DIE TRAGÖDIE DER NATALIE MAYNARD - Harry Carmichael - E-Book

DIE TRAGÖDIE DER NATALIE MAYNARD E-Book

Harry Carmichael

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Beschreibung

Ein unerwarteter Anruf, die Erneuerung einer alten Verbindung, das Ende einer Ehe: Damit begann eine Serie von Ereignissen, durch die der Versicherungsdetektiv John Piper in das mörderische Finale eines großangelegten Schwindels hineingezogen wurde. Der Reporter Quinn interessiert sich ebenfalls für das komplizierte Betrugsnetz. Und gemeinsam mit seinem Freund Piper verfolgt er die Spur, die sie zurückführt in die Vergangenheit, als die Tragödie einer attraktiven Frau namens Natalie Maynard ihren Anfang nahm...

 

Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.

Der Roman Die Tragödie der Natalie Maynard um den Londoner Privatdetektiv John Piper erschien erstmals im Jahr 1977; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1978 (unter dem Titel Ein Grab für zwei).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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HARRY CARMICHAEL

 

 

DIE TRAGÖDIE

DER NATALIE MAYNARD

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DIE TRAGÖDIE DER NATALIE MAYNARD 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Das Buch

 

 

Ein unerwarteter Anruf, die Erneuerung einer alten Verbindung, das Ende einer Ehe: Damit begann eine Serie von Ereignissen, durch die der Versicherungsdetektiv John Piper in das mörderische Finale eines großangelegten Schwindels hineingezogen wurde. Der Reporter Quinn interessiert sich ebenfalls für das komplizierte Betrugsnetz. Und gemeinsam mit seinem Freund Piper verfolgt er die Spur, die sie zurückführt in die Vergangenheit, als die Tragödie einer attraktiven Frau namens Natalie Maynard ihren Anfang nahm...

 

Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.

Der Roman Die Tragödie der Natalie Maynard um den Londoner Privatdetektiv John Piper erschien erstmals im Jahr 1977; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1978 (unter dem Titel Ein Grab für zwei). 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

 

  DIE TRAGÖDIE DER NATALIE MAYNARD

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Montag, der 20. November, war ein klirrend kalter Wintertag. Der Morgennebel verzog sich nur zögernd, und es war noch immer feucht-kalt und dunstig, als Piper um ein Uhr zum Mittagessen ging.

Kurz vor zwei saß er wieder in seinem Büro. In der folgenden halben Stunde tippte er einige Briefe auf der Schreibmaschine und trug seine Verabredungen für die kommende Woche in seinen Terminkalender ein. Es verlief alles nach der üblichen Montagsroutine.

Als gegen halb drei Uhr das Telefon klingelte, hatte Piper nicht einmal eine Vorahnung, dass ihn dieser Anruf in die persönlichsten Angelegenheiten eines Mannes verwickeln sollte, dessen Namen er schon fast vergessen hatte.

Die Stimme kam ihm sofort irgendwie bekannt vor. Sie klang sympathisch, und trotzdem verspürte Piper eine leichte Unsicherheit, als er sie hörte.

»...hallo, John! Hier spricht Robin Maynard. Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt noch wissen, wer ich bin.«

Erinnerungen drängten sich Piper auf. Die Ereignisse jener Nacht, als für ihn eine Welt zusammengebrochen war, hatte er im Grunde nie vergessen können. Das alles gehörte zwar der Vergangenheit an, aber diese Stimme riss die alten Wunden wieder auf.

