Die Tempelritter-Saga - Band 3: Der Emir von Al-Qudz - Rena Monte - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Tempelritter-Saga - Band 3: Der Emir von Al-Qudz E-Book

Rena Monte

3,9
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

„Man verlangte von mir, Menschen zu täuschen, die mich als Freund betrachteten. Aber konnte ich überhaupt ablehnen? Mit Sicherheit würde ich dann dort landen, wo ich hergekommen war: auf nassem Stroh in einem Verlies. Also stimmte ich zu.“ Das sagenumwobene Jerusalem! Einmal die heiligste aller Städte sehen, das ist der Traum des Tempelritters Henri de Roslin. Doch der Weg dorthin ist gefährlich. Henri gerät mitten in das Intrigenspiel um den Thron des Emirs von Al-Qudz – denn in Jerusalem kämpfen verfeindete Christen und Sarazenen erbittert um die Erneuerung des Felsendoms. Als Henri beide Lager ausspionieren soll, gerät er immer tiefer in den Strudel einer jahrzehntelangen Verschwörung voller Misstrauen und Hass. Eine wilde Hetzjagd durch die arabische Wüste beginnt … Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 377

Bewertungen
3,9 (18 Bewertungen)
6
6
4
2
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Das sagenumwobene Jerusalem! Einmal die heiligste aller Städte sehen, das ist der Traum des Tempelritters Henri de Roslin. Doch der Weg dorthin ist gefährlich. Henri gerät mitten in das Intrigenspiel um den Thron des Emirs von Al-Qudz – denn in Jerusalem kämpfen verfeindete Christen und Sarazenen erbittert um die Erneuerung des Felsendoms. Als Henri beide Lager ausspionieren soll, gerät er immer tiefer in den Strudel einer jahrzehntelangen Verschwörung voller Misstrauen und Hass. Eine wilde Hetzjagd durch die arabische Wüste beginnt …

Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt!

Über die Autorin:

Rena Monte studierte Geschichte und Rechtswissenschaft und veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche historische Romane. Rena Monte lebte als freie Autorin in der Nähe von München und zeitweise in der Toskana. Sie verstarb 2014.

Bei dotbooks erscheinen die Romane »Das Herz der Falknerin«, »Die schöne Verräterin«, »Die Kurierreiterin« und »Die Zauberin von Toledo«. Außerdem schrieb sie für die Tempelritter-Saga den folgenden Band:

»Die Tempelritter-Saga – Band 1: Der Fluch der Templer«

***

eBook-Neuausgabe Februar 2015

Copyright © der Originalausgabe 2003 bei Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Copyright © der Neuausgabe 2014 bei dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/artform und Kiselev Andrey Valerevichy

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-780-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Der Emir von Al-Qudz« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Rena Monte

Der Emir von Al-Qudz

Die Tempelritter-Saga

Band 3

dotbooks.

1

Ende des Jahres 1314

Immer, wenn er die Augen schloss, sah Henri de Roslin einen gespaltenen, blutenden Leib vor sich, die Saufeder in der klaffenden Wunde. Immer, wenn er sich wusch, strich er behutsam über die Narben, die die Tortur der Inquisition auf seiner Haut hinterlassen hatte. Immer, wenn er träumte, sah er den Papst, mit Schaum vor dem Mund und verdrehten Augen, der ihn wie ein fahles Gespenst aus dem Jenseits fragte: Warum, Henri, warum?

Wenn er lauschte, hörte er das Gemurmel der Menschen auf den Marktplätzen, die sich die sensationellen Nachrichten zuflüsterten. Er hörte die polternden Schritte der königlichen Soldaten, die die Kneipen und Gasthäuser durchkämmten, die Tritte der Pferdehufe, die über Moore und Einöden hallten, wenn die Soldaten unterwegs waren, um die alten Komptureien der einst so stolzen Tempelritter zu durchsuchen. Er roch den Schweiß der Pferde und den Gestank der Soldaten, die nur ein Ziel hatten: ihn, Henri, den Fluch der Templer, zu verhaften und endgültig zu vernichten.

Er hatte wenig, auf das er sich in einem der Anarchie verfallenen Land noch verlassen konnte: seinen Instinkt und seine Erfahrung im Kampf, seine rasche Auffassungsgabe und seine Geistesgegenwart, seine Kenntnisse der Geographie und der Astronomie. Seinen unerschütterlichen Glauben an Gott, dessen Werkzeug der Rache er gewesen war. Und an seiner Seite Uthman ibn Umar, den Gelehrten und Freund, im Kampfe schnell und sicher, der ihm bei seinen schrecklichen und notwendigen Taten geholfen hatte: der Hinrichtung des Papstes Clemens und des Königs Philipp. Die beiden hatten sich verschworen, den mächtigen Orden der Templer zu einem Brutherd der Ketzerei erklärt und in einem gewaltigen Blutbad die stolzen Ritter vernichtet.

Jetzt, da die Taten vollbracht, der Fluch vollzogen, die Schande gerächt war, wusste er, dass die Häscher ausgeströmt waren, um ihn zu finden. Überall. Um ihn dann zu töten.

Er musste weg von Frankreich, weg von den Spähern, Spitzeln und Spionen.

*

Ein leichter Wind strich über den Hafen Le Grau-du Roi und kam sogleich wieder zum Erliegen. Seine Kraft reichte nicht einmal aus, um die Wasseroberfläche des Kanals zu kräuseln, zu dessen Bau Ludwig der Heilige den Auftrag gegeben hatte.

Henri und Uthman hatten sich zu diesem Hafen in der Camargue entschlossen, weil dort nur einige Fischer lebten, die sich auf dem schmalen Landstreifen des kleinen Ortes Aigues-Mortes angesiedelt hatten. Erst vor etwa hundert Jahren war die enge Nehrung vom Meer angelandet worden, die nun einigen armseligen Fischerhütten Raum bot.

Darum hegten sie die Hoffnung, dass die Kunde vom Mord an König Philipp nicht bis hierher gedrungen war. Vielleicht aber hatte man auch in diesem abgelegenen Teil Frankreichs von der schrecklichen Begebenheit gehört, dass Papst Clemens einem Giftanschlag zum Opfer gefallen war. Wie schnell könnten in so einem kleinen Fischerdorf Gerüchte entstehen und Fremde verdächtigt werden! Von den frommen Kirchgängern des Ortes könnte man mit Sicherheit kein Verständnis für einen heimtückischen Giftanschlag auf den heiligen Vater erwarten.

Weil sie einer hochnotpeinlichen Befragung entkommen wollten, mussten die Flüchtlinge ohne Verzögerung Frankreich verlassen. Sie wussten es beide. Denn man würde sie als Mörder und Giftmischer im gesamten Gebiet der Krone verfolgen, wohin sie sich auch wendeten. Eine unsichere Zukunft und eine weite Reise lagen vor ihnen.

»Wir können es uns nicht erlauben, auf ein Schiff zu warten, das uns Bequemlichkeiten verschafft«, hatte Henri gesagt. »Im Hafen liegt eine Kogge, die mir einen seetüchtigen Eindruck macht.«

Uthman betrachtete fachkundig die hohen Aufbauten im Vor- und Hinterschiff, die ziemlich geräumig aussahen. »Jedenfalls«, meinte Uthman, »bietet sie doch mehr Platz als ein Einbaum, der nur durch Planken erhöht ist!«

Henri lachte. »Zur Not würde ich auch mit dem einfachsten Wasserfahrzeug flüchten.« Die Kogge mit den viereckigen Segeln aus Baumwolle oder Hanf schien genügend Segelfläche zu haben, sodass sie sich schnell genug von der französischen Küste entfernen konnten.

