Die Trabbel-Drillinge - Lämmer, Glamour, Macarons - Anja Janotta - E-Book

Die Trabbel-Drillinge - Lämmer, Glamour, Macarons E-Book

Anja Janotta

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Beschreibung

Eine für alle - alle für eine!

Als eineiiger Drilling auf die Welt zu kommen, ist wie im Lotto zu gewinnen – die Wahrscheinlichkeit liegt bei 1:200 Millionen. Dieses große Los haben Franka, Vicky und Bella gezogen. Sie sind berühmt. Doch seit ihre Mutter Babs die drei auf dem Land versteckt, heißt es Glamour adé. Denn Babs' Bio-Hotel läuft nicht, und die Drillinge müssen sich mit verirrten Schafen, Omas Instagram-Träumen und unmöglichen Stiefvätern herumschlagen. Als Vicky und Bella verzweifelt in die Stadt zurückwollen, greift Franka ein – die Trabbel-Drillinge müssen doch zusammenhalten! Dafür zaubert sie sogar die himmlischsten Macarons ihres Lebens ...

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© 2018 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagillustration und -gestaltung, Vignetten und Vorsatz: Inka Vigh

TP · Herstellung: AJ

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-22276-5V002www.cbj-verlag.de

ZU NETT HOCH DREI

»Kannst du ein Geheimnis bewahren? Ein ganz-streng-geheim-wichtiges Geheimnis?«

Och nö!

Gerade jetzt musste Vicky damit um die Ecke kommen? Gerade jetzt, wo Franka sich nebenan mit Johanna auf einen Filmnachmittag treffen wollte? Sie hatte extra Brownies dafür gebacken.

Einen roten Turnschuh hatte sie schon angezogen. In 30 Sekunden hätte sie den zweiten auch angehabt und wäre aus dem Haus verschwunden gewesen. Warum hatte Vicky mit dieser Frage nicht einfach eine Minute warten können? Nur eine winzige Minute? Dann hätte ihre Drillingsschwester vielleicht nicht Franka zu fassen gekriegt, sondern Bella, den dritten Trabbel-Drilling.

Och nö!

Wieder einmal musste Franka feststellen, dass sie einfach viel zu nett für die Welt war. Mit halbem Herzen unternahm sie einen Versuch, ihrer Schwester Vicky etwas entgegenzusetzen: »Ich wollte eigentlich rüber zu Johanna. Heute ist endlich unser Schnulzen-Nachmittag. Hat schon zweimal nicht geklappt …«

Am vorletzten Donnerstagnachmittag war Johanna krank gewesen und am letzten Donnerstag hatte Franka absagen müssen, weil Bella einen Notfall hatte. Die nämlich war vor ihrer ersten Voltigierstunde in Vollpanik verfallen. Zehn Minuten, bevor sie gehen musste, hatte Bella gemerkt, dass sie eigentlich Angst vor Pferden hatte. Na bravo. Schließlich hatte Franka ihre Schwester mit in den Stall begleiten und Johanna absagen müssen. Dort stand sie dann mit eingefrorenen Fingern und Zehen in der bitterkalten Halle und musste feststellen, dass sie einmal wieder nachgegeben hatte. Immerhin hatte sich Bellas Pferdeangst-Problem sofort gelegt, als sie das erste Mal ihren Kopf auf den warmen Rücken des Haflingers Masun legte.

Dafür brauchte Vicky jetzt dringend Hilfe.

»Es tut mir auch leid für Johanna. Du kannst sie doch noch ein andermal sehen. Morgen wohnt sie immer noch neben uns … Aber meins ist ein wirklich wichtiges Geheimnis«, sagte Vicky. »Und ich halte es nicht länger aus, es für mich zu behalten!«

Vicky machte ein tief betrübtes Gesicht, die leicht ausgewaschenen pinken Haarsträhnen hingen ihr kraftlos über die Schultern, ihre Nase kräuselte sich. Auch bei Franka zuckte schon die Nasenwurzel. Ein zuverlässiger Vorbote von Tränen.

