Die Täuschung - Norbert Lüdecke - E-Book

Die Täuschung E-Book

Norbert Lüdecke

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Beschreibung

Schluss mit der (Selbst)-Täuschung der katholischen Laien! Wie kann es sein, dass die katholische Kirche in einer Zeit von Missbrauchsskandalen und massenhaften Kirchenaustritten so wenig Reformwillen zeigt? Der Kirchenrechtler und Theologe Norbert Lüdecke deckt mit seiner scharfen Analyse auf, dass die deutschen Bischöfe ihre ganz eigene Art der Krisenbewältigung perfektioniert haben. Ihr Ziel ist es offensichtlich, echte Kirchenreformen zu verhindern. Doch warum lassen sich die Katholiken darauf ein? - Gesprächsangebote als Beruhigungspille: Warum runde Tische nichts bewirken - Der Synodale Weg: Warum Laien mitreden, aber nicht mitentscheiden dürfen - Die Folgen der Würzburger Synode und der Reformstau der Kirche - Kirchenhierarchie als Reform-Verhinderer: Was sich jetzt ändern muss - Die Macht der Basis? Warum es immer noch zu wenig Gegenwind gibtWas muss jetzt geschehen, damit die katholische Kirche eine Zukunft hat? Priesterzölibat, Frauenrechte, und Geschiedene, die wieder heiraten möchten: Nicht erst seit der Aufdeckung der Missbrauchsskandale wenden die deutschen Bischöfe eine Hinhaltetaktik an. Wenn es zu bedrohlichen Situationen kommt, wecken sie mit Gesprächsangeboten Hoffnung. Das Laienengagement des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und der Synodale Weg sind zwei Beispiele dafür. Der zeitgeschichtlich und kirchenrechtlich informierte Blick des profilierten Bonner Professors Norbert Lüdecke zeigt, dass das zwar Druck aus dem innerkirchlichen Kessel nimmt. Aber es verändert nichts an den hierarchischen Strukturen, die dringend benötigte Kirchenreformen blockieren statt befördern. Sein Buch ist ein Aufruf an alle Katholiken, aktiv zu werden für eine Kirche, die wieder Zukunft hat!

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Seitenzahl: 478

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Inhaltsverzeichnis

[Titelinformationen]

[Impressum]

[Menü]

Und täglich grüßt der „Dialog“

1952: Hierarchische Einhegung des Laienengagements: die Gründung des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“

1972–1975: Druckablass und Beruhigung: die Würzburger Synode

2011–2015: Schön, darüber gesprochen zu haben: der Gesprächsprozess der deutschen Bischöfe

Seit 2020: Lasst sie doch (wieder) reden …: der Synodale Weg

Warum? Sehschwäche und Regression – Geduld und Komplizenschaft

Schluss? Letzte Ausfahrt „Trotzdem!“

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkungen

Quellen

Literatur

[Informationen zum Buch]

[Informationen zum Autor]

Guide

Cover

Titelseite

Inhalt

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.

© 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt)

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4353-6

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Impressum

Inhalt

Und täglich grüßt der „Dialog“

1952Hierarchische Einhegung des Laienengagements: die Gründung des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“

1972–1975Druckablass und Beruhigung: die Würzburger Synode

2011–2015Schön, darüber gesprochen zu haben: der Gesprächsprozess der deutschen Bischöfe

Seit 2020Lasst sie doch (wieder) reden …: der Synodale Weg

Warum?Sehschwäche und Regression – Geduld und Komplizenschaft

Schluss?Letzte Ausfahrt „Trotzdem!“

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkungen

Quellen

Literatur

Abb. 1: Filmplakat zum US-amerikanischen Komödienklassiker von 1993 „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (Originaltitel: „Groundhog Day“). (© Columbia Pictures)

Und täglich grüßt der „Dialog“1

Er ist ein Komödienklassiker, der Film Und täglich grüßt das Murmeltier von 1993: Der arrogante, egozentrische und zynische Protagonist sitzt in einer Zeitschleife fest. Er muss ein und denselben Tag immer wieder erleben, allmorgendlich beginnend mit demselben Radiosong. Was derzeit in der katholischen Kirche in Deutschland unter dem Label „Synodaler Weg“ firmiert, erscheint bei näherem Hinsehen und im zeitgeschichtlichen Kontext durchaus als eine ähnliche Zeitschleifenfixierung: Nur vermeintlich neu grüßt katholische Laien der „Dialog“, wenn die Kirche wieder einmal in einer Krise steckt.

Das ständehierarchisch organisierte römisch-katholische Religionssystem2 erweist sich auch hierzulande in aller Regel als beeindruckend stabil. Anders als in Kasten- oder Klassensystemen drängen untere Positionen nicht konsequent nach oben.3 Ein Grund dafür sind sicher Legitimationsmetaphern wie die vom „Leib Christi“, von „Hirt und Herde“ oder von der „Familie Gottes“, die den grundsätzlichen Positionsunterschied zwischen Klerikern und Laien immer noch erfolgreich als gottgewollt und katholisch identitätsbildend vermitteln. Es mag aber auch daran liegen, dass die katholischen Hierarchen in Deutschland jedes Mal, wenn es sporadisch doch zu brenzligen, von ihnen als systembedrohlich empfundenen Situationen kommt, zusammen mit willigen Laienhelfern ein geschicktes Handlungsskript zur Beruhigung der Lage abrufen. Solche Situationen gab es im Vorfeld der Gründung des heutigen Zentralkomitees der deutschen Katholiken 1952, im Nachgang zum berühmt-berüchtigten Katholikentag von 1968 in Gestalt der „Würzburger Synode“ (1972–1975), im Skandaljahr 2010 nach der Aufdeckung der Missbrauchsfälle im Berliner Canisius-Kolleg und auch wieder 2018 nach der Vorstellung der sogenannten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Kleriker in den deutschen Diözesen. Wer diese Stationen mit ihren zeitgeschichtlichen O-Tönen abruft, erkennt schnell ein vertrautes, vielleicht zeitgemäß neu arrangiertes, aber doch immer gleiches Lied.

Als die deutschen Bischöfe im Nachkriegsdeutschland die Chance zu einer Rechristianisierung oder besser -katholisierung von Gesellschaft und Staat sahen, wussten sie: Sie brauchten dazu die Laien als politischen Arm. Eine entsprechende Rolle hatten diese schon seit dem 19. Jahrhundert in Gestalt eines breit entfalteten katholischen Verbandswesens in treuer Anhänglichkeit an die kirchliche Obrigkeit ausgefüllt. Dass sie im Laufe der Zeit an organisatorischer Stärke und mit Erfolgen in ihrem Kampf für die Rechte der Kirche auch an Selbstbewusstsein gewannen, rief allerdings den Argwohn der Bischöfe hervor. Und als nach dem Krieg bestimmte, auch politische Kreise an diese Tradition des Katholizismus anknüpfen wollten, setzten die Bischöfe entschlossen auf eine enge kirchliche Anbindung aller Laienaktivitäten. Streben nach Kontrolle, Angst vor Konkurrenz und das ständige Schreckgespenst einer Parlamentarisierung der Kirche und damit einer Bedrohung der Kirchenstruktur und vor allem der Position der Bischöfe ließen sie ein Konzept durchsetzen, das der politisch hochbegabte und umtriebige Kölner Prälat Wilhelm Böhler entworfen hatte: 1952 mündete das bischöfliche Bemühen um eine Domestizierung des Laien-Engagements in die Gründung des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“ (ZdK). Dieses Organ, das aus engagierten Laien aus kirchlichen Gremien, Verbänden und dem öffentlichen Leben sowie aus Klerikern bestand, sollte nach innen die Laienaktivitäten koordinieren und nach außen als „pressure group“ in den vorparlamentarischen politischen Raum fungieren. Um die engagierten Laien nicht zu verprellen, sollte die Anbindung an die Bischöfe diskret erfolgen: Die Laien sollten das Gefühl haben, mit und in diesem Gremium zu führen und selbstständig zu handeln, ohne es tatsächlich zu sein. Statuarische Vorkehrungen wie die Verankerung von Klerikerpositionen, die den Einfluss und die Information der Bischöfe sicherten, sowie personelle und finanzielle Abhängigkeiten garantierten, dass auch bei langer Leine die bischöfliche Führung effektiv gewahrt blieb. Mit einem katholisch formatierten Dialogverständnis und einem ständehierarchisch durchwirkten Verständnis von Gemeinsamkeit sollten Engagement und Kooperationsbereitschaft der Laien erhalten werden. Mit dieser Einhegung des Laienapostolats gehört die Simulation von Partizipation zur DNA des ZdK.

1972–1975 reagierten die deutschen Bischöfe mit der Einberufung der Würzburger Synode auf die nächste heikle Situation: Auf dem II. Vatikanischen Konzil (1962–1965) durfte über die Frage der erlaubten Methoden zur Empfängnisverhütung nicht diskutiert werden, weil diese einer Entscheidung des Papstes vorbehalten blieb. Die ließ nachkonziliar allerdings auf sich warten, wodurch sich im deutschen Katholizismus ein immer stärkerer Druck aus Hoffnungen und Befürchtungen aufbaute. Ohnehin angeregt durch die allgemeine Reformerwartung nach dem Konzil, hofften viele Katholiken, das bisherige Verhütungsverbot könnte aufgehoben werden, zumal die Ergebnisse einer Kommission zur Beratung des Papstes in dieser Frage mehrheitlich in diese Richtung zeigten. Je länger die päpstliche Entscheidung auf sich warten ließ, desto mehr wuchs allerdings auch die Befürchtung, der Papst könne auf der traditionellen Lehre beharren. Überdruck und Explosionsgefahr im Kirchenkessel drohten, als 1968 die „Pillen-Enzyklika“ Papst Pauls VI. mit ihrer Einschärfung des Verbots jeder künstlichen Empfängnisverhütung den schlimmsten Befürchtungen entsprechend alle diesbezüglichen Hoffnungen zerstörte. Ein so noch nie dagewesener Protest und Aufstand gegen die als autoritär und übergriffig empfundene Hierarchie war die Folge und fand seinen exemplarischen Ausdruck 1968 auf dem Essener Katholikentag. Die Bischöfe nahmen damals realistisch wahr, mit bloßer Papsttreue und nur formal begründeter Einforderung von Gefolgschaft riskierten sie völligen Kontrollverlust und Dauerschaden an ihrer Autorität. Was sie brauchten, war eine kontrollierte und dauerhafte Druckabsenkung. Dazu öffneten sie mehrere Ventile: Akut ließen sie auf dem Katholikentag 1968 der spontanen Erregung und dem Diskussionsbedarf freien Lauf. Bereits zuvor hatten sie schon Druck durch ihre schnell präsentierte „Königsteiner Erklärung“ entweichen lassen: In dieser ließen sich die Bischöfe so verstehen, als sei die eigene Gewissensentscheidung der Gläubigen bei der Wahl der Verhütungsmethode mit der Vorgabe des Papstes vereinbar; deutsche Katholiken wähnten deshalb die Bischöfe auf ihrer Seite. Erst später mussten sie realisieren, dass dies ein Missverständnis war.

