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"Das Augenaufschlagen ist die erste Verletzung", hat Ludwig Fels einmal gesagt. Was sind dann "Die Sekunden vor Augenaufschlag"? Sind es die letzten Momente eines Traumes? Einer Schonfrist? Oder einer Lüge, bevor sie auf dem harten Boden der Wahrheit landet? Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Diese Gedichte sind etwas für Leser mit offenen Augen. Störrisch sinnhafte Reizgedichte, flimmernde Schwebestoffe, Nervenstimulanzien, kurz: Gedichte, die man ebenso gut sehen wie lesen kann. Voller Leichtigkeit, intimer Melancholie und hintersinniger Komik – und immer wieder diese Bilder, die einleuchten im wahrsten Sinne des Wortes. "So etwas zu schreiben, so fraglos in seiner Leichtigkeit, ist wahrlich nicht leicht." (FAZ)
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Seitenzahl: 52
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Hellmuth Opitz · Die Sekunden vor Augenaufschlag
„Das Augenaufschlagen ist die erste Verletzung”, hat Ludwig Fels einmal gesagt. Was sind dann „Die Sekunden vor Augenaufschlag”? Sind es die letzten Momente eines Traumes? Einer Schonfrist? Oder einer Lüge, bevor sie auf dem harten Boden der Wahrheit landet? Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Diese Gedichte sind etwas für Leser mit offenen Augen. Störrisch sinnhafte Reizgedichte, flimmernde Schwebestoffe, Nervenstimulanzien, kurz: Gedichte, die man ebenso gut sehen wie lesen kann. Voller Leichtigkeit, intimer Melancholie und hintersinniger Komik – und immer wieder diese Bilder, die einleuchten im wahrsten Sinne des Wortes.
Pressestimmen:
„Die scheinbare Leichtigkeit und Direktheit seiner Gedichte ist kunstvoll hergestellt.” Michael Braun, Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
„Was am meisten für ihn einnimmt, ist die Macht seiner Bildsprache.”
Hellmuth Opitz
Die Sekunden vor Augenaufschlag
Gedichte
Man muß sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet.
Paul Cézanne
Aus diesem Licht könnten Lachse springen
Achtet mir auf die Details, sie sind nicht ohne Wert.
Friedrich II. von Preußen
Winterschlußverlauf
Alles muß raus. Mäntel, Handschuhe, Schneeglöckchen. Mild treibts der späte Januar: verschleudert Autos an Kurven und wattierte Jacken an den meistbietenden Sturm. Von weiter unten, tief aus dem Süden des Übermuts zieht schon das erste Hochdruckgebiet Richtung Mundraum. Doch die Winterware des Herzens bleibt hinter den Zähnen
Nordseewinter
Mitten in meinen Schädel platzte das Meer, befreit aus seinem engen Bett, ausgebrochen aus der Anstalt von Ebbe und Flut, die reine Tollwut schoß über die Promenade und ließ zwei Autos mitgehen. Das Excelsior erhob Einspruch, mit einer einzigen Bewegung seiner Hand schnitt ihm ein Brecher das Wort ab, wischte Tische und Stühle beiseite und rollte und rollte an meine Schläfen. An Schlaf war nicht zu denken. Mein Kopfschmerz hämmerte Dübel in die Dämmerung, um ein Bild aufzuhängen, auf dem ein Irrer tobt und schäumt und den Beton bezweifelt, den man ihm entgegenhält.
Auf einen Wink erhob sich der Wind, sein Komplize, die Steppdecke der Wolken weit von sich wirbelnd fuhr er in die Fahnen. Alle Masten machten einen Knicks vor ihm, als er sich den Himmel unter den Nagel riß, den Mond, der wie ein Scheibchen Zitrone in einem dunklen Drink versank. Sogar die großen Hotels schwankten auf dem Heimweg im Lichtkegel des Leuchtturms. Noch ehe eins von ihnen lang hinschlagen konnte, hatte jemand den Winter angerufen, der kam mit Männern in weißen Kitteln, kalten Umschlägen und Eiszäpfchen. Da ließ es nach. Ein paar Gischtflocken aus Lärm noch, ein letztes Aufbrausen. Dann war die Welt ruhig gestellt.
