den Hut greifen können, um nicht einen gleichen Verstoß wie bei ihm zu begehen?! Darum ließ er jegliche Aufklärung unterwege. Ja, die leidige Aufklärung, sie war hier so beschämend für den Fürsten wie abträglich für den Bettler!

Er ließ großmütig die Welt in ihrem Irrtume.

Er war allerdings ein ehrlicher Arbeiter, er hatte nichts als seine Hütte, die Felder ringsherum gehörten anderen, und wollte er von denselben etwas genießen, so mußte er dieses fremde Eigentum bearbeiten helfen. Ah, das trug spottwenig ein, und es nahm den Menschen recht mit, an Kraft und auch an Mut.

Und so, mit der Zeit recht zaghaft geworden, auf sich selbst gar wenig mehr bauend, hatte sich der »Gruß-Franzl« angewöhnt, alle Welt zu grüßen; die um ihn lebten und die er kannte, damit sie ihm freundlich bleiben und ihm nichts in den Weg legen möchten, und die Fremden, weil er die Leute gar sehr bewunderte, die so in Geschäften oder zu ihrer Lust in aller Welt herumkamen! Wie achtbar war ihm der Krämer mit der Kraxe auf dem Rücken, dem flinken Fuß- und dem noch flinkern Maulwerk! Der Mann mußte Courage haben, daß er sich's getraute, so auf sich allein gestellt in der Welt hinzuleben. Dem Lustreisenden, der rüstig den heitern Bergen zuschritt, blickte er immer kopfschüttelnd nach; wie gut mußte es so einem gehen, daß er in hellem Übermut nach den Höhen kletterte, wo der »Gruß-Franzl« doch froh war, wenn ihn diese »Beschwer« nicht oft im Jahr traf. Ja freilich, als Bub hat es ihm oben gleichwohl gefallen, aber das ist lang her, seitdem ist so viel anders geworden, und da droben ist's immer gleich geblieben, was war daran zu sehen?

Auch der Bettler auf der Straße war ein rechter Mann; den Leuten mit dem Maul die Groschen aus der Tasche langen ist keine kleine Kunst. Freilich, am Jahrmarkt, in der Tierhütte, da hat er einmal ein Untier mit langem Rüssel gesehen, das machte auch das Kunststück, was aber der Groschen wert war, den es damals einem reichen Bauer aus der Tasche zog, das wußte es wohl nicht.

Ja, ja, alle Leute, wie sie die Straße vor ihm vorbeiliefen, waren ihm höheren Ranges, darum grüßte er sie, und wenn sich ja einer dazu verstieg, ihm ein Almosen zu reichen, so fand er, daß die Menschen doch nicht so schlecht seien, als die Welt sie ausschreie, und er habe es ja gewußt, die so in der Welt herumlaufen können, die hätten leicht schenken, der Hausgesessene sei der eigentliche Arme!

Wie alle Welt, so bekam auch der Steinklopferhanns, der jetzt, wie jeden Abend, an der Hütte vorbeiging, seinen Gruß. Das war auch einer von den Couragierten, die sich allein für sich zu leben getrauten, ohne nach den anderen Leuten zu fragen.

»Guten Abend, Steinklopferhanns.«

»Guten Abend, Franzl, ruck zu auf dein Bankl und laß mich hersetzen, hab heut rechtschaffen gehammert, hab mich vielleicht bissel übernommen; wenn die Steiner gar so hart von'and gehn, da klopf ich wie wütig drauflos! Ein kleins wenig mag ich schon gern rasten.«

»Na, fürs Sitzendürfen könntst schon was derzähln. Weißt nix?«

»Was fragst denn? Ich sollt nix zum verzähln wissen? Ich? Na, könnt keiner mehr was verzähln, wenn ich net. Ich kauf 'n Schullehrer aus mitsamt seine Bücher. Er meint gleichwohl, 's wär alles wahr und verbrieft, was drin stund, aber mein Seel, mein letzts Stäuberl Tabak, wie ich's jetzt in die Pfeif stopf, setz ich dagegn, daß seine Gschichten nit a Haar besser sein als die mein, a bisserl was Austipfelts, a Brocken Lug und a Bröserl Wahrheit, und fertig is die Verzählung. Soll freilich, sagt der Schulmeister, alles vorzeit passiert sein; na, wer hat's denn gsehn, wie's da zugangen is? Von uns keiner. Und dö von damal habn auch keiner mehr gsagt, als s' gwußt habn; is wohl auch viel Ausdenkts dabei, wie's hätt sein können, wenn man grad nit gwußt hat, wie's gwesen is. Der Müllner im Ort hat auch sein Jüngsten, 'n Jakoberl, gfragt, wie er 's erst Mal in der Kirch war, was er gsehn hat. Sagt der: 'Ein Menge steinerne und aufgmalne Leut, vor dö man sich nix z' reden traut hat, und dann hab ich gsehn, was wir ganz klein in der Kammer habn, großmächtig, ich hab's gleich derkennt, weißt, wie die zwei Leut vom Baden kommen, und 's Vieh hat ihnen derweil die Äpfel vom Baum gfressen.' Haha, 's war aber Adam und Eva im Paradeis! – Und der Bub hat's gsagt, wie's ihm expliziert wordn is, für 'n Adam und d' Eva war er 'n Eltern noch z' jung. – No, was soll ich dir denn derzähln?«

