Die UnKultur in der Inneren Medizin - Rolf H. Fricke - E-Book

Die UnKultur in der Inneren Medizin E-Book

Rolf H. Fricke

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Beschreibung

Der Autor ist 1963 geboren, von Beruf Psychiater und Psychotherapeut. Bei eigenen überlebenswichtigen Recherchen zu seiner seltenen und schwer zu diagnostizierenden Erkrankung stieß der Autor auf Bereiche der Inneren Medizin, in denen durch Ignoranz oder Unwissenheit die Überlebenschancen der Patienten wahrscheinlich drastisch vermindert sind. Es handelt sich um invasive Pilzerkrankungen und um Krebserkrankungen. Er revolutioniert das auf semantischen Verwirrungen beruhende theoretische Konzept des Diabetes Typ 2 und beschreibt die Verbindung zur Esssucht, die er als ein Kulturversagen begreift. Der Autor stützt seine strukturierte Argumentation auf mehr als 220 wissenschaftliche Veröffentlichungen. Seine persönlichen Erlebnisse und die aus der wissenschaftlichen Literatur gewonnenen Erkenntnisse fasst er in einer Unkultur der Inneren Medizin zusammen.

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Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Vorwort

Ein paar biografische Anekdoten

Johanna und andere interessante Frauen

Müdigkeit im Studium

Sylvana

Hausarzt 1, Dr. Jardinier

Fluconazol und Sylvana

Internist 1 Dr. Faulhaber, Mai 2011, Zwiesel

Internist 2 Dr. Hoffmann, Juni 2011, Molln

Internist 3 Dr. Baumann, November 2011, Zwiesel

Natriumhydrogencarbonat und invasive Pilzinfektionen

Stress, Ketoazidose und Milchsäure

Dr. Baumann 2. Gespräch

Urologe 1, Dr. Bolt, November 2011, Molln

Dermatologen 1, 2, 3, Dezember 2011 Molln

Itraconazol

Internist 4, Dr. Bankmann, Februar 2012, Genf

Wut auf die Internisten

Biofilm, Pheromone

Urologe 2 Dr. Maurer, Mai 2012, Amsterdam

Posaconazol

CT, Dr. Engelbert, November 2012, Mödling, Lungentumor

Der Wahn, Psychiater Dr. Deichbogen

Zygomykose

Chirurg Dr. Antonius, Dezember 2012, Genf

Lungenoperation, Januar 2013, Genf

Internisten 5 und 6, Professor Becker, Dr. Wendysh, Genf

Mykobakterium kansasii

Träume

Arbeitsmedizinerin

PET-CT, Dr. Lohmeyer, April 2013, Mödling

Grüner Tee

Dermatologin 4, Dr. Jovanovic, Molln

Kaffee

Internist 7, Dr. Lamprecht, 24. Mai 2013, Kent

Leitlinien zu invasiven Pilzinfektionen

Mucormykose ausführlich

Internist 8, Professor Montematto, Novara, August 2013

„Käse“ aus der Nasennebenhöhle

Internist 9, Professor Daltons, Januar 2014, Helling

PET-CT, Dr. Lohmeyer, Februar 2014, Mödling

Internist 10, Professor Callister, Mai 2014, London

Psychiater, August 2014, Zell am See

Urologe 4, Dr. Drake, Grünfeld

Dermatologe 5, Dr. Blond, Grünfeld, Januar 2015

Internist 11, Professor Dock, Grünfeld, Februar 2015

Beule über dem Brustbein, Nasennebenhöhle 3

Capsaicin

Sylvana und die Psychopathen auf

tumblr.com

Dermatologe 6, Professor Ehling, Ende 2016, Amsterdam

Schokolade, Lecithin

Leistungen der Internisten

Seltsame Erfahrungen mit Diabetes mellitus Typ 2

Etymologie Diabetes mellitus, Glykosurie

Definition Diabetes

Hormon Insulin

Definition Insulinresistenz

Historische Entwicklung Behandlung Diabetes Typ 1 und 2

Gegenwärtiger Stand der Behandlung Diabetes Typ 1 und 2

Erste semantische Verwirrung - Symptom Diabetes mellitus wird Diagnose

Zweite semantische Verwirrung - Insulinresistenz versus Insulinempfindlichkeit

Dritte semantische Verwirrung - Diabetes Typen 1 und 2

Von der Insulinresistenz zur Glukoseresistenz

Glukose als Gift - Glykation

Sauerstoffradikale

Methylglyoxal

Apoptosis

Fette als Gift

Metabolisches Syndrom

Dicke sollen dicker werden

Bariatrische Chirurgie

Ursprüngliche Lebensweisen und Übergewicht

Adipositas und Gehirn

Bewegung und Gehirn

Daily Mile

Neues Konzept für Diagnose Diabetes

Natriumhydrogencarbonat und Krebs

Die UnKultur in der Inneren Medizin

Nachwort oder Nachruf?

Danksagung

Ich danke meinen Eltern für ihre Unterstützung und Hilfe in den vergangenen sechs Jahren. Ich danke insbesondere meiner Mutter, die mit ihrer stillen und fürsorglichen Anwesenheit in den letzten drei Monaten wesentlich dazu beigetragen hat, dass dieses Buch entstehen konnte.

Ich danke allen, die bewusst oder unbewusst dazu beigetragen haben, dass ich die vergangenen sechs Jahre überlebt habe.

Vorwort

Die Namen der Personen und Orte in den biografischen Kapiteln sind inspiriert. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind grundsätzlich zufällig. Tatsächliche Namen sind mit einem * versehen. Ich beschreibe im biografischen Teil mein Erleben sowie Ergebnisse medizinischer Untersuchungen. Namen von Personen in den medizinischen Kapiteln sind original so weit sie Verfasser der zitierten Veröffentlichungen sind.

Der Leser mag sich vielleicht wundern, warum im Buch mehr als 220 wissenschaftliche Veröffentlichungen zitiert werden. Die Internisten haben mich dazu animiert. Ich bin selbst Arzt. Die in den letzten sechs Jahren wegen meiner Erkrankung von mir konsultierten Internisten hatten mir so viel Unsinn erzählt und mich gleichzeitig disqualifiziert, dass ich jetzt die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, zum großen Teil aus der Inneren Medizin selbst, sprechen lasse.

Durch Zufall habe ich drei Bereiche in der Inneren Medizin gefunden, in denen durch eine besondere Kultur innerhalb der Inneren Medizin wesentliche Fakten ignoriert oder nicht verstanden werden. Dies geht einher mit wahrscheinlich drastischen Folgen für die Sterblichkeit und Lebensqualität der betroffenen Patienten sowie die medizinischen Kosten der Behandlung. Um das korrekt darzustellen, ist eine ausreichende Anzahl sachbezogener Zitate aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen unverzichtbar. Das bizarre Problem beginnt damit, dass die Innere Medizin am Begriff des Hormons scheitert und dem Phantom einer Hormonresistenz nachjagt. Ich war erschrocken über die logischen Verirrungen in der Inneren Medizin, deren Ausmaß vor allem im Bereich des „Diabetes Typ 2“ ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können.

Der Versuch einer Diskussion mit Internisten über wissenschaftliche Veröffentlichungen würde mit Sicherheit wegen verschiedener Gründe scheitern. Erstens weiß ich nicht, ob ich überhaupt noch die Zeit für eine wissenschaftliche Veröffentlichung habe. Zweitens ist es unwahrscheinlich, dass ein internistisches Blatt Hypothesen eines Psychiaters über eine internistische Fragestellung akzeptiert. Drittens schließlich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein einzelner Artikel, der das gesamte theoretische Konzept des Diabetes Typ 2 in Frage stellt, in der Flut Tausender anderslautender Veröffentlichungen untergeht.

