Harrowmore Souls (Band 5): Das Ende der 13 - Miriam Rademacher - E-Book

Harrowmore Souls (Band 5): Das Ende der 13 E-Book

Miriam Rademacher

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Beschreibung

Zum ersten Mal werden Allison und Conny nicht darum gebeten, ein Gespenst zu vertreiben. Stattdessen wollen ihre neuen Klienten den Geist aus ihrem Gartenpavillon wieder zurück. Doch die Suche entpuppt sich als schwieriges Unterfangen. Daran ändert sich auch nichts, als die Mitarbeiter der Kanzlei Harrowmore Souls der Spur bis nach Schottland folgen und unter den Ruinen von Skelbo Castle auf das unfassbare Rätsel der 13 stoßen …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Dank

 

Miriam Rademacher

 

 

Harrowmore Souls

Band 5: Das Ende der 13

 

 

Fantasy

 

 

 

 

Harrowmore Souls (Band 5): Das Ende der 13

Zum ersten Mal werden Allison und Conny nicht darum gebeten, ein Gespenst zu vertreiben. Stattdessen wollen ihre neuen Klienten den Geist aus ihrem Gartenpavillon wieder zurück. Doch die Suche entpuppt sich als schwieriges Unterfangen. Daran ändert sich auch nichts, als die Mitarbeiter der Kanzlei Harrowmore Souls der Spur bis nach Schottland folgen und unter den Ruinen von Skelbo Castle auf das unfassbare Rätsel der 13 stoßen …

 

 

 

Die Autorin

Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Oktober 2023

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Diana Steigerwald

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-286-1

ISBN (epub): 978-3-03896-287-8

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Gewidmet all den guten Geistern,

die mich klammheimlich und unbemerkt begleiten.

Ich weiß, dass ihr da seid,

denn sonst hätte der Idiot in dem weißen Wagen

mir gestern auf dem Parkplatz den Hintern abgefahren!

Prolog

 

Etwa zweieinhalb Jahre zuvor

 

Phoebe sah ihre beste Freundin Dana vor sich, die in der winzigen Nische kauerte, und auch die Angst in ihren Augen. Die Sechsundzwanzigjährige mit den strähnigen blonden Haaren hatte die Arme um die Knie geschlungen, was sie noch kindlicher erscheinen ließ als gewöhnlich. Umso wichtiger war es, dass Phoebe Zuversicht ausstrahlte und diese auf Dana übertrug. Also versuchte sie es mit beruhigenden Worten, die sie wie ein Mantra wiederholte.

»Wir tun das Richtige. Noch nie in unserem Leben war eine Entscheidung so klar.«

Die Wirkung auf Dana war eher bescheiden. Während Phoebe neuen Zement auf die oberste Reihe aus verschieden großen Steinen auftrug und die nächsten Exemplare zwischen sich selbst und ihrer Freundin aufschichtete, begann Dana zu weinen.

»Ich schaffe das nicht. Ich werde die Dunkelheit nicht aushalten. Und auch nicht die Einsamkeit.«

»Du bist doch nicht einsam«, sagte Phoebe. »Wir sind alle in deiner Nähe, wir gehen diesen Weg gemeinsam.«

»Aber wenn ich es wirklich nicht schaffe, dann ist immer noch Logan da, nicht wahr?« Dana wimmerte. »Er kann es beenden.«

»Du schaffst es. Denk gar nicht daran, aufzugeben.« Phoebe strich Zement auf die neuen Steine.

Jetzt war die Mauer fast fertig. Nur noch eine winzige Öffnung verband die zitternde Dana mit einem Leben, in dem sie nicht glücklich gewesen war. Von den Luftlöchern in dem Bauwerk abgesehen, die aus zementierten Gartenschlauchstücken bestanden.

»Sei tapfer, Dana. Dann werden wir uns bald wiedersehen.« Mit diesen Worten schob Phoebe den letzten Stein an seinen Platz und betrachtete ihr Werk.

Wenn alles getrocknet war, würde es eine stabile Mauer ergeben. Ein Bollwerk, hinter dem Dana in Sicherheit war. Für immer.

Phoebe richtete sich mühsam auf und schleppte sich den dunklen Gang entlang, vorbei an elf weiteren frisch gemauerten Wänden. Nun waren nur noch zwei Nischen übrig, die darauf warteten, bezogen zu werden. Die vorletzte, auf die sie zuhielt, war für sie selbst bestimmt.

Gelassen betrat Phoebe den Raum, der kaum die Größe ihres früheren Kleiderschranks besaß, und platzierte eine verschließbare Metallkassette in einem der hintersten Winkel. Viel befand sich nicht mehr darin, weswegen sie den Schlüssel im Schloss beließ. Sie hatte fast eine Punktlandung hingelegt und das meiste Bargeld bis zum heutigen Tag ausgegeben.

Mit einem schweren Seufzer sank sie auf die Knie und ignorierte, so gut sie konnte, die brennenden Schmerzen in der Magengegend. Bis zu diesem Moment hatte Phoebe Turner alles tapfer ertragen. Die Jahre des Hungers, der endlos scheinenden Meditationen in eiskaltem Wasser, die zahllosen Entbehrungen hatten sie letztendlich hierhergeführt. Sogar dem quälenden Durst war sie unerschrocken und trotzig begegnet. Doch jetzt, im Übergang zur letzten und dritten Phase auf ihrem Weg, ließ der Schmerz sie fast scheitern.

»Was immer du in diesem Moment fühlst, ist gut und richtig«, sagte eine warme Stimme.

