Die schwarze Flamme - Stanley G. Weinbaum - E-Book

Die schwarze Flamme E-Book

Stanley G. Weinbaum

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Beschreibung

Die Zivilisation wurde durch verheerende atomare und biologische Kriege ausgelöscht. In den folgenden dunklen Jahrhunderten werden nach und nach verlorene Geheimnisse entdeckt und neue Erkenntnisse gewonnen. Schließlich wird der Schlüssel zur Unsterblichkeit gefunden und die überirdisch schöne Margaret verwandelt sich in die schwarze Flamme von Urbs. Obwohl die Geschichte in einer fernen Zukunft spielt, ist sie im Grunde eine Liebesgeschichte, in der ein Mann zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist. Evanie, ein junges Mädchen aus einer Kleinstadt, und die schöne, begabte und unsterbliche Margarete von Urbs, die Schwester des Herrschers der Menschheit. Aber das Buch ist auch voller faszinierender Spekulationen über eine postapokalyptische Zukunft, die Auswirkungen der Unsterblichkeit und voller actiongeladener Abenteuer.

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Seitenzahl: 363

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Table of Contents

Titelseite

Die ersten Zeiten der Flamme

Der alte Einar

Der Meister marchiert

Die Schlacht am Eaglefoot Fluss

Die schwarze Margo

Die Harriers

Verrat

Qualen

Die Falle

Der alte Einar wieder

Die schwarze Flamme

Evanie, die Zauberin

Treffen im Wald

Ein bisschen Geschichte der Antiken

Das Dorf

Die Metamorphen

Panaten Blut

In Zeiten des Friedens

Der Weg nach Urbs

Revolution

Flucht

Der Bote

Der Weg zurück

Der Meister

Zwei Frauen

Unsterblichkeit

Das Schicksal des Mannes

Die „Sky-Rat“

Todesflug?

Die Verschwörer

Abendessen beim Schläfer

Erklärung

Der Amphimorph im Pool

Die Atombombe

Inferno

Der Meister richtet

 

 

 

Die schwarze Flamme

 

 

 

Stanley G. Weinbaum

 

 

 

 

 

Verlag Heliakon

 

Original Titel: Dawn of Flame und The Black Flame

Übersetzer: Osmar Henry Syring

 

Vertrieb: BoD – Books on Demand

 

Titelbild: Pixabay (CursedQueen)

 

ISBN: 978-3-949496-50-9

 

2023 © Verlag Heliakon, München

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

 

www.verlag-heliakon.de

[email protected]

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

 

Alle Gespräche, die der Prinzessin Margaret in dieser Geschichte zugeschrieben werden, sind wortwörtlich aus einem anonymen Band mit dem Titel Loves of the Black Flame entnommen, der im Jahr 186 in Urbs veröffentlicht wurde. Es wird Jacques Lebeau zugeschrieben, dem befehlshabenden Offizier der Leibwache der Schwarzen Flamme.

 

 

1. Buch – Die ersten Zeiten der Flamme

 

 

 

Die Welt

Hull Tarvish blickte nur einmal zurück, und das auch nur, als er die Biegung der Straße erreichte. Das kleine, geräumige Steinhaus, das sein Zuhause gewesen war, lag da, wie er es schon tausendmal gesehen hatte, eingerahmt von Zedern. Seine Mutter beobachtete ihn noch immer, und zwei seiner jüngeren Brüder standen dort und starrten den Berghang hinunter auf ihn. Er hob die Hand, um sich zu verabschieden, ließ sie aber fallen, als er merkte, dass ihn keiner mehr sah; seine Mutter hatte sich gleichgültig der Tür zugewandt, und die beiden Jungen hatten ein Kaninchen erspäht. Er drehte sich um und ging den Hang hinunter aus Ozarky hinaus.

Er kam an der Stelle vorbei, wo einst die große Stahlstraße der Alten verlief, die jetzt nur noch aus zwei rostigen Streifen und einer Reihe verrotteter Baumstämme bestand. Daneben lag der moosbewachsene Steinhaufen, der in den Tagen vor den Dunklen Jahrhunderten, als Ozarky noch zum alten Staat M'souri gehörte, ein uraltes Bauwerk gewesen war. Die Bergbewohner suchten hier noch immer nach quadratischen Steinen, um sie zum Bauen zu verwenden, aber das zähe Metall der Stahlstraße selbst war zu widerspenstig, um es zu benutzen, und die Schienen waren in diesen dreihundert Jahren still vor sich hin gerostet.

So viel wusste Hull Tarvish, denn das waren Dinge, über die man nachts am Kamin noch sprach. Sie waren mächtige Zauberer gewesen, diese Alten, ihre stählernen Straßen führten überall hin, und überall lagen die Ruinen ihrer Städte, die, wie es hieß, von einer Magie gebaut worden waren, die Gewichte heben konnte. Unten im Tal, das wusste er, suchten die Menschen noch immer nach diesem Zauber. Einmal hatte ein Reiter im Haus der Tarvish übernachtet, ein kleiner Mann, der erzählt hatte, im fernen Süden sei das Geheimnis gefunden worden. Aber niemand hatte je wieder etwas davon gehört.

Also pfiff Hull vor sich hin, schob sich den Lumpensack über die Schulter, legte den Bogen bequemer auf seinen mächtigen Rücken und stapfte weiter. Das war der Grund, warum er selbst auf dem Weg ins Tal war; er wollte die Welt in Augenschein nehmen. Er war schon immer ein rastloser Mensch gewesen, ganz anders als die anderen sechs Tarvish-Söhne und auch anders als die drei Tarvish-Töchter. Sie waren echte Bergbewohner, die Söhne große Jäger und die Töchter behäbig und fleißig. Nicht so Hull. Er war weder faul wie seine Brüder noch behäbig wie seine Schwestern, sondern rastlos, neugierig und verträumt. So pfiff er sich durch die Welt und war glücklich.

Am Abend machte er bei der Hobel-Hütte am Rande der Berge Halt. Vor ihm erstreckte sich die Ebene, und in der dunkler werdenden Ferne war der Kirchturm von Norse zu sehen. Das war ein Dorf; Hull hatte noch nie ein Dorf gesehen, jedenfalls nicht mehr als diesen weit entfernten Kirchturm, der die Form einer geraden weißen Kiefer hatte. Aber er hatte von Norse gehört, denn die Bergbewohner, die ein Gewehr hatten, gingen gelegentlich dorthin, um Pulver und Kugeln für ihre Gewehre zu kaufen.

Hull besaß nur einen Bogen. In Gewehren sah er keinen Sinn. Pulver und Kugeln kosteten Geld, aber ein Pfeil erledigte die gleiche Arbeit umsonst, und das, ohne das Wild eine Meile weit zu verscheuchen.