Es erscheint auf den ersten Blick eigenartig, eine biografische Geschichte gemeinsam mit Konzepten von drei verschiedenen Krankheitsgruppen in einem Buch zu beschreiben. Ich habe sie aus mehreren Gründen vereint: Die einzelnen kleinen Geschichten hätten, wenn überhaupt, nur sehr kleine Lesergruppen angesprochen. So scheint mir die Chance größer, dass ein erheblich erweiterter Leserkreis angesprochen werden könnte. Zweitens sind alle Teilgeschichten dieses Buches Ausdruck einer von mir als besonders erlebten Kultur der Inneren Medizin.

Die rein medizinischen Kapitel sind sicher nicht für jeden Leser interessant. Daher steht jeweils an deren Ende ein leicht verständlich verfasster Abschnitt „Zusammenfassung und Interpretation“. So weit es der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit dient, wurden medizinische Fachbegriffe durch einfache Begriffe ersetzt.

Ein paar biografische Anekdoten

Dieses Buch scheint verrückt. Es ist nicht verrückt, die Umstände sind verrückt. Ich bin Psychiater und Psychotherapeut. In der psychotherapeutischen Ausbildung sage ein älterer erfahrener Kollege zu mir: „Rolf, wenn alle verrückt werden, bist du der letzte, der noch nüchtern ist.“ Ich wusste damals nicht, was er meinte. In den letzten Jahren musste ich es lernen.

Ich muss meine Geschichte aufschreiben. Denke ich. Weil die so irrsinnig ist, dass man die gar nicht glauben kann. Das ist alles außerhalb der Wahrscheinlichkeit. Weil das einfach nicht geht, was passiert ist. Ich hätte schon ein paar mal tot sein müssen. Manchmal denke ich, da sitzt oben einer der mich kontrolliert und will, dass ich diese Geschichte erlebe, dass ich sie aufschreibe, anderen erzähle. Damit es anderen besser ergeht als mir. Und in diesem Buch steht mehr als meine Geschichte.

Seit Ende 2011 bin ich so krank, dass ich nicht arbeiten kann. Es ging mir mal besser, mal schlechter, mal war ich beinahe tot - hatte keine Luft mehr oder das Gefühl, in Auflösung zu sein. Ich musste mir die Medikamente selbst verschreiben. Das Ausfüllen von Rezepten ist eine bürokratische Handlung. Es hilft also beim Überleben, Bürokrat zu sein. Ohne Medikamente wäre ich seit 2011 tot.

Ein paar Mal schon habe ich ein paar Dinge aufgeschrieben. Am besten wäre es gewesen, ich hätte ein Tagebuch geführt. Das konnte ich nicht, ich hatte nicht die Energie dafür. Ich bin mit Computerspielen aus der Realität geflüchtet, habe damit die Zeit getötet. Auch beim Essen saß ich vor dem Computer, ich habe die Gedanken nicht ausgehalten. Ich muss ein wenig weiter ausholen, um erklären zu können, wie alles zusammenhängt.

Mein Leben war geprägt von einander widersprechenden Erfahrungen und Erlebnissen. Die Ursache der Widersprüche habe ich erst in den letzten Jahren verstanden, es war ein kompliziertes Puzzle. Meine Mutter hatte mir irgendwann erzählt, dass ich bis ich anderthalb Jahre alt war, ein rundes gesundes Baby war. Dann war es im Sommer sehr heiß und ich wurde sehr krank, von dem Moment an war ich dünn. Und häufig blass, meine Mutter meinte ich sähe aus wie das Leiden Christi.

Mit fünf Jahren wurde ich in der Kinderklinik untersucht weil ich so oft krank war, dabei erbrechen musste. Man dachte an eine Hirnhautentzündung, konnte aber keine Infektion entdecken. Man kam dann darauf, dass ich azetonämisches Erbrechen hatte. Bei Hunger sind bei Kindern die körpereigenen Glukosespeicher manchmal schnell leer und dann werden nur noch Fette verbrannt, was zu übermäßig viel Ketonkörpern führt, eins davon ist Azeton. Dann hat man zu viel Aceton im Blut, das führt zu stundenlangem Erbrechen. Man riecht den Azeton aus dem Mund als Apfelessig. Der Grund für meinen Hunger: Pilze im Darm. Das wusste ich damals aber nicht, das wusste damals niemand. Die Pilze hatten mir die Kohlenhydrate im Darm bzw. die Glukose im Blut weggefressen.

Vor der Einschulung hatte ich mir das Lesen selbst beigebracht, hatte meine Eltern gefragt was denn die einzelnen Buchstaben bedeuten würden und fügte sie dann zusammen. Als wir kurz vor meinem sechsten Geburtstag mit dem Auto in den Urlaub fuhren, las ich die Ortsschilder, im Urlaubsort die Namen der Hotels und Läden. Meine Eltern hatten mich nie ermutigt, Lesen zu lernen, sie waren selbst überrascht. Ich war einfach neugierig auf die Welt und konnte meine Neugier besser befriedigen und an den Geheimnissen der Erwachsenen teilhaben, indem ich lesend die Welt begriff.

In der Schule war ich gut, hatte keine Probleme, manchmal Klassenbester, nur Auswendiglernen von Gedichten war jedes Mal eine Katastrophe, es dauerte ewig. Zu Hause las ich viel, meistens mehrere Bücher gleichzeitig, die konnte ich mir seltsamerweise merken. Ich las schnell, mein Bruder konnte das nicht glauben, dass jemand so schnell lesen konnte, das ging anderen Kindern auch so, die hatten mir, als ich bei meiner Großmutter in Urlaub war, Märchenbücher ausgeliehen und waren ganz verblüfft als ich sagte ich hätte die Bücher ausgelesen.

Ein paar Anekdoten aus meiner Kinderzeit werden von meinen Eltern noch heute bei Familienfeiern erzählt. Mein Vater war immer begeisterter Skifahrer, als ich 4 war, stand ich das erste Mal auf Skiern. Ich fuhr den Berg hinunter, stürzte und verschwand in einer großen Schneewolke. Mein Vater fürchtete lautes Jammern, als sich der Schnee wieder gelegt hatte, sah ich ihn an und fragte: „Papa, darf ich auch mal mit der Kamera knipsen? Meine Oma sah am liebsten mit mir zusammen die Komödien mit Louis de Funès, ich lachte so viel und herzhaft.

Johanna und andere interessante Frauen

Meine Pubertät kam zu spät, ich war der letzte mit Flaum auf der Oberlippe. Mit 14 war ich fast der Kleinste, mit 16 schoss ich in die Höhe bis ich 1,84 m erreicht hatte. Aber ich blieb dünn. Ich hatte damals ein Mädchen aus meiner Schule bei einer Disco angesprochen, sie war mir vor allem wegen ihrer langen schwarzen Haare aufgefallen die bis auf die Hüften reichten. Ich brachte sie an diesem Abend nach Hause, es war ziemlich weit. Ich versuchte dauernd, etwas von ihrem Gesicht zu sehen, was wegen der vielen und langen Haare kaum möglich war. Wir trafen uns danach ein paar Mal, sie lud mich zu sich ein. Sie hatte große, neugierige und wache braune Augen, die mich direkt ansahen, eine kleine, leicht gebogene Nase und herzförmige Lippen, die Wangen in dem runden Gesicht mit einem dunklen Teint waren etwas betont. Sie hieß Johanna.