»...wir haben getan, was wir konnten«, hörte Piper im Unterbewusstsein den Arzt wieder sagen. »Aber sie hatte eigentlich von Anfang an keine Chance. Es tut mir leid... sehr leid.«

Piper konzentrierte sich wieder auf das Telefongespräch. »Doch, natürlich erinnere ich mich an Sie. Allerdings ist es lange her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Wie geht es Ihnen?«

»Nicht so besonders... wenn ich ehrlich sein soll«, antwortete Maynard resigniert. »Ich dachte, es würde mir vielleicht guttun, mich mit Ihnen zu unterhalten.«

»Mein Gott, was ist denn passiert?«

»Bitte verzeihen Sie, aber darüber möchte ich am Telefon nicht sprechen. Falls Sie ein paar Minuten Zeit für mich haben, würde ich lieber auf einen Sprung zu Ihnen kommen.«

Piper dachte flüchtig daran, Maynard könnte Geld von ihm leihen wollen, doch dann kam ihm die Idee absurd vor. Schließlich hatten sie sich jahrelang nicht gesehen.

Diese Tatsache hielt Maynard jedoch offensichtlich nicht davon ab, sich in einer ganz privaten Angelegenheit an Piper zu wenden. Um irgendein Versicherungsproblem schien es sich nicht zu handeln. Das Merkwürdige war, dass sie nicht einmal näher befreundet gewesen waren.

Sie hatten sich durch ihre Frauen kennengelernt. Ann war mit Mrs. Maynard zur Schule gegangen und hatte sich auch später noch ab und zu mit ihr getroffen.

Dann war Ann in jener Nacht ums Leben gekommen, als ihr Wagen ins Schleudern geraten war und sich überschlagen hatte. Maynards Frau hatte Piper den üblichen Kondolenzbrief geschrieben, und danach war die Bekanntschaft eingeschlafen.

Während Piper sich an Mrs. Maynards Vornamen zu erinnern versuchte, sagte er: »Sie können jederzeit zu mir kommen, Robin. Heute bin ich zum Beispiel den ganzen Nachmittag im Büro. Würde Ihnen das passen?«

»Ja, ausgezeichnet«, antwortete Maynard. »Hoffentlich störe ich nicht?«

»Überhaupt nicht«, versicherte Piper. »Wissen Sie, wie Sie am besten zu mir kommen?«

»Ich glaube schon. Die Vigo Street liegt doch ganz in der Nähe des Piccadilly Circus, stimmt’s?«

»Ja, zu Fuß sind es nur ein paar Minuten. Ich rate Ihnen aber, nicht den Wagen zu nehmen. In dieser Gegend gibt es kaum Parkplätze.«

»Keine Angst, ich laufe. Ich rufe nämlich aus einer Telefonzelle am Leicester Square an...«

 

Knapp fünfzehn Minuten später stand er in Pipers Büro. Er schien getrunken zu haben.

Piper bot ihm einen Stuhl an und bat ihn, seinen Mantel auszuziehen. »Bei der Kälte sollten Sie ihn nicht im Zimmer tragen. Sie holen sich sonst eine Erkältung.«

»Wenn das meine einzige Sorge wäre«, seufzte Maynard, knöpfte seinen Mantel auf, behielt ihn jedoch an, und ließ sich in den Sessel fallen. Dann zog er mit zitternden Händen eine Packung Zigaretten aus der Tasche. Es kostete Maynard einige Anstrengung und Konzentration, sich einigermaßen ruhig eine Zigarette anzuzünden. Schließlich blies er das Streichholz aus und warf es in den Aschenbecher.

Soweit Piper sich erinnern konnte, war Maynard damals weder Kettenraucher gewesen noch hatte er zu viel getrunken.

An diesem Montag roch er jedoch stark nach Whiskey. Doch schien der Alkohol Maynards Depressionen eher noch verstärkt zu haben, anstatt sie zu lindern.

Maynard war ein gutaussehender Mann Anfang Vierzig. Er hatte dichtes schwarzes Haar, männliche Züge und ein herzliches und angenehmes Wesen. Piper hatte sich in seiner Gesellschaft immer wohl gefühlt.

Piper fiel es schwer, in dem nervösen fahrigen Mann den ruhigen Maynard von damals wiederzuerkennen.

»Sie scheinen Sorgen zu haben«, begann Piper vorsichtig.