»Weißt, Hanns, was Trostreichs, wo gut drauf z' schlafen is.«

»So? So werd ich dir halt derzähln, wie's mir am Jüngsten Tag gangen is.«

»No, is doch nit schon der Jüngste Tag vorbei gwest?«

»Dös nit, aber traumt hat mer davon. Los nur zu. Hab's noch keinm verzählt.«

2. Die Gschicht vom Jüngsten Tag

Da sein wir so alle nacheinander herglegn, wir Toten, drunter und drüber, einschichtig, paarweis, z' dritt und z' viert, und wie sich's halt troffen hat – ich weiß nit, warn's 3000 Jahr, 2000 Jahr, sechs Wochen, oder was für a Zeit war, nach meinm Versterben, die allerältesten wie die jüngsten Toten führn kein Kalender. Auf einmal is mir, als wurd blasen – aber schon wie! Du weißt noch, wie die böhmischen Musikanten bei uns warn im Ort und sein ins Gmeinwirtshaus in die klein Gaststubn kämma, wie da, sooft der kleine Dicke mit der großen Blechblasen anghobn hat, die Wänd zum zittern angfangt habn, just a so war's, tief bis in die Erd hnein hat sich alls beutelt.

Na, du weißt, unsereins schindt sich gehörig, und man hat sein gsunds Stückl Schlaf. Na so denk ich mir, is dös dumm, is gwiß wieder so a Malefizball beim Wirten im Dorf unten, daß man kein Ruh hat – und will mir die Augn reibn – heilige Mutter Anna, war das a Schrocken, wie ich mir mit die dürren Beiner in die leeren Augen einifahr – und am ganzen Leib zum scheppern anfang!! – Jessas, denk ich, du bist ja vorlängst verstorbn – und hitzt dürft etwa gar schon der Jüngste Tag sein. Wann ich nur gschwind mein Hosen zum Hneinschliefen bei der Hand hätt –! So kannst doch nit unter die Leut gehn!

Ich tapp hrum, greif aber nur dort und da ein Knopf von der Hosen, in derer sie mich vorzeit beigsetzt habn, und wo ich an mich ankomm, gspür ich's deutlich, ich muß ausschaun wie der angmalne Tod an der Kirchhofmauer. Brauchst gar kein Gwandstuck, denk ich mir, hast ja eh nix Unanständigs an dir, wann dich aber nur nit der Spodiumbrenner aus der Kreisstadt derglengt, da gang's dir übel!

Ich überleg's noch, sollst hnaus oder nit? Aber es is so a Hundsmüdigkeit über mich kämma, daß ich zum tunken angfangt hab. Und wie ich mich so ausstreck, gspür ich noch, daß sich an die Beiner was ansetzt, nit anderst wie der Feuerschwamm an die Bäum.

Dann schlaf ich wieder.

Wie ich munter werd, scheint die Sonn in mein Truhen, rundum is die Erd aufgwühlt als wie von einer Million Mäus und Maulwürf; ich schau mich an, o fix hnein, da is derweil der Feuerschwamm rundum sauber nachgwachsen, ich bin a mordsauberer Bursch wordn, ich heb mich, ich guck hrum – alle Gruben sein leer! Jesses Maria, hab ich dir 'n Jüngsten Tag verschlafen ghabt.

Ich war dir ganz verzagt.

Schau in mein Grubn, sieh noch die schweren Hämmer, nimm s' auf die Achsel, denk mir, gilt's oder gilt's net, schaust halt, wo du zum ewigen Leben dein Brot hernimmst; wann sie's himmlische Jerusalem bauen, werden s' wohl auch a Straßen hinführen, müßt's doch im Himmel mitm Teufel zugehn, wann's da keine Steiner zum klopfen gab!

Wie ich noch so spintisier, kommen zwei Engerln dahergflogn, fledern um mich herum. Dös war so sauber, daß ich mein guten Hamur wieder krieg und sag: »Na, ös himmlisch's Geziefer, was pfnurrts mir denn um 'n Kopf? Was wollts ös?«

Sagn s': »Hanns, du sollst zum Gottvatern kommen.«

Sag ich: »Ehnder muß ich mich doch a weng waschen und anziehn.«

Sagn s': »Dös gibt's net unter die Selign.«

Sag ich: »Dös is unscheniert: aber ös werds uns doch nit 's ewige Leben neiden, wann mir im Schmutz dersticken, was nutzt uns die ganze Seligkeit?!«

Sagn s', ich soll keine Umständ machen und mitkommen.

Einer packt meine Hammer und tragt mir s' nach, und der andere führt mich, und wir kommen zum Gottvatern.

