Die unterbrochene Reise - Patrick Leigh Fermor - E-Book

Die unterbrochene Reise E-Book

Patrick Leigh Fermor

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Beschreibung

Patrick Leigh Fermor brach im Dezember 1933 zu seiner Wanderung quer durch Europa von Hoek van Holland nach Konstantinopel auf. Er war 18 Jahre alt und von verschiedenen Schulen geflogen. Seine beiden berühmten Bände Die Zeit der Gaben und Zwischen Wäldern und Wasser berichten von dieser großen Wanderung, der letztere Band endet mit den Worten "Fortsetzung folgt" am Eisernen Tor, dem Ende Mitteleuropas. Der dritte und letzte Teil der Wanderung, an dem Paddy, wie ihn Freunde und Fans nannten, bis wenige Monate vor seinem Tod arbeitete, wurde zur Legende. Die unterbrochene Reise setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Den ersten Teil bildet das unvollendete Manuskript. Der zweite Teil besteht aus dem erhaltenen sogenannten Grünen Tagebuch des zwanzigjährigen Patrick Leigh Fermor, der darin seine Tage auf dem Berg Athos festhielt, wo seine Reise endete.

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Patrick Leigh Fermor

Die unterbrochene Reise

Vom Eisernen Tor bis zum Berg Athos

Der Reise dritter Teil

Herausgegeben von Colin Thubron und Artemis Cooper Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié

DÖRLEMANN

Die Originalausgabe »The Broken Road« erscheint am 11. September 2013 bei John Murray Ltd. in London. eBook-Ausgabe 2013 Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 2013 The Estate of Patrick Leigh Fermor © 2013 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf Umschlagfotografie: Kloster Sankt Panteleimon, Berg Athos, Griechenland, © vlas2000/Shutterstock.com Foto: Patrick Leigh Fermor 1934 in Bulgarien. The Estate of Patrick Leigh Fermor. Mit freundlicher Genehmigung der Trustees of the National Library Scotland. Foto: Patrick Leigh Fermor, Dörlemann Verlag AG Storch-Zeichnung: John Craxton Karten im Anhang: Rodney Pull. Mit freundlicher Genehmigung von John Murray Ltd. Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-34-9www.doerlemann.com

»Ich muß ziemlich abgerissen ausgesehen haben, das lange Haar ungekämmt und staubverklebt, ausgebleicht zu einem stumpfen Werg; das Gesicht von der Sonne zum Farbton einer Nußbaumkommode verbrannt, mit zerknitterten Kleidern, mit Rucksack und geschnitztem ungarischen Wanderstab, dazu – ich erröte, wenn ich es schreibe, doch die Ehrlichkeit gebietet es – ein scharlachroter und gelber Flechtgürtel, den ich in Transsilvanien erworben hatte, ein Dolch mit stählernem Griff und ein brauner Kalpak vom Jahrmarkt in Berkowiza.«

Patrick Leigh Fermor

In Gedenken an Joan

Einführung

Es ist etwas Gewichtiges, Geheimnisvolles an unvollendeten Meisterwerken. Die beiden Bücher, die dem vorliegenden vorangingen – Die Zeit der Gaben und Zwischen Wäldern und Wasser – bleiben die großartigen ersten Bände einer unvollendeten Trilogie. Unter den Reisebüchern des zwanzigsten Jahrhunderts sind sie einzigartig. Auch vierzig und fünfzig Jahre nach den Ereignissen, die sie mit einer sagenhaften Kraft der Erinnerung beschreiben, lesen sie sich wie die Traumreise jedes rastlosen Studenten.

Mit achtzehn Jahren, 1933, begann Leigh Fermor in Hoek van Holland seine Wanderung nach Konstantinopel (wie er es stets nannte, nie Istanbul). Doch erst Jahrzehnte später machte er sich auf die zweite parallele Reise – die geschriebene –, die aus der Reife seiner Jahre Rückschau auf diesen jugendlichen Weg in die Welt des Erwachsenseins hielt. Die Zeit der Gaben (1977) führte ihn durch Deutschland, Österreich und die Tschechoslowakei. Zwischen Wäldern und Wasser (1986) setzte die Reise fort durch Ungarn und Siebenbürgen, bis er an der Donau, am Eisernen Tor, innehielt, nicht weit von der Stelle, wo die rumänische und die bulgarische Grenze aufeinandertreffen. Er war noch immer fünfhundert Meilen von seinem Zielort Konstantinopel entfernt.

