GEHEIMNISVOLLE JUNE - Harry Carmichael - E-Book

GEHEIMNISVOLLE JUNE E-Book

Harry Carmichael

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Beschreibung

Skandal in London! Die belastende Aussage der verführerisch schönen June Templeton beendet jäh die Karriere des erfolgreichen Nervenarztes Dr. Healey.

Als der bekannte Privatdetektiv John Piper, von der Unschuld des Arztes überzeugt, in die Affäre eingreift, ist es beinahe zu spät: June Templeton wurde inzwischen ermordet, und Dr. Healey steht an erster Stelle auf Chefinspektor Hoyles Liste der verdächtigen Personen...

 

Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.

Der Roman Geheimnisvolle June um den Londoner Privatdetektiv John Piper erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967 (unter dem Titel Affäre Dr. H.).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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HARRY CARMICHAEL

 

 

Geheimnisvolle June

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

GEHEIMNISVOLLE JUNE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Skandal in London! Die belastende Aussage der verführerisch schönen June Templeton beendet jäh die Karriere des erfolgreichen Nervenarztes Dr. Healey.

Als der bekannte Privatdetektiv John Piper, von der Unschuld des Arztes überzeugt, in die Affäre eingreift, ist es beinahe zu spät: June Templeton wurde inzwischen ermordet, und Dr. Healey steht an erster Stelle auf Chefinspektor Hoyles Liste der verdächtigen Personen...

 

Harry Carmichael (eigtl. Hartley Howard/Leopold Horace Ognall - * 20. Juni 1908 in Montreal, Québec; † Großbritannien) war ein britischer Schriftsteller.

Der Roman Geheimnisvolle June um den Londoner Privatdetektiv John Piper erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967 (unter dem Titel Affäre Dr. H.). 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  GEHEIMNISVOLLE JUNE

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der 22. November, ein Dienstag, war wieder kalt und regnerisch, und ein scharfer Nordost fegte durch die Straßen. Als Quinn von der Morning Post um zehn Uhr morgens zu der Verhandlung vor dem Berufsgericht der Ärztekammer eintraf, war der Regen m Schnee übergegangen.

Im Waschraum trocknete Quinn sich das Haar mit einem Papierhandtuch und kämmte sich, um einigermaßen repräsentabel zu erscheinen. Als er damit fertig war, fror er nicht mehr; seine klammen Knochen waren warm geworden.

Er zog den Knoten seiner Krawatte zurecht und betrachtete sieh im Spiegel über dem Waschbecken: dünnes strohfarbenes Haar, ein blasses mageres Gesicht, müde Augen, die ihn zynisch anstarrten. Er sagte sich, dass sein Äußeres gut zum Wetter passe.

Sei gegrüßt, lachender Morgen! Du siehst verboten aus, mein Bester. Geschieht dir ganz recht. Warum hast du dich gestern Nacht zu der Extrarunde bereden lassen? Kannst eben nicht nein sagen, das ist der Haken bei dir. Ein Segen, dass du keine Frau bist...

Nachdem er den Kragen glatt gestrichen hatte, wischte er sich mit ein paar Papierhandtüchern auch noch die Schuhe ab. Dann kämmte er sich noch einmal.

Das Gesicht im Spiegel sagte: Nach allem, was man hört, dürfte die Sache ein paar Tage dauern... Tja, das ist ein schlimmer Wind, der keinem etwas Gutes zuweht. Na, du sitzt hier wenigstens warm und trocken. Hätte Gordon sich nicht die Grippe geholt, dann würdest du dich jetzt mit der Story über das entführte Baby befassen und dir in Eastbourne die Seele aus dem Leib frieren. Muss doch was Wahres dran sein, dass alles im Leben sein Gutes hat - sogar eine Grippe.

In dem großen eichengetäfelten Sitzungssaal, in dem die Verhandlung stattfinden sollte, brannten die Lampen. Die meisten für die Presse reservierten Plätze waren besetzt, und es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, Stimmengemurmel, das Scharren von Füßen.

Die sieben geschnitzten Sessel hinter dem langen Tisch, an dem der Disziplinarausschuss sitzen würde, waren noch leer. Vor jedem Platz lagen ein Blatt Löschpapier, ein aufgeschlagener Notizblock und ein frisch gespitzter Bleistift. Quinn erschienen diese leeren Sessel wie selbständige Wesen - wie die bedrohliche Projektion der sieben Männer, die über Dr. Christopher Healey zu Gericht sitzen würden.

Bald kam eine kleine Gruppe von Leuten herein: zwei Männer mit Aktenstücken, eine Frau in einem grauen Tweedmantel, ein Mann, der sich hastig umsah und dann die Augen gesenkt hielt, während er den anderen folgte.