Und wie er uns sieht, hebt der Gottvater die Hand mit den drei ausgstreckten Fingern in d' Höh, wie im Bild am Hochaltar, und sagt: »Grüß dich Gott, Hanns!«

Sag ich: »Grüß dich Gott, Gottvater!«

»No«, sagt er, »wie gfallt dir denn die aufgwärmte Welt?«

Sag ich drauf: »Lieber Gottvater, du mußt's für kein vorlaute Red nehmen, aber ich kenn mich halt eben da noch nit aus. Die frühere Welt war auch kein schlechts Stückl Arbeit – Gott bewahr –, a jeds hat was drein gfunden, was ihm gfallen hat, und die meisten habn gmeint, die Dirndl wärn dir so viel gut graten. Aber a bissel Zeit hättst dir schon lassen können – was richt eins in sechs Tägen? Es war ja kein gfriemte Sach, dö aufn Tag hätt fertig sein müssen! Ich hab mich auch nit recht mit allem abfinden können – und so tat ich dich rechtschaffen bitten, wann mir's etwa da auch wieder nit anstehn sollt, tu mir den Gfalln und mach, daß ich auch im ewigen Lebn wieder versterbn kann.«

»Räsonierhannsl«, sagt der Gottvater und lacht, »tu, wie's d' willst. Ich hab's aber gleich gestern gmerkt, wie ich enk Glump aufgweckt hab, ös seids nit anderst wordn, wie 's gwesen seids; seids noch alleweil nit gscheit!«

»Mein Gott«, sag ich, »hättst uns gscheiter gmacht!«

Sagt er: »Ja, glaubst, ich hab mein Allmacht gstohln, wollts ös gar nix dazu tun? In d' tausend und tausend Jahr schau ich enk schon zu, und seids noch alleweil so dumm! Wöllts ös nit leicht a ganz andere Welt und ein ganz andern Herrgottn? Tauget grad zu euch! – He, liegt da unten nit auch noch der Gruß-Franzl und schnarcht in Jüngsten Tag hnein? Na, dem is da auch 's Grüßen verspart!«

»Lieber Gottvater«, sag ich, »dös legt der nit ab.«

»Herobn tragn wir keine Haubn«, sagt er.

»Da nimmt der ehender 'n Kopf abe, als er's sein laßt! Ich kenn ihn«, sag ich.

»Na, so sagt es der heiligen Veronika, sie soll ihm was zurichten für sein Kopf«, lacht der Gottvater. »Na, was sag ich denn, muß der nit sein Mützen habn, daß er im ewigen Lebn fortgrüßen kann, und dir muß ich wohl auch dein Pfeifen derlaubn, daß d' doch meinst, du bist es!? Was half euch die gscheiteste Welt? Jetzt mach, daß d' hnunterkommst zum Gruß-Franzl, und sag ihm, ich nehm enk nix in Übel auf, die andern, die sich's da unten meist habn wohl sein lassen, die habn freilich a leicht Auferstehn ghabt, die warn ausgschlafen, ös habts aber auf Erden schwer gearbeit! Also sag ihm, es macht nix, wann er 'n Jüngsten Tag verschlaft, und im ewign Lebn soll er auch sein himmlische Mützen habn!«

»Da wär ich recht froh«, sagte der Gruß-Franzl, »wann der Traum so ausging!«

»Warum sollt er nit? Gute Nacht!«

Der Steinklopferhanns ging seiner Wege.

Waren sie heute neugierig gewesen im Ort! »Horch, was ist das?« und »Horch, was mag's sein?« hieß es schon frühmorgens, denn überm Berg drüben hat es so gepfustert und gerädelt, als ob eine Eisenbahn wär – so sagten nämlich einige, die schon eine solche probiert hatten.

Der Ort lag im Tal, und hinter den Bergen fing ein hübsch groß Stück Flachland an, dort war es, wo es heut nicht recht geheuer schien, aber wie groß auch die Neugier sein mochte, es ging eben ans »Schneiden«, und da hatte keines Zeit für einen halbstündigen Aufstieg oder gar um den Berg herum anderthalb Stund nach der Ausmünd zu rennen und in die Ebene zu gaffen.

Um Mittag zur Rastzeit erst kamen ein paar zurück, die eher ihrer Neugier ein Opfer bringen konnten, da sie gar nichts zu schaffen wußten. Die alten Ausnehmer, der Lepold und sein Weib, waren schon frühmorgens die Straße dahingehumpelt, wobei sie den Weg mit ihren Stöcken schlugen – wahrscheinlich, weil es ihnen nicht nach Wunsch vorwärtsging –, der aber kehrte sich gar nicht daran, blieb ruhig liegen, so lang er war, tat wohl gar boshafterweis manchmal unversehens ein Loch vor den alten Leuten auf, in das sie sodann mit kindischem »Hopperla« regelmäßig hineinstolperten.

Und als die beiden endlich doch, abgehetzt und hundemüde, das Talende erreichten und vor sich in die weite Fläche hineinlugten, da kannten sie sich noch weniger aus. Denn dort und da stieg über den Feldern kohlrabenpechschwarzer Rauch auf, es gab aber gar keinen Feuerlärm von all den Kirchtürmen ringsum in der Weite, und dazu pfusterte und rädelte es fort und fort. Eisenbahn war über Nacht keine ins Land gekommen – nein, nein, das geht nicht so schnell, das hatte ihnen einer gesagt, der selbst an einer solchen mitgegraben und geschaufelt hatte. »Nun, und was ist's denn?« und »Was war's denn nachher?« fragten die Leute, nachdem sie den verwirrten Bericht gehört hatten.

Da waren ihrer zwei am Ort, die sich heute schon oftmal mit einem überlegenen Blinzeln angesehen hatten, und das war der reichste Bauerssohn und das ärmste Dorfkind. Der eine so reich und der andere so arm, daß ihnen das an ihre Rufnamen angehängt wurde, und so hieß der eine »der reiche Lois« und der andere »der arme Melcher«. Und sonderbar, der arme Melcher wußte es so gut wie der reiche Lois, was da überm Berg vorging, und wenn er's aus Bescheidenheit oder Demütigkeit vor den andern nicht aussagte, so war doch der reiche Lois, so gern er sich auch sonst überheben mochte, diesmal auf die Bekräftigung seiner Worte durch den armen Melcher angewiesen.