Lag es daran, dass sie Vicky und Bella so gnadenlos ähnlich sah, dass sie immer meinte, sie blicke nicht ihrer Schwester in die Augen, sondern geradewegs in einen Spiegel? Immer wenn eine weinen musste, weinte Franka mit. Ein lästiger Drillingsreflex. 1:200 Millionen ist die Wahrscheinlichkeit, dass man als dreimal der gleiche Drilling auf die Welt kommt. Und wahrscheinlich gab es diesen blöden Reflex gratis mit obendrauf.

»Krieg ich vielleicht einen Franka-Trost-Kakao?«, setzte Vicky nach. »Oder besser noch einen Chai-Tee?«

Och nö! Och nö! Och nö!

Innerlich stampfte Franka auf. Dennoch zog sie ihr Handy aus ihrer Blusentasche, um Johanna anzurufen und ihrer Freundin im letzten Moment und mit dem schlechtesten aller schlechten Gewissen mal wieder abzusagen.

Dann platzierte sie Vicky auf einen Hocker in der Küche und kramte aus ihrer Gewürzkiste Zimt, Anis, Nelken und Kardamom hervor. Frankas selbst gebrauter Chai-Tee war Vickys erklärtes neues Lieblingsgetränk. Während Bella und Franka immer noch am liebsten heiße Schokolade tranken, hatte Vicky mal wieder etwas gefunden, um sich von ihren Drillingsschwestern abzugrenzen. Und wenn es nur ihr Lieblingsgetränk war.

Als sie sich beide über ihre dampfenden Tassen beugten, wagte Franka endlich, auch mal nachzuhaken: »Was ist eigentlich los? Was ist denn so ober-ober-oberstreng geheim?«

»Emil«, seufzte Vicky.

Frankas Antwort konnte verständnisloser nicht sein. »Häh?«

»Du kennst Emil. Der war in unserer Klasse in Berlin«, erklärte Vicky.

Endlich dämmerte es Franka. Ja, Emil. Ein unscheinbarer, schlaksiger Junge aus ihrer alten Klasse, mit dem Vicky in den Pausen gern mal um die Wette gezockt hatte. Trotzdem, an dem musste wohl mehr dran sein als ein paar harmlos nette Augen.

Und warum rückte sie erst jetzt damit raus? Fast ein halbes Jahr war der Umzug aufs Dorf nach Deininghofen schon her. Aber der Name Emil, und dann noch als oberwichtiges streng behütetes Geheimnis, fiel zum allerersten Mal.

Da gab es nur eine Vermutung, die stimmen konnte: »Stehst du auf den?«

»Pst!« Als könne sie jemand hören, dämpfte Vicky die Stimme. »Vielleicht …«

»Okay, gehen wir mal davon aus, du stehst auf den. Warum erfahre ich erst jetzt davon? Ich bin immerhin deine Schwester!«

»In letzter Zeit war so viel los. Da ist es untergegangen …«

Da hatte Vicky nicht unrecht. Ihre Mutter Babs war mit den Drillingen in die Provinz gezogen und hatte ihre geerbte Villa unter übermenschlicher Kraftanstrengung zu einem Hotel umgestaltet. Die Eröffnung zu Nikolaus hatte alle Trabbels – Babs, die Drillinge, Oma Eleonore und ihren Onkel Flo – komplett in Anspruch genommen. Gut, dass die Weihnachtsferien begonnen hatten und man sich ein bisschen ausruhen konnte.

Weihnachten – das schien genau jetzt das Problem.

»Wir haben ab und zu geskypt – Emil und ich. Wenn es von der Zeit her ging. War nicht wirklich oft, seitdem wir hier sind …« Vickys Worte kamen zögerlich. Nicht mal jetzt schien sie mit ihrem Geheimnis rauszurücken zu wollen. »Aber seit zwei Wochen meldet er sich gar nicht mehr.«

Über Vickys Augen hatte sich eine tiefe Sorgenfalte eingegraben. Franka konnte förmlich spüren, wie die gleiche Falte gerade ihre eigene Stirn furchte. Vicky schien wirklich verzweifelt zu sein. Und sie musste für Emil viel mehr übrig haben, als Franka im ersten Moment geahnt hatte.

»Ich habe ihm eine Playlist zu Weihnachten zusammengestellt und ein kleines Päckchen geschickt …«

»Wow, das ist ja Aufwand. Seid ihr zusammen? So in echt?«, fragte Franka erstaunt. »Wenn ihr euch schon Geschenke macht …?«

»Genau genommen mache nur ich Geschenke«, seufzte Vicky.

