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Das Selbst ist mehr als die Vernunft und sein Ich. Dem eigenen Leben, mit all seinen Tiefen und Leiden zu vertrauen lernen, liegt in der kunstlosen Kunst der Selbst-Erkenntnis. Die philosophischen Märchen verdeutlichen an Geschichten und Gedanken, dass die Höhen und Tiefen des Daseins, das Leben oft überraschen und zeigen damit, dass etwas in den Fokus gerückt wird, das mehr ist als seine Vernunft und das Ich. Dies ist mit der Aufgabe verbunden, sich dem Leben zu stellen, nichts zu verdrängen und bloß abzulehnen, sondern dem Leben, so wie es ist, auf individuelle Weise zu vertrauen und ihm seinen Lauf zu lassen. So erfordern die Situationen Selbsterkenntnis und eine schöpferische Lösung. Man muss schon die Abgründe lieben, um sie zu gestalten und daraus Neues zu schaffen, denn Entscheidungen zu fällen, wird einem nicht genommen. Meine Entscheidung ist mein selbstbestimmtes Leben, aber es ist meine Entscheidung. Nur wer sein Ziel verliert, verliert seinen Weg. Wem das Ziel der Weg ist, weiß, was zu tun ist, denn er lebt mehr, als die Vernunft ihm vorgibt. "Es war schon sinnvoll, eine kunstlose Kunst zu erlernen, denn nicht sein Ich steuerte das Leben, sondern das Leben selbst und er lernte diesem, seinem Leben zu vertrauen." (zitiert aus dem vorliegenden philosophischen Märchen "Das Loch")
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2023
Märchen und Philosophie haben beide etwas mit der Suche nach der Wahrheit zu tun. Wo liegt sie, diese Wahrheit? Die vorliegenden Märchen oder Geschichten, versuchen dieser Frage auf den Grund zu gehen. Ob „Der Mann und das Huhn“ oder „Hermine, die Geizige“, sie suchen ihre Wahrheit und möchten sie festhalten. Das Bild des perfekten Menschen liegt allen Geschichten zugrunde. Leider sind das Bilder, von denen sicherlich auch der Leser nicht loslassen kann. Deshalb ist Lesen ein Abenteuer mit sich auf der Suche nach sich selbst, was hier auch mit Arbeit an sich verbunden sein sollte. Wo finde ich meine Wahrheit oder besser, meinen Berg, wie in der Geschichte vom Parnass? Bloße Identifikationen oder Ablehnungen sind da unzureichend.
Liesel Solscheid, studierte zunächst Betriebswirtschaft und Verwaltungswirtschaft (Abschluss Diplom) und dann Philosophie in Köln; Ausbildung zur Psychotherapeutin nach dem HPG; sie lebt zurückgezogen in der Nähe von Köln/Bonn um sich ganz der schreibenden Selbsterkenntnis zu widmen.
Liesel Solscheid
Die Stimme im Leuchtturm
und
andere philosophische Märchen
Für Erwachsene
© 2023 Liesel Solscheid
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, DeutschlandDas Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Vorwort zu den philosophischen Märchen
Die Stimme im Leuchtturm
Der Weg zum Gipfel des Parnass
Ein Besuch im Himmel
Der Mann und das Huhn
Das stumme Kätzchen
Das Loch
Der Wissenschaftler und der Taugenichts
Das kleine Ich und der Ballon
Ein Gespräch zwischen Seele und Körper
Mathilde und die weisen Kittel
Die Geburt der Eitelkeit
Der Einsiedler
Die Schneekönigin und der Edelstein
Die Liebe und der Mord
Die Näherin
Der Wetterhahn
Das Geheimnis der Lehre
Der Bettler
Lisa mit dem roten Haar
Der Andere
Hermine die Geizige
Der Mann, der keine Ziele hatte
Der Geistmacher vom Berg
Nadines Püppchen
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Vorwort zu den philosophischen Märchen
Nadines Püppchen
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Vorwort zu den philosophischen Märchen
Was hat Philosophie mit Märchen zu tun?
