Die Trabbel-Drillinge - Heimweh-Blues und heiße Schokolade - Anja Janotta - E-Book

Die Trabbel-Drillinge - Heimweh-Blues und heiße Schokolade E-Book

Anja Janotta

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie ein Ei dem anderen - und doch nicht gleich

1:200 Millionen – so hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es jemanden wie Franka gibt. Oder wie Vicky. Oder wie Bella. Die drei Zwölfjährigen sind eineiige Drillinge und Celebritys. Trotzdem könnten sie verschiedener nicht sein. Als sie vor lauter Berühmtheit keinen Schritt mehr vor die Tür machen können, flieht Mama Trablinburg mit ihnen aufs platte Land. Dort will sie in einer baufälligen Villa ein Bio-Hotel eröffnen. Die Drillinge sind entsetzt: monatelang Baustelle, mieses WLAN, zu dritt im Doppelbett? Das muss ja Trabbel hoch drei geben! Ob Frankas wunderköstlicher Trostkakao den schlimmsten Schwesternstreit aller Zeiten kitten kann?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 212

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2018 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Inka Vigh

Umschlagillustration: Inka Vigh

Vignetten und Vorsatz: Inka Vigh

TP · Herstellung: AJ

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-22275-8 V002 www.cbj-verlag.de

PROLOG AM KÜCHENTISCH

Eins zu 200 Millionen – so hoch ist die Wahrscheinlichkeit, als eineiiger Drilling geboren zu werden. So betrachtet dürfte es Franka von Trablinburg also gar nicht geben.

Aber es gibt sie. Falsch: Es gibt sie alle drei.

Solange Franka denken kann, gibt es sie gleich dreimal auf der Welt. Einmal in zart und schön – das ist Bella. Dann gibt es sie in 200 Millionen Mal schlauer als alle anderen – das ist Vicky.

Und dann gibt es Franka. Nachdem bei Bella und Vicky alles Spektakuläre schon aus war, hatte es für sie nur noch eine Eigenschaft gegeben.

Nett.

Kennt ihr den Ausdruck: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße? Was so viel heißt, dass man sich als Nette sowieso gleich ins Klo runterspülen kann.

Wie Franka es in diesem Moment hasst, immer so scheiß-nett zu sein! Denn es ist scheiß-unbequem in dem Doppelbett, in das sie sich zu dritt quetschen. Franka liegt in der Mitte, dort wo die Matratzen auseinander driften. Der Spalt unter ihrem Bauch ist bestimmt schon so breit, dass ein halber Fuß hineinpasst. Ihr Zeh kratzt am Lattenrost.

Warum hat sie nette Idiotin sich nur schon wieder überreden lassen, in der Mitte zu schlafen? Als sie das erste Mal hier übernachtet haben, haben sie abgemacht, dass sie sich abwechseln würden. Aber Vicky, die eigentlich dran gewesen wäre, hat Franka bequatscht, sie hätte schon gestern so schlecht geschlafen, und so weiter und so weiter …

Pff, jetzt liegt sie rechts neben Franka und ihr Ellenbogen verpasst der Schwester gleich einen Kinnhaken, wenn sie noch mal zuckt. Franka rückt ab, soweit es eben geht, ohne den Spalt unter sich noch mehr zu vergrößern. Isabella, oder wie sie die Trablinburgs nennen: Bella, die Schöne, hat sich gar nicht erst an der Diskussion beteiligt. Sie ist erst morgen dran und sowieso gewohnt, dass sich die Welt für sie nur zum Besten fügt. Genau in diesen Momenten wäre Franka lieber mit der Chance 1:3 als Einzelkind auf die Welt gekommen. Und nicht als nette dritte Schwester von zwei Ego-Tanten.

Und so liegt sie schlaflos in der klaffenden Besucherritze, wo sich unter ihr ein gefährlicher Krater immer breiter auszudehnen scheint. Unter ihr brodelt ein Vulkan, Feuermassen schieben sich durch die Felsspalte, sie züngeln am Rand nach oben, gleich greifen sie auf das Bettuch über … Die ganze Matratze scheint zu beben.

Momentchen, sie scheint nicht nur. Die Matratze bebt tatsächlich. Von links kommt ein deutliches Zittern. Franka lauscht ins Dunkel. Hören kann man nichts. Aber fühlen, ohne jeden Zweifel. Bella!