»Genau genommen macht man aber nur seinem Freund solche aufwändigenGeschenke …«, wiederholte Franka, der es verhasst war, ihrer Schwester so die Fakten aus der Nase ziehen zu müssen.

»Aber wenn er noch mein Freund wäre, dann würde er sich doch für das Geschenk bedanken, oder nicht? Oder sich wenigstens irgendwie melden …«

»Vielleicht wartet er ja bis nach Weihnachten. Es gehört sich nicht, sich vorher für Geschenke zu bedanken«, versuchte Franka ihre aufgewühlte Drillingsschwester zu beschwichtigen. Sie tropfte noch ein bisschen Honig in Vickys Chai. Das konnte nicht schaden.

Doch von ein paar Zuckermolekülen ließ Vicky sich nicht beruhigen. »Aber heute ist schon der Dreiundzwanzigste und ich habe nichts von ihm bekommen. Kein Päckchen. Keine Karte. Keinen Brief. Nicht mal eine Whatsapp-Nachricht. Gar nichts.« Eine bittere Träne löste sich in Vickys Augenwinkel.

Ein seltenes Phänomen. Vicky war die toughste, die schlagfertigste und die unabhängigste der drei Trabbel-Schwestern. Während Franka und Bella gern und oft und am allerliebsten gleichzeitig weinten, schlug Vicky lieber zu. Meistens mit spitzen Worten.

Der geknickt-traurige Anblick von Vicky rührte Franka.

»Warte doch ab«, sagte sie. »Bis die Feiertage rum sind, würde ich mir noch keine Sorgen machen! Vielleicht ist Emil auch nur verreist. Oder beschäftigt. Oder …« Es war fraglich, ob dieser Trost tatsächlich funktionieren würde, denn auch bei Franka hatte sich eine kleine Träne selbstständig gemacht.

ENTTÄUSCHT DURCH DREI

Der Morgen von Heiligabend begann früh für Franka. Zwar hatte sie seit Kurzem wieder ein eigenes Zimmer und Bett und musste nicht mehr in der Besucherritze im Doppelbett mit ihren Schwestern liegen, aber die Nacht war unruhig gewesen. Das hatte nicht wirklich was mit Weihnachten zu tun. Sie kannte ihr Geschenk ja schon. Ihre Mutter Babs würde ihr als drittem und letztem Drilling eine Städtereise schenken. Mit Vicky war Babs vor zwei Jahren in Paris gewesen, mit Bella in den letzten Osterferien in London. Jetzt stand endlich Frankas Reise an.

Barcelona hatte sich Franka ausgesucht. Bunt und quicklebendig sei die Stadt und es gebe unglaublich viele gute Konditoreien, hatte ihr Babs vorgeschwärmt. Franka konnte die einladenden Auslagen mit Croissants und Tartes und mehrstöckigen Schokokreationen schon vor sich sehen. Lecker! Und dann erst dieser tolle Boqueria-Markt an den Ramblas – da gab es jedes nur erdenkliche Lebensmittel und Gewürz. Und ans Meer wollte sie unbedingt auch … Frankas Reiseführer hatte Dutzende von Eselsohren und war schon völlig abgegriffen.

Weil sie also ihr Geschenk schon kannte, kreisten Frankas Gedanken am Morgen des Heiligabends um Vicky und ihre unglückliche Liebe. Jungs – das war bis jetzt noch für keinen Trabbel-Drilling ein Thema gewesen. Bisher hatten sich die meisten Jungs ja auch eher als Nervensägen entpuppt, am allermeisten die Jungs aus Deininghofen.

Dass ausgerechnet Vicky als Erste ihr Herz verlor, hätte Franka nie gedacht. Bella war immer die gewesen, die – wenn es einen Unterschied überhaupt gab – die meisten Bewunderer hatte. Mit ihrem Capoeira-Sport hatte sie ja immer schon für ordentlich Aufmerksamkeit gesorgt. Bis jetzt hatte Bella alle Versuche von Jungs, ihr irgendwie näherzukommen, kühl an sich abprallen lassen. »Ich habe Franka und Vicky, wenn ich jemanden brauche«, war ihr Standardspruch für diese Gelegenheiten. »Die kennen mich sowieso am allerbesten.«

Für Franka galt das Gleiche. Niemand konnte sie besser verstehen, konnte besser zuhören und ihr besser helfen als ihre Schwestern. Auch ohne Worte. Ein Vierter schien in ihrem eingeschworenen Trio gar keinen Platz zu haben. Die Sache zwischen Vicky und Emil hatte noch gar nicht richtig angefangen, da fühlte sich Franka schon ausgeschlossen.