Ich war stolz, dachte meine erste Freundin zu haben. Wir trafen uns ein paar Wochen einige Male. Ich war von ihr überwältigt. Sie war zu viel für mich, emotional, kreativ, schnell mit ihren Gefühlen und Gedanken, dann wieder nüchtern und pragmatisch, äußerst talentiert. Sie war für mich wie von einem anderen Stern, ich bestaunte und bewunderte sie obwohl sie fast zwei Jahre jünger war als ich.

Es gab keine Küsse, keinen Sex. Sie spielte Gitarre, ich saß manchmal nur bei ihr und hörte ihr zu wie sie die klassischen Stücke perfekt spielte. Sie war exzellent, die beste Gitarrenspielerin ihrer Altersklasse weit und breit. Sie hatte ein besonderes Talent, Nähe zu schaffen, ich fühlte mich wohl bei ihr, die Musik die sie spielte war eine Offenbarung. In den Ferien beendete sie die Beziehung per Brief, meinte sie hätte noch niemand jemanden erlebt, der so intelligent und gleichzeitig so leer sei. Ich hatte ihr immer nur zugehört, wenig Eigenes eingebracht. Das ist keine Paarbeziehung.

Wir hatten uns nur ein paar Wochen getroffen. Ich war betroffen, fühlte aber, dass sie zum Teil recht hatte, konnte es nicht weiter beschreiben, ich hätte auch gerne gewusst warum ich häufig so müde und leer war. Als ich bei ihr war, war ich die ganze Zeit passiv, hatte keine Ideen was man unternehmen könnte.

Ich ging trotzdem noch mal hin, ihre Eltern mochten mich, ließen mich rein, ihr Vater Georg spielte mit mir Schach. Ich setzte ihn in der Mitte des Schachbretts matt. Er war völlig perplex – er war ein geübter Vereinsspieler. Er schaute auf das Brett und sagte mehrere Male: Das hab ich nicht gesehen. Das musste in der Familie ein besonderes Ereignis gewesen sein. 25 Jahre später traf ich bei einem Familienfest den jüngeren Bruder von Johanna wieder, Patrick. Er äußerte sich darüber beeindruckt, dass ich damals gegen seinen Vater gewonnen hatte.

Johanna war irritiert bei meinem Besuch, fürchtete sich vielleicht vor mir, vielleicht vor einem Drama, sie wollte ja nichts mehr von mir. Ich machte aber kein Drama, ging nach dem Schachspiel mit ihrem Vater, sprach sie nicht weiter an, sagte nur kurz tschüss.

Georg lud mich nach der verlorenen Partie in seinen Schachklub ein. Ein paar Monate ging ich hin. Manchmal gewann ich mit Bravour, dann saß ich wieder völlig einfallslos vor dem Brett. Ein Mal hatte der Vorsitzende des Schachvereins mitbekommen, wie ich sicher gegen einen Stammspieler gewonnen hatte. Er war begeistert. Ich hatte bis dahin keine große Ahnung von Schachtheorie, ich hatte nur zu Hause ab und zu gegen meinen Bruder oder meinen Vater gespielt. Nach ein paar Monaten gab ich es auf, ich war zu müde am Abend. Für mich waren meine Gewinne damals nichts besonderes, das ist eben so beim Schach, manchmal gewinnt man, dann verliert man wieder.

Johanna und ihr Vater hatten beide etwas Auffälliges gemeinsam, sie bewegten sich mit abgemessenen Bewegungen, da war keine Bewegung überflüssig, sie bewegten sich wie Tänzer, vielleicht Turner, ohne dass sie das jemals aktiv betrieben hätten. Sie konnten die Körperenergie auf einen Punkt bringen, das habe ich so nur bei wenigen Personen gesehen.

Später ging ich vielleicht ein, zwei Mal im Jahr vorbei. Sie hatte keine Angst mehr vor mir, ich war jemand mit dem sie mal kurz schwatzte. Sie ließ mich in die Wohnung, hatte mich nie vor der Tür stehen lassen. Ein Mal im Sommer, es war warm, wir lagen zusammen auf ihrem Bett, ja das war tatsächlich so, sie lag mit mir mir auf ihrem Bett und wir schwatzten. Ich fasste sie nicht an, ich war froh, dass ich bei ihr sein durfte, das wollte ich nicht kaputt machen. Ich wusste auch, dass sie nichts von mir wollte - da saß sie mit einem Mal auf mir. Ich war völlig überrumpelt, sie offensichtlich auch, stand auf, sagte zu mir: „Du musst jetzt gehen“ und schob mich grinsend zur Tür. Das passierte alles viel zu schnell für mich, als dass ich irgend etwas anderes hätte machen können als ihr zu gehorchen. Natürlich begriff ich was da passiert war, es war warm, wir lagen nebeneinander, plötzlich schoss in ihr die Lust hoch, aber sie wollte mit mir keinen Sex. Als wir uns das nächste Mal sahen, sprachen wir nicht darüber.

Bei dieser Gelegenheit sagte sie zu mir, bevor sie sich auf mich gesetzt hatte, mit mir müsste man sich wenigstens nicht streiten. Sie meinte mit „streiten“ einander mit Worten verletzen bei Uneinigkeit oder sich gegen eine Lösung sperren nur weil man dem anderen vielleicht Recht geben müsste. Ich habe keine Problem mit einer Diskussion, aber solche endlosen Streitereien mag ich nicht, ich gehe dann einfach weg. Weil der andere dann nur seine Macht behaupten will, ich hab keinen Bock auf solche Spielchen.

Ein Mal als ich Johanna besuchte, öffnete ihre Mutter und ließ mich rein, Johanna war krank, lag im Bett im dunklen Zimmer, hatte Migräne. Da war nicht viel mit reden. Ich saß neben ihrem Bett, wollte ihr etwas Gutes tun, spontan massierte ich mit zwei Fingern ihr Gesicht. Langsam. Behutsam, mit fühlbarem Druck. Sie hatte die Augen geschlossen, sagte nichts, rührte sich nicht. Als ich aufhörte, sagte sie: „Du könntest jetzt alles mit mir machen.“ Da war nur Staunen in der leisen Stimme. Ich saß noch ein paar Minuten neben ihr bevor ich ging. Sie war krank.

In der Schule wurden regelmäßig die im Kunstunterricht gemalten Bilder aufgehängt. Eine Lehrerin meinte über eines meiner Bilder ich hätte einen Malstil wie Caspar David Friedrich. Ich schaute dann nach wer dieser Friedrich war. Als ich die Bilder in den Kunstbüchern sah, empfand ich die Bemerkung der Lehrerin als großes Lob. Das bedeutete mir mehr als Gewinnen beim Schach. Weil solch ein Bild von mir ist, es bleibt, andere können das Bild sehen, ich bin darin sichtbar. Eine Schachpartie ist schnell vergessen. Ich sah Johanna zufällig einmal wie sie mit zwei Freundinnen das von mir gemalte Bild betrachtete. Ich sprach sie nicht an, ging im dunklen Flur weg. Ich war mit dem Bild noch nicht mal fertig geworden, ich war zu langsam. Wir waren nicht mehr lange gemeinsam an dieser Schule, sie wechselte an eine Schule in ihrer Nähe.