»Weinst du?«, flüstert Franka nach links. Es ist mehr ein Hauchen, so leise, dass sie selbst es kaum zu hören vermag, hauchleise, damit Vicky nicht gestört wird. Auch wenn Bella die Frage mehr ahnen als wahrnehmen wird, hat ihre Schwester sie bestimmt gehört. Ein Schluchzen antwortet ihr. Auch das kaum mehr als ein Ausatmen.

Franka atmet ebenfalls aus, sachte, verhalten. Zum Glück kann Bella nicht sehen, wie sie ihre Augen dabei zusammenkneift. Wenn eine von den beiden anderen Drillingen weint, geht Franka immer als Erste k. o. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wird sie angesteckt. Schlimmer noch: Bereits wenn einer von ihnen zum Heulen zumute ist, weint Franka manchmal schon, bevor bei der anderen überhaupt die erste Träne kullert. Irgend so ein dusseliger Reflex, den sie einfach nicht steuern kann.

Deshalb ist sie gerade hin- und hergerissen: Bella beistehen und Gefahr laufen, mit ihr um die Wette zu schluchzen? Oder lieber stillhalten?

Nein, stillhalten geht nicht. Nicht, wenn es einer ihrer Schwestern schlecht geht. Und so robbt sie sich millimeterweise über den klaffenden Matratzenspalt hinweg hinüber zu Bella. Weil Vicky mit ihrem sensiblen Schlaf nicht aufwachen soll, schiebt sich Franka direkt an Bellas Ohr.

»Was ist los?«, haucht sie hinein. Bellas Antwort ist kaum mehr als ein Luftzug: »Ich mag hier nicht mehr sein.«

»Verstehe«. Sofort muss Franka den Kloß im Hals runterwürgen, der auf die Tränendrüse drückt. »Ich habe auch Heimweh.«

»Franka, das ist mehr als Heimweh«, wehrt sich Bella. »In diesem Kaff ist alles Scheiße.« Ein neuerlicher Weinkrampf lässt Bella beben. Aus Rücksicht auf Vicky hat sie ihr Gesicht im Kissen verborgen, was jedes Geräusch dämpft. Es fehlt nicht viel und Franka wird ebenso ein Kopfkissen brauchen. Trotzdem schafft sie es, ihre Hand in Bellas Nacken zu legen und durch die langen Haare zu wühlen. Wenn man sie am Haaransatz krault, beruhigt sie sich meistens.

In der Tat scheint Bella langsam zur Ruhe zu kommen. Das Beben schwächt sich ab. Man hört nichts weiter als ihren regelmäßigen Atem und ein regelmäßiges Plopp, mit dem die Tränen von Frankas Nase aufs Laken tropfen.

Es geht eine ganze Weile so, und just, als sie denkt, Bella würde wieder einschlafen, hört Franka ein kurzes Hauchen an ihrem Ohr: »Machst du mir einen Trost-Kakao?«

Weil Franka zu dusselig nett ist und einer armen, leidenden Schwester nichts abschlagen kann, sitzen beide bald in der fußkalten Küche, Bella auf einem Hocker, Franka auf einem Hocker am Herd, während sie die Milch mit einem Löffel in Bewegung hält, damit sie nicht anbrennt oder sich eine eklige Haut bildet. Mit der Maschine Milch zu schäumen wäre jetzt zu laut.

»Ist doch wahr«, wettert Bella nun in Zimmerlautstärke. »In diesem Kaff ist alles Scheiße. Es ist überhaupt nix los hier. Hier gibt’s kaum jemanden in unserem Alter, es gibt keine ordentlichen Läden, kein Kino, kein Schwimmbad, nicht mal einen Bioladen. Außerdem ist der Handyempfang total grottig.«

Franka weiß, was ihre Schwester meint. Seit sie nach Deininghofen gezogen sind, ist nichts mehr, wie es war. Seit Mama diese Villa geerbt hat. Die heruntergekommene, staubige, knarzende Villa, die keiner haben mag außer ihr. Von den Drillingen keiner, Oma Eleonore und der coole Onkel Flo schon mal gar nicht. Nur Mama Babs, die sie mit ihrer Blödsinnsidee von einem Bio-Hotel allesamt in die tiefste Provinz verfrachtet hat.

