»Die Schrift ist unveränderlich …« - Malcolm Pasley - E-Book

»Die Schrift ist unveränderlich …« E-Book

Malcolm Pasley

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In den meisten Essays geht es um Entstehungsfragen, sowohl um die Werkentstehung im weiteren Sinne als auch um die eigentliche Erfindung des Textes bei der Niederschrift, die in Kafkas Fall oft kaum voneinander zu trennen sind (›Der Schreibakt und das Geschriebene‹). Pasley untersucht z.B. die manchmal verblüffende Art, wie Kafka das, was ihn unmittelbar beschäftigt, in seine entstehenden Geschichten einschreibt oder wie er seine Phantasien aus Redefiguren entwickelt, indem er sie beim Wort nimmt. Ohne selbst zu interpretieren, sucht er auf solche Weise Perspektiven zu eröffnen und zu werk- und autorgerechten Deutungen anzuregen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 250

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Malcolm Pasley

»Die Schrift ist unveränderlich …«

Essays zu Kafka

FISCHER Digital

Inhalt

»Die Schrift ist unveränderlich …«Zur Entstehungsgeschichte von Franz Kafkas Schloß-BildAskese und Kannibalismus. Anmerkungen zu einem unpublizierten Kafka-TextZwei literarische Quellen zu Kafkas ›Der Proceß‹12Rilke und Kafka. Zur Frage ihrer BeziehungenKafkas halbprivate Spielereien12Kafka und das Thema der »Berufung«12Der Schreibakt und das Geschriebene. Zur Frage der Entstehung von Kafkas TextenZu Kafkas Interpunktion12Kafkas »Hinausspringen aus der Totschlägerreihe«Kafkas Ruhm. Ein Festvortrag›Der Proceß‹: Wie der Roman entstandAnhangSigellisteBibliographischer NachweisNachbemerkung

»Die Schrift ist unveränderlich …«

Zur Entstehungsgeschichte von Franz Kafkas Schloß-Bild

Ich will den Versuch unternehmen, die Entstehungsgeschichte von Kafkas Schloß-Bild etwas weiter aufzuhellen, den Boden weiter zu festigen für künftige Urteile über dieses große Werk der Prager deutschen Literatur. Es wird sich dabei noch einmal zeigen, daß diese Literatur, obwohl sie in erster Linie an die deutsche Literaturtradition anknüpfte, gleichzeitig tschechische und jüdische Elemente in sich aufgenommen hat. Damit hat ja auch diese Literatur – die eben nicht nur im negativen, sondern auch sehr stark im positiven Sinne »entfremdet« war – Bedeutsames geleistet, um Brücken zu schlagen und über enge nationale Begriffe hinauszuweisen.

Unter »Schloß-Bild« verstehe ich nicht nur die Darstellung der Schloßgebäude, sondern vielmehr das Schloß als Gesamtphänomen, wie es im Roman erscheint und funktioniert. Man kann es etwa so zusammenfassen: Das Schloß stellt sich dem zunächst Einlaß begehrenden K. als zugleich verlockend und abstoßend dar, vor allem als schwer zugänglich; es beherbergt angeblich einen zurückgezogenen, persönlichen Inhaber, welcher durch eine scheinbar völlig unzweckmäßige, zum Teil korrupte bürokratische Administration vertreten und verdeckt wird.

Nun hängt dieses fiktive Schloß nicht nur mit gewissen realen Schlössern zusammen, sondern auch mit anderen fiktiven Schlössern. Mit diesen – mit den literarischen Vorbildern also – möchte ich mich befassen. Aber zunächst ein Wort über die Topographie.

1911 schreibt Kafka in sein Reisetagebuch[1]: »Das Schloß in Friedland. Die vielen Möglichkeiten, es zu sehn: aus der Ebene, von einer Brücke aus, aus dem Park, zwischen entlaubten Bäumen […]. Das überraschend übereinander gebaute Schloß, das sich wenn man in den Hof tritt lange nicht ordnet da der dunkle Epheu, die grauschwarze Mauer, der weiße Schnee, […] die Mannigfaltigkeit vergrößert. […] Ich gieng unter fortwährendem Rutschen einen Fahrweg hinauf, während der Kastellan […] über zwei Treppen leicht hinaufkam. […] Eine Treppe an der Mauer hört in halber Höhe nutzlos auf.« Also ein Schloß im Schnee; wechselnde Perspektiven; ein uneinheitlicher Eindruck; scheinbar unzweckmäßige Einzelheiten; der Zugang, der für einen anderen leicht ist, mühsam. Man kann Max Brod nur beipflichten, wenn er schreibt[2]: »Der Eindruck des Schlosses Friedland hat vielleicht später im Vorstellungskreis des Romans ›Das Schloß‹ nachgewirkt.« Pavel Trost, der in Friedland den Zusammenhängen nachgegangen ist, fand dort einen »Herrenhof« und wies darauf hin, daß die Abkürzungsbuchstaben des Familiennamens Clam-Gallas (d.h. jene Familie, welcher das Herzogtum zufiel) überall dort anzutreffen sind.[3]

Klaus Wagenbach hingegen verweist[4] auf das Schloß in Wossek, dem Heimatdorf Hermann Kafkas. Er stützt sich dabei auf die Hypothese, der sechseinhalbjährige Franz Kafka sei zum Begräbnis seines Großvaters Jakob nach Wossek gefahren, und er rekonstruiert die Eindrücke, die das Kind damals erhalten haben mag.