»Auch wenn es anders wäre, müssten wir mit dieser Kogge vorlieb nehmen«, stellt Henri abschließend fest.

*

Schon wenige Stunden später standen sie auf dem knarrenden Deck des Schiffes. Es hatte Kurs auf Menorca genommen, von dort hofften die Gefährten, nach Spanien übersetzen zu können.

»Jetzt habe ich nur noch eine Sorge«, sprach Henri laut aus, was er gerade dachte. »Die Segel hängen noch ziemlich schlapp.« Er blickte sorgenvoll auf den Hafen von Le Grau du Roi. »Den Piraten, die sich in den Gewässern der Balearen herumtreiben sollen, können wir so nicht entkommen.«

Uthman machte einen seiner üblichen Scherze. »Umso besser! Denn die Piratenschiffe sind nicht auf ihre Segel angewiesen, weil sie durch ihre Ruderer in drei Reihen auf jeder Seite angetrieben werden. Du glaubst nicht, welche Geschwindigkeit ein Piratenschiff erreichen kann, wenn der Aufseher mit der Peitsche den Antrieb befördert.«

»Ich bin froh, dass du zu deiner Fröhlichkeit zurückgefunden hast und wieder scherzen kannst«, sagte Henri. »Ich fürchtete schon, dass dich der Mord an König Philipp und der Giftanschlag auf den Papst allzu sehr belastet hätten.«

»Das hatten sie auch, und bis jetzt fühle ich mich noch nicht befreit. Ich habe ein Gebet an Allah gerichtet, dass er mir diese Taten verzeihen möge.«

»Auch ich habe eine Bitte um Vergebung an Gott gerichtet und hoffe, dass ich erhört werde«, erwiderte Henri. »Aber ich habe meine Gedanken auch der Zukunft zugewandt. In der Klosterkirche von Aigues habe ich für die Gnade einer guten Überfahrt gebetet, und ich bitte dich, dass auch du deinen Allah um seine Hilfe anflehst.«

Uthman verlor sein Lächeln. »Ich habe zu Allah gebetet, dass er deinen Knappen Sean und seine Mutter, die Lady of Ardchatten, beschützen möge. Wenn die beiden deinem Rat gefolgt sind, befinden sie sich bei dem Abt der Klosterkirche Cadouin in guter Obhut.«

Henri wirkte noch immer besorgt. »Ich habe sie eindringlich davor gewarnt, dass die königliche Polizei in allen Bastiden nach uns suchen wird.«

»Richte deine Sorgen jetzt auf die kommenden Wochen!«, mahnte Uthman. »Was wir tun konnten, haben wir getan.« Er wies zu der französischen Küste, die trotz des allzu linden Windhauches schon hinter dem Horizont verschwunden war.

Als ob jedoch die himmlischen Mächte die Gebete der Flüchtlinge erhört hätten, fuhr unerwartet eine kräftige Böe über das Wasser. Die Segel blähten sich und trieben das Schiff über die stärker gewordenen Wellen vorwärts.

Jetzt war Henri eigentlich seine Sorgen los. Doch er suchte aufmerksam den Horizont ab. Weit hinter ihnen, fast nur ein kleiner Punkt, dümpelte ein Frachtschiff.

»Wir sollten es im Auge behalten«, flüsterte Henri Uthman zu, »vielleicht ist uns doch jemand gefolgt.« Obwohl die französischen Soldaten keine berühmten Seefahrer waren, könnten sie dennoch das Schiff entern und Henri und Uthman in Ketten legen lassen. Es war keine verlockende Aussicht.

Uthman nickte. Sollten die Truppen des Königs sie tatsächlich im Hafen beobachtet haben und nun verfolgen, könnte die Reise zur Katastrophe werden.

»Hoffentlich haben wir genügend Schiffszwieback, Bohnen und gesalzenen Fisch an Bord«, seufzte Uthman, scheinbar unbesorgt, weil er sich nichts anmerken lassen wollte. »Seeluft macht hungrig.«

»Erzähle mir etwas über Menorca!«, bat Henri, um ihn von seinem vermeintlichen Hunger abzulenken. »Ich möchte nämlich wissen, was uns dort erwartet. Vielleicht hast du in der Bibliothek etwas über die Zeit gelesen, als Menorca zum Kalifat von Cordoba gehörte.«

Uthman ließ sich nicht lange bitten, wie immer, wenn er von Cordoba erzählen durfte. »Menorca wurde von vielen Völkern beeinflusst: von den Griechen, Karthagern, Römern, dann uns Arabern. Heute leben dort Franzosen und Katalanen, dazu vereinzelte Anhänger des Propheten. Willst du noch mehr erfahren?«

Henri nickte beifällig. »Das hört sich gut an. In einem solchen Völkergemisch können wir gut untertauchen.«

»Du hast gefragt, welche Rolle Cordoba gespielt hat«, fuhr Uthman müde fort. »Das kann ich dir erklären. Menorca kam nämlich rund 280 Jahre nach der Auswanderung Muhammads von Mekka nach Medina, im Jahre 902 eurer Zeitrechnung, unter das Kalifat von Cordoba. Wenn es uns möglich ist, in Ciutadella an Land zu gehen, können wir dort vielleicht noch die ehemalige arabische Moschee sehen. Aber wahrscheinlich hat man sie zu einer christlichen Kathedrale umgebaut. Der Alcázar, der ehemalige arabische Statthalterpalast, so habe ich gehört, soll jedoch noch erhalten sein.«

Henri war froh, dass Uthman schläfrig wirkte. Denn sonst hätten seine stolzen Ausführungen über das Kalifat von Cordoba mit Sicherheit vor dem Morgengauen kein Ende gefunden. Jetzt aber hatte sich Uthman auf dem hölzernen Deck ausgestreckt. Er wies zum Himmel. »Du verstehst doch so viel von der Astronomie. Wie bist du eigentlich als Tempelritter dazu gekommen, dich mit der Sternenwelt zu beschäftigen? Denn eigentlich waren es doch wir Araber, die durch die Trennung von Astronomie und Astrologie diese Wissenschaft auf ein für euch Christen unerreichbares Niveau gebracht haben.«

»Darüber ließe sich streiten«, erwiderte Henri. »Aber ich gebe zu, dass mein Wissensdurst, das himmlische Firmament zu erforschen, auf der Grundlage einer biblischen Geschichte entstanden ist.«

»Das hätte ich mir denken können!«, rief Uthman. »Worum ging es denn da?«

»Um einen Stern, dem die drei Weisen aus dem Morgenland gefolgt sind. So fanden sie, wie ihnen prophezeit worden war, in Bethlehem ein Kind, das sie anbeteten und mit Gold, Weihrauch und Myrrhe beschenkten.«

»Du meinst euren Propheten Jesus, den Sohn der Maria, der dort in einem Stall geboren wurde?«, fragte Uthman.

