Die tödlichste Lösung - Miriam Rademacher - E-Book
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Die tödlichste Lösung E-Book

Miriam Rademacher

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Beschreibung

Erziehst du noch oder ermittelst du schon? Eigentlich ist die Polizistin Hedi Voss voller guter Vorsätze in den Erziehungsurlaub gegangen, doch den ganzen Tag nur Windeln zu wechseln, liegt ihr einfach nicht. So findet sie sich samt Kleinkind im Handgepäck schon bald in den privaten Ermittlungen zu einem ungewöhnlichen Fall wieder. Die junge Laura Arnold ist unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen, und ihre Freunde und Familie beharren darauf, dass es kein Unfall war. Wurde bei den Ermittlungen wirklich etwas übersehen? Als dann noch eine engagierte YouTuberin samt ihres True-Crime-Kanals im wahrsten Sinne des Wortes von der Bildfläche verschwindet, schrillen im beschaulichen Eckernförde alle Alarmglocken. Hedi Voss ist fest entschlossen, der Mutti-Langeweile entgegenzuwirken und diesen Fall zu lösen.   Der neue Cosy-Crime-Roman von Erfolgsautorin Miriam Rademacher ist humorvoll und gleichzeitig spannend bis zur letzten Seite.

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Die tödlichste

Lösung

Miriam Rademacher

Prolog

Das Erste, was sie beim Aufwachen spürte, war entsetzlicher Durst. Ihre Zunge klebte amGaumen,siehattedasGefühl,keinenTonherausbringenzukönnen,undselbstihre Augen fühlten sich trocken und geschwollen an.

Zuhause, in ihrer Wohnung, stand stets eine Flasche Wasser gleich neben ihrem Bett. DortmusstesienurdieHandausstreckenunddenkühlenSchraubdeckelertasten,um einen Schluck trinken zu können. Doch dieser Ort war nicht ihr Zuhause, und sie lag auch nicht im Bett. Hier war es kalt, und es roch nach Schimmel und Feuchtigkeit.

WährendihreLidersichnochimmerschwerwieBleianfühltenundsicheinfachnicht hebenwollten,ertastetendieFingerkuppeneinenfeinenweichenUntergrund,aufdem ihr Körper lag. Eine Matratze war es aber keinesfalls. Ihrer Meinung nach musste es sich um einen Teppich handeln.

Am liebsten wäre sie wieder eingeschlafen, in der Hoffnung, beim nächsten Mal an einemanderenPlatzaufzuwachen,amallerliebstendaheim,dochdieserGedankewar kindisch. Was immer man ihr angetan hatte, wo sie sich auch befand, sie musste sich dem Problem stellen. Je eher, desto besser. Wenn sie sich doch bloß erinnern könnte, was überhaupt passiert war.

Weitere Zeit verstrich, die ihr weder neue Erkenntnisse gebracht, noch die Situation verändert hatte. So setzte sie sich mühsam auf und zwang sich, die Augen offen zu halten. Um sie herum war es dämmrig, doch ein wenig fahles Tageslicht fiel von oben herab in den rechteckigen Raum, auf dessen Wänden fluffiger, weißgelber Schimmel wucherte. Unverkleidete Rohre liefen über ihr an der Decke entlang, und in einer Ecke stapelten sich Pappkartons mit einem Werbeaufdruck für Tiefkühlpommes. Dies hier warohneZweifeleinKellerraum,unddesseneinzigeTürbesaßaufderInnenseitekeine Klinke. Ein Blick hinauf zum einzigen Fenster hoch über ihr zeigte ihr ein stabil wirkendes Gitter hinter den schmutzigen Scheiben.

Zum ersten Mal, seit sie wieder zu sich gekommen war, verspürte sie einen Anflug von Panik.Diesalleswarnichtrichtig,gehörtenichtzuihremLeben.Undihrwolltezudem partout nicht einfallen, wie sie überhaupt hierhergekommen war. Den schmerzenden Kopf fest in den Händen haltend, versuchte sie, die letzten Stunden zu rekonstruieren. Handelte es sich überhaupt um Stunden? Ihr Zeitgefühl ließ sie im Stich. Was war das Letzte, woran sie sich erinnerte?

EinLiedkamihrplötzlichwiederindenSinn,einHitdesvergangenenSommers,der im Radio gespielt worden war. Sie war in der Küche gewesen, hatte sich den schon vorbereiteten Eistee aus dem Kühlschrank geholt und war damit zurück zu ihrem Laptop im Wohnzimmer gegangen, um noch ein wenig zu arbeiten. Sie konnte sich erinnern, das neue Script zur weiteren Bearbeitung neben die Tastatur gelegt und ihre Nachrichten abgefragt zu haben. Von da an verschwamm die Erinnerung zunehmend, ohne dass sie sagen konnte, warum.

Seufzend ließ sie den Kopf hängen und erstarrte, als sie erkannte, worauf sie saß: Es war ihr eigener Teppich. Selbst gekauft von ihrem ersten Lohn an einem Frühlingssamstag bei Ikea. Daran konnte überhaupt kein Zweifel bestehen, denn mitten in dem intensiven Grasgrün des Flors prangte der Rotweinfleck, den sie nur wenige Tage nach der Anschaffung selbst verschuldet hatte. Ein Fleck in Form der Insel Zypern.SiesaßalsoaufihremeigenenTeppich,ineinemvölligfremden,schimmeligen Keller und fand keinerlei Erklärung dafür. Und am schlimmsten war, dass die Angst sie nun mit voller Wucht traf, das Herz rasen und den Mund noch trockener werden ließ.

Einen kurzen Augenblick blieb sie auf dem Teppich sitzen und lauschte ihrem eigenen immer schneller werdenden Atem. Dann rappelte sie sich auf, schwankte, schaffte aber die wenigen Schritte bis zu der nicht gerade verheißungsvollen Tür ohne Klinke. Unter ihren Fußsohlen fühlte sie Sand und Steine auf dem Boden und schaute hinab. Sie trug noch immer die Kuschelsocken, mit denen sie üblicherweise in ihrer Wohnungherumlief.Eswarganzoffensichtlich,dasssieindiesemAugenblickzuhause sein sollte, doch mit Ausnahme des Teppichs war ihr Heim verschwunden und einem absolut widerlichen Gefängnis gewichen. Es musste eines sein, denn aus der Nähe betrachtet, glich die aus stabilen Brettern gebaute Tür einem unüberwindlichen Bollwerk und wirkte eher wie eine Stall- als eine Kellertür. In jedem Fall stand sie diesemHindernisohnepassendesWerkzeughilflosgegenüber.Ebensonutzloserschien ihr das Fenster, welches sowohl aufgrund der Höhe als auch durch das stabile Gitter als Fluchtweg ausschied. Man hatte sie hier unten eingesperrt. Ganz allein, ohne Wasser und ohne Brot, saß sie gefangen in einem Kellerloch, von dem sie nicht einmal wusste, wo es sich befand.

InstinktivtastetesieihreHosentaschenab,fanddortabernichts,dasihrweitergeholfen hätte, und fragte sich, was wohl aus ihrem Handy geworden sein mochte. Doch dieser Gedanke war müßig, so einfach hatte man es ihr nicht machen wollen. Wer immer für ihr Hiersein verantwortlich war, legte sicher keinen Wert darauf, dass sie mit der Außenwelt Kontakt aufnahm. Doch wer war dieser Jemand überhaupt? Es musste einfacheinMenschfüralldashierverantwortlichsein,eineandereErklärungfandsich nicht.