Philosophie heißt Mut und Autonomie zum selber denken und handeln, was aber meist auf ein bestimmtes geistiges Ziel, dem höchsten menschlichen inneren Gut, hin ausgerichtet ist. So z.B. der Mut zum Selbst sein oder auch zur Selbst-Erkenntnis. „Erkenne dich selbst“, stand einst über dem Orakel zu Delphi, als die Aufforderung an den Menschen, sich nicht in Worte und bloße Äußerlichkeiten zu verlieren, sondern die eigene Grundhaltung, die seine Lebensführung, das heißt, sein Tun und Lassen, im Innersten bestimmt, sorgfältig zu überprüfen. Nicht die Konformität nach außen mit irgendwelchen Normen und Regeln zählt, sondern allein die innere Grundhaltung, die eigene geistige Gerichtetheit auf ein höheres Ziel ist es, die das eigene Handeln leitet. Nicht die sichtbare Tat hat Gewicht, sondern das den Blicken entzogene Wollen und die Intention, die einen dazu bewegen „Gutes“ oder „Böses“ zu tun. Aber auf wen ist der Mensch in seiner Lebensführung als ein höheres Ziel ausgerichtet? Ein Ziel, das keiner gesellschaftlichen Vorgabe oder Konvention unterliegt. Es liegt im Menschen selbst und es ist seine Aufgabe dieses Selbst, sein höchstes Gut, zu erkennen und sich danach zu richten. Es ist seine Aufgabe sich selbst, eigenständig und allein, in die richtige Richtung zu bringen.
„Erkenne dich selbst“ war die Grundmaxime der antiken Philosophie.
In meinen vorliegenden philosophischen Märchen ist die Selbsterkenntnis ebenfalls die Grundmaxime.
Ein Märchen ist eine kurze Geschichte, eine Erzählung, in der Dinge passieren, die es im wirklichen Leben so nicht gibt. Oder doch? Und wenn ja, was habe ich damit zu tun? Märchen erzählen von Scheinwelten, von ausgedachten Fiktionen, von Gut und Böse oder auch jenseits von Gut und Böse. In welcher Welt aber lebt der Mensch? Märchen können der Selbsterkenntnis einen Anfang oder auch eine Richtung geben. Sie können einen auf den Weg bringen und begleiten. Manchmal muss es ein Märchen sein, das mich zu mir selbst führt. Diese Märchen hier erzählen aus dem Innenleben. Ist denn nicht alles ein Märchen?
Was der Leser bei Philosophie beachten sollte, ist, dass man selbst denken muss. Und bei so manchen Geschichten in diesem Buch ist das Denken sehr hilfreich. Man möge der Autorin bei Unverständnis nicht einen unverständlichen Stil vorwerfen, denn niemand käme auf die Idee, den Philosophen Kant oder Heidegger, ihren unverständlichen Stil vorzuhalten. Jeder hat seinen eigenen Stil und so hat die Autorin auch ihren ganz individuellen Stil (mit „Fehlern“), wenn sie authentisch bleiben will. Authentisch zu sein, ist eine Voraussetzung für Philosophie. So muss man auch zu all seinen „Fehlern“ stehen. Eine Perfektion gibt es nicht; nur in den Köpfen mancher Dogmatiker. In der Natur gibt es keine Fehler und nichts Falsches. Die Natur ist perfekt, so wie sie ist. Fehler macht nur der menschliche Verstand, der damit auch die Vor-Urteile schafft. Jeder hat Vorurteile, die Kinder lernen sie schon in der Schule, aber mit zunehmendem Alter, sollte man wissen, dass man sie hat. Das Wissen darum nimmt ihnen ihre Macht über das Ich. Man muss sich selbst und seinem Körper glauben, alles andere ist falsch und Lüge. Dichter dürfen lügen, so die Masse, denn viele, hochgelobte, Geschichten sind Lügen, aber Fehler machen dürfen sie nicht. Ist das nicht der Kanon der „Dicht“-Kunst? Alles Gedichtete muss wohl in einem vorgegebenen Rahmen bleiben. Was ist das für eine Dichtung? Die Fehler, die der Autor hier bewusst nicht korrigiert, sind ein Hinweis auf die Notwendigkeit, die eigene Geborgenheit und Zufriedenheit nicht in der Perfektion oder der Fehler der Anderen, zu suchen. Die Akzeptanz dessen, nicht perfekt zu sein und keine Perfektion zu fordern, führt zur Demut. Die Autorin schreibt, wie sie lebt, im Fluss.
