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Die Tote im roten Kleid E-Book

Ann Cleeves

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Beschreibung

Eine Lawine aus Schlamm und Dreck Es ist dunkel und kalt in Shetland. Seit Monaten regnet es. Auf dem Weg ins Tal reißt das Wasser gewaltige Erdmassen mit sich, die Teile des kleinen Örtchens Ravenswick unter sich begraben. Bei den Aufräumarbeiten findet man in den Trümmern eines Hauses die Leiche einer unbekannten Frau in blutrotem Seidenkleid. Kommissar Jimmy Perez will wissen, wer sie ist – doch stößt er bei den Inselbewohnern auf eine Mauer des Schweigens. Als sich herausstellt, dass die Frau ermordet wurde, ruft Perez seine alte Kollegin Willow Reeves aus Inverness zu Hilfe. Die ist noch nicht vor Ort, da gibt es bereits das zweite Opfer ...

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Ann Cleeves

Die Tote im roten Kleid

Ein Shetland-Krimi

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Stefanie Kremer

Über dieses Buch

Eine Lawine aus Schlamm und Dreck

 

Es ist dunkel und kalt in Shetland. Seit Monaten regnet es. Auf dem Weg ins Tal reißt das Wasser gewaltige Erdmassen mit sich, die Teile des kleinen Örtchens Ravenswick unter sich begraben. Bei den Aufräumarbeiten findet man in den Trümmern eines Hauses die Leiche einer unbekannten Frau in blutrotem Seidenkleid. Kommissar Jimmy Perez will wissen, wer sie ist – doch stößt er bei den Inselbewohnern auf eine Mauer des Schweigens. Als sich herausstellt, dass die Frau ermordet wurde, ruft Perez seine alte Kollegin Willow Reeves aus Inverness zu Hilfe. Die ist noch nicht vor Ort, da gibt es bereits das zweite Opfer ...

Vita

Ann Cleeves, geboren in Herefordshire, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in West Yorkshire. Sie ist Mitglied des «Murder Squad», eines illustren Krimizirkels. Für den ersten Band ihrer erfolgreichen Krimireihe auf den Shetlands, «Die Nacht der Raben», erhielt sie mit dem «Duncan Lawrie Dagger Award» die weltweit wichtigste Auszeichnung der Kriminalliteratur. 2017 wurde Cleeves zudem für ihr exzellentes Lebenswerk mit dem «Diamond Dagger» ausgezeichnet, der höchsten Ehrung in der britischen Kriminalliteratur. In einer zweiten Serie begeistert Ann Cleeves mit der kantigen und eigenwilligen Kommissarin Vera Stanhope ihre Fans. Beide Krimireihen wurden verfilmt.

Eins

Jimmy Perez stand neben dem offenen Grab, als die Erde ins Rutschen geriet. Die Familie des Verstorbenen stammte ursprünglich von Foula, und der Sarg war auf zwei Rudern getragen worden, so, wie man die Toten auf jener Insel zu bestatten pflegte. Den Sargträgern, entfernten Verwandten des Verstorbenen, deren Vorfahren in den Süden aufs englische Festland gezogen waren, war es offenbar wichtig gewesen, die alte Tradition wieder aufleben zu lassen. Sie hatten genug Zeit gehabt, die Trauerfeier zu planen: Magnus hatte einen Schlaganfall erlitten und vor seinem Tod sechs Wochen im Krankenhaus gelegen. Perez hatte ihn jeden Sonntag besucht, sich an sein Bett gesetzt und über die alten Zeiten gesprochen. Nicht über die schlechten alten Zeiten, als man Magnus des Mordes verdächtigt hatte, sondern über die guten letzten Jahre, als die Bewohner von Ravenswick ihn zu allen Veranstaltungen der Gemeinde eingeladen hatten. Magnus hatte die geselligen Zusammenkünfte, die Tanzabende und sonntäglichen Nachmittagstees von Herzen genossen. Doch auf Perez’ Geplauder im Krankenhaus hatte er nicht mehr reagiert, und als er dann starb, war das keine Überraschung gewesen.

Der Sarg war bereits ins Grab hinabgelassen worden, als der Hügel ins Rutschen geriet. Während die Pfarrerin die erste Schaufel voller Erde auf den Sargdeckel fallen ließ, wandte Perez den Blick von der Grube ab. Hinter ihm breitete sich die Gemeinde Ravenswick aus. Oben auf der Böschung, gleich neben der umgebauten Kapelle, die er selbst gemeinsam mit seiner Stieftochter Cassie bewohnte, konnte er Hillhead sehen, den kleinen Hof von Magnus. Näher bei der Küste standen die alte Kirche und das Pfarrhaus, das heute einem Privatmann gehörte und weit beeindruckender aussah als die Kirche selbst. Da waren die Gewächstunnel vom Gilsetter Hof mit ihren Kunststofffolien und, gleich daneben und von der Straße aus nicht erkennbar, ein kleines Cottage. Wer da jetzt wohnte, wusste er nicht. Die Schule, auf die Cassie ging, lag ein Stück weiter nördlich und war vom Friedhof aus nicht zu sehen, und hinter der Landspitze verbargen sich das Ravenswick Hotel sowie ein schickes Ferienresort mit Häuschen im skandinavischen Stil. Das hier war sein Zuhause, und nirgendwo anders wollte er leben.

Durch den Regen wirkte die Landschaft wie weichgezeichnet. Es schien nun schon seit Monaten ununterbrochen zu regnen. Vor zwei Wochen hatte man sogar in Betracht gezogen, das Wikingerfest Up Helly Aa wegen des Wetters abzublasen, doch der Fackelumzug war in Friedenszeiten noch niemals abgesagt worden und fand schließlich trotz der orkanartigen Winde und sintflutartigen Wolkenbrüche wie gewohnt statt. Perez richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Worte der Pfarrerin, bei denen er an Fran denken musste, Cassies Mutter und die Liebe seines Lebens, die auch hier begraben lag.

Zuerst verursachte der Erdrutsch keinen Laut. Der Hügel war das ganze Jahr über stark abgeweidet worden; die Schafe hatten an den Grashalmen genagt, die Wurzeln ausgerupft und die schwarze Torferde darunter freigelegt. Jetzt, nach den monatelangen Regengüssen, war das Wasser tief in den Boden gesickert und hatte das Erdreich gelockert, und mit einem Mal setzte sich der ganze Abhang in Bewegung. Unvermittelt veränderte sich die gesamte Landschaft, das nackte Gestein wurde frei gelegt. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Perez sich bereits wieder dem Grab zugewandt, in das Magnus Tait gerade zur letzten Ruhe gebettet worden war, und hatte nicht die leiseste Vorahnung von dem, was nun folgen sollte.

Erst als der Erdrutsch gewaltiger wurde und Felsbrocken und Geröll aus den Entwässerungsgräben mit sich riss, setzte ein bedrohliches Grollen und Rumpeln ein. Die Lawine donnerte über die Hauptstraße, wobei sie einen dort entlangfahrenden Wagen nur knapp verfehlte, und rauschte unaufhaltsam wie ein reißender Fluss auf das kleine Cottage zu. Die Erdmassen begruben den Schuppen unter sich und wühlten sich mit einer solchen Gewalt durch das Cottage, dass die Fenster barsten und die Tür zersplitterte. Als die Lawine auf das Haus traf, hörte Perez ihr Brüllen und spürte, wie der Boden unter seinen Füßen bebte. Er und die anderen Trauergäste rissen die Köpfe herum. Auf den Shetlands lagen die Friedhöfe direkt am Meer, bevor es Straßen gab, hatte man die Verstorbenen im Boot zu ihren Gräbern gebracht. Der Friedhof von Ravenswick lag in einer Talsohle auf einem flachen Stück Land am Meer, im Schutz der Landspitze. Dieses steile Tal füllte sich nun mit Schlamm und Geröll, und die Erdmassen wurden immer schneller, als sie auf die Trauergesellschaft zustürzten. Der tosende Donner warnte sie vor dem, was auf sie zukam. Den Bruchteil einer Sekunde lang blieben alle reglos stehen, dann sprengten sie auseinander und versuchten, höher gelegenes Gelände zu erreichen. Perez legte den Arm um einen älteren Nachbarn, den er regelrecht in Sicherheit tragen musste. Einer der jüngeren Männer kümmerte sich um die Pfarrerin, eine Frau Anfang fünfzig. Sie schafften es gerade noch rechtzeitig. Dann mussten sie mit ansehen, wie die Erdlawine Grabmale umwarf wie Dominosteine, bevor sie über den Kiesstrand ins Meer schlitterte. Frans Grabstein war sehr schlicht, eine ihrer Freundinnen, eine Bildhauerin, hatte ihn angefertigt. Hineingemeißelt war das Bild eines Großen Brachvogels, Frans Lieblingstier. Perez sah hilflos zu, wie der Stein von der Woge aus Schlamm mitgerissen wurde.