Als es vorm Jahr hieß, »in Wien hätten sie alles, was in allen vier Enden der Welt gearbeit, gehandelt und gebaut würde, unter ein großes Dach gebracht, und da könnt jeder hineingehn und sich's anschaun«, da litt es weder den reichen Lois noch den armen Melcher mehr daheim, der eine ließ sich von seinem »Alten« das Reisegeld und einen schönen Zehrpfennig geben, der andere hat sich bis Wien durchgebettelt und dort Verwandte – der Himmel weiß wohl, wievielten Grades! – aufzufinden gewußt; ob es denen zur großen Freude geschah, tut nichts zur Sache, eine Woche herbergten sie ihn doch.

»Was wird's sein?« sagte der reiche Lois und streckte sich, so hoch er war, und sah stolz um sich. »Was wird's sein? Der Ökonomiker, der Herr Graf entern Berg, schneidt mit Dampf – nit wahr, Melcher?«

Melcher nickte bekräftigend so leichthin mit dem Kopfe, als wäre das »Schneiden mit Dampf« der geringsten Kleinigkeiten eine, die er zu bestätigen wüßte, lohn sich kaum der Müh und wüßte »ihrer einer« noch gar andere Sachen.

»So, so«, sagten die, die ins Tagwerken gingen. »So, so«, und schüttelten die Köpfe. »Kämen s' richtig schon mit den Malefizmaschinen angerückt?«

Sie zweifelten gar nicht an dem, was der reiche Lois aussagte, sie hatten schon lange gefürchtet, davon hören zu müssen, und nicht nur, was der Mensch hofft, auch was er fürchtet, glaubt er leicht! »Schneiden mit Dampf?« sagten die andern, denen die Sache nicht so naheging, und schüttelten zweifelnd die Köpfe.

Das war dem reichen Lois an die Ehr gegriffen. »Ihr Fexen, seid ihr dabeigewesen wie unsereins, daß ihr so redt? Schneiden mit Dampf? – Warum nit? Man pflügt, man säet, man schneidt, man drischt mit Dampf! Meint man doch nit, man könnt seinen eigenen Augen trauen, wenn man's mit ansieht, was man alles betreibt mit Dampf! Spinnt und webt man nicht, wäscht und mahlt man nicht, und weiß was sonst noch, alles per Dampf? Gelt, Melcher?«

Melcher nickte wieder bekräftigend und sagte aus: man pflüge, säe, schneide, dresche, spinne, webe, wasche und mahle, und weiß was sonst noch, alles per Dampf.

»Schaut man so eine Maschin«, fuhr der reiche Lois fort, »glaubt man erst, das sei ein wahrer Höllspuk, aber sieht man näher zu, kriegt die Sach Händ und Füß und Kopf obendrein. Seht, obenaus geht der Rauch von der Feuerung in die Höh« – Lois zeigt dabei nach seinem Hut, um den Leuten den Schlot der Maschine zu versinnlichen –, »und hintenaus entweicht der Dampf.« – Alle drängten sich herzu, um die Erklärung recht würdigen zu können, und betrachteten sich die bedenkliche Stelle, wo nach der Versicherung des Sachverständigen »der Dampf entweiche«, und ihre Zweifel wurden wankend.

Als aber gar der Lois ihnen zeigte, wie zur Seite rechts und links an langen Stangen die Sensen ins Korn hineinfahren und, während die Maschine langsam vorwärts sich bewege, herumfuselten, solange noch ein Halm auf dem Acker stünde, und als er bedauerte, ihnen das nur mit seinen zwei alleinigen Armen vormachen zu können, da der Sensen rundum wohl an fünfzig oder hundert, wenn nicht gar mehr wären, und als sich in dieser Not der Melcher ihm anschloß und beide gar belehrend, mit den Armen fuchtelnd, über das Feld hinschritten, da zweifelte keiner mehr, die Mähmaschine stand leibhaftig als unantastbare Tatsache vor ihnen. Ganz unbestritten wie der Telegraph und ebenso einleuchtend wie der, so was Alltägliches, daß eigentlich keiner zu sagen wußte, warum ihm das nicht schon längst selbst eingefallen sei, obwohl keiner seinem Buben widersprach, wenn der gelegentlich die Meinung an den Tag legte, daß an den langen Drähten gezogen würde und die Depeschen demnach aus lauter kleinen »Ruckerln« bestünden, die der Beamte am Arm oder Fuß, wo der Draht eben befestigt sei, verspüre.

War das Bescheidenheit, um vor den eigenen Kindern nicht mit dem Besserwissen zu prunken? Ach, die meisten Leute lassen sich noch heuttags die ungereimtesten Wunder, die niemand und nirgends erlebt, als glaubwürdig einreden, und an denen, inmitten deren wir leben, gehen sie gleichgültig vorüber; da seht zu, denn das sind lauter begreifliche Wunder, und da ziehet fromm den Hut, denn das hat der Menschengeist erdacht und errungen, und das ist Geist von eurem Geiste, und der heitere Stolz, der euch beschleicht, wenn ihr still vor euch hinsagt: »Das hat der Mensch erdacht!« – das ist der Gruß Gottes an die strebende, ringende Menschheit!