»Das kann man wohl sagen.« Maynard zog gierig an seiner Zigarette, warf Piper einen flüchtigen Blick zu und betrachtete dann seine Schuhspitzen. »Ich habe seit mindestens zehn Tagen keine Nacht mehr richtig geschlafen.«

»Sind Sie schon beim Arzt gewesen?«

»Ja. Aber das hat nichts genützt. Er hat mir ein paar Schlaftabletten verschrieben. Die Wirkung ist gleich Null.«

»Haben Sie ihm denn nicht erzählt, dass Sie Sorgen haben?«

»Natürlich, er kennt mich schließlich. Aber das einzige, was ihm eingefallen ist, war, mich zu bitten, nichts Unüberlegtes zu tun.«

»Hm«, murmelte Piper nachdenklich. »Was hat den Arzt auf die Idee gebracht, Sie könnten vielleicht Selbstmord begehen?«

»Von Selbstmord kann nicht die Rede sein«, entgegnete Maynard. »Ich habe nicht die Absicht, mich umzubringen. Das würde mein Problem auch nicht lösen.«

»Selbstmord ist meistens keine Lösung. Aber worum geht es eigentlich?«

Maynard beugte sich vor und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Dann rieb er sich nervös die Hände.

»Meine Ehe ist im Eimer«, murmelte er schließlich mit brüchiger Stimme. »Ich habe herausgefunden, dass Natalie mich betrügt.«

Als Piper den Namen hörte, sah er Natalie Maynard wieder so vor sich, wie er sie bei ihrem letzten gemeinsamen Abendessen erlebt hatte.

Natalie Maynard hatte ein schmales, feingeschnittenes Gesicht, schwarzes schulterlanges Haar und schöne Hände. Sie war schlank und graziös, und Piper erinnerte sich, dass es ihm manchmal so vorgekommen war, als könnte der herausfordernde Ausdruck ihrer Augen einige Männer auf dumme Ideen bringen.

Piper verdrängte Natalie Maynards Bild aus seinen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Er fragte sich, warum Maynard ausgerechnet zu ihm, praktisch einem Fremden, gekommen war und seine privaten Probleme nicht mit einem Freund besprach.

»Haben Sie Beweise für diesen Verdacht?«, erkundigte sich Piper.

»Oh, sie hat es mir ja selbst erzählt.« Maynard rieb sich erneut nervös die Hände. »Nachdem wir wochenlang von einer Ehekrise in die andere getaumelt sind, ist es zu der unvermeidlichen Aussprache gekommen. Dabei erfuhr ich dann die Wahrheit.«

Mit einem verletzten Ausdruck in den Augen fügte Maynard hinzu: »Der Mann, der dahintersteckt, ist auch noch ein alter Freund von uns. Er und seine Frau besuchen uns beinahe jede Woche einmal, und wir sind genausooft bei ihnen zu Gast. Nett, was?«

»Es tut mir leid für Sie«, murmelte Piper.

Er wusste nicht recht, was er dazu sagen sollte. Genau wie damals, als ihm der Arzt mitgeteilt hatte, dass Ann tot war, schien jedes Wort sinnlos zu sein.

Trotzdem wurde die Situation langsam peinlich. Natalie Maynards Seitensprünge gingen ihn nichts an.

»Die meisten unserer Bekannten wissen längst Bescheid«, fuhr Maynard fort. »Der Spruch, dass es der Ehepartner immer als letzter erfährt, scheint zu stimmen.«

»Wenn die Affäre Ihrer Frau schon überall bekannt ist, dann sollten Sie was unternehmen«, sagte Piper widerwillig.

»Ja, aber was?«, fragte Maynard hilflos.