Eindrücke von diesen beiden Lokalitäten – Friedland und Wossek – können sehr wohl in den ›Schloß‹-Roman verwoben sein. Und nicht nur diese. Man hat öfters auch die Eindrücke betont, die Kafka sein Leben lang vom Hradschin selber empfing – jenem Schloß, um mit Emanuel Frynta zu reden, »in dem nichts geschah und dessen Prachtsäle nur Auserwählte betreten durften, das leblose Schloß über einer von Leben überströmenden Stadt …«[5]

So verlockend die Suche nach solchen realen Vorbildern auch ist, so ist doch beim Auswerten der Ergebnisse Vorsicht geboten. Denn – dies betont auch Frynta – der Zusammenhang zwischen realem Vorbild und dichterischem Bild hat sich beim späten Kafka schon sehr weit gelockert. Für die literarischen Vorlagen gilt zwar ein ähnlicher Vorbehalt: Trotzdem scheint mir die Frage nach diesen Vorlagen – nach jenen fiktiven Schlössern, die Kafka bekannt waren – eher geeignet, einen Weg zum Verständnis des Romans zu öffnen.

Daß Kafkas Bilder keine Gleichnisse sind, sondern andeutende Zeichen – Sinnbilder, wenn man will –, ist von der Kafka-Forschung schon genügend hervorgehoben worden. Es sei hier bloß nochmals auf jenen Kernsatz aus den Oktavheften hingewiesen[6], »die Sprache« könne »für alles außerhalb der sinnlichen Welt nur andeutungsweise, aber niemals auch nur annähernd vergleichsweise gebraucht werden«. Man darf behaupten, Kafkas Schloß habe im strengsten Sinne keine Bedeutung, sondern zeige bloß eine Sinn-Richtung an. Die meisten literarischen Schlösser, die ich jetzt heranziehen möchte, tragen zwar ausgesprochen gleichnisartigen Charakter, aber wenn sie schon die Sinn-Richtung von Kafkas Schloß-Bild mitbestimmt haben, so heißt das natürlich nicht, daß auch sein Schloß als simples Gleichnis aufzufassen ist.

 

Soviel zur Einführung. Ich möchte also mit jenen literarischen Schlössern beginnen, die offenbar gleichnisartig sind. Erstens: eine Schopenhauerstelle.[7] »Wir sehen schon hier, daß von außen dem Wesen der Dinge nimmermehr beizukommen ist: wie immer man auch forschen mag, so gewinnt man nichts als Bilder und Namen. Man gleicht einem, der um ein Schloß herumgeht, vergeblich einen Eingang suchend und einstweilen die Fassaden skizzierend.« Daß Kafka diese Stelle kannte, darf als gesichert gelten: Ich verweise auf den Aufsatz ›Kafka und Schopenhauer‹ meines Oxforder Kollegen T.J. Reed, dem ich hier folge.[8] Es handelt sich um ein einfaches philosophisches Gleichnis: das Schloßäußere – die Erscheinungen; das Schloßinnere – das Wesen der Dinge, der (laut Schopenhauer) unreine Daseinsgrund. Wenn man, wie Reed vorschlägt, den Ausdruck »einstweilen die Fassaden skizzierend« mit K.’s Landvermesserberuf in Verbindung bringt, so könnte man das Landvermessen als ein Ausforschen der Erscheinungswelt schlechthin auffassen.