Mittlerweile aber ging es gar sonderbar auf dem Felde zu, wo der reiche Lois und der arme Melcher den Leuten die Mähmaschine vormachten, denn nicht lange währte es, so fühlte jeder große Lust, zu zeigen, daß an ihm die Belehrung nicht nutzlos aufgewendet worden wäre und daß er das Ding jetzt schon »weg« habe, und so schloß sich erst einer, dann der andere dem voranschreitenden Lois an, und bald schritten alle Mannleute in einer langen Kette hinter dem Führer daher und fuchtelten also anschaulich mit den Armen, und da waren jetzt wirklich rundum wohl an fünfzig oder hundert, wenn nicht gar mehr, Sensen in Arbeit, und so mähten sie über das leere Feld, daß es eine Freude war.

Ja, wenn einer was Neues lernt, so ohne Müh, das gibt viel Lust und Freud, und geht nichts über einen wackeren Lehrmeister, etwa wie der reiche Lois einer war.

Abseits standen die Weibsleute und wußten nicht, sollten sie lachen oder erschreckt tun, denn die Männer arbeiteten sich ganz rechtschaffen ab, freilich ohne Nutz, und taktweis war's immer ein Streich, wenn ihre Arme durch die Luft fuhren, und keiner zeigte eine Falte im Gesicht – der Augenblick war zu ernst.

Himmel, wie erschraken sie, und wie fuhr die Kette auseinander, als plötzlich ein greller Pfiff ertönte, als sollte es der Maschine an gar nichts fehlen. Da war mit einmal die ganze Maschine hübsch in alle Teile zerlegt. – Die Weiber lachten wie toll, und der letzte, der sich unbemerkt dem Zuge angeschlossen, der fuchtelte noch fort und fort mit den Armen, schnaubte und stieß dann wieder jenen erschrecklichen Pfiff aus.

Jetzt aber lachten alle und riefen: »Der Steinklopferhanns!«

Der war es auch, er ließ jetzt die Arme sinken, stellte die Arbeit ein und sagte: »Grüß enk Gott! Ich hab schon gmeint, ös seids alle miteinander narrisch wordn.«

»Ah na«, sagte einer, »was d' gsehn hast, dös war nur die Mähmaschin von drüben, vom Herrn Grafen, wie s' uns der reiche Lois erklärt hat.«

Man sieht, Undank ist der Welt Lohn; daß der arme Melcher sie mit aufgeklärt hatte, daran dachte keiner mehr.

»Ah«, sagte der Steinklopferhanns, »dös war also die Mähmaschin!? Na, is a a schöns Gspiel!«

»Ich find nix Lustigs an so einer Maschin«, sagte ein Tagwerker, »dös bringt uns noch um unser Brot; was verbleibt uns hernacher? Dem feurigen Untier nachrennen und die Garben binden. Selb werden s' a bissel Müh nennen gegen früher und a nur a bissel Lohn zahln wolln dafür.«

»Freilich wohl«, sagte der Lehner-Ferdl, das war auch einer vom Tagwerk und nebenbei im ganzen Ort als verwegener Bursch bekannt, war keine Rauferei oder kein Unfug ohne ihn. »Freilich wohl«, sagte der, »so kommt's und anderscht nit. Ich wüßt, was man tun sollt, aber ös seids lauter Letfeign, und eins allein richt da nix. Hinüber sollt man, mit des Grafen Tagwerkern sollt man reden, mit ihnen übereins werden und die höllischen Maschinen herausholen ausm Stadel und zurichten, daß s' kein Teufel mehr auf gleich bringt.«

»Und d' Schandarmerie?« warf einer bedenklich ein.

»Ho«, sagt der Lehner-Ferdl, »wegen der besinn ich mich nit lang, bis die kommt, ist die Tenne rein, dö Arbeit vorbei; folgts mir, dö solln die wenigsten von uns erwischen. Mir wolln keine Maschinen, hitzt is's Zeit, daß man ein Weiser gibt, eh's zu spat wird und zviel schon in der Gegend sein, als daß man s' auf ein Streich abtun könnt. Nit wir Taglöhner allein, a Bauersleut vom alten Schlag mögen die Maschinwirtschaft net. Arbeit so ein Großer billiger, so druckt er alle Klein mitn Preis.« »Wohl, wohl«, sagten mehrere, die kleine Wirtschaften hatten.

»Wer weiß, was uns so a Maschinzeit alles noch brächt? Hat's doch der reiche Lois selber gsagt, man traut sein eignen Augen kaum, was man hitzt alles mit Dampf betreibt.«

»Was frag ich darnach«, sagt der Steinklopferhanns, »eins können s' doch nicht mit der Maschin!«

»Was?« fragte der Lehner-Ferdl.

»Leut in d' Welt setzen«, sagte der Steinklopfer.

»Du bist allweil der unzeitig Spaßmacher«, schrie der Lehner-Ferdl. »Allmal! Mit dir können s' auch noch fertig werden, die Steiner werdn s' doch mit Dampf verschlagen können?«

»Täten's vielleicht eh schon lang«, lachte der Steinklopfer, »wann sich nur die Kohlen dafür auszahleten. D' Maschin kann doch nit, wie ich, nebenher betteln oder ins 'Basteln' und Aushelfen gehn?!«

»No spaß du, no spaß du«, ärgerte sich der Aufhetzer.