 

Perez gewann seine Fassung schnell zurück. Das war schließlich nicht mehr Fran gewesen dort unten in dem Grab, und er brauchte auch keinen Stein, um sich an sie zu erinnern. Er wandte sich um und vergewisserte sich, dass alle es geschafft hatten. Dabei fragte er sich, was Magnus Tait, der sich die meiste Zeit seines Lebens von den Menschen ferngehalten hatte, zu diesem Drama bei seiner Beerdigung wohl gesagt hätte. Wahrscheinlich hätte er nur verlegen gegrinst und leise gekichert, dachte Perez. Und dann hätte er alle aufgefordert, zum Gemeindesaal zu gehen und dort einen zu heben. «Bringt doch nichts, hier draußen in der Einöde rumzustehen, Jungs», hätte er gesagt. «Jetzt mal ernsthaft.» Denn wenn man von der Pfarrerin absah, bestand die Trauergesellschaft tatsächlich nur aus Männern. Es war eine Beerdigung nach altem Brauch gewesen, da hatten Frauen am Grab nichts zu suchen. Überhaupt waren es nur wenige Trauergäste. Auch wenn die Menschen sich gegen Ende seines Lebens Mühe gegeben hatten, Magnus besser kennenzulernen, hatte er außerhalb von Ravenswick kaum Bekannte gehabt. Jetzt stand das Grüppchen von der Wucht des Erdrutsches erschüttert oben auf der Böschung. Von fern sahen sie vermutlich aus wie über den Hang versprengte Riesenschafe, aus dem Tritt gebracht und verloren.

Perez warf einen Blick zurück, den Hügel hoch. Wenn der Erdrutsch nur eine Meile weiter nördlich abgegangen wäre, dachte er, hätte er die Schule von Ravenswick ebenso verwüstet wie dieses Cottage, das aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Den Hof von Gilsetter und das alte Pfarrhaus hatte die Schlammlawine um noch viel weniger verfehlt. Er sah zur Ruine des kleines Hauses hinüber.

«Wohnt da eigentlich wer?» Unvorstellbar, dass in dem Cottage noch jemand am Leben sein sollte. Entweder waren die Bewohner im Schlamm erstickt oder von dem Geröll, das die Erdmassen mitgerissen hatten, erschlagen worden. Aber soweit er wusste, hatte seit Minnie Laurensons Tod niemand mehr dort gewohnt.

«Ich glaube, das steht leer, Jimmy. Eine Zeitlang hat der Sohn von Stuart Henderson da gewohnt, aber der ist schon vor Monaten wieder ausgezogen.» Die Antwort kam von Kevin Hay, einem kräftigen Mann Ende vierzig, der auf dem Gilsetter Hof lebte und den Großteil des zu Ravenswick gehörenden Landes bewirtschaftete. Perez hätte nicht sagen können, wann er Kevin zuletzt in Anzug und Krawatte gesehen hatte. Vermutlich bei der letzten Beerdigung in Ravenswick. Sein schwarzes Haar war vom Regen so nass, dass es ihm an der Stirn klebte. Es sah aus wie aufgemalt.

«Dann war es nicht vermietet?» Unterkünfte waren immer noch so knapp auf den Shetlands, dass zu dieser Jahreszeit selbst Ferienhäuser an die Öl- und Gasarbeiter vermietet wurden. Leerstehende Häuser gab es kaum.

«Soweit ich weiß, nicht.» Jetzt wirkte Hay schon weniger sicher. «Mir ist jedenfalls nichts aufgefallen, weder dass da jemand wohnt noch dass ein Auto da steht. Aber wegen den Ahornbäumen und unseren Gewächshäusern können wir das Cottage von uns aus auch nicht sehen.»

«Dann wird wohl auch keiner da wohnen», sagte Perez. Ohne Auto kam man so weit von der Stadt entfernt kaum zurecht. Die anderen Trauergäste hatten sich inzwischen um die Pfarrerin versammelt. Sie war ruhig und gefasst und übernahm nun das Kommando. Bestimmt, dachte Perez, überlegen sie jetzt, wie sie nach Hause kommen. Zwar war der Friedhofsparkplatz etwas höher gelegen, und die Wagen waren alle heil geblieben, doch einige der Trauernden wohnten auf der anderen Seite des abgerutschten Hügels. «Trotzdem würde ich lieber nachsehen», sagte er dann zu Kevin Hay.

Über die Hänge zogen sich verschiedene von den Schafen getrampelte Pfade, von denen Perez und Kevin Hay nun einem folgten. Sie blickten von oben auf das zerstörte Cottage hinab. Jetzt, nach dem Erdrutsch, war außer dem Regen nichts mehr zu hören. Eine seltsame, gespenstische Stille nach dem dröhnenden Lärm, den der Hügelabgang ausgelöst hatte. Die Rettungsdienste waren bereits informiert, und bald würden Feuerwehrleute und Polizeiwagen eintreffen, aber noch war niemand da.

Die Außenmauern des kleinen Hauses waren beinahe unversehrt, doch die Wucht der Erdmassen hatte Teile der Innenwände zerstört und das halbe Dach abgerissen, was den Blick ins Innere des Cottages erlaubte. Alles war schwarz von der torfhaltigen Erde. Perez ließ sich ein Stück die Böschung hinabrutschen, um besser in die offen vor ihm liegenden Innenräume sehen zu können.

Hay kam hinterher und legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Gehen Sie nicht zu nah ran, Jimmy. Der Hügel ist nicht gerade sicher. Es könnte noch einen Erdrutsch geben. Und ich glaube auch nicht, dass wir da drin noch jemanden retten können. Kein Grund, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.»

Perez nickte. Er sah, dass die anderen Trauergäste mittlerweile den Parkplatz erreicht hatten und Richtung Norden davonfuhren. Sie nahmen ihre Freunde, die südlich des abgerutschten Hügels wohnten, mit. Er glaubte, dass sie zum Gemeindezentrum fuhren. Bestimmt hatten die Frauen einen Imbiss vorbereitet. Den wollten sie sicher nicht verkommen lassen, und außerdem konnten sie alle etwas Heißes zu trinken gebrauchen.

«Wir sollten uns ihnen anschließen, Jimmy», sagte Kevin Hay. «Hier können wir nichts ausrichten.» Aus der Ferne hörten sie Sirenen. Hay blickte zurück auf den Hang, er befürchtete wohl einen weiteren Erdrutsch.

«Sie gehen. Ich muss sowieso hierbleiben.» Perez schaute sich die Rückseite des Cottages an. Hinter der Küche war ein kleiner Anbau gewesen, den der Erdrutsch völlig zerstört hatte: Die geborstenen Fenster und das Wellblechdach steckten jetzt irgendwo im Schlamm. Doch eine Steinmauer dahinter, die das Gärtchen vom offenen Weideland trennte, war fast unbeschädigt geblieben; offenbar hatte sie durch eine Lücke, in der vorher ein Holztor gewesen war, wie ein Trichter für die abgehende Erde gewirkt. Direkt neben der Toröffnung sahen die Mauerkanten aus wie angenagt, wie bei einer aufgeribbelten Strickarbeit, aber ein Stückchen davon entfernt war die Mauer links wie rechts aufrecht stehen geblieben. Dort lag nun der ganze Schutt, den die Erdlawine auf ihrem Weg durch den Trichter verloren hatte. Perez erkannte das Kopfende eines Bettgestells und ein paar Gartenstühle aus Kunststoff, die im Anbau gelagert haben mussten. Und da war noch etwas, das gegen das Grau der Mauer und das Schwarz der Erde grell aufleuchtete. Ein roter Fleck. Heller als Blut.

Perez kletterte die Böschung weiter hinunter, auf den Fleck zu. Die Sturzflut aus Erde hatte die Leiche einer Frau zurückgelassen. Sie trug ein rotes Seidenkleid, auffallend und festlich. Nicht gerade die angemessene Kleidung für einen Februartag auf den Shetlands, selbst wenn die Frau im Cottage gewesen war, als der Erdrutsch sie überraschte und mit sich riss. Sie hatte schwarzes Haar und schwarze Augen, und Perez empfand eine merkwürdige, intuitive Vertrautheit. Vielleicht kam sie ja aus Spanien, wie seine Vorfahren vor Hunderten von Jahren. Kevin Hay hatte sich schon auf den Weg zum Parkplatz gemacht, und so blieb Perez mit ihr allein, bis die Rettungskräfte eintrafen.

Zwei

Der Erdrutsch brachte Chaos mit sich. Die Hauptstraße von Lerwick zum Flughafen Sumburgh würde für mindestens noch einen Tag gesperrt bleiben, und unmittelbar dort, wo das Unglück sich ereignet hatte, gab es keine Straßen, über die man hätte umleiten können. Für Sumburgh bestimmte Flüge wurden nach Scatsta umgeleitet, den Flughafen im Norden der Hauptinsel, der normalerweise nur für Flugverkehr in Zusammenhang mit dem Öl- und Gasgeschäft benutzt und nun bis an die Grenzen seiner Kapazitäten ausgereizt wurde. Geschäftsleute bombardierten die Behörden mit Beschwerde-E-Mails, als hätte die Verwaltung Einfluss auf die Elemente, dann buchten sie auf die Fähren um. Die Stromleitungen waren zusammengebrochen – der Erdrutsch hatte Masten umgeknickt und aus den Fundamenten gerissen. Im Süden der Insel nahmen jene, die das Glück hatten, noch Generatoren zu besitzen, sie wieder in Betrieb. Die anderen behalfen sich mit Kerzen und Petroleumlampen.