Neben meiner Passivität und manchmal überfallartigen Müdigkeit hatte ich noch ein anderes Problem, dass mir auch beim Studium zu schaffen machte: Nach einem Essen war ich häufig in einem Zustand den man am ehesten als vegetativ bezeichnen könnte. Ich konnte mich noch im Raum orientieren, bewegen und einfache Aufgaben erledigen, komplexe Zusammenhänge konnte ich aber nicht mehr begreifen, geschweige flirten, witzige Bemerkungen machen, Kreativität zeigen. Es war als wenn ich betrunken wäre, ohne zu schwanken oder gelöst zu sein, ich war wie in Watte. Ich war deswegen auch bei einem Arzt, der konnte aber nichts finden.

Wegen dieser körperlichen und geistigen Unberechenbarkeit ging ein für mich sehr wichtiges Date mit Anne in die Hose, es war eine Mitschülerin aus einer Parallelklasse während des Abiturs. Sie hatte Gemeinsamkeiten mit Johanna. Sehr lange schwarze Haare, große interessierte braune Augen, ein offenes und lebendiges Gesicht. Sie gab sich immer freundlich gelassen, offen, aufmerksam, und war zweifellos intelligent. Sie sah aus wie Sophia Loren, war ein wenig kleiner, fraulicher als die Loren. Ich sprach sie in der Schule an, lud sie zu einem Konzert mit klassischer Musik ein. Ich glaub ich war bei der Einladung relativ ruhig. Sie sah mich direkt an und sagte zu, ohne lange nachzudenken.

Ich mag es, wenn eine Frau mir in die Augen sieht. So entsteht Nähe, sie konzentriert sich auf mich. Sie zeigt dann, dass sie selbstbewusst ist, nicht ängstlich. Wenn eine Frau bei einem Kontakt irgendwo an mir vorbei in den Raum schaut, ist das eine Ausladung.

Vor dem Konzert aß ich noch kräftig zu Abend, wollte nicht mit knurrendem Magen und schlechter Konzentration wegen des Hungers neben ihr im Konzert sitzen. Die Begrüßung war noch ohne Probleme, und dann stellte sie mir in der Pause eine Frage und für den Rest des Abends war ich stumm. Mein Kopf war leer, ich konnte keinen Gedanken fassen.

Die Frage war: Was machst du sonst noch so? Ganz einfach, simpel, normale Frage für einen solchen Abend, um ins Gespräch zu kommen. Ich hätte auch antworten können, dass ich viel lese, Schach spiele, am Wochenende im Sportverein segeln gehe, man kann in Genf gut segeln. Keine schwere Antwort. Ich konnte sie nicht formulieren und ich wusste nicht warum. Mein Kopf war leer. Den ganzen Abend. Natürlich war ich aufgeregt, aber nicht so, dass ich deswegen ein Blackout hätte haben müssen.

Ich war nicht schüchtern oder ängstlich. Bei Bedarf konnte ich auch stur sein oder herausfordernd, ich hatte die Idee, dass ich das bis dahin selbst entschieden hatte wie ich den Kontakt mit jemand gestalte. Ich erinnerte mich, dass mir Ähnliches vor ein paar Jahren passiert war. An einem Abend führten wir in der Schule ein kleines Programm vor den Eltern auf und ich hatte plötzlich mein Gedicht vergessen. Ich konnte es damals genau so wenig wie an diesem Abend mit Anne verstehen. Sie war an diesem Abend natürlich verärgert, auch am nächsten Morgen als wir uns in der Schule trafen, sah man ihr den Ärger noch an.

Was ich gelernt hatte: Es gab Situationen in denen ich mich nicht auf meinen Körper und meinen Geist verlassen konnte und ich wusste nicht warum.

Ein paar Monate später führte unsere Klasse in der Aula ein Theaterstück auf. Eine Mitschülerin hatte ein Buch für die Bühne adaptiert. Es gab eine männliche Hauptrolle und einen Chor. Ich spielte die Hauptrolle, in den Proben war ich nicht gut, ich hatte Schwierigkeiten, meinen Text zu erinnern. Ich sah die Zweifel in den Gesichtern meiner Klassenkameraden.

Zu Hause versuchte ich mich in die Situation der Hauptfigur einzuleben. Es ging um einen Mann Ende 30, der gerade seine große Liebe bei einer Geburt zusammen mit dem gemeinsamen Kind verloren hatte. Ich war 17, hatte das natürlich noch nicht erlebt. Ich fühlte Verzweiflung, Schmerz, Leere, Angst. So eine Rolle wollte ich leise, verhalten spielen.

Die Aula war voll, Anne saß ziemlich weit vorn. Als wir anfingen, wurde es still. Dann wurde es ganz still. Ich konnte mit einem Seitenblick sehen wie manche ihren Rücken vor Spannung in die Lehnen drückten, sie hielten ihren Atem an. Ich hatte keine Probleme mit dem Text, ich saß da auf der Bühne, fühlte mich wie ein doppelt so alter Mann der gerade ganz einsam geworden war, alles andere war unwichtig. Und es funktionierte. Die Vorstellung war ein Erfolg.

Die Klassenkameraden gratulierten, sagten: „solche Scheiß-Proben und dann diese Rolle...“ In den nächsten Tagen wurde ich noch von anderen Schülern darauf angesprochen, sie waren alle beeindruckt. Was ich damals nicht wusste, warum ich diese Vorstellung vor 500 Leuten packte, aber nicht das Date mit Anne: die Vorstellung war am späten Nachmittag, ein paar Stunden nach dem Mittagessen, das Date mit Anne kurz nach dem Abendessen, das mich so blockierte. Die Auflösung für das Rätsel folgt.

In der 12. Klasse war ich im Leistungskurs Kunst, wir sollten eine Büste aus Ton anfertigen, Anne stellte sich als Modell zur Verfügung. Ich sprach sie nicht an, war zurückhaltend, es war wie ein Aberglaube, wenn ich sie ansprechen würde, würde vielleicht wieder einen Block bekommen, obwohl ich völlig ruhig war. Sie sprach mich auch nicht an. Ich traf sie Jahre später am Ende meines Studiums in der Universität, sie kam mit ihrer Tochter die vielleicht vier Jahre alt war und erkundigte sich am Aushang über Termine. Ich grüßte sie freundlich, sie grüßte zurück, wirkte verlegen. Das passte nicht zu ihrer sonst so gelassenen Ausstrahlung.

Ein paar Monate nach dem Flop mit Anna sprach ich Henriette an, dieses Mal ohne Blackout. Henriette war nicht so anspruchsvoll wie Johanna, ich reichte ihr wie ich war. Allerdings ging es mir damals auch etwas besser als noch anderthalb Jahre zuvor. Henriette hatte lange blonde Locken, wache grüne Augen, war lustig, kreativ, machte Schmuck aus Draht und kleinen Muscheln. Wir hatten Spaß miteinander, der Sex war gut, leidenschaftlich, lang. Trotzdem beendete ich die Beziehung. Ich hatte nicht das Gefühl von Nähe, wollte die Beziehung nicht allein wegen des Sex weiterführen. Ich hatte das Gefühl ich würde sie ausbeuten, sie wäre ein Lückenbüßer bis zur nächsten Frau bei der ich diese Nähe spüren würde.

Johanna besuchte mich ein Mal am Standort, ich freute mich, dachte dass sie ihre Meinung mir gegenüber geändert hätte und nun doch eine Beziehung mit mir wollte. Sie sagte ihre Mutter hätte sie geschickt. Das machte mich stumm. Sie war in einer blöden Situation, ich auch. Wir verbrachten die restlichen Stunden bis zum Abendzug schweigend durch die Stadt gehend.