»Besser ein lustiger Spaß als ein trauriger Ernst«, sagte der Hanns, »wie einer is, in den du die Leut hineinhetzen möchst! Dir wär doch nur zu tun um den Wirrwarr und um das Gaudium, wenn alles drunter und drüber ging, soweit kenn ich dich, und wenn du sagst, die Schandarm sollten die wenigsten fangen, so mein ich selber, daß sie nur die gringsten erwischen möchten, du wärst schon lang übers Eck. Und was wär leicht damit gericht? Kämen die Maschinen deßtwegen nicht ins Land? A wohl, wer s' braucht, der ruft s', und da sind s'. Halt einer ein Eisenbahnzug auf! Der bringt s' hergeführt, und wollt s' unsereiner habn, so a Maschin, möcht's keinm gfallen, wenn man ihm's möcht in Übel aufnehmen, daß er sein Geld drein legt. Aber Blitz hnein, was red ich euch, mir liegt kein Maschin net auf, und euch tut sie's auch nit. Ös Lalli, verstunds was davon, so wüßts, selb kann 'm Grafen drenten von Nutz sein, aber da für kein Bauer gibt's a Maschin, die überm krumpen Erdboden, über die Lehnen und Anstieg hinauf und hinunter was ausricht. Kind und Kindskinder verlebn wohl noch euer Tagwerkerlebn, für dös ös enk so wehrts, eh dös anderschter wird. Aber nachater kimmt a Zeit, wo noch kein Mensch a Idee hat davon als wie ich, der Steinklopferhanns, denn mir is's die vergangene Walpurgisnacht aufgangen wie dös Buch mit die sieben Siegeln; no, ös wißts, ich bin a Neusonntagskind, für unsereins hat's kein Geheimnis in die Rauhnächten, 's ganze Jahr über und darnach a noch net.«

Einige stießen sich leise mit den Ellbögen an und lachten einander zu, andere aber, die noch abergläubig waren, blickten beinahe ehrfürchtig auf den Steinklopferhanns hin, da er versicherte, daß es für ihn kein Geheimnis habe, »'s ganze Jahr über und darnach a noch nit«. Da aber der Hanns während dieser Zeit des ehrfürchtigen Schweigens das Maul zutat, als ob er's nimmer aufmachen wollte, so fiel diesen gläubigen Seelen ein Stein vom Herzen, als ein vorlauter Bursche aus der Zahl derer, die meinten, der Hanns sollte eigentlich Prahlhanns heißen, mit der Frage losbrach: »No, und was war denn zu Walpurga?«

»Bist recht vorlaut für dein Alter«, sagte der Steinklopfer. »Was geht's dich an? I mag's seit der Zeit nit leiden, daß man über d' Maschin schimpft.«

»Verzähl doch, Steinklopfer, verzähl«, rief es jetzt von allen Seiten.

»Dös hab i mir eh denkt«, sagte der Angerufene, »daß ös mir wieder eine von meinen wahrhaften Gschichten rausbrateln wöllts, um hinterdrein z' sagn, es wär alles derlogn und austipfelt. Gleichwohl liegt mir nix dran. Losts zu.«

3. Die Gschicht von der Maschin

Vergangene Walpurgisnacht war's – natürlich erst wie der Tag vorbei war, tagüber ist's aber laut hergangen, einm Fabriksherrn in der Gegend sein seine Arbeiter zwider wordn, er hat sich an ihrer Stell Maschinen angschafft, die Lärmmacher fortgschickt und dö braven Leut zu dö Maschinen gstellt. Dös war am Vormittag. Nachmittag aber sein die Abdankten alle von dö Wirtshäuser, wo sie sich »Trost im Leiden« gholt haben, auszogen, der Fabrik zu; hinter ihnen her und mit ihnen Tagdieb, Hausierer, Tagwerker, kurz allerhand Gsindel – ich war a dabei.

Wie wir zu der Fabrik kommen sein, sein wir ganz keck hineingegangen, dö braven Leut, die noch drin in Arbeit waren, haben uns zwar dös verwehrn wollen, aber wie s' gsehn habn, daß wir die mehrern sein, und wie s' zum Verkosten a noch a paar Puffer kriegt habn, da sein s' auf das, was nachkommt, nimmer neugierig gwest, sondern sein gutwillig davongrennt; der Herr und sein Buchhalter sein derweil vors Haus grennt und haben bald dort, bald da ein Träuperl Leut mit schöne Reden beschwichtigt. Derweil dö draußen zu dö Ungfährlichen schön gredt haben, hat's drin im Haus zum krachen und poltern angfangt – dös waren mir, von drinnat, wie wir uns über die Maschinen hergmacht haben. I bin so a Weil dabeigstanden, hab zugschaut, und wie's grad wieder über so ein Ding geht, da reißt's mich – tust a mit! –, und i heb da so a Trumm Eisen auf, hol aus und hau zu, dös Ding macht no ein Keuchezer, und hin war's!

Daß ich sag, dös war so ein schöner Durcheinander etwa noch a Viertelstund, dann heißt's auf einmal: Aushalten und verschwinden, von der Kreisstadt kommt a ganz's Bataillon Jäger. O du schmerzhafter Sebastian! Kaum sagt das einer zum andern, so hörn wir s' a schon blasen. No, jetzt ist der Wirrwarr angangen, 's Treten und Drucken, 's Arretieren, Kolbenstöß – ich weiß nur mehr, daß ich mit genauer Not durchgerutscht bin; mit ein Jager, der mich hat aufhaltn wolln, bin ich in 'n Graben hnunterkugelt, und wie mir uns allzwei aufhelfen, kommt ihm die Bajonettscheid, die langmächtig Lederwurst, zwischen die Füß, und eh er sich noch wieder auf gleich zappelt hat, war ich schon lang im Wald.