Dann sah sie ihn vor ihrer Nische stehen: groß, dunkelhaarig und abgemagert bis auf die Knochen. Seine Haut war selbst bei den schlechten Lichtverhältnissen, die um sie herum herrschten, von einer tiefgelben Farbe.

»Bist du bereit?«

Phoebe nickte, formte ihre dürren Beine zu einem Lotossitz und sah ihm dabei zu, wie er, wie zuvor sie bei Danas Nische, Zement verstrich und Steine hineindrückte. Reihe für Reihe entstand auf diese Weise eine Mauer.

Während er unermüdlich weiterarbeitete, sagte er: »Ich weiß, du willst Erfolg haben und denkst nicht einmal daran, zu scheitern. Aber vergiss nie, dass ich dir keinen Vorwurf machen werde, wenn du das Unternehmen abbrichst. Niemand wird das.«

»Niemand von uns wird es wagen, zu scheitern. Du hast uns den Weg gelehrt und wir werden ihn gehen.«

Er hielt kurz inne. »Tatsächlich bin ich mir nicht sicher, ob all unsere Gefährten das Ziel erreichen können. Ihr Wille ist zu schwach. Du hingegen bist immer die Stärkste von allen gewesen. Die eifrigste Schülerin. Deswegen werden wir uns bestimmt wiedersehen. Du gehst mir nur voraus.«

Phoebe lächelte. Ihre Willensstärke hatte sich tatsächlich als ausreichend erwiesen. Sie bestand, genau wie er, nur noch aus Haut, Knochen und Schmerz.

Manchmal fühlte sie trotzdem diese Unsicherheit, ob sie wirklich genug gelitten hatte. Doch es war zu spät für Selbstzweifel. Hier, in ihrer Nische, einem finsteren Loch, das sie in mühsamer Arbeit binnen weniger Monate geschaffen hatte, erfüllte sich ihr Schicksal und damit alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte.

Wenn nur dieser entsetzliche Schmerz in ihren Eingeweiden nicht wäre. Sie wünschte sich, die Prozedur würde bereits hinter ihr liegen.

Die Steinmauer zwischen ihr und ihm wuchs kontinuierlich, und mit ihr die Dunkelheit um sie herum. Der Schimmer seiner Lampe fiel durch eine winzige Öffnung, die ihre letzte Verbindung zur Außenwelt darstellte. Sie konnte sein dunkles Haar sehen, seine hohe Stirn und fing ein letztes Mal seinen sanften Blick auf.

»Meine wunderbare Phoebe, ich habe dich geliebt«, sagte er, während er den letzten Stein einpasste und sie einschloss.

Von nun an bis zum Ende der dritten Phase war dies ihr Platz.

»Das weiß ich«, flüsterte sie und streckte ihre Hand nach der noch feuchten Wand aus. »Deswegen werden wir uns auch bestimmt wiedersehen.«

»Ich werde nachkommen, sobald ich kann.« Seine Stimme drang nur noch gedämpft zu ihr durch. »Auch, wenn es mir schwerfällt, zurückzubleiben. Ich werde meine Pflicht erfüllen und warten, bis es vollbracht ist.«

Phoebe hätte geweint, sofern sie noch über genügend Körperflüssigkeiten verfügt hätte. Doch weinen konnte sie schon lange nicht mehr. Mit Beginn der zweiten Phase waren ihr die Tränen abhandengekommen.

»Auf Wiedersehen«, murmelte sie, tastete nach der Metallkassette und entnahm ihr den für sie einzigen noch wertvollen Gegenstand. Eine Glocke an einem Holzgriff.

Probehalber ließ sie ein Läuten ertönen, das in der Stille unnatürlich laut klang.

»Ich lebe noch«, flüsterte sie. »Solange die Glocke läutet, bin ich am Leben.«

Kapitel 1

 

November 2019

 

Conny stand vor einer fremden Haustür und unterdrückte ein Gähnen. Seit einer Weile schlief er schlecht und wirre Träume plagten ihn, die schwanden, sobald er erwachte.

Allison Harrowmore, die Liebe seines verrückten Lebens und Zeitreisende von Geburt an, stand neben ihm und war fit wie ein Turnschuh. Ungeduldig drückte sie die Klingel ein zweites Mal und blickte an der Fassade des hübschen, frei stehenden Einfamilienhauses empor.

»Warum lassen sie uns warten?«, rief Allison verärgert aus und warf das lange schwarze Haar zurück. »Am Telefon klang es dringend. Haben diese Leute nun ein Geisterproblem, oder nicht?«

»Vielleicht sind sie nicht zu Hause oder ihr Spuk hat sie im Keller eingeschlossen?«, fragte Conny hoffnungsvoll. Er sehnte sich zurück in sein Bett. »Ich bin dafür, später noch einmal wiederzukommen.«

In diesem Moment wurde ihnen geöffnet und eine recht junge Frau mit flottem Haarschnitt, der an die späten Zwanzigerjahre erinnerte, stand strahlend vor ihnen.

»Oh, ich bin ja so froh, dass Sie kommen konnten. Ich bin Courtney Cooper und habe nach Ihnen geschickt. Daniel, das ist mein Mann, also er meint, sie werden uns vermutlich nicht helfen können, aber ich finde, Sie müssen es wenigstens versuchen.«

Unbeeindruckt von dem Wortschwall folgten Conny und Allison der Hausherrin in einen quadratischen Flur, von dem aus Mrs Cooper sie direkt in ein frisch renoviertes Wohnzimmer mit breiter Fensterfront führte. Der Geruch von Farbe und neuen Teppichen hing in der Luft. Conny trat bis an die bodentiefe Glasscheibe und blickte in einen winterlichen Garten, dessen Zentrum ein Pavillon bildete.