Bis wir uns im Studium, im selben Hörsaal trafen. Sie kam in meine Nähe, sprach mit jemand neben mir, ich sprach sie nicht an. Ich versuchte, sie zu vermeiden, hatte noch das letzte Treffen in Erinnerung. Ich war immer noch verliebt und wollte mir nicht schon wieder eine Abfuhr holen. Irgendwann ergab sich ein Kontakt über belanglose Dinge, wir hatten uns, ohne voneinander zu wissen, für einen Aushilfsjob bei einem Kongress gemeldet.

Zum ersten Silvester während des Studiums hatte ich Christine, ihre Schwester und ein paar Freunde eingeladen. Christine war eine Klassenkameradin von Helena, Helena hatte zusammen mit Johanna Gitarre gelernt, war also quasi alles Familie. Die Silvesterparty war ein voller Erfolg. Christine blieb in der Nacht bei mir, sie selbst und ihre Schwester waren darüber verblüfft. Ich hatte sie auch nicht gefragt, ob sie bleiben wolle. Sie war nicht betrunken, keiner war auf der Party betrunken. Das war nicht unser Stil.

Aus der einen Nacht wurde mehr. Christine studierte in London, das war ein paar Stunden Zugfahrt von Genf entfernt. Nach ein paar Monaten wurde mir die Entfernung zu anstrengend, ich wollte das nicht mehr, hätte lieber einen Freundin am Studienort gehabt. Ich merkte aber schnell, dass mich außer Johanna, die mich nicht wollte, niemand in meiner Umgebung reizte. Die Wochenendbeziehung lief dann gut bis zum ende des Studiums. Von meiner Müdigkeit bekam sie nicht viel mit, an den Wochenenden hatte ich keinen Stress. Nur manchmal hatte ich Schwächeepisoden nach dem Essen, ich muss schlecht ausgesehen haben, sie war dann auch erschrocken.

Wir heirateten im Sommer 1989. Sie war gerade fertig mit dem Studium, ich musste noch das Praktische Jahr in der Klinik vor der Approbation absolvieren. Sie war zur Hochzeit im fünften Monat schwanger, der Bauch war gut zu sehen. Zur Feier kam auch eine Kommilitonin die gerne meine Sklavin gewesen wäre. Ich hatte das ernst gemeinte Angebot damals dankend abgelehnt, das mochte ich nicht. Sie kam gemeinsam mit einer Freundin, sie hatten Spaß, es war schön, da war keine Eifersucht.

Und Johanna kam. Ich war überrascht, das hatte ich nicht erwartet. Sie war auch schwanger, genau so weit wie Christine. Sie kam allein, war neugierig auf Christine, unterhielt sich mit ihr. Die beiden standen vor mir, streckten sich ihre schwangeren Bäuche entgegen und schwatzten. Christine hatte eine Tomate in der Hand, biss hinein, schwupps hatte sie Johanna mit der Tomate bespritzt. Johanna nahm es gelassen. Ich hatte den Eindruck, Christine fühlte sich gegenüber Johanna unsicher, unterlegen, ich zog mich besser zurück. Christine war tatsächlich nicht so kreativ und lebendig wie Johanna. Aber deswegen passte Christine besser zu mir, ich hatte einfach zu wenig Energie für sehr lebendige Frauen.

Sie kannte die Geschichte von mir und Johanna sicher von Helena, auch ich hatte ihr kurz von Johanna erzählt. Wirklich nur kurz, der Freundin etwas von Verflossenen vorjammern ist blöd. Ich hatte keine Probleme damit, dass sie meine früheren Freundinnen kannte, die brauchte ich nicht zu verstecken. Sie hatte auch ein großes Foto von Henriette gesehen, sie hatte nur kurz darauf geschaut, sah mich an und sagte zufrieden „Ja“. War genehmigt und gegönnt, sozusagen.

Und dann sah ich wie Johanna neben meiner Mutter auf dem Sofa saß, sich angeregt mit ihr unterhielt und sagte sie sei allein gekommen weil es manchmal schwierig mit ihrem Mann sei. Das wollte ich jetzt nicht hören.

Johanna besuchte mich und Christine kurz nach der Geburt mit ihrem Sohn Jörg. Ein knappes Jahr später kam sie mit ihrem Mann Olof und Jörg vorbei. Ihr Mann war außergewöhnlich, intelligent, schnell, spielte mehrere Instrumente. Körperlich passte er zu der kleinen Johanna, war mittelgroß, schmal. Und er liebte Johanna abgöttisch, er konnte nicht ohne sie sein. Wahrscheinlich dachte Johanna, dass man eine Freundschaft zwischen den Paaren aufbauen könnte. Es hat aber nicht funktioniert, nicht zwischen ihr und Christine und nicht zwischen mir und Olof. Nach ein paar Jahren trennten sie sich. Ich weiß nicht warum, habe sie nicht gefragt, ich fand, das ging mich nichts an. Olof ist 2016 gestorben.

Ich war mir vor dem Studium sicher, dass ich Psychiater werden wollte. Mit 18 Jahren hatte ich mir die Frage gestellt warum Menschen etwas anderes tun, als sie sagen, als sie denken. Ich dachte, als Psychiater würde ich das am besten begreifen, die Alternativen Physik, Philosophie, Psychologie und Schauspiel erschienen mir diesbezüglich weniger ergiebig. Die Psychologie in erster Linie weil sie in der Praxis nach meinem Geschmack die Biologie des Menschen vernachlässigt.

Es war schon eigenartig, ich merkte zum Ende des Studiums, dass auch Johanna Psychiaterin wurde und bei den Ausbildungen nach dem Studium eine ähnliche Richtung gewählt hatte wie ich: Sie machte eine systemische Ausbildung, damals in Zweireich relativ selten. Ich habe mir die Beurteilungen von Patienten im Internet über sie durchgelesen. Die stimmen mit meiner Erfahrung über sie überein, sie kann gut zuhören, schafft ein Gefühl der Nähe, Vertrautheit.

Ich sah Johanna nach meiner Trennung von Christine 1997 vielleicht noch ein paar Mal, unter anderem als ich in Genf schaute ob ich eine Praxis eröffnen könnte, ihre Mutter hatte mich mit vielen Tipps betreffend der Organisation einer Praxis versorgt. Aus der Praxis wurde dann nichts, ich dachte ich könnte in einer Klinik Karriere machen.

Seit der Trennung von meiner Frau 1997 war ich allein, hatte nur zwei Mal Sex in einer flüchtigen Beziehung. Ich war schon jahrelang chronisch müde, wusste nicht warum. Ich hatte gerade noch so viel Energie, dass es für die Arbeit reichte, eine Beziehung mit einer Frau war nicht möglich. Zumindest nicht mit einer Frau, die mir gefallen hätte. Die fanden nichts an einem so trägen und müden Mann.

Ich hatte es probiert. Aber nachdem ich ein paar Tage nach einem one night stand 1999 von dem Freund von Franziska mitten in der Nacht angerufen wurde, ob ich ihm nicht helfen würde sie zu suchen, weil sie abends nicht nach Hause gekommen sei und er fürchte, dass sie einen Selbstmordversuch verüben würde, zweifelte ich an meiner Kompetenz als Mensch und Psychiater. Ich hatte nichts drohend selbstmörderisches an ihr erlebt. Ich hatte damals nicht lange über seinen Anruf nachgedacht, mir war aber klar, dass sie nicht suizidal war. Sie war neugierig und hatte sich über zwei Stunden locker mit mir unterhalten, das machen Menschen mit Selbstmordabsichten nicht. Erst beim Schreiben diese Buches fiel mir ein, dass er wahrscheinlich meine Telefonnummer in ihrem Mobiltelefon gefunden hatte, von ihr wusste, dass ich Psychiater war und mich unter einem Vorwand raus locken wollte.