Deininghofen – klingt das nicht schon wie Dein-Ding-Hofen? Denkt Franka. Jedenfalls ist das alles nicht ihr Ding hier. Nicht Bellas. Nicht Vickys. Und nicht ihres.

In der Stadt hat jede ein kleines, aber egal – ein eigenes – Zimmer gehabt! Hier müssen sie inmitten einer riesigen Baustelle schlafen – in einem viel zu engen Doppelbett. Alles ist staubig, ranzig, alt.

Zu Hause sind es nur zwei Querstraßen bis zur Schule gewesen. Hier müssen sie eine halbe Weltreise mit dem Bus unternehmen, um in die neue Klasse zu kommen. Morgen geht es los in ihrer Provinzschule, da wo der Pfeffer wächst. Wahrscheinlich schreiben die da noch auf Wachstafeln!

Und wahrscheinlich gibt’s am Kiosk auch nur die gleiche blöde Schokolade wie hier im Supermarkt – mit viel zu hohem Milchzuckeranteil und ohne Fairtrade-Siegel. Wie gut, dass Franka sich Vorräte angelegt hat, weil sie schon ahnte, dass sie hier viele, viele, viele von ihren Trost-Kakaos würde zubereiten müssen.

Franka stülpt aus den umfunktionierten Cupcake-Formen zwei Schokowürfel heraus. Erst gestern hat sie eine neue Kakaomischung ausprobiert. 70 Prozent Valrhona-Schokolade, ein Klecks Sahne – mit einem Hauch Zimt. Und Bella bekommt noch eine Umdrehung Kardamom aus der Mühle oben drauf.

Auch wenn es tröstlich aus ihren Tassen dampft, hängen ihre Köpfe nur traurig darüber. Bella braucht nichts zu sagen, Franka versteht ihren Kummer auch so. Über ihnen ermahnt sie mit jedem Ticken Tante Gerdas alte Küchenuhr, wie spät es schon ist.

Da geht plötzlich mit lautem Quietschen die Eichentür auf. Franka sieht zuerst die blaue Brille, dann ein Blinzeln und dann die langen aschblonden Haarstrubbel.

»Vicky!«

»Ich kann nicht schlafen – wenn niemand da ist. Da fühle ich mich allein.« Vickys Blick fällt nahezu sofort auf die Tassen in den Händen ihrer Schwestern.

»Krieg ich auch einen?«

Franka ist so nett und schiebt ihr die eigene Schoko-Zimt-Tasse rüber, die Vicky gleich zur Hälfte leert.

»Wir haben Heimweh«, erklärt Franka ihrer anderen Schwester. »Deswegen sind wir aufgestanden.«

Vicky schluckt und nickt. »Ich auch.«

Mit den Köpfen aneinandergelehnt – jede berührt die Stirn der anderen – starren sie zu dritt in die köstlichen Kakaos. Ab und an nimmt jede einen wohligen Schluck daraus, egal aus welcher Tasse. Sie teilen immer alles, was sie haben. Niemand sagt was, dennoch atmen, seufzen und ticken sie alle drei gleich wie die uralte Küchenuhr über ihnen.

Bis schließlich Vicky die mahnenden Zeiger nicht mehr aushält: »Wir sollten wieder ins Bett zurückgehen. Hier bekommt man doch nur kalte Füße.«

»Okay, aber jetzt schläfst du in der Mitte! Du bist dran«, sagt Franka.

»Spinnst du jetzt?«

200 Millionen zu eins – dass Franka wieder nachgeben wird?

SOJAMILCH HOCH DREI

Haselnusssirup. Das war eindeutig ein Tag für Haselnusssirup in ihrer heißen Schokolade. Franka sog das Aroma von Nougat und feiner Schokolade ein. Es gab auf der ganzen Welt nur ein Café, dem man zutrauen konnte, eine ebenso leckere heiße Schokolade zu machen wie sie selbst.

Denn von Rita, der Chefin des Cafés Sahnehäubchen, hatte sich Franka ganz viele Tricks und Kniffe abgeschaut. Jeden Morgen bestrich Rita unzählige Gläser von innen mit geschmolzener Edelbitterschokolade aus Ecuador. Darüber häufte sie später frischen warmen Milchschaum und malte – wie für Franka heute – mit einem Schuss Sirup ein Herz in den Schaum. Oben drauf streute sie ein paar hauchfeine Splitter Edelschokolade.