Am Morgen verabschiedete er sich von den Hobels, die ihn wie immer für ein wenig verrückt hielten, und machte sich auf den Weg. Seine kräftigen, braunen nackten Beine blitzten unter der zerlumpten Hose hervor, seine nackten Füße machten ein angenehmes Geräusch im Staub der Straße, die Juni-Sonne schien warm auf seine rechte Wange. Er war glücklich. Es gab nie eine schönere Welt als diese, also lächelte er und pfiff und spuckte vorsichtig in den Staub, weil er sich daran erinnerte, dass es Unglück brachte, in die Sonne zu spucken. Er war auf dem Weg ins Abenteuer.

Das Abenteuer begann. Hull war nun in der Ebene angelangt, wo die Bäume höher waren als das Gestrüpp der Hügel und wo die vereinzelten Farmen breiter, besser bestellt und wohlhabender waren. Der Weg war zu einem Karrenweg geworden, der sich hier zwischen zwei Waldreihen hindurchschlängelte. Plötzlich erhob sich ein Mann – nein, zwei Männer – von einem Baumstamm am Straßenrand und kamen auf Hull zu. Er beobachtete sie. Der eine war groß und hellhaarig wie er, aber nicht so schwer, und der andere war einen Kopf kleiner und dunkler. Zweifellos waren sie aus dem Tal, denn der Dunkle trug eine stumpfe Pistole am Gürtel, mit einem Holzschaft wie bei den Alten, und der Bogen des Großen war aus glänzendem Federstahl.

»Hallo, Bergmann!« sagte der dunkle Mann. «Wohin gehst du?«

»Nach Norden«, antwortete Hull kurz.

»Was ist in dem Rucksack?«

»Meine Zunge«, schnappte der Jüngling.

»Sachte, sachte«, grunzte der hellere Mann. »Nichts für ungut, Bergmann. Wir sind nur neugierig. Das ist ein gutes Messer, das du da hast. Ich möchte es eintauschen.«

»Gegen was?«

»Für das Blei in deinem Schädel«, knurrte der Dunkle. Plötzlich hatte er die stumpfe Pistole in der Hand. »Gib es her, und die Tasche auch.«

Hull sah von einem zum anderen. Schließlich zuckte er mit den Schultern und machte eine Bewegung, als wolle er seine Tasche von den Schultern heben. Dann schoss sein linker Fuß nach vorn und traf den Dunklen mit der ganzen Kraft von Hulls Muskeln und Gewicht direkt in die Magengrube.

Der Mann konnte gerade noch ein leises Grunzen hervorbringen, dann krümmte er sich und fiel hin, während seine Waffe ein Dutzend Meter weit in den Staub geschleudert wurde. Der Leichte stürzte sich auf sie, aber Hull packte ihn an der Kehle, drehte ihn zweimal um, und der kurze Kampf war vorbei. Mit einem stumpfen, geladenen Revolver an der Hüfte, einem blitzenden Bogen aus Federstahl über der Schulter und zweiundzwanzig glänzenden Stahlrohren im Köcher schwang er sich gemächlich auf den Weg nach Norden.

Er erklomm eine kleine Anhöhe und die Stadt lag vor ihm. Er starrte sie an. Mindestens hundert Häuser. In der Stadt lebten bestimmt fünfhundert Menschen, mehr, als er in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Er ging eifrig weiter und blickte auf die baumhohe Kirche, auf die Fenster, die aus alten Ruinen geborgen und sorgfältig zusammengesetzt worden waren, auf die Taverne mit dem schwingenden Wappen eines unglaublich dicken Mannes, der einen riesigen Becher in der Hand hielt. Er starrte auf die Häuser, vor denen sich zum Teil Läden befanden, und auf die Menschen, von denen die meisten in Leder gekleidet waren.

Er selbst erregte kaum Aufmerksamkeit. Norse war an die Bergmänner gewöhnt, und nur ein oder zwei Mädchen warfen einen abschätzenden Blick auf seine mächtige Gestalt. Das war ihm unangenehm, denn die Mädchen in den Bergen kicherten und wurden rot, aber in diesem Alter starrten sie nie einen Mann an. Also blickte er trotzig zurück, ließ den Blick von ihren Hauben zu den wehenden Röcken über ihren Ledersandalen wandern, und sie lachten und gingen weiter.

Hull interessierte sich nicht für die Nordländer, beschloss er. Als die Sonne unterging, kamen ihm die Häuser zu nahe, als würden sie ihn erdrücken, also machte er sich auf den Weg ins Grüne, um zu schlafen. Die Überreste einer alten Stadt grenzten an das Dorf und ihre gespenstischen Mauern bröckelten gegen Westen.

Natürlich gab es dort Geister, also ging er weiter, fand eine bewaldete Stelle, legte sich hin und steckte seinen Bogen und die Stahlpfeile in seine Tasche, um sie vor dem rostenden Nachttau zu schützen. Dann band er die Tasche um seine nackten Füße und Beine, streckte sich bequem aus und schlief mit der Hand am Pistolengriff. Natürlich gab es in diesen Wäldern keine Tiere, die man fürchten musste, außer Wölfen, und die griffen in der warmen Jahreszeit nie Menschen an, aber es gab Menschen, und die hielten sich nicht an solche jahreszeitlichen Gesetze.

Er wachte triefend nass auf. Die Sonne schoss goldene Lanzen durch die Bäume, und er hatte einen Bärenhunger. Er aß das letzte braune Brot seiner Mutter aus seiner Tasche, das nun neben seinen Füßen zerbröselte, und schritt dann zur Straße. Dort stand ein Wagen, der knarrend nach Norden fuhr. Der bärtige, freundliche Mann darin war froh, dass er ihn als Begleiter mitnehmen durfte.

»Bergmann?«, fragte er.

»Ja.«

»Wo wohnst du?«

»Die Welt«, sagte Hull.

»Nun«, bemerkte der andere, »es ist ein großer Ort, und alles, was ich davon gesehen habe, ähnelt dem hier. Alles außer Selui. Das ist eine Stadt. Ja, das ist eine Stadt. Warst du schon mal da?«

»Nein.«

»Da sind«, sagte der Bauer beeindruckt, »zwanzigtausend Menschen drin. Vielleicht sogar noch mehr. Und sie haben dort die größten Ruinen, die du je gesehen hast. Brücken. Gebäude. Vier- bis fünfmal so hoch wie die Kirche im Norden, und sie sind schon eingestürzt. Weiß der Teufel, wie hoch sie früher einmal waren.«

»Wer hat dort gelebt?«, fragte Hull.

»Ich weiß nicht. Wer will schon so hoch oben wohnen, dass man einen ganzen Vormittag braucht, um hinaufzukommen? Es sei denn, es war Magie. Ich glaube nicht an Magie, aber man sagt, dass die Alten fliegen konnten.