Am nächsten Morgen durfte ich sie besuchen: Links das Meer, mürrisch vor sich hinmurmelnd, tief versunken in seinem Hospitalismus des Anrollens und Abrollens, daneben die Stadt in ihrer weißen Zwangsjacke, besinnungslos lächelnd
Teestunde mit Schlachtschiffen
In der Lichtwirtschaft schenken sie kurze Klare aus. Wenn ich das sage, meine ich Wintertage mit Himmeln, die dir folgen mit den Augen von Huskies. Tage, eiskalt serviert in beschlagenen Gläsern, die sich nur Kopf in den Nacken hinter die Binde des Horizonts kippen lassen.
Währenddessen ragt vor dir die schneeweiße Wand eines Schlachtschiffes auf. Oder willst du dieses norddeutsch geschnittene stolze Stück etwa anders nennen als die Bismarck aller Sahnetorten? Schau, wie ihr schnittiger Bug die dunkelgrauen Wellen des Nachmittags teilt.
Später, wenn der Frost die Nächte mit einem Vollmond frankiert, um dir seine kältesten Grüße ins Herz zu schicken, wird die See ruhig sein und glatt. Ein Porzellanteller. Kein Wellenkräuseln.
Hamburger Weltmärz
In den letzten Tagen des Winters, da trug die Außenalster noch einen Kragen aus schmutzigem, fast ausgemärzten Schnee und manchmal bildete der Morgennebel eine Milchhaut an ihren Rändern. Es war, als sei die Stadt auf einen ungeheuren Eisberg an Traurigkeit gelaufen. Die Passagiere bewegten sich synchron, erschrockene Schwärme winziger Fische, einsilbig und grau, darunter auch wir in jenen letzten Tagen des Winters. Genau genommen wars weniger ein Rammen, mehr eine Explosion der Traurigkeit, mit einer Druckwelle so stark, daß sie uns durch die Drehtür der vier Jahreszeiten schleuderte. Sofort stürzten Männer herbei und nahmen uns die Mäntel ab und führten uns in eine Lobby oder Lounge. Jedenfalls in einen dieser wunderbaren Räume, die mit L anfangen, weil man in ihnen so gut lungern kann. Wir betraten einen Saal, beinah so groß wie ein Schicksal. Inseln trieben darin aus gedämpftem Licht, Tischchen aus matt poliertem Palisander, zwischen denen flinke Ober hin- und hersummten. Die Luft war erfüllt von leise zirpenden Gesprächen. Doch uns war es gleich.
Schlechte Laune vor reizvoller Landschaft
Nun stemmt sich nach dem Breisgau noch der Schwarzwald ins Zugfenster, das nächste Landschaftsflittchen wölbt seine Schönheiten vor, übersät von Tannen, Luftkurorten und diesen herrgottsgeschnitzten Häusern, die wie Kuckucksuhren an den Hängen kleben. Wieviel Gegend dieser Sonntag aufbietet, mich milde zu stimmen! Doch nichts hilft. Nicht die idiotisch bunten Trikots der Radler, die an allen Straßenrändern blühen, nicht die Herzschrittmacher, die emsig die Wanderwege hinauftickern, nicht die Apfelplantagen, die Sägewerke und Seen. Ja, nicht einmal die Kellnerin, die gerade Kaffee serviert und mir mit den Augen ein Lächeln zusteckt, mir und dem Japaner
Wach werden in Wismar
Durch das dicke Futter
des Schlafs
tasten sich die ersten
Vogelstimmen
zarte Spritzer
auf der noch durchsichtigen
Schallfolie
des Morgens
von fern stottert ein Moped
seine Liebeserklärung
an die verschwiegene
schüchterne Luft
dann zwitschern schon
die Handys
aus den weit verzweigten
Hotelfluren
gedämpft von
knöcheltiefen Teppichen
und nur Sekunden spär
kurz nach Augenaufgang
fliegt ein Pärchen
Kampfjets
quer durchs Blickfeld
Richtung Ostsee
lötet Schweißnähte
in den Himmel
fertig die Hitzeglocke
die uns dröhnend
zum Frühstück läutet.
Ultra Marin
Ein Tag im Mai am Meer. Ein Mai im Meer am Tag.