Am Tag nach dem Unglück hatte Jimmy Perez alle Hände voll zu tun. Er war der Chef, weshalb er hauptsächlich in Besprechungen saß: mit dem Gemeinderat, um zu erörtern, wie man die Hauptstraße so schnell wie möglich wieder für den Verkehr freigeben konnte, mit dem Sozialdienst, um sicherzustellen, dass die Alten und Kranken Essen gebracht bekamen und es warm hatten. Nicht unbedingt das, was man unter Polizeiarbeit verstand, doch auf den Shetlands kam es darauf an, sich der jeweiligen Situation anzupassen. Perez hasste es, auf dem Revier bleiben zu müssen und in endlose Diskussionen verstrickt zu werden. Außerdem regnete es immer noch, und durchs Fenster blickte er auf eine graue Stadt, am Horizont verschwamm die Grenze zwischen Meer und Himmel in Wolken. Als wollte es nicht mal richtig hell werden.

Seine Kollegen arbeiteten unterdessen fieberhaft an der Identifizierung der Frau, die bei dem Erdrutsch ums Leben gekommen war. Soweit bekannt, war sie das einzige Todesopfer. Ihr Seidenkleid hatte keine Taschen, und auch eine Handtasche hatten sie nicht gefunden. Es gab nichts, das ihnen helfen konnte, sie zu identifizieren, weder eine Kreditkarte noch einen Ausweis. Die Feuerwehr hielt es noch für zu gefährlich, die Ruine des Cottages zu betreten, um dort nach ihren Sachen zu suchen. Der untere Teil ihres Gesichts vom Kiefer bis zur Nase war bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert, und auch der Hinterkopf wies Wunden auf; Perez nahm an, dass der abrutschende Hügel sie erfasst, erschlagen, mitgeschleift und schließlich an der Steinmauer abgeladen hatte. Ihre Stirn und die Augen allerdings hatten merkwürdig unversehrt ausgesehen. Natürlich war die Gesichtshaut zerkratzt und verschrammt, doch die Konturen dieses Teils des Gesichts waren heil geblieben. Ihre dunklen Augen hatten ihn angestarrt. Perez hoffte, dass der erste Aufprall der Erdmassen sie getötet oder ihr doch wenigstens das Bewusstsein geraubt hatte, sodass sie nicht mehr mitbekommen hatte, was mit ihr geschah. Immer noch verspürte er diese seltsame, absurde Verbundenheit, die ihn schon so berührt hatte, als er sie fand.

Seine Kollegen gingen davon aus, dass sie in dem kleinen Haus, das nun zur Hälfte eingestürzt und voll mit schwarzer Erde war, gewohnt hatte. Ein Urlaub vielleicht. Der Erdrutsch hatte sich am Tag vor dem Valentinstag ereignet, und Perez malte sich aus, dass sie das rote Kleid für ihren Liebsten anprobiert hatte. Um sich zu vergewissern, dass sie am folgenden Abend gut aussehen würde. Womöglich hatte sie ja auch vorgehabt, für den Mann zu kochen. Irgendwas Mediterranes, Würziges, mit Paprika und Tomaten, die so rot waren wie ihr Kleid. Perez war klar, dass all das nur seiner Phantasie entsprang, aber er kam nicht dagegen an. Er wollte wissen, wer sie war.

Auch die Eigentümerin des Cottages hatten sie noch nicht ausfindig gemacht, obwohl sie inzwischen einen Namen für das Haus selbst hatten: Tain. Offenbar hatte eine Dame, die in Amerika lebte, es von ihrer Tante, Minnie Laurenson, geerbt. Es hieß, sie würde es immer nur kurzfristig vermieten, da sie vorhatte, es zu renovieren. Robert Henderson, dessen Bruder es zuletzt bewohnt hatte, befand sich auf einer Kreuzfahrt in der Karibik, und der Bruder selbst arbeitete zur Zeit im Nahen Osten. Das war alles ziemlich unbefriedigend und frustrierend. Perez wusste, dass es eine logische Erklärung für die Leiche gab, und sicher würde sich auch bald jemand melden und sie identifizieren. Doch im Augenblick blieb ihm die Tote ein Rätsel, sie ließ seiner Phantasie keine Ruhe und gab ihm das Gefühl, sich lächerlich zu machen.

Die Leiche sollte mit der Fähre zur Obduktion nach Aberdeen geschickt werden, und Perez hoffte, dass James Grieve, der Gerichtsmediziner, ihnen anhand ihres Zahnstatus sagen konnte, wer sie war, aber bis dahin konnte es noch Tage dauern. Und um ihren Zahnarzt ausfindig zu machen, brauchten sie zumindest eine leise Ahnung von ihrer Identität. Auf den Shetlands Nachforschungen anzustellen, hielt Perez für zwecklos. Sie kam nicht von hier. Sonst hätte er die geheimnisvolle Dunkelhaarige, die dort am Rand seiner Gemeinde gewohnt hatte, schon einmal in der Stadt gesehen oder über sie reden gehört.

Gerade hatte er eine Pause zwischen zwei Besprechungen. Er hatte sich einen Kaffee gemacht und blickte nun aus dem Fenster Richtung Rathaus. Das solide Gebäude zeichnete sich wie ein schwarzer Schatten gegen den grauen Himmel ab. Sandy Wilson klopfte und trat ein.

«Ich habe jetzt mit den meisten Immobilienmaklern in Lerwick gesprochen. Von denen hat keiner das Cottage in Ravenswick im Portfolio oder kümmert sich um die Vermietung.»

«Wir müssen unbedingt diese Eigentümerin finden.» Perez sah weiterhin aus dem Fenster in den Regen. «Die Tote könnte mit ihr befreundet oder verwandt gewesen sein. Wissen wir denn wirklich immer noch nicht, wie die Dame heißt?»

Sandy schüttelte den Kopf. «Der Einzige, der was hätte wissen können, ist tot.»

«Wen meinst du?»

«Magnus Tait. Er ist mit Minnie Laurenson, der alten Dame, die früher dort gewohnt hat, zusammen aufgewachsen. Er hätte uns vielleicht Näheres über diese Nichte sagen können, die es geerbt hat.»

Aber Magnus war mit fünfundachtzig nach einem Schlaganfall gestorben, und auf einmal merkte Perez, dass er noch gar nicht richtig um ihn getrauert hatte. In den letzten Jahren war Magnus zu einem Teil seines Lebens geworden. Der Erdrutsch hatte das Begräbnis abrupt unterbrochen und damit auch den natürlichen Prozess des Trauerns. Wenigstens war Magnus noch einigermaßen würdig zur Ruhe gebettet und in sein Grab hinabgelassen worden, ehe Schlamm und Geröll den Friedhof überflutet hatten.

Perez hatte Magnus durch Fran kennengelernt, seine verstorbene Verlobte, die neben dem alten Mann gewohnt hatte. Bald nach ihrer Beerdigung war er vor Perez’ Tür aufgetaucht. Er hatte verlegen dreingeschaut wie ein befangenes Kind und mit der Hand eine Tüte mit Süßigkeiten umklammert, von denen er wusste, dass Cassie sie gern naschte. «Für die Kleene», hatte er gesagt. «Ihre Frau war’n guter Mensch.» Dann hatte er sich umgedreht und war die Böschung entlang zu seinem kleinen Hof zurückgegangen, ohne offenbar einen Dank oder eine Einladung ins Haus zu erwarten.

«Und wenn die Frau im roten Kleid nun diese Nichte war?» Denn warum eigentlich nicht?, dachte Perez. Die ganze Zeit über hatte er sich die Tote als Südländerin, als Spanierin vorgestellt, aber vielleicht trugen ja auch amerikanische Frauen rote Seide.

Sandy zuckte die Schultern. Er stellte nicht gern Vermutungen an, aus Angst, sich zu irren.

«Du bist sicher, dass niemand vermisst gemeldet wurde?» Dass die Frau allein in dem Cottage gewohnt hatte, hielt Perez für unwahrscheinlich. Und falls doch, musste sie jemanden auf den Shetlands gekannt haben. Wer zum Wandern oder für die Sehenswürdigkeiten auf die Inseln kam, tat das nicht im Februar. Außerdem, wenn sie als Touristin hier gewesen wäre, hätte sie sich nicht so gekleidet, wie er sie gefunden hatte. Sie hätte Jeans und einen Pullover angehabt, und Wollsocken, selbst im Haus. «Wann will die Feuerwehr die Ruine betreten?»

«Bald», meinte Sandy. «Bevor es dunkel wird. Sie haben zwar einen Generator aufgebaut, wollen aber lieber noch bei Tageslicht anfangen.»

Perez nickte. «Du solltest dabei sein, Sandy. Aber bevor du dich auf den Weg machst, bitte doch Radio Shetlandnoch darum, in der Sendung heute Abend einen Aufruf zu platzieren. Jeder, der etwas weiß, die Telefonnummer der Eigentümerin kennt oder ihre Adresse, soll sich bei uns melden. Jemand muss das Cottage zwischen den einzelnen Vermietungen doch sauber gemacht haben und einen Schlüssel besitzen. Sie sollen auch eine Beschreibung unserer geheimnisvollen Toten senden.»

«Wir haben es gestern übrigens nicht mehr geschafft, die Leiche mit der Abendfähre nach Aberdeen zu schicken», sagte Sandy jetzt, als wäre es ihm gerade wieder eingefallen und er sei der Meinung, dass Perez das wissen sollte. «Sie wird heute Abend mit der Fähre in den Süden gebracht. James Grieve hat schon alles vorbereitet.»

«Es wäre gut zu wissen, wer sie ist, bevor James mit der Obduktion anfängt», sagte Perez. «Ich würde ihre Verwandten gern darüber informieren, bevor er loslegt.»