»Sie sind kürzlich erst in dieses Haus gezogen?«, fragte Conny.

»Nein, ich wohne schon ewig hier.« Courtney Cooper trat neben ihn und strahlte dabei noch immer wie ein Honigkuchenpferd. Die Dame schien eine wahre Frohnatur zu sein. »Mit kleinen Unterbrechungen, wie ich zugeben muss. Dies ist mein Elternhaus. Während des Studiums und meiner ersten Ehejahre mit Daniel lebte ich in Oxford. Doch jetzt haben wir das Haus geerbt und sind gern nach London zurückgekehrt. Es ist noch viel zu tun, aber die Küche und das Wohnzimmer entsprechen bereits unseren Vorstellungen.«

»Ja, sehr hübsch.« Allison betrachtete verzückt die Spur aus Staub und Erde, die ihre klobigen Stiefel auf dem cremefarbenen Teppichboden hinterlassen hatten. Dann wandte sie sich an ihre Gastgeberin. »Mrs Cooper, Sie haben sich an unsere Kanzlei Harrowmore Souls gewandt, was üblicherweise bedeutet, dass Sie ein Problem mit einem Geist, Gespenst, Spuk, oder wie immer Sie es nennen wollen, haben. Darf ich um ein paar Einzelheiten bitten?«

In diesem Moment betrat mit lautem »Hallo« ein hochgewachsener Mann in Jeans und Holzfällerhemd den Raum, küsste Courtney Cooper und schüttelte Connys Hand so heftig, dass dieser die Erschütterung bis in den letzten Wirbel spürte.

»Willkommen in unserem bescheidenen Heim. Ich bin Daniel. Ich leite die Tischlerei im Anbau des Hauses. Wenn Sie mal einen Schreibtisch oder Wandschrank oder etwas Ähnliches nach Maß benötigen, wenden Sie sich an mich. Ich bin so froh über Ihren Besuch. Courtney bereitet die Angelegenheit große Sorgen.«

»Davon bin ich überzeugt.« Allison ließ sich in einen hellgrauen Ledersessel fallen.

Conny konnte die Ironie in ihrem Tonfall deutlich hören, die Coopers allerdings schienen nichts zu bemerken. Sie schleppten einige Trinkgläser, eine Wasserkaraffe und Plätzchen herbei und nötigten Conny, zuerst die Nougathörnchen zu probieren. Die beiden gingen sehr süß miteinander um und waren bestimmt auf dem besten Wege, in ihrem ererbten Heim glücklich zu werden.

Auf Conny wirkten sie beneidenswert, doch Allison zog ein Gesicht, als ob sie kurz davor wäre, einen Zuckerschock zu erleiden.

»Wo ist denn nun der lästige Geist, den wir Ihnen abnehmen sollen?«, fragte Allison. Sie wippte mit den Beinen und sah sich suchend im Wohnzimmer um. »Ist er sichtbar oder geräuschvoll, oder zieht er als kalter Luftzug durch die Räume?«

»Sie ist sichtbar«, sagte Courtney eifrig. »Aber hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Sie sollen uns Phoebe nicht abnehmen. Wir wollen sie wiederhaben.«

Wäre Conny nicht selbst so verblüfft gewesen, er hätte angesichts der herabfallenden Kinnlade seiner Lebensgefährtin laut gelacht. Und weil es Allison für den Moment die Sprache verschlagen hatte, übernahm er es, eine halbwegs intelligente Frage zu stellen.

»Ihr Gespenst heißt Phoebe? Woher wissen Sie das? Spricht sie zu Ihnen?«

Courtney schüttelte energisch den Kopf. »Sie spricht nie ein Wort. Aber ich habe sie bei ihrem ersten Besuch natürlich gleich erkannt. Sie ist ja meine kleine Schwester. War meine kleine Schwester müsste ich wohl sagen, denn da sie nun ein Geist ist, muss ich davon ausgehen, dass sie tot ist, richtig?«

»Äh … richtig«, sagte Allison und reizte Conny damit erneut zum Lachen.

Fasziniert beobachtete er, wie alle Überheblichkeit von Allison abfiel. Offensichtlich korrigierte sie ihren ersten Eindruck und entdeckte gerade, um was für erstaunliche Leute es sich bei ihren neuen Auftraggebern handelte.

»Wenn Ihre Schwester tatsächlich als Geistwesen herumwandelt, ist sie vermutlich tot und hat den Weg ins Jenseits aus unbekannten Gründen abgebrochen oder zumindest unterbrochen.« Allison griff nach ihrem Wasserglas und trank ein paar lange Züge, während ihre Stirn sich in Falten legte. »Und Sie wollen den Geist wiederhaben?«

»Das ist vermutlich etwas unkonventionell.« Die Hausherrin sah Hilfe suchend zu Conny hinüber, der stumm nickte. »Wir haben gehört, Ihre Kanzlei vertritt die Interessen von Geistwesen und Menschen, die von Spuk betroffen sind. Wir sind von Phoebe nicht betroffen, wir haben sie gern. Und sie fehlt uns.«

»Ihnen ist also der geliebte Geist Ihrer Schwester abhandengekommen, und Sie erwarten von uns, ihn heil und gesund …« Conny dachte über seine Worte nach. »… oder so ähnlich, zu Ihnen zurückzubringen.«

»Genau!« Daniel schien sehr glücklich darüber, verstanden worden zu sein. »Wir wollen unsere Phoebe zurück. Sie hat sich ausgesprochen hübsch zwischen Hartriegel und Chinagras gemacht.«

»Ja, und so einen Geist im Garten hat ja auch nicht jeder«, ergänzte Courtney.