Dennoch – wenn die Sehnsucht nach Emil das Wichtigste war, was Vicky im Moment gerade beschäftigte, dann würde ihr Franka zur Seite stehen, wo sie konnte. Und wo sie das nicht konnte, würde sie wenigstens einen Chai-Tee brühen, damit wenigstens irgendetwas Vicky trösten konnte. So wie jetzt, als um halb sieben noch niemand in der Küche war.

Eigentlich hätte sie gar nicht so früh aufstehen müssen, denn es waren keine Gäste im Hotel, schon seit zehn Tagen nicht. Aber die Kirchturmuhr gegenüber, die auch an Feiertagen um sechs Uhr morgens unerbittlich 120 Mal schlug, hatte sie geweckt.

Nicht nur Franka, auch ihre Mutter Babs war offenbar früh aus dem Bett gebimmelt worden. Mit pfefferminzgrünen Pumphosen und einem Turban in ebendieser Farbe, aus dem sich ein paar pinkfarbene Strähnen herausgestohlen hatten, sah sie aus, als wolle sie hier und gleich ihren Ausflug ins bunte Barcelona starten. Jede Trabbel, sogar ihre Oma Eleonore, trug die Haare gerade in Pink – das war ihnen noch von der rauschenden Hoteleröffnung geblieben.

Franka schob ihrer Mutter unaufgefordert eine Tasse Chai-Tee rüber, der auf dem Herd köchelte und für Vicky weiterzog. Dann setzte sie sich zu ihrer Mutter. Diese kostbaren Momente zu zweit waren ihr die liebsten, wenn im Haus noch alles in den Federn lag, und sie allein mit Babs gemütlich reden konnte.

Ihre Mutter nahm einen langen Schluck, sagte dann aber: »Dankeschön, dass du dich immer so nett um mich sorgst. Dabei habe ich gar keine guten Nachrichten für dich.«

Franka ließ ihre Hand sinken.

»Ich weiß, dass du dir für heute Abend große Hoffnungen gemacht hast, dass ich dir eine Städtereise für Ostern schenke. Ich würde so gern mit dir nach Barcelona fahren und dir die Stadt zeigen. Und ich habe es mir ebenso schön vorgestellt wie du, Tapas zu essen am Strand. Vielleicht sogar mal einen Fuß ins Meer zu halten …«

Franka ließ den Kopf sinken.

»… aber wir müssen das leider verschieben.«

Franka ließ die Schultern sinken.

»Am besten ich sage es dir ganz ehrlich: Ich habe gerade kein Geld. Die Renovierung unser Trablinburg-Villa hat Unsummen verschlungen.«

Franka ließ den Mut sinken.

»Aber wir haben doch so viel selbst gemacht …«, versuchte sie zu sagen. Ihre Stimme piepste regelrecht.

»Das ja, aber die Möbel, die Kücheneinrichtung, die Handwerker, die Überdachung der Veranda – das war richtig teuer.«

»Aber es kommen doch Gäste, die bringen doch was ein …« Franka klang schon wie ein Rotkehlchen im März – ganz hoch und unsicher.

»Noch sind es nicht genug, liebe Franka, ich wünschte wirklich, es wären mehr.«

»Das würde ich mir auch wünschen …« Jetzt war das Rotkehlchen in Frankas Hals auch noch im Stimmbruch.

Babs hatte den Chai-Tee zur Seite geschoben und quer über den Tisch nach Frankas beiden Händen gegriffen. Ihre Hände waren von der Teetasse noch ganz warm. Sie sah Franka in die Augen.