Ich war Franziska das erste Mal in der städtischen Oper begegnet, es wurde die Rocky Horror Picture Show gezeigt, eine kleine Sensation für die abgelegene Provinzstadt. Karten waren schwer zu bekommen, der Saal war voll, natürlich mit vollem Programm, Klopapier, Popcorn etc. In der Pause kam ich mit Franziska ins Gespräch, sie war auch allein, wir verabredeten ein Treffen nach dem Ende des Stückes. Ich nahm sie im Auto mit, blieben stehen, wir redeten eine ganze Weile. Ich hatte den Eindruck, sie wollte nicht aufhören, mit mir zu reden. Sie hatte mir bis dahin nicht gesagt, wohin sie eigentlich genau wollte.

Also fragte ich ob sie mit mir nach Hause kommen wolle. Ja. Es war eigenartig, sie wollte Nähe, Sex, aber ihre Haut blieb kalt. Zwischendurch erzählte sie von ihrem Freund, was ich seltsam fand. Sie schien unkompliziert, da war keine Traurigkeit, ich fühlte mich eher neugierig beobachtet. Allzu lang blieb sie nicht. Wir trafen uns noch ein zweites Mal, dann nicht mehr, es gab kein emotionales Band.

Danach hatte ich noch mit einigen Frauen oberflächlich Kontakt. Ein paar waren zuerst deutlich interessiert. Aber es funktionierte nicht, ich war zu langsam, träge. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war.

Das letzte Mal sah ich Johanna wahrscheinlich Ende 2008, so genau weiß ich das nicht mehr. Sie war seit ein paar Jahren mit Folke zusammen, sie hatte mit ihm eine Tochter. Folke hatte einen rötlichen Vollbart, war vor allem gelassen, gemütlich, freundlich, der war sofort sympathisch, unprätentiös. Mit dem konnte man sicher mehrere Monate auf einer Bergtour aushalten. Johanna hatte ihn als Kollegen in einer Klinik während der Ausbildung kennengelernt. Ich glaube, er war nicht besonders musikalisch, bei den anderen Partnern schien ihr das sehr wichtig gewesen zu sein. Johanna spielte inzwischen neben Gitarre auch Klavier und Cello.

Ich erzählte, dass ich Probleme mit einer Pilzinfektion im Darm hatte, es mir insgesamt nicht so gut ging, dass ich deswegen nichts von der von mir mitgebrachten Schokolade essen würde. Ich dachte damals immer noch, dass es in ein paar Monaten vorbei sein würde. Und dann sagte ich, dass ich nur noch eine Frau finden müsste die einen halb kranken Mann akzeptieren würde. Dabei schaute ich sie schmachtend an, Folke saß daneben.

Ich wusste sofort, dass ich einen Fehler gemacht hatte, aber ich war so schwach, dass ich meine Worte und Mimik nicht mehr unter Kontrolle hatte. Ich war sowieso nie ein Ausbund von Lebendigkeit, da fiel es nicht weiter auf wenn ich ein bisschen leiser war weil die Kraft mich verlassen hatte.

Ich sah wie der Ärger in ihr hoch stieg, sie setzte sich gerade hin, der Rücken wurde straff, die Schultern spannten nach hinten, sie zog ihre Mundwinkel nach unten, die Augen wurden schmal. Dann sagte sie mir etwas womit sie mich maximal kränken wollte. Es war wie ein Code für uns beide, für Folke war es eine beiläufige Bemerkung die mit dem was ich gerade gesagt hatte, nichts gemein hatte. Sie wollte, dass ich gehe, sagte es mir auf diese Weise indirekt. Ich sah noch wie sie mit ihrer Tochter anfing Cello zu üben, dann ging ich.

Müdigkeit im Studium

Nachmittags ging es mir während des Studium häufig schlecht, ich war wie in Watte gepackt nach dem Mittagessen, hatte keine Ahnung warum. Ich hatte den Eindruck, dass es nach Kartoffeln oder Nudelsuppe besonders schlimm war. Ich bin in der Bibliothek über den Büchern eingeschlafen, bei Laborpraktika musste ich mich mit Gewalt wachhalten, durfte mich nicht setzen. In manchen Prüfungen setzte ich voll aus, musste sie wiederholen. Mitstudenten meinten, mit mir würde etwas nicht stimmen, da ich manchmal zu anderen Tageszeiten in Gesprächen spritzig, geistreich, intelligent erschien, dann wieder komplett versagte. Sie wunderten sich, dass ich in Prüfungen manchmal derartig mit Getöse durchfiel obwohl ich, so sagten sie, denken könne. Ich war deswegen bei einem Arzt, das brachte nichts.

Nachdem ich mein Studium beendet hatte, dachte ich darüber nach, warum ich nach dem Essen immer so müde war. Außerdem hatte ich immer Hunger, aß sehr viel, war trotzdem dünn, hatte Durchfall. Ich hatte die Idee, dass ich vielleicht nicht genug Enzyme der Bauchspeicheldrüse hätte, die die Nahrung verdauen und dass darum mein Stuhlgang regelmäßig so reichlich war weil in meinem Darm kaum etwas verdaut wurde. Nachdem ich Arzt geworden war, schrieb ich mir selbst ein Rezept aus, ließ mir in der Apotheke Bauchspeicheldrüsenenzyme in Kapseln geben und nahm sie ein. Der Effekt war überwältigend. Ich nahm innerhalb kurzer Zeit 5 kg zu, war nach dem Essen nicht mehr so müde und auch der Durchfall war nur noch nach dem Trinken von Kaffee. Ich ging zu einem Gastroenterologen, erzählte ihm davon. Er sah mich scharf an und meinte da stimme etwas nicht, da ich mehr von den Enzymen nehmen würde als Patienten ohne Bauchspeicheldrüse. Da stimmte tatsächlich etwas nicht.

Ich dachte nach, fühlte im Bauch. Ich merkte, dass ich ständig verspannte Bauchmuskeln hatte und damit meine Eingeweide zusammendrückte. Das war noch eine Reaktion vom azetonämischen Erbrechen als Kind, vielleicht war auch das Zwerchfell verkrampft und ich hatte es nicht gemerkt weil ich es nicht anders kannte. Und diese Muskelspannung war unbewusst noch immer da. Ich drückte die nächsten Tage bewusst mehrere Male am Tag dagegen. Nach 14 Tagen hatte ich damit die Spannung im Bauchraum so vermindert, dass meine Eingeweide jetzt nicht mehr unter Druck standen und die Verdauung normal war. Ich brauchte die Extraenzyme nicht mehr, nahm weiter ein paar Kilogramm zu, war nach dem Essen weniger müde. Damals war mir noch nicht klar, dass das der Grund für meine häufigen Blackouts gewesen war in den letzten Jahren bei Prüfungen, bei Anne, beim Gedichtvortrag in der Schule, das begriff ich erst mit dem Schreiben dieses Buches.

Von da ab hatte ich ein paar gute Jahre, konnte relativ normal funktionieren. In dem vorherigen Zustand hätte ich die Jahre als Assistenzarzt mit den häufigen Diensten und regelmäßig 50 bis 60, manchmal 80 Stunden die Woche mit zwei Kindern gar nicht durchgehalten.