»Hallo?«IhreStimmeklangfremdundrau,alsobsielangeZeitnichtbenutztworden wäre. Nach kurzem Räuspern versuchte sie es noch einmal und gleich ein bisschen energischer. »Hallo!«

Als eine Antwort ausblieb, pochte sie gegen das Holz: vergeblich. Also begann sie damit,dieTürmitdenFüßenzutraktieren.AlssichnichtsaußerhalbdesKellersregte, gab sie auch das auf.

Zeitverging,wie vielgenauwusstesienicht,daauchihreArmbanduhrverschwunden war.DerDursterschienihrmittlerweileunerträglich,dochdieAngsthatteihrenZenit überschritten und ließ sie ruhig atmen. Als sie ohne große Hoffnung zum Fenster hinüberwankte, bemerkte sie direkt darunter eine Pfütze auf dem Steinboden.

Offensichtlich hatte es hier erst kürzlich hineingeregnet. Widerwillig tauchte sie ihre FingerkuppenindastrübeWasserundlecktesieab.Esschmecktealt,abgestandenund ungesund, war aber besser als nichts. Während sie auf diese mühselige Weise etwas Flüssigkeit zu sich nahm, sah sie hinauf zum hellen Fensterausschnitt und fragte sich, wannjemandzurTürhereinkommenwürde,umnachihrzusehen.Hoffentlichbekam sie dann eine Erklärung für all das hier.

Nach und nach schwand das Licht des Tages, und die Schatten in ihrem Gefängnis wurden länger. Und obwohl sie angestrengt auf jedes Geräusch in ihrer Umgebung gelauscht hatte, war nichts an ihr Ohr gedrungen, das Hoffnung versprach. Jenseits dieser Mauern gab es keine Stimmen, keine gedämpften Schritte und keinerlei Motorengeräusche,keineSpurenvonZivilisation.WoumallesinderWeltbefandsie sich?

Als die Nacht kam und ging und vor ihrem Fenster der Morgen heraufdämmerte, ohne dassjemandzurTürhereingetretenwar,überfielsieeinschrecklicherGedanke.Was, wenn sie nur aus einem Grund hier unten festsaß? Weil jemand ihre Existenz vergessen wollte? Wenn sie einfach verschwinden sollte? Und zwar für immer.

1

Sommer2018,Freitag:13.15Uhr Laura

JetztstartetdasheißesteWochenendedesJahres,undmirtutjederleid,derdieseTage nicht auf dem Musik-Festival verbringt. Hallo Strand, ich komme! Bin fast schon da!

Nach diesem knappen Statement auf ihrem Facebook-Account legte Laura ihr Handy beiseite, um sich dem Teller voller Spagetti, den ihre Mutter soeben vor ihr abgestellt hatte,mitgebührenderAufmerksamkeitzuwidmen.AuchwennderSchultagandiesem Freitagmorgen nicht übermäßig lang gewesen war, fühlte sie sich ausgehungert. Sie hatte eigentlich immer Hunger. Und nichts ging über Spagetti mit Tomatensauce, sah man einmal von dem Festival ab, zu dem sie heute Nachmittag aufbrechen würde. Isi hattevorgeschlagen,derEngeihreskleinenDorfesfüreinpaarTagezuentfliehen.Und warum sollten sie nicht gemeinsam losziehen? Schließlich waren sie beide nun endlichvolljährigundkonntenimPrinziptunundlassen,wassiewollten.Niemand durfte ihnen Vorschriften machen, sie waren offiziell erwachsen, zumindest in der Theorie.

DochdameldetesichauchschondieunerbittlicheStimmeausderRealitätundführte ihr vor Augen, wie es aktuell wirklich um ihre Selbstständigkeit bestellt war.

»Wie lautet denn der Wetterbericht für die kommenden Tage?«, wollte ihre Mutter wissen,dieandergegenüberliegendenSeitedesKüchentischesPlatzgenommenhatte und an ihrem Nagellack herumkratzte, eine Angewohnheit, für die Laura kein Verständnis aufbringen konnte. Ihre eigenen Nägel waren immer ordentlich manikürt und lackiert.

LaurakanntediesesAnzeichenbeiihrerMutterundkonnteesmühelosdeuten.Wann immer diese nervös wurde, ließ sie es an ihren Fingernägeln aus, die an diesem Wochenende vermutlich jegliche Farbe Splitter für Splitter einbüßen würden. Der Grund für die Seelennot ihrer Mutter lag auf der Hand: Sie selbst, Laura, ihre einzige Tochter, plante, sich die nächsten Tage außerhalb ihres Einflussbereichs zu bewegen. Das war für sie beide ein Schritt in die Unabhängigkeit und ganz besonders für diejenige von ihnen beiden, die allein zurückblieb, alles andere als einfach.

LauraöffnetedieWetter-AppaufihremHandyundlasvor:»Sonnenscheinundleichter Wind aus Nordwest. Keine Tsunami-Warnung für die Ostsee, und auch die Tornados ziehen allesamt an Eckernförde vorbei.«

»Ich wünschte, ich könnte diese Bemerkung witzig finden.« Ihre Mutter seufzte und knibbelteeingroßesStückrosafarbenenLacksab,bevorsieselbigesbeiläufigvonder Tischdecke wischte. »Hast du das Ladekabel für dein Handy eingepackt?«

»Natürlich,Mama«,versicherteLauraihrzwischenzweiBissen.Dasgehörtezuden wenigen Dingen, an dieman sie nicht erinnernmusste. Das Ladekabellagschon seit heute Morgen im Rucksack.

»Und ihr übernachtet auch wirklich in der Ferienwohnung von Isis Eltern?«, fragte ihre MutterzumwiederholtenMal.»IhrwerdetnichtirgendwoamStrandzelten,versprichst du das?«

Laura legte die Gabel beiseite und sich noch einmal all ihre Argumente zurecht, bevor sie erwiderte: »Mama, hör auf, dir völlig unnötige Sorgen zu machen. Ich weiß, du malst dir schon wieder aus, wie ich im Straßengraben lande oder willig mit einem Fremdenmitgehe, der mir seine Babymeerschweinchen zeigen will. Abernichts davon wird passieren. Isi und ich fahren mit dem alten Citroën ihrer Mutter. Sie wird sich hüten, mit dem durch die Landschaft zu rasen, denn bei der Karre klappern schon bei achtzigSachensämtlicheTüren.SobaldwirinEckernfördeangekommensind,bringen wir das Gepäck in die Ferienwohnung und gehen anschließend zu Fuß zum Strand hinunter. Ich habe mein Handy immer dabei, trage nicht mehr Geld mit mir herum, als ich für einen Tag brauche, und bin so ganz nebenbei schon ein großes Mädchen. Sonntagabendsindwirwiederzurück,unddasSchlimmste,wasmirbisdahinpassieren kann, ist, dass ich mir einen Sonnenbrand hole, auf den du dann gerne Quarkwickel legen darfst.«

Über das stark geschminkte Gesicht ihrer Mutter zuckte ein kurzes Lächeln. »Ich bin furchtbar, nicht wahr? Dabei weiß ich doch genau, wie umsichtig und zuverlässig du sein kannst, wenn du willst. Es tut mir leid, dich mit meinen Ängsten zu nerven, du sollstjaausgehenunddeineJugendgenießen.AbermussesausgerechnetIsisein,mit der du dorthin fährst? Wollt ihr nicht wenigstens Christel mitnehmen? Ihr habt euch doch in letzter Zeit wieder so gut verstanden.«

Laurawardraufunddran,mitihrerMutterdieGeduldzuverlieren,wussteaber,dass sie gerade jetzt heiter und fröhlich wirken musste, um nicht doch noch in den letzten gemeinsamen Minuten einen Streit vom Zaun zu brechen.