Jemand neben Quinn flüsterte: »Was halten Sie von der Dame in dem Fall?«

»Ich dachte gerade, dass es ein verflixtes Pech für einen Arzt ist, wenn eine gutaussehende Frau ihn vergessen lässt, dass er Arzt ist«, sagte Quinn. »Falls sie mich nur ein bisschen ermutigte, würde ich’s riskieren, dass man mich aus der N. U. J. rausschmeißt.«

Drei Männer traten ein und blieben einen Moment lang in eifrigem Gespräch an der Tür stehen, bevor sie sich auf ihre Plätze begaben. Der eine war korpulent, hatte ein volles, rundes Gesicht und eine kurz angebundene Art; bei den zwei anderen zeigte sich eine starke Familienähnlichkeit, die es nicht schwer machte, zu erraten, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zueinander standen.

Quinns rechter Nachbar sagte: »Der jüngere ist Dr. Healey. Der ältere Herr neben ihm ist sicher sein Vater.«

»Ich kenne Walter Healey seit Jahren«, sagte Quinn. »Hatte allerdings keine Ahnung, dass sein Sohn Arzt ist, obwohl er mir vor langer Zeit mal erzählte, er käme auf keinen grünen Zweig, weil ihn die Erziehung seiner Familie so viel kostete.«

»An den alten Mann wird wohl kaum einer denken, falls der Sohn vom Disziplinarausschuss für schuldig befunden wird. Hab’ mich schon oft gefragt, ob das dritte Gebot das Pferd nicht vom verkehrten Ende auf zäumt: Meistens werden doch die Sünden der Kinder an den Vätern heimgesucht.«

»Na, bis jetzt ist er ja noch nicht aus dem Register gestrichen... Aber ansonsten haben Sie vielleicht gar nicht so unrecht. Wer ist denn der kleine Dicke mit dem zu hohen Blutdruck?«

»Das ist Reginald Tweed, Dr. Healeys Anwalt.«

»Taugt er was?«

»Keine Ahnung. Ich kann nur sagen, hoffentlich. Für seinen Klienten sehen die Dinge nicht gerade rosig aus.«

Um Punkt elf Uhr kamen die Mitglieder des Disziplinarausschusses im Gänsemarsch herein und nahmen ihre Plätze ein - sieben Männer mit leidenschaftsloser, distanzierter Miene. Dann wurden die Türen des Saales geschlossen.

Als das Stimmengewirr verstummt war, verlas ein Mann mit dicker Hornbrille die Anklageschrift gegen Dr. Christopher Healey.

»...Sie werden beschuldigt, sich bei mehreren Gelegenheiten zwischen dem 28. September und dem 4. Dezember vergangenen Jahres Mrs. June Templeton, wohnhaft Spaniards Way, Hampstead, London, unsittlich genähert und am 13. November und 4. Dezember mit ihr in ihrem Haus Ehebruch verübt zu haben. Ferner wird Ihnen vorgeworfen, dass Mrs. Templeton in dem fraglichen Zeitraum Ihre Patientin war und dass Sie durch Ihr Verhalten gegen die ärztliche Standesehre verstoßen haben.«

Als sich der Protokollführer setzte, sprang Mr. Reginald Tweed auf. »Mein Klient hat in einem Brief an den Ehemann von Mrs. Templeton zu diesen Beschuldigungen bereits Stellung genommen. Er bestreitet den Ehebruch und weist darauf hin, dass Mrs. Templeton vom 3. November vergangenen Jahres an nicht mehr bei ihm in Behandlung war - das heißt zehn Tage vor dem ersten der zwei schwerwiegenden Vergehen, die man ihm zur Last legt.«

Es wurde mit Papier geraschelt, und die Anwälte berieten sich im Flüsterton. Dann stand ein hochgewachsener, dünner Mann auf.

Quinns rechter Nachbar murmelte: »Das ist Mr. Maurice Barton, Q. C. Verschwendet nicht viel Zeit an das Gebot: Du sollst nicht ehebrechen. Macht zwanzigtausend Pfund im Jahr mit Scheidungen.«

»...Ich vertrete Mr. Peter Templeton, den Ehemann von Mrs. Templeton. Er hat dieses Verfahren angestrengt, als er von den Vorfällen im November und Dezember letzten Jahres erfuhr. Mit der Erlaubnis des Vorsitzenden würde ich den Sachverhalt gern kurz schildern.«

Sir Alexander Wood nickte. »Bitte, fahren Sie fort, Mr. Barton.« Er war ein vornehm wirkender Mann mit silberweißem Haar und einem zerfurchten, farblosen Gesicht. Seine Stimme schien von irgendwoher ganz tief in seiner Brust zu kommen.