»Ja, ich spreche von dem Stern zu Bethlehem, von dem die einfachen Leute glauben, die drei Sterndeuter Caspar, Melchior und Balthasar seien ihm gefolgt. Für manche gilt dieses C M B als zauberkräftiges Zeichen. Es dient dazu, Gegenstände und Gebäude vor dem Zugriff von Dieben zu bewahren. Für uns Christen aber gelten die Anfangsbuchstaben der Namen C M B als Bitte: Christus mansionem benedicat – Christus möge dieses Haus segnen.«

Uthman begann zu gähnen. Darum fügte Henri nur noch einen einzigen Satz an. »Ich aber wollte den Weg der drei Sterndeuter kennen lernen. Aber aus ganz anderen Gründen gelangte ich nach Jerusalem, wo die drei Weisen König Herodes ihr Wissen mitteilten.«

Uthmans Interesse an der biblischen Geschichte war erschöpft, denn er wusste ja alles, was es über Jesus Gott segne ihn und schenke ihm Heil! – zu wissen gab, aus dem Koran: dass er durch Gottes Wort von einer Jungfrau geboren, von Gott geliebt und zu ihm gerufen worden war, um am Tage des Gerichts Zeugnis abzulegen für die wahren Gläubigen des Islams. Wir ließen Jesus, den Sohn der Maria, hieß es in der Sure vom Tisch, in ihren Spuren folgen, zur Erfüllung dessen, was schon vor ihm in der Thora war; und Wir gaben ihm das Evangelium, worin Führung und Licht war, eine Führung und Ermahnung für die Gottesfürchtigen. ... Wenn Allah sagen wird: »O Jesus, Sohn der Maria, gedenke Meiner Gnade gegen dich und gegen deine Mutter; wie Ich dich stärkte mit der heiligen Offenbarung – du sprachst zu den Menschen sowohl im Kindesalter wie auch im Mannesalter; und wie Ich dich die Schrift und die Weisheit lehrte und die Thora und das Evangelium; und wie du die Blinden heiltest und die Aussätzigen auf Mein Gebot; und wie du die Toten erwecktest auf Mein Geheiß; und wie Ich die Kinder Israels von dir abhielt, als du mit deutlichen Zeichen zu ihnen kamst, die Ungläubigen unter ihnen aber sprachen: »Das ist nichts als offenkundige Täuschung.« Was die Christen sonst an Aberglauben über Jesus hatten, wie diese Sterndeuter, den Kreuzestod, dass Jesus ein Gott sei, das interessierte ihn wenig, erzürnte ihn sogar: Sprich: »Er ist Allah, der Einzige; Allah, der Unabhängige und von allen Angeflehte. Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt; und keiner ist Ihm gleich«, hieß es in der Sure von der Reinheit des Vertrauens, Al-Ichlás. Doch mochten die Christen auch jede Menge Unfug über den Propheten Jesus erzählen, so hatte Gott doch entschieden, seine Anhänger über jene zu setzen, die ungläubig waren oder viele Götzen anbeteten.

Aber obwohl Uthman die kindischen Vorstellungen der Christen langweilten, weil ihre Fabeln dem reinen, strahlenden Licht des wahren Glaubens so sehr unterlegen waren, war seine Müdigkeit nun plötzlich verflogen. Ihn faszinierte etwas anderes: »Du warst in Jerusalem, in unserem arabischen Al-Qudz?«, rief er begeistert. »Davon musst du mir erzählen!«

»Jerusalem wurde für mich ein langes und ereignisreiches Abenteuer. Aber auf unserer Seereise nach Menorca bleibt genug Zeit, um dir davon zu berichten«, versprach Henri. »Das heißt, wenn wir es bis dorthin schaffen!«

Der Wind hatte sich gelegt, und die Kogge dümpelte mit schlaffen Segeln durch niedrige Wellen. Das gleichmäßige Schaukeln schläferte die beiden ein. Zum ersten Mal seit dem Mord an König Philipp und dem Giftanschlag auf den Papst fanden sie zu einem ruhigen und traumlosen Schlaf.

Sie wachten erst auf, als der Polarstern schon verblasst war. Auf Deck ertönten laute Rufe. »Was machen die da?«, fragte Uthman schlaftrunken. Aber Henri konnte ihm keine Auskunft geben. Er beobachtete, wie einer der Seemänner etwas Talg in einen Bleikegel schmierte, der an einer Leine befestigt war und mit einem weiten Wurf über die Bordwand befördert wurde. Das Frachtschiff befand sich auch an diesem Morgen hinter ihnen, etwas näher vielleicht, doch genau konnte Henri das nicht sagen. Auch Uthman sah mit einem Schulterzucken zum Horizont. Offenbar stellte es keine Gefahr dar.

Inzwischen hatte sich auch der Kapitän des Schiffes eingefunden, der aufmerksam den Inhalt des Kegels betrachtete, den man wieder an Bord gezogen hatte.

»Könnt Ihr mir erklären, was dieser Vorgang bedeutet?«, fragte Henri wissbegierig.

Die Antwort flößte ihm Bewunderung ein. Wie viel gab es doch, wovon er noch niemals gehört hatte! Der Kapitän gab gerne Auskunft. »Die Bodenprobe, die gemessene Tiefe und die Farbe des Meeres geben mir die Möglichkeit, unseren Standort zu bestimmen, sobald der Polarstern verblasst und das Festland außer Sicht ist. Bei Tageslicht können wir uns in Ufernähe natürlich an Flussmündungen, Hügeln, Kirchen, Dünenketten oder auch Bäumen orientieren.«

Henri bedankte sich für die Erklärung. Er nutzte jede Gelegenheit, um etwas zu lernen, was ihm bisher unbekannt war. Ich werde eine Seekarte anfertigen, dachte er.

Aber als er ein Pergament und einen Stift hervorgezogen hatte, tauchte Uthman auf, der mit den Seeleuten eine karge Mahlzeit zu sich genommen und einen Zwieback in die Hosentasche gesteckt hatte. »Du hast mir doch versprochen, von deinen Erlebnissen in Jerusalem zu erzählen.«

Henri legte sein Schreibgerät beiseite. Nicht nur für die Christenheit war Jerusalem eine heilige Stätte. Dem Islam galt Al-Qudz als drittheiligste Stadt nach Mekka und Medina. Von Mekka aus war Muhammad eines Nachts auf seiner geflügelten Stute Buraq nach Jerusalem geflogen.

Der Tempelritter Henri hatte diese Darstellung immer für einen Traum gehalten. Vom Tempelplatz in Jerusalem aus sei Muhammad schließlich zu seiner nächtlichen Himmelsreise aufgebrochen, die ihn durch die sieben Himmel bis vor den Thron Gottes geführt habe. Henri wollte seinen Freund Uthman nicht beleidigen, weil der dieses Märchen sicher glaubte. Es würde auch nicht leicht sein, über seine Erlebnisse in Jerusalem zu berichten. Denn er müsste eigentlich auch erwähnen, dass Jerusalem der Ort war, an dem Jesus Christus, der Herr, gelitten hatte und gestorben war. Aber auch den Juden war diese Stadt heilig, weil Abraham dort seinen Sohn Isaak opfern wollte, und vor allem, weil sich nach den Angaben des Talmud über dem Felsen einst das Allerheiligste des salomonischen Tempels befunden hatte.