»Christel fährt mit ihren Eltern dieses Wochenende nach Travemünde zum Sonnenbaden, sonst hätten wir sie natürlich mitgenommen. Also wird dieses tolle Mädels-WochenendeamEckernförderStrandohneChristelstattfindenmüssen.Und wiegesagt:EsgehtzueinemOpen-Air-FestivalamStrandundnichtzueinerOrgie auf der Reeperbahn.«

Laura hoffte, nun alle Bedenken zerstreut zu haben, doch ihre Mutter musste offensichtlich noch etwas loswerden. »Isi ist immer nur dann deine beste Freundin, wenn sie gerade mal keinen Freund hat. Sobald nur ein wenigTestosteronam Horizont auftaucht,bistduwiederabgemeldet.DasMädchenisttotalunzuverlässig,undichwill nicht, dass du plötzlich allein in einer fremden Stadt dastehst und nicht weißt, wohin.«

HastigstopftesichLauraeineGabelvollerNudelnindenMund,umnichtantwortenzu müssen. Ab hier bewegte sie sich auf dünnem Eis, denn diese Sorge ihrer Mutter war keineswegs aus der Luft gegriffen. Isi war nicht die Art Freundin, auf welche man in Notfällen bauen konnte. Sie beide kannten sich seit der Grundschule, und absolut jeder, der einmal mit Isi zu tun gehabt hatte, wusste, wie unzuverlässig sie war. Aber sie verbreitete stets gute Laune, und ihre Eltern hatten eben diese Ferienwohnung in Eckernförde,die,wieesderZufallwollte,andiesemWochenendeleerstand.Daswaren zwei große Pluspunkte im Hinblick auf die kommenden Tage, die Isi ohne Frage aufwerteten.

»PackbittedeineGirokarteindenRucksack.NurfürNotfälle«,hörtesieihreMutter sagen, die schon wieder ihre Fingernägel malträtierte. »Schließlich könntest du ganz unvorhergesehene Ausgaben haben.«

Laurawollteeinwenden,dassfürColaundPommesanderStrandpromenadeeinoder zwei kleine Geldscheine völlig ausreichen würden und sie keinesfalls einen Bummel durch die Boutiquen planten, doch die Miene ihrer Mutter war unerbittlich.

»DuhastdochnochdasGeldvondeinemachtzehntenGeburtstagaufdemKonto, richtig?«

SieverspürteeinleichtesZieheninderMagengegendundnickteetwaszaghafter,alses angebracht gewesen wäre.

»Dasistgut.DannnimmdieKartemit.FallsalleStrickereißenundIsiwiedereinmal ihr eigenes Ding durchzieht, bist du in der Lage, dir ein Hotelzimmer zu nehmen und am nächstenMorgen mitder Bahn heimzukommen. Ich will, dass du unabhängig von Isi bist, falls es mit euch beiden doch nicht klappt.«

»In Ordnung.« Laura erhob sich und stellte den leeren Teller auf die Spüle. Sie war bereit,allemzuzustimmen,wasihrerMutterhalf,siegutenGewissensziehenzulassen.

In ihrem Zimmer, das, seit sie denken konnte, ganz in Weiß und Apfelgrün gehalten war, durchsuchte sie zunächst den Stapel getragener Kleidung auf dem Teppichboden. Als sie dort nicht fündig wurde, inspizierte sie den unter leeren Keksschachteln und Getränkedosen verschütteten Nachttisch. Doch ohne Erfolg. Ordnung gehörte nicht zu ihren Stärken, weswegen sie nun keine Ahnung hatte, was aus der ohnehin völlig nutzlosen Kontokarte geworden war. Doch schließlich wurde sie in den Taschen ihrer Regenjacke fündig, die über dem einzigen Stuhl hing. Keine Sekunde zu früh, da nun draußen vor dem Haus eine Autohupe quäkte. Laura schulterte den Rucksack voller ShirtsundToilettenartikel,flitzteindieKücheundhieltihrerMuttermiteinemLächeln die Sicherheit verheißende Plastikkarte unter die Nase. Diese überreichte ihr im Gegenzug das auf dem Küchentisch liegengebliebene Handy.

JetztfehltenurnochdieunumgänglicheUmarmung,beidersienocheinmaldasParfüm ihrer Mutter roch und diese sagen hörte: »Ich wünsche dir ganz viel Spaß, mein Mädchen. Pass auf dich auf. Ich hab dich lieb.«

Als sie sich voneinander lösten, glänzte es in den Augen ihrer Mutter verdächtig feucht.

»Ich dich auch, Mama.« Laura streichelte ihr zum Abschied über den Arm. »Gönn dir heuteAbendvielleichtmaleineSchlaftablette,ja?Ichwillnicht,dassdumeinetwegen die ganze Nacht grundlos wachliegst.«

Ihre Mutter rang sich ein Lächeln ab. »Vielleicht tue ich das. Ich gönne mir ein langes, mit alten Popsongs untermaltes, heißes Bad in der Wanne und gehe früh schlafen. Den SamstagverbringeichmitHausputz,undamSonntagbistdujaschonwieder da.«

EshuptezumzweitenMal.LauragabihrerMuttereinenletztenflüchtigenKussund verließ im Laufschritt das Haus. Als sie den Garten durchquerte, konnte sie Isi hinter dem Steuer des Citroëns schon eifrig winken sehen.

»Sei nicht so lahm, die Party wartet«, rief die Freundin zur Begrüßung, als Laura ihren Rucksack auf die Rückbank warf und selbst auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Ein letztesMalwinktesieihrerMutterzu,dieeinwenigverlorenwirkte,wiesiedortallein auf der Fußmatte herumstand.

DochnochbevorLaurasoetwaswieeinschlechtesGewissenihrgegenüberentwickeln konnte, gab Isi schon Gas, und der Wagen schoss um die nächste Kurve.

»Los, mach ein Foto von uns beiden«, forderte die Freundin sie auf. »Der Beginn unseres Wochenendtrips. Du kannst es gleich auf Insta einstellen, damit die langweiligenTussen,dieheute,wiejedesWochenende,imFreibadabhängen,vorNeid vergehen.«

Lauragehorchte,neigtesichinRichtungFahrersitzundhieltihrHandyindieHöhe.Ein leises Klicken später war der Augenblick festgehalten. Zwei schlanke, dunkelhaarige Mädchen, Isi mit der Sonnenbrille auf der Nase und Laura mit knallrotenPlastikkreolen in den Ohren, lachten dem Betrachter vom Bild entgegen. Laura lud es hoch und fügte noch eine Bildunterschrift hinzu: ›Endlich frei.‹

WenigeWochenspäter:Auszug aus einemInterviewmitDorotheaArnoldaufdemTrue- Crime-Kanal Lost

»Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei der Sache. Das lag vor allem an IsabellaKarz,diehierimDorfallenurIsinennen.IhrRufwarnochniederbeste.Sie warbekanntdafür,sichseitBeginnihrerPubertätnurnochfürJungszuinteressieren. Ichweiß,dassvieleMädchenindemAltersosind,abermeineeigeneTochterwarda noch ganz anders. Laura las gerne Fantasy-Romane, spielte Tennis im Verein, und darum drehte sich ihre Welt. Jungs kamen darin gar nicht vor.