Mr. Barton sagte: »Die Tatsachen sind ganz einfach. Mrs. Templeton wurde vom 17. August bis zum 3. November letzten Jahres im St.-Pauls-Hospital, Portland Place, von Dr. Healey behandelt. Nach ihrer ersten Begegnung entwickelte sich zwischen ihnen ein freundschaftliches Verhältnis, und um den 23. Oktober herum brachte er ihr in die Wohnung Tabletten, die ihr verschrieben worden waren.«

Der Anwalt blätterte bedächtig eine Seite seiner Unterlagen um und fuhr fort: »Sie lud ihn zu einer Tasse Tee ein, und sie plauderten eine Weile über alles Mögliche. Vor dem Weggehen fragte er sie, ob er sie am folgenden Freitag wiedersehen könnte. Bei seinem zweiten Besuch passierte nichts Ungehöriges, bis sie ihn zur Tür brachte, wo er sie küsste. Später verübten beide bei zwei Gelegenheiten Ehebruch.«

Die ruhige gleichmäßige Stimme verstummte. Mr. Barton fügte in gedämpfterem Ton hinzu: »Im Januar dieses Jahres etwa machte Mrs. Templeton einen sehr niedergedrückten Eindruck. Als ihr Mann sie fragte, was sie habe, erzählte sie ihm die Geschichte. Ich möchte noch erwähnen, dass er ihr vergeben hat und nicht an eine Scheidung denkt. Er wird Ihnen nun selbst über die Ereignisse berichten...«

Peter Templeton sprach im Zeugenstand so leise, dass er kaum zu verstehen war. Mehr als einmal wurde er gebeten, lauter zu reden. Jedes Mal, wenn das geschah, sprach er danach einige Minuten lang zu laut.

Er war ein zartgebauter Mann mit weichen Zügen und einem schlaffen Mund. Als er haltsuchend nach der Zeugenschranke griff, fiel Quinn auf, dass seine Hände schwammig aussahen und seine Fingernägel gut manikürt waren.

Als Zeuge sagte er aus, dass er Börsenmakler sei. »...Wir sind seit sechzehn Jahren verheiratet.«

»Waren Sie glücklich miteinander?«, fragte Mr. Barton.

»Ja. Ich würde sagen, dass es eine glückliche Ehe war - bis das geschah.«

»Kannten Sie Dr. Healey? Sind Sie ihm jemals begegnet, während Ihre Frau im St.-Pauls-Hospital behandelt wurde?«

»Nein.«

»Kam Ihnen jemals der Verdacht, dass er in Ihrer Frau mehr sah als eine Patientin?«

»Nein, nie.«

»Wann erfuhren Sie, was zwischen den beiden vorgegangen war?«

Mit unsicherer Stimme sagte Templeton: »Es war entweder Ende Januar oder Anfang Februar, dass ich anfing, mir ihretwegen Sorgen zu machen. Nach der Behandlung schien sie wieder auf dem Damm zu sein, aber zu Beginn des neuen Jahres fiel mir ihre deprimierte Stimmung auf. Deshalb fragte ich sie, was der Grund sei für ihre Niedergeschlagenheit.«

»Was empfanden Sie, als sie Ihnen gestand, dass sie Sie mit Dr. Healey betrogen hätte?«

»Ich war empört.«

»Wie wirkte sich diese leidige Affäre auf Ihre Ehe aus?«

Templeton blickte zu seiner Frau hinüber, presste die Lippen zusammen und straffte sich. »Es ist nicht mehr so zwischen uns wie früher. Ich vermute, damit ist es für immer vorbei.«

»Bis zu jener bedauerlichen Affäre war sie Ihnen immer eine gute Frau, nicht wahr? Treu und liebevoll und - soweit Sie wissen - glücklich mit Ihnen?«

»Ja.«

»Hatten Sie jemals Grund zu der Annahme, dass die körperlichen Beziehungen zwischen Ihnen beiden sie nicht befriedigten?«

Templeton krampfte die Hände so fest um die Zeugenschranke, dass die Fingerknöchel weiß wurden. »Nein. Zwischen uns war alles in Ordnung, bis - bis er sie überrumpelte. Schuld daran ist bloß die Behandlung, der man sie in der Klinik unterzog. Davor hätte sie so etwas nie getan.«

Mr. Barton sagte: »Ganz recht, Mr. Templeton, ganz recht. Ich glaube, das ist alles.«

Der Anwalt Dr. Healeys verzichtete auf eine Befragung des Zeugen. Peter Templeton kehrte an seinen Platz zurück und wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab. Als er sich neben seine Frau setzte, lächelte sie ihm matt zu, und Quinn bildete sich ein, dass sie ihm, kurz bevor sie aufgerufen wurde, über die Hand strich.

Sie war eine ungewöhnlich attraktive Frau Mitte der Dreißig, mit üppigem, gelocktem, rotbraunem Haar, weit auseinanderliegenden dunklen Augen und einem weichen, vollen Mund. Quinn bewunderte ihre Figur und ihren graziösen Gang, als sie auf den Zeugenstand zuschritt.

»Bewegt sich wie ein Mannequin«, murmelte er. »Mit dem Göttergatten muss irgendwas faul sein, sonst hätte sie’s nicht nötig gehabt, sich anderweitig umzusehen. Möchte wissen, ob er der Grund war, warum sie sich in der Klinik behandeln lassen musste.«

Als sie den Zeugenstand betrat, sagte Sir Alexander Wood: »Einen Augenblick, Mr. Barton, falls Sie nichts dagegen haben... Mrs. Templeton, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie gewisse Fragen nicht zu beantworten brauchen, wenn Sie es für unklug halten. Ist Ihnen das klar?«

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ja.«

»Natürlich sind wir Ihnen für absolute Aufrichtigkeit, wo immer sie möglich ist, dankbar. Wir möchten nur nicht, dass Sie glauben, Sie müssten jede Frage, die Ihnen gestellt wird, beantworten.«

»Ja, ich verstehe«, sagte sie mit festerer Stimme.