Sein Telefon läutete. Eigentlich hatte er erwartet, zu seiner nächsten Besprechung gerufen zu werden, doch die Anruferin war Kathryn Rogerson, die junge Frau, die vor kurzem als Lehrerin an der Schule von Ravenswick angefangen hatte.

«Mr Perez, ich fürchte, wir müssen die Schule für heute schließen. Die Techniker der Gemeinde wollen den Hügel auf der ganzen Strecke bis nach Gailsgarth inspizieren. Es kann sein, dass er von der Straße aus abgesichert werden muss. Sollte es dabei noch einen Erdrutsch geben, läge die Schule direkt in der Gefahrenzone, und wir wurden angewiesen, die Kinder in Sicherheit zu bringen.» Sie klang selbst noch fast wie ein Kind, sehr ernsthaft und bemüht, das Richtige zu tun. Perez kannte ihren Vater, einen Anwalt, dessen Kanzlei in unmittelbarer Nähe der Commercial Street lag. «Soweit ich weiß, kümmert Maggie Thomson sich manchmal um Cassie, wenn Sie arbeiten müssen, Mr Perez, aber sie ist zu Besuch bei ihrer Schwester, und der Rückflug wurde gestrichen.»

Was bedeutete, dass er jetzt überall herumtelefonieren und sich um ein Kindermädchen kümmern musste. Das Letzte, was er im Moment noch brauchen konnte. Duncan Hunter, Cassies leiblicher Vater, war gerade in Spanien, angeblich, um mit einem Hersteller von Luxusferienhäusern zu verhandeln. In Wahrheit versuchte er nur, dem schlimmsten Wetter auf den Shetlands zu entkommen. Dies war die Jahreszeit, zu der alle Inselbewohner, die es sich leisten konnten, Urlaub nahmen.

«Wenn es Ihnen recht ist, könnte ich Cassie mit nach Lerwick nehmen. Sie könnte den Nachmittag bei mir verbringen.» Die junge Lehrerin klang zögerlich, als hätte sie Angst, ihr Angebot könnte aufdringlich wirken. «Mir macht es nichts aus, und Sie wüssten wenigstens, dass sie wohlbehalten in der Stadt ist. Wir wohnen weit abseits jeglicher Gefahrenzone.»

«Sind Sie sicher? Sich als Kindermädchen für Ihre Schüler zu betätigen, wenn die Schule geschlossen wird, scheint mir weit über Ihre Pflichten als Lehrerin hinauszugehen.»

«Aber nein!» Perez konnte sich die junge Frau in dem winzigen Lehrerzimmer der Schule genau vorstellen. Sie war zierlich und sehr ordentlich, und mit den Kindern ging sie auf eine wirklich nette Art um, auch wenn sie keinen Unsinn duldete. Cassie verehrte sie glühend. «Vermutlich bleibt die Schule bis mindestens Anfang nächster Woche geschlossen, wenn Sie also möchten, dass ich Cassie an einem der anderen Tage zu mir nehme, lassen Sie es mich einfach wissen.»

«Das ist sehr nett von Ihnen. Ich werde aber versuchen, für den Rest der Woche eine andere Regelung zu finden.» Perez war unbehaglich zumute. Zum Teil, weil er der Meinung war, die Gutmütigkeit der jungen Frau nicht zu seinem Vorteil nutzen zu dürfen. Zum Teil aber auch, weil er es hasste, sich jemandem verpflichtet zu fühlen. Hilfe anzunehmen war ihm schon immer schwergefallen. «Ich weiß allerdings nicht genau, wann ich Cassie heute Abend abholen kann.»

«Essen Sie doch mit uns zu Abend», sagte Kathryn. «Meine Mutter kocht immer für ein ganzes Bataillon.»

Und während Perez noch überlegte, wie er die Einladung ausschlagen könne, ohne unhöflich zu wirken, legte die junge Lehrerin auf.

Drei

Es war der 14. Februar. Sandy hatte eine neue Freundin, die sein ganzes Denken ausfüllte und seine Konzentration beeinträchtigte. Louisa war Lehrerin auf Yell, einer Insel im Norden der Shetlands, die mit der Fähre zu erreichen war; zwar kannte er sie schon seit ihrer gemeinsamen Schulzeit, doch sie waren erst seit ein paar Monaten zusammen, und bei vielen Dingen war er immer noch unsicher. Da der Valentinstag in diesem Jahr mitten in der Woche lag, hatten sie beschlossen, sich nicht an diesem Tag selbst zu treffen, sondern stattdessen am Samstagabend etwas zusammen zu unternehmen. Sandy hatte Louisa gefragt, was sie denn gern machen würde, aber sie war ihm keine große Hilfe gewesen: «Warum überraschst du mich nicht einfach, Sandy?» Das hörte sich für ihn fast wie eine Prüfung an. Die Sache bereitete ihm einiges Kopfzerbrechen, und er hoffte beinahe schon, die Straße möge am Wochenende noch gesperrt und die Tote noch immer nicht identifiziert sein, dann konnte er vorschützen, er müsse arbeiten.

Gerade dachte er darüber nach, ob er sie anrufen solle, um ihr zu zeigen, dass er wusste, was für ein Tag heute war. Oder würde sie das kitschig finden? Noch nie hatte er eine Frau kennengelernt, die so wenig für Gefühlsausbrüche übrig hatte wie Louisa. Er wusste, wie sehr sie die rosa Karten verabscheute, die er in den Geschäften gesehen hatte, die Glitzerherzchen und Teddybären und Luftballons. Deshalb hatte er auch nichts für sie gekauft. Schließlich schickte er ihr eine SMS. Ich denke heute an dich. Wir sprechen uns später. Daran konnte sie doch nichts auszusetzen haben?

Auf dem Weg zu seinem Wagen lief er Reg Gilbert in die Arme, der den Großteil des Tages vor dem Revier auf der Lauer gelegen haben musste. Reg war der Chefredakteur der Shetland Times. Früher einmal hatte er für eine große lokale Tageszeitung in Mittelengland gearbeitet und war dann von einer Frau in den Norden gelockt worden, die ihn unmittelbar nach seinem Umzug abservierte. Seither saß Reg auf den Shetlands fest, ein sonderbarer Fremdling, ein Spürhund auf der Jagd nach Neuigkeiten, der der Außenwelt praktisch nichts Interessantes mitzuteilen hatte.

Bis heute, denn der Erdrutsch war inzwischen zu einer landesweiten Nachricht geworden. Immerhin lieferte er dramatische Bilder, und Jimmy Perez sagte immer, die Presse liebe Bilder mehr als Worte. Sandy mutmaßte, dass eine Reihe arg reißerischer Schlagzeilen auf Regs Konto gingen, so wie die über die Grundschule, die von den Erdmassen nur um Haaresbreite verfehlt worden war, oder auch die über die von den Naturgewalten angeblich ruinierte Wirtschaft der Insel.

«Na, Sandy.» Der Reporter hatte eine näselnde Stimme und das spitze Gesicht eines Nagetiers. Seine Schneidezähne ragten über die Unterlippe. «Weiß man schon mehr über die Identität der Frau, die im Schlamm umgekommen ist?»

Früher hätte Sandys angeborene Höflichkeit ihn dazu verleitet, zu antworten, aber Reg hatte ihn einmal zu oft übers Ohr gehauen, Zitate aus dem Kontext gerissen und ihn wie einen Idioten aussehen lassen. Ohne ein Wort ließ er den Reporter stehen.

Es war noch früh am Nachmittag, trotzdem musste Sandy für die Fahrt Richtung Süden die Scheinwerfer einschalten. Obwohl er die dunklen Wintertage gut wegsteckte, freute er sich nun doch auf den Frühling. Er konnte verstehen, dass die langen Nächte so manchen Zugezogenen an den Rand des Wahnsinns trieben. Jetzt fuhr er um eine Kurve, und da lag das Tal, wo die Erde abgegangen war, direkt vor ihm: nichts als grellweiße Lichter und schwarze Schatten. Die Feuerwehr hatte neben der Ruine von Tain einen Generator aufgebaut, um das zerstörte Cottage anzustrahlen. Betrachtete man die Szenerie von der Straße aus, hätte man glauben können, sich gar nicht mehr auf den Shetlands zu befinden, jedenfalls nicht auf den Inseln, die für ihre Hügel voller Schafe und die torfhaltige Erde bekannt waren und mit deren Anblick Sandy aufgewachsen war. Was hier vor ihm lag, ähnelte mehr einem Industriegebiet: schwere Maschinen, deren Konturen sich im Licht der Scheinwerfer abzeichneten. Ein zweiter Generator speiste noch mehr Strahler, im Schein erkannte Sandy nun einen Trupp Männer, die begonnen hatten, Schlamm und Geröll von der Straße zu räumen. Bevor man die Straße wieder frei geben konnte, musste der Hügel abgestützt werden, aber solange die Fahrbahn nicht frei geräumt war, konnte keine Entscheidung darüber gefällt werden, welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen waren.