Auch in manch andererHinsicht wirkte Lauraauf mich oft noch unfertig.Natürlich bin ich daran nicht ganz unschuldig, ich habe sie einfach zu sehr verwöhnt. Sicherlich hätte sie lernen können, sich selbst das Essen warmzumachen oder eine Waschmaschine zu programmieren.AberKindheitkommtniemalszurück,nichtwahr?Ichhabesiedieihre genießen lassen, solange es eben ging.

Ich selbst war in ihrem Alter viel selbstständiger, brauchte keine Mutter, die für mich Entscheidungen traf, während Laura sich in vielen Dingen noch immer ganz auf mich verließ.DassollbeidenJugendlichenheutzutageöftervorkommen,alsmanmeint.Sie sehen so erwachsen aus in ihren schicken Kleidern, den perfekt gestylten Haaren und dem Make-up im Gesicht, doch in Wahrheit können sie ohne Hilfe kaum eine Zugfahrkarte lösen. Sowohl Laura als auch Isi taten an diesem Wochenende erwachsener, als sie waren.

Jedenfalls war ich nicht glücklich mit dieser Konstellation, aber eine andere stand schlichtweg nicht zur Wahl. Sicherheitshalber habe ich Laura überredet, etwas mehr Geldeinzupacken,alssiegeplanthatte.SiewolltenureinenkleinenBetragmitnehmen und diesen an unterschiedlichen Stellen in ihrem Gepäck verstauen. Doch ich bestand darauf, dass sie auch die Karte für ihr Girokonto dabeihatte, was sie auch tat.

Schon etwas beruhigter ließ ich Laura ziehen. Leider nahm meine Tochter es mit der Wahrheit nicht immer so genau. Nicht, dass sie mir jemals offen ins Gesicht gelogen hätte, zumindest glaube ich das nicht. Aber sie verschwieg Dinge, die ihr unangenehm waren. So erfuhr ich erst viel später von ihrer Freundin Christel, dass Laura sich schon die wenigen Münzen und Scheine für Essen und Trinken bei ihren Freundinnen zusammengeliehen hatte. Ihr Konto war völlig leergeräumt. Was sie mit dem Geld gemachthat,weißderGeier.Christelmeinte,siehätteesfüreinbesonderesPaarStiefel auf den Kopf gehauen. Möglich ist das schon, Laura hat immer viel Geld für Mode ausgegeben.

SofuhrsiealsolosundließmichindemGlauben,fürdiekommendenTagefinanziell gut abgesichert zu sein, während sie in Wahrheit nahezu pleite war. Ich denke, das erklärt zumindest zum Teil, warum alles letztendlich so gekommen ist. Könnten wir hierbittekurzunterbrechen?WenndieBilderinmirhochsteigen,versagenmirnoch immer die Nerven.«

Kommentareaus der Community:

Lea83:DiearmeFrau.Ichfühlemitihr.WietapfersiehierüberihreTochterspricht.

FranzSteckbrief:Eswärewohlbessergewesen,dieTochterzueinemselbstständigen, überlebensfähigen Wesen zu erziehen. Nun ist es halt zu spät.

Frühstückspause13:Wiekannmannursoverantwortungslosseinundineinemsolchen Fall nicht einschreiten?Auch einem volljährigen Kind kann man Grenzen setzen.

MeineTochterhätteunterdiesenUmständennirgendwohinfahrendürfen.

Herbst2018

Hedi Voss schoss aus dem Schlaf hoch und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers. Neben ihr, im Bett, lag ihr Ehemann Lars und schlief tief und fest. Früher war Hedi ebenfalls mit einem gesunden Schlaf gesegnet gewesen. Noch bis vor wenigen Wochen hätte vor ihrem Fenster ein Baum umfallen können,ohnedasssiedavonaufgewachtwäre,dochdieseZeitenwarenallemAnscheinnachfür immer dahin.

Nebenan, in seinem Kinderbett, brauchte ihr Sohn Riko nur zu husten, um sie aus dem Schlafschreckenzulassen,einlautesGebrüllseinerseitswardazugarnichtnötig.Auch die Anschaffung des Babyphons hätte sie sich sparen können. Da sie es nicht benötigte und ihr Ehemann es nicht nutzte, war es völlig überflüssig. Sah man einmal von der blassgrünenBeleuchtungder Funktionsleuchte ab, die das Kinderzimmer in ungesundes Lichttauchte,währendsiesichnunvorsichtigdemGitterbettnäherte.Vielleicht,mitein wenig Glück, war es wirklich nur ein Niesen oder etwas Ähnliches gewesen, das Rikos Schlaf gar nicht langfristig unterbrochen hatte. In dem Fall konnte sie kehrtmachen und zurück unter die warme Decke schlüpfen.

Doch als sie in die hellwachen Augen ihres fünfzehn Wochen alten Wonneproppens blickte, wusste sie, dass Riko andere Pläne hatte. Sie stieß einen Seufzer aus. Sich jetzt noch davonzuschleichen, hätte ein Protestgeheul unvorstellbaren Ausmaßes provoziert. Also fügtesiesichinihrSchicksal,hobdenwarmenKörperihresSohnesaufundtrugihnins Wohnzimmer, wo das Stillkissen bereitlag. Lars zu wecken, wäre ihr nicht eingefallen. Wenigstens einer von ihnen beiden hatte eine ungestörte Nachtruhe verdient. Und da Lars aktuell der einzige Berufstätige in dieser Wohnung war, beanspruchte er dieses Vorrecht für sich allein. Zudem konnte er den Jungen nicht stillen, wie er stets betonte. Da dem zweiten Argument nichts entgegenzusetzen war, verbrachte Hedi nun seit Wochen die frühen Morgenstunden auf der Couch. Und wenn sie anderen jungen Mütternglaubendurfte,hattesieesdamitnichteinmalschlechtgetroffen.DerenKinder forderten, sobald die Sonne unterging, quasi ununterbrochen Aufmerksamkeit ein. Sie konnte sich glücklich schätzen, ein genügsames Exemplar auf die Welt gepresst zu haben.

Während Riko genüsslich andockte und seine kleinen Fäuste gegen ihre derzeit erstaunlich prallen Brüste drückte, angelte Hedi ihr Digitalfunkgerät von der Sofalehne und schaltete es ein. An dem Tag, da ihr Mutterschutz begonnen hatte, war das Gerät wie von selbst in ihre Handtasche geschlüpft. Zumindest konnte sie sichnicht erinnern, esbewusstunterschlagenzuhaben.Undweilbisherniemanddanachgefragthatte,ging sie davon aus, dass dieser Teil ihrer Ausrüstung von niemandem vermisst wurde. So hatte sie immer noch ein Ohr am Puls der Zeit.