Hätte er das Epos zu Ende geschrieben, so wäre es ein Triumph vergleichbar mit William Goldings An die Enden der Erde gewesen oder, in einem anderen Genre, mit Evelyn Waughs Kriegstrilogie. Doch dort am Eisernen Tor blieb Leigh Fermor in seinem Bericht stehen. Ungeduldige Leser folgerten, es sei ein Fall von Schreibblockade, bedingt durch ein Nachlassen der Erinnerung oder durch die Herausforderung, seinem eigenen ehrfurchtgebietenden Stil treu zu bleiben.

Doch als er im Jahr 2011 starb, hinterließ er ein Manuskript dieses letzten Drittels der Erzählung, dessen Mängel oder Lücken ihn über so viele Jahre gequält hatten. Er brachte sie nie so zu Ende, wie er es sich gewünscht hätte. Worin die Schwierigkeiten bestanden, war ihm selbst nicht ganz klar, und Die unterbrochene Reise beantwortet die Frage allenfalls halb. Faszinierend an diesem Manuskript ist nicht nur, daß das jugendliche Epos doch noch beinahe zum Abschluß kommt, sondern ebenso fasziniert das Licht, das es auf die schöpferische Arbeit dieses brillanten und äußerst verschlossenen Menschen wirft.

Mit achtzehn Jahren war Paddy (wie Freunde und Verehrer ihn nannten) überzeugt, daß nie etwas aus ihm würde. Sein Hausvorsteher an der King’s School in Canterbury hatte ihm das denkwürdige Etikett »eine gefährliche Mischung aus Raffinesse und Rücksichtslosigkeit« aufgedrückt, und die meisten seiner Schulen hatte er unfreiwillig verlassen. Seine Eltern lebten getrennt, der Vater – ein angesehener Geologe – war im fernen Indien tätig, und Paddy erwog zwar, zur Armee zu gehen, doch die Aussicht auf die Disziplin dort schreckte ihn. Lieber wollte er Schriftsteller werden. In einem Pensionszimmer im Londoner Shepherd Market, zwischen wilden Parties mit den verbliebenen »Bright Young People« der zwanziger Jahre, versuchte er sich an ungelenken Versen und Geschichten. Doch im Winter 1933, schrieb er, machten sich Düsternis und Ratlosigkeit breit. »Alles kam mir plötzlich unerträglich vor, abstoßend, dumm, ruhelos … Mit einemmal waren mir die Parties zuwider. Ich verachtete jeden, als erstes und letztes mich selbst.«

Das waren die Bedingungen, unter denen die Idee einer Reise Gestalt annahm – ein Marsch ganz für sich allein, in romantischer Einsamkeit und Genügsamkeit. Eine Karte Europas entfaltete sich vor seinem inneren Auge. »Ein neues Leben! Freiheit! Etwas, worüber ich schreiben konnte!« Die Eltern sagten ihm ein Pfund pro Woche Unterstützung zu, und mit dem Oxford Book of English Verse und den Oden des Horaz im Rucksack machte er sich auf den Weg, an einem Tag, an dem »auf Piccadilly tausend Regenschirme über tausend Bowlerhüten schimmerten«.

Auf seiner Wanderung rheinaufwärts ins Herzland von Mitteleuropa, dann entlang der Donau durch die große ungarische Tiefebene bis nach Siebenbürgen, lösten sich Nächte, die er in Heuschobern schlief, mit gastlicher Aufnahme bei wohlwollenden Aristokraten ab. Doch vor allem war diese Reise – die Reise eines jungen Mannes von unermüdlicher Neugier durch die Geschichte und die Landschaften des Kontinents – eine Begegnung mit dem Reichtum europäischer Kultur. Für die Wanderung brauchte er ein Jahr. Doch vierzig weitere sollten vergehen, bis das erste seiner Bücher darüber erschien.

Anderes kam dazwischen. Nach seiner Ankunft in Konstantinopel ging er für vier Jahre nach Rumänien und lebte dort mit seiner ersten großen Liebe, der Prinzessin Balasha Cantacuzène. Bereits damals unternahm er Versuche, seine jugendliche Wanderung in Worte zu fassen, doch »die Worte flossen nicht«, schrieb er, »ich fand nicht den richtigen Ton«. Nichts von diesem ersten Versuch hat sich erhalten.