Wo nur sollte er mit seinem Bericht anfangen? Uthman wurde schon ungeduldig. In einer plötzlichen Eingebung beschloss Henri, jene Abenteuer zu erzählen, die dazu geführt hatten, dass er in Lebensgefahr geriet und schließlich aus einem streng bewachten Palast fliehen musste.

»Mach es dir bequem, auch wenn die Planken hart sind«, forderte er Uthman auf. »Solange diese Flaute anhält, werden Wellen und Sturm meine Erzählung nicht stören. Auch das Frachtschiff wird uns nicht näher kommen können. Es sieht ganz so aus, als ob wir noch lange unterwegs sein werden.«

Henri lehnte sich gegen die hölzernen Deckaufbauten, kreuzte die Beine, ließ seine Arme entspannt zu beiden Seiten seines Körpers herabhängen und begann seine Geschichte.

»Ich war damals Knappe und noch verhältnismäßig jung. Am 18. Mai 1291 fiel Akkon in die Hand unserer Feinde. Nur das große Haus der Ordensritter hielt zunächst noch stand. Aber zehn Tage später brach die landeinwärts gekehrte Seite des Ordenshauses zusammen. Das war der Tag, an dem ich deinem Vater das Leben retten konnte.«

»Alhamdu lillah! Allah sei Dank!«, warf Uthman ein.

»Die übrigen Städte im Outremer, unseren Besitztümern im Heiligen Land, erlitten bald dasselbe Schicksal. Ende Juli hatte der Sultan Haifa besetzt, ohne auf Widerstand zu stoßen. Tortosa wurde am dritten August, Athlit kurz darauf verlassen. Dass wir unsere Pilgerburg Athlit südlich des Karmel aufgaben, ist mir eigentlich unverständlich. Aus zahlreichen Quellen sprudelte innerhalb der Burg frisches Wasser hervor. Zwischen zwei gewaltigen Türmen schützte eine Mauer mit Schießscharten und Zinnen unsere Krieger. Sie konnten sich hinter dieser Mauer bequem zu Pferde und bewaffnet bewegen. Süßwasserbrunnen wurden durch eine Mauer geschützt, die über das Vorgebirge von einem Ufer zum anderen führte. Aber nachdem wir auch Athlit aufgegeben hatten, segelten die überlebenden Tempelritter nach Zypern, weil sie angeblich die Aussichtslosigkeit ihres Verbleibens erkannt hatten.«

Uthman hatte sich Gedanken gemacht, warum die Templer alle diese Burgen aufgegeben hatten. »Hältst du es nicht für möglich, dass die Templer sich damals aus einer Offensivstrategie auf die Verteidigung zurückgezogen hatten? Warum hätten sie sonst ihre Burgen so stark befestigen sollen?«

Henri ließ diese Frage unbeantwortet und fuhr fort. »Auch ich war auf einem der Schiffe nach Zypern gelangt. Eigentlich war es meine Absicht, von dort aus nach Frankreich zurückzukehren. Aber ich fühlte mich in der Gemeinschaft der Ordensbrüder wohl. Darum beschloss ich, eine Weile auf Zypern zu bleiben.

Dann aber erschreckten uns böse Gerüchte: König Philipp wolle den Papst dazu bringen, den Templerorden aufzulösen und zu verbieten. Ich konnte mir das kaum vorstellen, aber ich dachte, nun sollte ich wohl so schnell wie möglich nach Frankreich zurückkehren.

Alles kam ganz anders, als ich mir das vorgenommen hatte. Als ich mich nämlich am Hafen herumtrieb, um eine Schiffspassage nach Marseille ausfindig zu machen, lernte ich einen jungen Tempelritter kennen, der bei Tortosa gekämpft hatte und der nach mir auf Zypern angekommen war. Dieser Ordensgefährte war bei weitem nicht so ernsthaft veranlagt wie ich zu dieser Zeit.«

»Heute doch auch noch«, meinte Uthman.

Henri ließ sich nur ungern unterbrechen. »Dieser Bursche hielt mich wahrscheinlich für viel zu folgsam und ängstlich. Als ich zögerte, auf seinen Vorschlag einzugehen, in das Heilige Land zurückzukehren, um Jerusalem zu sehen, ließ er mich seine Verachtung spüren. ›Nichts hast du von dieser Welt gesehen, wenn du nicht in Al-Qudz, der Heiligen, gewesen bist. Weißt du denn nicht, dass, wenn man die Weltscheibe von oben betrachtet, Hierosalym der Mittelpunkt der Welt ist?‹«

»Hatte er da nicht Recht?«, fragte Uthman, ohne eine Antwort zu erwarten.

Henri nickte. »Heute weiß ich das. Aber damals machte ich mich nur auf diese abenteuerliche Reise, um nicht als Feigling dazustehen. Der deutsche Kaiser, Friedrich II. von Hohenstaufen, hatte mit dem aijubidischen Sultan al-Kamil einen Vertrag geschlossen, der für euch Araber sehr nachteilig war. Denn dieser Sultan war tatsächlich um Entspannung bemüht. Aber fünfzehn Jahre später, das war, wenn ich mich nicht irre, im Jahre 1244, gaben die Aijubiden Jerusalem an die Anhänger eures Propheten Muhammad zurück. Die letzten Kreuzfahrer waren verjagt worden. Wir würden also in eine Stadt kommen, die nach den Gesetzen des Korans und der Scharia regiert wurde.

Dieser Ordensbruder, der seinen Namen mit Louis angegeben hatte, lungerte tagtäglich am Hafen herum, bis er ein Schiff gefunden hatte, das Flüchtlinge aus Outremer nach Zypern gebracht hatte und nun leer in den Orient zurückfuhr. Der Kapitän hatte nichts dagegen, uns bis nach Haifa mitzunehmen. Jedenfalls stellte er keine Fragen.«

Am Abend hatte sich, wie am Vortag, wieder ein stärkerer Wind erhoben. Henri beobachtete, wie sich das Frachtschiff langsam näherte. Einige Seeleute kletterten am Mast empor und machten sich am Reff zu schaffen.

»Hoffentlich gibt es in dieser Nacht keinen Sturm«, sagte Uthman und deutete auf dichte schwarze Wolken, die sich am Horizont zusammengeballt hatten. »Auch im Mittelmeer kann es Wellen geben, die leicht eine Höhe von vierzig Fuß erreichen.«

Seine Befürchtung erwies sich als unbegründet, und am nächsten Tag konnte Henri mit seiner Erzählung fortfahren, ohne die Stimme erheben zu müssen, um das Plätschern der Wellen an der Bordwand zu übertönen.

»Auch damals war uns das Mittelmeer gut gesonnen. Von Zypern aus gelangten wir schneller als erwartet nach Haifa. Aber schon während der Überfahrt kamen mir erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit meines Ordensbruders. Ich erwog sogar die Möglichkeit, dass Louis sich nur als Tempelritter ausgegeben hatte. Wenn ich auf unsere Ordensregeln zu sprechen kam, lenkte er das Gespräch geschickt auf ein anderes Thema. Warum legte er so überaus großen Wert darauf, nach Jerusalem zu fahren? Und was sollte ich dabei für eine Rolle spielen? Ich war nahe daran, sein Bündel zu durchsuchen. Aber ich schämte mich, einen unbegründeten Verdacht zu hegen.