Allison warf den Coopers einen Blick zu, als ob sie die Welt nicht mehr verstand. Auch Conny konnte sich einen Geist nur schlecht als Gartendekoration vorstellen. Kam da eine neue Mode auf sie zu?

»Erzählen Sie uns von Phoebe.« Conny griff nach einem weiteren Nougathörnchen.

Seine Müdigkeit war verflogen. Ihr neuer Auftrag versprach, ein Fall nach seinem Geschmack zu werden, frei von tödlichen Gefahren und ekelerregenden Zwischenfällen. Dies hier würde ein Spaziergang für ihn und Allison. Ein Gartenspaziergang, wohlgemerkt.

»Also gut.« Courtney überlegte. »Ich denke, es begann etwa zwei Monate nach unserem Einzug. Das war in diesem Sommer. Ich stand am Fenster, wie Sie gerade eben, Mister Bligh, und blickte in den Garten hinunter. Meine Eltern hatten ihn in ihren letzten Jahren ziemlich verwahrlosen lassen. Es ist schwierig, wenn ein Elternteil schusselig wird. Betrifft es aber beide gleichzeitig, ist es für den Besitz nahezu fatal.« Sie setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. »Das ganze Haus war in einem furchtbaren Zustand, als wir hierherkamen. Sie haben sich um nichts mehr gekümmert.«

»So verwirrt wie sie waren, hätten die beiden überhaupt nicht mehr Auto fahren dürfen«, brummte Daniel. »Kein Wunder, dass sie einem Lastwagen die Vorfahrt nahmen. Wenigstens starben sie zusammen.« Er tastete nach der Hand seiner Gattin, die ihn verträumt anlächelte, bevor sie fortfuhr.

»Ich stand also am Fenster und sah hinaus. Da bemerkte ich plötzlich eine ganz in weiß gekleidete, leicht durchsichtige Gestalt auf den Stufen des Pavillons. Es war eine junge Frau, die dort mit geschlossenen Augen saß wie ein Buddha. Es war solch ein friedliches Bild, mir wurde richtiggehend warm ums Herz.«

»Sie verspürten keinerlei Angst?«, fragte Allison und sah Courtney gespannt an.

»Nein. Es war keine bedrohliche Situation. Ich ging hinaus in den Garten und setzte mich ganz leise neben sie. Und mit einem Mal erkannte ich Phoebe. Sie war so hübsch und strahlte einen tiefen Frieden aus. Es tat mir gut, einfach nur neben ihr zu sitzen und Zeit zu verschwenden.«

»Von da an kam Phoebes Geist regelmäßig«, sagte Courtneys Mann Daniel. »Und fast immer trafen wir sie auf den Stufen des Pavillons an. Manchmal ging sie auch spazieren oder hüpfte ausgelassen über den Rasen. Wir hatten uns an unser Gespenst im Garten gewöhnt, mehr noch: Wir hatten unsere Phoebe lieb gewonnen.«

»Und jetzt ist sie fort.« Allison schürzte die Lippen.

»Sie kommt einfach nicht mehr«, rief Courtney aufgeregt. »Und wir sitzen hier herum und fragen uns immerzu, ob sie etwas aufgehalten hat oder ob ihr etwas zugestoßen ist.« Mit einem Mal sah sie nicht mehr zufrieden aus, sondern wie eine Frau voller Sorgen. »Für unsereins gibt es keinen Zugang zu der Welt der Geister. Wir stehen im Abseits und haben zu akzeptieren, ob Phoebe kommt oder geht. Ich komme mir so machtlos vor.«

Conny biss sich auf die Lippen, um nicht zu grinsen. Für gewöhnlich waren es die Gespenster, die sich hilflos und im Abseits fühlten. Aber die Coopers hatten eben ihre eigene Sicht auf die Dinge.

»Mrs Cooper.« Allison schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Es ist weit schwieriger, einen bestimmten Geist wieder an einen Ort zurückzuholen, als ihn loszuwerden. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wo wir nach Phoebe suchen sollen. Wir können Beschwörungsformeln herunterrattern, Ouija-Bretter durch die Gegend schieben, doch all das wird nichts nützen, wenn Ihre Schwester nicht kooperieren will. Einen Geist dazu zu zwingen, wiederzukehren, ist kniffelig.«

»Sie müssen sie ja nicht zwingen«, rief Courtney aufgeregt. »Falls sie dort, wo sie jetzt ist, glücklicher sein sollte als in unserem Garten, werde ich mich mit ihrem Fernbleiben abfinden. Aber solange ich nicht weiß, ob sie in Schwierigkeiten steckt, finde ich keine Ruhe.«

»Für gewöhnlich stößt den Toten nichts Dramatisches mehr zu.« Conny sah, wie Allison fragend eine Braue hob und ihn musterte. Offensichtlich zweifelte sie gerade an seiner Kompetenz, und das zu Recht. Er hatte einfach nur etwas Beruhigendes sagen wollen.

»Wie und wo starb Phoebe?«, wollte Allison wissen.