Dann kam der Krieg, seine Jahre als Offizier einer Sondereinheit im besetzten Kreta, die ihren Höhepunkt in der legendären Entführung des Generals Kreipe, des Divisionskommandeurs im mittleren Abschnitt der Insel, fanden. Erst im Jahr 1950 stellte sich ein bescheidener literarischer Erfolg ein, mit einem Buch über die Karibik, gefolgt von einem Roman und von den Meditationen über seine Aufenthalte in Klöstern, Reise in die Stille. Vor allem brachten seine Streifzüge durch Griechenland, wo er sich mit seiner Frau Joan Eyres Monsell niederließ, zwei Bücher hervor, Mani und Rumeli – Werke, bei denen nicht die Stätten der klassischen Antike im Mittelpunkt standen, sondern die erdverbundene, volkstümliche Romiosyne, die Alltagskultur des Landes, die sein Herz erobert hatte.

Ende 1962 gab die amerikanische Zeitschrift Holiday (ein weitaus ernsthafteres Blatt, als der Name vermuten läßt) bei Paddy einen fünftausend Wörter langen Artikel über »Die Freuden des Wanderns« in Auftrag. Ohne zu ahnen, auf was er sich einließ, machte er sich daran, seine große Wanderung zu beschreiben. Fast siebzig Seiten schrieb er und hatte erst zwei Drittel der Reise aufgezeichnet – er stand kurz vor der bulgarischen Grenze, am Eisernen Tor –, und der Zwang, sich kurz zu fassen, war unerträglich geworden. Gewaltige Goldadern der Erinnerung taten sich auf. Von einem Satz auf den anderen warf er die Fesseln des Zeitungsartikels ab. Die ersten siebzig Seiten legte er beiseite, und als er die Beschreibung wieder aufnahm, im natürlichen Tempo seiner Wanderung, wurde ein ganzes Buch daraus – von Bulgarien bis in die Türkei. Jetzt tummelte sich alles auf den Seiten, was diese Wanderung ausmachte – die Ausflüge in das Reich von Sprache und Geschichte, die lebhaft beschriebenen Charaktere, die in allen Einzelheiten festgehaltene Architektur und Landschaft. Am Neujahrstag 1964 schrieb er an seinen Verleger, den loyalen und leidgeprüften Jock Murray, die Erzählung sei »gereift, daß sie nicht wiederzuerkennen ist. Um vieles persönlicher, weitaus lebendiger im Tempo, und vieles ist, hoffe ich, auch sehr kurios.«

Ironischerweise war also der letzte Teil seiner Reise – vom Eisernen Tor bis nach Konstantinopel – der erste, den er umfassend zu beschreiben versuchte. Das Buch sollte »Parallax« (Parallaxe) heißen, ein in der Astronomie gebräuchlicher Begriff, der die scheinbare Veränderung von Objekten bezeichnet, wenn sie aus verschiedenen Winkeln wahrgenommen werden. Er sollte zum Ausdruck bringen, wie stark er den Perspektivwechsel zwischen seinem jüngeren und seinem älteren Ich empfand. Jock Murray schreckte jedoch vor dem Titel als zu obskur zurück (er fand, Parallaxe klinge wie eine Wundermedizin), und das Buch bekam den Arbeitstitel »A Youthful Journey« (Eine Jugendreise).

In den späten sechziger Jahren war das Manuskript immer noch unvollendet. Paddy legte es beiseite und widmete sich zusammen mit seiner Frau Joan ganz dem Bau ihres Hauses auf der Peloponnes. Als er das Projekt schließlich Anfang der Siebziger wieder aufnahm, kam er zu dem Schluß, daß er noch einmal ganz von vorn beginnen müsse, mit dem Anfang der Reise in Holland, und daß der Bericht mehr als nur einen Band einnehmen würde. Die nächsten fünfzehn Jahre über beschäftigte er sich mit seinem great trudge, wie er ihn nannte, den langen Marsch, und schrieb die beiden großartigen Bücher, die ihn bis an die bulgarische Grenze brachten. Das Manuskript der »jugendlichen Reise« schlummerte in all der Zeit halb vergessen in einer Schublade seines Arbeitszimmers, handgeschrieben auf dicken Kartonbögen in drei schwarzen Aktenordnern.