Inzwischen hatte ich aber meine Aufmerksamkeit geschärft. Sehr bald war mir aufgefallen, dass sich Louis auffällig oft mit einem der Mitreisenden in einer fremden Sprache unterhalten hatte, die ich nicht beherrschte. Sie gaben sich nicht einmal Mühe, ihre lebhafte Unterhaltung abzubrechen, wenn ich zu ihnen trat. Ich fragte Louis, ob er auf dem Schiff einen Freund getroffen hätte. Er machte jedoch ein auffällig erstauntes Gesicht und behauptete, dass dieser Mann nur eine Zufallsbekanntschaft sei ...«

Henri unterbrach seine Erzählung plötzlich. Uthman hatte es auch gesehen und nickte ihm zu: »Das Schiff nähert sich immer schneller!«

Das Segel stand nun, keine fünf Seemeilen entfernt, hinter ihnen. Jetzt war auch der Kapitän an die Reling getreten, verwirrt starrte er auf den Lastsegler. Unruhig rieb er seine derben Seefahrerhände aneinander. Er wippte nervös vor und zurück, sah dann erneut auf das Schiff.

»Erzähle doch weiter«, sagte Uthman leise, »ich werde das Segel schon im Auge behalten.«

»Als wir von Bord gingen«, fuhr Henri fort, aber er sah dabei nicht zu Uthman, sondern auf das Schiff, »beobachtete ich die wenigen Mitreisenden in unserer Nähe. Der angebliche Zufallsbekannte hatte sich von Louis mit einem aufgeregten Wortschwall verabschiedet, nickte mir dann freundlich zu und wünschte mir eine gute Reise. Irrte ich mich, oder hatte er mich mit einem Gesichtsausdruck angegrinst, den ich in Akkon bei einem Mamelucken gesehen hatte, der einen Überfall auf mich plante? Ein Mamelucke? Er konnte, nach seinem Äußeren zu schließen, zu diesem Volksstamm gehören. Sie waren ja unter den erbittertsten Feinden der Tempelritter.«

»Eben dreht er ab!«, unterbrach Uthman. Beide atmeten auf. Es war offenbar doch nur ein einfacher Kaufmann auf dem Weg nach Spanien gewesen.

Jetzt kam der Kapitän des Schiffes, der sich bis dahin sehr wortkarg gezeigt hatte, auf Henri und Uthman zu. Vielleicht hatte es ihm gefallen, dass seine beiden Gäste sich für die schwierige Navigation einer Kogge interessiert hatten, vielleicht aber war er nur erleichtert und befreit, weil er ebenfalls keine französischen Soldaten in seiner Nähe wünschte.

»Darf ich Euch einladen, meine Herren, die Kogge zu besichtigen, meine Befugnisse und die Arbeit der Seeleute kennen zu lernen?«, fragte er freundlich.

Henri nahm dieses Angebot gerne an. Vielleicht könnte sich die Kenntnis des Schiffes während der Überfahrt noch als sehr wichtig erweisen, falls ein Unwetter die Kogge und ihre Besatzung in unerwartete Schwierigkeiten bringen würde.

Obwohl Henri von einer unerklärlichen Unruhe befallen wurde, gab er Uthman ein Zeichen, das Angebot des Kapitäns anzunehmen. Beide erhoben sich von den hölzernen Planken und folgten dem Herrn des Schiffes.

2

Sie merkten gleich, dass der Kapitän außerordentlich stolz auf seine Kogge war. Er pries die geräumigen Deckaufbauten, den zwanzig Meter hohen Mast und die Segelfläche von zweitausend Quadratfuß. Aber, wie sich bald herausstellte, war das nur eine Einführung, um sie gleich darauf mit einigen unangenehmen Begleiterscheinungen bekannt zu machen.

»Ich hoffe, dass Ihr mit Eurer Unterkunft in den Aufbauten zufrieden seid, meine Herren. Eine kleine Einschränkung ist allerdings vonnöten, weil das Deck wasserdurchlässig sein muss, damit sich kein schweres Gewicht auf der geneigten Deckfläche sammelt. Das würde die Kogge nämlich zum Kentern bringen. Manchmal muss jedoch das Wasser aus dem Rumpf herausgepumpt werden, wenn sich allzu viel Wasser in der Bolde gesammelt hat.«

Die beiden nickten zum Zeichen dafür, dass sie für diese Sicherheitsmaßnahme durchaus Verständnis aufbrachten.

»Leider können wir uns auf der Route nach Menorca nicht immer in Küstennähe halten«, erklärte der Kapitän, »um uns eventuell bei einem allzu kräftigen Wind in eine windgeschützte Bucht retten zu können. Das hat aber durchaus auch seine Vorteile. Denn ich kann die Kogge mit ihrem Rahsegel natürlich nicht gegen den Wind kreuzen und sie so aus der Gefahrenzone küstennaher Klippen steuern. Bei größerer Entfernung von der Küste ist die Gefahr weitgehend gebannt, auf irgendwelchen Klippen zu zerschellen.«

»Gut zu wissen«, murmelte Uthman spöttisch vor sich hin.

Henri versuchte vergeblich, eine Erinnerung an das prachtvolle Schiff der Templer zu verdrängen. Sie hatten es von den Genuesern erworben und einem Ordensbruder namens Roger von Flor anvertraut. Diesen Roger sah man schon in seiner frühesten Jugend als einen der besten Seeleute der Welt an. Als Akkon verloren ging, befand er sich gerade dort im Hafen. Neider beschuldigten ihn später beim Großmeister, er habe sich nach dem Fall von Akkon gewaltige Schätze zusammengerafft. Aber das war eine Verleumdung. Roger war darüber so verbittert, dass er abtakelte und nach Genua ging.

Dem Kapitän war nicht entgangen, dass Henri mit seinen Gedanken abgeschweift war. »Schenkt mir bitte noch einen Augenblick Eure Aufmerksamkeit! Ich muss noch einige Kleinigkeiten erwähnen, die ich für wichtig halte.«

Trotz der höflichen Stimme erfasste Henri die böse Vorahnung, dass der Kapitän erst am Schluss seiner Rede mit der größten Gefahr herausrücken würde. Seine Ahnung trog ihn nicht.

Der Kapitän, mit dem klangvollen Namen Ernesto di Vidalcosta, räusperte sich mehrmals, ehe er sie mit einer Gefahr bekannt machte, die sie nicht unterschätzen sollten.