Das entscheidende Ventil zu einer längerfristigen Befriedung war ein anderes: Schon im Umfeld des Essener Katholikentages hatte der Vorsitzende der Bischofskonferenz zusammen mit ZdK-Führungspersonen die Idee einer deutschlandweiten Synode, also eines Beratungsvorgangs, geboren und in schneller und konzertierter Vorbereitung verwirklicht. Sinn und Zweck der sogenannten Würzburger Synode (1972–1975) war, im Kontext von Demokratisierungsforderungen, die aus der Gesellschaft in die Kirche hinüberzuschwappen drohten, ein Format zu präsentieren, das Katholiken ein Aussprache- und Mitwirkungsforum bot, ohne jedoch die Autorität der Bischöfe anzutasten. Diese wollten sie ungeschmälert behalten, aber „dialogisch“ ausüben. Verwirklicht wurde das durch ein Statut, das die Synode zu einem Entscheidungsorgan machte und demokratieähnliche Mitbestimmung suggerierte, aber zugleich sehr geschickt dafür sorgte, dass die Kontrolle über Ablauf, Themen und Entscheidungen bei den Bischöfen blieb. Die Rechnung der Bischöfe und des willig kooperierenden ZdK ging auf und sorgte trotz des nicht behobenen Reformbedarfs für eine ambivalente Ruhe, die einerseits auf der Zufriedenheit derer beruhte, denen eine Aussprache vor und mit Bischöfen genügte, und andererseits auf der Erschöpfung und Enttäuschung derjenigen, die zu spät erkannten, dass sie sich über Jahre in einer Partizipationsattrappe engagiert hatten, die mit Demokratie nichts zu tun hatte und dies nach amtskirchlicher Überzeugung auch niemals haben durfte.

In dieser trügerischen Ruhe baute sich anschließend in einem längeren Prozess von zwei Seiten erneuter Druck auf. Zunächst hielt das ZdK über längere Zeit nicht zuletzt durch Ausgrenzung des Linkskatholizismus und der bleibenden heißen Eisen wie Priesterzölibat, Frauenrechte, Laienmitbestimmung und wiederverheiratete Geschiedene noch eine Konsensfassade aufrecht. Je mehr Katholiken sich allerdings politisch nicht mehr nur durch die Union vertreten sahen, in der das ZdK maßgeblich verankert blieb, und je deutlicher sich die klassischen, weil unbewältigten innerkirchlichen heißen Themen zurückmeldeten, desto weniger konnte sich das ZdK auf Dauer dem Veränderungsdruck entziehen. Es öffnete sich seit Ende der 1980er-Jahre nicht nur für die SPD wie später auch für die Grünen, sondern integrierte auch früher ausgegrenzte Reformanliegen.

Auf der anderen Seite setzte ein Restaurierungsprozess von oben ein. Die Würzburger Befriedung hatte Zeit und Raum für eine Neuetablierung der kirchlichen Autorität geschaffen, die sich nie aufgegeben, sondern nur zeitweilig machtopportunistisch zurückgenommen hatte. Das änderte sich entschieden, als im Konklave von 1978 ein Mann an die höchste (Voll-)Macht in der Kirche kam, der von Anfang an keinen Zweifel daran ließ, wer der Herr im katholischen Haus zu sein hatte. Zusammen mit seinem kongenialen Glaubenswächter Kardinal Ratzinger baute Papst Johannes Paul II. die autoritative Infrastruktur der katholischen Kirche durch das neue weltweite Kirchengesetzbuch, den Codex Iuris Canonici von 1983, maßgeblich wieder aus. Auf der doktrinellen Ebene schärfte er sensible Lehren wie die der Enzyklika „Humanae Vitae“ neu ein und verschärfte die Lehre von der Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen durch ihr formales Upgrade zu einer unfehlbaren Lehre. Widerspruch aus der Theologie stieß auf entschiedene römische Sanktionen.

Ein Teil der Bischöfe versuchte zeitweilig, den erneuten Druckanstieg durch unterschiedliche diözesane Gesprächsereignisse zu mindern. Sie produzierten gleichwohl nur neue Enttäuschung und Unzufriedenheit und konnten weder das Kirchenvolksbegehren noch die Eskalation des Konflikts zwischen Papst und deutschen Bischöfen mit dem ZdK in der Frage der Schwangerenkonfliktberatung verhindern. Letzterer wurde durch ein Machtwort des Papstes entschieden, nicht gelöst. Während Teile der Laien an ihrer Gewissensentscheidung festhielten und Beratungsstellen in eigene Regie übernahmen, gehorchten mit einer Ausnahme alle deutschen Bischöfe dem Ausstiegsbefehl aus Rom. Die Probleme aber blieben unbewältigt, weil autoritär abgeblockt, und schwelten weiter.

Als die Aufdeckung der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten das Skandaljahr 2010 einleitete, bestand erneut akute Explosionsgefahr. Und wieder griffen die Bischöfe zu der inzwischen auch in Österreich erprobten Kombination aus demonstrativer Gesprächsbereitschaft und mobilisierender Gemeinsamkeitsrhetorik, die zwar nie etwas mit Gleichberechtigung zu tun hatte, aber doch vielfach so verstanden wurde. Sie riefen einen über die Jahre 2011–2015 gestreckten „Gesprächsprozess“ aus, den sie nach Inhalt und Verlauf steuerten. Die Laien ließen sich erneut hoffnungsfroh darauf ein und realisierten erst spät im Verlauf oder erst am Ende, dass sie viel reden, aber nichts hatten entscheiden können, weil auch umgängliche Hirten an runden Tischen nicht zu Schafen mutierten, sondern ihre ständische Positionsmacht ungeschmälert behielten. Die Bischöfe bestimmten nach ihrem freien Ermessen ebenso darüber, ob es überhaupt einen Dialog gab, wie über den Ablauf und die Inhalte und über die Umsetzung etwaiger Ergebnisse.

Die Forderungen der Laien nach Partizipation blieben nicht nur unbefriedigt. Sie erhielten sogar eine permanente Energiezufuhr durch die anhaltende Missbrauchsproblematik und die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Hierarchen, gegebenenfalls politische Verantwortung für Versagen zu übernehmen, geschweige denn persönliche Konsequenzen zu ziehen. Als im September 2018 durch die MHG-Studie Umfang und Qualität des Missbrauchsgeschehens einschließlich der Mahnung, sich etwaigen systemischen Risikofaktoren zu stellen, eine so deutliche empirische Bestätigung erhielten, stieg der ohnehin nicht stark abgesunkene Druckpegel schnell wieder bedrohlich an und die alten und wegen Nichtlösung immer noch aktuellen heißen Eisen meldeten sich jetzt unter dem systemischen Label mit enormer Massivität zurück. Überraschend ist nach allem nun nicht, dass die Bischöfe wieder reflexartig ein „Dialog“-Format namens „Synodaler Weg“ auflegten. Erstaunen kann vielmehr, dass das ZdK und seine Laien sich ein weiteres Mal darauf einließen, obwohl das Format keine der Bedingungen erfüllte, unter die sie ihre Teilnahme eigentlich gestellt hatten. Nun arbeiten sie wieder in einem langen Prozess mit, der eine nur relative Verbindlichkeit des Verfahrens und keinerlei Ergebnisverbindlichkeit produziert, sondern maximal Bitten an die Bischöfe und zum größten Teil an den Papst. Es kann verwundern, dass die Laien erneut eine „Partizipation“ akzeptieren, die strukturell vollständig im Rahmen der katholischen Klerikalmonarchie verbleibt, in der die Laien nur beratend am „decisionmaking“ beteiligt werden, das „decision-taking“ aber den Hierarchen vorbehalten bleibt.

Diese immer wieder neue Unterwerfung der Katholiken unter hierarchische Vorgaben provoziert die abschließende Frage, woran es liegt, dass katholische Gläubige immer weiter Reformen erhoffen, die seit so langer Zeit von der Hierarchie verweigert oder als gar nicht möglich, weil gegen die Identität der katholischen Kirche verstoßend, qualifiziert werden. Gibt es Faktoren, die Katholiken den Blick auf die kirchliche Realität verstellen, oder vielleicht eine spezifisch katholische Disponierung, diese Realität gar nicht sehen zu wollen? Warum haben katholische Laien keinen wirklichen Plan B für den Fall, dass ihre Erwartungen und Forderungen nicht erfüllt werden? Ist ihre Angst, sich von einer reformunfähigen Kirche distanzieren zu müssen, größer als ihr Leiden an der real existierenden Kirche? An dem genannten Faktorenbündel kann der Kanonist aufklärerisch arbeiten, bei der Frage nach dem Warum wäre es vergebene Liebesmüh. Hier bleibt es beim Dauerbejammern einer Kirche, auf die man heilsängstlich nicht verzichten kann.