Der spektakuläre Erfolg der ersten beiden Bände ließ die Erwartungen der Öffentlichkeit für den dritten drastisch steigen. Am Ende von Zwischen Wäldern und Wasser hatte »Letzter Teil folgt« gestanden, und diese Worte konnte er nun nicht mehr zurücknehmen – die Verpflichtung sollte Paddy für den Rest seines Lebens verfolgen. Als er zu »A Youthful Journey« zurückkehrte – das am Eisernen Tor einsetzte, da wo Zwischen Wäldern und Wasser geendet hatte –, war er schon über siebzig; der Text selbst war ungefähr zwanzig Jahre alt, und die Erfahrungen, die darin beschrieben wurden, lagen mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Dieses frühe Manuskript war in großen Kreativitätsschüben geschrieben, kaum bearbeitet. Ihm fehlten die raffinierte Ausarbeitung, der feine Schliff, der Zusammenhalt – alles Dinge, die er nun von sich forderte. Die langsame, intensive, perfektionistische Arbeit, mit der die ersten beiden Bände entstanden waren – selbst die Fahnen waren so mit Korrekturen und Zusätzen übersät gewesen, daß sie komplett neu gesetzt werden mußten –, schien eine nun kaum noch zu bewältigende Herausforderung. Andere Ereignisse spielten ihre Rolle. Mit dem Tod von Jock Murray 1993 und von Joan im Jahr 2003 verlor er die beiden Menschen, die ihm am meisten Mut gemacht hatten. Die lange Eiszeit, die nun einsetzte, mag für Paddy genauso unerwartet gekommen sein wie für andere. Selbst die Unterstützung eines Therapeuten verschaffte ihm kaum Linderung.

Zu den bemerkenswertesten Dingen an der Zeit der Gaben und Zwischen Wäldern und Wasser gehört, daß er sie komplett aus der Erinnerung schrieb, ohne die Hilfe von Tage- oder Notizbüchern. Sein erstes Tagebuch war Paddy 1934 in einer Münchner Jugendherberge gestohlen worden, und die folgenden landeten zusammen mit den pikaresken Briefen an seine Mutter bei Kriegsausbruch im Lagerhaus von Harrods, wo sie Jahre später als nicht abgeholt vernichtet wurden. Es war, wie er zu sagen pflegte, »ein Verlust, der immer noch schmerzt, wie eine alte Wunde bei feuchtem Wetter«.

Doch das Fehlen von Beweismaterial war vielleicht, so abwegig das klingt, eine Befreiung. Für einen Schriftsteller von Paddys visueller Begabung erwachten Erinnerungen und Gedankenverbindungen bildhaft zu neuem Leben. »Wenn ich die Bruchstücke zusammensuche, die zwei Jahrzehnte und länger niemand aufgestört hat«, schrieb er in einer reflexiven Passage von der unterbrochenen Reise, »taucht ganz plötzlich eine Einzelheit auf, die in ihrer Wirkung genauso mächtig ist wie der Geschmack jener Madeleine, die Proust die Erinnerung an seine gesamte Kindheit zurückbrachte. Der Ansturm belangloser Details, verschlungener Gedankenketten und Assoziationen, das Echo eines Echos, wie es aus allen Winkeln widerhallt, ist überwältigend …« Ohne die Beschränkungen eines Logbuchs, das die Ereignisse Tag für Tag festhielt, konnte er aus dem, was er aus seinem Gedächtnis barg, statt einer wörtlichen Wiedergabe eine von der Erinnerung inspirierte Neuschöpfung niederschreiben. Poetische Freiheit, Montage disparater Elemente waren dabei, das gestand er ein, so gut wie unvermeidlich.

1965, gleich nachdem er die unvollendete »jugendliche Reise« beiseitegelegt hatte, um sein Haus auf der Peloponnes zu bauen, bekam er einen Auftrag, etwas über die Donau zu schreiben, von der Quelle bis an ihre Mündung ins Schwarze Meer. Das kommunistische Rumänien lockerte damals seine Beziehungen zum Westen, und er nutzte die Gelegenheit, um Balasha Cantacuzène wiederzusehen. Es war das erstemal, seit er 1939 in den Krieg gezogen war. Er traf sich heimlich mit ihr, in der Kleinstadt Pucioasa, in der Dachwohnung, die sie nun mit ihrer Schwester und ihrem Schwager teilte. Er war entsetzt über den Tribut, den ein Vierteljahrhundert gefordert hatte, aber doch gerührt, daß sie sich sehen konnten. 1949, nachdem man ihnen schon fast all ihren Besitz genommen hatte, waren sie auch von ihrem Gut vertrieben worden, mit gerade einmal einer Viertelstunde zum Packen, aber sie hatte Paddys viertes und letztes, ihr anvertrautes Tagebuch in den Koffer gesteckt. Dieses wertvolle Erinnerungsstück nahm er mit zurück nach Griechenland. »Das Grüne Tagebuch«, wie er es nannte, führt in verblaßter Bleistiftschrift seine Lebensgeschichte weiter bis 1935, bis über das Ende der Wanderung hinaus, und enthält Skizzen von Kirchen, Trachten, Freunden, Wörterverzeichnisse in Ungarisch, Bulgarisch und Griechisch sowie Namen und Adressen von fast allen, bei denen er unterwegs Station gemacht hatte.