»Nun denn.«

Mr. Barton stützte sich mit einer Hand auf den Tisch, während er in seinen Papieren blätterte. Er schien keine Eile zu haben.

Der Mann neben Quinn flüsterte: »Bevor der mit ihr fertig ist, hat sie keinen Faden mehr am Leibe. Weshalb, um alles in der Welt, hat sie eingewilligt, als Zeugin auszusagen?«

Diese Frage hatte sich Quinn auch schon gestellt. Viel später wurde ihm klar, dass es keine einzige einleuchtende Erklärung dafür gab, warum sich Mrs. Templeton dieser Tortur freiwillig unterzogen hatte.

Mr. Barton schob die Unterlagen beiseite und bewegte dabei lautlos die Lippen, als wolle er sich eine Passage fest einprägen. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. »Also, Mrs. Templeton, bitte berichten Sie uns, in Ihren eigenen Worten, wie es zu Ihrer Behandlung im St.-Pauls-Hospital kam.«

Sie blickte zu ihrem Mann hinüber, dann schweiften ihre Augen zu dem kleinen erhöhten Tisch, hinter dem Dr. Healey allein saß.

Die glatten Höhlungen in ihren Wangen wurden tiefer, als sie rasch wegsah.

Mit belegter Stimme sagte sie: »Mitte letzten Jahres etwa konsultierte ich meinen Hausarzt, weil ich mich schon seit einiger Zeit, nicht recht wohl fühlte. Er sagte mir, ich litte an einer Nervenschwäche, und verschrieb mir Beruhigungsmittel.«

»Hatte seine Kur Erfolg? Besserte sich Ihr Gesundheitszustand?«

»Nein - nicht nennenswert jedenfalls. Ich schlief noch immer schlecht und hatte keinen Appetit.«

»Sie hatten auch abgenommen?«

»Ganz recht.«

»Wie lange waren Sie bei Ihrem Hausarzt in Behandlung?«

»Vier oder fünf Wochen - vielleicht auch etwas länger.«

»Als er sah, dass Ihr Gesundheitszustand sich nicht wesentlich besserte, wozu riet er Ihnen da?«

»Er meinte, ich solle einen Psychiater aufsuchen.«

»Und Sie befolgten seinen Rat?«

»Ja. Ich ging als Privatpatientin zu einem Psychiater in der Wigmore Street. Er empfahl mir eine Behandlung im St.-Pauls-Hospital und gab mir einen Brief an« - sie warf einen Blick durch den Saal und sah dann wieder Mr. Barton an - »Dr. Healey mit.«

»Wollen Sie uns bitte schildern, was bei Ihren Besuchen in der Klinik geschah?«

»Bei meinem ersten Besuch gab man mir Gas, das mich einschläferte. Danach wurde ich noch zweimal mit Gas behandelt.«

»Hat Dr. Healey persönlich es Ihnen verabreicht?«

»Ja.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Es war jedes Mal eine Schwester anwesend.«

Mr. Barton machte eine abwehrende Handbewegung, als wolle er die Bemerkung wegwischen. »Was ereignete sich zwischen Ihnen und Dr. Healey, wenn Sie aus dem Schlaf erwachten, den das Gas verursacht hatte?«

»Wir plauderten miteinander. Er sagte, ich sei eine heißblütige Natur, und es sei eine Erleichterung für ihn, auf einen gleichveranlagten Menschen zu stoßen.«

»Wie verhielt er sich Ihnen gegenüber von Anfang an?«

»Seine Bemerkungen waren sehr schmeichelhaft, und das nahm mir alle Befangenheit.«

»Erinnern Sie sich an etwas Bestimmtes, was er Ihnen bei Ihrem ersten Besuch in der Klinik sagte?«

»Ja. Er sagte, er würde mich gern in der nächsten Woche wiedersehen, und ich sollte etwas später kommen, damit er sich bei meiner Behandlung Zeit lassen könnte.«

»Soll das heißen, dass Sie bei den folgenden Besuchen seine letzte Patientin waren?«

»Ja. Manchmal musste ich warten, aber das machte mir nichts aus, weil ich spürte, dass mir die Behandlung gut tat.«

»Bei Ihrem ersten Besuch befragte Dr. Healey Sie eingehend über Ihr Intimleben. Erzählten Sie ihm bei dieser Gelegenheit, dass Ihre körperlichen Beziehungen zu Ihrem Mann Sie nicht befriedigten?«

Mrs. Templeton sah auf ihre Hände nieder. Nach einer Weile sagte sie mühsam: »Ja.«

»Fanden ähnliche Gespräche noch öfters statt?«

»Ja, mehrmals.«

»Sie vermuteten, dass sie ein Teil der Behandlung waren, die Sie von Ihrem Nervenleiden heilen sollte, nicht wahr?«

»Gewiss, sonst hätte ich seine Fragen nicht beantwortet.« In Mrs. Templetons ruhiger Stimme lag kein Groll.