1952

Abb. 2: Eröffnungsveranstaltung zum 77. Deutschen Katholikentag am 29. August 1956. Bundeskanzler Konrad Adenauer (grüßend), gerahmt von kirchlichen Würdenträgern, dem Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings (rechts) und dem Paderborner Erzbischof Lorenz Jäger (links). Neben Frings am rechten Rand der Präsident des ZdK, Karl VII. Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg. (© KNA)

Hierarchische Einhegung des Laienengagements: die Gründung des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“

Dem Staat übergeordnet, aber auf die Laien angewiesen

Im Nachkriegsdeutschland wollten die deutschen Bischöfe den Neuaufbau für eine politische Einflussnahme zur Verchristlichung von Staat und Gesellschaft nutzen.1 Als Exponenten einer nach ihrem Selbstverständnis von Christus gestifteten, in ihrer Ordnung eigenberechtigten höchsten Gesellschaft zur Vermittlung des Seelenheils sahen sie sich dem Staat als Einrichtung der Schöpfungsordnung zum irdischen Wohl übergeordnet. Denn beide Ordnungen unterstehen dem göttlichen Gesetz, das vom kirchlichen Lehramt verbindlich festgestellt, ausgelegt und konkretisiert wird. Entsprechend schrieb Erzbischof Frings schon im Februar 1946 an seine Dechanten zur Neuordnung des öffentlichen Lebens nach dem Zusammenbruch: „In der allgemeinen Gärung und Bewegung, die dadurch Platz gegriffen hat, besitzen wir Katholiken den einzigartigen Vorteil, dass uns dabei zwei Lichter voranleuchten, die uns vor Irrwegen bewahren und auf den rechten Weg bringen können“2 – gemeint waren die Offenbarung und die christliche Naturrechtslehre, nach denen sich auch das staatliche Recht zu richten hat.3

Entsprechend erwarteten sie das Grundgesetz des neuen Staates als „eine öffentliche Anerkennung der ‚schon in der Natur gegebenen, ewig gültigen, durch Christus neu gefestigten und vollendeten Gottesordnung‘ …, ohne die für ein Volk auf die Dauer ein glückliches und gesundes Leben unmöglich ist“4.

Ebenso bewusst war den Bischöfen aber, dass der kirchliche Vorranganspruch sich schon lange an der Souveränität der neuzeitlichen und schließlich demokratischen Staaten brach. Effektiv zur Geltung gebracht werden konnte er nur noch über die kirchlich gehorsamspflichtigen katholischen Gläubigen als „innerstaatlichem Vollstreckungsorgan“5. Diese faktische Angewiesenheit ist für die Hierarchie hinnehmbar, solange die Laien ihre innerkirchliche Ungleichheit und Gehorsamspflicht nicht als problematisch empfinden. So nutzten katholische Vereine seit Mitte des 19. Jahrhunderts die staatlich frisch gewährte Vereins- und Pressefreiheit als „kirchen- und vatikantreue Garde“6, um für die Rechte und öffentliche Stellung eben jener Kirche zu streiten, die sich gegen die Menschenrechte sperrte.7 Für ihre Gesamtorganisation „Katholischer Verein Deutschlands“ bedeutete das Selbstverständnis als katholisch, sich „der Autorität und der rechtlichen Befugnis unserer Pfarrer, unserer Bischöfe sowie des Päpstlichen Stuhles pflichtgemäß zu unterwerfen“8.

Die Vereine kämpften für die Freiheit der Kirche im Staat, nicht für die Freiheit der Gläubigen in der Kirche. Als der Theologe Johann Baptist Hirscher (1788–1865) öffentlich forderte, Laien sollten auch an Synoden mit vollem Stimmrecht teilnehmen9, protestierte der Laienverein und verwahrte sich „auf das Entschiedenste und Nachdrücklichste gegen allen und jeden Anspruch auf Beteiligung an der Führung oder auf Controle des Kirchenregiments“, weil „die Führung und Handhabung des Kirchenregiments dem Episkopat Deutschlands zukomme“10. Das galt auch für die jährlichen „Generalversammlungen der katholischen Vereine“, später „der Katholiken Deutschlands“ („Katholikentage“). Organisatorisch getragen von einem gewählten Zentralkomitee (seit 1868 und nach einem langen Zwischenspiel mit einem einzelnen Zentralkommissar wieder seit 189811) gaben sich diese Katholikentage stolz papsttreu-ultramontan12 und antimodern.13 In Sachen Schule etwa betonten sie, der Pfarrer stehe als eigentlicher Erzieher über dem Schullehrer als seinem Gehilfen wie die Kirche über dem Staat.14 Die vom Staat verfügten Kirchenvorstände aus Laien sahen sie nur in vorübergehender Mitverantwortung für die ihnen eigentlich nicht zustehende Verwaltung von Kirchenvermögen, denn: „Wir sind nicht zu Meistern berufen, sondern zu Helfern“15. Die Einigkeit war allerdings eine auch durch Ausgrenzung aufgebaute „Konsensfassade“16: Andersmeinende oder gar Reformkatholiken ließ man außen vor oder nicht zu Wort kommen17, Kontroversen sollten gar nicht erst in die Beratung gelangen, Beschlüsse hatten die Zustimmung der Bischöfe zu finden.18

Zum allgemeinpolitischen Arm der Katholikentage19 entwickelte sich über viele Querverbindungen die Zentrums-Fraktion20, die gar nicht aus der katholischen Vereinsbewegung, sondern von preußischen Abgeordneten gegründet worden war. Das „Zentrum“ galt als das „stehende Heer“, das Kirchenvolk als „Reserve, über die wir auf den General-Versammlungen Heerschau halten“21. Querverbindungen gab es auch zur 1890 gegründeten zentralen Dachorganisation der Laieninitiativen, dem „Volksverein für das katholische Deutschland“, der als Träger politischer, sozialer wie religiöskultureller Bildung und Aktionsspitze des Katholizismus zugleich zu einer außerparlamentarischen politischen Kraft mit zeitweilig enormer Massenbasis und einer starken Zentrale in Mönchengladbach avancierte.22

Das Prinzip der Meinungs- und Willensbildung von unten blieb eine Anomalie im hierarchischen System und bot trotz aller Unterwerfungsbekundungen der aktivierten Laien Grund für Argwohn der Bischöfe, die sich ihrerseits erst später als die Laien organisierten.23

Laien werden selbstbewusster

Grundlegende Rechte im Staat erfolgreich für die Kirche in Anspruch zu nehmen, ließ die Laien selbstbewusster und eigenständiger werden.24 Der „Volksverein“ setzte sich für interkonfessionelle christliche Gewerkschaften und gleiches Wahlrecht im Staat ein und forderte damit bischöflichen Widerstand heraus.25 Der Präsident des Münchener Katholikentages von 1922, Konrad Adenauer, wagte es, der pauschalen Demokratieverdammung durch Kardinal Faulhaber öffentlich zu widersprechen.26 Gegen den selbstbewussten und auf Unabhängigkeit bedachten deutschen Vereinskatholizismus wurde die von Papst Pius XI. seit 1922 favorisierte „Katholische Aktion“ in Stellung gebracht, ein Laienapostolat „in Unterordnung unter euch [die Bischöfe, N. L.] und eure Priester“27: Zurück zu „Pfarrei und Diözese, endlich ein Abrücken von dem ewigen Organisieren über alle Diözesangrenzen hinweg“28. Allerdings drängte erst die Zerschlagung des katholischen Verbandswesens durch die Nationalsozialisten die Laienaktivität wirklich effektiv zurück in Pfarrei und Diözese.29

Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich auch die katholischen Laien vor der Herausforderung, die sich neu formierende Gesellschaft im christlichen Sinn zu prägen.30 Die demografische und konfessionelle Umschichtung ließ als politische Partei einzig die Gründung einer interkonfessionellen Union schlüssig erscheinen. Für die darüber hinaus erforderliche Verfolgung spezifisch katholischer Interessen und das innerkirchliche Gestaltungsbedürfnis kam es zu einem Boom an Neu- und Wiedergründungen verschiedenster Laieninitiativen. So engagierten sich viele Laien in sehr unterschiedlichen, oft von kleinen Kerngruppen getragenen und gerade nicht verbandlich organisierten Werken und freien Initiativen. Solche informellen Gruppen ließen sich durchaus im Sinne der Katholischen Aktion hierarchisch führen und unter bischöflichen Hauptarbeitsstellen oder in eng kirchlich angebundenen Katholikenausschüssen auf Pfarr- und Diözesanebene zusammenfassen. Bald lebten auch verbandliche Organisationsformen wieder auf31, bis hin zu den von Kreisen um Konrad Adenauer befürworteten Plänen zur Wiedergründung des „Volksvereins“ für eine von den Bischöfen weitgehend unabhängige gesellschaftspolitische Laienaktivität.32 Die ersten Nachkriegs-Katholikentage 1948 in Mainz und 1949 in Bochum verabschiedeten selbstbewusste Entschließungen.33

Kontrollbedürfnis, Konkurrenzängste und Parlamentsphobie

Schon in Mainz hatte der gastgebende Bischof Albert Stohr34 die Laien an ihre Grenzen erinnert. Katholische Aktion bedeute „Laienapostolat, aber nicht Laienregiment“35, es gehe nicht darum, Machtgelüste zu äußern, sondern um den Willen zum Dienen. In Bochum forderten die Laien die betriebliche Mitbestimmung als „natürliches Recht in gottgewollter Ordnung“36. Darauf reagierten die Bischöfe erst recht verärgert, denn die Auslegung des Naturrechts komme allein dem kirchlichen Lehramt zu.37 Offenbar – so hieß es – sei das „Aufsichts- und Ordnungsrecht der Bischöfe“38 nicht zum Zuge gekommen. Die Eigendynamik des freien Gesprächs auf diesen katholischen Generalversammlungen erschien dem Episkopat riskant. In einem Memorandum über die „Koordinierung der Laienarbeit unter hierarchischer Führung“ überlegten die westdeutschen Bischöfe daher, wie die Aktivitäten im gesamten katholischen Raum beobachtet, die Bischöfe darüber informiert und vor allem die „Intentionen und Anweisungen, die sich aus dem Aufsichts- und Ordnungsrecht des Episkopates ergeben, rechtzeitig und wirksam zur Geltung“39 gebracht werden könnten. Der Leiter einer solchen externen Informationsstelle „im Rang eines Prälaten“ sollte das Laienengagement an die Hierarchie binden.40