Hull versuchte, sich das vorzustellen. Eine Zeit lang herrschte Schweigen, nur das langsame Hufgetrappel der Pferde war zu hören. »Ich glaube es nicht«, sagte er schließlich.

»Ich auch nicht. Aber hast du gehört, was man in Norse sagt?«

»Ich habe nichts gehört.«

»Man sagt«, sagte der Bauer, »dass Joaquin Smith wieder marschieren wird.«

»Joaquin Smith!«

»Ja. Sogar die Bergmänner wissen über ihn Bescheid, was?«

»Wer nicht?«, erwiderte Hull. »Dann wird wohl im Süden gekämpft werden. Ich glaube, ich werde nach Süden gehen.«

»Warum?«

»Ich mag das Kämpfen«, sagte Hull einfach.

»Das ist eine gute Antwort«, sagte der Bauer, »aber wie man hört, wird nicht viel gekämpft, wenn der Meister kommt. Es gibt viel Zauberei in N'Orleans, vom einfachen Zauberer bis zu Martin Sair, der ein Blutsohn des Teufels sein soll.«

»Ich würde gerne sehen, wie seine Zauberei gegen die Pfeile und Kugeln des Bergmanns aussieht«, sagte Hull grimmig. »Es gibt keinen von uns, der nicht auf tausend Schritt Entfernung mit dem Gewehr ein Auge trifft. Oder zweihundert mit dem Pfeil.«

»Zweifellos; aber was ist, wenn das Pulver in Flammen aufgeht und die Kanonen sich selbst abfeuern, bevor er überhaupt über den Horizont kommt? Man sagt, dass er oder die Schwarze Margot dafür einen Zauberspruch haben.«

»Schwarze Margot?«

»Die Prinzessin, seine Halbschwester. Die dunkle Hexe, die neben ihm reitet, die Prinzessin Margaret.«

»Oh – aber warum die schwarze Margot?«

Der Bauer zuckte mit den Schultern.

»Wer weiß? So wird sie von ihren Feinden genannt.«

»Dann nenne ich sie auch so«, sagte Hull.

»Ich weiß nicht«, sagte der andere. »Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich Steuern an N'Orleans zahle oder an den mürrischen alten Marcus Ormiston, den Dorfältesten von Ormiston.« Er schnippte mit der Peitsche in die Ferne, wo Hull jetzt Häuser und das Rauschen eines kleinen Flusses entdeckte. »Ich habe in den Städten des Reiches Waren verkauft, und die Menschen dort schienen genauso glücklich zu sein wie wir, nicht mehr und nicht weniger.«

»Es gibt aber einen Unterschied. Es ist die Freiheit.«

»Nur ein Wort, mein Freund. Sie pflügen, sie säen, sie ernten, genau wie wir. Sie jagen, sie fischen, sie kämpfen. Und was die Freiheit angeht: sind sie weniger frei, wenn ein Hexenmeister über sie herrscht, als ich, wenn ich ein schrulliger Narr bin?«

»Die Bergmänner zahlen an niemanden Steuern.«

»Und niemand baut Straßen oder gräbt öffentlichen Brunnen. Wo du wenig zahlst, bekommst du weniger, und ich behaupte mal, dass die Straßen im Reich besser sind als unsere.«

»Besser als das?«, fragte Hull und starrte auf die staubige und breite Ortsstraße.

»Viel besser. In der Nähe von Memphis gibt es eine Straße aus festem Gestein, das sie durch Zauberei weich gemacht haben und dann aushärten ließen, so dass es weder Schlamm noch Staub gibt.«

Hull dachte darüber nach. »Der Meister«, platzte er plötzlich heraus, »ist er wirklich unsterblich?«

Der andere zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich das beschreiben? Es gibt große Zauberer im Süden, und der größte von ihnen ist Martin Sair. Aber ich weiß, dass ich zweiundsechzig Jahre alt bin, und solange ich denken kann, gab es hier im Süden immer Joaquin Smith und immer ein Reich, das Städte verschlingt wie ein Hase Karotten.

Als ich jung war, war es weit weg, jetzt ist es zum Greifen nah, das ist der Unterschied. Damals wie heute sprach man von der Schönheit der Schwarzen Margot und der Magie des Martin Sair.«

Hull antwortete nicht, denn Ormiston war in der Nähe. Das Dorf ähnelte dem von Norsen, nur dass es sich an niedrige Hügel schmiegte, auf deren Kämmen uralte Ruinen thronten. In der Nähe hielt sein Begleiter an und Hull dankte ihm, als er zu Boden sprang.

»Wohin?«, fragte der Bauer.

Hull dachte einen Moment nach. »Selui«, sagte er.

»Nun, es sind hundert Meilen, aber es werden viele sein, die dich mitnehmen.«

»Ich habe meine eigenen Füße«, sagte der Junge. Plötzlich drehte er sich bei einer Stimme auf der anderen Straßenseite um: »Hallo! Bergmann!«

Es war ein Mädchen. Ein sehr hübsches Mädchen mit schlanker Taille, kupferfarbenen Haaren und blauen Augen, das am Tor vor einem großen Steinhaus stand. »Hallo!«, rief sie. »Willst du für dein Abendessen arbeiten?«

Hull hatte wieder Heißhunger. »Gerne!«, rief er.

Die Stimme des Bauern ertönte hinter ihm. »Das ist Vail Ormiston, die Tochter des gottlosen Dorfältesten. Arbeite für eine volle Mahlzeit, Bergmann. Meine Steuern zahlen dafür.«

Aber Vail Ormiston war es nicht wert, sich mit einem wandernden Bergmann zu unterhalten. Sie betrachtete seine mächtige Gestalt anerkennend, zeigte ihm die Baumstämme, die er vierteln sollte, und verschwand dann im Haus. Wenn sie vielleicht durch das klarste der alten Glasfragmente, die das Fenster bildeten, hinausspähte und die Muskeln seiner großen nackten Arme beobachtete, während er die Axt schwang, so bekam er das nicht mit.

So kam es, dass er am Nachmittag, mit einer kräftigen Mahlzeit in der Hand und drei silbernen Dimes in der Tasche in Richtung Selui marschierte. Mit diesen Münzen, der stumpfen Pistole an seiner Hüfte, dem glänzenden Stahlbogen und den Pfeilen und der Erinnerung an das kupferfarbene Haar und die blauen Augen von Vail Ormiston war er reicher, als er aufgebrochen war.

 

 

 

 

Der alte Einar

Drei Wochen in Selui hatten dazu beigetragen, dass Hull Tarvish mit dem Ort sozusagen vertraut war. Er starrte nicht mehr auf die himmelhohen Ruinen der alten Stadt oder die riesigen eingestürzten Brücken, und er fühlte sich in der Stadt, die daneben lag, ganz zu Hause. Er hatte leicht Arbeit in einer Bäckerei gefunden, wo seine großen Muskeln gute Dienste leisteten; die Stunden waren lang, aber sein Lohn war großzügig – fünf Silberlinge pro Woche.