Nichts, wirklich nichts war besser für einen vernieselten und vermiesten Tag wie diesen! Franka hatte nahezu die ganze Nacht nicht geschlafen nach der Familienkonferenz gestern und brauchte jetzt dringend was für Leib und Seele.

Ihre beiden Drillingsschwestern kamen mal wieder zu spät. Dabei waren sich Vicky, Bella und Franka sofort ohne Worte einig gewesen, dass man ein Krisengespräch brauchte.

Aber Vicky hatte noch schnell ein neues Ladekabel besorgen müssen, weil sie über ihres mal wieder mit den Rollen des Schreibtischstuhls gefahren war. Geschlagene zwölf Minuten später kam sie an. Und die schöne Bella war da immer noch nicht aufgetaucht.

Erst fünf Minuten später ging mit lautem Klingeln die Cafétür auf und eine aufgedrehte Bella schneite herein. Allerdings nicht allein, im Tross zog sie noch drei Freundinnen mit sich. Über all ihrem Geschnatter schaffte Bella es gerade noch, Rita über alle Köpfe hinweg laut zuzurufen: »Ich bekomme einen Himbeer-Milch-Shake. Aber einen mit Sojamilch.« Sojamilch – das war gerade Bellas neuester Spleen. Sie hatte Angst vor einer möglichen Kuhmilchallergie.

»Geht klar.« Rita nickte Bella zu, während diese mit ihrem Tross zu Frankas Tisch zog. Franka seufzte.

»Sorry, Mädels«, sagte sie also zu Bellas Freundinnen, »aber wir haben heute ein supergeheimes, superwichtiges Drillingsgespräch. Könnt ihr euch vielleicht woanders hinsetzen? Da hinten ist gerade ein Platz frei geworden. Wenn ihr euch beeilt …«

Unwillig zog Bellas Freundinnenstab ab – zum letzten freien Tisch, um den sie sich zu dritt quetschen mussten. Auch Vicky, Franka und Bella teilten sich einen Tisch, der höchstens für zwei gedacht war. Als sich Bella zu Vicky auf die Bank durchschlängelte, hätte sie fast den Laptop der jungen Frau neben ihnen vom Tisch gerissen. Es war eng und voll in dem herrlich verschnörkelten Retro-Café am Prenzlberg.

Franka versuchte noch, ein freundliches »Entschuldigung« zu der Nachbarin rüberzuschicken. Von irgendwoher kannte sie das Gesicht. Aber Bella hatte mit ihrem Auftritt schon alles fest in ihrer Hand: »Ist nicht mein Tag heute. Ich kapier Geometrie so überhaupt nicht. Kannst du nicht meine Hausaufgaben machen, Vicky, bitte?«

»Und wenn du morgen darüber ausgefragt wirst?«

»Dann nimmst du einfach deine Brille ab und springst für mich ein. Wie immer.« Bella übte ihren niedlichen Bettelblick, der bei ihren Schwestern immer so gut funktionierte. Niemand war so gut darin, unverschämte Wünsche durchzusetzen, wie Bella. Aber heute biss selbst die niedliche Bella bei Vicky auf Granit.

»Nein, ich habe euch doch gesagt, ich lass mich nicht mehr für euch ausfragen. Ihr müsst selber den Kram lernen. Sonst kapiert ihr es nie.«

Bella wollte schon verzweifeln: »Aber ich kapier es auch mit Lernen nicht. Und ich kann mir keine Fünf leisten. Ihr wollt doch nicht, dass ich als Einzige von uns dreien sitzenbleibe. Wir wären nicht mehr zusammen …«

»Nein. Ich mach’s trotzdem nicht.«

»Bitte.« Hundewelpen-Blick von Bella.

»Nein.« Harter-Hund-Blick von Vicky.

»Arschloch.« Wildes Hundewelpen-Kläffen.

»Du Pfurzhirn. Lern selbst!« Noch-mehr-harter-Hund von Vicky.

Schweigen.