»Einsatzzentrale an Wagen vier: Ihre letzte Durchsage war völlig verzerrt. Bitte wiederholenSieallesnocheinmallangsamunddeutlich«,sprachdiegenervtklingende Stimme eines Mannes zu ihr.

»Ein Schwalbennest in der Schrebergartenkolonie Wilhelmsthal. Sieht nach einem ganzenGrüppchenschrägerVögelaus.WirhättengernVerstärkung«,klangesnunaus dem Empfänger, wobei jedes einzelne Wort vom Redner extrem in die Länge gezogen wurde, damit in der Zentrale auch alles verstanden wurde. Auf Hedis Gesicht stahl sich ein Grinsen. Die neue Technik des Digitalfunks hatte längst nicht alle SchwächendesfrüherenTETRA-Funkshintersichgelassen.DerFunkverkehrmochte abhörsicherergewordensein,dochdieTückendesAlltagswarendieselbengeblieben.

BeiderErwähnungderSchrebergartenkolonieWilhelmsthalreckteHediaugenblicklich den Hals, um aus dem Fenster blicken zu können, sah aber nichts außer dem dunklen Nachthimmel, vor dem sich schwarz die Krone eines Baumes abzeichnete. Ihre eigene Wohnung am Domstag und die erwähnten Gemeinschaftsgärten lagen nicht weit voneinander entfernt. Ein nahes Blaulicht hätte sie bemerken müssen, aber leider war von Seiten ihrer Kollegen offensichtlich darauf verzichtet worden.

»Unterstützung? Wegen eines Schwalbennestes? Es dauert eine halbe Stunde, bevor die Kollegen bei euch sind. Jetzt zeigt mal euer breites Kreuz und haut da auf den Tisch!«, polterte es so streng und deutlich aus dem Lautsprecher, dass sogar Riko einen Moment bei der Nahrungsmittelaufnahme innehielt. Einen kurzen Augenblick wirkte sein pausbäckigesGesichtgekränkt,underschiengewillt,zurückzubrüllen.Dochdannsiegte der Hunger, und er wandte sich erneut der nie versiegenden Milchquelle zu.

HediverspürtederweileinesteigendeUnruhe.InnurfünfMinutenhättesiezuFußam Einsatzort sein können, um ihre Kollegen zu unterstützen. Alles, was sie dafür tun musste, war, ihr Nachthemd gegen die praktische Kleidung zu tauschen, welche momentan ihre Garderobe dominierte. Das Schwalbennest, wie der Kollege es genannt hatte, bezeichnete unerwünschte Eindringlinge in einem Gebäude. Vermutlich handelte es sich lediglich um ein Grüppchen feierlustiger Teenager, die eine Gartenlaube zweckentfremdet hatten. Vielleicht ging es auch um Obdachlose, die Schutz vor der Nachtkühle gesucht und es sich zwischen Spaten und Rechen für die Nacht bequem gemacht hatten. Im Prinzip war beides keine große Sache, aber unangenehm für die Kollegen, wenn sie sich in der Unterzahl fühlten.

SchonzuckteesinihrenBeinen,alsdasunvermittelteKneifeneineszahnlosenKiefers siedaranerinnerte,dasssienichteinfachaufstehenundgehenkonnte.Seufzendlehnte sie sich zurück und lauschte weiter dem Polizeifunk.

Während Riko zufrieden an ihrer Brust schmatzte, standen ihre Gedanken keine Sekunde still. Warum fiel es ihr so schwer, diese einmalige Zeit in ihrem Leben zu genießen? Sie hatte sich auf den Mutterschutz und den anschließenden Erziehungsurlaub kaum weniger gefreut als auf Riko selbst. Doch schon nach wenigen Wochen war da diese Unruhe gewesen, die Sehnsucht nach den Gesprächen mit Kollegen und der Wunsch, sich mit wichtigeren Dingen als Stilleinlagen undBeißringen zu beschäftigen. Möglicherweise war ihr mütterlicher Instinkt nicht stark genug ausgeprägt. Vielleicht stand ihr der Sinn auch einfach zu wenig nach Fencheltee undSpieluhrmusik.NachtsumvierdenMotoreinesvonihrverfolgtenRaserszuhören, klang eben aufregender als die sinnlose Lautmalerei eines Säuglings.

»WagenvieranZentrale,hierlehnenmehrereFahrräderamZaun.Sechs,umgenauzu sein.«

Also doch feiernde Jugendliche, schlussfolgerte Hedi und beobachtete, wie ihrem nun endlichsattenundzufriedenenSohndieAugenzufielen.Bestimmtwardortdraußenin der Schrebergartenkolonie Alkohol im Spiel, und wenn ein paar vor Testosteron strotzende Halbstarke das Gefühl bekamen, sich vor ihren Mädels profilieren zu müssen, konnte es zu Handgreiflichkeiten kommen. So betrachtet, hatte sie gar keine Wahl, als ihren Kollegen Unterstützung anzubieten.

Entschlossen legte sie sich den rülpsenden Riko über die Schulter und ließ das StillkissenzuBodenfallen.Manchmalwaresnötig,Prioritätenzusetzen,unddasKind hatte ja schließlich auch noch einen Vater.

LeiseschlichsiezurückinsSchlafzimmer,platzierteihrenSohnzwischenzweiKissen und deckte ihn mit einem Spucktuch zu. Der Kleine wirkte nun wieder wesentlich wacher als noch kurz zuvor, ganz besonders im Vergleich zu Lars, dessen blasses Gesicht sich deutlich zwischen dunklem Kopfhaar und Bartansatz abhob. Aber mit etwas Glück würde ihr Sohn, eingelullt vom leichten Schnarchen seines Erzeugers, gleich wieder einnicken. Sie hoffte es für beide.

WenigeMinutenspäterstandsie,gekleidetinJogginghoseundKapuzenpullover,das weißblonde Haar hastig zu einem Knoten auf dem Kopfzusammengedreht, vor der Wohnungstür und brachte die Stufen zum Erdgeschoss im Laufschritt hinter sich. Draußen empfing sie eine Windbö, die sie frösteln ließ, aber nicht zur Umkehr bewegen konnte.

Den Domstag überquerend, schlug sie den Weg zur Schrebergartenkolonie Wilhelmsthalein.DerGriffihrerStabtaschenlampeverliehihrsoetwaswieSicherheit, während sie dem hüpfenden Lichtkegel ins Dunkel folgte. Straßenlaternen kamen in diesem beschaulichen Winkel der Stadt nur noch vereinzelt vor.

Die ganze Zeit über lauschte Hedi, ob irgendwo laute Stimmen den Einsatzort markierten,undhieltAusschaunachdemflackerndenLichtdesStreifenwagens.Doch nichtsdeutetedaraufhin,dasseshier,zwischendensichaneinanderreihendenGärten mit abgeernteten Gemüsebeeten, ein Problem gab oder gegeben hatte.

Hedi rannte weiter, die kalte Nachtluft brannte in den Lungen, und ihr ging erschreckendschnelldiePusteaus.Widerwilliggestandsiesichein,dassihregrößte körperliche Anstrengung der letztenvier Monate darin bestanden hatte, ein vier Kilo schweresKinddurcheinengesBeckenzudrücken.SiehatteihrekörperlicheFitness eingebüßt, und das, was da bei jedem Schritt ganz leicht erbebte, war ohne Frage Bauchfett.