Eine Neuetablierung des katholischen Verbändewesens war nicht im Sinne der Bischöfe. Sie wollten keine überdiözesanen Großvereinigungen mit geistlichen Funktionären in Verbandszentralen (Generalpräsides), die sie als „Verbandskardinäle“ oder „Überbischöfe“ und damit als Führungskonkurrenz ebenso ablehnten41 wie sie immer wieder Angst hatten, die Katholikentage oder andere Laienorganisationen könnten sich zu einem „Laienparlament“ entwickeln.42 Schließlich hatte Papst Pius XII. erst 1943 erneut betont, die kirchlichen Oberhirten seien

„nicht bloß als die vorzüglicheren Glieder der allgemeinen Kirche anzusehen, weil sie durch ein ganz einzigartiges Band mit dem göttlichen Haupte des ganzen Leibes verbunden und daher mit Recht ‚die wichtigsten Teile der Glieder des Herrn‘ genannt werden. Sondern jeder einzelne in seinem Sprengel weidet und leitet im Namen Christi als wahrer Hirte seine eigene ihm anvertraute Herde. … Deshalb müssen sie als Nachfolger der Apostel zufolge göttlicher Einsetzung vom Volke verehrt werden. Und mehr als von den Regierenden dieser Welt, auch den allerhöchsten, gilt von den Bischöfen, da sie mit der Salbung des Heiligen Geistes versehen sind, das Schriftwort: ‚Vergreifet euch nicht an meinem Gesalbten!‘“43

Für die Bischöfe war daher die entscheidende Frage: Wie konnten sie solche Entwicklungen verhindern, aber dennoch das Laienengagement in ihrem Sinne bündeln, koordinieren sowie strategisch ausrichten und steuern? Denn dieses Potenzial sollte neben der Unionspolitik als zweites Instrument mobilisiert und genutzt werden, um katholische Forderungen in den öffentlichpolitischen Raum zu tragen. Manche Bischöfe favorisierten das Konzept der Katholischen Aktion als römisch vorgegeben und daher konsequent durchzuziehen: unzweideutige hierarchische Führung mit klerikalen Protagonisten als Ansprechpartner für Politik und Gesellschaft, die sich allenfalls von qualifizierten Laien beraten lassen durften.44 Der episkopale Autoritäts- und Führungsanspruch sollte klar und deutlich geltend gemacht werden, denn die Kirche bleibe nun einmal in ihrer Struktur immer dieselbe, nämlich hierarchisch. Sicherlich könnten die Laien „noch weit mehr als bisher zur verantwortlichen Mitarbeit und eigentlichen Führung in der Exekutive“ herangezogen werden. Verantwortbar sei dies aber nur, wenn sie „die gottgewollte Stellung der Hierarchie innerlich bejahen und bereit sind, praktisch dementsprechend zu handeln“45. Katholische Verbände unter einer reinen Laienführung seien gefährlich, eine Zentrale des Laienapostolats müsse im Sinne hierarchischer Unterordnung von einem Bischof geleitet werden.46 Durchsetzen sollte sich in Gestalt des „Zentralkomitees der deutschen Katholiken“ (ZdK) allerdings eine subtilere Variante mit identischer Zielsetzung.

Prälatenkonzept zur Laieneinhegung

Der ebenso weitsichtige wie politisch versierte und einflussreiche Kölner Prälat Wilhelm Böhler47 begann unmittelbar nach Kriegsende mit der Durchsetzung seiner Idee eines nationalen Spitzengremiums für das deutsche Laienapostolat mit zugleich zentraler gesellschaftspolitischer Funktion.48 Nach innen sollten die Laienaktivitäten koordiniert werden. Nach außen sollte eine hierarchisch legitimierte Laien-Repräsentation49 geschaffen werden, die als eng amtskirchlich gebundene „pressure-group des deutschen Katholizismus im vorparlamentarischen Raum“50 fungieren und so ein „aktionsfähiges und schnell reaktionsfähiges Instrument“51 der Hierarchie zur allfälligen Durchchristlichung der Gesellschaft sein sollte. Beide Stoßrichtungen nach innen wie nach außen sollten unter bischöflicher Kontrolle und so verkirchlicht sein.

Böhler verfolgte sein Anliegen auf zwei Gleisen: Einerseits forcierte er mithilfe ausgewählter Laienhelfer52 die Gründung bzw. Errichtung von Katholikenausschüssen und ihre Zusammenfassung in Diözesankomitees53, die unter amtlicher Führung katholische Interessen in der Öffentlichkeit vertreten sollten. Der Vorsitz wurde zwar Laien überlassen. Der Informationsfluss hin zur Hierarchie und eine angemessene Kontrolle wurden gleichwohl dadurch sichergestellt, dass jedem Ausschuss ein „Geistlicher Beirat“ angehören musste und verbindliche Beschlüsse nur mit Zustimmung des Dechanten, grundsätzliche sogar nur mit der des Bischofs möglich waren.54

Auf der anderen Seite warb Böhler beim ehemaligen Zentralkomitee der Katholikentage (Z.K.) unter geschickter Erinnerung an die guten alten Vorkriegszeiten um eine Beteiligung bei einem neuen erweiterten nationalen Laiengremium. Dieses Gremium konturierte er – allerdings nur intern Kardinal Frings gegenüber – schon sehr früh klar als in Struktur und Funktion das Z. K. völlig ersetzend:

„Das Zentralkomitee der Zukunft denke ich mir so, dass es besteht aus Vertretern der Diözesankomitees, Vertretern der katholischen Vereine, führenden Persönlichkeiten aus dem Laienstande, dem Weltklerus und dem Ordensklerus und Fachmännern für die einzelnen großen Aufgabengebiete“55.

Der zunächst bleibenden Skepsis in Teilen des Episkopats begegnete Böhler mit dem Hinweis, die Katholische Aktion sei von Papst Pius XII. keineswegs monopolistisch, sondern als durchaus mit eigenen teilkirchlichen Traditionen kombinierbar gedacht. Der Grundsatz der Katholischen Aktion: „nie gegen die Hierarchie, nie ohne die Hierarchie, sondern stets mit der Hierarchie“56 bleibe auch in dem neuen Gremium gewahrt. Es galt ihm als „selbstverständlich, daß keine Persönlichkeiten zum Zentralkomitee gehören können, gegenüber denen bischöfliche Bedenken bestehen, und keine Beschlüsse gefaßt werden können, die nicht auch die Zustimmung des Episkopates haben“57. Vor allem der Einbau der Katholikenausschüsse würde den Einfluss des Episkopats auf das Zentralkomitee erleichtern.58 Zudem wies er darauf hin, die engagierten Laien würden „sich den Weisungen des Episkopates gern und freudig fügen“. Bei ihnen herrsche „ein so großes Vertrauen in die Führung der Bischöfe, ein so großes Verantwortungsbewußtsein gegenüber Kirche und Öffentlichkeit und ein so freudiger Wille zur Einordnung“59.

Partizipationsfiktion und Domestizierung

Bei aller damals sehr „ausgeprägten Gefolgschaftstreue des Laienkatholizismus“60 wehrte Böhler taktisch zugleich auch einer anderen, psychologischen Gefahr, nämlich der, dass eine zu offenkundige hierarchische Führung auf wache, verbandliche Eigenständigkeit gewohnte und gesellschaftlich aktive Laien demotivierend wirken und damit die kirchliche Durchschlagskraft schwächen könnte. Gegen dirigistische Absichten anderer Bischöfe gab er daher Kardinal Frings früh zu bedenken: „Unsere Laien“ – so seine selbstverständliche paternalistische Diktion –

„haben … das Bewusstsein, dass sie in dem geplanten Zentralkomitee doch etwas freier stehen und freier arbeiten und wirken können. Ich halte es für dringend notwendig, dass in ihnen dieses Bewusstsein nicht erstirbt; damit wäre zu leicht auch ein Erlöschen des Bewusstseins der Mitverantwortung verbunden. Wenn ich einmal ganz offen sprechen kann, so möchte ich noch folgendes sagen: Von einzelnen der Hochwürdigsten Herren Bischöfe wird die Notwendigkeit des bischöflichen Einflusses so stark betont, dass die Laien sich bald überflüssig vorkommen werden; es besteht die Gefahr, dass einmal keine Laien mehr da sind, die geeignet und gewillt sind, für katholische Grundsätze in der Öffentlichkeit einzutreten oder die Rechte der Kirche zu verteidigen“61.

Einfluss und Kontrolle durch die Bischöfe blieben außer Zweifel. Aber sie sollten so verpackt werden, dass die Laien sich frei fühlen konnten, ohne es wirklich zu sein. Gezielte Partizipationsfiktion gehört somit zur DNA des Zentralkomitees. Damit war die Grundmelodie komponiert, die den Laien in weiteren Krisensituationen jeweils zu Gehör gebracht werden sollte.

Der Böhler-Plan ging auf: Im August 1951 beschlossen die deutschen Bischöfe, ein „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ bilden zu lassen.62 Es konstituierte sich am 30. April 1952 und gab sich auf der Vollversammlung am 2. Dezember desselben Jahres ein Statut, das am 27. März 1953 mit dem Imprimatur des Paderborner Generalvikars veröffentlicht wurde.63 Nach diesem Statut war das ZdK der „von der Autorität der Bischöfe getragene Zusammenschluss der im Laienapostolat der katholischen Kirche in Deutschland tätigen Kräfte“, um diese zu koordinieren und „die deutschen Katholiken im In- und Ausland zu vertreten“. Die „Anmaßung“, nicht nur die Mitglieder des Zusammenschlusses, sondern „die“ (= alle) Katholiken in Deutschland zu vertreten, hatten Laien verschiedentlich moniert. Sie wurde aber bewusst in Kauf genommen. Im Interesse eines geschlossenen Auftretens im gesellschaftlichen und politischen Raum wurde ein von den Bischöfen kontrolliertes und gesteuertes Organ als Stimme aller deutschen Katholiken ausgegeben.64 Die in den Statuten verankerte „Subordination der Laien“65 war erklärtermaßen auch als erzieherischer Akt gedacht, um Spannungen zwischen Episkopat und Laienapostolat vorzubeugen.66 Die in der aktuellen Selbstdarstellung des ZdK behauptete Kontinuität zwischen Vor-und Nachkriegs-Zentralkomitee67 gab es so nicht. Aus dem früheren gewählten Z. K. zur Vorbereitung der Katholikentage war ein vollkommen neues, statuarisch sehr eng an die kirchliche Hierarchie gebundenes ZdK geworden.68