Zweitens: Jan Ámos Komenský (Comenius). Man hat zwar, soweit ich sehe, Kafkas Kenntnis von Komenskýs Werk noch nicht nachgewiesen: Die Annahme scheint mir jedoch berechtigt. In dem ›Labyrinth der Welt‹[9] stoßen wir auf zwei gleichnisartige Schlösser: das Schloß des (weltlichen) Glückes und die Burg der (weltlichen) Weisheit. Das Schloß des Glückes, das »am weitesten gegen Westen«[10] steht (man vergleiche den Namen von Kafkas Schloßherrn), wird von Menschen umlagert, die »eine Stelle ausfindig zu machen suchten, durch die sie in das Innere desselben gelangen könnten«.[11] Der Pilger tritt zwar ein, gelangt aber »noch keineswegs zum eigentlichen Schloss«.[12] Auch beim zweiten Schloß, der Burg der Weisheit, muß der Pilger erst durchs Tor und in den ersten Hof geführt werden, ehe sich ihm »der Anblick des eigentlichen Burggebäudes« darbietet.[13] (Man mag hier die Stelle bei Kafka vergleichen[14]: »gewiß er – sc. Barnabas – geht in die Kanzleien, aber sind die Kanzleien das eigentliche Schloß?«) Die äußere Erscheinung von dieser Burg enttäuscht übrigens, wie das Schloßäußere bei Kafka: Die Mauern, welche den Schein von Alabaster haben, bestehen in Wirklichkeit »aus Papier und Werg«, so daß der Pilger »über diese sonderbare Art der absichtlichen Täuschung lächeln« muß.[15] Das Innere der Burg wird als der »geheime Ort« bezeichnet, »von wo die Welt regiert wird«; dort thront die »Königin der Welt«, der einerseits des Pilgers Absicht, »die Dinge dieser Welt zu prüfen […] gar nicht übel [gefällt]«, die aber andrerseits »nicht gern hört«, daß er sich »darauf verlegt (hat), alles zu bekritteln«.[16] Der Pilger ist in der Tat »mit allem unzufrieden, findet an nichts Geschmack und sehnt sich stets nach etwas anderem Ungewöhnlichen, Besseren«.[17] Die Parallele mit dem Landvermesser K. drängt sich auf. Diese zwei Schloß-Bilder bei Komenský, die offenbar gleichnisartigen oder allegorischen Charakter tragen, entwickeln jedoch ein gewisses Maß von eigenem Leben. Insofern mag man hier Ansätze erkennen zu der von Kafka entwickelten symbolisch andeutenden Methode, und sie mögen ihn daher besonders angesprochen haben. Frantisek Kautman hat neulich auf eine gewisse Ähnlichkeit der symbolischen Methode hingewiesen.[18]

Das dritte literarische Schloß-Bild, das ich heranziehen möchte, erscheint in einem Buch, das Kafka gut kannte: ›Salomon Maimons Lebensgeschichte‹[19], laut Kafka »eine äußerst grelle Selbstdarstellung eines zwischen Ost- und Westjudentum gespenstisch hinlaufenden Menschen«.[20] Es handelt sich hier um den hundert Seiten langen Anhang zu diesem Buch, in welchem Maimon eine Inhaltsübersicht gibt vom Hauptwerk seines philosophisch-theologischen Lehrers Maimonides: dem ›More Newochim‹. Im letzten Abschnitt des ›More Newochim‹ will Maimonides zeigen, worin der wahre Gottesdienst dessen, der von Gott richtige Erkenntnis erlangt hat, besteht. Er fängt mit folgender Vergleichung an: »Der König, sagt er, wohnt in seinem Palast. Von seinen Untertanen sind einige in seiner Residenz; andere wiederum außer derselben. Von den ersteren gibt es einige, die dem königlichen Palast den Rücken zukehren und sich von demselben entfernen. Andre gehn zwar nach dem Palast mit dem Vorsatz, dem König aufzuwarten, gelangen aber nie dahin. Andere gelangen zwar dahin, können aber den Eingang nicht finden. Einige kommen in den Vorhof, einige sind sogar schon in dem Palast, können aber dennoch den König nicht so leicht zu sehen oder zu sprechen bekommen, bis sie durch viele Mühe endlich dazu gelangen.«[21] Dieses Gleichnis wird dann auf die verschiedenen Arten des Gottesdienstes angewendet. So heißt es z.B.: »Diejenigen, die mit Nachforschen über die Fundamente der Religion sich abgeben, sind schon im Vorhof. […] Diejenigen endlich, die von allem eine gründliche szientifische Erkenntnis erlangt haben, sind schon in dem königlichen Palast.« Oder, etwas anders ausgedrückt: »Gibst du dich mit der Naturwissenschaft ab, so bist du schon im Vorhof. Sobald du diesen Kursum vollendet hast und dich auf die Metaphysik legst, so bist du schon im Palast bei dem König.«[22] Hierzu ist noch folgendes zu sagen. Die Tatsache, daß bei Maimonides die Bezeichnung »Palast« statt »Schloß« begegnet, scheint mir unerheblich. Ich verweise auf Kafkas früheres Schloß-Bild in seiner Erzählung ›Ein altes Blatt‹ aus dem Jahre 1917: dort wird das Gebäude sowohl als »Schloß« wie als »Palast« bezeichnet. Schon für diese Erzählung ist übrigens das Gleichnis von Maimonides als Vorlage anzusehen: »Alle diejenigen, die so wenig eine natürliche, als geoffenbarte Religion haben, sind außer der göttlichen Residenz. Von dieser Art sind z.B. die herumstreifenden nordischen Tataren […]. Diese stehn mit den unvernünftigen Tieren beinahe in gleichem Range; sie sind weniger als Menschen, aber doch etwas mehr als Affen […].«[23] (Auf die Erzählung ›Ein altes Blatt‹ folgte, nebenbei gesagt, rasch die Erzählung ›Ein Bericht für eine Akademie‹.) Ferner ist zu beachten, welche auffällige Rolle beim Schloß-Bild von Maimonides der »Vorhof« spielt: Denn insofern als bei Kafka auch das Dorf gewissermaßen zum Schloß gehört, darf man Brückenhof und Herrenhof als »Vorhöfe« des Schlosses bezeichnen.