Eine kleine Ausbuchtung, die normalerweise von Touristen genutzt wurde, um den Ausblick auf die Insel Mousa zu genießen, war zu einem Parkplatz umfunktioniert worden, auf dem Sandy nun den Wagen abstellte. Er zog sich die Gummistiefel und den Anorak an, die er vor der Abfahrt in den Kofferraum geworfen hatte, und ging auf das Team zu, das mit dem Cottage beschäftigt war. Die Zufahrt zu dem kleinen Haus hatten sie bereits wieder frei gelegt. Sandy war Hunderte Male an dieser Stelle vorbeigefahren – jedes Mal, wenn er einen Verwandten vom Flughafen abgeholt oder Besucher zu den Klippen bei Sumburgh gefahren hatte, um ihnen die Papageientaucher dort zu zeigen –, doch jetzt konnte er sich kaum mehr daran erinnern, wie das Land hier vor dem Erdrutsch ausgesehen hatte. Soweit er noch wusste, hatte sich von der Hauptstraße weg ein kurzes Sträßchen durchs Tal geschlängelt, das nur zu Tain führte. Als der Friedhof vor ein paar Jahren erweitert wurde, hatte man dorthin eine neue, befestigte Straße gebaut, aber die zweigte erst ein Stück weiter nördlich ab und führte auch zum Land der Hays bei Gilsetter mit dem großen Hof und den Gewächstunneln. Am Ende des nach Tain führenden Sträßchens war Platz zum Parken für ein paar Autos gewesen, und vor dem Cottage ein kleiner, umzäunter Garten. So viel hatte man von der Hauptstraße aus sehen können. Hinter dem Haus war das Grundstück mit Hilfe einer Mauer vom übrigen Hügelland abgegrenzt sowie zu beiden Seiten von einem Schutzgürtel aus windzerzausten Bergahornbäumen umgeben, die den Erdrutsch offenbar überstanden hatten.

Sandy schloss kurz die Augen und versuchte, sich das Cottage vorzustellen. Niedrig, weiß getüncht und einstöckig. Ein für die Shetlands typisches kleines Gehöft, wenigstens von außen. Doch davon war jetzt nichts mehr erkennbar. Die Feuerwehrleute hatten sich einen Pfad den Hügel hinab geradewegs zu der Stelle gebahnt, wo die Eingangstür gewesen war. Sie trugen Signaljacken und schwere Stiefel mit Stahlkappen und sahen auf den ersten Blick alle gleich aus. Sandy ging nicht weiter, denn er wusste, wenn er noch näher herankäme, stünde er bloß im Weg. Er stand oft im Weg. Dann aber erblickte ihn einer der Männer und winkte ihn zu sich heran. «Hallo, Sandy! Kommen Sie ruhig weiter runter. Bleiben Sie auf dem Pfad, dann passiert Ihnen nichts.» Wegen des Generators und eines kleines Baggers, die im Hintergrund lärmten, musste er schreien, um sich verständlich zu machen.

Es war Tim Barton, ein Mann aus dem Westen von England, der auf die Shetlands gekommen war, um bei der Feuerwehr von Lerwick zu arbeiten. Mittlerweile war er mit einer jungen Einheimischen liiert; sie waren zusammengezogen und lebten jetzt in Gulberwick. Sandy glaubte, gerüchteweise gehört zu haben, dass bereits ein Kind unterwegs sei. Er fragte sich, wie man sich dabei wohl fühlte. Seitdem er mit Louisa zusammen war, dachte er manchmal darüber nach, ob er Vater werden wollte. Allerdings hätte er sich besser mal darauf konzentriert, wo er seine Füße hinsetzte, statt von einem gemeinsamen Kind mit Louisa zu träumen, denn der Pfad war ziemlich rutschig, und er glitt aus und fiel unbeholfen wie ein Käfer auf den Rücken. Bestimmt war sein Anorak jetzt ganz verdreckt. Barton lachte, kam aber zu ihm und half ihm wieder auf.

«Wie geht’s voran?» Sandy deutete mit dem Kinn auf die Ruine.

«Noch kommen wir nicht rein, aber das dürfte nicht mehr lange dauern.»

«Wir müssen rauskriegen, ob sonst noch jemand drin ist.»

«Das wollen wir alle wissen. Allerdings stehen die Chancen, dass jemand das überlebt hat, bei null. Wir schuften hier jetzt seit fast vierundzwanzig Stunden ununterbrochen, aber dass es keine Überlebenden gibt, war schon bei unserer Ankunft klar.» Tim wandte sich um und reckte sich. Sein Gesicht und die Hände waren schwarz und verschmiert.

«Haben Sie denn nicht mal Pause gemacht?» Das muss der reinste Albtraum sein, dachte Sandy. Hier im Schlamm zu wühlen, während es immer noch in Strömen regnet.

«Nur ein paar Stunden, um zu duschen und die Glieder aufzutauen. Und was Heißes zu essen. Aber wir wollen so schnell wie möglich fertig werden. Sehen, wie’s da drin ausschaut. Wenn Sie hierbleiben wollen, sage ich Ihnen Bescheid, sobald man gefahrlos reingehen kann. Sie können aber auch im Wagen warten. Da ist es wenigstens trocken.»

«Nein danke, noch dreckiger als jetzt kann ich sowieso nicht mehr werden.» Sandy hätte es nicht fair gefunden, im warmen Auto zu sitzen, während die Jungs hier sich zur Ruine vorbuddelten.

Nach nur einer halben Stunde kam Barton zurück. «Wir haben das Dach jetzt gesichert und das meiste von dem verdammten Schlamm und Geröll aus den Zimmern geschippt. Wenn Sie wollen, können Sie mit runterkommen, auch wenn es nicht viel zu sehen gibt.»

«War noch jemand drin?»

Barton schüttelte den Kopf. «Jedenfalls kein Mensch. Da, wo mal die Küche gewesen sein muss, liegt ’ne tote Katze.»

Sandy folgte Barton zum Cottage. Das mit der Katze kam ihm komisch vor. Manche Touristen brachten ja vielleicht ihren Hund mit auf die Shetlands, aber dass jemand eine Katze mitnahm, hatte er noch nie gehört. Hieß das, die Tote hatte doch länger hier gewohnt? Er schüttelte den Kopf und sagte sich, dass er Probleme sah, wo es gar keine gab. Katzen waren immer auf der Suche nach Futter und einem warmen Plätzchen. Diese hier hatte vermutlich zum Hof von Kevin Hay gehört und es irgendwie geschafft, ins Cottage zu gelangen.

Wo sie jetzt standen, war zuvor die Haustür gewesen. Die Gewalt der Erdmassen hatte sie aus den Angeln gerissen und in Stücke geschlagen, und ihre Überreste sahen aus wie Kleinholz. Die Feuerwehrleute hatten das halbe Dach abgedeckt, weshalb der unablässige Regen nun auch ins Innere der Ruine drang. Der Fußboden war noch immer zentimeterdick mit schwarzem Schlamm bedeckt, der nicht glatt und geschmeidig, sondern mit faustgroßen Felsbrocken, Wurzeln und Kies durchsetzt war. Es roch feucht und faulig, wie in einer Biotonne. Der draußen aufgebaute Scheinwerfer warf seltsame Schatten, und alles sah fremd und eigenartig aus. Sandy folgte Barton ins Innere. Das Cottage war wirklich klein gewesen: eine Küche, die auch als Wohnzimmer gedient hatte, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer an der Stelle, wo früher ein winziges zweites Schlafzimmer gewesen sein musste. Ein paar Möbelstücke hatten den Erdrutsch überlebt. Ein Sofa war mit den Füßen nach oben gegen eine Wand geschmettert worden, und im Schlafzimmer schwamm, wie durch ein Wunder heil geblieben, ein goldgerahmter Spiegel im Schlamm.

«Wir brauchen irgendwas, das uns hilft, die Tote zu identifizieren.» Sandy wusste, dass Jimmy Perez nichts weniger als das von ihm erwartete. «Der Chef muss unbedingt wissen, wer sie ist.»

«Wir machen hier bald Schluss für heute», sagte Barton. «Die Jungs sind völlig erschossen. Das Wichtigste war, sich zu vergewissern, dass niemand mehr unter den Trümmern liegt. Ich werde meine Leute aber bitten, den großen Scheinwerfer bis ganz zum Schluss anzulassen, dann können Sie sehen, was Sie hier drin tun.»

Sandy bedankte sich und sah ihm nach, als er ging. Er wünschte, er hätte einen Kollegen von der Polizei dabei. Jemanden, mit dem er herumwitzeln oder sich über die Bedingungen beschweren könnte. Er war noch nie gern allein auf sich gestellt gewesen.

Er begann die Durchsuchung bei den Resten der Eingangstür und teilte sich den Fußboden in Viertel auf, wie er es mal bei Vicki Hewitt, der Leiterin der Spurensicherung aus Inverness, gesehen hatte. Einige Küchenregale waren aus der Wand gerissen, und die Scherben der Teller und Tassen lagen im Schlamm verstreut. Ein Schrank stand noch. Er öffnete ihn und fand Backbleche, Pfannen und Töpfe. Zwei von den Pfannen waren ziemlich teuer, aus solidem Gusseisen. Fran hatte mal genau die gleichen gekauft, und Perez hatte erzählt, sie hätten ein halbes Vermögen gekostet. Dann hatte die Eigentümerin des Cottages oder die Frau im roten Kleid offenbar gern gekocht. Minnie Laurenson hätte solche Pfannen bestimmt nicht benutzt. Die Duschkabine war in kleine Kunststoffscherben zerbrochen, und dort, wo vorher der Duschkopf gehangen hatte, tröpfelte Wasser aus der Wand. Die Toilettenschüssel steckte halb im Schlamm, schien ansonsten aber unversehrt geblieben zu sein.