Er zahlte zwei für Unterkunft und Essen – was er über die verbrannten Brote seiner Arbeit hinaus brauchte, kostete ihn einen weiteren Quarter, aber dann blieben noch zwei übrig, um über die Runden zu kommen. Er wettete nur ab und zu auf seine eigene Treffsicherheit, und das war einträglicher als sonst.

Normalerweise schloss Hull schnell Freundschaften, aber seine langen Arbeitszeiten hinderten ihn daran. Er hatte nur einen, einen unglaublich alten Mann, der abends auf der Treppe vor seiner Unterkunft saß, den alten Einar. An diesem Abend ging Hull wie immer zu ihm hinaus und starrte auf die verfallenen Türme der Alten, die in der Abendsonne leuchteten.

Auf vielen von ihnen wuchsen Bäume, und alle waren grün mit Ranken und Büscheln und dem Wachstum der Samen, die der Wind hergetragen hatte. Niemand wagte es, inmitten der Ruinen zu bauen, denn niemand konnte ahnen, wann ein großer Turm einstürzen würde.

»Ich frage mich«, sagte er zum alten Einar, »wie die Menschen der Antike waren. Waren sie Menschen wie wir? Wie konnten sie dann fliegen?«

»Sie waren Männer wie wir, Hull. Was das Fliegen angeht – nun, ich glaube, dass das Fliegen eine Legende ist. Es soll einen Mann gegeben haben, der über die kalten Länder im Norden und im Süden geflogen ist, und auch über das große Meer. Aber dieser fliegende Mann wird in einigen Berichten Lindbird und in anderen Bird genannt, und man kann sicher den Ursprung einer solchen Legende erkennen. Die Wanderungen der Vögel, die jedes Jahr Land und Meere überqueren, das ist alles.«

»Oder vielleicht Magie«, schlug Hull vor.

»Es gibt keine Magie. Die Alten selbst haben sie geleugnet und ich habe mich durch so manches verschimmelte Buch in einer seltsamen, archaischen Sprache gekämpft.«

Der alte Einar war der erste Gelehrte, dem Hull je begegnet war. Es gab zwar viele, als das glanzvolle Zeitalter der Zweiten Aufklärung anbrach, aber die meisten von ihnen lebten im Kaiserreich. John Holland war tot, aber Olin lebte noch in der Welt, und Kohlmar und Jorgensen und Teran und Martin Sair und Joaquin Smith der Meister. Große Namen – Namen von Halbgöttern.

Aber Hull wusste wenig über sie. »Du kannst lesen!«, rief er aus. »Das ist an sich schon eine Art von Magie. Und du warst schon im Reich, sogar in N'Orleans. Sag mir, wie ist es in der Großen Stadt? Haben sie wirklich die Geheimnisse der Alten gelernt? Sind die Unsterblichen wirklich unsterblich? Wie haben sie ihr Wissen erlangt?«

Der alte Einar ließ sich auf der Stufe nieder und paffte blauen Rauch aus seiner Pfeife, die mit dem herben Tabak der Region gefüllt war. »Zu viele Fragen geben keine Antworten«, stellte er fest. »Soll ich dir die wahre Geschichte der Welt erzählen, Hull – die Geschichte, die man Weltgeschichte nennt?«

»Ja. In Ozarky haben wir wenig über solche Dinge gesprochen.«

»Nun«, sagte der alte Mann gemütlich, »dann werde ich mit dem beginnen, was für uns der Anfang ist, für die Alten aber das Ende war. Ich weiß nicht, welche Faktoren, welche Kriege, welche Kämpfe zu der mächtigen Welt geführt haben, die in den dunklen Jahrhunderten unterging, aber ich weiß, dass die Welt vor dreihundert Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Du kannst dir einen solchen Ort nicht vorstellen, Hull. Es war auch die Zeit der riesigen Städte … fünfzigmal so groß wie N'Orleans mit seinen hunderttausend Menschen.«

Er schnaufte langsam. »Große stählerne Wagen brausten über die eisernen Straßen der Alten. Die Menschen überquerten die Ozeane nach Osten und Westen. Die Städte waren voller surrender Räder, und statt der vielen kleinen Stadtstaaten unserer Zeit gab es riesige Nationen mit Tausenden von Städten und hundert Millionen – hundertfünfzig Millionen Menschen.«

Hull starrte. »Ich glaube nicht, dass es so viele Menschen auf der Welt gibt«, sagte er.

Der alte Einar zuckte mit den Schultern. »Wer weiß?«, gab er zurück. »In den alten Büchern – von denen es viel zu wenige gibt – steht, dass die Welt rund ist und dass jenseits der Meere ein oder mehrere Kontinente liegen, aber welche Rassen es heute gibt, kann nicht einmal Joaquin Smith sagen.« Er paffte wieder Rauch. »Nun, so war die alte Welt. Es waren kriegerische Völker, die so gerne kämpften, dass sie viele Bücher über die Schrecken des Krieges schreiben mussten, um sich den Frieden zu bewahren, aber sie scheiterten immer. In der Zeit, die sie ihr zwanzigstes Jahrhundert nannten, gab es eine ganze Reihe von Kriegen, und zwar nicht solche kleinen Streitereien, wie wir sie so oft zwischen unseren Stadtstaaten haben, und auch nicht solche wie die zwischen dem Memphis-Bund und dem Kaiserreich vor fünf Jahren. Ihre Kriege verbreiteten sich wie Sturmwolken über die ganze Welt und wurden zwischen Millionen von Männern mit unvorstellbaren Waffen, die hundert Meilen weit Zerstörung brachten, und mit Schiffen auf den Meeren und mit Gasen geführt.«

»Was sind Gase?«, fragte Hull.

Der alte Einar winkte mit seiner Hand, so dass der Wind über die braune Wange des Jungen streifte. »Luft ist ein Gas«, sagte er. »Sie wussten, wie man die Luft vergiftet, damit alle, die sie einatmen, sterben. Und sie kämpften mit Krankheiten, und die Legende besagt, dass sie auch in der Luft mit Flügeln kämpften, aber das ist nur eine Legende.«

»Krankheiten!«, sagte Hull. »Krankheiten sind der Atem der Teufel, und wenn sie die Teufel kontrollierten, dann benutzten sie Zauberei und kannten daher Magie.«

»Es gibt keine Magie«, wiederholte der alte Mann. »Ich weiß nicht, wie sie sich gegenseitig mit Krankheiten bekämpft haben, aber Martin Sair von N'Orleans weiß es. Das war seine Studie, nicht meine, aber ich weiß, dass sie keine Magie enthielt.« Er fuhr mit seiner Erzählung fort. »So warfen sich diese großen, wilden Völker gegeneinander, denn für sie bedeutete der Krieg mehr als für uns. Für uns ist er ein raues, fröhliches und gefährliches Spiel, aber für sie war er eine Leidenschaft. Sie kämpften aus jedem Grund oder aus keinem anderen als der Liebe zum Kampf.«

»Ich liebe es zu kämpfen«, sagte Hull.