»Natürlich«, sagte Mr. Barton. Er legte die Hände auf den Rücken, streckte den langen Hals vor und fragte: »Fühlten Sie sich zu Dr. Healey hingezogen?«

»Ja. Ich mochte ihn vom ersten Augenblick an.«

»Ich verstehe... Würden Sie sagen, dass die Behandlung, der Sie im Krankenhaus unterzogen wurden, bei Ihnen erotische Symptome hervorrief?«

Ohne das geringste Zögern erwiderte Mrs. Templeton: »Das weiß ich wirklich nicht.«

Mr. Barton nickte. »Eine sehr korrekte Antwort. Zweifellos. Glauben Sie bitte nicht, dass an der Behandlung, die Sie uns eben geschildert haben, irgendetwas Ungewöhnliches ist. Jede Kritik daran liegt mir fern.«

Er las in seinen Papieren nach, bevor er fortfuhr: »Hat Dr. Healey Sie während Ihrer Besuche im Krankenhaus auf eine Art behandelt, die man »vertrauliche nennen könnte - auch wenn Sie... sagen wir... nichts dagegen hatten?«

»Nun. er pflegte in Anwesenheit der Schwester schmeichelhafte Bemerkungen über meine Augen zu machen. Zuerst war es mir ein bisschen peinlich.«

»Hat die Schwester sich jemals über sein Verhalten geäußert?«

»Einmal sagte sie: »Lassen Sie die Patientin in Ruhe. Sie machen sie ganz verlegene«

»Aber allmählich gefielen Ihnen seine Schmeicheleien?«

Mrs. Templeton bewegte nervös die Schultern. »Ja«, sagte sie leise.

Mr. Barton nickte zustimmend. Er nickte immer weiter, als sei sein Kopf zu schwer für den langen mageren Körper, und sah nachdenklich vor sich hin.

Nach einer Pause sagte er: »Wenden wir uns nun dem Tag zu, an dem Dr. Healey Sie zum ersten Mal in Ihrem Haus aufsuchte. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam.«

»Im Oktober, als ich etwas über zwei Monate in Behandlung gewesen war, gingen mir die Tabletten aus, die ich die ganze Zeit über eingenommen hatte - und so schrieb ich...« - ihre Augen schweiften zu dem Beschuldigten hinüber und hefteten sich schließlich auf die Zeugenschranke - »...an Dr. Healey.«

»Wie, glaubten Sie, würde er auf Ihren Brief reagieren?«

»Ich dachte, er würde mir ein Rezept schicken, damit ich mir die Tabletten bei meinem Apotheker holen könnte.«

»Was tat er stattdessen?«

»Er kam am Freitag bei mir vorbei, was mich sehr überraschte.«

»Sie waren auf seinen Besuch nicht gefasst?«

»Nein. Davon war zwischen uns nie die Rede gewesen.«

»Was sagte er zu Ihnen?«

»Er sagte: Ich habe Ihnen die Tabletten mitgebracht, weil ich wusste, dass Sie keine mehr haben, und weil Sie sie regelmäßig einnehmen sollen.«

»Verhielt er sich bei dieser Gelegenheit korrekt?«

»Aber ja. Ich lud ihn zu einer Tasse Tee ein, und wir unterhielten uns ein Weilchen. Dann ging er wieder.«

»Deutete er an, dass er Sie gern wiedersehen würde?«

»Ja. Er fragte, ob er mich am folgenden Freitag wieder besuchen dürfte.«

»Und Sie hatten nichts dagegen?«

»Nein. Ich konnte nichts dabei finden. Schließlich war er Arzt.« Zum ersten Mal sah sie Dr. Healey offen an. »Ich kam gar nicht auf den Gedanken, dass ich etwas tat, was ich vielleicht lieber nicht hätte tun sollen.«

»Ganz recht. Und nun zum folgenden Freitag. Erinnern Sie sich an das Datum?«

»Es war der 30. Oktober.«

»Was geschah bei Dr. Healeys zweitem Besuch?«

»Nichts - bis er sich verabschiedete. Wir hatten Tee getrunken und sehr nett miteinander geplaudert.«

»Und was passierte, als Sie ihn zur Tür brachten?«

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Mit kaum vernehmbarer Stimme sagte sie: »Er legte die Arme um mich und machte die Tür zu. Und dann küsste er mich.«

»Versuchten Sie ihn daran zu hindern?«

»Nein. Er war gar nicht stürmisch, nur sehr zärtlich. Ich glaube, ich sagte so etwas wie: Das ist aber eine Überraschung...«

»Und was sagte er?«

»Dass das mein wahres Selbst sei - oder irgend so etwas.«

»Und danach?«

»Dann sagte er, dass ich sehr schön sei und dass er wünschte, er wäre mir schon früher begegnet... vor meiner Heirat. Und dann küsste er mich noch einmal. Ich konnte spüren, dass es ihm ernst war.«