Nachdem er auf den Küchengeräten ein paar Fingerabdrücke gesichert hatte, ging Sandy weiter ins Schlafzimmer. Dort stand ein Bett ohne Kopfteil. Die Matratze starrte vor Dreck, sie hatte das schlammige Wasser aufgesogen wie ein Schwamm. Vorher musste dies ein hübsches Zimmer gewesen sein, mit Blick aufs Meer und einem gekachelten Kamin. Hier war das Dach noch intakt, aber das Fensterglas war aus dem Rahmen gebrochen, weshalb es von der Seite hereinregnete. Draußen war es mittlerweile vollkommen dunkel geworden, und das Zimmer wurde nur noch von dem großen Scheinwerfer durch das Loch in der Außenmauer beleuchtet. Sandys Schatten sah merkwürdig aus: langgezogen und mit klaren Konturen, wie ein Scherenschnitt aus schwarzem Karton. Zu beiden Seiten des Kamins waren Schränke in die Nischen eingebaut. In dem einen hingen die Kleider noch auf ihren Bügeln, sie waren erstaunlich sauber geblieben. Der Mantel einer Frau. Sandy wischte sich die dreckigen Finger ab, bevor er ihn anfasste. Er war dunkelblau und wunderbar weich. Der muss teuer gewesen sein, dachte Sandy, genau wie die Pfannen. Zwei elegant geschnittene Hosen und einige Blusen, frisch gebügelt. In den anderen Schrank waren Regalbretter eingelassen. Darauf sorgsam zusammengelegte Pullover. Ein gebundenes Buch von der Sorte, die einem erzählen, wie man sein Leben leben soll. Durch Geisteskraft in eine bessere Zukunft. Und eine Holzschatulle mit Intarsien aus Perlmutt. Seine Großmutter Mima hatte eine ganz ähnliche gehabt, in der sie all ihre Schätze aufbewahrt hatte. Sandy zog sich blaue Latexhandschuhe über und ließ das Buch in eine Beweismitteltüte gleiten. Vielleicht waren ja Fingerabdrücke darauf. Dann nahm er die Schatulle aus dem Schrank, hielt kurz den Atem an und klappte sie auf.

Er hatte auf einen Ausweis gehofft, ja sogar eine Geburtsurkunde. Die Schatulle strömte einen leichten Duft nach Sandelholz aus. In ihr lagen zwei Fotos, das eine von zwei Kindern, das andere von einem älteren Paar. Und ein handgeschriebener Brief, den er für einen Liebesbrief hielt, da er mit «Meine liebste Alis» begann. Sandy legte den Brief zurück in die Schatulle, ohne weiterzulesen. Neugierig war er noch nie gewesen, und außerdem war es kalt und ungemütlich in der Ruine. Die Nässe war ihm inzwischen bis auf die Haut gedrungen. Bevor er weiterermittelte, wollte er zunächst ins Warme und Trockene, und überdies fand er, dass Jimmy Perez der Erste sein sollte, der den Brief las. Doch im Kopf legte er sich schon zurecht, was er Perez am Telefon sagen würde, wenn er erst wieder trockene Sachen anhatte und sich wie ein menschliches Wesen fühlte. «Wenigstens können wir ihr jetzt einen Namen geben. Den Teil eines Namens.»

Vier

Perez klopfte an die Tür der Rogersons und wartete. Hätte er die Familie besser gekannt, wäre er wahrscheinlich einfach eingetreten, andererseits – vielleicht hätte er trotzdem gewartet; immerhin war er hier in der Stadt, da war manches anders. Die Rogersons wohnten in einem soliden Steinhaus, das auch in Aberdeen oder Edinburgh hätte stehen können. Vorne ging es auf den Park hinaus, in dem erst vor kurzem im Rahmen von Up Helly Aa die Galeere in Brand gesetzt worden war. Die Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen, sodass Perez nicht hineinschauen konnte. Dann hörte er Schritte hinter der Tür, die unmittelbar danach geöffnet wurde. Im Rahmen stand die junge Lehrerin. Sie hatte sich nach der Arbeit umgezogen und sah jetzt, in Jeans und Sweatshirt, sogar noch jünger aus. An den Füßen trug sie keine Schuhe, und ihre Socken waren rosa-blau geringelt.

«Mr Perez.» Sie trat beiseite, um ihn einzulassen.

«Bitte, sagen Sie einfach Jimmy.»

Sie lächelte ihn schüchtern an. «Cassie ist in der Küche. Sie hat Mum beim Kochen geholfen.»

Er fand es sehr warm im Haus, als er jetzt aus der Kälte und dem Nieselregen eintrat, und es duftete nach Fleisch und Gemüse. Nach einfachem Essen ohne jeden Schnickschnack, ein tröstlicher Geruch. Hackbraten und Kartoffeln. Kathryn ging ihm voran in den hinteren Teil des Hauses. Am Herd in der Küche rührte eine mollige Frau Anfang sechzig in einer Pfanne, und Cassie stand daneben auf einem Hocker und stach Kreise aus Teig aus. Sie blickte auf und sah ihn. «Ich backe Marmeladentörtchen», sagte sie. Dann fügte sie hinzu: «Weißt du noch? Die habe ich doch immer mit Mum gemacht.»

Die Erinnerung überfiel ihn so lebhaft, dass er kurzzeitig sogar den leicht angebrannten Zucker und Frans Parfüm riechen konnte, und darunter den durchdringenden Duft nach Terpentin und Farbe, denn die Küche in Ravenswick hatte Fran auch als Studio gedient. Er tauchte in die Vergangenheit ab, in das Haus mit Blick übers Meer, das er auch heute noch mit Cassie bewohnte. Ganz spontan war er damals vorbeigekommen, zu einem seiner ersten Besuche bei Fran zu Hause. Es war Frühlingsanfang gewesen. Fran hatte zu ihm herübergeschaut und mit einem Lächeln auf eine jüngere Cassie, die gerade Marmelade in Törtchen füllte, geflüstert: «Die schmecken sicher fürchterlich, aber du musst eins essen.» Leise, damit Cassie es nicht hörte. «Sonst verzeiht sie dir das nie.»

Jetzt, im Haus der Rogersons in Lerwick, schaute Cassie ihn an und wartete auf Antwort.

«Natürlich weiß ich das noch.»

«Sie müssen auf jeden Fall eins von diesen ganz besonderen Törtchen essen», sagte Kathryn, und wieder wurde Perez von der Erinnerung übermannt, denn dies waren beinah dieselben Worte, die auch Fran benutzt hatte. «Es gibt sie nach dem Abendessen, anstelle eines Nachtischs.»

Perez hatte sich die Entschuldigung, mit der er sich vor dem Abendessen schnell aus dem Staub machen wollte, schon zurechtgelegt, aber nun hörte er wieder Frans Stimme im Kopf und nickte nur. «Klingt großartig.»

Beim Abendessen waren sie nur zu viert. Tom war zu einer Sondersitzung des Shetland Islands Council gerufen worden. Der Anwalt gehörte dem Rat der Inseln als Councillor an; er war ein bekannter Politiker. Das Tischgespräch drehte sich um den Erdrutsch und darum, welche Probleme er verursacht hatte.

«Für die Leute im Süden der Shetlands, die jetzt nicht zur Arbeit in die Stadt fahren können, ist es wirklich sehr ärgerlich.» Mavis Rogerson stammte von den Orkney-Inseln, und ihr weicher Singsang klang noch immer mehr nach Wales als nach den Shetlands. «Wissen Sie, wann die Straße wieder befahrbar sein wird, Jimmy?»

«Sie hoffen, bis morgen Vormittag wenigstens eine Spur frei zu bekommen.» In der Nacht zuvor hatte Perez kaum geschlafen, und die Wärme in der Küche und das reichhaltige Essen machten ihn nun matt und benommen. «Das bedeutet zwar ein paar Monate lang Ampeln und Staus, während sie daran arbeiten, den Hang abzusichern, aber wenigstens kommt man dann schon mal wieder zum Flughafen.»

«Man hat mir übrigens mitgeteilt, dass die Schule bis zum Wochenende geschlossen bleibt.» Kathryn wusch die Teller ab und stapelte sie auf dem Abtropfbrett. «Sollen wir Cassie morgen wieder zu uns nehmen, Jimmy? Das macht uns wirklich nichts aus. Sie können sie auf dem Weg zur Arbeit einfach hier vorbeibringen.»

Wäre er nicht so schrecklich müde gewesen, hätte Perez bestimmt nach einer anderen Lösung gesucht. Er merkte, wie sehr die junge Lehrerin bemüht war, ihm zu helfen, und trotz seiner Müdigkeit ermahnte er sich, dass es nicht besonders nett wäre, sie auch nur ansatzweise zu ermutigen. Dann aber dachte er, dass er gut und gerne fünfzehn Jahre älter war als sie, und außerdem hatte eine so hübsche junge Frau wie Kathryn bestimmt einen Freund. Dass er glaubte, sie wäre verliebt in ihn, lag bloß an seiner Eitelkeit. Davon abgesehen sah Cassie ihn mit den Kulleraugen eines Robbenbabys an, und er konnte ihr immer noch kaum etwas abschlagen.

«Nun gut», sagte er. «Wenn Sie sicher sind.»