»Er ist nicht aufgehoben, nur aufgeschoben, unser Barcelona-Trip. Ja? Okay?«

Franka nickte beklommen. Sie hatte sich so gefreut! Und jetzt rückten all die leckeren Tapas, die Blätterteigtörtchen, der Fressmarkt und das Meer in weite, weite Ferne. Ganz weit weg.

»Wir werden jetzt in den nächsten Monaten ein bisschen aufs Geld schauen müssen, aber ich bin mir sicher, dass es danach bald wieder bergauf gehen wird. Ganz sicher. Wenn wir Trabbels so gut zusammenhalten wie immer, dann wird alles gut. Fest versprochen!«

»Genau!«, zwitscherte es mit einem Mal hinter Frankas Rücken. »Und wisst ihr, was mich jetzt noch zusammenhalten würde? Ein doppelter Espresso!«

Oma Eleonore war in der Küchentür aufgetaucht. Selbst neben Franka mit ihren pinkfarbenen Haaren und dem bunten Pyjama, neben Babs im pfefferminzgrünen Turban, wirkte Eleonore wie der größte Paradiesvogel in mindestens 500 Kilometer Umkreis. Das kleine energische Persönchen steckte in einem Morgenmantel, der mit übergroßen Flamingos übersät war. Der pinkfarbene Pony war mit einem Lockenwickler aufgewickelt, der es an Monstrosität mit Frankas dickstem Nudelholz aufnehmen konnte. Dazu roch Oma Eleonore verdächtig nach einer ersten Morgenzigarette.

»Was ist jetzt? Gibt’s keinen Kaffee heute? Ich habe dringend einen nötig. Hatte mal wieder einen netten Umtrunk mit unserem Bürgermeister gestern Abend.« Bürgermeister Breitstetter war eine von Oma Eleonores verflossenen Liebschaften, der – trotz Ehefrau – immer noch gern mit der Oma flirtete. Ganz nebenbei waren die Trabbels so immer aktuell informiert über alle News aus dem Dorf.

Auch dieses Mal hatte Oma wieder viel Erzählenswertes mitgebracht: »Wir müssen auf der Hut sein, ihr Schätze!«, säuselte Oma. Selbst wenn sie den Drillingen gegenüber Verbote aussprach oder Warnungen, klang sie immer fröhlich und flockig. So auch dieses Mal: »Der Gemeinderat hat uns auf dem Kieker!«

»Das ist ja nix Neues«, seufzte Babs, »Vinzent Mack ist ja nicht gerade ein Busenfreund von mir.«

»Ja, aber leider ist er der Vorsitzende vom Bauausschuss«, sagte Eleonore. »Und der mokiert sich darüber, wir hätten uns keine ordnungsgemäße Genehmigung geholt für die Überdachung der Veranda. Wenn’s unschön läuft, müssen wir vielleicht sogar eine saftige Strafe zahlen.«

Mit einem Schlag wurden Babs’ Finger, die immer noch Frankas Finger tröstend umklammert hielten, eisekalt. Franka fröstelte.

»Wir können uns aber gerade keine großen Ausgaben mehr leisten!«, stammelte Babs, der alles Blut aus dem Gesicht gewichen war.

Das war’s. Franka schwenkte um. Hatte sie soeben noch einen dicken Kloß im Hals gehabt, tennisballdick, weil sie nicht mit Babs nach Barcelona fahren konnte, so schluckte sie ihn jetzt einfach runter. Die Reise war doch gar nicht mehr so wichtig.

Viel dringender und worum man sich sofort kümmern musste, war das Problem, vor dem Babs stand. Franka goss erst einmal Tee nach und schob Babs den Becher zu.

»Wir kriegen das schon hin«, redete sie sanft auf ihre Mutter ein und griff nach ihrer linken, immer noch eisbeinkalten Hand. »Wir denken uns was aus, wie wir viele Gäste ins Hotel locken. Du hast doch eine Agentur gehabt, du weißt doch, wie das mit gutem Marketing geht. Und bis jetzt haben wir Trabbels noch alles hinbekommen. Denk nur an die Eröffnung. Niemand hätte gedacht, dass wir das hinkriegen. Und Vinzent Mack und seinen blöden Sohn Severin haben wir damals auch ruhiggestellt. Das schaffen wir auch dieses Mal. Ganz bestimmt.«