»Nun, falls Ihre Frau diesen Mann Ihnen vorzieht...«

»Derick Heathfield ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Frau denkt gar nicht daran, sich scheiden zu lassen.«

Maynard zuckte resigniert mit den Schultern. »Wenigstens behauptet sie, es sei wegen der Kinder«, fügte er dann hinzu. »In Wirklichkeit hofft sie vermutlich, dass das Strohfeuer schnell vorüber sein wird und ihr Mann zu ihr zurückkehrt.«

»Und wie stehen Sie dazu?«

»Ich...« Maynard sah Piper verwirrt an. »Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen. Was Karen Heathfield denkt oder tut, interessiert mich nicht. Meine einzige Sorge gilt Natalie.«

»Trotz allem, was sie Ihnen angetan hat?«

»Das ist Nebensache. Ich liebe meine Frau und will sie nicht verlieren.«

»Nicht viele Männer würden ihrer Frau so schnell vergeben«, warf Piper ein.

»Meine Haltung in dieser Angelegenheit hat nichts mit Vergebung oder Herzensgüte zu tun. Ich weiß lediglich, dass Natalie zurzeit nicht ganz sie selbst ist. Das Mädchen, das ich geheiratet habe, hätte so etwas niemals getan.«

»Mich brauchen Sie davon doch nicht zu überzeugen.«

»Nein. Aber ich möchte, dass Sie meine Lage verstehen«, entgegnete Maynard. »Jede Frau macht einmal diese Phase durch, aber sie geht vorüber.«

Maynard fuhr fort, unzusammenhängendes Zeug zu erzählen, so als wollte er sich selbst davon überzeugen, dass er im Recht war. Piper hörte ihm geduldig zu und empfand eher Scham als Anteilnahme.

»...sobald sie Derick nicht mehr trifft, wird es Vorbeigehen. Und wenn die Sache überstanden ist, ist unsere Ehe wieder gefestigt. Glauben Sie das nicht auch?«

»Ich habe in dieser Beziehung leider keine Erfahrung«, antwortete Piper. »Deshalb kann ich Ihnen auch keinen Rat geben. Hat Ihnen Ihre Frau übrigens versprochen, Derick nicht mehr zu treffen?«

Maynard fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes Haar. »Nein. Sie behauptet, sich noch nicht entscheiden zu können. Natalie hat mir gesagt, sie hätte bei Derick die Zärtlichkeit und Geborgenheit gefunden, die ich ihr in zwölf Jahren Ehe angeblich nicht hätte geben können. Und das alles möchte sie nicht einfach so aufgeben.«

»Und wie lange wollen Sie ihr Zeit lassen, sich zu entscheiden?«

»Nur ein paar Wochen. Lange halte ich diesen Zustand sowieso nicht mehr aus. Das ist kein Leben. Wir haben nicht mehr miteinander geschlafen, seitdem sie mir alles über Derick gesagt hat. Und mit einer attraktiven Frau unter einem Dach zu wohnen, ohne sie auch nur berühren zu dürfen...«

Robin Maynards Gesicht wirkte plötzlich alt und eingefallen. »Ich ertrage das nicht mehr«, murmelte er mit brüchiger Stimme. »Jedes Mal, wenn sie allein ausgeht, weiß ich, dass sie sich mit ihm trifft. Und dann stelle ich mir vor, was sie miteinander machen. Der Gedanke daran quält mich Tag und Nacht. Ich brauche Natalie. Ich kann ohne sie nicht leben. Und Cynthia ist schließlich auch noch da.«

Maynard sah auf. »Cynthia ist unsere zehnjährige Tochter. Was soll mit ihr werden, wenn Natalie mich verlässt? Ich kann das Kind doch nicht der Mutter wegnehmen. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was das dann für mich bedeutet.«

»Sie dürfen Ihre Tochter alle zwei oder drei Wochen einen Tag lang sehen«, sagte Piper.