EinGrundmehr,nocheineSchippedraufzulegen,fandsie,bogimSprintumeineEcke und sah sich ohne Vorwarnung einem herannahenden Wagen gegenüber, der langsam und mit abgeblendeten Scheinwerfern auf sie zuhielt. Schon erkannte sie die verräterische Form des Daches. Dicht an einen Maschendrahtzaun gepresst, hielt sie keuchend inne, um das Fahrzeug passieren zu lassen. Als der Polizeiwagen mit ihr auf gleicher Höhe war, öffnete sich das Fenster auf der Fahrerseite, und ein ihr sehr vertrautes Gesicht, pausbäckig und sommersprossig, sah zu ihr empor.

»Hedi?Habichdochgewusst,dassduesbist.DeinblonderHaarknotenleuchtetim Licht der Scheinwerfer wie eine Positionslaterne.«

»Thure«,erwiderteHedieinwenigatemlos.»Duhier?WasfüreineÜberraschung.«

»Die Überraschung ist ganz auf meiner Seite.« Ihr Freund und Kollege drehte den Zündschlüsselherum,woraufhinderMotoraus-unddieInnenbeleuchtunganging.

Jetzt konnte Hedi auch den jungen Polizeianwärter auf dem Beifahrersitz und den missmutigdreinblickendenTeenageraufderRückbankerkennen.Enttäuschungstieg wie eine dunkle Wolke in ihr auf. Man war auch ohne sie zurechtgekommen.

Offensichtlich hatte nur einer der Jugendlichen, die sich des unbefugten Eindringens schuldig gemacht hatten, es gewagt, Widerstand zu leisten. Deswegen saß er jetzt im warmenPolizeiwagen,währendseineKumpanevermutlichaufihrenRädernheimwärts schwankten.

»Wasmachstdudennhier?«,wollteThurewissenundmustertesie neugierig.

»Joggen. Wonach sieht es denn aus?« Die Antwort war patziger ausgefallen als nötig, dochHediwarnochnieeineguteSchauspieleringewesen.WannimmerihreLaunein den Keller zu sinken drohte, blieb dies ihren Mitmenschen nicht verborgen.

Thure, der wegen seiner beeindruckenden Körpergröße fast mit dem Kopf an das Wagendachstieß,weswegenüblicherweisesiediejenigewar,diezuihmaufblicken musste, hob fragend die Brauen. »Joggen? Jetzt, um diese Zeit?«

»TagsüberbinichMutter,wiedirnichtentgangenseindürfte«,warihreschnippische Antwort.

»Doch, das ist mir bekannt.« Die hochgezogenen Brauen senkten sich wieder, und Hedi bemerkte, dass die beiden anderen Insassen des Polizeiwagens ungeduldig zu werden begannen. »Wenn du mal bei Tage hinter deinem Kinderwagen herjoggen möchtest, könntestdudochmalbeimiraufderWachevorbeischauen.AufeinenKaffeeoderso.«

»Wirklich? Das klingt großartig.« Allein der Gedanke, sich mit einem erwachsenen Menschen über etwas anderes als ihren Alltag unterhalten zu können, hob ihre Laune wieder.»Dannkommeichgleichspäterzudir.Abersorgdafür,dassanständigerKaffee in der Kanne ist. Nicht dieses entkoffeinierte Zeug, das du bevorzugst.«

»Wirdgemacht.«SeinLächelnverschwandhinterderhochfahrendenSeitenscheibe,und der Motor sprang an. Gemächlich zockelte Einsatzwagen vier von dannen. Hedi lehnte noch eine Weile am Zaun, und wartete darauf, dass ihr pochendes Herz sich etwas beruhigte. Erst dann kehrte sie heim, überließ ihren beiden fest schlafenden Männern das Ehebett, stellte sich ans Fenster und wartete auf den Sonnenaufgang. Der heutige Tag würde nicht gleichförmig werden wie seine Vorgänger. Es erwartete sie mehr als Windeln, Plastikrasseln und von Sabber getränkte Lätzchen. Heute hatte sie eine Verabredung auf dem Revier.

2

Sommer2018,Freitag:13.45Uhr Isi

»Ichhassees,wenndunebenherNachrichtenaufdeinemHandytippst«,maulteLaura. »KonzentrierdichaufdasAutofahren.«

Isi war drauf und dran, ihrer Freundin zu sagen, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern.WeramSteuersaß,hieltdieMachtindenHänden,entschied,woeshinging undwelcheMusiklief.UndimGegensatzzuLaurabesaßIsibereitsgenugFahrpraxis, um zu wissen, was sie sich zutrauen konnte. Immerhin fuhr sie nun schon seit über einem Jahr mit dem alten Citroën ihrer Mutter zur Arbeit im nächsten Dorf.

Isi hatte ihre Schullaufbahn wegen anhaltender Perspektivlosigkeit, wiesie selbst es nannte, zwei Jahre vor dem Abitur abgebrochen und saß seitdem an der KasseeinesSupermarktes.VorihrlagbestimmtkeinegroßeKarriere,aberdieKollegen warenfreundlich,unddasgemeinsameLästernüberKundentatIsiwohl.Derzeitwarsie mitihrerArbeitsehrzufrieden,undwennsichdaraneinmaletwasändernsollte,konnte sie jederzeit gehen. Irgendetwas ergab sich schließlichimmer für diejenigen, die arbeiten wollten.

Ihr Handy auf ihrem Schoß meldete eine neue Nachricht, die Isi augenblicklich las. Ganz egal, wie grimmig Laura durch die Windschutzscheibe auf die Fahrbahn starrte. VorihrerStoßstangetatsichnichts,daswichtigergewesenwärealsdieseInformation. Denn Robbie schrieb ihr schon seit den frühen Morgenstunden, wie leid ihm alles täte und dass er einen Fehler begangen hätte. Gab es etwas Wichtigeres als das Schuldeingeständnis eines Ex-Freundes? Sicher nicht.

SchonvordemmorgendlichenZähneputzenwarbeiihrdieersteNachrichtvonRobbie eingegangen,wasvermutenließ,wieernstesihmmitseinerReuewar.Fürgewöhnlich schlief er noch tief und fest, während sie sich bereits auf dem Weg zur Arbeit befand.

Obwohl sie seit über einem halben Jahr zusammen waren, hatte Isi es nicht gewagt, bei Robbie, der die obere Etage im Haus seiner Eltern bewohnte, einzuziehen. Und der letzte Streit hatte ihr recht gegeben. Auch wenn sie nicht viel in ihrem eigenen Elternhaushielt,sichvollundganzRobbieauszuliefern,vonihmabhängigzusein,war ein Gedanke, der Isi nicht behagte.

»Verdammt,Isi!«,riefLauraunddeutetenachvorn,woraufhinIsidenCitroënzurück auf die rechte Spur lenkte.

»KeinProblem,hieristPlatzgenug«,erwidertesieundtippteeineAntwortanRobbie. Natürlich würde sie ihm vergeben. Jedem konnte mal ein Fehler unterlaufen. Obwohl ein längerer Flirt mit dem Mädchen von der Tankstelle schon einen großen Vertrauensbruchdarstellte.AberJungswieRobbie,groß,muskulösundgutaussehend, liefen nicht eben viele in ihrem Dorf herum. Und wenn sie schon keine Aussicht auf eine eigene Karriere hatte, so wollte sie sich doch so gut wie möglich verheiraten.