Das vierte Schloß-Bild, das ich erwähnen möchte, hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem eben besprochenen. Es erscheint im zweiten Band der ›Sagen der Juden‹, gesammelt und bearbeitet von Micha Josef bin Gorion (Berdyczewski).[24] Daß Kafka diesen Band kannte, ist höchst wahrscheinlich und kann wohl bewiesen werden. Die betreffende Stelle lautet: »Es war einmal ein Wanderer des Weges gegangen und erblickte einen hohen und großen Palast. Da wollte er hineingehen und suchte von allen Seiten nach einem Eingang, fand aber keinen. Er rief mit lauter Stimme, aber keiner antwortete ihm. Nun erhob er seine Augen und sah, daß auf dem Dach rote Wolltücher ausgebreitet lagen; nach einiger Zeit sah er wiederum weißes Leinenzeug auf dem Dache liegen. Da sprach der Mann: Es muß ein Mensch in diesem Palast sein […]. Da nun aber der Herr des Palastes sah, wie der Wanderer sich darum grämte, daß er ihn nicht finden konnte, zeigte er sich ihm und sprach: Gräme dich nicht, ich bin der Herr des Hauses.« Dieses Gleichnis wird sofort auf die Gottsuche Abrahams angewendet, dessen »Sinn« – wie es dort heißt – »danach [forschte], auf die Wahrheit zu kommen«.[25]

Bis jetzt habe ich unter jenen Schloß-Bildern, die Kafka wohl als Vorlagen gedient haben, solche ausgewählt, die explizite Gleichnisse sind. Ich möchte nun kurz zu einer anderen Gruppe von Schlössern übergehen, die zwar nicht offenbar gleichnisweise, jedoch so dargestellt werden, daß sie über das rein Realistische hinausdeuten oder zumindest von Kafka als sinnbildlich aufgefaßt werden konnten.

Aber vorerst möchte ich noch auf ein letztes Gleichnis aufmerksam machen, das – obwohl kein eigentliches Schloß-Bild – aufs engste mit dem Thema zusammenhängt. Gustav Theodor Fechner, dessen Schriften für Kafka von Bedeutung waren[26], schreibt nämlich in seinem Buch ›Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht‹[27]: »Ein Untertan richtet doch auch seine Bitte zunächst an die Mittelbehörde, ehe er den König damit behelligt. Aber in dieser Beziehung macht sich der Unterschied geltend, daß der Mensch dem König äußerlich gegenübersteht, daß er weit hin zu ihm hat, der König nicht um alle seine Bedürfnisse und Verhältnisse ebenso wissen kann, wie die Mittelbehörde, nicht alle Gesuche bewältigen […] kann; alles das aber ist bei Gott anders, und da in diesen Beziehungen keine Mittelbehörde den ganzen Gott vertreten kann, so wendet sich der Mensch auch lieber gleich an den ganzen Gott, als an die Mittelbehörde, die selbst noch mangelhaft ist […].« Das nämliche Gleichnis führt Fechner an anderer Stelle so aus[28]: »wie ein König seine Minister, und diese ihre Amtleute, und diese ihre Diener zur Ausführung seiner Befehle haben, nicht alle freilich führen sie recht aus, so greift in umgekehrter Richtung Gottes oberster Wille mittelst des Willens und der Triebe seiner höheren und niederen Geschöpfe durch das Weltgetriebe […].«

 