Es war Franka, die die Spannung schließlich nicht mehr aushielt. Schwesternstreit war ihr immer zuwider. Sie musste einschreiten, bevor sich das hier noch mehr aufschaukelte. »Bitte, Vicky, nur noch dieses eine Mal? Damit Bella nicht durchfällt und sie dieses Schuljahr schafft? Ist doch gar nicht mehr so oft. Bald sind Ferien und dann …«

»… dann sitzen wir sowieso nicht mehr hier …«, sagte Vicky.

»… denn dann sind wir in der Pampa«, sagte Bella.

»… in der Drecks-Pampa«, sagte Franka. Wie verabredet seufzten alle drei Schwestern gleichzeitig. Nur gut, dass Rita gerade eine kleine Aufmunterung vorbeibrachte: Bellas Himbeer-Shake, auf dem zwei frische Himbeeren prangten, Vickys Tee mit frischen, gepuderzuckerten Minzblättern und Frankas zweite heiße Schokolade mit Haselnusssirup. Ein einziger Schluck dieses wahrhaft himmlischen Getränks konnte Franka wiederbeleben.

»Wir können nicht zulassen, dass Mama uns in die Provinz verfrachtet«, sagte Franka und nahm noch einen großen Schluck Himmelsgesöff. »Da gehen wir ein.«

»Wir sind drei Stimmen gegen eine«, meinte Bella. »Das müsste doch zu machen sein, wenn wir drei zusammenhalten. Wir drei könnten sie doch überzeugen, dass sie das Haus von Tante Gerda nicht übernehmen muss.«

Franka stimmte zu: »Wir brauchen einfach nur die richtigen Argumente.«

»Am besten, wir machen eine Liste. Dann können wir es ihr schriftlich geben, warum wir nicht mitwollen.« Vicky übernahm sofort das Ruder. Sie zog einen leicht mitgenommenen Block aus ihrer Messenger Bag und popelte einen Stift aus dem Mäppchen.

»Also, was haben wir auf der Pro-Seite?«, fragte sie.

»Dass es immer schon Mamas Traum war, ein Hotel zu eröffnen?«, schlug Bella zaghaft vor. Vicky schrieb.

»Das tolle Landleben«, ergänzte Franka die Liste.

»Landleben, pfff, das kann man auch gleich auf die Contra-Seite schreiben«, diktierte Bella ihrer Schwester, die alles mitschrieb. »Kein Capoeira mehr für mich. Keine Medaillen. Keine Pokale. Keine Vereinspartys.«

»Gibt’s noch was anderes in deinem Kopf als Caaa-Poooo-Eiraaaa?«, maulte Vicky, schrieb aber widerwillig mit. »Hast du auch was anzubieten, was uns alle betrifft?« Sie war unüberhörbar immer noch sauer auf ihre Schwester.

»Und vernünftige Klamottenläden gibt es dort wahrscheinlich auch nicht«, fügte Bella nun hinzu. Bella hatte von ihnen dreien den besten Style und ein untrügliches Gespür für großartige Kombinationen. Irgendwie schienen die nur für Bella gemacht zu sein. Wenn Franka in der nächsten Woche das anzog, was Bella jetzt trug (orangefarbene DocMartens, grünkarierte Kniestrümpfe und ein T-Shirt mit einer Pailletten-Katze), würde Franka trotzdem nicht cool aussehen, sondern sich fühlen wie ein bunter Clown.

Wahrscheinlich lag das daran, dass Bella die zarteste der drei Schwestern war. Sie hatte als Säugling einen schweren Start gehabt und lange eine spezielle Physiotherapie gebraucht, um so fit zu werden wie ihre Schwestern. Die Begeisterung für Sport, sagte ihre Mutter immer, muss da geboren worden sein. Denn ohne Leistungsturnen und Akrobatik hielt Bella es keine Woche aus.

Außerdem war Bella zwei Zentimeter kleiner. Das sah man aber nur, wenn man sie alle drei nebeneinander stellte. Dann fiel auch dem Betrachter das Muttermal an Frankas linker Augenbraue auf, das sie von ihren Schwestern unterschied. Wenn Franka mal wieder das Gefühl hatte, bei ihren Schwestern immer nur nachgeben zu müssen, malte sie sich mit schokobraunem Kajal das Muttermal extra dick an. Aus Protest. Und die langen blonden Haare steckte sie dann unter eine quietschgelbe Baseballkappe. Keine ihrer Schwester trug – der Modegott behüte sie vor einem solchen Fehlgriff! – so was Profanes wie eine Baseballkappe.