»Ja, aber würdest du es lieben, wenn es nur bedeutet, dass Tausende von Männern jenseits des Horizonts vernichtet werden? Männer, die du nie sehen würdest?«

»Nein, der Krieg sollte von Mann zu Mann geführt werden, oder zumindest nicht weiter als bis zur Kugel.«

»Stimmt. Nun, irgendwann gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts explodierte die antike Welt in einem Krieg wie ein Pulverhorn in einem Feuer. Man sagt, dass jede Nation kämpfte und die Schlachten über Meere und Kontinente hin und her wogten. Es ging nicht nur um Nation gegen Nation, sondern auch um Rasse gegen Rasse, schwarz und weiß, gelb und rot, alle verwickelt in einen gigantischen Kampf.«

»Gelbe und Rote?«, wiederholte Hull. »In Ozarky gibt es ein paar Schwarze, die Nigs genannt werden, aber ich habe noch nie von gelben oder roten Menschen gehört.«

»Ich habe gelbe Menschen gesehen«, sagte der alte Einar. »Es gibt einige Städte mit gelben Menschen am Rande des westlichen Ozeans, in der Region, die Friscia genannt wird. Die rote Rasse, so heißt es, ist verschwunden, ausgerottet durch die Seuche, die man den Grauen Tod nennt, dem sie leichter erlagen als die anderen Rassen.«

»Ich habe von dem Grauen Tod gehört«, sagte Hull. »Als ich noch sehr jung war, gab es einen alten Mann, der erzählte, dass sein Großvater in den Tagen des Todes gelebt hatte.«

Der alte Einar lächelte. »Das bezweifle ich, Hull. Es ist etwas mehr als zweieinhalb Jahrhunderte her. Aber«, fuhr er fort, »die großen alten Völker waren im Krieg, und wie ich schon sagte, bekämpften sich mit Krankheiten. Ob ein Volk das Geheimnis des Grauen Todes erlernt hat oder ob er als eine Art Kreuzung zwischen zwei oder mehreren anderen Krankheiten entstanden ist, weiß ich nicht. Martin Sair sagt, dass Krankheiten lebendige Wesen sind, also könnte es so sein. Auf jeden Fall sprang der Graue Tod plötzlich über die Welt und traf alle Menschen gleichermaßen. Überall wütete er in den Armeen, in den Städten und auf dem Land, und von denen, die er traf, starben sechs von zehn. In der Welt muss ein Chaos geherrscht haben, denn es gibt kein einziges Buch, das in dieser Zeit gedruckt wurde, und nur Legenden erzählen die Geschichte.

Aber der Krieg brach zusammen. Armeen standen plötzlich ohne Gegner da und wurden in die Luft gesprengt, bevor sie sich bewegen konnten. Schiffe wurden mitten auf dem Meer getroffen und trieben unbemannt dahin, um Wrackteile anzuhäufen oder andere zu zerstören. In den Städten wurden die Toten auf den Straßen aufgehäuft und nach einer Weile einfach liegen gelassen, während die Überlebenden ins Land flohen. Was von den Armeen übrig blieb, wurde kaum besser als umherstreifende Räuberbanden, und im dritten Jahr der Pest gab es nur noch wenige, wenn überhaupt stabile Regierungen auf der Welt.«

»Was hat die Krankheit aufgehalten?«, fragte Hull.

Ich weiß es nicht. Diese Epidemien, sie verschwinden. Diejenigen, die sie bekommen und überleben, können sie kein zweites Mal bekommen, und diejenigen, die aus irgendeinem Grund immun sind, bekommen sie überhaupt nicht, und der Rest stirbt. Der graue Tod fegte drei Jahre lang über die Welt, und als er endete, war laut Martin Sair einer von vier Menschen gestorben. Aber die Pest kehrte noch viele Jahre lang in immer schwächeren Wellen zurück; nur eine Seuche im vierzehnten Jahrhundert, der Schwarze Tod, scheint ihr je das Wasser gereicht zu haben.

»Doch die Auswirkungen begannen erst. Das alte Transportsystem war einfach zusammengebrochen, und die Städte hungerten. Hungrige Banden begannen, das Land zu überfallen, und statt eines einzigen großen Krieges gab es nun eine Million kleiner Schlachten. Die Waffen der Alten waren überall zu finden, und diese Schlachten waren in der Tat heftig genug, wenn auch nicht mit den kolossalen Schlachten des großen Krieges zu vergleichen. Jahr für Jahr verfielen die Städte, bis im fünfzigsten Jahr nach dem Grauen Tod die Weltbevölkerung um drei Viertel geschrumpft war und die Zivilisation am Ende war. Die Welt wurde nun von der Barbarei beherrscht, aber nur von der Barbarei, nicht von der Wildheit. Die Menschen erinnerten sich noch an die mächtige alte Zivilisation, und überall gab es Versuche, sich zu den alten Nationen zusammenzuschließen, aber diese scheiterten aus Mangel an großen Anführern.«

»Sie sollten scheitern«, sagte Hull. »Wir haben jetzt Freiheit.«

»Vielleicht. Im ersten Jahrhundert nach der Pest war von den Alten nur noch wenig übrig außer ihren zerstörten Städten, in denen Räuberbanden lauerten, die nachts das Land durchstreiften. Sie hatten kaum Interesse an irgendetwas, außer an Lebensmitteln oder dem Münzgeld der alten Völker, und sie richteten unermesslichen Schaden an. Nur wenige konnten lesen, und in kalten Nächten war es üblich, die alten Bibliotheken nach Büchern zu plündern, um sie zu verbrennen, und zu allem Übel brannte das Feuer die Ruinen aller Städte nieder, und es gab keinen organisierten Widerstand dagegen. Die Flammen brannten einfach von selbst aus, und unbezahlbare Bücher verschwanden.«

»Aber in N'Orleans studieren sie doch, oder?«, fragte Hull.

»Ja, dazu komme ich gleich. Etwa zwei Jahrhunderte nach der Pest – also vor hundert Jahren – hatte sich die Welt stabilisiert. Sie war ähnlich wie heute, mit kleinen Bauernstädten und weiten, verlassenen Landstrichen. Das Schießpulver war wiederentdeckt worden, man benutzte Gewehre, und die meisten Räuberbanden waren vernichtet worden. Und dann kam der junge John Holland in die Stadt N'Orleans, die neben der alten Stadt gebaut worden war.