Zu der zweiten Gruppe von literarischen Schloß-Bildern gehört in erster Linie jenes kurfürstliche Schloß in Kleists ›Michael Kohlhaas‹ (die Erzählung, die Kafka vielleicht am höchsten schätzte[29]), wo der Held beim Landesherrn sein Recht suchen will. »Der Herr selbst«, meint Kohlhaas, »weiß ich, ist gerecht; und wenn es mir nur gelingt, durch die, die ihn umringen, bis an seine Person zu kommen, so zweifle ich nicht, ich verschaffe mir Recht …«[30] Seine Frau Lisbeth verbürgt sich dafür, dem Landesherrn Kohlhaasens Bittschrift zu überreichen: es stellt sich nämlich heraus, »daß der Kastellan des kurfürstlichen Schlosses in früheren Zeiten […] um sie geworben habe; daß derselbe zwar jetzt verheiratet sei und mehrere Kinder habe; daß sie aber immer noch nicht ganz vergessen wäre […].« (Die Parallele mit dem Klamm-Frieda Verhältnis liegt auf der Hand.) Weil der Kastellan nicht zu Hause ist, wird Lisbeth genötigt, »in einem Wirtshause, das in der Nähe des Schlosses lag, abzusteigen«. Daraufhin soll sie sich »zu dreist an die Person des Landesherrn vorgedrängt« und dabei »ohne dessen Verschulden« einen tödlichen Stoß vor die Brust erhalten haben.[31] Aber auch die Tronkenburg am Anfang der Erzählung – jenes Schloß, das einen gerechten Herrn nicht (oder nicht mehr) beherbergt – hat sicher einiges zu Kafkas Schloß-Bild beigetragen. Kohlhaas trifft bekanntlich auf einen angeblich kraft »landesherrlichen Privilegiums« aufgerichteten Schlagbaum, und es wird ihm bedeutet, daß »ohne einen landesherrlichen Erlaubnisschein kein Roßkamm […] über die Grenze gelassen« wird. »›So‹, sagte Kohlhaas, ›Wenzel heißt der Junker?‹ und sah sich das Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über das Feld blickte. ›Ist der alte Herr tot?‹«[32] Es war deshalb leicht für Kafka, diese Kleistschen Schlösser sinnbildlich aufzufassen, weil sie schon für Kohlhaas selber als Sinnbilder zu wirken beginnen. Die beiden Schlösser, Tronkenburg und kurfürstliches Schloß, werden ihm stellvertretend für die ganze »gebrechliche Einrichtung der Welt«, für die ganze ungerechte, wirkliche Menschenwelt, hinter welcher sich eine jedenfalls äußerst schwer zugängliche, vielleicht gar von der Welt abgeschiedene höhere Instanz verbirgt.

Schließlich möchte ich auf gewisse »Schloß-Bilder« hinweisen, die Kafka vom Alten Testament her geläufig waren. (Es sei betont, daß Kafka sowohl 1916 – also vor der Niederschrift des ›Alten Blatts‹ – als auch 1921 – also vor der Niederschrift des ›Schlosses‹ – das Alte Testament studierte.[33]) Es handelt sich um die Tempelbeschreibungen des Propheten Hesekiel, nicht nur des salomonischen Tempels, sondern auch besonders des visionären Tempels, der als ebenfalls zum königlichen Schloß gehörig gedacht wird. Auffällig an Kafkas Schloß ist nun die Tatsache, daß es eben nicht wie ein gewöhnliches Schloß aussieht: »Hätte man nicht gewußt daß es ein Schloß ist, hätte man es für ein Städtchen halten können.«[34] Diese Merkwürdigkeit tritt noch stärker hervor in einer Vorstudie zum ›Schloß‹ aus dem Jahre 1920[35]: »Ich sehe in der Ferne eine Stadt, ist es die welche Du meinst? […] Oja, ich sehe es, es ist ein Berg mit einer Burg oben und dorfartiger Besiedelung auf den Abhängen.« Hesekiels Tempel-Gesicht hebt mit folgenden Worten an: »Durch göttliche Gesichte führte er mich ins Land Israel und stellte mich auf einen sehr hohen Berg, darauf war’s wie eine gebauete Stadt gegen Mittag.«[36] Im folgenden Vers führt uns der Prophet einen Mann (bzw. Engel) vor, welcher dort unter dem Tor steht und eine Meßrute in der Hand hält: dieser fängt an, das ganze schloßartige Gebäude sowie das angrenzende Gelände zu messen. Die Beschreibung dieser Vermesserarbeit erstreckt sich über einige Seiten der Bibel. An früherer Stelle beschreibt Hesekiel die Greuel des Götzendienstes im noch bestehenden Tempel. Ein Engel führt ihn zur Tür des »Vorhofes« – »und siehe, da war ein Loch in der Wand. […] Und er sprach zu mir: Gehe hinein und schaue die bösen Greuel, die sie allhie tun.«[37] Man mag dabei vielleicht an jene Stelle im ›Schloß-Roman‹ denken, wo K. im Herrenhof von Frieda zum Loch in der Wand geführt wird, durch welches er Klamm beobachtet.[38] Etwas später lesen wir bei Hesekiel folgendes[39]: »Und man hörte die Flügel der Cherubim rauschen bis in den äußeren Vorhof wie eine Stimme des allmächtigen Gottes, wenn er redet.« Nun könnte man, wie ich schon angedeutet habe, den Brückenhof sehr wohl als den »äußeren Vorhof« des Schlosses bezeichnen. Eben dort – im Brückenhof – hört K. telephonisch die Laute, die das Schloßinnere ausströmt: »Aus der Hörmuschel kam ein Summen, wie K. es sonst beim Telephonieren nie gehört hatte. Es war wie wenn sich aus dem Summen zahlloser kindlicher Stimmen – aber auch dieses Summen war keines, sondern war Gesang fernster, allerfernster Stimmen – wie wenn sich aus diesem Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine einzige hohe aber starke Stimme bilde, die an das Ohr schlug so wie wenn sie fordere tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör.«[40] Sogar das Motiv des »Rauschens«, das hier fehlt, kommt später hinzu, wenn der Vorsteher erklärt[41]: »Nun ist aber dieses Rauschen und dieser Gesang das einzige Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telephone übermitteln […].« (Zum Telephonbild mag man ferner das Nietzsche-Wort aus einem Kafka wohlbekannten Text heranziehen: »ein Telephon des Jenseits«.)[42]