RobbiewarihreChance.Autoschrauberwieerwurdenimmergebrauchtundverdienten gutes Geld.

ErneutgabihrHandy einenTonvon sich.

›Wobistdu?‹,standdortunterRobbiesFoto,dasihnmitgegeltenHaaren,dieersichvon irgendeiner toten Rocklegende abgeschaut hatte, Sonnenbrille und Lederjacke zeigte.

RaschtipptesiedieAntwort: ›AufdemWegzumFestival,dasweißtdudoch.Komm doch auch.‹

SielächeltebeidemGedanken,wieeswäre,dienächstenTagemitRobbieamStrand verbringen zu können. Sicherlich würde es wundervollen Versöhnungssex geben. Isi liebte Versöhnungssex.

»Okay,dasreicht«,erklärteLauraindemMoment,daeinWohnwagengespannhupend an ihnen vorbeifuhr. »Fahr rechts ran und lass mich ans Steuer, wenn du unbedingt Nachrichten schreiben musst. So geht es nicht weiter.«

»Warum?Ichfahredochlangsamundvernünftig«,widersprachIsiundließdasHandyin den Schoß fallen.

»Du schleichst sograusam vor dichhin, dass uns sogar Reisebusse überholen«, fauchte Laura.»HinterunsstautsichderFreitagnachmittagsverkehr,iststinksaueraufdich,und du merkst es nicht mal, weil dir irgendeine blöde Facebook-Diskussion wichtiger ist. Jetztpackendlich dasHandy wegoderich schmeißees ausdemFenster.«

»Schon gut«, erwiderte Isi, warf noch einen Blick auf den Chat mit Robbie, dessen letzteNachricht ›Binfastschonunterwegs‹lautete,undstecktedasHandyindiedafür vorgesehene Halterung am Armaturenbrett.

Während sie es großzügig Laura überließ, die Musik auszusuchen, überlegte sie fieberhaft, wann und in welcher Reihenfolge sie ihre Freundin über die Planänderung bezüglichdesgemeinsamenWochenendesunterrichten würde.WennRobbiewirklichnach Eckernförde kam, änderte das alles. Alles, bis auf das Problem, welches sich kurz vor derAbfahrtimGesprächmitihrerMutterergebenhatte.Aberdabeigingesletztendlich nurumeineKleinigkeit,diesichirgendwieregelnlassenwürde,sosaheszumindest Isi.

Leider neigte Laura dazu, aus allem ein Problem zu machen, das war ein etwas unglücklicher Wesenszug an ihr, derIsi schon öfter genervt hatte. Tatsächlich hättesie LaurabestimmtnichtaufdiesenWochenendtripmitgeschleppt,wennRobbiesEinsicht ein wenig eher gekommen wäre. Doch jetzt befand sich Laura nun mal in ihrem Schlepptau, was vermutlich auch Robbie nicht schmecken würde.

Aus den Lautsprechern dröhnte der Sommerhit Despacito, die Sonne schien aufs Wagendach,undeswarkaumetwaslosaufderLandstraße.Allesganzentspannt.Noch einmal angelte Isi sich ihr Handy.

»Ichwarnedich«,fauchteLauravomBeifahrersitz,wosiemitverschränktenArmen hockte und schon jetzt schlechte Laune verbreitete.

IsiverdrehtedieAugen.Daskonntejaheiter werden.

»NureinekurzeNachricht«,beteuertesie.»Esisttotalwichtig.«NacheinemBlickin Lauras Gesicht ergänzte sie. »Es hat etwas mit der Arbeit zu tun.«

»Achwirklich?«Lauraklanghöhnisch.»WissendieLeuteimSupermarktnichtohne dich, wohin sie die Konserven räumen sollen?«

Isiantwortetenicht.StattdessenschriebsieRobbie,dasssieLaurabeisichimAutohatte, woraufhin ein augenrollender Smiley unter ihren Worten erschien. Isi sah zur Seite und konnte nur zustimmen. Laura war manchmal einfach eine Spaßbremse. Aber sie würde sich die gute Laune nicht von ihr verderben lassen. Nicht jetzt, da Robbie wieder ein Teil ihres Lebens war. Dieses Wochenende sollte genial werden, ein Wochenende, das sie allesamt niemals vergessen würden.

***

 

AuszugauseinemInterviewmitLaurasFreundinChristel.

Quelle:True-Crime-Kanal Lost

 

»Isi war eigentlich schon immer ein egoistisches Miststück. Viele wollen ihr zugutehalten, dass sie stets nur aus Gedankenlosigkeit handelte, doch in Wahrheit war alles Berechnung. Schon in der Grundschule dachte sie immer zuerst an sich und ihre eigenenGefühle.WassieihrenMitmenschendamitzumutete,nahmsiekaumwahr.Als wir älter wurden, haben wir phasenweise regelrecht einen Bogen um sie gemacht. Es war Laura, über die Isi immer wieder Zutritt in den Kreis ihrer alten Freundinnen wie mich und Hella erhielt. Laura besaß ein großes Herz, und sie hat wohl auch nie so ganz begriffen oder begreifen wollen, wie simpel Isi gestrickt war. Jede Hauskatze ist treuer als Isi, und wer weiß, wie eigenständig Katzen sind, der versteht, was ich damit sagen will.

DasTraurigedabeiist,dassIsieigentlichniemalseineechteChancehatte.IhreMutter war genau wie sie, und jeder im Dorf wusste das. Wie wir Isi mieden, so ging die Generation unserer Eltern mit Isis Mutter um. Beispielsweise wäre es wohl nie einer unserer Mütter in den Sinn gekommen, unsere Väter mit einer solchen Frau auch nur eine Sekunde allein zu lassen. Das ist einer der Nachteile, wenn man in einem kleinen Dorf lebt: Ist der Ruf erst ruiniert, bleibt er es auch. Klatsch verjährt niemals, er bleibt über Jahrzehnte hinweg frisch und findet immer wieder aufmerksame Zuhörer.

Isis Mutter hat in ihrer Jugend nichts anbrennen lassen, und niemand wunderte sich, als ihre Tochter sich anschickte, in ihre Fußstapfen zu treten. Alle waren regelrecht erleichtert, als ihre Mutter schließlich diesen Handlungsreisenden über das Internet kennenlernte und ihn vom Fleck weg heiratete. Das war auch wirklich ein ganz anständigerKerl,sogarIsimochteihrenStiefvater.AberweilderseinekleineWohnung in Eckernförde niemals ganz aufgegeben hat, existierte eben diese Ferienwohnung, von der Laura an jenem Wochenende glaubte, dort übernachten zu können. Als ob sie nicht gewusst hätte, wie leichtsinnig es ist, sich auf Isi zu verlassen.«

 

 

Kommentareaus der Community:

Foxymylove:DasMiststückbistjawohldu.Wiekannstdusoetwasüberunbescholtene Bürger loslassen?

TausendTränen:Ichschätze,jederhateineIsiinseinemUmfeld.Eigentlichsollteman sie auf den Mond schießen, bringt es aber nicht über sich. Und irgendwann rächt sich diese Nachsicht dann bitterlich.

Coolgirl: Es ist so hart, auf diesem Kanal mitzuverfolgen, wohin die Dummheit eines einzelnenMenschenführenkann.CooleBerichterstattung,Mel,wieimmer.Dubistdie Beste. Ohne deine Beiträge könnte ich gar nicht mehr einschlafen.