 

Zu Hause in Ravenswick war es Zeit für Cassie, schlafen zu gehen. Etwas weiter südlich arbeiteten die Männer noch immer daran, die Straße wieder frei zu bekommen, und im Hintergrund hörte man das beständige Rumpeln der schweren Maschinen. Trotzdem schlief Cassie in letzter Zeit viel besser als früher. Sie hatte weniger Albträume.

Jimmy hatte sich gerade einen Tee gemacht und das Feuer im Kamin angezündet, als Sandy anrief. «Hast du Neuigkeiten für mich, Sandy?»

«Kann ich vielleicht kurz vorbeikommen? Ich hab da was, das ich dir gern zeigen würde.»

«Warum nicht?» Mittlerweile kam es ihm nicht mehr taktlos und zudringlich vor, wenn seine Kollegen zu ihm nach Hause kamen, in das Haus, das er nur so kurz mit Fran geteilt hatte. «Aber sag, wissen wir jetzt endlich, wie die Frau im roten Kleid heißt?» Er wollte einen Namen für sie, ihr etwas Würde zurückgeben.

«Ihren Vornamen, ja», sagte Sandy. «Oder, na ja, zumindest einen abgekürzten Vornamen.»

Er war schneller da, als Perez erwartet hatte. Offenbar war er schon zum Aufbruch bereit gewesen, als er in Ravenswick angerufen hatte. Es klopfte vorsichtig an der Tür, dann kam er herein, eine kleine Holzschatulle sowie ein paar Flaschen Bier von Unst unterm Arm. Er selbst trank zwar vor allem helles Bier, aber er wusste, dass Perez das Ale der Valhalla Brauerei lieber mochte.

«Wir haben Glück, dass wir nördlich des Erdrutsches wohnen», sagte Perez, «sonst wären wir jetzt auch von allen Wegen in die Stadt abgeschnitten.» Ihm war klar, dass Sandy nicht gern gedrängt wurde, zu sagen, was er wusste. Der junge Kollege brauchte immer ein bisschen Zeit, um seine Gedanken zu ordnen, und der Smalltalk diente dazu, ihm diese Atempause zu verschaffen.

«Ich war vorhin unten in Tain», sagte Sandy. «Die Jungs haben es so weit gesichert, dass man jetzt reingehen kann.»

«Haben sie noch jemanden im Haus gefunden?» Aber Perez glaubte, dass selbst Sandy etwas so Wichtiges ohne Umschweife erzählt hätte.

«Menschen jedenfalls nicht. Nur eine tote Katze.» Sandy hielt inne. «Das finde ich allerdings irgendwie komisch. Ich meine, wenn es doch ein Ferienhaus war.»

Ein gescheiter Gedanke, fand Perez. «Wir müssen endlich rauskriegen, wer für die Vermietung des Cottages zuständig ist. Das hat Priorität für morgen. Vielleicht wird es ja auch von privat über die Websites von Promote Shetland oder Visit Scotland angeboten. Irgendjemand muss doch die Telefonnummer der Besitzerin in den USA haben.» Er schwieg kurz. «Aber du hast recht. Eine Katze im Cottage ist tatsächlich ziemlich merkwürdig.»

«Ich glaube, die Tote hieß Alis», sagte Sandy. «Mit einem ‹s› am Schluss. Wenn das überhaupt ein richtiger Name ist. Einen Ausweis oder sonst was Nützliches habe ich nicht gefunden, nur das hier.» Er stellte die Schatulle so vorsichtig auf den Tisch, als wäre sie ein kostbares Geschenk. «Die war in einem Schrank und hat vom Erdrutsch überhaupt nichts abgekriegt.»

Alis. Das ist bestimmt eine Abkürzung, dachte Perez. Er klappte den Deckel der Schatulle auf und nahm die beiden Fotos heraus. Auf dem ersten saß ein älteres Paar auf einer weißen Holzbank in einem Garten. Die Bank stand offenbar auf sandigem Grund. Die Frau trug ein geblümtes Sommerkleid, und das Gesicht des Mannes war braungebrannt, zerfurcht wie uraltes Leder. Sie sah ziemlich ernst aus, fast abweisend, die Füße fest auf den Boden gestellt. Seine Beine waren locker gespreizt, und auf seinem Gesicht lag ein breites, zahnlückiges Lächeln. Beide blinzelten etwas, denn sie sahen direkt ins helle Sonnenlicht.

«Wo, glaubst du, ist das aufgenommen worden? Irgendwo, wo es warm ist, würde ich sagen. Griechenland? Spanien?» Perez hoffte, dass es Spanien war. Er wollte so gern glauben, dass Alis aus dem Land seiner Vorfahren kam. Er stellte sich eine Landschaft vor, über der der Duft nach Thymian und Olivenöl schwebte.

Sandy schüttelte den Kopf. Er wusste nichts von warmen Ländern. Wie auch, wo er doch noch nie von den Shetlands weg gewesen war?

«Keine Ahnung. Das könnte in einem sonnigen Garten überall auf der Welt gemacht worden sein. Der Hintergrund ist total unscharf. Das könnte sogar an einem schönen Sommertag hier auf den Shetlands gewesen sein.»

Aber Perez’ Phantasie hatte ihn nun mal nach Spanien gebracht. «Ob das ihre Eltern sind, was meinst du? Im richtigen Alter wären sie ja.»

«Aye, gut möglich.» Sandy nahm einen Schluck Bier und sah zu, wie Perez das andere Foto aus der Schatulle nahm.

Zwei Kinder, etwa fünf und sieben Jahre alt, nicht auf einer Bank, sondern auf Schaukeln am Spielplatz. Unter den Schaukeln derselbe sandige Boden. Das ältere Kind war ein Mädchen. Die Kleine trug Shorts und einen Pullover und blickte herausfordernd in die Kamera. Ihr fehlten beinahe ebenso viele Zähne wie dem alten Mann, aber Perez ging davon aus, dass es ihre Milchzähne waren, die sie verloren hatte. Der Junge hatte den Kopf voller Locken und ein Lächeln, mit dem er die alten Damen um den Finger gewickelt haben musste. «Und sind das die Kinder von Alis?»

Es war offensichtlich, dass Perez das nur zu sich selbst gesagt hatte, weshalb Sandy gar nicht erst zu einer Antwort ansetzte. Perez drehte beide Bilder um, in der Hoffnung, auf der Rückseite einen Namen oder ein Datum zu entdecken, aber da stand nichts. «Woher weißt du, wie sie heißt, Sandy?»

«Von dem Brief.» Sandy wies mit dem Kinn auf die Schatulle. «Ich habe ihn nicht ganz gelesen. Ich dachte, da warte ich besser auf dich.»

Perez legte den Brief vor sich auf den Tisch. Im Briefkopf stand kein Absender. Die Schrift war akkurat und präzise. Das muss schon vor einiger Zeit geschrieben worden sein, überlegte Perez. Selbst die Älteren benutzten heutzutage E-Mail und SMS. Alle hatten die Kunst des Schönschreibens verlernt, und wenn er heute etwas Handgeschriebenes bekam, war die Schrift meist wüst und krakelig.

Meine liebste Alis,

welche Freude, zu erfahren, dass Du nach so vielen Jahren wieder zurück auf die Inseln kommen wirst! Ich habe unsere seltenen Treffen, wenn ich in den Süden gefahren bin, immer so genossen, und ich weiß, dass Du dieselbe schöne Frau geblieben bist, die mich bei unserer ersten Begegnung so fasziniert hat. Ich bin sicher, dass uns alles gelingen wird und wir einer wunderbaren gemeinsamen Zukunft entgegensehen.

Der Brief trug keine Unterschrift, nur eine Reihe Kusszeichen, und Perez überlegte, welche Folgerungen daraus zu ziehen waren. Vielleicht kam der Brief ja von einem verheirateten Mann, der keine Beweise für seinen Ehebruch hinterlassen wollte. Jemand, der vorsichtig war und sich alle Möglichkeiten offenhielt, auch wenn er der Toten eine gemeinsame Zukunft versprochen hatte. Oder aber der Absender hatte eine Unterschrift schlicht für überflüssig gehalten. Natürlich musste Alis gewusst haben, von wem der Brief kam.

«Und das ist alles, was du finden konntest?» Perez versuchte, nicht genervt zu klingen, doch diese kurzen Schlaglichter auf das Leben der Toten frustrierten ihn. Klar, er konnte sich eine Geschichte über die dunkelhaarige Frau ausdenken, über ihre Eltern und Kinder und den Mann, den Einheimischen, der sich in sie verliebt hatte, aber das alles wäre eben nur: eine Geschichte. Zu ihrer Identifizierung brauchte er konkretere Hinweise.

«Da ist noch das Buch hier. Vielleicht sind Fingerabdrücke drauf.»

«Die uns nur weiterhelfen, wenn die Tote in unserem System gespeichert ist.»

«Ich habe wirklich gründlich gesucht, Jimmy.» Trotz Perez’ Bemühungen verstand Sandy seine Worte als Kritik. «Tain ist ein echt kleines Haus, und der Erdrutsch hat drinnen kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Vielleicht haben wir ja mehr Erfolg, wenn wir den Schutt und Schlamm im Garten durchsuchen.»

Darauf antwortete Perez nicht gleich. «Hat sich jemand auf den Aufruf von Radio Shetland hin gemeldet?»