Holland war ein seltenes, lernbegieriges Exemplar. Er fand die Überreste einer alten Bibliothek und begann langsam, die archaischen Wörter in den wenigen Büchern, die noch erhalten waren, zu entziffern. Nach und nach schlossen sich ihm andere an, und als sich das herumsprach, kamen auch Leute aus anderen Orte mit Büchern, und die Akademie war geboren. Natürlich unterrichtete niemand, es war nur eine Gruppe von Studenten, die eine Art gemeinschaftliches, klösterliches Leben führten. Es gab keinen Versuch, das uralte Wissen in die Praxis umzusetzen, bis ein junger Mann namens Teran einen Traum hatte – keinen geringeren Traum, als die jahrhundertealten Kraftwerke von N'Orleans zu überholen, um die Stadt mit Strom, der durch Drähte fließt, zu versorgen.«

»Was ist das?«, fragte Hull. »Was ist das, alter Einar?«

»Das würdest du nicht verstehen, Hull. Teran war ein Enthusiast; es hielt ihn nicht davon ab, zu erkennen, dass es weder Kohle noch Öl gab, um seine Maschinen zu betreiben. Er glaubte, dass die Energie da sein würde, wenn man sie brauchte, also schrubbten, feilten und schweißten er und seine Anhänger weiter, und Teran hatte recht. Als er Strom brauchte, war er da.

Das war das Geschenk eines Mannes namens Olin, der das letzte, das krönende Geheimnis der Alten ausgegraben hatte, die Kraft namens Atomenergie. Er gab sie Teran, und N'Orleans wurde zu einer Wunderstadt, in der Lichter leuchteten und Räder sich drehten. Aus allen Teilen des Kontinents kamen Menschen, um sie zu sehen. Unter ihnen waren auch Martin Sair und Joaquin Smith, die mit Joaquins Halbschwester, der satanischen Schönheit, die manchmal auch Schwarze Margot genannt wird, aus Mexiko angereist waren.

Martin Sair war ein Genie. Er fand sein Feld in der Medizin und es dauerte keine zehn Jahre, bis er das Geheimnis der harten Strahlen gelüftet hatte. Er untersuchte Sterilität, aber er fand – Unsterblichkeit!«

»Dann sind die Unsterblichen unsterblich!«, murmelte Hull.

»Das mag sein, Hull. Zumindest scheinen sie nicht zu altern, aber … nun, Joaquin Smith war auch ein Genie, aber von einer anderen Art. Er träumte davon, die Völker des Landes wieder zu vereinen. Ich glaube, er träumt von mehr, Hull. Die Leute sagen, er hört auf, wenn er hundert Städte regiert, aber ich glaube, er träumt von einem amerikanischen Imperium oder« – Einars Stimme sank – »einem Weltreich. Jedenfalls hat er Martin Sairs Unsterblichkeit gegen Macht eingetauscht. Das zweite Zeitalter der Aufklärung brach an, und in N'Orleans gab es viele Genies. Er tauschte die Unsterblichkeit mit Kohlmar gegen eine Waffe, er bot sie Olin gegen die Atomenergie an, aber Olin war schon über die Jugend hinaus und lehnte ab, erstens, weil er sie nicht wollte, und zweitens, weil er nicht ganz auf der Seite von Joaquin Smith stand. So nahm der Meister das Geheimnis des Atoms ohne Rücksicht auf Olin an sich, und die Eroberung begann. N'Orleans, das unter dem unmittelbaren Einfluss der magnetischen Persönlichkeit des Meisters stand, war bereit, sich zu fügen, und gab ihm jubelnd nach. Er versammelte seine Armee und marschierte nach Norden, und überall fielen Städte oder ergaben sich bereitwillig. Joaquin Smith ist ein großartiger Mann, die Menschen strömen zu ihm, die Städte jubeln ihm zu, selbst die Frauen und Kinder der Erschlagenen schwören ihm die Treue, wenn er ihnen auf seine edle Art vergibt. Nur hier und da hassen ihn die Leute bitterlich und sprechen von Tyrann und Freiheit.«

»So sind die Bergmänner«, sagte Hull.

»Nicht einmal die Bergleute können den ionischen Strahlen widerstehen, die Kohlmar aus alten Büchern ausgegraben hat, oder dem Erdresonator, der Schießpulver kilometerweit explodieren lässt. Ich glaube, Joaquin Smith wird Erfolg haben, Hull. Und ich habe nichts dagegen, dass er es tut, denn er ist ein großer Herrscher und ein Förderer der Zivilisation.«

»Wie sind sie denn so, die Unsterblichen?«

»Nun, Martin Sair ist kalt wie ein Bergfelsen, und Prinzessin Margaret ist wie schwarzes Feuer. Sogar meine alten Knochen fühlen sich jünger, wenn ich sie nur ansehe, und junge Männer sollten sie besser nicht ansehen, denn sie ist herzlos, rücksichtslos und erbarmungslos. Was Joaquin Smith, den Meister, betrifft, so fehlen mir die Worte, um einen so komplexen Charakter zu beschreiben, und ich kenne ihn gut. Er ist vielleicht sanftmütig, aber enorm stark, gütig oder grausam, je nachdem, was er will, unglaublich intelligent und gefährlich charmant.«

»Du kennst ihn!«, rief Hull und fügte neugierig hinzu: »Wie ist dein anderer Name, alter Einar, den du von den Unsterblichen kennst?«

Der alte Mann lächelte. »Als ich geboren wurde«, sagte er, »nannten mich meine Eltern Einar Olin.«

 

 

 

 

Der Meister marschiert

Joaquin Smith marschierte.

Hull Tarvish lehnte an der Tür von File Ormsons Eisenwarenhandlung in Ormiston und starrte über Felder und Wälder hinweg zu den blauen Bergen von Ozarky im Süden. Dort hätte er sein sollen, bei den Bergleuten, aber als der müde Reiter Selui die Nachricht überbrachte und Hull Ormiston erreichte, war es schon zu spät, und Ozarky war nur noch eine abgelegene Provinz des expandierenden Reiches, während der Meister oberhalb von Norse lagerte und Gesandte nach Selui schickte.

Selui würde nicht nachgeben. Die Städte des drei Monate alten Selui-Bundes schickten bereits ihre Männer, aus Bloom'ton, aus Kairo und sogar aus dem fernen Ch'cago am salzlosen Mitchin-Meer. Die Männer der Konföderation hassten die kleinen, schlanken, dunklen Ch'cagoer, denn sie hatten die verheerende Schlacht am Starved Rock noch nicht vergessen, aber gegen Joaquin Smith war jeder Verbündete willkommen. Auch die Ch'cagoer waren gute Kämpfer und mit Leib und Seele bei der Sache, denn wenn der Meister Selui eroberte, würde sein Reich gefährlich nahe an die salzlosen Meere heranreichen und sich vom Ozean im Westen bis zu den Bergen im Norden und bis zum großen Zusammenfluss von M'sippi und M'souri erstrecken.