Die Zusammensetzung der Vollversammlung wurde maßgeblich von den Bischöfen bestimmt: Sie benannten die Diözesanvertreter, die Leiter der Bischöflichen Hauptstellen und Referatsleiter, und konnten den Einzelpersönlichkeiten ihre Zustimmung versagen. Auch die inhaltliche Arbeit stand unter bischöflicher Aufsicht: Das Präsidium und den Geschäftsführenden Ausschuss kontrollierten die Bischöfe indirekt durch die erforderliche Bestätigung des Präsidiums und direkt durch ihren „Generalassistenten“. Mit dieser Funktion war die früher angedachte externe Kontrollzentrale in Gestalt eines von den Bischöfen beauftragten Informanten und gegebenenfalls Empfängers konkreter Anweisungen als „permanente Kontaktstelle“69 in das Innere des Zentralkomitees verlegt worden. Um den Kommunikationsfluss zu den Bischöfen noch direkter und effektiver zu machen, wurde diese Position des Episkopats-Agenten seit 1957 mit einem Diözesanbischof besetzt. Zusätzlich war in der Geschäftsstelle an der Seite des Generalsekretärs das Amt eines Geistlichen Direktors geschaffen worden.70 Grundsatzentscheidungen waren einer eigenen Bischöflichen Kommission zur Koordinierung der Kräfte im Laienapostolat zur Bestätigung vorzulegen. Und schließlich wurde bewusst und strategisch das „süße Gift“ finanzieller Zuschüsse eingesetzt: Zweckgebunden für die Sachreferate wurden relativ großzügig überdiözesane Mittel bereitgestellt, damit „diese wirklich ein sicheres Instrument in der Hand und für die Hand des Episkopats werden und bleiben“71. Mit der Umstellung von der Orts- auf die Diözesankirchensteuer hatten die Bischöfe seit 1950 „ein finanzielles Steuerungselement in der Hand, das es ihnen jederzeit erlaubte, die Konkurrenz im Organisationskatholizismus zum Gegenstand pastoraler Planungsstrategien zu machen“72.

Der Bischöfliche Generalassistent Franz Hengsbach erläuterte auf der konstituierenden Sitzung des ZdK:

„Dadurch dass dieses Instrument auf den Ruf der Bischöfe hin geschaffen wird und ihm der Dienst im Bereich der Laienarbeit als Teilnahme am hierarchischen Apostolat zugedacht ist, kommt die Einheit des Apostolates der Kirche und das Vertrauen der Hierarchie zur Mitarbeit der Laien in hervorragender Weise zum Ausdruck“73.

Die engen Grenzen dieses Vertrauens zeigt das Statut in aller Deutlichkeit. Denn damit waren „Koordination, Information, Inspiration und Repräsentation“ im Laienapostolat „unter den maßgeblichen Einfluß der Bischöfe gestellt worden“74. Und es war klar:

„Der deutsche Katholizismus wird im letzten selbstverständlich durch den Episkopat repräsentiert. Wir sind Hierarchisten. Aber wenn es echte Laienarbeit im Volk gibt, dann müssen Formen gefunden werden, daß auch die Laien in einer bestimmten relativen Weise das Volk Gottes – den Laos – repräsentieren können“75.

Der episkopale Einfluss war auch insofern konsequent, als die Organisation des katholischen Laienapostolats nie reine Laiensache war, sondern immer schon Kleriker in Führungspositionen kannte. Entsprechend waren 35 % der ZdK-Gründungsmitglieder Kleriker76, erster Generalsekretär wurde der Paderborner Hilfsbischof Franz Hengsbach. Bezeichnenderweise sah der zweite Generalsekretär des ZdK, Heinrich Köppler, in diesem Gremium eine Art „überdiözesanen Katholikenausschuss“77. Die Domestizierung des deutschen Nachkriegskatholizismus war damit gelungen.78 Der Versuch der Laien, loyale Unterordnung und Selbstbewusstsein miteinander in Einklang zu bringen, kann treffend mit der paradoxalen Devise beschrieben werden: „Selbständig, aber nie gegen den Willen der Bischöfe“79.

1972–1975

Abb. 3: Synodenversammlung im Dom zu Würzburg im November 1975, der Bischofsblock vor dem Präsidium. (© KNA)

Druckablass und Beruhigung: die Würzburger Synode

Das ZdK blieb zunächst das ungeliebte Kind des Episkopats und organisatorisch schwach. Erst in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre fand es, vor allem unter der Führung des Geistlichen Direktors Bernhard Hanssler, zu einer Geschlossenheit als Repräsentanz des organisierten Mehrheitskatholizismus gegen einen ausgegrenzten oppositionellen oder linken Minderheitskatholizismus in freien Laieninitiativen. Einiges spricht dafür, dass diese Geschlossenheit und der Konformitätsdruck die innerkirchlichen oppositionellen Kräfte kontraproduktiv fester zusammenschloss und den eigentlich bekämpften Pluralisierungsprozess in der Kirche seit 1960 eher noch förderte.1

Die Wahrnehmung des ZdK durch die Bischöfe ist nicht hoch anzusetzen. Noch im Jahr 1967 konnte der inzwischen zum ersten Essener Diözesanbischof avancierte Generalassistent Hengsbach gegenüber dem ZdK-Generalsekretariat feststellen, „von der konkreten Arbeit des Zentralkomitees“ wüssten „die meisten Bischöfe wenig“2. Das sollte sich ändern, als eine Krisensituation entstand, bei deren Bewältigung das ZdK sich zu einem wichtigen Helfer des Episkopats entwickelte.

Pluralisierung und Reformerwartung

Der Katholizismus der 1960er-Jahre war ein tektonisch aktives Gelände. Vielfältige gesellschaftliche Veränderungsimpulse verstärkten sich gegenseitig.3 Der massiven Wiederherstellung von Autorität und Geltung des Nachkriegschristentums entsprach nicht zwingend eine Renaissance des christlichen Glaubens.4 Schon seit dem Ende der 1940er-Jahre und in den 1950ern erodierte die „Gnadenanstalt“5. Unter Katholiken vollzog sich eine „‚sexuelle Revolution‘ im Stillen“6. Auch katholische Frauen nutzten seit deren Zulassung 1961 zunehmend die Pille und bestimmten gegen die kirchliche Lehre selbst über die Folgen ihrer Sexualität. Zusätzliche Bewegungsfreiheit und Durchsetzungsfähigkeit gewann die weibliche Normalbiografie durch die vermehrte Erwerbstätigkeit der Frauen im Gefolge des Wirtschaftsaufschwungs.7 Ihren Kampf gegen die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe nach staatlichem Familienrecht hatten die katholischen Hierarchen bereits zuvor verloren.8

Innerkirchlich hatte sich zudem schon vor dem und während des II. Vatikanischen Konzils ein beachtlicher Reformerwartungsdruck aufgebaut.9 Er verstärkte sich nach dem Konzil durch dessen breite reformerische Überinterpretation, die den Keim mittelfristiger Enttäuschungen und Restaurationsoptionen bereits in sich trug.10 Schon die Tatsache, dass die Stellung der Laien auf dem Konzil überhaupt thematisiert wurde, führte nachkonziliar zu einem erhöhten Selbstwertgefühl und einer ekklesiologischen Standortsuche in einer Atmosphäre, die treffend beschrieben wurde als „Mischung aus tiefer Verwirrung und euphorischer Aufbruchsstimmung“11. Das ZdK versuchte, die allenthalben entbrannten Diskussionen unter Katholiken dadurch in geordnete Bahnen zu lenken, dass es beim Bamberger Katholikentag von 1966 nur bewährte Funktionäre und Vertreter der Bischöflichen Hauptstellen als Diskutanten einlud.12 Mehr Pluralismus und Dialog und eine Neuordnung des Laienapostolats waren zwar durchaus thematisierte Stichworte, zu wegweisenden Entschließungen zur Umsetzung des Konzils führten sie allerdings nicht.13

Konziliare Ständehierarchie und Zuflucht Moral

Das II. Vatikanische Konzil hat die katholische Ständehierarchie nicht geändert und nach amtlicher Überzeugung gar nicht ändern können, auch nicht durch die vielbeschworene „Aufwertung“ der Laien. Denn diese bestand nicht in einer Nivellierung der Hierarchie, sondern lediglich in der bislang vernachlässigten ekklesiologischen Würdigung der Taufe. Dadurch wurden Laien sichtbar und in ihrem Anteil an der kirchlichen Sendung positiv thematisierbar. Ihre ständische Position änderte sich aber nicht.14 Wo die Ständestruktur alternativlos ist, scheiden egalisierende Beteiligungsformen für Laien aus. Eine Demokratisierung im Sinne gleicher Beteiligung aller an der Willensbildung ist mit der konziliar gelehrten „wahren“ Gleichheit (vera aequalitas, LG 32)15 nicht vereinbar. Anders als im Staat folgt in der katholischen Kirche aus der Gleichheit der Personwürde nicht die der Rechte, also keine Gleichberechtigung. Auf dem Bamberger Katholikentag zeigten die Beiträge von Bischof Hengsbach und dem ehemaligen Generalsekretär des ZdK (bis 1965), CDU-Politiker Heinrich Köppler, exemplarisch, wie man mit dem Grundproblem fertig zu werden versuchte, das Verhältnis von Klerus und Laien neu zu bestimmen, ohne die Standeskluft zu überwinden. Beiden Referenten ging es um „Zusammenarbeit“, um etwas also, das nach Gleichordnung klingen kann, aber eben auch unter Ungleichen möglich ist.