Weil ich wissen wollte ob meine teilweisen Aussetzer vielleicht eine psychische Ursache haben könnten, machte ich einen Persönlichkeitstest, den PF-16 mit 16 Persönlichkeitsfaktoren. Bei 14 Faktoren war ich im Normbereich. In den Bereichen abstraktes Denkvermögen und Offenheit gegenüber Veränderung lag ich weit oberhalb der Norm. Das erklärte die Aussetzer überhaupt nicht.

In der Folgezeit schlief ich meist mit meinen Kindern ein, wenn ich sie mit Geschichten vorlesen und danach Kuscheln ins Bett brachte. Der älteste Sohn wurde 1989 geboren, der jüngste 1993. Für mich war wichtig, dass meine Kinder rechtzeitig ins Bett kamen. Am liebsten war mir, wenn sie morgens fröhlich ohne Wecker wach wurden. Ich kann es nicht ertragen wenn Kinder müde Augen haben weil sie zu spät ins Bett gegangen sind. Müde Kinder sind unkonzentriert, unaufmerksam, reizbar, unglücklich. Das ist für mich Vernachlässigung und Kindesmisshandlung.

Ich hatte in den Jahren bis 1996 viel Spaß mit meinen Söhnen. Oma fragte den Ältesten als er fünf war, wer denn zu Hause mehr Spaß mache, die Mama oder der Papa. Es kam ganz spontan mit einem begeistertem Blick zu mir: Der Papa. War schön.

Es mag der Leser jetzt denken warum ich denn nicht gleich damit zum Arzt gegangen war, ohne die Enzyme zu probieren. Ich hatte zu häufig die Erfahrung machen müssen, das Ärzte mit mir nicht weiter wussten bzw. Schlüsse zogen, die sich später als nicht richtig darstellten. Darum versuchte ich selbst vor einem Arztbesuch, das Problem so weit als möglich einzugrenzen, um mit wenig Aufwand ein Resultat zu erreichen. Viele frühere Arztbesuche waren ergebnislos verlaufen und ich weiß nicht, warum und wieso ich gesund geworden bin. Wenn man mehrere Male zwei Wochen im Krankenhaus war und dann wieder rauskam, ohne dass die Ärzte wussten was eigentlich Sache war, ist das frustrierend. Letztendlich hatte ich ja mit Hilfe des Gastroenterologen die Lösung gefunden. Ich teilte es ihm nicht mit, ich dachte nicht, dass er Wert darauf legen würde, er wirkte beim Termin etwas abweisend.

Sylvana

Im Herbst 2002 war ich aus Einreich nach Zweireich umgezogen, ich erhoffte mir in Zweireich bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung. Ich hatte auch den Eindruck, dass es in Einreich bestimmte gesetzliche Regelungen gab, die vor allem psychiatrische Patienten schwer benachteiligten. Da ich schnell ein soziales Leben aufbauen wollte, meldete ich mich nach ein paar Wochen in einem Volleyballklub an.

Das vertrug aber meine Achillessehne nicht, sie riss und musste operiert werden. Seitdem ging es mit meiner Leistungsfähigkeit ganz langsam bergab. Es ging so weit, dass ich ab etwa 2007 Schwierigkeiten hatte, Besprechungen zu folgen. Es war alles zu schnell für mich. Ich wurde in den Besprechungen immer stiller, machte nur noch das Nötigste. Gesprächen mit Patienten konnte ich folgen, das war nicht so stressig, es war unter vier Augen.

Ich hatte einen Job als Psychiater in Salisbury, war angestellt bei einer Stiftung die im Gouvernement mehrere Niederlassungen zur stationären und ambulanten psychiatrischen Behandlung unterhielt. Jedes Jahr Anfang September erschien ein neuer Kollege, ein Psychologe, der ein Jahr seiner Ausbildung zum klinischen Psychologen unter Anleitung von Manuela, der Psychologin des Teams, verbrachte. Wir waren jedes Mal neugierig auf den neuen Kollegen, das brachte Abwechslung ins Team, erfrischte die Alten. Manchmal kannten wir den Psychologen schon, wenn er aus einer anderen Niederlassung der Stiftung kam.

Im September 2009 kannten wir den oder die Neue nicht. Es war eine Frau, ich konnte sie an diesem Tag nur von Weitem sehen, das Gesicht lag etwas im Dunkeln. Sie war klein mit langem schwarzen Haar. Ihre Körpersprache fiel auf, es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei einer Begegnung mit jemandem spontan dachte: Was für ein Karma. Auch wenn die Gesichtszüge im Schatten kaum zu erkennen waren, sie beeindruckte mit welcher Energie sie ihre Schritte setzte, die straffe Körperhaltung strahlte eine tiefe Zufriedenheit und Selbstsicherheit aus.

Als ich sie am Donnerstagmorgen in der Teambesprechung das erste Mal aus der Nähe sah, war ich erschrocken. Mein erster Gedanke, der mir durch den Kopf schoss: Ich bin zu alt. Ich wollte in der Firma keine Beziehung. Ich hatte bei mehreren Gelegenheiten gemerkt, dass die Gefahren einer Arbeitsbeziehung schnell größer sind als der emotionale Gewinn. Aber diese Frau war so beeindruckend, schön, lebendig, dass ich das erste Mal in meinem Leben dachte, dass es gar nichts werden kann weil ich zu alt bin.

In der Besprechung am Donnerstag früh im September 2009 stellte sie sich als Sylvana Serra vor. Sie hatte ein rundes, fast kindlich naives Gesicht und damit unschuldig wirkenden Ausdruck, die großen braunen Augen schauten sich neugierig die versammelten Personen an, sie wusste dass sie im Moment die Hauptperson war. Sie kannte diese Momente, dass man über ihre Schönheit verblüfft war, sie lächelte die Verlegenheit weg. Sie faszinierte mit einem unvermitteltem Ausdruck im Gesicht, es schien als wenn ihre Gefühle direkt vom Gesicht ablesbar waren. Es war als ob ihre Seele für alle ein offenes Buch sein durfte. Ich dachte, jemand der so offen seine Gefühle zeigt, kann nicht lügen. Dieses Gesicht lebte, es erzählte Geschichten, ich hätte stundenlang zuschauen können, es wäre mir nicht langweilig geworden. Ich versuchte wegzuschauen weil ich Angst hatte, sie anzustarren, diese Peinlichkeit wollte ich uns beiden ersparen.

Außerdem ähnelte sie Johanna verblüffend mit der abgemessenen Eleganz ihrer Bewegungen, den großen braunen Augen, langen schwarzen Haaren, sie war genauso klein und schmal wie Johanna. Da saß nach 30 Jahren, ca. 15 Jahre jünger, eine Frau die Johanna verdammt ähnlich war und gleichzeitig die sanfteste Frau war, die mir je über den Weg gelaufen war. Das war zu viel für mich. Ich konnte nur mit ihr umgehen indem ich sie vermied. In den Besprechungen schaute ich sie so wenig wie möglich an, sprach sie nicht an.

Ich wollte mich nicht in Gefahr begeben, mich nicht lächerlich machen weil ich es unpassend fand, als Psychiater mit 46 Jahren eine 20 Jahre jüngere Kollegin mit meinen Gefühlen zu belästigen. Die war zur Ausbildung bei uns, nicht zur Bewältigung meiner Einsamkeit. Auch empfand ich das Anbaggern von Kolleginnen in Ausbildung als Missbrauch. Zum Glück war ich für ihre Ausbildung nicht zuständig, die Psychologin Manuela war für sie verantwortlich.