Doch so seltsam das klingt, er hat dieses Tagebuch, das seinen gesamten Weg vom Eisernen Tor bis nach Konstantinopel und noch weiter festhielt, nie in die »jugendliche Reise« eingearbeitet. Vielleicht vertrug sich seine Ungeschliffenheit nicht mit dem späteren gelehrteren Manuskript, oder die Diskrepanzen in den Fakten beunruhigten ihn. Die beiden Erzählungen weichen oft voneinander ab. Was immer der Grund, das Tagebuch – das zeitlebens geradezu ein Talisman für ihn war – half nicht bei der Auflösung des Dilemmas.

Im Jahr 2008, während der Recherche zu Paddys Biographie, stieß Artemis Cooper im John-Murray-Archiv in London auf ein maschinenschriftliches Exemplar von »A Youthful Journey«. Paddy hatte ihr niemals Einsicht in das Manuskript in den schwarzen Aktenordnern gewährt und wohl vergessen, daß er Jahre zuvor eine Abschrift des unvollendeten Werks an Murray geschickt hatte; aber jetzt wollte er dieses Typoskript sehen. Er war Anfang neunzig. Sein Gesichtsfeld war stark eingeschränkt, und er konnte nur noch zwei Zeilen Text auf einmal lesen. Doch Olivia Stewart, eine treue Freundin nach dem Tod seiner Frau, fertigte eine vergrößerte Fassung von diesem Typoskript und auch von dem Tagebuch an.

Jetzt machte Paddy sich von neuem an die mühsame Arbeit des Revidierens, las die maschinenschriftliche Fassung mit dem Vergrößerungsglas und korrigierte sie mit dem Füllfederhalter in schwarzer Tinte. Bedenkt man seinen Perfektionismus, war es eine nahezu unmögliche Aufgabe. Die ganze Erzählung, sagte er einmal, müsse »auseinandergenommen« werden, und hätte er noch die Zeit und Energie gehabt, hätte er wohl große Teile davon neu geschrieben. Noch bis wenige Monate vor seinem Tod war er, mit zittrigen Fingern, an der Arbeit.

Dieses Typoskript, gegengelesen am Originalmanuskript von »A Youthful Journey«, veröffentlichen wir hier als Die unterbrochene Reise. Das meiste davon entstand in einem großen Schaffensrausch zwischen 1963 und 1964, mit Flüchtigkeitsfehlern in Grammatik, Stil und Zeichensetzung, und ist ganz anders als das, was Paddy sonst nach langer Überarbeitung veröffentlichte. Bisweilen ist es nur ein Sammelsurium an Material, das später ausgearbeitet werden sollte. Bei ein paar Stellen verfügte er, sie sollen gestrichen werden.

Uns als Paddys Herausgebern und Nachlaßverwaltern kam es vor allem darauf an, Klarheit in den Text zu bringen, wobei wir so wenig Eigenes wie möglich hinzufügen wollten. Es gibt hier kaum eine Wendung, geschweige denn einen ganzen Satz, die nicht von ihm stammen. Damit sein unverwechselbarer Stil erhalten bleibt, haben wir die Struktur seiner oft ausufernden Sätze mit ihren Ketten von Nebensätzen nie verändert. Die typische Zeichensetzung, die gelegentlichen Aufzählungen, die langen Absätze sind so geblieben, wie er sie schrieb. Provisorisch hatte er den ganzen Text in eine Vielzahl numerierter Einheiten unterteilt; wir haben daraus acht Kapitel gemacht und ihnen meist geographische Titel gegeben, wie es seine Gewohnheit war. Die Fußnoten (eine Handvoll der Anmerkungen stammt von ihm) erläutern meist historische Zusammenhänge oder übersetzen Fremdsprachiges (wobei wir manche seiner phantasievollen Vermutungen im Haupttext korrigiert haben).