»Das heißt doch, dass sie praktisch ohne Vater aufwächst.«

»Cynthia wird’s überleben«, beruhigte ihn Piper. »Die meisten Kinder kommen früher oder später darüber hinweg. Ihre Situation ist wesentlich prekärer. Sie sind dann praktisch ein verheirateter Junggeselle. Sie haben kein Zuhause mehr und keine Zukunft, bis Sie eine andere Frau treffen und eine neue Familie gründen.«

»Ich will keine andere Frau. Natalie wird zur Vernunft kommen. Dessen bin ich sicher.«

»Nur, wenn Sie ihr ein Ultimatum stellen«, gab Piper zu bedenken. »So wie die Dinge im Augenblick aussehen, hat sie alles, was sie braucht: ein Zuhause, die Tochter, den Mann, der für ihren Unterhalt sorgt, und einen Liebhaber.«

»Daran müssen Sie mich nicht erinnern.«

»Tja, ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Natalie sich unter diesen Bedingungen gezwungen sieht, sich schnell zu einer Entscheidung durchzuringen. Der Status quo kommt ihr vermutlich sehr gelegen.«

Robin Maynards Gesichtsausdruck änderte sich. »Das könnte ihr so passen«, entgegnete er heftig. »Dazu habe ich schließlich auch noch was zu sagen. Ich mache das nicht ewig mit. Bilden Sie sich das nur nicht ein.«

»Ich habe Ihnen lediglich meine Meinung gesagt«, erwiderte Piper, »Davon abgesehen ist es sinnlos, von mir in dieser Angelegenheit einen Rat zu erwarten. Seit Anns Tod habe ich Sie und Natalie praktisch nicht mehr gesehen. Es ist mir offen gestanden völlig unklar, warum Sie mit Ihren Problemen ausgerechnet zu mir gekommen sind.«

»Nur, weil...« Maynard verstummte verlegen. »Weil ich in Betracht ziehen muss, dass meine Ehe tatsächlich in die Brüche geht. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht sagen, wie man sich allein zurechtfindet. Sie haben sich doch nach Anns Tod ein neues Leben aufgebaut und scheinen dabei nicht unglücklich zu sein.«

Piper war insgeheim überzeugt, dass das für Maynard nur eine Entschuldigung dafür war, seine Probleme auf den Schultern anderer Leute abzuladen. Maynard war im Grunde ein labiler Charakter, der nur äußerlich den Eindruck erweckte, stark zu sein.

»Wenn ich vorher gewusst hätte, was Sie vorhatten, hätte ich Ihnen den Weg hierher ersparen können«, erklärte er laut. »Ich lebe längst nicht mehr allein. Ich bin schon seit einiger Zeit wieder verheiratet.«

Maynard schlug die Hände vors Gesicht. Dann richtete er sich abrupt auf und straffte die Schultern. »Ich bin ein Idiot! Ich dachte, es würde mich erleichtern, mit jemand darüber zu sprechen, und jetzt habe ich Sie nur gelangweilt. Verzeihen Sie, dass ich Ihre kostbare Zeit in Anspruch genommen habe.«

Nur jemand, der zu viel getrunken hatte, konnte so schwülstige Reden führen. Maynards eigentliche Schwäche war sein Selbstmitleid.

Man musste kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass er Wachs in Natalies Händen war. Ob Robin sie noch immer liebte, oder sie lediglich physisch begehrte, war dabei unwichtig. Natalie konnte mit ihm machen, was sie wollte.

Was Piper Natalie Maynard vorwarf, war nicht die Tatsache, dass sie ihren Mann betrogen hatte. Einen Seitensprung konnte man jedem vergeben. Aber dass Natalie sich noch immer mit ihrem Liebhaber traf und auch noch so tat, als sei sie die Leidtragende der ganzen Sache, das hielt Piper für unverzeihlich.

Piper wollte mit der Angelegenheit nichts zu tun haben. In schwierigen Situationen sollte sich ein Mann auch wie ein Mann verhalten und nicht sein Leben durch die Launen einer Frau wie Natalie Maynard zerstören lassen.