Trotz aller Zuversicht, die Franka ihrer Mutter mit jedem Schluck Chai einflößte und mit der sie immerhin erreichte, dass Babs’ Hände wieder warm wurden, damit sie wieder ordentlich zupacken konnte, begann der Heiligabend zäh und mit gedämpfter Stimmung. Die Drillinge hatten eine halbe Stunde mit ihrem Vater geskypt, der mal wieder für »Ärzte der Welt« unterwegs war und Weihnachten nicht nach Hause kommen konnte. Dieses Mal rief er aus Zentralafrika an, wobei die Leitung immer wieder zusammenbrach. Er hatte ein Paket geschickt, aber die Post in Zentralafrika war wohl noch unzuverlässiger als die Skype-Verbindung. Jedenfalls war die Post nicht in Deininghofen angekommen, was die trübe Laune noch mehr verschlechterte.

Und so saßen die Trabbel-Damen bei Frankas Mousse au chocolat mit Tonkabohnen-Aroma. Das war ihr mal wieder phänomenal gelungen, aber keine schien gerade richtig empfänglich dafür.

Babs hatte auch an den anderen Weihnachtsgeschenken gespart. Außer drei kleinen Gutscheinen für den Lieblings-Onlineshop der Drillinge und je einem Buch, ein paar vegetarischen Gummibärchen und witzigen Stiften lag nichts mehr zum Auspacken unter dem Weihnachtsbaum.

Frankas Schwestern waren sichtlich enttäuscht. Bella glättete und faltete wie wild ihr Geschenkpapier, so als müsse sie es für schlechte Zeiten aufbewahren, Vicky nahm noch einen und noch einen Nachschlag vom Mousse, obwohl sie bei jedem Löffel sagte: »Ich kann gar nicht mehr!«

Oma Eleonore hatte zu Weihnachten jeder ihrer Enkelinnen einen Hut mit passenden Handschuhen aus ihrer Sammlung vermacht. Aber das fliederfarbene unförmige Etwas, von dem ein Netz herunterhing wie eine Augenklappe, war jetzt nicht unbedingt das, was Franka sich als Geschenk erträumt hatte.

Doch sie setzte eine freundliche Miene auf und ließ sich bereitwillig mit ihrer Oma und ihren beiden neu behüteten Schwestern ablichten. Bella, der der dezente beigefarbene Hut zugegebenermaßen ziemlich gut stand (wie seltsamerweise alles, was Bella anzog), war ganz beeindruckt von den Fotos auf ihrem Handy.

»Wow, Eleonore«, staunte sie. »Du bist ja wahnsinnig fotogen. Auf jedem Foto bist du super getroffen. Ein echtes Naturtalent. Man müsste die Fotos glatt auf Instagram posten!«

»Mensch, Bella!«, fuhr Vicky hoch. »Das ist eine klasse Idee!« Und schon hatte sie auf dem Tablet einen Account für ihre Oma eingerichtet, bevor auch nur einer der Anwesenden protestieren konnte.

Den Rest des Abends verbrachten sie damit, ihre Oma in den verschiedensten Situationen und Posen zu fotografieren, die Bilder zuzuschneiden und zu optimieren. So richtig feierlich war der Heiligabend damit zwar nicht mehr, aber lustig allemal. Schließlich dekorierten sie Oma Eleonore noch mit Lametta und Weihnachtskugeln in ihrem Hutnetz und setzten ihr einen Weihnachtsengel auf den Kopf. Eleonore ließ das seelenruhig mit sich geschehen, während sie ab und zu an ihrem Gläschen Sherry nippte.

Über Nacht hatte das Weihnachtsbild mit Eleonore schon über 300 Herzen eingeheimst. Im Lauf der Feiertage sollten es fast 1000 werden.

MARTIN HOCH DREI

Oma Eleonores erste Instagram-Erfolge waren nicht die einzige Überraschung der Weihnachtstage. Am ersten Feiertag bekam das verwaiste Hotel doch noch einen Gast: Martin Burkhardt zog ein. Die Drillinge hätten es schon kommen sehen müssen, als der babyblaue Fiat 500 mit Berliner Kennzeichen vor dem Hotel vorfuhr. Von Berlin verirrte sich keiner bis hier in die Provinz. Zumindest keiner, der keinen triftigen Grund hatte.