Hull wusste, dass ein Kampf bevorstand, und er freute sich darauf. Es war schade, dass er nicht in Ozarky für sein eigenes Volk kämpfen konnte, aber Ormiston würde reichen. Das war sein jetziges Zuhause, seit er hier Arbeit bei File Ormson gefunden hatte, dem stämmigen Eisenarbeiter, breitschultrig wie Hull selbst, aber einen Kopf kleiner. Eine angenehme Arbeit für seine kräftigen Muskeln, auch wenn es im Moment nichts zu tun gab.

Er starrte auf die friedliche Landschaft. Joaquin Smith war auf dem Marsch, und jenseits des Dorfes arbeiteten die Bauern noch immer auf ihren Feldern. Hull lauschte dem langsamen Aussaat-Lied:

Das ist es, was der Boden braucht:

Erst den Pflug und dann die Saat,

dann die Egge und dann die Hacke,

Und Regen, damit die Ernte wächst.

 

Das ist es, was der Mann braucht:

Erst die Versprechen, dann die Taten,

dann den Pfeil und dann die Klinge,

Und zuletzt den Totengräber mit seinem schwarzen Spaten.

Das ist es, was seine Frau braucht:

Zuerst einen Garten ohne Unkraut,

dann die Tochter und dann den Sohn,

Und eine warme Feuerstelle, wenn die Arbeit getan ist.

 

Das ist es, was sein Sohn braucht …

 

Hull hörte nicht mehr zu. Sie sangen, aber Joaquin Smith marschierte, marschierte mit den Männern von hundert Städten, mit seinem schwarzen Banner und der goldenen Schlange, die flatterte. Diese Schlange, hatte der alte Einar gesagt, war die Midgardschlange, die der alten Sage nach, die Erde umspannte. Sie war das Symbol für den Traum des Meisters, und einen Moment lang hatte Hull Mitgefühl für diesen Traum.

»Nein!«, knurrte er vor sich hin. »Die Freiheit ist besser, und es ist an uns, der Midgardschlange den Kopf abzuschlagen.«

Neben ihm ertönte eine Stimme. »Hull! Großer Hull Tarvish! Bist du zu stolz, um bescheidene Leute zu bemerken?«

Es war Vail Ormiston, deren violette Augen unter ihrem glatten kupferfarbenen Haar hervorlugten. Er errötete, denn er war die Art der Mädchen aus dem Tal nicht gewöhnt, die so offen flirteten, wie es den schüchternen Mädchen aus den Bergen unmöglich war.

Doch irgendwie gefiel es ihm, und er mochte Vail Ormiston, und er erinnerte sich gerne an den Abend vor zwei Tagen, als er volle drei Stunden mit ihr auf der Bank bei dem Baum im Schatten des Ormiston-Brunnens gesessen und geredet hatte.

Und er erinnerte sich an den Spaziergang durch die Felder, bei dem sie ihm die Mündung des großen, alten Abwasserkanals gezeigt hatte, der unter der Toten Stadt hindurchgeflossen war und sich noch meilenweit unterirdisch in die Hügel erstreckte, und er erinnerte sich an ihre Geschichte, wie sie sich als Kind darin verlaufen hatte, woraufhin ihr Vater das Brombeergestrüpp gepflanzt hatte, das die Öffnung immer noch verbarg.

Er grinste: »Ist es die Tochter des Dorfältesten, die von einfachen Leuten spricht? Dein Vater wird mich doppelt besteuern, wenn er davon erfährt.«

Sie schüttelte den Kopf mit ihrem kupferfarbenen Haar. »Das wird er, wenn er dich in deinem Selui-Gewand sieht.« Ihre Augen funkelten. »Für wessen Augen hast du es gekauft, Hull? Denn du solltest dein Geld lieber sparen.«

»Silber sparen, Glück verlieren«, erwiderte er. Immerhin war es gar nicht so schwer, mit ihr zu reden. »Wie auch immer, besser ein Lächeln von dir als das Glitzern von Geld.«

Sie lachte. »Aber wie schnell du lernst, Bergmann! Und wenn ich sage, dass du mir mit zerfetzten Gewand besser gefällst, mit deinen kräftigen braunen Muskeln, die durch die Risse blitzen?«

»Sagst du es, Vail?«

»Ja, genau!«

Er kicherte und hob seine großen Hände auf seine Schultern. Das Geräusch von reißendem Stoff war zu hören, und ein langer Riss schimmerte auf der Rückseite seines Selui-Hemdes. »Hier, Vail!«

»Oh!«, keuchte sie. »Hull, du Nichtsnutz! Aber es ist doch nur eine Naht.« Sie wühlte in der Tasche an ihrem Gürtel. »Lass mich das für dich nähen.«

Sie beugte sich über ihn, und er konnte ihren Atem auf seiner Haut spüren, warm wie die Frühlingssonne. Er klappte die Kinnlade herunter, blickte finster drein und stürzte sich dann entschlossen auf das, was er zu sagen hatte. »Ich möchte heute Abend noch einmal mit dir reden, Vail.«

Er spürte ihr Lächeln in seinem Rücken. »Möchtest du?«, murmelte sie schüchtern.

»Ja, wenn Enoch Ormiston nicht zuerst um deine Zeit gebeten hat.«

»Aber das hat er, Hull.«

Er wusste, dass sie ihn absichtlich ärgern wollte. »Es tut mir leid«, sagte er kurz.

»Aber … ich habe ihm gesagt, dass ich beschäftigt bin«, beendete sie.

»Und bist du?«

Ihre Stimme klang wie ein Flüstern hinter ihm. »Nein. Nur wenn du mir sagst, dass ich es bin.«

Sein lautes, brüllendes Lachen ertönte. »Dann sage ich es dir, Vail.«

Er spürte, wie sie an der Naht zog, dann beugte sie sich ganz nah an seinen Hals, aber nur, um mit ihren weißen Zähnen in den Faden zu beißen. »So!«, sagte sie fröhlich. »Einmal geflickt, zweimal neu.«

Bevor Hull antworten konnte, ertönte das Klappern von File Ormsons Schlitten und das gemessene Brüllen seines Schmiedeliedes. Sie lauschten, als seine Schläge im Rhythmus des Liedes erklangen.

Dann heißt es ho-oh-ho-oh-ho!

Während ich zum Klang singe

Von jedem Schlag – Schlag – Schlag!

Bis das Metall weich ist wie Butter

Lass meine Schmiede und meinen Blasebalg zischen

Wie das Gelage der Teufel da unten tief– tief – tief!

Wie das Fest der Teufel da unten!

 

»Ich muss gehen«, sagte Hull und lächelte zögerlich. »Es gibt Arbeit für mich.«

»Was macht File?«, fragte Vail.