Das hieß, falls man Robins Geschichte glauben konnte. Aber warum sollte er lügen?

»Ich bin nicht gelangweilt, und Sie haben mir auch nicht die Zeit gestohlen«, entgegnete Piper. »Trotzdem möchte ich Ihnen lieber keinen Rat geben. Dazu kenne ich die Verhältnisse zu wenig. Haben Sie schon mit Ihren Eltern darüber gesprochen?«

»Ja.« Maynard zuckte die Schultern. »Das hat mich auch nicht weitergebracht.«

»Warum nicht? Ihre Eltern wollen Ihnen doch sicher helfen, oder?«

»Ja, natürlich, aber sie gehören einer anderen Generation an«, seufzte Maynard. »Mein Vater hält mich für äußerst nobel und großzügig, weil ich Natalie nicht einfach vor die Tür setze. Er begreift einfach nicht, dass ich meiner Frau weder verzeihe noch sie verdamme. Ich liebe sie und will diese dumme Sache so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Das genügt doch, oder?«

»Für die meisten Männer nicht«, widersprach Piper. »So was kann auch die Zukunft vergiften.«

In Maynards Augen stand Verzweiflung. »Daran habe ich natürlich auch schon gedacht. Warum, glauben Sie, habe ich seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen?«

»Das ist nur zu verständlich.«

»Manchmal wünschte ich, ich wäre tot. Dann wären meine Qualen wenigstens zu Ende.«

Maynard stand abrupt auf und knöpfte seinen Mantel zu. Als er seine Handschuhe anzog, murmelte er: »Sie dürfen nicht alles, was ich sage, zu ernst nehmen. Ich habe zum Mittagessen ein Glas zu viel getrunken. Dann werde ich immer redselig. Ein Glück, dass mich meine Mutter so nicht sieht. Sie würde sich schrecklich aufregen.«

»Wie denkt eigentlich Ihre Mutter über Ihre Ehekrise?«, fragte Piper.

»Mutter? Oh, sie möchte Natalie und mich um jeden Preis wieder zusammenbringen. Sie hat Natalie vorgesternNachmittag zum Tee eingeladen und mit ihr von Frau zu Frau gesprochen.«

»Und was ist dabei herausgekommen?«

»Das habe ich Ihnen bereits erzählt. Natalie braucht Zeit, um sich zu entscheiden.«

»Damit dürfte Ihre Mutter kaum zufrieden gewesen sein.«

»Nein, vermutlich nicht«, gab Maynard zu. »Aber sie wird um meinetwillen weiter versuchen, Natalie umzustimmen.«

Piper konnte sich lebhaft vorstellen, wieviel Überwindung das Robins Mutter kosten musste. »Sie denkt dabei wahrscheinlich auch an ihre Enkelin, Cynthia.«

»Ja. Falls es endgültig zum Bruch kommen sollte, ist Cynthia die Hauptleidtragende.«

An der Tür wandte sich Maynard noch einmal um. »Daran möchte ich gar nicht denken. Außer Cynthia ist mir nichts mehr im Leben geblieben.«

»Das ist doch Unsinn«, widersprach Piper.

»Ja, Sie haben recht. Deshalb hat mir der Arzt auch die Tabletten verschrieben. Sie sollen verhindern, dass ich das Gefühl habe, eine Welt bricht zusammen, weil meine Frau vorzugsweise mit Derick Heathfield schläft, anstatt mit ihrem Mann ins Bett zu gehen.«

Damit war praktisch alles gesagt, doch Maynard blieb im Türrahmen stehen. Piper wünschte, er würde endlich gehen. Die ganze Geschichte hatte ihn deprimiert.

Piper fühlte sich trotzdem verpflichtet, Maynard zu trösten.