Das Verstehen ist eine Frage der Zeit und Schulung des eigenen Denkens. Verstehen ist, wie die Entwicklung der Persönlichkeit, ein Prozess. Entweder man lässt sich darauf ein oder man lässt es. So ist es auch in der Philosophie. Es gibt jedoch keine Selbsterkenntnis ohne das Verstehen, denn aus der Selbst-Erkenntnis entwickelt sich das Verstehen und die damit verbundene Erkenntnis, was man überhaupt verstehen kann und was nicht. Beide gehören zusammen. Aber es gibt nie EIN Verstehen. So viele Persönlichkeiten es gibt, so viel unterschiedliche Weisen des Verstehens gibt es, d.h. jeder versteht anders. Deshalb verstehen sich die Menschen oft gar nicht. Wirkliches Verstehen beginnt da, wo Vorurteile und Meinungen aufhören und nicht, wo sie bestätigt werden.
Die Autorin möchte nicht abschweifen, denn warum es hier in den Märchen/ Geschichten geht, kann man gar nicht verstehen ohne Selbst-Erkenntnis. Solange man nicht versteht, bleiben es Märchen, wie die „Stimme im Leuchtturm“. Aber das Verstehen kann beginnen wie in einem Märchen, mit: „Es war einmal……, da ging mir ein Licht
auf.“
Es sollte noch darauf hingewiesen werden, dass das Ziel des Selbst ist, Dinge zu nehmen wie sie sind ohne, dass vorgefertigte Meinungen einen Einfluss auf sie haben, darum werden in ihren Büchern auch keine Korrekturen, von anderen Personen (Menschen sind immer auch subjektiv), vorgenommen (das gehört zur Aufgabe der Autorin; jeder Mensch hat eine Aufgabe und dafür ist es erforderlich, Regeln zu brechen und das „schwarze Schaf“ zu sein). Regeln verursachen Vorurteile und die Haltung der Autorin möchte darauf hinweisen. Sie hat ihr Möglichstes getan, die Technik bietet heute schon viele Möglichkeiten, „Fehler“ zu vermeiden, aber „Fehler“ passieren eben immer und gehören zum Leben, besonders, wenn der Mensch im „Fluss“ lebt. Nachahmungen sind nicht möglich, will jeder er selbst sein. Das Leben bleibt ein Abenteuer. Werde, der/die du bist und lerne deinem, ganz individuellen Leben, zu vertrauen.
Shri (ohne Ort und Zeit)
Die Stimme im Leuchtturm
Clarissa und ihr Mann Santimo waren in ein Dorf nahe der Küste gezogen. Als sie abends im Bett lagen, hörte Clarissa eine wunderschöne Frauenstimme in einer ihr unbekannten Sprache singen. Die Melodie und die Stimme waren so schön und beglückend, so etwas hatte sie noch nie gehört und erlebt. Sie sprach Santimo an: „Santimo schläfst du schon? Hörst du diese schöne Stimme?“ „Ja“, antwortete er, „es wird der Gesang des Leuchtturms sein“. „Des Leuchtturms?“, fragte Clarissa entsetzt. „Ja, man erzählt sich hier, der Leuchtturm würde zu unregelmäßigen Zeiten zur Paarung aufrufen, indem diese Frauenstimme singt.“ „Und wer ist diese Frau?“, fragte sie. „Das weiß niemand. Sie soll seit Jahrhunderten schon die Menschen zusammenbringen, die sich in ihrer Liebe verirrt haben und beabsichtigten andere Wege zu gehen als den mit den gewählten Partnern. Sie kommen dann als letzte Rettung hierhin, hören den Gesang und sind wieder vereint. Ihre Liebe blüht dann wieder auf, so heißt es hier. Es ist ein richtiger Wallfahrtsort für gebrochene Herzen geworden", erzählte ihr Santimo. „Welche Sprache ist das denn, was singt sie denn?“
„Das weiß niemand. Den wahren Text kennt keiner. Er ist den Menschen seit ewigen Zeiten ein Geheimnis.“
„Aber wie soll das denn gehen? Nur durch diese Stimme und die Melodie werden doch keine Herzen vereint, die zerrüttet sind“, sagte Clarissa erstaunt.