Hulls Lächeln verblasste augenblicklich. »Er schmiedet ein Schwert!«

Auch Vail war nicht mehr der fröhliche Mensch von vorhin. Über sie beide war ein Schatten gezogen, der Schatten des Imperiums. Draußen in den blauen Hügeln von Ozarky marschierte Joaquin Smith.

 

* * * * *

 

Am Abend beobachtete Hull wie der kupferfarbene Mond auf Vails kupferfarbenem Haar glitzerte, und lehnte sich auf der Bank zurück. Diesmal war es nicht die in der Nähe der Pumpe; dort saßen bereits zwei lachende Paare, und obwohl sie herzlich willkommen geheißen worden wären, zog Hull es vor, allein zu sein. Es war keine Bergscheu mehr, denn seine große, gutmütige Gegenwart hatte im Dorf Ormiston viele Freunde gefunden; es war nur die Projektion der Stimmung, die sich beim Abschied über sie beide gelegt hatte, und so saßen sie jetzt auf der Bank neben dem Tor von Vail Ormiston am Rande der Stadt. Hinter ihnen lag das steinerne Haus im Dunkeln, denn ihr Vater war in der Stadt unterwegs, um Geschäfte für die Konföderation zu erledigen, und die Helfer hatten den Abend der Freiheit genutzt, um sich unter die Menge auf dem Dorfplatz zu mischen. Aber das gelbe Tageslicht der Öllampe zeigte auf der anderen Straßenseite das Haus von Hue Helm, dem Bauern, der Hull aus Norsen nach Ormiston gebracht hatte.

Auf dieses Licht starrte Hull nachdenklich. »Ich kämpfe gerne«, wiederholte er, »aber irgendwie ist die Freude daran verloren gegangen. Es ist, als ob man auf eine herannahende Gewitterwolke wartet.«

»Wie«, fragte Vail mit zaghafter, kleiner Stimme, »kann man Magie bekämpfen?«

»Es gibt keine Magie«, sagte der Junge und wiederholte die Worte des alten Einar. »So etwas gibt es nicht …«

»Hull! Wie kannst du nur so dumme Worte sagen?«

»Ich sage, was mir jemand gesagt hat, der es weiß.«

»Keine Magie«, rief Vail zurück. »Dann sag mir, was die Zauberer des Südens so mächtig macht. Warum hat Jaoquin Smith noch nie eine Schlacht verloren? Was hat den Männern der Memphis-Liga, die gute Kämpfer sind, den Mut genommen? Und was – ich habe es mit eigenen Augen gesehen – treibt die pferdelosen Wagen von N'Orleans durch die Straßen, und was erleuchtet die Stadt bei Nacht? Wenn nicht Magie, was dann?

»Wissen«, sagte Hull. »Das Wissen der Antiken.«

»Das Wissen der Alten war Magie«, sagte das Mädchen. »Jeder weiß, dass die Alten Zauberer, Hexenmeister und Hexenmeisterinnen waren. Wenn Holland, Olin und Martin Sair keine Zauberer sind, was sind sie dann? Wenn die Schwarze Margot keine Hexe ist, dann haben meine Augen nie eine gesehen.«

»Hast du sie gesehen?«, fragte Hull.

»Natürlich alle außer Holland, der ist tot. Vor drei Jahren, während des Friedens von Memphis, reisten mein Vater und ich ins Reich. Ich habe sie alle in N'Orleans gesehen.«

»Und ist sie das, was man über sie sagt?«

»Die Prinzessin?« Vails Augen starrten zu Boden. »Die Männer sagen, sie sei schön.«

»Aber du glaubst nicht?«

»Und wenn sie es ist?«, schnauzte das Mädchen fast trotzig. »Ihre Schönheit ist wie ihre Jugend, wie ihr Leben selbst – künstlich, nach der ihr zustehenden Zeit konserviert, eingefroren. Das ist es – eingefroren durch Zauberei. Und was den Rest von ihr angeht …« Vails Stimme wurde leiser, sie zögerte, denn nicht einmal die einfachen Mädchen aus dem Tal sprachen über solche Dinge mit Männern. »Man sagt, sie hat ein Dutzend Liebhaber überlebt«, flüsterte sie.

Hull war erschrocken, schockiert. »Vail!«, murmelte er.

Sie lenkte das Thema wieder auf den sicheren Boden, aber er sah, wie sie rot wurde. »Sag mir nicht, dass es keine Magie gibt!«, sagte sie scharf.

»Am Ende«, antwortete er, »hält kein Zauber eine Kugel auf, außer Fleisch und Knochen. Ja, und der Zauberer, der eine Kugel mit seinem Schädel aufhält, ist so tot wie ein ehrlicher Mann.«

»Ich hoffe, du hast recht«, hauchte sie zaghaft. »Hull, er muss aufgehalten werden! Er muss!«

»Aber warum bist du so entschlossen, Vail? Ich kämpfe gerne, aber die Menschen sagen, dass das Leben im Reich genauso ist wie das Leben außerhalb, und wen kümmert es schon, wem er seine Steuern zahlt, wenn er nur …« Er brach plötzlich ab, weil er sich erinnerte. »Dein Vater!«, rief er aus. »Der Dorfälteste!«

»Ja, mein Vater, Hull. Wenn Joaquin Smith Ormison einnimmt, ist mein Vater der Leidtragende. Seine Steuern werden wegfallen, sein Land wird aufgeteilt, und er ist alt, Hull … alt. Was wird dann aus ihm? Ich weiß, dass viele so denken wie du, und deshalb kämpfen sie halbherzig, und der Meister nimmt eine Stadt nach der anderen ein, ohne einen einzigen Mann zu töten. Und dann glauben sie, dass der Name Joaquin Smith Magie in sich birgt, und er marschiert durch Armeen, die ihm zehnmal überlegen sind.« Sie hielt inne. »Aber nicht Ormiston!«, rief sie wütend. »Nicht, wenn Frauen Waffen tragen müssen!«

»Nicht Ormiston«, stimmte er sanft zu.

»Du wirst kämpfen, Hull, nicht wahr? Auch wenn du nicht aus Ormiston stammst?«

»Natürlich. Ich habe Bogen und Schwert und eine gute Pistole. Ich werde kämpfen.«

»Aber kein Gewehr? Warte, Hull.« Sie erhob sich und schlich in der Dunkelheit davon.

Im nächsten Moment war sie wieder da. »Hier. Hier sind Gewehr, Horn und Kugel. Weißt du, wie man damit umgeht?«

Er lächelte stolz. »Was ich sehen kann, kann ich auch treffen«, sagte er, »wie jeder Bergmann.«

»Dann«, flüsterte sie mit Feuer in der Stimme, »schick mir eine Kugel durch den Schädel des Meisters. Und noch eine zwischen die Augen der Schwarzen Margot … für mich!«

»Ich kämpfe nicht gegen Frauen«, sagte er.

»Nicht Frau, sondern Hexe!«