Meistens lief es ja auch ganz gut mit Bella und Vicky und die peinliche Baseballkappe blieb im Schrank.

Vicky hatte solche Kunstgriffe überhaupt nicht nötig, um sich von ihren Schwestern abzusetzen. Ihre blaue Brille war ihr ureigenes Markenzeichen. Nicht, dass ihre klitzekleine Kurzsichtigkeit das verlangt hätte, aber Vicky fand, dass sie so schlauer aussah. Und Schlauheit war schließlich das, worauf sie am stolzesten war. Vicky erledigte die Hausaufgaben für alle drei. Und wenn Bella oder Franka in der Schule ausgefragt werden sollten über ein Thema, von dem sie keinen blassen Schimmer hatten, dann versteckte Vicky ihre Brille und gab sich als eine der beiden anderen aus. Die Einser und Zweier waren den Schwestern dann garantiert.

Deshalb dachte Vicky auch an etwas ganz anderes für die Contra-Liste: »Schlechte Internetverbindung auf dem Land.«

»Freundinnen«, diktierte Franka. »Wir verlieren alle unsere Freundinnen und …«

»… und Freunde«, schrieb Vicky noch dazu. Das hatte Franka eigentlich nicht sagen wollen und wunderte sich. Doch Bella war schon fortgefahren: »Und Flo. Onkel Flo bleibt bestimmt in der Stadt. Mit seiner Firma kann er gar nicht mal schnell woanders hinziehen.«

Vicky kritzelte den Namen ihres geliebten Onkels auf die Liste. Das war ein fetter Contra-Punkt.

Franka hatte noch eine wichtige Ergänzung für die Contra-Liste: Sahnehäubchen. So ein wunderbares Café mit altmodischen Stühlen, mit jeder Menge Retro-Süßigkeiten, Zuckerstangen im Glas, selbstgemachten Pralinen unter Glasglocken, kunstvoll aufgetürmten Cupcakes – wo sollte davon jemals ein zweites zu finden sein?

Wie zur Bestätigung nippte Bella das erste Mal an ihrem Himbeer-Shake.

»Ey«, sagte sie. »Das ist aber keine Sojamilch.«

»Komm, lass gut sein«, sagte Franka und dämpfte ihre Stimme, um Bella zu beschwichtigen. »Es ist proppenvoll hier und Rita hat in dem Trubel bestimmt einfach nur vergessen, dass du neuerdings lieber Sojamilch trinkst.«

»Nein«, widersprach Bella ihr umso lauter. »Nein, ich habe Sojamilch bestellt.«

»Es ist doch gar nicht gesagt, dass Sojamilch besser ist, wenn man noch keine Allergie hat …«, wollte Vicky sie überzeugen, doch Bella krähte schon quer durch das voll besetzte Lokal: »Rita?!« Keine ihrer Schwestern konnte sie zurück auf den Stuhl ziehen. Ein paar Gäste schauten auf, ebenso Rita an der Espresso-Bar.

»Du hast den Shake nicht mit Sojamilch gemacht.«

Die engelsgeduldige Rita nickte ihr nur zu, obwohl das ganze Café vor lauter Leuten nur so brummte: »Mach dir gleich einen neuen, Bella. Sorry. Einen Moment, ja?« Ach, Rita war so ein Goldschatz, fand Franka. Den durfte man einfach nicht verlieren!

»Entschuldigung«, kam es da vom Nachbartisch. Die Frau, deren Laptop Bella beinahe vom Tisch gefegt hatte, hatte die drei Mädchen die ganze Zeit über aufmerksam beobachtet.

»Ja?«, antwortete Franka für alle drei.

»Ihr seid nicht zufällig die berühmten Trablinburg-Drillinge? Isabella, Franka und Viktoria?«

Himmel, wo man auch hinging, selbst hier an ihrem allergeheimsten Rückzugsort, wurden sie erkannt! Warum hatte Bella nicht einfach die Klappe gehalten und ihren verdammten Shake ohne Sojamilch getrunken?

»Und wer will das wissen?«, fragte Vicky. Sie gab sich nicht einmal Mühe, ihren genervten, fast schon feindseligen Unterton zu unterdrücken. Diese Sonderbeobachtung als Drilling ging Vicky mächtig auf den Geist.