„Es ist der magische Gesang der Liebe, so heißt es hier“, antwortete er. „Die ältere Dame von Nebenan hat es mir gestern erzählt, als du einkaufen warst.“
„Kann man denn eine Liebe heilen, wenn sie zerstört ist?“, fragte Clarissa. „Ich habe immer gedacht, wenn es nicht mehr geht, wenn man sich nicht mehr anziehend findet, ist es besser sich zu trennen. Dann hat man den Mann oder die Frau seiner Bestimmung noch nicht gefunden. Ich denke, das kommt vielfach vor. Da wird die Frau im Leuchtturm ja oft singen müssen. Ich weiß von vielen Paaren, dass sie nachts von anderen Partnern träumen als denen, die sie gerade haben. Die müssten ja dann irgendwann alle hier erscheinen. Zum anderen müssten alle hier im Dorf eine glückliche Beziehung haben.“ Das alles konnte Clarissa sich nicht vorstellen. „Ich will morgen die Nachbarin fragen“, meinte sie.
Am nächsten Tag suchte sie auch sogleich die alte Dame auf und befragte sie, wie es denn mit den Beziehungen im Dorf aussehen würde. „Die Stimme hört nicht jeder“, sagte sie. „Die meisten im Dorf hören sie nicht. Sie schämen sich deswegen und geben es nicht zu, aber sie hören sie nicht. Ich habe es selbst oft getestet, indem ich fragte, ob sie gestern die Stimme gehört haben und sie sagten ja, aber sie war gar nicht da. Im Dorf ist Unklarheit über die Stimme, die meisten wollen nicht darüber reden, weil sie sie nicht hören. Die Menschen, die die Stimme hören, sind wachsam für die Liebe, aber nicht für das, was der allgemeine Mensch als Liebe bezeichnet, sondern für die reine, die ewige Liebe. Das ist etwas ganz anderes. Sie schauen die ewige Liebe in der Stimme des Leuchtturms. Die meisten Menschen brauchen sich nur, die ewige Liebe braucht aber nicht.“ „Wie ist es mit den Paaren, die die Stimme gehört haben, waren die wirklich wieder vereint?“, fragte Clarissa beeindruckt.
„Es müssen beide die Stimme hören. Wenn sie nur einer hört, reicht das nicht für lange Zeit aus. Sie werden über kurz oder lang vor dem gleichen Problem stehen. Mein Mann ist auch weg. Er hat die Stimme nie gehört. Als wir hierherzogen und ich die Stimme zum ersten Mal hörte, war ich wie du, ich darf doch du zu dir sagen? Ich wollte alles darüber wissen. Mein Mann half mir auch. Wir waren jung verliebt. Ob er sie hörte, konnte ich zunächst nicht erfahren. Ich hörte sie oft nachts, wenn er tief und fest schlief. Als er dann ging, er hatte eine andere Frau gefunden, sagte er mir, die Stimme habe ihn nie interessiert, er habe sich nur meinetwegen so bemüht. Jetzt bin ich mit einem Mann befreundet, der hört die Stimme, das weiß ich genau. Er kommt immer am Wochenende, dann kannst du ihn kennenlernen. Ich denke, die Stimme zu hören, ist ein gutes Zeichen für die ewige Liebe, die nur jeder in sich selbst spüren kann. Wenn beide die Stimme nicht hören, mag dies auch gut sein, dann brauchen sie oder trennen sich. Aber wenn einer die Stimme hört und der andere nicht, möchte einer an der ewigen Liebe festhalten und der andere braucht etwas anderes. Die ewige Liebe macht ihn nicht satt.
Auch sie werden sich trennen, weil er die Veränderung des Partners nicht ertragen kann.“ Die alte Dame wusste wohl sehr viel über das Leben und die Liebe und insbesondere von der Stimme.
„Aber dann sind die Menschen ja doch füreinander bestimmt“, meinte Clarissa. „In gewisser Weise schon. Sie dürfen sich aber nicht zerstören, dann ist die Bestimmung verloren. Dies bedeutet, sie dürfen sich nicht brauchen. Sobald sie sich brauchen, hören sie die Stimme der ewigen Liebe nicht mehr.“
„Warum kommen die Menschen nicht zu ihnen und holen bei ihnen Rat?“, wollte Clarissa wissen.
Die Dame meinte: „Ich kann sie das Hören der Stimme nicht lehren. Das kann nur die Stimme im Leuchtturm.“
„Warum ist die Stimme wohl in einem Leuchtturm?“, fragte sie weiterhin.
„Der Leuchtturm ist eine Warnung vor gefährlichen Untiefen, in die der Mensch, der liebt, geraten kann. Der Turm warnt den Menschen, das ewige Ziel, das er ansteuert, nicht zu verlassen.“ Clarissa fand die alte Dame spannender als die Stimme selbst. Was sie alles wusste und wie selbstverständlich das alles für sie war.