Und im Wald war's schon nachtig, und wie ich mir grad so denk: Teufi hnein, jetzt hast noch a gut Stuck Weg heim! – fallt mer ein: Heunt is Walpurga! Mir wird da glei nit recht gheuer, no, kein bsunders ruhigs Gwissen hab i grad a net ghabt, was ich in der Fabrik drin tan hab, war ja a grad kein bsunders rechtschaffens Stuck Arbeit, und daß ich zuletzt die Obrigkeit sich nach mir hab abezappeln lassen, war auch nit schön; aber da hat mich doch eins tröst: warum hat a die Obrigkeit so ein langen Überschwung ghabt.

Sollst aufm Fahrweg verbleibn? Gehst die einsamsten Steig? Gehst lieber gar außi ausm Wald auf die mondhelle Wiesen? Was tust, was is gscheiter? So hab ich spintisiert. Und wie ich mich noch so bedenk, komm ich von freien Stücken ausm Wald außer, wißts ja alle den Fleck enter der Rieslermühl, wo rechts und links die Weidplätz in der Höh liegn, und mitt durch führt ein kleiner Hohlweg nach der Straß; von weitem hat man die Mühl ghört, sonst war alles mäuserlstill, dö Bäum sein bocksteif dagstanden, kein Lüftel, aber der Mondschein, ich sag euch's, der war anderschter als sonst, der hat so aufdringlich gleucht, als wußt er über jedes Steindl am Weg was zu sagen, um die Grashalm, wie s' am Hohlwegrand herunterghängt sein, hat er gspielt, und die Schatten haben völlig zittert in sein Glanz, es war frei ein lauts Licht!

Und grad, wie mir dös zum gfalln anfangen will, wird mir auf einmal, ich weiß nit wie; inmitten vom Hohlweg war ich, sonst wär ich glei lieber wieder zruckgrennt. Da kommt's a schon von weitem her, auf mich zu – ein mächtig groß Ding, glänzt, daß einm völlig die Augen weh tun, aus sein Hut is Rauch aufgstiegn, auf der ein Seiten hat's mit ein Arm in ein eisern Stiefel glangt und is dabei allweil hin- und hergfahren, grad wie wenn unsereins in einer Taschen nach Geld sucht und kann keins finden und gebärdt sich wie net gscheit, und auf der andern Seiten hat's ein Radl ghabt, da war ein mächtig langer Schwungriem dran, und wie's so auf mich zurogelt und ich schau so auf den Sappermentsriem, denk ich, jetzt is's letzt End, wenn d' ein so ein Wixer kriegst, tut dir kein Bein mehr weh!

Hitzten steht das Ding auf einmal still, pfnaust Dampf aus und laßt den Schwungriem fallen. Da is mir glei leichter gwest. Und sagt das Ding zu mir: »Kennst du mich?«

Sag ich drauf: »Nein, aber mir wär's lieb, für ein anders Mal, wenn's sein könnt, denn heut is mir nit recht gut, und ich bin zu solche Dummheiten nit aufglegt.«

Drauf sagt dös Ding nit ein Bissen, sundern tut ein Keuchezer und steht still.

Jesses und Josef, da hab ich's derkennt – war dös dö selige Maschin, dö ich heunt in der Fabrik umbracht hab!!

Ös könnts enk denken, wie mir da war, allein, in der Walpurgisnacht mit so einm Spuk. 's Herz hat mir völlig ausm Leib heraus wollen vor Angst.

Sagt die Maschin noch immer so rauh und stoßweis wie vorher: »Fürcht dich nicht. Tu, was ich dir sag, da hinten an mir hängt eine Kandl mit Öl, schmier mich!«

So viel auch meine Händ zittert haben, was mir jeder glauben kann, so hab ich doch die Kandl hruntergnommen und hab halt, so gut ich's troffen hab, das Maschingespenst geschmiert.

Und wie's geschmiert war, hat's auf einmal mit milder Stimm anghebt zum reden: »Hanns«, hat's gsagt, »du warst heut auch einer von dö dummen Simpeln, dö sich nichts Gscheiters z' tun gwußt habn, als anderer Leut Sachen zu ruinieren, und die kein Respekt haben für das, was von braver Arbeit und rechtschaffenem Studieren in mir liegt! Aber dös verstehts ös net, und da muß man stillhalten und sich zerschlagen lassen. Ös wollts halt nit verstehn, nit begreifn, überhaupt nix lernen, es 'glaubt' sich halt so viel leicht, und es 'weiß' sich halt so viel schwer, und solang 's a so bleibt, geht die ganze Aufklärerei wie a Kindertanz um 'n Maibaum allweil rundum, und ohne daß man enk gscheit machen kann, sagt mer enk nur allweil: 'wie ös dumm seids!'«

Da sag ich drauf: »Vergelt's Gott, aber dazu brauch mer kein Maschin, dös sagn mir uns selber untereinander all Tag. Ah, so gscheit sein mir schon, daß mer dumm sein!« – Denn wie vorhin der Spuk so freundschäftlich und eindringlich gredt hat, hab ich mir a Herz gfaßt ghabt, is mir aber glei wieder abigrutscht, wie 's Maschingspenst anhebt: »Hitzten steig auf mein Rucken, du mußt mit!«

Ich will grad alle Heiligen zu Zeugen anrufen, daß ich seit der Kavallerie kein Roß mehr angschaut hab, daß ich Maschinreiter schon gar keiner bin ...