»Warum haben Sie ihn nicht zurückgewiesen?«

»Ich wollte es, aber...« Ihr Blick irrte durch den Saal, dann zuckte sie hilflos mit den Schultern. »Ich brachte es einfach nicht fertig. Irgendetwas in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck hinderte mich daran. Es war das gleiche Gefühl wie damals, als er mich im Krankenhaus behandelte.«

»Sie meinen die Behandlung mit dem Gas, das Sie einschläferte?«

»Ja.«

»Mit anderen Worten, Sie standen in einem solchen Maß unter dem Einfluss dieses Mannes, dass Sie sich seinen Avancen nicht zu entziehen vermochten?«

Mrs. Templeton begann zu zittern. Sehr leise sagte sie: »Ich - ich glaube schon. Jetzt, wo alles vorbei ist, verstehe ich mich selbst nicht mehr. Davor war ich nie in Versuchung, mich so zu - zu vergessen, aber mit ihm - war alles ganz anders.

Mr. Barton sagte: »Ich bin sicher, wir alle hier verstehen das, Mrs. Templeton. Nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen.«

Er griff nach seinen Papieren, blätterte eine Seite um und machte sich eine Randnotiz. Dann fragte er: »Als Dr. Healey nicht von Ihnen abließ, sagten Sie da irgendetwas zu ihm?«

»Ich sagte...« Sie schluckte und begann von neuem: »Ich sagte: Was würden Sie von mir denken, falls es zwischen uns zu etwas Ernstlichem käme? Sie würden mich wahrscheinlich für ein billiges Flittchen halten und nichts mehr von mir wissen wollen!«

»Was antwortete er Ihnen darauf?«

»Er sagte: Was immer auch geschieht, das würde ich nie tun. Warten Sie ab, dann wird es sich ja zeigen.«

»Kam es bei dieser Gelegenheit, abgesehen von mehr oder minder heftigen Küssen, zu irgendwelchen Intimitäten?«

»Nein. Ich sagte ihm, das Ganze sei albern, und er solle lieber gehen, bevor wir uns zu etwas hinreißen ließen, was wir später bereuen würden.«

»Dann waren Sie es also, die bei Dr. Healeys zweitem Besuch bis zu einem gewissen Grad Herr der Lage blieben?«

»Ja.«     

»Falls er Sie danach nicht wieder besucht hätte, wäre es gar nicht zu der Affäre gekommen?«

Mrs. Templeton schüttelte den Kopf. Mit mehr Selbstvertrauen als vorher sagte sie: »Nein. Damals hoffte ich, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Ich wusste, dass ich alles, was er von mir wollte, tun würde und dass ich nur sicher war, solange er mir fernblieb.«

Der Vorsitzende blickte auf die Uhr über der Tür. Dann verglich er die Zeit mit seiner Taschenuhr.

Irgendjemand hinter Quinn flüsterte: »Zwölf Uhr. Möchte wissen, ob sie die Lunchpause einschieben, bevor wir zur Schlafzimmerszene kommen?«

Mr. Barton legte die Akten weg und knetete eine Hand mit der anderen, bis die Fingerknöchel knackten. Dann fragte er: »Aber Dr. Healey kam wieder, nicht wahr?«

»Ja, zwei Wochen später.«

»Hatten Sie seinen Besuch erwartet?«

»Er hatte mir bei seinem letzten Besuch nichts davon gesagt.«

»Aber Sie hatten ihn in der Zwischenzeit in der Klinik gesehen?«

»Ja, einmal in der Woche.«

»Sein dritter Besuch in Ihrem Haus kam für Sie völlig überraschend?«

»Ja.«

»Hat er irgendeine Entschuldigung für seinen Besuch angeführt?«

»Er sagte bloß, dass er zufällig in der Gegend gewesen sei und bei mir vorbeischauen wolle, um zu sehen, wie es mir gehe.«

»Haben Sie ihm das geglaubt? Ich meine, gab es tatsächlich einen Grund für seine Anwesenheit in Hampstead?«

»Doch, es konnte stimmen. Ich wusste, dass er in East Finchley wohnte, und meine Wohnung befand sich ja beinahe auf seinem Weg.«

»Um welche Zeit erschien er bei Ihnen?«

Mrs. Templeton nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte sich die Augen ab. Sie ließ die Tasche wieder zuschnappen und sagte: »Am frühen Nachmittag.«

»Wie früh, Mrs. Templeton?«

»Etwa... gegen halb zwei.«

Bildeten Sie sich wirklich ein, dass er um diese Zeit nach Hause fahren wollte?«

»Ich - ich dachte nicht darüber nach.- Es hätte sein freier Tag sein können. Er war so liebenswürdig, dass ich ihn hereinbat, bevor ich mir klargemacht hatte, dass es vielleicht nicht ratsam sei.«

»Meinen Sie damit die Wirkung, die er auf Ihre Gefühle ausübte?«

Nachdem sie ein- oder zweimal geschluckt hatte, flüsterte Mrs. Templeton: »Ja.« Ihr Gesicht war sehr blass und sah eingefallen aus. Sie fuhr sich immer wieder mit der Zunge über die Lippen.