Hengsbach sah diese Zusammenarbeit in bis heute paradigmatischer Weise durch Grund- und Sachstrukturen geprägt. Zu den vier Grundstrukturen zählte er die strukturelle Kontinuität in der hierarchischen Identität. Er lehnte eine „einseitige“ – also nicht jedwede – hierarchische Auffassung der Kirche (1) ab.16 Durch diese angedeutete (nur) gewisse Distanz zum Hierarchischen vorbereitet, folgt sodann die „Einheit der Kirche … im Nebeneinander ihrer Glieder und Gliederungen“17 (2), wobei der Folgesatz klärt, dass „neben“ rein lokal, nicht rangmäßig zu verstehen ist: „… alle haben den einen Geist, aber dieser Geist weist den verschiedenen (sic!) verschiedene Aufgaben zu zum Aufbau des Ganzen. Um die Einheit des Geistes im Unterschied der Aufgaben in der Welt des Menschen zu wahren, bedarf es in der Kirche der Organisation“18. Ebenso geschickt wie intellektuell unredlich, aber durchaus exemplarisch wird erst indirekt über die nicht konkretisierten „Unterschiede“ in das kontrafaktisch verschleiernde „Nebeneinander“ die rechtliche Über- und Unterordnung eingetragen. Des Weiteren wird eine generische Teilhabe aller Gläubigen an der kirchlichen Sendung nach innen wie nach außen in die Welt herausgestellt. Diese Teilhabe ist allen gemeinsam, aber keineswegs gleich. Sie kommt den Kirchengliedern vielmehr in „unterschiedlicher Weise … zu“19 (3), nämlich – wie zu ergänzen ist – in Kleriker- oder Laienweise. Bei der letzten Grundstruktur schließlich, der „Zusammenordnung von Freiheit und Autorität in der Kirche“20 (4), redet Hengsbach Klartext:

„Die Kirche ist von ihrem göttlichen Gründer hierarchisch verfaßt. In ihren Ämtern ist Gottes Autorität in unserer Welt in neuer Weise präsent geworden. Aber der Sinn all dieser Ämter ist Dienst an allen Gliedern des Gottesvolkes. Bedeutsamer als das, was die Einzelnen in der Kirche auf Grund ihrer unterschiedlichen Dienste voneinander unterscheidet, ist das, was sie eint, die Gemeinsamkeit des Glaubenssinnes, die gemeinsame Teilhabe am Priestertum Christi und an den Charismen Seines Geistes, die große Brüderlichkeit in Christus“21.

Die (göttlich-)rechtlich unterfütterte autoritative Überordnung wird als Dienst kaschiert. Verschleiert wird, dass die betonte Gemeinsamkeit die hierarchische Ordnung nicht aufhebt, sondern nur umfasst. Verschleiert wird die Abhängigkeit des Glaubenssinns von der lehramtlichen Führung22, verschleiert wird die je standesmäßig verschiedene Teilhabe23 und überdeckt wird, dass die Gläubigen in der „großen Brüderlichkeit in Christus“ manchen Bruder zugleich zum Vater haben:

„Wir müssen uns im Geiste des Konzils davor hüten, das Amt in der Kirche und die Autorität in ihr, in denen sich Gottes Väterlichkeit spiegelt, nach weltlicher Manier patriarchalisch-paternalistisch oder gar absolutistisch mißzuverstehen. Wir müssen uns aber ebenso vor der Aushöhlung der echten Autorität und des echten Auftrags des Amtes hüten. Es gibt auch heute wie immer in der Kirche legitime und notwendige Weisung und Anordnung, der legitimer und notwendiger Gehorsam entspricht. Gelegentlich besteht die Gefahr, Formen der Demokratie, die im politischen Leben ihren guten Sinn haben, ohne weiteres auf das kirchliche Leben zu übertragen, in einem Enthusiasmus der Brüderlichkeit gottgesetzte Unterschiede der Dienste und des Amtes auszulöschen und mit ihnen die Verbindlichkeit der Lehre und der Zucht in der Kirche anzutasten. Solche Tendenzen entsprechen nicht dem Geist des Konzils, sondern gefährden seine Verwirklichung“24.

Anschließend konkretisierte der Bischof unter dem Stichwort „Sachstrukturen“ den jeweiligen Anteil von Klerus und Laien an der „Zusammenarbeit“ im kirchlichen Auftrag nach innen und außen. Sache der Bischöfe sei die autoritative Verkündigung des Gotteswortes, die lehramtliche Vorgabe, Sache der Laien deren Weitergabe und die sachkundige Information der Hirten, damit sie „zur rechten Zeit das rechte Wort“ sprechen.25 Die Liturgie sei „kein bloß hierarchisches Tun [aber auch ein solches!; N. L.] …, dem die Gläubigen beiwohnen, sondern eine gemeinsame [nicht gleiche!; N. L.], gewiß unterschiedliche actio aller“26.

Der Laienanteil in der Seelsorge verwirkliche sich in den Schwerpunkten Familie, soziales Milieu, Kirchenabständige und darin, in vornehmlich (nicht ausschließlich) eigener Verantwortung die Lebensfragen im Lichte des Glaubens zu sehen. Allerdings: „Von den Geistlichen dürfen sie Licht und Förderung erwarten“27.

Zusammenarbeit also ja, aber nur gemäß amtlicher Zuweisungs- und Ordnungsgewalt in vorgegebenen Wirkungsfeldern und klerikal zugerüstet.28Distanz nicht zum Hierarchischen als solchem, sondern nur zu – nach dem Bewertungsermessen der Hierarchen – missverstandener oder übertriebener Hierarchie, der verbale Mantel der Gemeinsamkeit über nicht angetastete und auch nicht antastbare Ungleichheiten: das sind die Entspannungsvariationen jenes Liedes, das Laien in den nächsten Jahrzehnten immer wieder und zu bestimmten Anlässen besonders intensiv hören sollten.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Köppler bestätigte dieses Konzept aus Laiensicht. Mit der konziliar betonten gemeinsamen Verantwortung aller an der kirchlichen Sendung sei ein geduldig einzuübender Geist der Brüderlichkeit gefordert. Bei einem „neuen Miteinander“ von Klerus und Laienschaft gehe es aber

„nicht um eine ‚Demokratisierung‘ der Kirche. Von ihrem Stiftungscharakter her entzieht sich die Kirche den aus unserem staatlichen und politischen Leben angezogenen Vergleichsbildern … Bischöfe und Priester sind bei aller Anerkennung des Dienstcharakters ihres Amtes eben keine dem Volk verantwortlichen Beamte, sondern in der Führung ihres Amtes letztlich dem verantwortlich, der der Herr der Kirche ist und von dem jedes Amt in der Kirche hergeleitet ist“29.

Allerdings benannte Köppler auch ziemlich klar das Problem, Laien für die kirchliche Mitarbeit auch in den neuen Gremien zu gewinnen, seien diese es doch gewohnt, „klare Kompetenzen zu verlangen und in aller Nüchternheit überzeugt zu werden … Der fromme Betrieb allein oder das unverbindliche Beieinanderhocken hat für sie wenig Reiz“30.

Die damals jahrelang anhaltende und die Diskussionen um die neuen Laienräte und das ZdK prägende ekklesiologische Standortsuche der Laien31 spiegelt ein Grundproblem der Konzilsumsetzung: Wie ließe sich ein neues Miteinander von Klerus und Laien und deren eigener Auftrag konkretisieren und organisieren, wenn die hierarchische Kirchenverfassung, ihre Ständehierarchie mit der unterschiedlichen Positionsmächtigkeit der Gläubigen nicht angetastet werden darf, wenn zwar die Teilhabe der Laien am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi in Taufe und Firmung gründet, aber gleichwohl nur die besondere wesensverschiedene Teilhabe aufgrund der Weihe (LG 10) die Vollmacht zur Leitung der Zusammenarbeit begründet? Aus weltfremdem Optimismus32 oder im Bewusstsein, dass eine rechtliche Überbrückung dieser Standeskluft nicht möglich ist, nahm man Zuflucht zu Tugendappellen: Ein neuer Autoritätsstil sei gefordert! Der „Geist der Brüderlichkeit“ sollte es richten. Ständeverbindend wirksam werden sollte er durch das „Prinzip des Dialogs“. Alle Probleme hielt man im Modus des Dialogs fast nach Art einer Zauberformel33 für lösbar: „Indem Priester wie Laie selbstbewußt ihren Beitrag leisten und ehrlich auf den anderen hören, entwickelt sich im Gespräch die Lösung der anstehenden Fragen“34.

Beide Seiten sollten „die gegenseitige Pflicht zu angemessener Information“35 anerkennen und ausüben. Statt ein verbrieftes Entscheidungsrecht zu fordern, appellierte man an das Pflichtgefühl und moralisierte Strukturfragen. Ob das Gespräch gelingt, blieb damit abhängig von den kommunikativen Fähigkeiten und der Bereitschaft des Klerus und insbesondere des Episkopats, Argumente fair anzunehmen. Die Verwiesenheit auf Appelle an die Moral der Kleriker beließ (und belässt) Laien in der Rolle von Bittstellern.

Katho-Semantik: Dialog und Sprache

Dass „Dialog“ und „Gespräch“ eine erste innerkirchliche Konjunktur erfuhren, kann überraschen. Beruhen sie doch im zeitgenössischen Verständnis

„entschieden auf der Anerkennung der wesentlichen Gleichberechtigung der Partner. Ein Gespräch, bei dem von vornherein feststeht, daß z. B. seiner äußeren oder inneren Stellung wegen der eine Partner dem anderen gegenüber recht behalten muß, schließt heute geradezu den echten Gebrauch des Wortes … aus“36.