Aber da stoßt dös Ding fuchtig sein eisern Arm in den Stiefel auf der ein Seiten und draht 's Radl auf der andern, daß der Schwungriem fliegt.

In Gotts Jesus Nam, hab ich mir denkt und bin halt aufgstiegn, und wie ich sitz, geht's a schon furt, daß mer der Atem und die Sinn ausblieben sein, ich könnt enk's drum a nit sagen, wohin mich der Malefizspuk gführt hat.

's war mir aber so, als säß ich aufm höchsten Berg von der Welt, wie er heißt, könnts ja 'n Schulmeister fragn, gnug, daß ich drobn war, in der Walpurgisnacht vergangens Jahr.

Und wie ich so herunterguck auf dö Welt unter meiner, sagt die Maschin: »So ist's jetzt!«

Ich schau, da kommen s' daher in ein langen Zug, Arbeitsleut aller Art, alle verkrüppelt, bresthaft oder vorzeitig alt und ausgemergelt durch 'n strengen Erwerb, durch die ungsunde Hantierung, durch Trübsal um ihre alten Täg – und wie ich so in der Rund schau, seh ich die andern, die noch geschaffen haben, sich hinunterrackern wie die Viecher mit der schweren Arbeit, sich 's Blut vergiften mit Staub und so Farb und andere Patzerein und wieder völlig zsammschrumpfen auf ein Fleck, von dem s' die Sorg ums Brot nit weglaßt, nit a wengerl in die frei Luft, kaum im Jahr amal! Wie ich so das Elend da vor meiner siech, schlag ich die Händ zsamm und sag: »Himmlischer Vater! Du triffst doch allmal die rechte Mischung zwischen Herzload und Herzensfreud, daß 'm Menschen nit z' gut und nit z' übel wird auf der Welt und er 's Leben aushalten kann, denn Übermaß von einm oder 'm andern tut niemal a gut! Wie magst denn a so viel Mühsal auf ein Fleck zsammtragn?!«

Sagt die Maschin: »Strapazier dich nit, möcht der Herr allen Fragern z' Ghör sein, verbrauchert er sein ganze Ewigkeit zum Antworten. Derweil wir da reden, geht die Welt wieder ihr Ruckerl weiter. Schau lieber, wie's einmal sein wird.«

Ich schau wieder. Is die ganze Welt wie verändert gwesen, alles, was man denken und sinnen kann, daß nur möglich ist, es rührt der Mensch nit selber mit seine Händ dran, das haben Maschinen geschaffen, und an den Maschinen sind sie gstanden, die neuchen Leut, unverkrüppelt, unverkrümmt, schön groß, stark, und hat ihnen die Gesundheit und die Gscheitheit aus dö Augen gleucht, ist jeder wie ein König an der Maschin gstanden, die er gmeistert hat bis aufs letzte Radl.

Und über die Welt war ein großer Arbeitstag mit lauter saubre, lustige Arbeitsleut!

Und wie ich das siech, da hab ich mich in die Höh gstreckt und hab gjuchzt: »Juchhe! Hitzt is's Brotkörbl nieder, und das sein meine Leut, dö halten doch ein Puff aus, und so stehn s' mir an!«

Und wie ich so schrei, verschwindt dös ganze Gsicht, d' Maschin packt mich wieder auf und setzt mich nachert ab, no ös kennts ja dös Platzl, enter der Rieslermühl inmitten vom Hohlweg; und wie s' mich da los is, sagt s': »Servus!«

Ich sag: »Bhüt dich Gott und halt halt a fein Wort, Maschin!«

Und fort war s'!

Na also, dös war zu Walpurga vorigs Jahr, und sider der Zeit mag ich kein Maschin schief anschaun, 's tut mir völlig schon um a Lichtschneuzen leid, wann s' a kleiner Bub verbricht. No, wo is denn der Lehner-Ferdl hinkommen, schau, ich hätt grad gmeint, der wurd mich gern Lugen strafen mögen! Bhüt Gott miteinander, hitzt muß ich wieder hnauf nach mein Steinbruch!

Es war ein abscheuliches Verbrechen, das da draußen, eine Stunde Weges vom Orte, in der einsamen Mühle geschah. Der alte Müller, der darauf saß, war vor Jahren verwittibt und hatte eine junge Magd in Dienst genommen, die ihm sehr gefiel; als er nun merkte, sie werde in gutem ihm nicht zu Willen sein, so brauchte er Gewalt. Es hätte ihm übel bekommen können, wäre die Dirne damals in die Gerichte gegangen, aber was getraut sich so ein armes Geschöpf? Sie demütigte sich vor dem Alten, beschwor ihn um Jesu willen, sie nicht in der Schande zu lassen; das war es, was er haben wollte, er machte sie zu seiner Müllerin, die Leute fanden das für ganz ausnehmend brav gehandelt und lobten und rühmten ihn – aber es bekam ihm übler!