Sylvana war jeweils Montags zu theoretischen Lehrveranstaltungen auswärts, an diesem Tag hatten wir eine zweite regelmäßige Teambesprechung. Ein Mal sprachen die anderen Kollegen die ersten zehn Minuten darüber, wie auffallend schön Sylvana war. Ich sagte nichts, ich dachte man würde mir meine Verliebtheit sofort anmerken. Ich wollte mich nicht verraten. Das wäre mir peinlich gewesen.

Ich hatte genug mit mir selbst zu tun, war beschäftigt mit einer Pilzinfektion. Ich hatte seit Jahren Jucken am Anus, vor allem nachts wenn ich im warmem Bett lag, tagsüber hatte ich damit keine Probleme. Das Jucken störte mich beim Schlafen, manchmal lag ich lange wach, hatte schon viele Dinge gegen den Juckreiz erfolglos versucht, Cremes, bis ich auf den Gedanken kam, dass es eine Pilzinfektion sein könnte. Ich hatte mir dann Canesten, eine Creme gegen Pilzinfektionen der Haut besorgt, damit ging es besser. Als Student war ich wegen des Juckreizes bei einer Hautärztin, die meinte nur resignierend mitleidig, ohne einen Blick auf meinen Hintern zu werfen: „Oh, da kann ich ihnen gar nicht helfen“.

Vor kurzem hatte ich mich im Internet informiert, da standen Geschichten von Leuten mit Pilzinfektionen die berichteten, dass Ärzte sie ignoriert hätten und sie sich mit Diäten geholfen hätten und es ihnen seitdem besser gegangen sei. Also begann ich die Diät, wobei es vor allem darum ging, Kohlenhydrate zu vermeiden die leicht verdaulich sind wie Zucker oder Nudeln und weiche Kartoffeln. Ich hatte vor allem etwas härteren Reis gegessen, der gibt die Kohlenhydrate langsamer an das Blut ab. Es ging mir damit aber nicht besser, im Gegenteil, nach ein paar Wochen wurde ich schwach, Joggen ging nicht mehr, tagsüber war ich manchmal so schwach, dass ich anfing zu zittern. Also hörte ich mit der Diät auf.

Hausarzt 1, Dr. Jardinier

Wegen des Juckens am After hatte ich ein paar Monate Canesten gebraucht und das Jucken war damit verschwunden. Aber nur solange die Creme auf der Haut war. Normalerweise ist die Behandlung nach drei Wochen Canesten beendet. Dann hat sich die Haut komplett erneuert und alle Pilze und Pilzsporen wurden mit der rauswachsenden Haut von der Antipilzcreme getötet. Das funktionierte aber nicht bei mir. Jedes Mal nach dem Absetzen der Creme setzte das Jucken erneut ein. Dann musste der Pilz aus dem Darm kommen, wie sollte die Entzündung sonst jedes Mal wieder von Neuem aufflammen?

Ich ging deswegen zum Hausarzt Jardinier. Er meinte erst den Stuhl auf Parasiten, Würmer und solche Sachen, untersuchen zu müssen. Ich war aber wurmfrei, da krochen keine Maden durch meinen Schiet, es waren keine Eierchen zu sehen unter dem Mikroskop, keine Ahnung wie die Mikrobiologen das machen, die sind nicht zu beneiden, müssen die Scheiße durchsuchen, das stinkt. Nachdem die Parasitensuche erfolglos war, nahm der Hausarzt Kontakt mit einem Mikrobiologen auf. Der meinte, man könne keine Pilze mehr im Darm nachweisen da ich eine Diät gegen die Pilze absolviert hätte. Dann hätte ich eigentlich gesund sein müssen nach Meinung des Mikrobiologen.

War aber nicht so, der Juckreiz kam ständig wieder, für den Hausarzt war die Sache aber abgeschlossen, der hatte es ja persönlich vom Mikrobiologen, dass nichts mehr da sein kann. Wenn der Juckreiz am After aber trotz der lange benutzten Antipilzcreme wiederkam, dann mussten doch noch Pilze im Darm sein, wo sollten die sonst herkommen? Da ich nicht ewig meinen Hintern mit Creme einschmieren wollte, entschied ich mich, Antipilzmittel einzunehmen, also Tabletten oder Medikamentensaft.

Ahnung hatte ich von der Behandlung von Schimmelpilzinfektionen mit Medikamenten nicht, außer der Behandlung der Pilzinfektion der Haut mit Canesten. Aber was sollte ich sonst tun, da für den Hausarzt die Sache abgeschlossen war und er nichts weiter unternehmen wollte? Unterdessen war ich zwar umgezogen und damit im Einzugsbereich einer anderen Hausarztin, Dr. König, sah aber keine Chance, diese so weit zu beeinflussen, dass sie weitere Maßnahmen ergreifen würde.

Die Antipilzmittel Nystatin und Daktarin hatten keinen Effekt, gar keinen. Nystatin wird beinahe nicht aus dem Darm aufgenommen, Daktarin (Mykonazol) auch nur in geringem Umfang. Also dachte ich, dass die Schimmelpilze vielleicht nicht direkt im Darm, sondern in der Darmwand sitzen, dafür war ein Medikament nötig, das über den Darm vom Körper aufgenommen wird. Außerdem sollte es so wenig wie möglich Nebenwirkungen verursachen.

Fluconazol und Sylvana

Das traf auf Fluconazol zu, man sollte maximal 400 mg pro Tag einnehmen. Fluconazol gehört zu der Gruppe der Triazole, deren Wirkprinzip besteht darin, die Ergosterolsynthese in Schimmelpilzen zu hemmen. Pilze brauchen Ergosterol zum Aufbau ihrer Zellwand. In Bakterien und tierischen Zellen hat Cholesterin die Funktion des Ergosterol. Es dient der Stabilität der Zellwände, dort kommt Ergosterol nicht vor, also hat Fluconazol wie die anderen Triazole keine Wirkung auf Bakterien oder tierische Zellen.

Nach wenigen Tagen war ich von der Verbesserung meines Zustandes überrascht: das anale Jucken war weg, ich fühlte mich wacher, konnte besser denken, war im Kopf klarer. Nach der Arbeit konnte ich mehrere Dinge an einem Tag erledigen, z. B. Lebensmittel einkaufen und danach noch in den Computerladen, das war vorher nicht möglich, das Einkaufen von Lebensmitteln hatte ich sonst mehrere Tage im Voraus planen müssen, pro Tag war nach der Arbeit nur eine Aktion möglich gewesen. An der Kasse war ich nicht vollständig absorbiert mit dem Einpacken oder dem Bezahlen, ich konnte gleichzeitig noch mit der Kassiererin ein paar Worte wechseln, ohne die Übersicht zu verlieren.

Das hatte ich seit Jahren nicht mehr erlebt. Auf Arbeit wurde ich schneller, begriff wieder was die Kollegen bei den Besprechungen sagten, nach einigen Wochen fing ich an Witze zu machen über die meine Kollegen lachen konnten. Das war neu. Meine letzten humoristischen Bemerkungen waren vor mehr als zehn Jahren im Familienkreis auf erheiterte Aufnahme getroffen, bei den Besprechung auf Arbeit schien ich zu einer Art Geist mutiert zu sei, sagte doch Sylvana einmal zu mir, sie dachte ich wäre neu gewesen weil ich zu Anfang so wenig gesagt hätte.