»Das weiß ich nicht«, gab Courtney zu. »Dass sie tot ist, erschließt sich mir nur, weil sie hier herumspukte.«

»Sie wissen es nicht?« Allison wirkte ein weiteres Mal erstaunt. »Sie war doch Ihre kleine Schwester.«

»Phoebe war sechs Jahre jünger als meine Frau«, sprang Daniel Courtney bei, nachdem Courtneys Unterlippe plötzlich zu beben begonnen hatte. »Als mein Schatz dieses Haus verließ, um in Oxford zu studieren, war Phoebe fast noch ein Kind. Sie hatten kaum Kontakt zueinander.«

»Phoebe war ein ganz normaler Teenager.« In Courtneys Augen schimmerten Tränen. »Zumindest habe ich das geglaubt. Wann immer ich in den Ferien nach Hause kam, schien sie mir lebensfroh und zufrieden. Doch wenn sie irgendwelche Geheimnisse hatte, dann auch vor mir. Ich denke, unsere Verbindung war durch den Altersunterschied einfach nicht stark genug.« Hilfe suchend sah sie zu Daniel hinüber, der weitererzählte.

»Einmal kam meine Frau an Heiligabend hierher zurück, um das Weihnachtsfest mit der Familie zu verbringen. Sie fand ihre Eltern in seltsam abweisender Stimmung vor, und Phoebe war fort.«

»Wann war das?«, fragte Conny.

Daniel überlegte. »Das ist jetzt fast acht Jahre her. Wie alt war deine Schwester damals, Liebling?«

»Ihr achtzehnter Geburtstag lag erst einige Wochen zurück. Würde Phoebe noch leben, wäre sie sechsundzwanzig Jahre alt.« Courtney warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung der Fenster. »Meine Eltern waren nicht gewillt, mit mir über ihr Verschwinden zu reden. Ich habe sie um eine Erklärung gebeten, aber sie wurden nur wütend oder traurig, sobald ich auf Phoebe zu sprechen kam. Irgendwann ließ ich es sein.«

»Es war die Art meiner Schwiegereltern, alles Unangenehme zu verdrängen«, sagte Daniel. »Courtney und ich, wir neigen vielleicht dazu, uns Dinge schönzureden, aber wir verfallen wenigstens nicht in Schweigen angesichts einer Katastrophe.«

Und eine Katastrophe muss es für die Eltern gewesen sein, dachte Conny. Ein Kind zu verlieren, egal in welchem Alter, bedeutet für die Hinterbliebenen unsäglichen Schmerz.

»Warum haben Sie nicht versucht, Phoebe zu finden?«, fragte Allison.«

»Das habe ich ja, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt.« Courtney blickte zu Boden. »Auch auf den üblichen Social-Media-Plattformen fand sich keine Spur. Wenn sie sich dort herumtrieb, dann vermutlich unter einem Pseudonym. Es ließen sich nicht einmal Freunde von ihr auftreiben, die mir hätten weiterhelfen können.«

»Wenn man nicht gefunden werden will, ist das in der heutigen Zeit durchaus möglich«, sagte Allison. »Und solange Ihre Eltern am Leben waren, wurde hier nie ein Geist gesehen?«

»Nein, ich glaube nicht.« Courtney schniefte. »Obwohl es natürlich denkbar wäre, dass sie auch darüber schwiegen. Ich jedenfalls sah Phoebe erst in diesem Sommer wieder. Und ich habe mich über den Geist meiner Schwester gefreut.« Sie stand auf und nahm eine gerahmte Fotografie von einem der Regale, die mehr Dekoration als Bücher zu tragen hatten, und reichte es Conny. »Das ist Phoebe in dem Sommer vor ihrem achtzehnten Geburtstag. Sie war hübsch, nicht wahr?«

Conny blickte in die etwas zu dunkel geschminkten Augen eines schlanken Mädchens mit geneigtem Kopf, dessen blondes Haar wie zwei Vorhänge bis auf die Hüfte fiel. Der Mund war zu einem Lächeln verzogen.

Schweigend reichte er die Fotografie an Allison weiter, die sie kurz betrachtete.

»Ja, sie war zweifellos eine attraktive Erscheinung.« Allison nickte und erhob sich aus dem Sessel, wobei sie das Bild an Courtney zurückgab. »Mein Partner und ich möchten uns jetzt gern den Garten ansehen. Ist es für Sie in Ordnung, wenn wir das ohne Ihre Begleitung tun?«

»Selbstverständlich«, antwortete das Ehepaar im Chor.

Kapitel 2

 

Daniel öffnete ihnen eilig die Schiebetür in der Glasfront und schloss sie diskret, nachdem Conny und Allison ins Freie getreten waren.

Schweigend wanderten sie über einen Gartenweg aus Steinplatten nebeneinanderher bis zum sechseckigen, nach allen Seiten offenen Pavillon in der Mitte des Gartens. Obwohl Bäume und Büsche kahl waren, der Rasen matschig und der Himmel über ihnen grau anmutete, bewahrte dieser Flecken Erde sich seinen besonderen Reiz.

Conny stellte sich vor, wie die Rabatten im Sommer wirken mussten, wenn alles in Blüte stand, und hatte das Gefühl, an einem Ort des Friedens zu sein. Ein guter Platz für einen guten Geist. Nur war dieser aus unerfindlichen Gründen mit unbekanntem Ziel verzogen.

Da flüsterte Allison an seiner Seite: »Die zwei Coopers sind gruseliger als mancher Spuk, der mir im Leben begegnet ist. Erst dachte ich, sie wären einfach nur langweilig, aber dem ist nicht so. Ich kann sie überhaupt nicht einschätzen. Sie sind irgendwie seltsam«

»Du hast es doch gehört. Daniel sagte, sie reden sich die Dinge schön. Ich denke, damit haben sie sich gewissermaßen entschieden, glücklich zu sein. Und das irritiert dich, weil du von Haus aus eher eine Dramaqueen bist.«

»Ich bin keine Dramaqueen!« Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Außerdem ist Glück keine Entscheidung. Man hat es oder man hat es nicht.«

»Bist du dir da so sicher?«

»Hundertprozentig.« Sie hatten den Ort erreicht, an dem Phoebes Geist ihrer Schwester zum ersten Mal begegnet war.