»Das Mittelmeer wird immer noch von Piraten heimgesucht. Dabei richten sich die Attacken der Seeräuber hauptsächlich gegen Handelsschiffe, weil sie es auf deren Ladung abgesehen haben. Leider gehören auch wir zu diesem Schiffstyp. Wir sind jedoch nicht ganz schutzlos. Zu unserer Mannschaft gehören zehn Matrosen. Zusätzlich sind auf einer der obersten Aufbauten Männer postiert, die mit der Waffe umzugehen verstehen.« Er sah die beiden an, als ob er eine Antwort erwartete. Als Henri und Uthman schwiegen, räusperte er sich noch einmal kräftig und sagte dann mit einem verlegenen Lächeln: »Mir ist so, als ob ich auch bei Euch Waffen gesehen hätte.«

Er hatte also ihr Gepäck kontrolliert. Diese Entdeckung verursachte den beiden ein unangenehmes Gefühl. Ernesto di Vidalcosta wollte die Stille möglichst schnell überbrücken und fuhr in seinen Ausführungen fort. »Der Kapitän entscheidet nicht nur über den Zeitpunkt des Aussegelns und Anlaufens eines Hafens sowie über notwendige Reparaturen, sondern er ist zudem der unumschränkte Herr an Bord. Ich muss Euch also bitten, meine Herren, in jedem Belange meinen Anordnungen zu gehorchen.«

»Für den Fall eines Sturmes sehe ich das durchaus ein. Denn wir kennen uns in der Schifffahrt nicht aus«, gab Uthman zu. »Was nun aber einen Überfall durch Piraten betrifft, so sind wir es gewohnt, uns selbst zu verteidigen. In diesem Fall zählen wir uns nicht zu Eurer Mannschaft.«'

Der Kapitän konnte seinen Unmut nicht verbergen. »Ein solche Ausnahme kann ich zu Eurer eigenen Sicherheit nicht dulden. Ich bin ein erfahrener Seemann und habe so manchen Angriff der Piraten abgewehrt. Mit Eurer eigenen Verteidigung könntet Ihr mein Schiff und die gesamte Besatzung ins Verderben stürzen. Guten Morgen, meine Herren!«

Die Unterweisung war beendet. Uthmans erster Gang führte ihn in ihre Unterkunft. Die Waffen waren unberührt. Dennoch steckte er sich seinen Damaszenerdolch in den Gürtel. »Irgendetwas gefällt mir nicht«, gab er zu bedenken. »Wäre es vielleicht nicht sogar möglich, dass der Kapitän gemeinsame Sache mit den Piraten macht? Er verkauft seine Ladung, übergibt vielleicht sogar sein Schiff mit der Besatzung.«

Henri überlegte eine Weile. Er traf niemals Entscheidungen, bevor er nicht das Für und Wider sorgsam bedacht hatte. »Deine Sorge ist durchaus begründet. Aber welche Ladung? Es gibt keine für unsere Überfahrt nach Menorca. Eine Ladung ist erst für die Rückfahrt vorgesehen. Der Bestimmungsort ist Ciutadella, dessen Hafen am westlichsten Punkt der Insel gelegen ist. Angeblich will er dort Fässer mit Olivenöl laden.« Henri blickte Uthman nachdenklich an. »Aber wir sollten wieder an Deck gehen!«, sagte er dann.

Uthman beugte sich zu ihm hinab und sah sich nach allen Seiten um. »Es gibt also nur einen Grund, sich den Piraten zu ergeben«, flüsterte er leise. »Das sind wir. Der Kapitän kann niemals verlieren. Entweder erpresst er von uns ein Schutzgeld, oder er übergibt uns den Seeräubern, die uns als Sklaven auf dem Markt feilbieten. Ich jedenfalls werde meine Haut so teuer wie möglich verkaufen.«

Henri hob beschwichtigend die Hände. »Ich schlage vor, dass wir zunächst den drei Wachen einen Besuch abstatten. Wir spielen die Unwissenden und versuchen, sie mit Fangfragen auszuhorchen. Ein zu schnelles und ungestümes Vorgehen kann uns nur schaden.«

»Wie immer hast du Recht«, gab Uthman zu. »Wie hast du dir diese Fragen gedacht?»

»Welchen Eindruck sie auch immer auf uns machen, selbst wenn sie auf uns wie rechte Galgenvögel wirken, wir werden sie als erfahrene Seemänner bewundern. Dann versuchen wir, sie in ein Gespräch über Piraten zu verwickeln. Vielleicht gelingt es sogar, dass sie uns, um Eindruck zu machen, ihre Bewaffnung vorführen.«

»Dein Plan ist gut«, lobte Uthman. »Es wäre natürlich am besten, wenn sie uns über erfolgreich bestandene Kämpfe mit den Piraten berichten würden. Vielleicht aber zählen sie ja selber unter die Seeräuber und sind als Verräter an Bord untergebracht.«

»Lege dich entspannt auf die Planken«, sagte Henri leise. »Ernesto beobachtet uns. Wir müssen unseren Besuch bei den Wachen auf später verschieben.«

»Ich bin so voller Zorn und Unruhe, dass ich mich kaum beherrschen kann«, erwiderte Uthman. Aber er folgte Henris Aufforderung, streckte sich auf den warmen Planken aus und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Henri blickte auf das Meer. Da waren einige kleine Boote, aber auch ein größeres Schiff, freilich kaum mehr als ein geduckter Punkt am Horizont.

»Wir sollten es im Auge behalten«, meinte Uthman, denn obwohl er keine Gefahr mehr durch die Schergen des Königs vermutete, schadete es auch nicht, wachsam zu sein, wenn die Truppen eines ganzen Landes nach einem fahndeten, von möglichen Absprachen des Kapitäns oder der Mannschaft mit den Piraten ganz zu schweigen.

Dann wandte er sich wieder an Henri. »Erzähle mir weiter, ob dir in Haifa etwas zustieß! Dein damaliger Reisegefährte und sein verdächtiger Freund lassen mich Böses ahnen. Über diese aufregenden Begebenheiten kann ich vielleicht unsere gegenwärtigen Sorgen ein wenig in den Hintergrund schieben.«

Henri war einverstanden. »Noch ehe wir in Haifa von Bord gegangen waren«, fuhr er mit seiner Geschichte fort, »hatte ich angeregt, uns nach einem Reittier umzusehen. Aber Louis schlug geradezu entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Von diesen Rosstäuschern würde man nur betrogen. Es wäre ratsam, uns erst um Unterkunft in einer Herberge zu bemühen, um vielleicht den Wirt um Rat zu fragen.

Seine Reisebekanntschaft hatte ihm sogleich zugestimmt und behauptet, er kenne von früheren Besuchen eine saubere und nicht zu teure Herberge. Der Wirt sei ein Freund von ihm und absolut zuverlässig. Da mir die Stadt Haifa fremd war, entschloss ich mich, den beiden zu folgen, vielmehr, ich ließ mich wohl oder übel rechts und links unterhaken und davonführen.«

»Das war sehr leichtsinnig«, meinte Uthman. »In einer fremden Stadt sollte man niemandem vertrauen.«

»Da kann ich dir nur zustimmen«, pflichtete Henri ihm bei. »Heute weiß ich das auch. Aber damals blieb mir eigentlich gar keine andere Wahl. Wir tauchten in ein Gassengewirr ein, wie ich es bisher noch niemals gesehen hatte. Louis wies auf Schutt- und Trümmerberge, die von früheren Kämpfen herrühren sollten. Ihm entschlüpfte eine Bemerkung, die mich stutzig machte. Zweimal hätten nämlich meine Kreuzritter Haifa erobert und zerstört. Wieso ›meine‹ Kreuzritter? Gehörte nicht auch er zu diesem Orden?