 

Somit komme ich zum Schluß. Es gibt selbstverständlich auch sonst noch literarische Schlösser, die zu der Ausarbeitung von Kafkas Schloß-Bild mit beigetragen haben mögen. Max Brod hat bekanntlich auf das Schloß im Roman ›Babička‹ von Božena Němcová hingewiesen[43], ein rein realistisches Schloß übrigens, dem Kafka aus diesem Grunde wohl kaum bedeutsame Anregungen verdankt. Man könnte etwa eher in Betracht ziehen die Gralsburg bei Wolfram von Eschenbach, verschiedene Märchenschlösser oder jenes verzauberte Schloß bei Kierkegaard[44], das ihm schon 1913 bekannt wurde und ihn dermaßen beeindruckte, daß er die Stelle noch 1918 in einem Brief an Max Brod exzerpierte: »Sobald ein Mensch kommt, […] der sagt: Wie die Welt auch ist, ich bleibe bei einer Ursprünglichkeit, die ich nicht nach dem Gutbefinden der Welt zu verändern gedenke: im selben Augenblicke, als dieses Wort gehört wird, geht im ganzen Dasein eine Verwandlung vor sich. Wie im Märchen – wenn das Wort gesagt wird, sich das seit hundert Jahren verzauberte Schloß öffnet, und alles Leben wird: so wird das Dasein lauter Aufmerksamkeit. Die Engel bekommen zu tun und sehen neugierig zu, was daraus werden wird, denn dies beschäftigt sie. Auf der anderen Seite: finstere, unheimliche Dämonen […] springen auf und recken die Glieder, denn, sagen sie, hier […] gibts etwas für uns […]. Davon redet der Apostel, wenn er sagt, daß der Christ nicht bloß mit Fleisch und Blut, sondern mit Fürstentümern und Mächten zu kämpfen hat.«

Gewiß, Kafka war weder ein Christ, noch war er ein gläubiger Jude, noch war er etwa ein Marxist. Er hat sich überhaupt zu keinem dogmatischen Glauben – sei es theologischer oder philosophischer Art – bekennen können. Man mag es bedauern, daß er nicht glauben konnte, aber wenn er es gekonnt hätte, so hätte er sein Werk nie geschrieben – dieses Werk, das von fanatischem Wahrheitswillen so durchdrungen ist, daß es uns heute noch auffordert, die eigenen Glaubensartikel mit erhöhter Gewissenhaftigkeit zu überprüfen.

Aus dem, was ich hier zusammengetragen habe, mag die Sinn-Richtung von Kafkas gewaltigem Schloß-Bild zum Teil deutlich geworden sein. Ich maße mir aber keineswegs an, den Schlüssel zu einer Gesamtdeutung des Romans geboten zu haben. Vielleicht darf ich also schließen mit den Worten eines gewissen Affen: »ich berichte nur, auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich nur berichtet.«

Askese und Kannibalismus Anmerkungen zu einem unpublizierten Kafka-Text

Kafkas Leben wurde von einem emotionalen und geistigen Hunger beherrscht, der stets unbefriedigt blieb, von einem überwältigenden Verlangen nach einer Nahrung, welche die Welt für ihn offenbar nicht bereithielt. »[…] nur vorwärts hungriges Tier führt der Weg zur eßbaren Nahrung […], sei es auch hinter dem Leben« (Tagebuch, 10.2.1922, KKAT 903f.). Das Motiv taucht bereits zehn Jahre vor dieser Tagebucheintragung in den Erzählungen ›Das Urteil‹ und ›Die Verwandlung‹ auf: Georg Bendemann ergreift das Brückengeländer, über das er sich bei seinem Todessprung schwingt, »wie ein Hungriger die Nahrung« (KKAD 61); Gregor Samsa wird durch Musik dazu bewegt, den »Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung« zu suchen (KKAD 185), der ihm zumindest in diesem Leben versperrt bleibt.