Tau glitzerte auf dem umlaufenden Geländer des Pavillons. Unter dem Dach lagen sorgfältig gestapelt Teakholz-Klappstühle, die auf den Frühling warteten.

Allison stieg die Stufen hinauf und schien auf etwas Bestimmtes zu warten. Als das Ereignis offensichtlich nicht eintrat, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. »Wo kämen wir denn hin, wenn jeder einfach entscheiden könnte, glücklich zu sein, und wie soll das überhaupt funktionieren? Erklär das mal einem Soldaten im Schützengraben oder einem Kind, dessen Eltern gerade gestorben sind.«

»Das kann ich nicht erklären«, gab Conny freimütig zu und setzte sich auf die eiskalten Stufen des Pavillons. »Du solltest die beiden da drinnen fragen, die sind die Experten auf diesem Gebiet. Mich würde jetzt auch viel mehr interessieren, warum wir draußen in der Kälte sind, wo es drinnen doch so gemütlich war. Bist du hier, um keinen Geist zu sehen? Das erscheint mir auf Dauer unbefriedigend.«

»Ich frage mich nur, ob Phoebe an dieser Stelle starb.« Allison sah zum Gebälk des Pavillons empor. »Es würde erklären, warum ihre Eltern nie mehr von ihr gesprochen haben, oder? Vielleicht hat Phoebe unter irgendwelchen seelischen Qualen gelitten und den Pavillon gewählt, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten.« Sie rüttelte an einem der Pfosten. »Die Dachkonstruktion sieht stabil aus, möglicherweise hat sie sich daran erhängt. Manchmal spuken Geister am Ort ihres Todes. Nicht immer, aber es kommt vor. Sie bewahren sich damit eine besondere Verbindung zu einem solchen Platz. Ich habe gehofft, ich würde hier etwas spüren. Wenigstens den Hauch einer Präsenz, aber hier ist nichts.«

»Könnte Phoebe an diesem Ort nicht ebenso gut besonders glücklich gewesen sein und deshalb vorzugsweise im Garten gespukt haben?« Conny wartete die Antwort nicht ab. »Natürlich könnte es das. Siehst du? Du gehst immer vom Schlimmsten aus, du bist eben doch eine Dramaqueen.«

Allison warf ihm einen strengen Blick zu und fuhr mit der Begehung des Pavillons fort. »Hier wartet nicht mal der Geist einer Mücke auf uns.«

»Heißt das, du wirst den Fall ablehnen?« Conny sah ihr dabei zu, wie sie die Stufen wieder hinunterstieg und im Garten herumlief, als versuchte sie, eine Witterung aufzunehmen. Er konnte nicht anders, als sie ein bisschen aufzuziehen »Allison Harrowmore scheitert an der Aufgabe, einen verlorenen Geist zurückzubringen? Das finde ich spannend.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich aufgebe, oder?« Sie sah ihn herausfordernd an. »Aber ich muss mir eine komplett neue Strategie zurechtlegen, um Phoebe zu finden. Die Vertreibung einer Spukerscheinung hätte ein Routinefall werden können, das hier ist etwas anderes.«

Sie setzte ihre unruhige Wanderung über den feuchten Rasen fort und schien angestrengt zu überlegen.

Conny, dem es langsam auf den Stufen zu kalt wurde und der sich nach den Nougathörnchen zurücksehnte, stand auf.

»Ich hätte einen Vorschlag. Warum arbeiten wir nicht ganz konventionell wie beispielsweise ein Privatermittler. Es kann doch nicht schwieriger sein, Phoebes Geist aufzuspüren als einen vermissten Menschen zu finden. Du sagtest gerade, Geister erscheinen an Orten, zu denen sie eine besondere Verbindung haben.«

»Bevorzugt, ja«, stimmte sie ihm zu und wartete darauf, dass er fortfuhr.

»Na, also.« Conny lächelte. »Versuchen wir, so viel wie möglich über Phoebe in Erfahrung zu bringen. Sie war jung, sie war eine Londonerin, sie wird Freundinnen und Hobbys gehabt haben, besuchte eventuell noch die Schule. Vielleicht spukt sie gerade an einem anderen Ort, der ihr lieb und teuer war. Beispielsweise in ihrem Lieblingspub.«

»Oder sie spukt überhaupt nicht mehr und hat für immer das Feld geräumt«, gab Allison zu bedenken. »Die einschlägige Literatur ist voll von Geistererscheinungen, die für eine gewisse Zeit immer wieder gesichtet wurden, dann aber plötzlich nicht mehr. Sie könnte wie eine Erinnerung verblasst sein oder ihre Energie verbraucht haben. In dem Fall könnten wir ewig nach ihr suchen.«

Conny nickte. »Solange werden die Coopers bestimmt nicht zahlen wollen. Außerdem ist es schlecht für unsere Erfolgsbilanz. Lassen wir es also sein?«

»Nein. Deine Idee ist trotzdem gut.« Allison blieb abrupt stehen und sah zur Schiebetür zurück, hinter der die beiden Coopers standen und sich an der Scheibe fast die Nasen platt drückten. »Fangen wir im Haus an und erweitern nach und nach den Radius. Suchen wir Plätze auf, an denen Phoebe zu Lebzeiten anzutreffen war. Finden wir heraus, was es über sie zu wissen gibt. Sie muss doch ein eigenes Zimmer gehabt haben. Ob etwas von ihren Habseligkeiten die Renovierungsarbeiten überdauert hat?«

Entschlossen marschierte Allison den Plattenweg zur Terrasse zurück, wo Daniel ihr öffnete. Eine Sekunde später war sie aus Connys Sichtfeld verschwunden.