Als die Gassen immer enger wurden, sodass nur noch ein winziger Strahl des Sonnenlichts zwischen den Häusern durchdringen konnte, erkundigte ich mich, wie weit es denn noch bis zu der Herberge sei. Aber die beiden gaben keine Antwort und beschleunigten ihren Schritt, sodass ich kaum folgen konnte. Am Ende einer finsteren Gasse entschwanden sie plötzlich meinem Blickfeld.

Ich hatte mir nicht merken können, woher wir gekommen waren, und ich wusste noch weniger, wohin ich mich wenden sollte. Unschlüssig blieb ich vor einem alten Gemäuer stehen.«

Uthman schüttelte den Kopf. »Du hättest losrennen sollen, egal wohin.«

Henri sah in den blauen Himmel und auf die Möwen, die laut schreiend ihre Kreise zogen und ins Meer stürzten, um mit einem Fisch im Schnabel wieder aufzutauchen. »Schon damals war es nicht meine Art, kopflos in irgendeine Richtung zu laufen. Ich versuchte herauszufinden, wo die Sonne stand. Denn ich wusste, dass wir in Richtung Osten gegangen waren. So hätte ich auch den Hafen wieder finden können.«

»Manchmal«, gab Uthman seine Erfahrungen zum Besten, »ist es angebracht, seinen Verstand nicht einzusetzen. Dazu ist später immer noch Gelegenheit, wenn man der Gefahr entronnen ist.«

»Vom sicheren Ort kann man gut raten«, antwortete ihm Henri unzweideutig. »Ich war ihnen in die Falle gegangen. Das sollte ich bald erfahren. Nicht etwa mein Reisegefährte und dessen zwielichtiger Freund versperrten mir den Weg nach vorn und zurück, sondern fremde Kerle, deren Aussehen nichts Gutes verhieß. Das Letzte, was ich verspürte, war ein kräftiger Schlag auf meinen Kopf.

Ich kam wieder zu mir, weil mir irgendjemand eiskaltes Wasser über Gesicht und Körper schüttete. ›Der Tempelritter kommt wieder zu sich!‹, rief eine fremde Stimme, die von weit her zu kommen schien. Mehrere finster dreinblickende Gestalten beugten sich über mich. ›Zerrt ihn hoch!‹, befahl die fremde Stimme. Ich konnte nicht erkennen, zu wem sie gehörte. Denn in meinem Kopf dröhnte ein unsichtbarer Hammer, und meine Augen ließen sich nicht öffnen. Außer der fremden Stimme mussten noch mehrere andere Männer anwesend sein. Denn man richtete mich auf und band meine Hände mit einer eisernen Kette an einen Ring in der Wand, damit ich nicht zusammensacken konnte.

›Weißt du, wo du hier bist?‹, schrie einer der Männer. Ich schüttelte stumm den Kopf. ›In Akkon, am südlichen Ende der Haifabucht. Du musst doch wissen, was Akkon für euch Kreuzfahrer bedeutete. Sieh dir die Mauern hier an! Man nennt dieses Gemäuer Burj es Sultan.‹ Jetzt wurde mir klar, wohin man mich verschleppt hatte, nämlich in den Kerker des Kreuzfahrer-Wachturms im damaligen venezianischen Viertel.«

»Da hatte es dich aber übel erwischt«, bedauerte Uthman seinen Freund. »Aber warum hatte man dich mit Gewalt dorthin entführt?»

»Das habe ich zunächst auch nicht verstanden. Aber nachdem sie mir immer wieder eiskaltes Wasser über Gesicht und Körper geschüttet hatten, klärte sich allmählich mein Erinnerungsvermögen. Die Kerle, die mich hierhin verschleppt hatten, mussten Spießgesellen von Louis sein, wahrscheinlich Mamelucken, mit denen ich schon in Akkon unangenehme Bekanntschaft gemacht hatte. Ich nehme an, dass sie Rache nehmen wollten. Denn sie hatten damals bei dem Sturm auf unser Ordenshaus viele Verluste erlitten, als die Mauern über uns alle zusammenbrachen. Jeder Tempelritter, der damals entkommen war, erregte ihren Zorn.«

»Welch eine unsinnige Tat, einen einzelnen Tempelritter büßen zu lassen!«, rief Uthman fassungslos.

Henri blieb gelassen. »Es war nicht das allein, sondern es hing auch mit dem ägyptischen Sultan Baibars zusammen, der für alle Mamelucken ein Idol war. Eigentlich war er ja ein türkischer Tscherkesse und ehemals wie alle Mamelucken ein Sklave gewesen. Sie waren von den Aijubiden als Militärsklaven gekauft worden. Als sie die bis dahin unbesiegbaren Mongolen in Palästina aufhielten, erkannte man ihre soldatischen Talente. Sultan Baibars war es, der die faktische Machtergreifung dieser Lohnsklaven in Ägypten und Syrien bekannt gab.«

»Aber was hatte das alles mit dir zu tun?«, fragte Uthman.

»Versuche einmal, dich in die Mentalität dieser Mamelucken zu versetzen! Dann wirst du vieles besser verstehen! Sultan Baibars steht bei uns in denkbar schlechtem Ruf. Man sagt, dass er durch Hinterlist und Verrat die eigentlich uneinnehmbaren lateinischen Festungen in seine Gewalt brachte. Er hatte sogar nicht davor zurückgeschreckt, Sendschreiben des Grafen von Tripolis zu fälschen.«

»An seinem Siegeszug wart auch ihr selbst wohl nicht ganz unschuldig«, wandte Uthman ein. »Bei uns Arabern behauptete man, dass auch Rivalitäten, Streitigkeiten und Intrigen zu eurem Untergang geführt hätten.«

»Das sollte man nicht verallgemeinern«, verteidigte Henri den Orden. »Ich führe zu unserer Entlastung die Einnahme der Kreuzfahrer-Burg Safed an. Obwohl sie von Rammböcken schon schwer beschädigt war, hielt die Burg allen Angriffen stand. Nur durch falsche Versprechungen des Sultans Baibars ergab sich schließlich die Besatzung. Entgegen seiner Zusicherung ließ er dann unsere Krieger grausam foltern und niedermetzeln. Allerdings hatte auch der Verrat unserer Templer-Unterhändler mitgewirkt. Man behauptet es jedenfalls von einem Casalarius mit Namen Leo, der als Aufseher unserer Templer-Landgüter das Vertrauen des Ordens missbraucht hat.«

»Das sagte ich ja«, triumphierte Uthman. »Ob nun durch Verrat oder militärische Übermacht. Dieser Baibars nahm hintereinander alle Städte ein, die unter der Herrschaft der Kreuzritter standen, und schließlich sogar Jerusalem, die Heilige Stadt.«

»Das alles ist allerdings schon lange her«, warf Henri ein. »Baibars starb sieben Jahre nach der Eroberung von Jerusalem. Warum also begegneten mir die Mamelucken so feindselig?«

»Das frage ich mich allerdings auch«, gab Uthman zu bedenken.

»Ich versuche eine Erklärung. Ohne Zweifel hat Sultan Baibars eine bedeutende Rolle gespielt. Obwohl er als Vorkämpfer eures Propheten die christlichen Kreuzfahrer besiegt hatte, pflegte er dennoch gewinnbringende wirtschaftliche Beziehungen mit den christlichen Mittelmeerländern. Er hatte auch Nubien zu seinem Vasallen gemacht und den Handel im Roten Meer übernommen. Kairo wurde nicht nur zu einer Wirtschaftsmetropole, sondern strahlte auch im Glanz prächtiger Monumente. Dies alles hatten die Mamelucken nicht vergessen. Ihr Ziel war es damals wohl, das Ansehen ihrer Dynastie wieder herzustellen.«

»Dabei solltest du ihnen helfen?«, fragte Uthman ungläubig.