Die Frau zog erstaunt ihre perfekt gestrichelte Augenbraue in die Höhe, dann kramte sie in ihrer Tasche, um aus einem silbernen Etui eine Visitenkarte herauszuholen: Viola Helbig, Reporterin vom Klatschmagazin Lifestyle Plus.

»Hättet ihr Lust auf ein Interview?«

Jetzt wusste Franka, woher sie das Gesicht kannte. Viola Helbig hatte die drei vor anderthalb Jahren interviewt und die »Ausnahme-Drillinge« einen Tag in der Schule begleitet. An den Artikel selbst konnte sich Franka nicht mehr erinnern, wohl aber daran, dass ihr der ganze Trubel in der Schule total unangenehm war und sie vor Verlegenheit kaum ein Wort gesprochen hatte.

Auch jetzt reagierte Franka zurückhaltend, doch Bella nahm das Heft in die Hand, ohne sich auch nur mit einer Schwester irgendwie verständigt zu haben, weder mit einem Blick, noch mit einem verstohlenen Fußtritt. »Ich schicke meiner Mama eine App, dann gibt sie bestimmt ihr O.K.! Und wir können in der Zwischenzeit schon mal plaudern …«

Wenn man so wollte, dann war Bella für die Drillinge so was wie das Sprachrohr. Sobald irgendwo Rampenlicht in Sicht war, stürmte Bella nach vorn. Seit sie mit ihrem Kampftanzen Capoeira so erfolgreich war, noch einmal ein bisschen mehr.

Und sie hatte jede Menge Übung darin, denn schon mit zwei Jahren hatten die eineiigen Drillinge, die es der Wahrscheinlichkeit halber eigentlich gar nicht geben dürfte, ihr erstes »Interview« gegeben. Seither umkreisten Reporter ihr Leben wie Fliegen ein Marmeladebrot. Kindergarten, erster Schultag, kleine Model-Aufträge, ihr erster Werbespot, ihr zweiter Werbespot, eine kleine Nebenrolle im Film – ihre Mutter Babs, die bei einer Agentur arbeitete, hatte schon früh vielerlei Auftritte für die Drillinge eingefädelt.

Im Allgemeinen waren ihre Rollen klar: Bella übernahm das Reden, Franka warf ab und an mal was ein. Aber ihre erste Aufgabe war es, Vicky in Schach zu halten, die mit ihrer losen Zunge manchmal übers Ziel hinausschoss.

Auch an diesem Tag war Pressesprecherin Isabella von Trablinburg schon voll in ihrem Element, erzählte von den bevorstehenden Capoeira-Meisterschaften, während Vicky die Augen verdrehte. Franka behielt ihrerseits Vicky aufmerksam im Auge, während die Reporterin (»nennt mich ›Viola‹«) eifrig auf ihrem Laptop mitschrieb.

»Ich bin als Nummer eins gesetzt«, plapperte Bella »das sind große Erwartungen, die unser Verein da auf mich setzt …«

»Capoeira ist aber nur dein Hobby! Franka und ich tanzen nicht«, merkte Vicky säuerlich an. Doch Bella fuhr unbekümmert fort: »Aber ich habe bisher immer Nervenstärke bewiesen …« Da platzte der ungeduldigen Vicky der Kragen. Sie popelte ihre Kopfhörer aus der Hosentasche und steckte sie demonstrativ in die Ohren. Unterm Tisch rempelte Franka sie an, überm Tisch verzog sie mahnend den Mund.

Im Normalfall hätte nur ein Signal gereicht. Ein Trablinburg-Drilling wusste immer gleich und sofort, was ein anderer Drilling von ihm wollte. Aber nach dem, was jetzt folgte, musste Franka davon ausgehen, dass Vicky zwar wusste, was Franka von ihr wollte. Aber: Es war ihr egal.

»Wenn es hier sowieso nur um Bella geht …«, seufzte Vicky und machte so laut die Musik an, dass man trotz Kopfhörern bestens hätte mitgrölen können.

Franka überkam mit einem Schlag große Müdigkeit. Jede verlorene Minute Schlaf schien sich gerade in ein tonnenschweres Gewicht auf ihren Schultern zu verwandeln. Trotzdem, man konnte Vicky sich nicht so daneben benehmen lassen! Das hier war eine Situation, in der man zusammenhalten musste. Vielleicht klappte es ja mit einem Lob?