Und schließlich müssen wir auch noch die Verantwortung für den Titel des Buches übernehmen. Die unterbrochene Reise bringt zum Ausdruck, daß die schriftliche Fassung von Paddys Wanderung nie an ihrem Ziel ankam. (Sie endet abrupt in der bulgarischen Stadt Burgas, fünfzig Meilen von der türkischen Grenze.) Der Titel trägt auch der Tatsache Rechnung, daß die vorliegende Fassung nicht das geschliffene, ausgearbeitete Werk ist, das er sich gewünscht hätte – nur unsere bestmögliche Annäherung an das Ziel.

Paddys Entscheidung, über die Wanderung seiner Jugend zu schreiben, scheint geradezu schicksalhaft. Er hat nie den Kontakt zu dieser Jungenzeit verloren, hat sich, könnte man sagen, sein Leben lang eine eigentümliche Art der Unschuld bewahrt. In Die unterbrochene Reise gehen seine Herzensgüte, sein jugendlicher Wagemut, bisweilen auch ein Hang zur Großsprecherei, Hand in Hand mit liebevoller Aufmerksamkeit gegenüber anderen und der größten Dankbarkeit für jede Freundlichkeit, die man ihm erwies. Doch findet man auch unerwartete Anzeichen von Verletzlichkeit, von Niedergeschlagenheit und Heimweh. Das Buch ist offener, enthüllt mehr von ihm, als es vermutlich nach einer Ausarbeitung der Fall gewesen wäre. In allen Einzelheiten hält es seine jugendliche Freude an der großen Gesellschaft von Bukarest fest – die Naivität eines schwärmerischen Teenagers – und dokumentiert auch dann und wann seine Vorurteile.

Aber der junge Mann, der uns auf diesen Seiten begegnet, ist ohne Zweifel der Protagonist von Die Zeit der Gaben, auch der von Mani. Alles, was er als Erwachsener an Interessen und Obsessionen hatte, ist bereits da: die begeisterte Beschäftigung mit dem Drama und den Launen von Geschichte und Sprache, die Freude an Trachten, Folklore, Ritualen und an der Vielfalt der Landschaft. Der Text mag unausgeglichen sein, aber es gibt Passagen darin, die zu den typischsten gehören, die er geschrieben hat. Wer wird den Hund vergessen, der im Abendrot neben ihm hertrottet und den Mond anbellt, der in den Haarnadelkurven des Weges immer wieder neu aufgeht? Oder die Störche, die auf ihrem Zug den Balkanhimmel verdunkeln, oder den geschwätzigen Barbiergehilfen, der ihm durch ganz Nordbulgarien hindurch das Leben schwermacht, oder den Tagtraum – ein Bild, wie nur Paddy es heraufbeschwören konnte –, daß ein Mischvolk aus Menschen und Meerwesen die zweite Sintflut überstanden habe?

Paddys Überschwang fand natürlich nicht gerade ein Ebenbild in dem Europa, durch das er wanderte. Gerade einmal fünfzehn Jahre waren vergangen, seit das Habsburgerreich zerfallen war, und die Erinnerung an seinen alten Widersacher, das Osmanische Reich, war auf dem südlichen Balkan noch lebendig. Die Pariser Verträge nach dem Ersten Weltkrieg hatten ein Pulverfaß geschaffen. Bulgarien, das »Preußen des Ostens« (wie der griechische Premier Venizelos es nannte), hatte auf deutscher Seite gefochten und dermaßen viel Territorium abtreten müssen, daß der Eindruck, beraubt worden zu sein, gefährliche Ausmaße annahm. Es war ein Agrarland, in dem Armut herrschte, die eigenständige orthodoxe Kirche war ultranationalistisch gesinnt, und eine gemeinsame slawische Vergangenheit verband das Land mit Rußland. Rumänien hingegen hatte sich auf die Seite der Alliierten geschlagen und war dafür, als Bollwerk gegen die Bolschewiken, mit einer enormen Ausweitung seiner Grenzen belohnt worden.