Henri schüttelte den Kopf. »Ich war nur ein kleines Rädchen in diesem Räderwerk. Aber sie hatten mir eine Aufgabe zugedacht, die mich später in Jerusalem in höchste Gefahr bringen sollte. Als ich im Verlies unseres ehemaligen Wachturms mehr tot als lebendig in den Ketten hing, löste sich aus dem Schatten der Mauer der geheimnisvolle Mann, der mit Louis Verbindung aufgenommen hatte. Von Anfang an hatte wohl ein Plan bestanden, mich in die Gewalt der Mamelucken zu bringen. Das war gelungen.«

»Louis, dieser hinterhältige Verräter!«, rief Uthman wütend.

»Hätte er den Anweisungen seiner Befehlsgeber nicht gehorcht, wäre das sein sicherer Tod gewesen«, versuchte Henri seinen Feind zu entschuldigen. »Der Fremde, der mich schon an Bord beobachtet hatte, trat auf mich zu. Er trug Mameluckentracht und hielt eine neunschwänzige Peitsche in der Hand. ›Du hast die Wahl, Tempelritter‹, sagte er drohend, ›entweder führst du den Auftrag aus, den wir dir erteilen, oder wir werden dich sehr langsam totschlagen, sodass du dir wünschen wirst, niemals geboren zu sein.‹ Er gab mir, um mich einzuschüchtern, einen Schlag mit der Peitsche.«

»Schnell, Henri, schau!«, entfuhr es Uthman.

Henri hob den Kopf und sah auf das Meer, in die Richtung, in die Uthmans ausgestreckte Hand wies. »Also hat man uns doch verfolgt ...!«, rief er aus.

Das große Schiff, das gerade eben noch so weit entfernt gewesen war, hatte sich bis auf wenige Seemeilen genähert. An Bord standen bewaffnete Soldaten, die Mannschaft hatte sämtliche Segel gesetzt. Am Hauptmast flatterte die Fahne des französischen Königs.

»Der Segler heute Morgen!«, sagte Henri hastig, »er war uns auf der Spur und hat dem Kriegsschiff den Weg gewiesen.«

»Was sollen ...?«

Doch bevor Uthman weitersprechen konnte, kam schon der Kapitän aus seiner Kammer gelaufen, er hastete über Deck, lehnte sich an die Reling und konnte seinen Blick gar nicht mehr von den Verfolgern abwenden. Schnell schrie er knappe Befehle an die. Mannschaft. Seeleute kletterten auf die Masten, um weitere Segel zu setzen. Doch Uthman und Henri wussten, dass das wenig nützen würde: Es konnte nur noch Stunden dauern, bis das Kriegsschiff die Kogge einholte, und was Henri und Uthman dann erwartete, war beiden klar: Man würde die Kogge entern und sie gefangen setzen oder schlimmer noch! – sie an Ort und Stelle hinrichten. Es sei denn, die Mannschaft des Kapitäns kämpfte erfolgreich gegen die königlichen Truppen. Doch das war kaum zu hoffen.

Der Kapitän bemerkte, dass Henri und Uthman besorgt waren. »Eine reine Routineangelegenheit!«, behauptete er, aber seine vor Schreck geweiteten Augen zeigten nur allzu deutlich, dass er log; vielleicht wollte er sich auch nur selbst Mut zusprechen. Jedenfalls hatte auch er Grund, sich vor den Soldaten zu fürchten; das immerhin war nun klar, und daher wussten Henri und Uthman, dass er nichts von ihrer Identität ahnte und auch nicht beabsichtigte, sie der Inquisition auszuliefern.

Er zuckte zusammen, als direkt über ihm eine Möwe heiser aufschrie. Er blickte ihr nach in den blauen Himmel, dann lächelte er plötzlich und ging ganz langsam, fast fröhlich, in seine Kajüte zurück.

Henri brach seine Erzählung ab. »Es beginnt zu dämmern. Wir sollten jetzt den oberen Aufbau aufsuchen, wo sich die Kämpfer aufhalten. Die nächsten Stunden könnten entscheidend werden. Und was die Mamelucken unter Androhung eines qualvollen Todes von mir verlangten, kann ich dir auch später berichten – wenn es ein Später noch gibt!«

3

Die Wachleute auf dem obersten Deckaufbau zeigten sich wenig überrascht, als Henri und Uthman bei ihnen auftauchten. Sie hatten schon ihre Schritte auf der hölzernen Leiter gehört, die nach oben führte.

Henri bemerkte, dass die Wachen fröhlich und keineswegs besorgt wirkten. Offenbar wollten sie ihn ja den königlichen Truppen nicht ausliefern. Warum sahen sie dann so vergnügt zu den Wolken auf, während sich das Kriegsschiff allmählich annäherte?

Uthman hatte angenommen, dass sich die Wachmannschaft des Schiffes von den anderen Matrosen unterschied, aber er sah sich getäuscht. Weder trugen sie besondere Kleidung, die sie den Piraten ähnlich sehen ließ, noch hielten sie Lanzen oder Schwerter bereit. In ihren Gürteln steckten Dolche und Messer – nicht andere, als Uthman selbst sie trug. Aber dann entdeckte er doch etwas Außergewöhnliches. Einer der Wachleute war ein Mädchen in einer einfachen Baumwollhose. Sie trug ein Leinenhemd und hatte ihre Haare unter einem Kopftuch verborgen, wie es Piraten zu tragen pflegten.

Einer der Wachleute, der sich Arturo nannte, bemerkte Uthmans Erstaunen. »Das Mädchen hier ist meine Beute. Bei dem letzten Überfall der Piraten habe ich sie geschnappt, als sie nicht schnell genug über die Bordwand auf das Kaperschiff zurückgesprungen ist. Ich musste sie erst zähmen, aber jetzt kommen wir ganz gut miteinander aus: Ich habe sie wählen lassen, ob sie sich mir fügen oder lieber einem Richter ausgeliefert werden wolle.« Er zog sie zu sich heran und biss ihr spielerisch in ein Ohrläppchen. Als das Mädchen fauchte wie eine Katze, gab er ihr einen leichten Backenstreich.

»Hattet ihr schon des Öfteren Überfälle von Piraten?«, erkundigte sich Henri.

Arturo starrte ihn verwundert an. »Wusstet Ihr nicht, dass das Mittelmeer schon immer deren bevorzugtes Jagdrevier gewesen ist?»

»Doch«, erwiderte Henri. »Aber ich dachte, dass die Macht der Piraten seit den Zeiten der Römer längst vorüber sei. Denn ein berühmter Römer mit Namen Pompeius soll mit Seeräubern kurzen Prozess gemacht haben.«

Uthman wollte sich auch als Kenner der Piraterie im Mittelmeer zeigen. »Sogar Gaius Julius Caesar geriet in die Gefangenschaft der Seeräuber. Sie ließen ihn erst gegen ein nicht geringes Lösegeld frei.«