Martin war ein alter Bekannter aus Babs’ Agenturzeiten. Gemeinsam mit noch einem Kollegen hatte er Babs’ kleine Agentur übernommen, als die Trabbels vor sechs Monaten in Berlin alle Zelte abgebrochen hatten, um in Deininghofen das Hotel aufzubauen. Was immer Babs’ großer Traum gewesen war. Sollte Babs trotzdem auch so was wie Heimweh nach der Großstadt verspüren? Bisher war Franka davon ausgegangen, dass nur sie und ihre Schwestern ab und an die Sehnsucht nach Berlin überkam. Im Winter und mit Frost auf den Äckern wirkte Deininghofen noch einöder als sonst. Im Berliner Winter hatte es wenigstens genügend gegeben, womit man sich ablenken konnte.

Babs hatte sich für den Besuch besonders fein gemacht. Sie trug mit Martins Ankunft keine labberigen Pumphosen mehr, sondern Bluse und Rock. Auch der farbenfrohe Turban fehlte, stattdessen hatte sie ihre Haarpracht zu einem lässigen Knoten im Nacken vertäut. Sie begrüßte Martin überschwänglich, was nicht nur Franka aus ihrem Fenster kritisch beäugte.

Eigentlich sah er ja nicht so schlecht aus, dieser Martin. Mehr so ein Typ Ryan Gosling, der selbst im Winter einen eng anliegenden hellen Anzug trug und einen lässigen Leinenschal. Sogar sein Lächeln war ziemlich lässig. Und das hatte offenbar auch Babs längst bemerkt.

»Wie benimmt die sich denn?«, fragte Bella, die sich neben Franka ins Fenster gestellt hatte. »Wie ein Huhn vorm Füttern.«

»Ja, das sieht doch selbst noch ein blindes Huhn am Krückstock: Babs ist verliebt«, raunzte Vicky, die ihre Schwester wegschob.

»Ach ja, und nur wegen Emil bist du jetzt Expertin im Verliebtsein?«, giftete Bella und drängelte zurück. Franka wechselte einen kurzen Blick mit Vicky. Sie hatte also doch mit Bella über Emil geplaudert! Von wegen allerstrengstens gehütetes Geheimnis – unter Drillingen blieb nie etwas geheim.

»Ich weiß jedenfalls, dass der Typ da unten absolut gefährlich ist. Den müssen wir im Auge behalten!«, sagte Vicky und war schon nach unten zu Babs und ihrem Besuch gehechtet. Ihre beiden Schwestern kamen sofort nach.

Martin war von Babs’ Begeisterung und Strahlen längst angesteckt worden. »Das ist beeindruckend, was du hier geschaffen hast, Barbara. Very nice«, sagte er. Seine Stimme klang höher, als Franka sie sich vorgestellt hatte. Wahrscheinlich hätte sie lieber die Synchronstimme von Ryan Gosling gehabt, aber sie beschloss, den Typen nicht gleich zu verurteilen – so wie Vicky: »Sie sollten das erst einmal sehen, wenn der Bauer nebenan den Trecker rausholt und Gülle verteilt – dann wird’s hier richtig nice!«

Dem armen Martin ließ Vicky nicht mal den Hauch von einem guten ersten Eindruck. Doch er lächelte die Drillingsschwester mit seinem Werberlächeln einfach professionell weg und wandte sich wieder an Babs: »Und alles öko und vegetarisch. Alle Materialien nachhaltig produziert. Dir müssen doch die Gäste die Bude einrennen!«

»Wenn dem so wäre, bräuchte ich nicht deine Hilfe«, widersprach ihm Babs, »dann müsste ich jetzt nicht ganz dringend Werbung machen.«

Während sich die Drillinge bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, lud Babs ihren Ex-Kollegen erst einmal auf eine Hausführung ein. Als letzte Station machte Babs in der Küche halt. »Ich verspreche dir was«, sagte die Trabbelmutter vollmundig. Franka ahnte, was jetzt kommen würde. »Du wirst hier die beste heiße Schokolade bekommen, die dir jemals vorgesetzt wurde. Franka, würdest du …?«

Natürlich gab Franka ihr Bestes. Sie nahm eines der Gläser aus dem Regal, die sie auf Vorrat mit dunkler Edelschokolade bestrichen hatte, schäumte mit der Espressomaschine frische Milch und füllte sie in das Glas. Darüber streute sie noch einen Hauch arabisches Kaffeegewürz mit Kardamom und Zimt. Martin war in der Tat recht angetan. Was Franka allerdings nur abwesend registrierte, denn ihr war aufgefallen, dass Martin nicht wie andere Gäste im Frühstücksraum bewirtet wurde, sondern direkt in der Küche. Die war eigentlich für Familienmitglieder oder engste Freunde wie Johanna und deren Bruder Rudi reserviert.