Diese beiden Länder am Ende von Paddys Wanderung – Bulgarien und Rumänien – waren kulturell sehr unterschiedlich, aber sie waren beide ländlich und arm, bewirtschaftet größtenteils von Kleinbauern, und der Landadel hatte seine Stellung als herrschende Klasse verloren. In Bulgarien hatte es diese Oberschicht ohnehin kaum gegeben, und die haute monde von Bukarest, mit der Paddy sich anfreundete, geriet immer mehr unter Druck in einer Welt, die zusehends in die Hände eines jungen, ungefestigten Bürgertums überging.

Im nachhinein scheint es, daß die ganze Landschaft, die er durchwanderte, wie schlafwandelnd ihrem Untergang entgegenging. Der Balkan war noch ganz beherrscht von der Weltwirtschaftskrise, die Bauern litten bittere Not. Die gespenstischen Zwillinge Faschismus und Bolschewismus standen bereits am Horizont. Im Januar zuvor war in Deutschland Hitler an die Macht gekommen, und für viele, die Paddy auf seinem Weg traf – die schneidigen Aristokraten, die rumänischen Juden, die Zigeuner – war, ohne daß sie es wußten, das Schicksal schon besiegelt.

Konstantinopel war von Anfang an als Zielpunkt von Paddys Reise ausersehen, doch bei seiner Ankunft schrieb er nur ein paar knappe Bemerkungen in sein Tagebuch – kein Wort, unerklärlicherweise, über byzantinische oder osmanische Pracht. Als seine wahre Liebe, sein eigentliches Ziel erwies sich Griechenland und blieb es sein Leben lang. Nur elf Tage nach der Ankunft in Istanbul vermerkt das Tagebuch seinen Aufbruch ins Zentrum des griechischen religiösen Lebens, zur Mönchsrepublik auf dem Berg Athos. Am 24. Januar 1935 brechen die kurzen Impressionen in diesem Tagebuch ab, und statt dessen finden wir einen ausformulierten Bericht, der erst endet, als er den Heiligen Berg wieder verläßt. Und hier – jenseits von Konstantinopel – haben wir den Schlußpunkt für den vorliegenden Band gesetzt.

Anders als sonst entstand der Bericht über den Berg Athos fast ganz vor Ort. Paddy war gerade einmal zwanzig Jahre alt, als er ihn schrieb, und später überarbeitete er ihn mehrfach weitaus konsequenter als »A Youthful Journey«. Selbst am Ende seines Lebens hinterließ er noch zittrige Randnotizen (vielleicht an sich selbst gerichtet): »Diese ganzen Seiten gnadenlos kürzen« zum Beispiel oder einmal das rätselhafte »Die Augen offenhalten«.

Mehr noch als in der »jugendlichen Reise« finden wir im Tagebuch die früheste Stimme des Verfassers: die arglosen Vergnügungen und Verärgerungen eines jungen Mannes. Es verrät, in welchen Fällen er verunsichert, ja sogar in Panik war, ebenso wie die Freude, mit der er sich mit der griechischen Welt vertraut machte, über die er später so viel wußte und die ihm so viel bedeutete. Wo es darum ging, eine korrigierte Fassung des Tagebuchs auszuwählen – bisweilen existieren vier oder noch mehr davon –, haben wir versucht, das Unverfälschte, Frische zu bewahren, aber auch einige Wiederholungen getilgt. In einigen wenigen Fällen, wo uns seine Korrekturen im hohen Alter weniger treffend vorkamen als frühere, haben wir die früheren bewahrt.

Am Ende haben wir uns natürlich der Frage stellen müssen: Hätte Paddy gewollt, daß diese Aufzeichnungen veröffentlicht werden? Solange er am Leben war, hätte die Antwort vielleicht Nein geheißen. Doch in seinen letzten Monaten gab es Zeichen, daß er bereit war, die Arbeit an andere zu übergeben, die vielleicht halb seiner Phantasie entsprungen waren. Es gab Stellen, die er streichen wollte; in einigen Punkten gebe es Details, die nicht träfen (und natürlich sind wir hier seinen Wünschen gefolgt). Ein Vertrag für das Buch, 1992 mit Murray geschlossen, fand sich in seinem Nachlaß. Als er starb, hatte er soviel Arbeit und so viele Gedanken für diese Texte aufgewendet, daß es traurig und unrecht gewesen wäre, sie in einem Archiv verschwinden zu lassen. Die unterbrochene Reise mag nicht ganz »der dritte Band« sein, der ihm so viel Kummer bereitete, aber die Umrisse, das Aroma des versprochenen Buches sind darin enthalten, und weiter als bis dahin geht die Reise nicht.