»Wissen Sie, Vicky hat jetzt einen Instagram-Account für uns eingerichtet. Wir haben schon ziemlich viele Abonnenten …«

Im Wesentlichen zeigte der Kanal nichts Weltbewegendes – die Trablinburg-Drillinge in allerlei Outfits, beim Schuhe-Shoppen, in Onkel Flos Cabrio und in Starpose am Film-Set. Immer schön in dreifacher Ausfertigung.

Franka mochte keines dieser Poser-Bilder. Ein solcher Kanal ließ sie ziemlich eingebildet wirken. Aber Vicky war der Meinung, dass man sich als Model und angehender Filmstar heutzutage gut vermarkten müsse.

In diesem Moment kam von Babs eine App-Nachricht: »Wenn ihr euch einig seid, dann macht meinetwegen das Interview. Kuss Mama.«

Das mit dem »einig« hätte Franka nicht unterschreiben mögen. So langsam beschlich sie das Gefühl, dass so ein Interview heute vielleicht doch keine gute Idee war. Denn – als hätte man bei Vicky einen Schalter umgelegt – legte die jetzt los: »Unser Instagram-Account ist zwar noch im Aufbau, aber wir haben im letzten Monat schon über dreihundert neue Fans dazugewonnen. Jeden Tag kommen welche hinzu. Wenn Sie wollen, dann können Sie …«

So schnell konnte Franka gar nicht unter dem Tisch stupsen, da hatte Vicky es schon ausgesprochen: »… vielleicht in Ihrem Artikel unseren Account erwähnen. Wenn wir so richtig viele Fans haben, dann können wir auch Werbung machen. Für Klamotten und Kosmetik und so. Und wenn wir ganz berühmt sind, dann können wir endlich unsere eigene Design-Linie gründen. Wir haben sogar schon einen Namen dafür – Trabbel hoch drei. Bella hat auch schon erste Entwürfe gezeichnet.«

Jetzt ging mit Vicky eindeutig der Gaul durch. Die Sache mit der Modelinie, die hatten sie mal spätnachts in Bellas Bett ausgesponnen. Eine kleine verrückte Idee, die für die Ohren von niemand anderem bestimmt war als von denen, die damals in Bellas Bett lagen: Franka, Bella und Vicky.

Außerdem hatte die stets scharfzüngige Vicky ihre Schwester doch am allermeisten damit aufgezogen: »Nenn die Linie doch am besten Ü&G. Überkandidelt und größenwahnsinnig.« Nach diesem Spruch war Bella mit allem auf Vicky losgegangen, was das Bett hergegeben hatte – Stofftiere, Kopfkissen, Bettdecke.

Doch jetzt – ausgerechnet! – plauderte Vicky einen Traum aus, der damals nur vor sich hin geplappert worden war?

Bella war wie vor den Kopf gestoßen. Sie rang nach Worten. Franka wusste sich nicht anders zu helfen, als Vicky grob über den Mund zu fahren: »Willst du nicht mal nachsehen, ob Bellas neuer Milch-Shake fertig ist? Rita hat echt viel zu tun.«

Mehr murrend als überzeugt zog Vicky tatsächlich ab, um an der Bar nach dem Rechten zu sehen. Am Tisch hinterließ sie eine peinliche Lücke. Die sonst so mitteilungsfreudige Bella schwieg und Franka hatte keinen Plan, wie sie die Unterhaltung hätte retten können. Viola, die Reporterin, tippte ein paar Stichworte in ihren Laptop, von denen Franka nicht sehen konnte, welche es waren.

»Wissen Sie«, fing sie ausweichend an, »wir waren nicht darauf vorbereitet, dass wir heute interviewt würden … Wir hätten uns sonst vielleicht besser vorbereitet … und gestylt …« Viola sah nicht einmal auf, während Franka das sagte. »Eigentlich haben wir uns hier getroffen, um selbst etwas zu besprechen, wir waren gar nicht auf ein Interview gefasst …«

Jetzt blickte ihr Viola direkt ins Gesicht. Aber sie ging gar nicht erst auf Franka ein.

»Werdet ihr in der Schule anders behandelt?«