Er folgte ihr ein wenig langsamer über den Gartenweg, froh, der Kälte zu entkommen, und lächelte in sich hinein. Es war schön, Allison so eifrig bei der Arbeit zu sehen. Seit sie von ihrem Abenteuer aus der Zukunft zurückgekehrt waren, hatte in den Räumen der Kanzlei eine gewisse Spannung mit dem Gefühl des Wartens geherrscht, das Conny sich nicht recht erklären konnte.

Er zumindest wartete auf gar nichts außer auf neue Auftraggeber. Doch alle verhielten sich anders als zuvor. Sowohl Allison als auch Nigel und Miranda, ihre dienstbaren Geister. Wobei die Formulierung, was Nigel anging, wörtlich genommen werden konnte.

Die Normalität war noch nicht wiederhergestellt, obwohl sich die Zeit selbst erholt hatte und es nur noch eine Zukunft gab, nachdem vorher zwei Varianten parallel existiert hatten. Conny hatte seine Erlebnisse im Jahr 2040 abgehakt und war bereit, in der Gegenwart weiterzuleben. Seinem Umfeld fiel das aus unerfindlichen Gründen noch schwer.

Gerade hatte er den Gartenweg hinter sich gelassen und wollte Allison ins Innere des Cooper-Hauses folgen, als er glaubte, zwei verschwommene Gestalten neben dem leuchtend roten Hartriegel in einem der Beete zu sehen.

War Phoebe etwa von allein zurückgekehrt und hatte darüber hinaus noch jemanden mitgebracht?

Conny ließ Daniel an der offenen Terrassentür stehen und kehrte zurück in den Garten.

Als er eine Stelle erreichte, von der er einen besseren Blick auf die Gestalten hatte, wurde klar, dass er keiner Sinnestäuschung erlegen war.

Doch jetzt befand sich dort nur noch eine Gestalt, die jemandem nachzuschauen schien. Sie war kaum mehr als eine Silhouette aus trübem Nebel. Als Conny länger hinschaute, erkannte er die Gesichtszüge eines jungen Mannes. Dazu eine Brille sowie einen glänzenden Punkt im linken Ohrläppchen. Die Kleidung wirkte auf ihn zeitgemäß, die Gestalt trug weiße Turnschuhe zu Jeans.

Conny überlegte gerade, ob er den Fremden einfach ansprechen sollte, als dieser ihn plötzlich wahrzunehmen schien. Der Ausdruck seines Gesichts veränderte sich schlagartig. Der eben noch teilnahmslose Blick wirkte nun alarmiert, beinahe panisch. Und einen Wimpernschlag später rannte der Schemen in Richtung Pavillon davon.

»Hey! Hiergeblieben!«, entfuhr es Conny, doch die Gestalt reagierte nicht. Sie flitzte an den Stufen vorbei, auf denen er noch kurz zuvor gesessen hatte.

Entschlossen setzte der Anwalt dem Fremden nach. Er rannte auf den Pavillon zu, hinter dem er das geisterhafte Wesen noch immer erkennen konnte.

Er entschied, das Objekt auf der rechten Seite zu umrunden, und schlug, völlig unerwartet, auf dem Boden auf. Aus seinen Lungen wurde mit einem Schlag die Luft herausgepresst, ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Rippenkasten, und er schmeckte Erde auf seinen Lippen.

Mühsam rappelte Conny sich auf, befreite seinen Fuß aus dem heimtückischen Gartenschlauch, der ihn zu Fall gebracht hatte, und kam humpelnd auf der Rückseite des Pavillons an, wo es nichts mehr zu sehen gab. Die Gestalt war verschwunden.

Conny suchte schwer atmend Halt am Holzgeländer des Gartenpavillons. Er hatte versagt.

Auch wenn es sich bei dem Besucher nicht um eine junge Frau gehandelt hatte, so hätte der Fremde ihm eventuell bei der Suche nach Phoebe helfen können. Doch nun war diese Chance vertan, und Conny wünschte, es wäre anders abgelaufen.

Da kam es ihm mit einem Mal so vor, als würde die Luft in seinen Lungen gefrieren, während zur selben Zeit eine Hand nach seiner Wirbelsäule griff und ihn fortzog.

Noch bevor er sich darauf einen Reim machen konnte, war der Moment vorbei und Conny stand verwirrt vor der geöffneten Terrassentür.

Dann entdeckte er eine schemenhafte Gestalt im Beet gleich neben dem Hartriegel und rannte darauf zu. Dieses Mal bemerkte der junge Mann mit der Brille und dem Ohrring ihn wesentlich früher. Er spurtete los und flüchtete sich erneut hinter den Pavillon.

Conny wollte das Gebäude schon auf der rechten Seite umrunden, erinnerte sich jedoch rechtzeitig an den Gartenschlauch und wählte den linken Weg. Unbeschadet kam er an der Stelle an, wo der Fremde vor seinen Augen zerfaserte und verschwand.

Conny stieß einen Fluch aus. Offensichtlich war es unmöglich, den Kerl zu stellen, egal, wie er es auch versuchte.

Aber wieso hatte er überhaupt zwei Versuche gehabt?