Colin Thubron und Artemis Cooper

Frühjahr 2013

1

Vom Eisernen Tor

In Orschowa kam ich wieder an die Donau. Sie war jetzt fast eine Meile breit, doch unmittelbar westlich strudelte und brauste sie durch den engen Kazan– den Kessel–, wo sich die Berge zu beiden Seiten bis auf etwa hundertfünfzig Meter annäherten. Seit ich ihm in Budapest den Rücken gekehrt hatte, hatte dieser unersättliche Strom die Save oder Sau, die Drau, die Theiß, den Mieresch und die Morawa sowie ein Dutzend weniger bekannte Nebenflüsse verschluckt. Ein Stück stromabwärts von Orschowa lag, von den Wassern des Flusses umspült, die kleine Insel Ada Kaleh. Unter den Wipfeln von Pappeln und Maulbeerbäumen tauchten zwischen den hölzernen Dächern unvermittelt eine flache Kuppel und ein Minarett auf, und die Gassen waren bevölkert von kuriosen Gestalten in türkischer Tracht, denn auf der Insel lebten nach wie vor Türken– das einzige Fleckchen, das in Mitteleuropa, außerhalb der Grenzen der modernen Türkei, noch an dieses gewaltige Reich erinnerte, dessen Siegeszug erst vor den Toren von Wien aufgehalten und zurückgedrängt worden war. Die niedrigen, steilen Berge am gegenüberliegenden Ufer gehörten zu Jugoslawien.

Früh am nächsten Morgen fand ich auf dem Postamt einen Brief aus Budapest vor1– seit unserem Abschied am Bahnhof von Diemrich hatte ich eine ganze Salve von Briefen abgefeuert und sie wenig vertrauenerweckenden Briefkästen anvertraut–, und als ich jetzt an Bord des Donaudampfers ging, war ich in Hochstimmung. Beim Ablegen huschte ein Schwalbenschwarm pfeilschnell über uns hinweg. Bald türmten sich an beiden Ufern Felshänge und drängten sich eng zu jenem gewundenen Einschnitt zusammen, dem Eisernen Tor. Der Fluß schwoll jäh an und schäumte vor Wut. Dumpf hallte unsere Sirene in dem gewaltigen Hohlweg. Nach ein paar Meilen wichen die Berge wieder zurück, und die Donau dehnte sich zu gewohnter Weite. Nachdem wir die Stadt Turnu Severin passiert hatten– den Turm des Severus, wo der Kaiser die Quaden und Markomannen bezwungen hatte–, glitt am rumänischen Ufer die eintönig flache Ebene der Kleinen Walachei vorüber, vielfach bewachsen mit Schilf und öden Sümpfen, in denen die Malaria hausen mochte. Das serbische Bergland am rechten Ufer bildete die ersten Ausläufer des Balkangebirges. In weiten Schleifen mäanderte der Fluß am Fuße der serbischen Höhenzüge entlang. Dann waren die Berge mit einemmal nicht mehr jugoslawisch, sondern bulgarisch. Hin und wieder manövrierten wir vorbei an riesigen Flößen und überholten meilenlange Konvois aus dunklen Lastkähnen. In Orschowa hatte ich, als ich auf den Datumsstempel in meinem Paß– 14.August– sah, anfangs erschrocken, dann aber doch erfreut festgestellt, daß ich gut drei Monate in Transsilvanien verbummelt hatte. Und keinen Augenblick zu lang, dachte ich, als ich den Brief vom Vormittag zum zehnten Male las.

Unterbrochen wurden diese Überlegungen durch den Blick auf die Mauern und Türme am südlichen Ufer, die alte Festungsstadt Widin. Am Schiffsanleger drängte sich eine Horde von Jungen und bot mit lauter Stimme Wassermelonen feil. Ich suchte eine aus, mußte sie aber zerknirscht wieder zurückgeben, weil ich nur zwei englische Pfundnoten und eine Handvoll rumänische Lei in der Tasche hatte. Eine Mitreisende, ein hoch aufgeschossenes Mädchen mit glattem, blondem Haar– und, wie ich überrascht feststellte, Engländerin– bot an, mir mit ein paar bulgarischen Leva auszuhelfen, und so zerschnitten wir den grünen Fußball in blutrote, mit schwarzen Kernen gesprenkelte Stücke und teilten sie uns.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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