Bedächtig legte Mr. Barton die Hände auf den Rücken und spreizte die Beine noch ein wenig mehr. Ohne Mrs. Templeton anzublicken, sagte er: »Und nun, Mrs. Templeton, schildern Sie uns bitte, was sich an jenem Nachmittag bei Mr. Healeys drittem Besuch in Ihrem Haus ereignete.«

Ihre Seelenqual war offenkundig. Nach langem Zögern sagte sie: »Wir... unterhielten uns eine Weile. Dann kam er zu mir herüber und setzte sich neben mich aufs Sofa. Ich wusste, was passieren würde, war aber irgendwie nicht imstande, etwas dagegen zu tun. Als er den Arm um meine Schultern legte und mich küsste, ließ ich ihn gewähren.«

»Und wie ging es weiter?«

Ihre Augen schweiften durch den Saal, als suche sie nach einem Schlupfloch, in dem sie sich verbergen konnte. »Dann gingen wir hinauf in das vordere Schlafzimmer.«

»Das ist nicht wahr!«, schrie Dr. Healey auf. »Sie weiß nicht, was sie spricht! Ich will hier nicht sitzen und mir von ihren Lügen mein Leben ruinieren lassen, bloß weil sie sich Dinge einbildet, die nie geschehen sind und...« Der Rest war unverständlich.

Einige Minuten lang herrschte im Sitzungssaal ein lautes Durcheinander. Der Reporter einer Abendzeitung zwängte sich an Quinn vorbei und stürzte hinaus. Mehrere Mitglieder des Disziplinarausschusses redeten mit gedämpfter Stimme aufeinander ein. Schließlich klopfte Sir Alexander Wood gebieterisch mit einem Bleistift auf den Tisch, die Unruhe legte sich, und dann sagte er: »Ich muss Sie bitten, Dr. Healey, sich von jetzt an besser zu beherrschen. Was immer auch Sie bei der Aussage dieser Zeugin oder irgendeines anderen Zeugen empfinden mögen, solche Ausbrüche wie eben kann ich nicht dulden. Sie haben später reichlich Gelegenheit, die Anschuldigungen gegen Sie zu widerlegen. Bis dahin möchte ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse raten, die Verhandlung nicht mehr zu stören.«

Mr. Tweed erhob sich mit über dem Bauch gefalteten Händen und bat im Namen seines Klienten um Entschuldigung. Der Vorsitzende dankte ihm, sah auf die Uhr und sagte: »Ich denke, es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir die Verhandlung jetzt unterbrechen. Wir nehmen sie um zwei Uhr wieder auf.«

Quinn saß da und beobachtete, wie Mrs. Templeton den Zeugenstand verließ und sich zu ihrem Mann gesellte. Sie gingen zusammen hinaus, dicht gefolgt von Mr. Barton. Am Tisch des Verteidigers sprach Mr. Tweed ernst mit seinem Klienten.

Die Mitglieder des Disziplinarausschusses hatten sich zurückgezogen, und bis auf die Healeys und Mr. Tweed war niemand mehr im Saal, als Quinn sich endlich in Bewegung setzte. Er sehnte sich nach einem Drink und einer Zigarette und einem stillen Fleckchen, um über das nachzudenken, was ihn verwirrte.

Er kam nicht von dem Zwischenfall los, als Dr. Healey seinen Protest in den Saal schrie. Auf Mrs. Templetons Gesicht hatte ein seltsamer Ausdruck gelegen, als sie sich umwandte und den Arzt anstarrte, ein Ausdruck, der entweder Hass oder Mitleid bedeuten konnte. Dahinter jedoch war so etwas wie heimliche Befriedigung zu verspüren.

Quinn kannte Walter Healey recht gut, seinen Sohn hingegen kaum. Jeder Arzt in Healeys Lage hätte seine Schuld geleugnet; sein Ausbruch war ganz natürlich. Aber was hatte er damit gemeint, als er sagte: Ich will hier nicht sitzen und mir von ihren Lügen mein Leben ruinieren lassen, bloß weil sie sich Dinge einbildet, die nie geschehen sind...?

Falls Mrs. Templeton log, musste sie doch wissen, dass ihre Geschichte nicht stimmte. Und überhaupt, warum sollte sie lügen? Wenn sie die Ehe nicht gebrochen hatte, welche Befriedigung konnte es ihr dann bereiten, aller Welt einzureden, dass sie ihren Mann betrogen hätte?

Außerdem bewirkte sie mit ihrer Geschichte, mochte sie nun wahr sein oder falsch, nichts außer der Zerstörung dreier Menschenleben - ihres eigenen, das ihres Mannes und das Dr. Healeys. Was bezweckte sie mit der Preisgabe dieser Affäre? Warum hatte sie ihrem Mann davon erzählt? Als sie sich zu ihrer Beichte bewogen fühlte, war ihre Liaison mit Dr. Healey doch offenbar schon längst zu Ende.