Hinter Martins Rücken zog Vicky spöttisch die Nase kraus: »Und machst du der armen Landbevölkerung auch etwas zu trinken? Einen Chai-Tee vielleicht?«

Als jeder versorgt war und jeder noch eine von Frankas wunderleckerenWeihnachtspralinen mit ihren Restvorräten von Tahiti-Vanille und Gold-Glitzer genascht hatte, breitete sich peinliches Schweigen am Küchentisch aus. Die Drillinge beäugten den Neuen in ihrer Runde kritisch, Babs schien nervös und Martin war in einem Dauerlächeln erstarrt.

»So, Sweetie, und was hast du dir denn vorgestellt in Sachen Werbung?«

»Ich dachte vielleicht an Anzeigen in Hotel-Magazinen, Werbe-Artikel, Bannerwerbung im Internet, irgendwas mit Social Media … aber ich hatte noch keine echt zündende Idee, an der wir das aufhängen können«, antwortete die Hotelchefin ihrem Gast. »Und was noch hinzukommt: Ich habe gerade überhaupt kein Geld für so was. Alles, jeder Cent steckt in dem Haus hier!«

»Hm«, antwortete die Stimme von Ryan Gosling …äh, Martin. »Das ist tatsächlich ein ernstes Problem. Natürlich kann ich dir Anzeigen gestalten und Online-Werbung bauen, das würde ich für dich auch ganz umsonst machen.« Der Typ besaß doch glatt die Dreistheit, dabei ihrer Mutter besonders intensiv in die Augen zu schauen. »Aber Anzeigenplatz irgendwo, in Zeitungen, in Zeitschriften oder im Internet, den muss ich selbst teuer einkaufen. Das weißt du ja.«

»Das dachte ich mir fast.« Babs nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Schokoladenglas und atmete mit einem so tiefen Seufzer aus, dass eine kleine Flocke Milchschaum in die Höhe stob und sich auf ihre Nase setzte. Martin streifte sie lässig mit dem Finger ab und pustete den Schaum vom Zeigefinger.

Eine süße Geste hätte das sein können. Wäre sie von Rudi oder von Onkel Flo oder von irgendwem gekommen. Aber nicht von Martin.

»Dann können Sie uns also gar nicht helfen?«, quengelte Vicky. Auf ihre kritischen Nachfragen war immer Verlass.

»… kannst du uns gar nicht helfen«, verbesserte Martin den trotzigen Drilling. »Deine Mutter duze ich ja auch.« Vicky nickte mit skeptischem Blick.

»By the way«, sagte der Schönling zu Babs, »natürlich kann ich dir helfen. Dann müssen wir eben Guerilla-Marketing machen.«

»Gorilla-Marketing?«, fragte Bella.

»Guerilla-Marketing«, verbesserte sie Martin mit der Stimme eines Achtklässlers. »Marketing aus dem Hinterhalt sozusagen. Man macht ein paar Aufsehen erregende Aktionen, die nichts kosten, die aber viel Wirbel veranstalten. Über die berichtet dann die Presse. Breit und kostenlos. Oder man postet lustige Aktionen, die in den Socials geteilt werden.«

»Wie Instagram-Bilder, die durch die Decke gehen?«, hakte Bella nach.

»Ja, so in etwa, Franka.« Die verdrehte die Augen, es war so was von Klischee, dass sie immer von Fremden verwechselt wurden. »Etwas mit einem starken Überraschungseffekt. Etwas, worauf die Leute anspringen. Drei Girls, die alle gleich aussehen um Beispiel. So was wäre der Burner …«

»Nein!« Bella schrie auf. »Da mache ich nicht mit. ICH