»Falls Sie mal wieder mit jemand reden wollen, Robin, rufen Sie mich ruhig an. Und wenn alles doch noch gut ausgeht, lassen Sie es mich bitte wissen. Es interessiert mich. Schon wegen früher...«

»Danke«, murmelte Maynard. »Ich melde mich wieder.«

Dann schloss er endlich die Tür hinter sich.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

In den folgenden Tagen hatte Piper viel zu viel zu tun, um noch länger über das Gespräch mit Maynard am Montagnachmittag nachzudenken.

Ab und zu fragte er sich, ob Natalie zu einer Entscheidung gekommen war und was wohl aus der zehnjährigen Cynthia werden würde. Kinder waren empfindsamer, als die Erwachsenen ahnten.

Aber diese Momente waren selten. Und gegen Ende des Monats hatte Piper bereits vergessen, dass er Maynard gebeten hatte, ihn über den weiteren Verlauf der Dinge zu unterrichten.

Am Donnerstagmorgen, dem dreißigsten November, erhielt Piper einige Anrufe der Cresset-Versicherungsgesellschaft, für die er einen Fall von Versicherungsbetrug bearbeitete. Als das Telefon erneut klingelte, nahm er an, dass der Anrufer wieder der Direktor der Firma Cresset sein musste, der ihm noch einige Fragen stellen wollte.

Kaum hörte Piper jedoch die Stimme am anderen Ende, bereute er es, den vor Selbstmitleid zerfließenden Maynard jemals ermutigt zu haben, mit ihm in Verbindung zu bleiben.

»Schön, dass Sie mal wieder anrufen«, begann Piper. »Wie geht’s?«

»Es hat sich nichts geändert«, erwiderte Maynard. »Heute fällt mir das Dach auf den Kopf, und ich dachte, ein Gespräch mit Ihnen könnte mir helfen. Aber vielleicht störe ich gerade?«

Diesmal klang Maynard zwar nüchtern, er schien jedoch noch genauso deprimiert zu sein wie an jenem Montag.

»Nein, Sie stören überhaupt nicht«, versicherte Piper. »Ich habe zwar noch eine Verabredung vor dem Mittagessen, aber auf zehn, fünfzehn Minuten kommt es nicht an. Wie sieht’s bei Ihnen zu Hause aus?«

»Immer dasselbe. Allerdings habe ich erfahren, dass meine Frau nie in Derick Heathfield verliebt gewesen ist. Das Gerede über die Zärtlichkeit und Geborgenheit, die sie bei ihm angeblich gefunden hat, ist reine Augenwischerei gewesen.«

»Aha! Und woher wissen Sie das?«, erkundigte sich Piper.

»Wir hatten gestern Abend eine gründliche Aussprache«, antwortete Maynard. »Dabei hat sie mir den wahren Grund für ihre Affäre mit Derick genannt. Hoffentlich ist es Ihnen nicht peinlich...«

»So leicht bin ich nicht in Verlegenheit zu bringen.«

»Tja, ich muss es einfach jemandem erzählen. Mit meinen Eltern kann ich über diese Dinge nicht sprechen. Sie wären schockiert.«

»Ist Heathfield der einzige Liebhaber von Natalie gewesen?«

»Ja. In diesem Punkt bin ich sicher. Und nach allem, was Natalie mir gestern gestanden hat, glaube ich nicht, dass sie lügt. Mit einer ganzen Kompanie von Liebhabern hätte sie mir keinen größeren Schlag versetzen können.«

»Und was hat sie Ihnen gestanden?«, wollte Piper wissen.

»Natalie ist beim Psychiater gewesen. Er hat die Wahrheit aus ihr herausbekommen und sie überredet, es mir zu sagen. Eigentlich bin ich froh, dass sie dort gewesen ist. Das zeigt doch, dass sie unsere Ehe retten möchte.«

»Hoffentlich haben Sie recht«, bemerkte Piper skeptisch.

»Tja, der Grund... Ihnen kann ich es ja erzählen, denn Sie werden es für sich behalten. Ich vertraue Ihnen.«