Noch ein anderes Problem machte Quinn zu schaffen. Was für eine Art Mensch war dieser Peter Templeton? Falls er nicht an Scheidung dachte, falls er wirklich glaubte, seine Frau habe so stark unter Dr. Healeys Einfluss gestanden, dass sie mehr die Verführte als die Verführerin gewesen war, wie konnte er es dann über sich bringen, dieses Verfahren einzuleiten? Welcher Mann würde seine Frau dazu nötigen, sich so bloßzustellen und sich von Millionen von Zeitungslesern durch den Schmutz ziehen zu lassen?

Vielleicht war die Erklärung ganz einfach: überwältigender Hass gegen Dr. Healey. Aber wer von den beiden hasste ihn? Peter Templeton... oder seine Frau? Wer von den beiden war die treibende Kraft?

In der Antwort auf diese Frage mochte der wahre Grund dieses unerquicklichen Falles liegen. Und es musste eine Antwort geben.

Ein bloßer Bericht über das Verfahren reizte Quinn wenig; das war eine rein mechanische Arbeit, ein Abklatsch dessen, was alle anderen anwesenden Zeitungsleute liefern würden. Er sagte sich, dass der Morning Post vermutlich besser gedient wäre, wenn er die Geschichte hinter der Geschichte aufdeckte: das Motiv, das die beiden Templetons veranlasst hatte, ihren eigenen Ruin in Kauf zu nehmen, falls es ihnen zugleich damit gelang, auch Dr. Healey zu vernichten.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Als die Verhandlung wieder aufgenommen wurde, kam Mr. Barton auf die Aussage zurück, die Mrs. Templeton unmittelbar vor der Lunchpause gemacht hatte.

»...Sie erzählten uns, dass Sie und Dr. Healey sich zunächst für eine Weile unterhalten hätten, dass er dann zu Ihnen herübergekommen sei, sich neben Sie auf das Sofa gesetzt und Sie geküsst habe. Danach sind Sie mit ihm nach oben gegangen. Ich möchte, dass Sie uns nun beschreiben, was sich im vorderen Schlafzimmer abgespielt hat.«

Hinter Quinn murmelte eine vertraute Stimme: »Wenn wir das Zeug verbatim veröffentlichen dürfen, würden sich die hochgestochenen Pornographien, die angeblich bloß im Interesse der Kunst und Literatur verlegt werden, nicht bezahlt machen.«

Mrs. Templeton legte eine Hand auf die andere und streichelte sie sanft, während sie vor sich hinstarrte. Sie war viel ruhiger als am Vormittag. Die Augen unter den geschwungenen Brauen blickten beherrscht, und ihr schöner Mund zitterte nicht mehr.

Mit klarer fester Stimme sagte sie: »Er bat mich, das Kleid auszuziehen. Dann legten wir uns auf das Bett. Er sagte, jedes Mal, wenn ich bei der Behandlung mit Gas in der Klinik eingeschlafen wäre, hätte er sich das gewünscht.«

Sie sah Mr. Barton an. Als wäre es wichtig für sie, sich des genauen Wortlauts zu entsinnen, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu: »Ich sagte, ich hätte Angst. Ich wusste, dass ich Unrecht tat... Es war meinem Mann gegenüber nicht fair.«

»Platten Sie ihn noch nie zuvor betrogen?«

Die Frage schien sie zu überraschen. »Nein, nie«, erwiderte sie.

»Was sagte Dr. Healey, als Sie Ihre nur zu verständlichen Bedenken äußerten?«

»Er meinte, wir täten nichts moralisch Unrechtes. Wir hätten immer zueinander gehört, und es sei ganz natürlich, dass wir uns nach der Erfüllung unserer Liebe sehnten. Nichts und niemand zähle außer uns beiden.«

»Glaubten Sie, dass er es aufrichtig meinte?«

»Damals... ja. Er benahm sich sehr rücksichtsvoll und zart gegen mich..., und ich hatte kaum noch die Kraft, mich gegen mich selbst zu wehren. Als er sagte, dass ich ohne ihn nie wahre Befriedigung kennenlernen würde und dass Peter für meinen Nervenzusammenbruch verantwortlich sei, gab ich jeden Widerstand auf.«

Mr. Barton massierte sich das Kinn, während er sie aus halbgeschlossenen Augen prüfend musterte. »Würden Sie sagen, Mrs. Templeton, dass Dr. Healey Sie verführt hat?«

Wieder machte sie ein erstauntes Gesicht. »Oh, nein, das entspräche nicht der Wahrheit. Ich war ganz... Ich wollte es auch.«

Quinn fand, dass sie sich wie ein Mensch verhielt, der von einer anderen Person sprach. Ihr Ton war von klinischer Sachlichkeit und so unbeteiligt, als ginge sie das Ganze nichts an. Auch den Mitgliedern des Disziplinarausschusses war ihr verändertes Wesen bereits aufgefallen.

Dr. Healey schien sich darüber klar zu sein, dass Proteste auf seine Richter bald kaum noch Eindruck machen würden. Er war sehr bleich und fasste sich immer wieder an die Wange, als wollte er das Zucken eines Muskels, den er nicht beherrschen konnte, verbergen. Mit jeder Frage und jeder Antwort wurde seine Miene finsterer.