In der Kirche war ein solcher Dialogbegriff nicht nur unvertraut, Dialog war gänzlich anders konturiert. Dass auf dem Konzil Bischöfe Argumente austauschten, mochte die Illusion gefördert haben, es verwirkliche eine dialogische Kirche.37 Übersehen wurde und wird, dass hier keineswegs Gleichberechtigte im Austausch waren, sondern einer der Bischöfe, nämlich der von Rom, als Papst entscheidend gleicher war als alle anderen. Denn ein katholisches Konzil ist als Ereignis (Einberufung, Themen, Tagesordnung, Dauer) wie in seinen Ergebnissen (verbindliche Auslegung, rechtliche Umsetzung) in der Hand des Papstes.38 Zudem hatte Papst Paul VI. in seiner Antrittsenzyklika (1964)39 erstmals das Dialogmotiv zwar in die kirchliche Lehre aufgenommen, allerdings in einer katholischen Neuformatierung. Sein Inhalt wird deutlich, wenn sich die Kirche im Dialog mit der Menschheit, den anderen Religionen und christlichen Konfessionen40 sieht, allerdings als „Erbin und Hüterin“ des Wahrheitsschatzes.41 Wenn der Wille, Brüder der Menschen zu sein, gepaart ist mit dem, ihre Hirten, Väter und Lehrer sein zu wollen42, wird klar: „Dieses Lehrer-Sein prägt alles, was Paul VI. mit dem Begriff Dialog umschreibt“43. Noch deutlicher wird dies, wo der Papst vom Dialog in der Kirche spricht.44 Die Beziehung der Glieder der kirchlichen Gemeinschaft im „Geist des Dialogs“ wolle auf keinen Fall

„die Pflege der Tugend des Gehorsams beseitigen, da nämlich die Ausübung der Autorität auf der einen Seite und die Unterwerfung auf der anderen Seite, sowohl von einem geordneten gesellschaftlichen Leben, als auch insbesondere von der hierarchischen Natur der Kirche gefordert wird. Die Autorität der Kirche ist von Christus eingesetzt; sie vertritt ihn, sie ist die bevollmächtigte Vermittlerin seiner Worte und seiner seelsorglichen Liebe“45. „Wenn Wir Gehorsam und Dialog zueinander in Beziehung bringen, so wollen Wir damit unterstreichen, dass einerseits die Ausübung der Autorität ganz von dem Bewußtsein, im Dienste der Wahrheit und der Liebe zu stehen, durchdrungen sein muss, und dass andererseits die Befolgung der kirchlichen Vorschriften und der Gehorsam gegenüber den rechtmäßigen Oberen bereitwillig und freudig sein sollen, so wie es sich für Kinder geziemt, die frei sind und aus Liebe gehorchen. Der Geist der Unabhängigkeit, der Kritik, der Auflehnung verträgt sich schlecht mit der Liebe, die ein Gemeinschaftsleben beseelen soll … und verwandelt schnell den Dialog in eine Auseinandersetzung, einen Wortwechsel, ein Streitgespräch“46. „Alles, was zur Ausbreitung der kirchlichen Lehren dient, hat Unsere Billigung und Empfehlung. … Alle, die an diesem lebenspendenden Dialog der Kirche unter Führung der zuständigen Autorität teilnehmen, ermuntern und segnen Wir: besonders die Priester, die Ordensleute, die guten Laien, die in der Katholischen Aktion oder in anderen Vereinigungen für Christus kämpfen“47.

Angesichts dieses Dialogbegriffs ist folgerichtig, dass ihn auch das Konzil nur für die Außenbeziehungen der Kirche verwendet, „um jede Vorstellung eines innerkirchlichen par cum pari von vornherein nicht aufkommen zu lassen“48 – eine Sensibilität, die sich aus gegebenem Anlass wiederholen wird.

„Mit einem Dialog hat das alles nichts zu tun“49. Vom Gespräch unter Gleichberechtigten wurde „Dialog“ ständehierarchisch umformatiert zu einer notwendigerweise asymmetrischen Kommunikation zwischen kirchlichen Oberen und den ihnen unterworfenen Gläubigen. Dabei geht es um ein symptomatisches Beispiel für die gängige katholisierende Umdeutung von vertrauten Begriffen und eine signifikante Form lehramtlicher Machtausübung durch verbale Falschmünzerei.50 Der Papst ist Herr der Semantik. Was hier geschieht, hat Lewis Carroll in seinem zweiten Alice-Roman (Alice hinter den Spiegeln, 1871) exemplarisch anschaulich gemacht. In der Parallelwelt hinter den Spiegeln begegnet Alice dem menschenförmigen Ei Humpty Dumpty. Sie wundert sich, dass es das Wort „Glocke“ im Sinne von „einmalig schlagender Beweis“ benutzt. Auf ihren Einwand, das heiße „Glocke“ doch gar nicht, folgt die „recht hochmütige“ Antwort: „Wenn ich ein Wort gebrauche, dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“ Darauf Alice: „Es fragt sich nur, ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.“ Und Humpty Dumpty: „Es fragt sich nur, wer der Stärkere ist, weiter nichts“51. Es geht um die Macht, Wörter zu füllen, um die Definitionsmacht. That’s all!

Im Verhältnis zwischen Klerikern und Laien war Dialog ein Wort der Sehnsucht und der Hoffnung, es möge ein ehrliches klerikales Versprechen sein, dessen Einhaltung man zwar nicht einklagen, aber moralisch erwarten dürfe. Nach dem Konzil war diese Hoffnung zunächst stark.52 Allerdings galt mit Francis Bacon auch damals schon: „Hoffnung ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendbrot“53. Ahnungsvoll forderten Laien daher öffentlich mehr als nur Versprechungen: „Die Laien sind Kirche, nicht nur hörende Kirche und nicht nur Ersatzleute, die bei Priestermangel einzuspringen haben“54. Sie wollten nicht mehr von Klerus’ Gnaden handeln, sondern echte Laienrechte:

„Wir stellen die Gretchenfrage: Will die Hierarchie eine Demokratisierung, will sie Laienvertretungen, die mutig, in gewissenhaftem Ernst, aber auch in Freiheit ihre Ansichten vertreten, auch wenn sie im konkreten Fall einmal nicht mit der Meinung von einigen Pfarrern, Prälaten oder gar Bischöfen übereinstimmen, oder will sie Jasager?“55

Die Kritik traf auch das ZdK selbst. Immer noch gebe es in ihm zu viele Geistliche, und sein Statut ermögliche es dem Episkopat, „jede eigene Meinungsäußerung … zu unterdrücken. … ein schlechtes Statut trägt den Keim des Mißbrauchs in sich“56. Dass das ZdK intern bereits Vorschläge zu einer Statutenreform an die Bischofskonferenz gegeben hatte, aber nicht bereit war, öffentlich darüber zu diskutieren, bestätigte die Kritiker.57

Das Verhältnis zwischen Episkopat und ZdK wurde von beiden Seiten her neu justiert. Das Gründungsstatut der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vom Frühjahr 196658 sah u. a. eine eigene Kommission für die Laienarbeit vor, deren ständigem Beraterstab auch Laien angehören sollten. Das ZdK konnte sie vorschlagen.59 Die Nähe der Laien zur Hierarchie blieb so erhalten, wechselte in der Form aber von der Anbindung durch Direktion zur Einbindung durch Verflechtung und beratendes Mitreden.60 Das neue Statut des ZdK, das von seiner Vollversammlung am 10. Juni 1967 verabschiedet worden war, konnte nur mit der Genehmigung der deutschen Bischöfe vom 21. September 1967 in Kraft treten61, auch wenn das ZdK von den Bischöfen nicht mehr dauerhaft „getragen“, sondern in sprachlicher Abwandlung in einem gewissen Eigenstand „anerkannt“ (§ 1) wurde, wobei mit diesem Wort die finanzielle Unterstützung der Bischofskonferenz angezeigt werden sollte62 (Humpty Dumpty lässt grüßen). Die bisherige strikte Unterordnung wurde abgemildert63, ohne den beträchtlichen Einfluss des Episkopats auf Mitgliedschaft wie Tätigkeit aufzugeben. Die Diözesanvertreter wurden nun durch die neuen Laienräte entsandt (§ 4 a). Für die Kooptierung weiterer Persönlichkeiten war keine Zustimmung der Bischöfe mehr nötig (§ 4 d).64 Die Leiter der Laienapostolats-Einrichtungen der DBK waren von Amts wegen Mitglieder des ZdK (§ 4 b). Der Präsident, wenn auch nicht mehr seine Vertretung, benötigte weiterhin die Bestätigung des Vorsitzenden der DBK (§ 9 Abs. 2).

Das ZdK musste nun nicht mehr einvernehmlich mit den Bischöfen handeln, und auch die Passepartout-Formel von der erforderlichen Bestätigung grundsätzlicher Beschlüsse war weggefallen. Aber ob die neu ermöglichten Beiräte zur Beratung der ZdK-Organe und der DBK mit deren Kommissionen eingerichtet würden, wurde ebenso wie ihre Zusammensetzung und ihr Vorsitz von der Zustimmung der Bischofskonferenz abhängig gemacht (§§ 2 b und 12 Abs. 4). Neu eingeführt wurde ein Generalsekretariat mit Sachreferaten. Geführt wurde es von einer eigenartigen Doppelspitze. Der Laienleiter heißt Generalsekretär und leitet in einem nicht näher konturierten „Zusammenwirken“ mit dem Geistlichen Direktor (seit 1968 Bischof Hemmerle, Aachen). Diesen leitungsbeteiligten Direktor im selben Atemzug als geistlichen und theologischen „Berater“ des ZdK zu bezeichnen (§ 11), verschleiert seine mögliche faktische Bedeutung. Beibehalten wurde der weiterhin von der Bischofskonferenz bestellte Bischöfliche Assistent (früher: Generalassistent). Als Verbindungsmann zwischen DBK und ZdK war er berechtigt, an den Sitzungen aller Organe des ZdK (Vollversammlung, Geschäftsführender Ausschuss, Präsidium) teilzunehmen (§ 10) und sicherte so den Informationsstand der Hierarchie über alle wesentlichen Vorhaben und Aktivitäten des Komitees. Eine äquivalente Vertretung des ZdK bei der Bischofskonferenz gab es nicht. Zur „institutionellen Sicherung“ der Zusammenarbeit fanden wenigstens einmal im Jahr gemeinsame Planungsgespräche zur Beratung gemeinsamer Fragen zwischen den Vorsitzenden der Kommissionen der Bischofskonferenz und dem ZdK-Präsidium sowie den Vorsitzenden der Beiräte statt.65

In enorm wortreichen grundsätzlichen Erwägungen zur Funktion des ZdK skizzierte sein Geistlicher Direktor dieses als „Gespräch“ auf mittlerer Ebene zwischen Zentrum und Peripherie. Dabei gelte:

„Gespräch ist nur dort, wo zwar jeder zu Wort kommt, aber alle, aufeinander hörend, auf das Eine hören; anders gewendet: Gespräch ist dort, wo zwar alle sich aneinander, an eine gemeinsame Ordnung im Hören aufs eine Wort binden, wo aber gerade dadurch alle dazu freigesetzt werden, ihr eigenes Wort zu sagen, an dem so freilich nicht nur das Recht und Gewicht eigener Meinung, sondern die hörende Verantwortung fürs Ganze mit hängt. Jedem Partner fällt sein Wort, sein Beitrag zu, und doch ‚gehört‘ jedem Partner nicht nur ein Teil des Gesprächs, sondern das ganze Gespräch …, in welchem sich Eigenständigkeit und Vielfalt ‚von unten‘ und Ordnung, Zusammenhang und Einheit des vielfältigen Gesamten ‚von oben‘ begegnen und befruchten“66.