«Jane Hay hat angerufen», sagte Sandy. «Sie glaubt, vor einer Woche im Co-op in Brae eine Frau gesehen zu haben, auf die die Beschreibung passt. Ich dachte, ich gehe morgen bei ihr vorbei und rede mit ihr.» Er legte eine Pause ein. «Sie wirkt wie eine ziemlich vernünftige Frau auf mich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so was erfinden würde.»

«Nein, ich werde mit ihr reden.» Perez wollte derjenige sein, der der Toten eine Identität einhauchte. Er wusste, wie albern das war, konnte aber nichts dagegen tun. «Ich schaue auf dem Weg zur Arbeit bei ihr vorbei. Sie wohnt auch hier. Der Hof der Hays liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Tain. Kevin meinte zwar, er habe nie jemanden im Cottage gesehen, aber vielleicht hat Jane ja was beobachtet.»

Sandy stand auf, und Perez begleitete ihn vors Haus. Normalerweise wäre um diese Zeit alles still und dunkel gewesen. Hier draußen gab es keine Straßenlaternen, und der kleine Hof von Magnus stand ja nun leer. Doch ein Stück weiter südlich bemühten die Arbeiter sich immer noch, die Straße für den kommenden Tag frei zu räumen, und die starken Scheinwerfer warfen befremdliche Schatten über den Hügel.

Fünf

Jane Hay setzte sich auf ihrem Holzstuhl zurecht und nickte den anderen im Kreis zu. An diesem Abend waren sie weniger als gewöhnlich. Wahrscheinlich hatten einige wegen des Erdrutsches nicht zum Treffen kommen können. Jane trank einen Schluck Tee, wartete auf die Nachzügler und kostete die Ruhe und Dankbarkeit aus, die sie hier an den Versammlungsabenden immer spürte. Der Gemeindesaal wurde von einem kleinen Gasofen beheizt, dessen Dämpfe ihr in die Nase und tief hinunter in die Kehle drangen, aber sie war bereits so daran gewöhnt, dass es für sie zu den Sitzungen dazugehörte. Alf Walters sprach einige Willkommensworte, dann ging es los. Jane räusperte sich und merkte, wie sie kurz verkrampfte, während sie darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Sie ging nun schon seit über elf Jahren zu den Treffen, war aber immer noch ein bisschen nervös.

«Ich heiße Jane, und ich bin Alkoholikerin.»

Nach dem Treffen blieb sie noch eine halbe Stunde länger, denn sie hatte als Mentorin die Unterstützung für eine junge Frau übernommen, eine Notärztin aus dem Gilbert-Bain-Krankenhaus, und wollte wissen, wie es ihr ging. Rachel kam jetzt seit drei Monaten zu den Treffen, aber es war immer noch jeden Tag ein harter Kampf für sie. Nach einem stressigen Arbeitstag tranken ihre Kollegen alle mal ein Gläschen Wein zur Entspannung. Für Rachel aber war ein Glas oder auch eine Flasche niemals genug. Manchmal rief sie Jane in den frühen Morgenstunden an, entweder sturzbetrunken oder weil sie Zuspruch und Bestärkung brauchte. «Es tut mir so leid. Ich bin eine solche Versagerin.» Und Jane konnte sie schluchzen hören.

Aber Jane verstand, was Rachel durchmachte, und blieb immer geduldig. «Du bist überhaupt keine Versagerin. Du bist krank, und der Weg zur Genesung ist brutal. Würdest du eine Chemo gegen Krebs machen, wärst du nicht so hart zu dir.»

Kevin allerdings stand diesen nächtlichen Anrufen weniger nachsichtig gegenüber. «Ist das eine aus deinem Saufclub, die sich mal wieder betrunken hat?»

Er glaubte, dass Jane nur ihren masochistischen Trieben nachgab, wenn sie zu den Treffen ging. An diesem Abend war er richtig wütend auf sie geworden, als sie aus dem Haus wollte. «Du bist jetzt schon seit Jahren trocken. Seit der Einschulung der Kinder. Wozu brauchst du diesen ganzen Unfug überhaupt noch? Du tust uns keinen Gefallen damit, wenn du jede Woche zwei Abende in der Stadt bist. Außerdem mache ich mir Sorgen um dich, wenn du an einem Abend wie heute unterwegs bist.»

Normalerweise ging sie nicht weiter darauf ein. Sie konnte ihn nun mal nicht ändern, genauso wenig, wie er sie ändern konnte. Aber sie war den ganzen Tag über schon so angespannt gewesen. Der Regen und im Hintergrund der Lärm der schweren Maschinen an der Stelle des Erdrutsches hatten an ihren Nerven gezerrt. Auch die Jungs waren schlecht gelaunt, hatten sich am Abendbrottisch nur gezankt und ihren Eltern mit einsilbigem Grunzen geantwortet. Die beiden waren so verschieden, dass sie in der Regel gut miteinander auskamen, aber an diesem Abend hatte sie eine untergründige Feindschaft zwischen ihnen gespürt, etwas Bitteres, Dumpfes. Der Stress hatte ihr die Arme und den Rücken steif werden lassen und einen Muskel im Gesicht zum Zucken gebracht.

«Wäre es dir lieber, wenn ich noch trinken würde?» In der Küche waren sie unter sich gewesen. Die beiden Jungs waren in ihre Zimmer verschwunden, um ihre eigene Gereiztheit dadurch abzubauen, dass jeder auf seinem Computer virtuelle Menschen niedermetzelte. Nahm sie wenigstens an. Sie merkte, dass sie zitterte, ihre Stimme war schrill geworden und entzog sich ihrer Kontrolle. «Wäre es dir lieber, wenn ich abends einfach abhaue und im Morgengrauen sturzbesoffen wieder im Taxi nach Hause komme? Nicht mehr weiß, wo ich war, außerstande, mich um die Kinder zu kümmern, und völlig aufgelöst?»

Sprachlos starrte er sie einen Moment lang an. «Weißt du was?» Er drehte sich um und blickte aus dem Fenster hinaus ins Dunkle, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. «Damals war viel mehr mit dir anzufangen. Da hatten wir wenigstens ab und zu noch ein bisschen Spaß.»

Dann hatte er sich schnell wieder zurückgedreht, um sie zu umarmen und sich zu entschuldigen, aber sie hatte die Wehmut aus seiner Stimme herausgehört. In dem Augenblick hatte sie sich gesagt, dass sein Ausbruch bestimmt daher kam, dass er sich langsam alt fühlte; er blickte sehnsüchtig auf seine Jugend zurück. Doch nun, auf dem Heimweg nach Gilsetter, war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Zum ersten Mal seit Jahren verspürte sie wieder den Drang, etwas zu trinken. Tesco hatte noch offen. Dort könnte sie eine Flasche Wein kaufen und sich damit auf die entlegenste Ecke des Parkplatzes zurückziehen, wo niemand sie sehen konnte. Wenn die Flasche einen Schraubverschluss hatte, ließe sie sich problemlos öffnen. Sie stellte sich vor, wie der Alkohol ihr durchs Blut strömte. Er würde sie entspannen. Die Verkrampfung im Rücken würde sich lösen. Das Kreischen der Nerven verstummen. Sie müsste ja nicht die ganze Flasche trinken, nur genug, um die Sorgen und Ängste des Tages zu vergessen. Dann könnte sie nach Hause fahren, wäre netter zu Kevin und den Jungs und würde besser schlafen als seit Wochen. Niemand bräuchte es je zu erfahren.

Im Kreisverkehr am Rand von Lerwick setzte sie schon den Blinker, um auf den Parkplatz des Supermarkts einzubiegen, doch dann änderte sie in allerletzter Minute ihre Meinung, was den Taxifahrer hinter ihr dazu veranlasste, zu hupen und mit den Lippen unflätige Bemerkungen über Frauen am Steuer zu formen. Sie beachtete ihn gar nicht und nahm stattdessen die Ausfahrt Richtung Süden nach Gilsetter.

Kevin hatte auf sie gewartet. Er hatte den Holzofen in Gang gesetzt und Kerzen angezündet. Es roch nach gutem Bohnenkaffee, Bienenwachs und Torf.

«Was hat das denn zu bedeuten?» In der Tür zum Wohnzimmer schüttelte sie den Mantel ab und zog die Stiefel aus. Dies war ihr der liebste Raum im Haus, doch die meiste Zeit verbrachten sie in der Küche. Kevin hatte vor dem Fernseher gesessen, den er jetzt aber ausmachte, als er aufstand, um sie zu begrüßen. Sie glaubte, dass er kurz eingenickt war. Er hatte dieses zerzauste Aussehen eines kleinen Jungen, das er morgens beim Aufwachen auch immer hatte.

«Heute ist Valentinstag. Ich fand, ich sollte ausnahmsweise mal dran denken.»

Sie ging auf ihn zu, barfuß, und spürte die gebohnerten Holzdielen und die Schaffelle unter sich am Boden.

«Und das von vorhin tut mir leid», sagte er. «Das war wirklich grob von mir. Keine Ahnung, wieso ich das gesagt habe. Wahrscheinlich geht mir das Wetter auf die Nerven, und ich brauchte jemanden, um Dampf abzulassen.» Er wollte noch mehr sagen. Jane wusste, was das sein würde: dass er ohne sie nicht auskäme. Dinge, die man seiner Haushälterin oder Mutter sagte, wenn auch etwas weniger gefühlvoll. Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen, um ihn vom Reden abzuhalten, und nahm ihn in die Arme.