Sie meinte weiter: „Wie im Leben sind wir auch in der Liebe nur ein Werkzeug, mit dem wir die Aufgabe der ewigen Liebe zu erfüllen haben. Liebe ist ebenso wenig ein Selbstzweck wie alles andere, was wir als Werkzeug verrichten.“
Clarissa fragte die alte Dame, warum so viele Menschen nachts von anderen Partnern träumen.
Die Dame antwortete: „Wenn sie das nachts noch träumen, haben sie die ewige Liebe in sich noch nicht erfahren, sie brauchen sich noch. Sie sollten, wenn es ihnen möglich ist, noch mehrmals die Stimme im Leuchtturm hören, um davon befreit zu werden.“
„Aber wird denn das Hören der Stimme reichen?“, fragte Clarissa entsetzt. „Wenn das nicht reicht, haben sie die Stimme nicht gehört“, sagte sie kurz und bündig und Clarissa hatte auch das Gefühl, dass sie jetzt nicht näher in sie eindringen konnte. Sie hatte schon genügend gesagt. Aber sie wollte mehr über das Geheimnis der Stimme im Leuchtturm wissen. Als sie sich von der Dame verabschiedete, sagte diese noch:
„Versuche nicht, die Menschen auf die Stimme hinzulenken oder gar sie zu testen. Das verleitet sie nicht, die Wahrheit zu sagen und zu leben, was sie nicht sind. Ich habe es aufgehört danach zu fragen, um ihnen diese Verlegenheit zu ersparen und in eine falsche Richtung zu lenken. Mein Freund war vor vielen Jahren, der letzte, den ich fragte und es tut mir heute leid. Es war ein Zeichen, dass ich noch einen Gleichgesinnten suchte. Heute weiß ich, dass die ewige Liebe nicht sucht, sondern gibt. Ebenso, wie die Stimme im Turm nicht die Menschen ersucht zu finden, was sie nicht haben, sondern den Menschen gibt, was sie schon haben.“
Sie ging sofort nach Hause und fragte Santimo, ob er gestern Abend auch die Stimme gehört habe. Er meinte ja sicher, das wisse sie doch, sie habe ihn doch gefragt, was das für eine Stimme sei und er habe ihr gesagt, was er von der Nachbarin wusste. Daraufhin erzählte sie ihm alles, was sie von der Nachbarin erfahren hatte und dass sie noch mehr wissen wollte.
Sie fragte sich jetzt nur noch, wieso die alte Dame Santimo von der Stimme im Leuchtturm erzählt hatte. Sie fragte ihn, was er gesagt habe, dass sie ihm, dass er erzählt hat. Er habe nichts gesagt, meinte er. Sie habe gefragt, ob wir wegen der Stimme im Leuchtturm hier seien und da habe er danach gefragt, was das für eine Stimme sei. Die nächsten Tage konzentrierte sie sich sehr darauf, festzustellen, was es wohl in ihr selbst mit der Stimme im Leuchtturm auf sich habe, was denn wohl das Hören der Stimme zu bedeuten habe und wie es sich auswirkt auf die Liebe. Sie sprach mit Santimo nicht mehr darüber. Sie wollte es bei dem Gesagten belassen und weiteres nur für sich feststellen. Außer mit der alten Dame wollte sie mit niemandem darüber reden. Es schien etwas zu geheimnisvolles zu sein, dass man sich durch zu viel Reden nur zerstören können, wie ein Feuer, dass man in sich löscht, obwohl man besser daran täte, es zunächst auf kleiner Falle lodern zu lassen und sich an der kleinen Flamme erfreut.
So fragte sie sich, ob sie Santiomo wirklich so bedingungslos und selbstlos liebt. An manchen Tagen zweifelt sie ihre Liebe zu ihm an, aber vielleicht ist es auch nicht die Liebe, sondern nur die Ansicht über ihn. Sie sieht ihn dann negativ.
Liebt man nicht, wenn man den anderen kritisiert und sich lieber zurückzieht?
Man kritisiert ja nur, wenn man etwas anderes haben will, wenn man also etwas braucht und wenn man den anderen braucht, hat das nichts mit Liebe zu tun, so hatte die alte Dame gesagt. Die meisten Menschen brauchen sich, lieben sich aber nicht, deshalb hören auch die wenigstens die Stimme im Leuchtturm.
Es war jetzt 2 Wochen her, dass sie die alte Dame gesehen und gesprochen hatte.