»Was machst du denn da draußen so lange?«, rief Allison. Sie sah vom Haus aus zu ihm herüber.

»Da war jemand«, rief Conny, noch immer etwas außer Atem. »Ein Geist oder etwas Ähnliches. Er hatte die Beschaffenheit einer Nebelbank und nun ist er weg.«

»Ich verstehe dich nicht«, brüllte Allison. »Komm gefälligst her, wenn du mit mir reden willst!«

Unwillig trat Conny ein weiteres Mal den Rückweg über die Steinplatten an und bemühte sich, zu begreifen, was gerade geschehen war. Als er Allison und die argwöhnisch dreinblickenden Coopers erreichte, erzählte er allen dreien von seinem Erlebnis.

»Noch ein Geist in unserem Garten?«, fragte Courtney Cooper. »Das ist ja wunderbar. Ob es ein Freund von Phoebe ist? Als Ensemble wären sie auf der Pavillontreppe bestimmt auch ganz schick.«

»Das sind Geister und keine Terrakottatöpfe.« Allison schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen, bevor sie sich wieder auf Conny konzentrierte. »Ich verstehe nur nicht, wie du zweimal denselben Mann verfolgen konntest. Ist der Kerl erneut im Beet aufgetaucht, als du zum zweiten Mal zum Haus zurückgingst?«

»Das ist ja das Seltsame.« Conny vollführte eine hilflose Geste. »Ich bin dir nur ein Mal nachgekommen, aber zweimal davon abgehalten worden. Ich kann es dir auch nicht besser erklären.« Er wandte sich an Daniel: »Wie oft bin ich vor Ihrer Nase umgedreht und zurück in den Garten gerannt?«

»Ein Mal«, erklärte der Hausherr. »Das kann ich beschwören.«

Conny war danach, laut zu lachen, obwohl die Angelegenheit alles andere als komisch war. »Ich bin einmal rechts und danach links am Pavillon vorbeigelaufen.«

»Nein, nur ein Mal links«, beharrte Daniel. »Aber was die schemenhafte Gestalt betrifft, haben Sie recht. Ich habe auch etwas gesehen, das wie Rauch aussah und trotzdem so etwas wie Beine besaß, mit denen es laufen konnte.«

»Na, das ist doch immerhin eine kleine Bestätigung.« Nach wie vor unbefriedigt wegen der mangelnden Erklärung für das Erlebte trat Conny endlich wieder ins warme Wohnzimmer.

Die Nougathörnchen lagen verführerisch auf dem Teller in der Tischmitte und Conny bediente sich. Dabei registrierte er, wie Allison ihn mit unergründlicher Miene anstarrte.

»Was ist los?«

»Gar nichts.« Sie rang sich ein Lächeln ab und das Blau ihrer Augen verdunkelte sich zu einem satten Grün, wie es immer geschah, wenn sie log. »Lass uns Phoebes ehemaliges Zimmer begutachten. Es wird jetzt als Abstellraum genutzt. Vielleicht finden wir ein paar brauchbare Informationen über Phoebes Leben.«

Kapitel 3

 

Nigel beugte sich über seinen Empfangstisch in der Kanzlei Harrowmore Souls und zündete die Kerzen an. Seit seinem Tod vor über sechzig Jahren war er nicht mehr so glücklich gewesen wie in diesem Moment. Und das, obwohl sie noch gar nicht Ja gesagt hatte.

Fast zärtlich zupfte er die Servietten in Form und platzierte das Kästchen aus schwarzem Samt auf einem der beiden Teller. Er hatte den Brillantring im Internet bestellen müssen, für einen Geist war es schwer, einkaufen zu gehen. Auch wenn er es nur allzu gern tat.

»Darf ich endlich zu dir kommen?«, fragte Miranda, die mit verbundenen Augen im Flur zu den Büros auf sein Zeichen wartete.

Seit Allison und Conny aus der Zukunft zurückgekehrt waren, hatte sich keine Gelegenheit für so ein intimes Dinner geboten. Irgendeiner der beiden war ihm immer wieder in die Parade gefahren, hatte das Büro zu früh betreten oder zu spät verlassen. Heute aber schienen sie länger auszubleiben und kehrten von ihrem Besuch bei den Coopers vielleicht gar nicht mehr an ihre Schreibtische zurück. Für den Moment gehörte die Kanzlei Miranda und ihm allein.

»Nigel, ich weiß genau, dass du etwas zu essen aufgefahren hast. Ich bekomme Hunger«, quengelte Miranda. »Rieche ich da etwa gebratenen Lachs?«

Er warf einen prüfenden Blick zum nagelneuen Campingkocher, auf dem der Fisch in der Pfanne brutzelte. Für den Geruch in der Kanzlei würde Conny ihm vermutlich heftige Vorwürfe machen, doch das war jetzt egal. Alles sah genau so aus, wie Nigel es sich vorgestellt hatte, und er eilte los, um Miranda abzuholen. Diese wartete geduldig vor der Tür der Kammer, die sie seit einer Weile bewohnte. Eine provisorische Unterkunft, die länger ihr Heim war als ursprünglich geplant.

»Es ist so weit.« Er führte Miranda in den Empfangsraum, schob ihr einen Stuhl unter und nahm ihr die Augenbinde ab.

»Oh, Nigel!«

Ungläubiges Staunen folgte, und er war glücklich. Das Kerzenlicht, die edlen Teller, die Weingläser und die zarten Rosenblätter auf der goldenen Tischdecke waren tatsächlich ein Traum.

»Für dich«, flüsterte er und küsste ihr braunes, schulterlanges Haar. »Weil ich dich liebe.«