 

Herbst 2018

 

»Ich wusste schon im Vorfeld, dass es so kommen würde.« Thure schenkte ihr einen Kaffee ein, der, zumindest dem Geruch nach zu urteilen, diese Bezeichnung zu verdienen schien. »Du bist Polizistin mit Leib und Seele, dein Verstand will herausgefordert werden, deinen Körper dürstet es nach Adrenalin. Und jetzt erzähl mir nicht noch einmal, du seist zufällig letzte Nacht in der Schrebergartenkolonie aufgetaucht. Du kannst es einfach nicht lassen, wenigstens mit einem Ohr dem aktuellen Geschehen zu lauschen.«

Hedi Voss suchte tatsächlich nicht nach einer Ausrede. Sie war von Thure der krankhaftenNeugierüberführtworden,undesstörtesienicht.InihremBerufgalt dieser Wesenszug gewissermaßen als Tugend.

»IchhabekeineWahlmehr.WennichdasMutterschaftsexperimentfrühzeitigabbreche, winkt mir ein Halbtagsjob hinter dem Schreibtisch«, erwiderte sie düster. »Zum Aktensortieren will ich aber nicht ins Berufsleben zurückkehren. Ich möchte, wie du schon sagst, gefordert werden.« Sie sah sich hastig um und vergewisserte sich des geschäftigen Treibens ihrer Kollegen. Niemand schien auf Thure und sie zu achten.

HedibeugtesichinihremBesuchersesselvorundraunteihmzu.»Hastdunichtetwas für mich? Irgendetwas, bei dem es sich lohnen würde, einfach mal genauer hinzuschauen? Inoffiziell natürlich.«

»Allerdings habe ich so etwas«, flüsterte er ebenso leise zurück. »Es darf aber keiner erfahren,werdichdaraufangesetzthat,sonstbekommeichSchwierigkeiten.Offiziell ist es nämlich gar kein Fall. Der Tod des Mädchens wurde als Unfall deklariert. Aber außer den Polizisten, die den Fall untersucht haben, scheint das niemand glauben zu wollen. Die Öffentlichkeit, allen voran die Mutter des Mädchens, setzt uns ziemlich unter Druck.«

»Was für ein Mädchen meinst du?« Hedi, die seinen Worten atemlos gelauscht hatte, wittertezumerstenMalseitWochenMorgenluft.Esgabetwasfürsiezutun,dasLeben hatte sie wieder.

»Du hast bestimmt schon von ihr gehört. Seit dem letzten Sommer schleichen HobbykriminalistenihretwegenüberdieSteilküsteundstreuendiewildestenGerüchte. Es geht um Laura Arnold.«

Hedi runzelte die Stirn. Dumpf erinnerte sie sich daran, den Namen einmal irgendwo gelesen zu haben. Doch die vergangenen Sommermonate hatte sie damit zugebracht, schwanger zu sein, und war darüber hinaus nicht für das aktuelleTagesgeschehenempfänglichgewesen.Offensichtlichwarihretwas entgangen.

»Thure,ichstehaufdemSchlauch.HastdueineAktefürmich,indieichmicheinlesen kann? Wennderzeit niemand an derGeschichtedran ist, wird man die Unterlagen wohl kaum vermissen.«

Anstatt einer Antwort zog der Kollege die zwischen ihnen am Boden abgestellte Wickeltasche näher zu sich heran. Dreimal gefaltete Ausdrucke wanderten klammheimlichausseinerHanddirektzwischendieReservewindelnundSpucktücher.

Hedihobfragendeine Augenbraue.»Istdasalles?«

»Hast du mir nicht zugehört? Offiziell gibt es diesen Fall gar nicht.« Thure sah sie eindringlichundeinwenigverlegenan.»PolizeiundKrankenwagenwarenvorOrt,die Leiche wurde abtransportiert, man hat ein paar Leute dazu befragt, und das war’s dann auchschon.NiemandhatnachderSpurensicherunggeschicktoderdenTatortgesichert, denn den gibt es ja gar nicht, wenn kein Verbrechen vorliegt. Es wurde keine Anklage erhoben, da man kein Fremdverschulden feststellen konnte. Alles, was ich dir geben kann, sind ein paar Aussagen, Fotos und das, was aus der Pathologie zu uns zurückkam.«

»Entschuldigung,aberichverstehedichanscheinendwirklichnichtrichtig.«Hedi versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Ich frage dich nach irgendetwas, womit ich die Zeit totschlagen kann, und du kommst mit einem möglichen Mord um die Ecke, der als Unfall abgetan wurde? Geht es auch eine Nummer kleiner?«

Thure schüttelte den Kopf. »Schau es dir einmalan, und du wirstsehen: Der Fall schreit nach Aufklärung. Inzwischen denken viele Menschen sehr kritisch über den Tod von Laura Arnold und unsere Rolle darin im Speziellen. Man wirft uns vor, schlampig gearbeitetundnichtgenauhingesehenzuhaben.Undwahrscheinlichtrifftdasauchzu.« Thure zog eine Grimasse. »Gut, es trifft definitiv zu, sonst wären wir jetzt nicht in der Situation, uns rechtfertigen zu müssen.«

»Werrechtfertigtsich?«Hediwurdelangsamungeduldig.»Thure,ichsteckenichtmehr drin im Geschehen. Nur weil ich den Funk abhöre, landet der heiße Scheiß aus der Gerüchteküche noch lange nicht bei mir. Also, was geht hier vor?«

»Das Übliche.« Er nahm einen Schluck aus seinem Kaffeebecher und verzog das Gesicht.ThurevertrugkeinKoffein,daswussteHedinurallzugenau.Undsierechnete es ihm an, dass er es ihr zuliebe heute wenigstens mal wieder versuchte. Doch ganz offensichtlich schmeckte ihm der Kaffee überhaupt nicht. »Vor Ort will es keiner gewesen sein, und an höherer Stelle ist man fest entschlossen die öffentliche Meinung einfach zu ignorieren. Laura Arnolds Tod ist noch immer ein Unfall, und dabei soll es gefälligst bleiben. Doch damit kommen wir nicht mehr lange durch, Hedi. Die Geschichte wird uns um die Ohren fliegen, und je eher wir anfangen Licht ins Dunkel zu bringen, desto besser.«

»Nagut.«HedischlossdienochoffeneWickeltascheundnahmsieansich.»Zumindest wird es nicht lange dauern, sich einzulesen.«

»Es gibt reichlich andere Quellen, die du nutzen kannst«, versicherte er ihr. »Jag den NamendesMädchensdurchdieSuchmaschine,schaumalaufYouTube,Facebookund Instagram vorbei. Dort wissen alle mehr als wir, was zugegeben schon etwas peinlich ist.«

»SocialMediaistdochkeineseriöseBerichterstattung«,protestierte Hedi.

»Undtrotzdemsehrinformativ.Ichzählaufdich.«ErstießseineTasseleisegegenihre undblicktesiean.SienickteihmzuundtrankdieTasseleer,bevorsieselbigeanihren Freund zurückgab.

Bevor sie ihm versichern konnte, dass sie sich Mühe geben würde, gellte eine Stimme durchdasRevier.»VorunsererTürstehteinKinderwagensamtKind!Jemandmussdas arme Ding auf unserer Schwelle ausgesetzt haben.«