Diese »unbekannte Nahrung«, die allein Kafkas Helden zufriedenstellen könnte, ist zum einen mit der wundersamen Speisung in Märchen verwandt, zum anderen mit der göttlichen »Speise«, auf die häufig in heiligen Schriften (z.B. Jeremia 15,16) angespielt wird. Für Kafka ist nicht nur der Spender solcher Nahrung in unerreichbare Sphären entschwunden, sondern schon das menschliche Verlangen nach ihr ist durch Nietzsche und nach ihm durch die Psychologie zutiefst verdächtig geworden. Dementsprechend bleibt für Kafkas Helden die wunderbare Speise das unerreichbare Objekt eines Begehrens, wobei sich dieses Begehren wiederum hauptsächlich negativ, nämlich als Ekel vor der normalen Nahrung äußert. »Ich habe ja Appetit, […] aber nicht auf diese Dinge« (›Die Verwandlung‹, KKAD 183); »weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt« (›Ein Hungerkünstler‹, KKAD 349). Häufig ist dieser Ekel vor normaler Nahrung mit einer von Verfaultem ausgehenden Anziehungskraft verbunden. Samsas Verlangen nach der »unbekannten Nahrung« wird von seiner merkwürdigen Vorliebe für Verdorbenes begleitet; die Schakale in ›Schakale und Araber‹ werden von dem Wunsch, zur weißen Reinheit der Knochen vorzudringen, dazu getrieben, das verwesende Fleisch, das die Knochen bedeckt, zu verschlingen: »ungestört soll es [i. e. das Getier] von uns leergetrunken und bis auf die Knochen gereinigt werden. Reinheit, nichts als Reinheit wollen wir« (KKAD 273).

Unabhängig davon, ob das geistige Verlangen des Menschen auf diese Weise offenkundig mit einer Vorliebe für Tod und Verfall verbunden ist, steht es zumindest immer im Kontrast zu seinem animalischen Verlangen, welches die Gier nach Leben, das Bestreben, die eigene Lebenskraft zu steigern, ausdrückt oder »symbolisiert«. Kafka betont den aggressiven, rohen und raubtierhaften Aspekt dieses Lebenshungers. Karl Roßmann, dessen »auffallende Appetitlosigkeit« ihn mit Gregor Samsa verbindet, beobachtet, wie der riesige Herr Green, »immer bereit, jeden neuen Gang ohne Ermüdung zu empfangen«, »einen Bissen in den Mund [führte], wo die Zunge, wie Karl zufällig bemerkte, mit einem Schwunge die Speise ergriff. Ihm wurde fast übel und er stand auf« (KKAV 82f.). Herr Green repräsentiert – wie viele andere in Kafkas Werk – das, was Nietzsche »alle rohe, stürmische, zügellose, harte, gewalttätig-raubtierhafte Gesundheit und Mächtigkeit« nennt (›Zur Genealogie der Moral‹, Dritte Abhandlung, Abt. 15). Für diese Gestalten, deren alles verschlingende Gier von den barbarischen Nomaden in ›Ein altes Blatt‹ und den Raubtieren in ›Ein Hungerkünstler‹ geteilt wird, lieferte Kafkas eigener Vater das Vorbild. »Du [hast] entsprechend Deinem kräftigen Hunger und Deiner besonderen Vorliebe alles schnell, heiß und in großen Bissen gegessen. […] Knochen durfte man nicht zerbeißen, Du ja« (›Brief an den Vater‹, KKAN II 155f.). In ihrer extremen Form erscheint eine solche aggressive Gefräßigkeit als Kannibalismus, einschließlich des darin enthaltenen Motivs, sich die Lebenskraft des Opfers einzuverleiben. »Kronos, der seine Söhne auffraß«, schreibt Kafka 1921, »– der ehrlichste Vater« (Br 345).