Was hier tief philosophisch daherkommt, ist bei näherer Betrachtung wieder das katholisch-definierende Sprachdiktat als Vernebelung der hierarchischen Überordnung zum Zwecke ihres Erhalts. Und was hier noch undeutlich anklingt, dass nämlich die alle verpflichtende Ordnung und Einheit natürlich von jenem Oben kommt, dem der Sprecher angehört, wird im Laufe des Textes explizit, wenngleich scheinbar en passant eingespielt: Weder fehlt der Hinweis auf die Kirche als „gegliederte Gemeinschaft“67 noch auf „die eigene unverrechenbare Zuständigkeit kirchlichen Leitungsamtes“68. Entsprechend gehe es darum, „die verschiedenen Hinsichten und Weisen der allgemeinen Mitverantwortung in der Kirche … zu einem Zusammenspiel zu führen, das zugleich alle einzelnen Initiativen und das eine Leben des Ganzen fördert und entfaltet“69. Es gibt „in der gemeinsamen Verantwortung für alles verschiedene Weisen dieser Verantwortung, … dem Leitungsamt der Kirche … bleibt die Sorge fürs Ganze aufgetragen, es bleibt der Garant der Einheit des Ganzen“70. Was nottut, ist „die Wechselwirkung, die Zusammenarbeit … In ihr muß aber darauf geachtet werden, daß der eigene Stand und Rang der verschiedenen Aufgaben nicht eingeebnet wird“71.

Ohne Weisungsbefugnis koordinierte das ZdK damit die Arbeit des funktional gegliederten Verbändewesens auf der einen und die territorialen Zusammenschlüsse der Laien auf Bistumsebene auf der anderen Seite. Laut Satzung sollte es weiterhin Anliegen nicht „von“, sondern „der“ Katholiken in der deutschen Öffentlichkeit und im Ausland vertreten (§ 2). Dies erweckte wieder statuarisch den Eindruck einer Repräsentation, der faktisch nicht gedeckt war und in der eigenen Außendarstellung bestritten wurde. Gegen den Wortlaut des eigenen Statuts wurde „entschieden“ verneint, eine Gesamtvertretung der deutschen Katholiken zu sein:

„Eine Vertretung der Katholiken selbst ist es aber zweifellos nicht. Das Zentralkomitee hat nicht den Ehrgeiz, Repräsentationsorgan der deutschen Katholiken zu sein. Es geht ihm nicht um Repräsentation, etwa im Sinne von Laienparlamenten, sondern um die Zusammenfassung der Kräfte, die im Laienapostolat tätig sind“72.

Forderungen nach Demokratisierung lehnte die ZdK-Führung strikt und systemgerecht mit dem Hinweis auf den Stiftungscharakter der Kirche ab und diffamierte sie als „Verspätungserscheinung der Emanzipation des Laien in der vorkonziliaren Phase“73.

Hoch- und Überdruck

Dennoch erhöhte sich der innerkirchliche Druck. Denn die universalkirchlichen Autoritäten glaubten weiterhin an hierarchische Steuerung und Entscheidung als Integrationsinstrumente. Schon Mitte 1966 hatte die Kongregation für die Glaubenslehre die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen ermahnt, den konziliaren Erneuerungsprozess auch zu überwachen. Irrtümer, wie vor allem das ordentliche Lehramt des Papstes zu vernachlässigen oder gar zu missachten, als sei ihm gegenüber eine freie Meinungsäußerung möglich, seien zu unterdrücken.74

Diese Ermahnung kam nicht von ungefähr. Denn zu dem Druck der Reformerwartungen, für die das Konzil als Katalysator wirkte, kam ein weiterer akut sehr verstärkend hinzu. Seit Längerem war bekannt, dass die Kommission zur Beratung des Papstes in der Frage, ob die ablehnende kirchliche Haltung zur Empfängnisverhütung geändert werden könnte, ihre Arbeit abgeschlossen hatte. Zudem war der Beratungsstand (Mehrheit pro Veränderung, Minderheit pro Beharrung) geleakt und der öffentlichen Diskussion ausgeliefert worden.75 Die nun anstehende Entscheidung des Papstes ließ aber weiterhin auf sich warten und erhöhte, je länger je mehr, die Enttäuschungsfurcht der Katholiken.

Der Episkopat befürchtete vor allem eine unkontrollierbare Situation. Kardinal Frings bat im Frühjahr 1967 den Papst, „baldmöglichst eine autoritative Entscheidung“ zur Geburtenregelung zu treffen. Andernfalls werde „es kaum noch möglich sein, einer Erklärung der Kirche Nachdruck zu verleihen“76. Am 22. September 1967 gaben die deutschen Bischöfe ein „Schreiben an alle, die von der Kirche mit der Glaubensverkündigung beauftragt sind“77, heraus, mit dem sie der römischen Mahnung in ambivalenter Manier nachkamen: „Wir haben dem Konzil gegenüber immer eine doppelte Aufgabe: Wir müssen vorbehaltslos anerkennen, was es Neues bringt; das gleiche Gewicht aber hat die andere Aufgabe, das Neue als Entfaltung des überlieferten Glaubensbestandes zu begreifen und aufzuzeigen“78. In präventiv-abfedernder Absicht gegen die befürchtete Lehrbeharrung79 wurde zudem einerseits die Autorität des kirchlichen Lehramts betont, andererseits aber ungewöhnlich ausführlich die, wenngleich durch viele Einschränkungen marginalisierte, grundsätzliche Möglichkeit eines Irrtums des ordentlichen nicht-unfehlbaren Lehramts ventiliert sowie zugleich der Eindruck erweckt, als sei eine Gewissensentscheidung in Abweichung von diesem Lehramt als grundsätzlich legitim vorstellbar.80

Damit waren jedoch die Erschütterungen nicht zu verhindern, die von der Enzyklika „Humanae Vitae“ vom 25. Juli 1968 ausgelöst wurden. Viele Laien wie Priester lehnten die Entscheidung des Papstes rundweg ab. Die einen sammelten sich zu Protestaktionen oder richteten öffentliche Appelle an die Bischöfe, den Papst umzustimmen. Andere emanzipierten sich gänzlich von einer Gewissensjustierung durch die kirchliche Autorität. Manche Priester waren froh, dass ihre mühsame Treue zur Lehre im Beichtstuhl nicht vergebens gewesen war, sondern bestätigt wurde. Die anderen hatten schon bisher den Gläubigen die Entscheidung überlassen und sahen sich außerstande, der Enzyklika zu folgen und bei der geistlichen Führung der Eheleute ein Vorbild des Gehorsams zu sein. Versetzt formierten sich auch Gruppen zur Unterstützung des Papstes und seiner Lehre.81

Der Katholikentag in Essen vom 4. bis 8. September 196882 zeigte, dass der aufgestaute Hochdruck zum gefährlichen Überdruck zu werden drohte. Die Enzyklika wurde zum Katalysator der innerkirchlichen Kritik, in der die allgemeine Infragestellung von Autoritäten auch vor den kirchlichen nicht mehr haltmachte. Statt der gewohnten bischofsergebenen Laiengroßveranstaltung, die sich aus Kircheninterna heraushielt, waren jetzt durch die Studentenbewegung geschulte junge Leute zu erleben, die mit Spruchbändern wie „sich beugen und zeugen“ oder „sündig statt mündig“83 ihren Status als katholische Gläubige angesichts der päpstlichen „Verkehrsregel“ ironisierten.84 Ein organisierter „Kritischer Katholizismus“ trat auf als „Katholische außerparlamentarische Opposition (KAPO)“ oder „Außerhierarchische Opposition (AHO)“85. Ein bezeichnendes äußeres Detail berichtete der Jesuitenpublizist Mario von Galli:

„Als ich vor meiner Katholikentagsrede wartend am Rand der Tribüne stand, drängelten sich plötzlich durch die dichte Menschenmenge – einen Platz suchend – Kardinal Döpfner und Weihbischof Angershausen. Offenbar hatten sie vermutet, oben auf der Tribüne – so wie es früher üblich war – für kirchliche Würdenträger reservierte Stühle zu finden. Es gab aber keine. Nur die Jazz-Musik war da angesiedelt und das Rednerpult“86.

Die schon länger dauernde politisch-soziologische Debatte um die sogenannte zweite Demokratisierung, nämlich nach der des Staates 1945 nun die der gesamten Gesellschaft, griff auch auf die Kirche über und fand auf dem diskussionsoffen angelegten Katholikentag ein geeignetes Forum. Der Ruf nach innerkirchlicher Demokratisierung hatte auch den Mainstream-Katholizismus erreicht. So konnte vor der Delegiertenversammlung der katholischen Verbände Deutschlands verlangt werden, die

„Laien an allen wichtigen Willensbildungsprozessen zu beteiligen … In diesem Zusammenhang muß die Kirche begreifen, daß es nicht um die Verwirklichung laizistischer Machtansprüche, sondern um die Verwirklichung der Forderung nach vollständiger Inpflichtnahme eines mündigen Volkes Gottes geht“87.

Mitwirkung nicht mehr als unverbindliches Gespräch miteinander, kein Meinungsaustausch als Sandkastenspiel, stattdessen geregelte demokratische Verfahren mit verbindlichen Ergebnissen: Im Ruf nach einem „Nationalkonzil“, auf dem alle katholischen Gruppen entscheidungsberechtigt sein sollten, bündelte sich die Forderung nach einer Demokratisierung der kirchlichen Strukturen.88 Damit war die Systemfrage gestellt, und nicht nur die Hierarchie alarmiert. Der Essener Katholikentag wird als „Aufstand der Laien“89, seine Zeit als „Sturmjahre“ erinnert.90 Von Kardinal Frings ist überliefert, „die ganze Nazizeit habe ihm nicht so zugesetzt wie die Nachkonzilszeit“91.

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