Die Hinrichtungsmaschine in der ›Strafkolonie‹ muß zunächst den kannibalischen Trieb des Menschen bezwingen (»Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich«, KKAD 213), bevor sie sein »Vergnügen am Essen« gänzlich beseitigt (219). Die Bürger in ›Ein altes Blatt‹ werden von einer unausgesprochenen Furcht vor Kannibalismus dazu getrieben, die Nomaden reichlich mit Fleisch zu versorgen: »Bekämen die Nomaden kein Fleisch, wer weiß, was ihnen zu tun einfiele« (KKAD 265). Der Schauplatz einer entlegenen Strafkolonie oder eines sagenhaften alten China erlaubt es, ohne Verstoß gegen die Voraussetzungen der Geschichte auf das Motiv des Kannibalismus einzugehen. Wählt man etwa das moderne Amerika als Schauplatz, so ist dies nur in Form einer witzigen Überlegung möglich: »Karl stellte sich zum Spaß die Frage, ob er [Herr Green] nicht etwa den guten Herrn Pollunder aufgefressen habe« (KKAV 121). Was ›Ein Hungerkünstler‹ anbelangt, so wäre die entschiedenste Gegenfigur zum fastenden Helden vielleicht ein Mann, der mit einer kannibalischen Glanznummer alle Rekorde brechen würde. Die Einführung einer solchen Figur in den modernen europäischen Schauplatz hätte allerdings die innere Logik der Erzählung zerstört, hätte zur Überschreitung der Grenze zum Grotesken geführt. In der Tat wird dem Helden der Geschichte der junge Panther gegenübergestellt, der seinen Platz im Käfig einnimmt und mit der »Nahrung, die ihm schmeckte«, versorgt wird; »und die Freude am Leben kam mit derart starker Glut aus seinem Rachen, daß es für die Zuschauer nicht leicht war, ihr standzuhalten« (KKAD 349). Dessen ungeachtet hat Kafka aber eine Verstärkung des Kontrastes durch die Einführung eines Menschenfressers in seine Geschichte erwogen: Diesem verworfenen Plan wenden wir uns jetzt zu.

Die Erzählung ›Ein Hungerkünstler‹ erschien zuerst im Oktober 1922 in der ›Neuen Rundschau‹. Später entschied sich Kafka, die Erzählung neben anderen in Buchform herauszugeben, und kurz vor seinem Tode erhielt er die erste Bogenkorrektur dieses Buches. Während der Korrektur machte er (auf einem der Gesprächsblätter, mit deren Hilfe er sich verständigen mußte) folgende Bemerkung zum ›Hungerkünstler‹: »Ein Drittel aus der Mitte gestrichen« (Br 486 und 520, Anm. 3). Die Bemerkung ist rätselhaft, denn die in der Buchpublikation erschienene Fassung der Erzählung weist gegenüber dem 1922 publizierten Text keinerlei Auslassungen auf. Worum kann es sich dann bei diesem gestrichenen »Drittel« der Erzählung gehandelt haben?

Die Handschrift der Originalfassung weist allerdings eine längere Streichung auf: sie folgt auf den Satz »nur der Hungerkünstler selbst konnte […] der von seinem Hungern vollkommen befriedigte Zuschauer sein« (KKAD 337). Die gestrichene Passage leitet eine Art Dialog zwischen dem Helden und einem seiner Besucher ein:

»Das gab ihm selbst denjenigen gegenüber welche ihm völlig vertrauten, eine eigentümlich überlegene Stellung, es bildete sogar für manche den Hauptreiz der Vorführung. Es lockte sie nahe zum Gitter sich zu drängen und in die trüben Augen des Hungerkünstlers zu sehn, deren Anblick er niemandem entzog, der sich sichtlich darum bewarb, ja er suchte selbst unter der bunten Zuschauermenge Blicke, die sich in die seinen zu versenken Lust hatten. Dann ergab sich ein Frage- und Antwortspiel der Augen. Der Zuschauer fragte: ›Hast Du wirklich schon solange gehungert?‹ Der Hungerkünstler antwortete: ›Allerdings genau so lange habe ich gehungert und werde noch lange hungern. Daß Du es nicht begreifen kannst, verstehe ich; es ist unbegreiflich.‹ Der Zuschauer: ›Und Du solltest das Unbegreifliche ausführen können?‹ Der Hungerkünstler: ›Ja, ich.‹ Der Zuschauer: ›Nun, es wäre ja nicht weniger unbegreiflich, wenn Du etwa einmal in einer der vielen Nächte eine Kleinigkeit gegessen hättest. Dein Hungern wäre noch genau so unbegreiflich. Diese Kleinigkeit also hast Du doch vielleicht gegessen.‹ Der Hungerkünstler: ›Nein, auch diese Kleinigkeit nicht.‹« (Vgl. KKAN II, Apparatband 318)

Nun macht diese vom Autor verworfene Stelle offensichtlich nicht »ein Drittel« der Erzählung aus. Es gibt aber außerdem eine viel längere Passage, welche gleichfalls die Konfrontation des Helden mit einem Besucher zum Inhalt hat. Sie hat sich nur zum Teil erhalten, jedoch ist genug davon überliefert, um sie als jenes »Drittel aus der Mitte« zu identifizieren, auf das sich Kafka bezieht. Nach den Papierverhältnissen zu schließen, muß diese Passage erst nach ›Eine kleine Frau‹ entstanden sein, d.h. erst um Anfang 1924. Allem Anschein nach handelt es sich hierbei um einen vergeblichen Versuch Kafkas, die in der ›Neuen Rundschau‹ erschienene Fassung von ›Ein Hungerkünstler‹ vor dem Versand an den Verlag »Die Schmiede« noch auszubauen. Der Text dieser Passage lautet: