Die unzähmbare Gürbe - Melanie Salvisberg - E-Book

Die unzähmbare Gürbe E-Book

Melanie Salvisberg

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Beschreibung

Seit Menschen an Fliessgewässern siedeln, versuchen sie, ihr Hab und Gut vor den verheerenden Folgen von Überschwemmungen zu schützen. Die Methoden des Hochwasserschutzes haben sich im Laufe der Zeit aber stark gewandelt. Während jahrhundertelang nur lokale, kleinräumige Massnahmen vorgenommen wurden, kamen im 19. Jahrhundert die grossen Gewässerkorrektionen auf. In der Hoffnung, die Überschwemmungen gänzlich zu verhindern, wurden die Flüsse und Bäche der Schweiz nach und nach kanalisiert und verbaut. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts setzte ein erneuter Wandel ein, und das heisst, seit einigen Jahrzehnten wird versucht, den Gewässern wieder mehr Raum zu geben. Dieser Wandel im Hochwasserschutz lässt sich an der Gürbe, einem rund dreissig Kilometer langen Fluss südlich von Bern, exemplarisch aufzeigen. Aufgrund der stets wiederkehrenden Überschwemmungen wurden hier seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fortlaufend grosse Präventionsprojekte umgesetzt. Melanie Salvisberg untersucht die im Zeitraum von 1855 bis 2010 vorgenommenen Schutzmassnahmen und berücksichtigt dabei sowohl die Wildbachverbauung im Oberlauf als auch den Gürbekanal in der Talebene. Thematisiert werden nicht nur Art und Umfang der Präventionsprojekte, sondern auch deren Finanzierung sowie Schwierigkeiten und Konflikte. Als besonders interessant erweisen sich die Auswirkungen der Hochwasserschutzmassnahmen auf die Landschafts-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Siedlungsentwicklung im Gürbetal. Das reich bebilderte und lebendig geschriebene Buch richtet sich an ein breites Publikum und ergänzt die ebenfalls im Schwabe Verlag erschienene wissenschaftliche Publikation zum Thema.

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Melanie Salvisberg

Die unzähmbare Gürbe

Überschwemmungen und Hochwasserschutz seit dem 19. Jahrhundert

Publiziert mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt, des Naturparks Gantrisch, des Wasserbauverbands Obere Gürbe und des Wasserbauverbands Untere Gürbe und Müsche.

© 2017 Schwabe Verlag, Schwabe AG, Basel, Schweiz

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschliesslich seiner Teile darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden.

Abbildung Umschlag: Übersichtsplan und Profile für die Verbauung der Gürbe oberhalb Blumenstein und Wattenwil, ca. 1860. Staatsarchiv des Kantons Bern, StAB AA V 116b.

Lektorat: Dominik Sieber, Zürich

Umschlaggestaltung: icona basel gmbh, Basel

Layout: icona basel gmbh, Basel

Druck: Schwabe AG, Basel

Gesamtherstellung: Schwabe AG, Basel

Printed in Switzerland

ISBN Printausgabe 978-3-7965-3715-8

ISBN eBook (ePUB) 978-3-7965-3734-9

Das eBook erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften u.a. verlinkt.

E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch

[email protected]

www.schwabeverlag.ch

Inhalt

Vorwort und Dank

1. Einleitung

2. Die Gürbe und ihre Überschwemmungen

2.1 Der Gürbelauf und die Naturgefahren

2.2 Die historischen Hochwasser der Gürbe und ihrer Zuflüsse

2.3 Schlaglichter auf vier Überschwemmungen an der Gürbe

3. Der Hochwasserschutz im Wandel

3.1 Frühe kleinräumige Massnahmen

3.2 Das Zeitalter der grossen Flusskorrektionen

3.3 Die Oberläufe geraten in den Fokus

3.4 Jahrzehnte im gewohnten Gang

3.5 Das Umdenken zum naturnäheren Hochwasserschutz

4. Die Gürbekorrektion und ihre Nachfolgeprojekte

4.1 Die Schutzstrategien bis ins 19. Jahrhundert

4.2 1855–1881: Die Grosse Gürbekorrektion

4.2.1 Mit Bittschriften und Überschwemmungen zur Korrektion

4.2.2 Die Kanalisierung und Verbauung der Gürbe

4.3 1882–1910: Intensive Bauphase mit Schwerpunkt im Oberlauf

4.3.1 Überblick

4.3.2 Das Projekt 1892

4.4 1911–1990: Unterhalts-, Wiederherstellungs- und Erneuerungsarbeiten

4.4.1 Überblick

4.4.2 Das Projekt 1938

4.5 1990–2010: Umdenken nach der Katastrophe

4.5.1 Überblick

4.5.2 Das Projekt 1993

5. Mehrwertschatzungen, Schwellentellen und Gemeindebeiträge: Gelder zur Zähmung eines Flusses

5.1 Kosten und Finanzierung der Grossen Gürbekorrektion

5.2 Die Ausgaben von 1882 bis Mitte der 1990er-Jahre

5.3 Die Gemeindebeiträge seit Mitte der 1990er-Jahre

6. Die Folgen der Hochwasserschutz- und Entsumpfungsmassnahmen

6.1 Landschaft: Ein völlig neues Bild

6.2 Landwirtschaft: Mehr Nutzland dank Meliorationen

6.3 Verkehr: Bessere Anbindung an die Zentren

6.4 Siedlung: Neue Häuser in der Talebene

7. Schlussbetrachtung und Ausblick

8. Glossar

9. Abkürzungsverzeichnis

9.1 Allgemeine Abkürzungen

9.2 Abkürzungen der wichtigen Archivquellen

10. Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

10.1 Abbildungsverzeichnis

10.2 Tabellenverzeichnis

11. Quellen- und Literaturverzeichnis

11.1 Quellen

11.2 Literatur

11.3 Datenbanken und Nachschlagewerke

12. Anhang

Anhang 1: Karte der Gemeinden im Gürbetal

Anhang 2: Chronik der historischen Schadensereignisse der Gürbe und ihrer wichtigen Zuflüsse

Anhang 3: Liste der Hochwasserschutzprojekte 1855–2010

Vorwort und Dank

Dieses Buch geht aus einem am Historischen Institut der Universität Bern angesiedelten und vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekt hervor, das von den Hochwasserschutzakteuren der Gürbe initiiert und mitgetragen wurde. Das Bundesamt für Umwelt, der Wasserbauverband Obere Gürbe und die Waldabteilung 5 des Kantons Bern beteiligten sich finanziell sowie durch die Bereitstellung ihres Wissens und ihrer Akten am Projekt. Ohne sie wäre dieses nie zustande gekommen. Auch das Tiefbauamt des Kantons Bern, der Wasserbauverband Untere Gürbe und Müsche, der Naturpark Gantrisch und verschiedene Gemeinden des Gürbetals stellten mir freundlicherweise ihre Dokumente zur Verfügung. Sehr herzlich danke ich den Mitgliedern der Projekt- und Kontaktgruppe: Ernst Nussbaum vom Wasserbauverband Obere Gürbe, Otto Naef vom Bundesamt für Umwelt, Adrian Fahrni vom Tiefbauamt des Kantons Bern, Philipp Mösch von der Waldabteilung 5 des Kantons Bern, Heinrich Wildberger vom Wasserbauverband Untere Gürbe und Müsche, Christine Scheidegger vom Naturpark Gantrisch, Martin Frey von der Gemeinde Wattenwil und Hans-Ulrich Tanner als Vertreter der Landwirtschaft gaben mir wichtige Anregungen und ermöglichten den Zugang zu den wertvollen Quellen. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den zahlreichen Gürbetalerinnen und Gürbetalern und anderen an der Gürbe interessierten Personen bedanken, die mir alte Schriftstücke, Karten, Fotografien und sogar Filme zur Verfügung stellten. Das Material ist eine grosse Bereicherung und das Interesse, auf welches das Thema stösst, hat mich motiviert.

Beim Schwabe Verlag bedanke ich mich besonders bei Julia Grütter Binkert, die das Buch kompetent betreut hat. Dominik Sieber danke ich für das umsichtige Lektorat. Das Bundesamt für Umwelt, der Naturpark Gantrisch, der Wasserbauverband Obere Gürbe und der Wasserbauverband Untere Gürbe und Müsche haben durch ihre grosszügige finanzielle Unterstützung das Erscheinen des Buches möglich gemacht.

Besonderen Dank schulde ich dem Team der Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte des Historischen Instituts der Universität Bern, speziell Christian Rohr und Christian Pfister. Jonas Beck, meiner Familie und meinen Freunden, die mich immer unterstützen, gilt schliesslich mein letzter und grösster Dank.

Bern, im Juli 2017

1. Einleitung

Vor 200 Jahren hat das südlich der Stadt Bern gelegene Gürbetal noch völlig anders ausgesehen als heute: Wo die Gürbe gegenwärtig gerade und unauffällig durch die flache, fruchtbare Talebene fliesst, bahnte sich der Fluss früher mal in vielen Windungen, mal mehrarmig einen Weg durch ausgedehnte Sumpfgebiete in Richtung Aare. Kies- und Sandbänke, Schilffelder und Auwaldstreifen säumten die Ufer. Im Gebirgsteil stürzte das Wasser das steile Gelände hinunter und frass sich immer tiefer in die Bergflanke hinein. Der Gewässerraum wurde kaum genutzt, und fast alle Siedlungen und Verkehrswege befanden sich entlang der hochwassersicheren Seitenhänge des Tals [Abb. 1.1].

Abb. 1.1: Landeskarte der Schweiz, Ausschnitt Gürbetal. 1:100 000. Nicht massstäblich dargestellt.

Quelle: swisstopo. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA16062).

In Gang gesetzt wurde die massive Veränderung durch die Grosse Gürbekorrektion, im Zuge derer das Gewässer ab 1855 innert weniger Jahrzehnte begradigt, kanalisiert und durch Wildbachverbauungen gesichert wurde. Dieser Eingriff sollte das überschwemmungsgeplagte Tal nicht nur vor weiteren Fluten schützen, sondern auch landwirtschaftlich besser nutzbar machen. Die Situation verbesserte sich durch die Korrektion merklich und viele Hektar Land konnten urbar gemacht werden, was weitreichende Folgen für die Wirtschafts-, Verkehrs- und Siedlungsentwicklung hatte. Dennoch zeigte sich bereits nach wenigen Jahren Bauzeit, dass die Gürbe nicht wie erhofft zähmbar war. Nach wie vor ereigneten sich schadenbringende Hochwasser, die nicht nur die sich noch im Bau befindlichen oder gerade eben fertiggestellten Schutzbauten beschädigten, sondern immer wieder auch Verheerungen an Häusern, Strassen, Feldern und Wald anrichteten. Nach Abschluss der Grossen Gürbekorrektion 1881 wurden daher Ergänzungsprojekte nötig. Zusätzlich wurden im oberen Einzugsgebiet grosse Gebiete ehemaliger Alpweiden mit Schutzwald aufgeforstet. Die wiederkehrenden Schadensereignisse und später auch die zunehmende Überalterung der Bauten führten dazu, dass das Werk nie abgeschlossen werden konnte und an der Gürbe bis heute grosse Schutzprojekte umgesetzt werden. Während über viele Jahrzehnte mit der Absicht gebaut wurde, die Überschwemmungen gänzlich zu verhindern, entsprechen die jüngeren Projekte den neuen wasserbaulichen Grundsätzen, nach welchen die verschiedenen Gewässerabschnitte differenziert betrachtet werden und die Flüsse und Bäche – soweit möglich – wieder naturnäher gestaltet werden.

Das Buch will die Hochwasserschutzgeschichte der Gürbe nachzeichnen und untersuchen, wie stark sich das Tal durch die Gürbekorrektion und ihre Nachfolgeprojekte verändert hat. Dank der langen Verbauungsgeschichte – schliesslich wurden im Oberlauf seit 1855 ohne Unterbruch und im Unterlauf mit nur wenigen Pausen grosse Schutzprojekte durchgeführt – lässt sich die Entwicklung des Hochwasserschutzes in der Schweiz anhand dieses Gewässers beispielhaft aufzeigen. Interessant sind dabei nicht nur die technischen Entwicklungen, sondern auch der Wandel der Erwartungen an die Schutzmassnahmen.

Zum Verständnis der Thematik ist es wichtig, die historischen Hochwasser soweit als möglich zu rekonstruieren. In einem ersten Schritt wird in diesem Buch daher die Chronik der historischen Schadensereignisse der Gürbe und ihrer Seitenbäche vorgestellt. Sie verdeutlicht nicht nur das Ausmass der Hochwassergefahr, sondern zeigt auch auf, weshalb stets neue Projekte initiiert werden mussten. Der Hauptteil des Buchs konzentriert sich dann auf die Hochwasserschutzgeschichte: Wie entwickelte sich der Hochwasserschutz in der Schweiz? Welche Massnahmen wurden seit dem 19. Jahrhundert an der Gürbe vorgenommen? Wie waren die Projekte organisiert und wie wurden sie finanziert? Welche Schwierigkeiten und Konflikte entstanden bei der Umsetzung der Schutzmassnahmen? Ein letzter Schwerpunkt liegt schliesslich auf den Folgen der Hochwasserschutz- und Entsumpfungsprojekte. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Jahre 1855 bis 2010, wobei teilweise auch ein Blick weiter zurück geworfen oder die Gegenwart beziehungsweise die Zukunft in den Blick genommen wird.

Als Grundlage für die Erarbeitung der Hochwasserschutzgeschichte der Gürbe dienten die historischen Dokumente. Sie sind glücklicherweise noch zahlreich vorhanden, so dass eine grosse, vielfältige Quellensammlung zusammengetragen werden konnte. Diese erlaubt es, das Thema aus breiter Perspektive zu untersuchen und dabei besonders die Vorgänge und Entwicklungen auf der lokalen Ebene zu beleuchten. Besonders umfangreich sind die schriftlichen Zeugnisse: Neben dem Verwaltungsschrifttum der zuständigen Kantons- und Bundesstellen oder den Protokollbüchern und der Korrespondenz der Schwellengenossenschaften sind beispielsweise auch die alten Schwellenreglemente oder die Gesetze und Verordnungen noch erhalten [Abb. 1.2]. Aufschluss liefern zudem verschiedene Bilddokumente wie alte Karten und Pläne, technischen Zeichnungen oder Fotografien.

Abb. 1.2: Erstes Protokollbuch der Schwellengenossenschaft Obere Gürbe (1883–1930).

Die in verschiedenen Archiven gelagerten Protokollbücher der ehemaligen Schwellengenossenschaften liefern Informationen zu den Überschwemmungen und den Hochwasserschutzprojekten, aber auch zu alltäglichen Themen wie dem Gewässerunterhalt oder der Höhe der Schwellentellen.

Quelle: StAB V Obere Gürbe 1.

Die aussergewöhnlich gute Quellensituation ist vor allem den verschiedenen öffentlichen und privaten Archiven zu verdanken: Das Staatsarchiv des Kantons Bern, das Bundesarchiv, das Archiv des Tiefbauamts des Kantons Bern (Oberingenieurkreis II), das Archiv des Wasserbauverbands Obere Gürbe, das Archiv des Wasserbauverbands Untere Gürbe und Müsche, das Archiv der Schwellenkorporation Fallbach, das Archiv des Forstreviers Wattenwil sowie die Gemeindearchive Wattenwil und Mühlethurnen lieferten wertvolle Dokumente.

Das Buch basiert auf einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit, die auf Anregung der Hochwasserschutzakteure der Gürbe erstellt wurde. Für die vorliegende Publikation wurde diese Dissertation gekürzt, neu zusammengestellt und reich bebildert. Die Texte sind grösstenteils neu formuliert, wobei einige Passagen auch übernommen wurden. Die vollständige Arbeit wurde unter dem Titel Der Hochwasserschutz an der Gürbe. Eine Herausforderung für Generationen (1855–2010) ebenfalls im Schwabe Verlag veröffentlicht. Interessierte finden darin viele ergänzende Informationen zum Hochwasserschutz an der Gürbe und in der Schweiz, Ausführungen zu methodischen und theoretischen Fragen, einen ausführlichen Forschungsstand sowie die vollständigen und kommentierten Quellen- und Literaturangaben.

2. Die Gürbe und ihre Überschwemmungen

Wer der Gürbe an einem ruhigen, sonnigen Tag dabei zusieht, wie sie durch ihr Bett plätschert, kann sich kaum vorstellen, dass sie auch ein anderes Gesicht haben kann. In der breiten, flachen Gürbetalebene gerät das Flüsschen sogar fast in Vergessenheit, und die grossen Sperren im Oberlauf wirken überproportional. Wie sehr dieser Eindruck täuscht, zeigt sich bei Hochwasser. Ein Gewitter reicht, um die Gürbe um ein Vielfaches anschwellen zu lassen und in einen reissenden Fluss zu verwandeln – einen Fluss, der Dämme durchbricht, Hindernisse aus dem Weg räumt und die Talebene überflutet. Der Blick in die alten Zeitungen oder die Protokolle der Schwellengenossenschaften zeigt, dass die Gürbe in der Vergangenheit schon viele Schäden und auch Leid verursacht hat.

2.1 Der Gürbelauf und die Naturgefahren

Der Ursprung der Gürbe liegt im Gurnigel- und Gantrischgebiet in den bernischen Voralpen. Hoch oben auf 1685 Metern über Meer, auf der Alp Obernünenen, entspringt sie im Kessel zwischen dem Gantrisch und der Nünenenflue. Noch als kleines Rinnsal fliesst sie ihre ersten Kilometer durch den Quellkessel [Abb. 2.1]. An dessen Ausgang stürzt das Wasser den Gürbefall die Tschingelflue hinunter.

Abb. 2.1: Der Quellkessel der Gürbe zwischen Gantrisch und Nünenen.

Quelle: Eigene Aufnahme.

An diesen obersten Teil des Gürbeeinzugsgebiets schliesst im Osten das Einzugsgebiet des Fallbachs an, einem der wichtigsten Zuflüsse der Gürbe. Er entspringt den steilen Hängen zwischen Wirtneren und Homad und verfügt ebenfalls über einen ausgeprägten Quellkessel. Dieser wird auch vom Blattenheidgraben und vom Sulzgraben, zwei Zuflüssen des Fallbachs, durchflossen. Die Bäche vereinigen sich in der Fallbachschlucht [Abb. 2.2].

Abb. 2.2: Karte des oberen Einzugsgebiets der Gürbe, 1:25 000. Nicht massstäblich dargestellt.

Quelle: swisstopo. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA16062).

Unterhalb der Alp Tschingel, auf der Höhe von rund 1300 Metern über Meer, gewinnt die Gürbe dann merklich an Grösse, da sie sich hier mit mehreren Wildwassergräben vereinigt. Der grösste davon ist der Schwändlibach.

Die Gürbe fliesst nun nordostwärts durch die steile Gürbeschlucht. Da der Untergrund hier aus weichem, leicht erodierbarem Flyschgestein besteht, gräbt sich das Wasser immer tiefer in den Berg hinein. Die Gürbe und ihre Zuflüsse, die in diesem Gewässerabschnitt zahlreich sind, bildeten so eine zerklüftete Landschaft mit Gräben und Rücken. Die wichtigsten Seitenbäche sind der Meierisligraben und der Tiefengraben [Abb. 2.3]. Der weiche Flysch und die in diesem Gebiet ebenfalls vorkommenden Molasseschichten führen dazu, dass im Oberlauf der Gürbe viel Geschiebe anfällt. Durch die zeitweise hohe Feststoffführung, das grosse Gefälle und die starken Abflussschwankungen hat der Gürbeoberlauf den Charakter eines Wildbachs.

Abb. 2.3: Hydrologische Karte des Oberlaufs der Gürbe.

Quelle: BVE: Geoportal des Kantons Bern. Kartengrundlage: swisstopo. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA16062).

Die steile Schluchtstrecke endet im Bereich des Hohli, wo die Gürbe in den Schwemmkegel übergeht. Während das Gefälle im Gebirgsteil zwischen 6 und 20 Prozent beträgt, sind es nun noch 1 bis 2 Prozent. Nach der rund 2,5 Kilometer langen Übergangszone, in welcher der Fallbach einmündet, beginnt der Unterlauf der Gürbe. Hier, auf dem rund 20 Kilometer langen Weg durch den Talboden bis in die Aare, ist die Neigung mit 0,15–0,4 Prozent sehr gering. Die Ebene wird seitlich durch zwei Hügelzüge abgegrenzt: Östlich trennt der Belpberg das Tal vom parallel verlaufenden Aaretal ab, westlich der Längenberg vom Schwarzenburgerland. Beide Seitenhänge sind durchschnittlich 300 Meter hoch. Im südlichen Teil bis Gelterfingen ist die Ebene rund 1500 Meter breit, verengt sich dann nach Norden hin und weist zuunterst noch eine Breite von knapp 600 Metern auf, bevor sie sich wieder öffnet und im 8 Quadratkilometer grossen Becken von Belp mit dem Aaretal vereint.

Die Gürbe nimmt auch im Unterlauf verschiedene Zuflüsse auf, die jedoch deutlich kleiner sind als die gefährlichen Seitengräben im Gebirgsteil [Abb. 2.4]. Nichtsdestotrotz können auch diese bei Gewitterregen rasch anschwellen und viel Wasser, Erd- und Gesteinsmaterial ins Tal führen. Der grösste Zufluss ist die Müsche. Die Grosse Müsche hat ihren Ursprung in dem auf der Amsoldinger Platte gelegenen Geistsee, wendet sich dann nach Norden, durchfliesst Gurzelen und tritt anschliessend in die Talebene ein. Die Quelle der Kleinen Müsche liegt südlich von Seftigen. Der Lauf und Mündungsort der Grossen und Kleinen Müsche wurden im Zuge der Hochwasserschutzarbeiten stark verändert.

Nachdem die Gürbe als Talfluss die Ebene und schliesslich das Becken von Belp, das zum Flussgebiet sowohl der Gürbe wie auch der Aare gehört, durchflossen hat, mündet sie unterhalb von Selhofen in der Gemeinde Kehrsatz in die Aare.

Abb. 2.4: Hydrologische Karte des Unterlaufs der Gürbe.

Quelle: BVE: Geoportal des Kantons Bern. Kartengrundlage: swisstopo. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA16062).

Bedingt durch die Lage zwischen Voralpen und Mittelland lässt sich das Gürbetal in das südliche obere und das nördliche untere Tal einteilen; der Ober- und Unterlauf der Gürbe unterscheiden sich dabei stark (zweiteiliges Gerinne) [Tab. 2.1]. Die Verschiedenheit zeigt sich am Gefälle, an den Gesteins- und Bodenarten und an den hydrologischen Verhältnissen, also am Abfluss und der Hochwasserbildung der Gürbe [Abb. 2.5]. Sowohl die Entstehung, die Art als auch die Schäden der Hochwasser und Überschwemmungen unterscheiden sich deshalb im Ober- und Unterlauf deutlich.

Einzugsgebietsfläche

Gesamte Gürbe: 131,2 km2

Oberes Einzugsgebiet bis Burgistein: 52,9 km2

Oberes Einzugsgebiet ohne Fall- und Mettlenbach: 12,1 km2

Unteres Einzugsgebiet: 78,3 km2

Höchster Punkt

2176 m ü. M.

Tiefster Punkt

508 m ü. M.

Mittlere Geländeneigung 

Oberlauf: 12,9° bzw. 23 %

Unterlauf: 6,3° bzw. 11 %

Länge Hauptgerinne

28,7 km

Tab. 2.1: Physiografische Kenngrössen des Gürbe-Einzugsgebiets.

Quelle: HADES: Tafel 1.2; BVE Geoportal des Kantons Bern; swisstopo: Landeskarte 1:25 000; Jäckle 2013: 10; Scherrer, Frauchiger 2011: 4.

Abb. 2.5: Geologische Karte der Gantrischregion, 1:200 000. Nicht massstäblich dargestellt.

Quelle: swisstopo. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA16062).

Hochwasser und Überschwemmung

Als Hochwasser wird ein Wasserstand oder Abfluss eines Gewässers bezeichnet, der deutlich über dem langjährigen Mittelwert liegt. Hochwasser sind eine natürliche Erscheinungsform und gehören zur Dynamik eines Fliessgewässers dazu. Sie werden häufig erst ab einer bestimmten Grösse beachtet, denn die kleinen Ereignisse laufen – wie bei Naturereignissen üblich – in der Regel fast unbemerkt ab. Die hohen Abflüsse stossen üblicherweise erst auf gesellschaftliche Resonanz, wenn das Wasser aus dem Flussbett tritt und eine Überschwemmung verursacht, also eine vorübergehende Bedeckung einer Landfläche ausserhalb des Gewässerbetts mit Wasser. Werden auf den überfluteten Flächen noch Feststoffe abgelagert, wird von einer Übersarung gesprochen. Aus Sicht der Umwelt interessieren die Abflüsse, bei welchen der Geschiebetrieb einsetzt, Auen benetzt werden oder das Flussbett verändert wird.

Natürliche Hochwasser sind – mit Ausnahme von Schwallwellen, die beim Ausbruch von aufgestautem Wasser entstehen – eine Folge von Niederschlägen. Ihr Ausmass steht daher in engem Zusammenhang mit der Menge, der Dauer und der Intensität der Regen- und Schneefälle. Die Schneeschmelze führt allein selten zu Hochwasser, kann sich allerdings mit Niederschlägen kumulieren. Zudem trägt die Schneeschmelze auch dadurch zur Hochwasserbildung bei, dass durch sie die Böden derart gesättigt sein können, dass die Niederschläge direkt in Abfluss umgewandelt werden.

Zwischen der Regenmenge und -intensität und der Höhe des Abflusses besteht nicht zwangsläufig ein direkter Zusammenhang. Ob und wie es zu Hochwasser kommt, hängt auch vom hydrologischen Zustand des Einzugsgebietes ab. Besonders den Böden kommt dabei eine grosse Bedeutung zu. Im oberen Gürbeeinzugsgebiet zeichnen sich diese durch eine grosse Wasserundurchlässigkeit und geringe Speicherfähigkeit aus. Zusätzliches Wasser fliesst deshalb rasch ab. Im Unterlauf können aufgrund der anderen Bodenarten deutlich grössere Wassermengen vorübergehend gespeichert werden. Wichtig ist, dass jedes Hochwasser das Ergebnis einer Ursachenkonstellation ist und trotz Gesetzmässigkeiten über einen einmaligen Charakter verfügt. Grundsätzlich tritt unter natürlichen Klimabedingungen eine erhebliche Schwankung in der Häufigkeit von Überschwemmungen auf.

Innerhalb des Gürbetals unterscheiden sich die Niederschlagsverhältnisse deutlich: Von Norden nach Süden, also von der zum Mittelland gehörenden Talebene hin zum Gantrischgebiet im Bereich der Voralpen gibt es einen starken Niederschlagsanstieg. Im unteren Einzugsgebiet beträgt die Niederschlagssumme rund 1100 Millimeter pro Jahr, oben im Gantrischgebiet hingegen rund 2000 Millimeter [Abb. 2.6].

Abb. 2.6: Räumliche Niederschlagsverteilung im Einzugsgebiet der Gürbe und in den Berner Alpen.

Quelle: Schwarb et al. 2001: Tafel 2.6.

Das Gantrischgebiet befindet sich in einer der niederschlagsreichsten Zonen der Schweiz und ist eine bekannte Gewitterbrutstätte: Zwischen dem Gantrisch und der westlich gelegenen Kaiseregg bilden sich bei sommerlichen Flachdrucklagen immer wieder starke Gewitter. Tagesniederschlagsmengen von 40 bis 50 Millimeter sind hier keine Seltenheit.

Die Gewitter können, je nach Intensität und Durchnässung der Böden durch vorherige Niederschläge, Hochwasser der Gürbe und ihrer Seitenbäche verursachen. Besonders im Oberlauf führen die Gewitterregen rasch zu einem Ansteigen der Abflüsse. Die Hochwasser der oberen Gürbe zeichnen sich zudem – wie bei Wildbächen typisch – durch eine starke Feststoffverlagerung aus: Das Wasser trägt also viel Erd- und Gesteinsmaterial, aber auch Holz mit sich fort. Die Feststoffe werden in der Regel in der Übergangszone, wo die Gürbe stark an Gefälle verliert, abgelagert. Das in den Gemeinden Wattenwil und Blumenstein liegende Gebiet ist daher besonders schadensanfällig [Abb. 2.7].

Abb. 2.7: Überschwemmung des Fallbachs in Blumenstein im Mai 1930.

Die Berner Illustrierte druckte am 24. Mai 1930 auf der Titelseite eine Fotografie der Abwehrarbeiten während der Überschwemmung vom 14.–16. Mai ab. Die Felder neben dem Fallbach sind mit vielen Steinen und mitgespülten Baumstämmen bedeckt.

Quelle: Berner Illustrierte, 24.05.1930.

Im Unterlauf sind die Hochwasser der oberen Gürbe meistens bereits deutlich abgeschwächt, was an der Retention liegt. Bei grossen Hochwassern ist es aber möglich, dass viel Wasser, aber auch Geschiebe und Holz bis in die flache Talebene getragen wird. Tritt dies ein, entstehen dort deutlich grössere Schäden als durch reine Überflutungen.

Retention

Als Retention wird die Abminderung des Spitzenabflusses durch den Rückhalt eines Teils des abfliessenden Wassers im Einzugsgebiet bezeichnet. Der Wasserrückhalt kann entweder durch natürliche Gegebenheiten oder durch künstliche Massnahmen erfolgen. Die typische Retention ist die Überflutung der gewässerangrenzenden Gebiete. Selten hat auch das Gewässerbett selber einen dämpfenden Einfluss auf die Hochwasserspitze. An der Gürbe sind in der Talebene eine wirksame Retention und sogar eine Gerinneretention möglich, was sich besonders beim Ereignis von 1990 zeigte.

Die hohen Abflüsse im unteren Gewässerabschnitt sind in der Regel durch langandauernde, grössere Gebiete betreffende Niederschläge von mehr als einem Tag Dauer bedingt. Neben der unteren Gürbe führen dann üblicherweise auch andere Gewässer Hochwasser. Nach ausgiebigen, langandauernden Niederschlägen mit Zentrum im oberen Einzugsgebiet der Gürbe können sowohl in Burgistein wie auch in Belp hohe Abflusswerte erreicht werden.

Abb. 2.8: Hochwasser des Tiefengrabens im Schmidenbruch, 29. Juli 2013.

Quelle: Fotografie zur Verfügung gestellt von Christian Habegger, Wattenwil.

Die Hochwasser des Unterlaufs steigen weniger rasch an und führen deutlich weniger Feststoffe mit sich. Sie verursachen Überflutungen, die in der flachen Ebene tagelang dauern können. Am stärksten überflutungsgefährdet ist der Raum Selhofen-Belpmoos-Belpau. Dieses Gebiet gehört zu zwei Flussräumen; hier können sowohl die Gürbe als auch die Aare die Ebene überschwemmen. Bei Hochwasser der Aare ist es möglich, dass die Gürbe zurückgestaut wird und ihr Pegel dadurch ansteigt. Vergangene Ereignisse haben zudem gezeigt, dass sich die beiden Gewässer auf der überfluteten Fläche auch verbinden können, so beispielsweise im Mai 1999, als die Aare im Raum Selhofen quer in die Gürbe floss.

Sowohl im oberen wie im unteren Gürbetal richten auch die Seitenbäche immer wieder bemerkenswert grosse Schäden an [Abb. 2.8]. Diejenigen des oberen Einzugsgebiets bringen wie die Gebirgs-Gürbe viel Geschiebe mit sich, während die unteren oft mitten durch die Siedlungsgebiete führen.

Ausser den Hochwassern und Überschwemmungen gefährden auch Murgänge und Rutschungen das Gürbetal. Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Murgangs – ein ausreichendes Schutt- und Wasserangebot sowie ein steiles Gelände – sind im Gebirgsteil der Gürbe gegeben.

Murgang

Murgänge (auch Mure oder im Schweizer Dialekt Rüfe genannt) sind ein fliessendes Gemisch von Wasser und Feststoffen mit einem hohen Feststoffanteil, das häufig in mehreren Schüben niedergeht. Zur Entstehung von Murgängen braucht es ausreichend Schutt, Wasser und ein genügend steiles Gefälle. Murgänge treten demnach vorwiegend im Hochgebirgsraum und in den Voralpen auf. Sie gehen in Wildbächen häufig mit grossen Hochwasserereignissen einher beziehungsweise sind ein Teil davon. Muren stehen oftmals auch im Zusammenhang mit Rutschungen, da durch die Materialeinträge die Sohle des Wildbachgerinnes stärker beansprucht wird, was zu massiver Erosion im Bachbett führen kann. Die Erdrutsche tragen somit zur Verfügbarkeit von Feststoffen bei.

Die Murgänge können besonders durch das mittransportierte Material bedeutende Schäden verursachen. Einerseits besteht die Gefahr von Verklausungen (teilweiser oder vollständiger Verschluss der Gewässer durch die angeschwemmten Feststoffe), und andererseits können die Bäche über die Ufer treten und das Holz, Erd- und Gesteinsmaterial ausserhalb des Gerinnes ablagern.

Eines der grössten Murgangereignisse im Einzugsgebiet der Gürbe ereignete sich am 22. April 1987 im Tiefengraben [Abb. 2.9]. Ausgelöst durch die starke Durchnässung der Böden als Folge der raschen Schneeschmelze in Kombination mit einem Gewitter, rutschten rund 40 000 m3 Material murgangähnlich ab. Zuvor hatten sich im instabilen Gebiet bereits mehrere Rutschungen ereignet. Der Murgang verursachte grosse Schäden an den Wildbachverbauungen und im Bachbett, am Wald, an Brücken und an Strassen. Rund 150 Schwellen wurden zerstört. Für die Aufräumarbeiten standen 70 Personen aus dem Wehrdienst und dem Zivilschutz im Einsatz. Wie das Ereignis im Tiefengraben zeigt, sind Murgänge besonders gefährlich, wenn sie sich in Kombination mit Rutschungen ereignen, denn durch diese gerät viel Erd- und Gesteinsmaterial in die Bäche, das dann mit dem Wasser in Richtung Tal transportiert wird.

Abb. 2.9: Situation im Tiefengraben nach dem Murgang von 1987.

Quelle: Fotografie zur Verfügung gestellt von Ernst Winkler, Blumenstein.

Rutschung

Rutschungen, also hangabwärts gerichtete Bewegung von Erd-, Fels- oder Lockergesteinsmassen, ereignen sich an mässig bis steilen Hängen mit 10° bis 40° Neigung. Ihre Erscheinungen können sich hinsichtlich Grösse, Tiefe oder Form der Gleitfläche stark unterscheiden, auch laufen sie je nach Untergrundstruktur, Gesteinsbeschaffenheit und Beteiligung von Wasser anders ab. Für die Auslösung von Rutschungen ist das Zusammenspiel von mehreren Faktoren ausschlaggebend: Einerseits braucht es Grundvoraussetzungen hinsichtlich der geologischen Gegebenheiten, der Hangneigung, der Hydrologie, der Erosion, der Vegetation und der menschlichen Aktivitäten (z. B. Bauarbeiten), welche zu einer eingeschränkten Stabilität des Hanges führen. Andererseits müssen auslösende Ereignisse wie Gewitter, langandauernde Niederschläge oder Schneeschmelze auftreten. Wenn diese Mechanismen dazu führen, dass die einer Rutschung entgegenwirkenden Kräfte kleiner sind als die Schwerkraft, gerät ein Hang ins Rutschen.

Im oberen Tal der Gürbe sind weite Gebiete rutschungsgefährdet; hier treten immer wieder sowohl grosse, langfristige als auch kleine lokale Rutschungen auf. Erstere werden vorwiegend durch langandauernde Niederschläge ausgelöst, die in Kombination mit der Schneeschmelze besonders kritisch sind. Die oberflächlichen und relativ kleinräumigen Rutschungen können hingegen bei einer plötzlichen Änderung der Rahmenbedingungen – also insbesondere nach Starkregen – spontan auftreten.

Die rutschungsgefährdeten Flächen liegen hauptsächlich in der Zone zwischen der Gantrisch-Stockhornkette und der Linie Wattenwil/Rüti bei Riggisberg/Rüschegg-Heubach/Riffenmatt/Plaffeien [Abb. 2.10]. Bekannte Rutschgebiete sind der Schmidenbruch im Tiefengraben, der Jordibruch, der Lehmbruch und das Meierisli. Zahlreiche Seitenbäche, so zum Beispiel der Tiefengraben oder der Meierisligraben, fliessen direkt durch oder am Rand von grossen Rutschmassen ab. Auch an den Seitenhängen im unteren Tal kann es zu kleinen lokalen Rutschungen kommen. Diese stehen meistens im Zusammenhang mit Hochwasserereignissen.

Abb. 2.10: Rutschpartie im Riselbruch, Anfang der 1980er-Jahre.

Quelle: Fotografie zur Verfügung gestellt von Ernst Nussbaum, Wattenwil.

Das Abrutschen der Erdmassen kann zu Schäden an Wiesen und Wald führen und Erschliessungswege und Entwässerungssysteme zerstören. Innerhalb des Bachbetts führen sie zu massiver Erosion. Auch geraten deswegen die Schutzbauten im Gewässerbett unter Druck.

2.2 Die historischen Hochwasser der Gürbe und ihrer Zuflüsse

Für das Leben und Bauen am Wasser bilden möglichst genaue Kenntnisse der Hochwasserabflüsse eine unentbehrliche Grundlage, und besonders das Wissen über die Entstehung und Häufigkeit der Hochwasser ist zentral. Ein wichtiger Anhaltspunkt dafür liefern die Daten der Pegelmessungen. An der Gürbe wurden die Wasserstände erstmals zwischen 1867 und 1873 im Rahmen der Grossen Gürbekorrektion gemessen [Abb. 2.11]. Regelmässige Erhebungen kamen – wie an vergleichbaren mittleren und kleineren Flüssen – aber erst im 20. Jahrhundert auf.

Abb. 2.11: Grafische Auswertung der Wasserstandsmessung der Gürbe in Belp von 1867.

Quelle: BAR E 3210 (A) 1000/739 Nr. 221.

Abflussmessungen seit dem 18. Jahrhundert

Bis ins 18. Jahrhundert beschränkte sich der Hochwasserschutz auf einige wenige punktuelle Massnahmen sowie die Sicherung der Ufer. Deswegen bestand wenig Bedarf an der systematischen Erhebung von Abflüssen. Von Interesse waren vor allem die Wasserstände der extremen Hochwasser, die anhand von Merkpunkten an Brücken oder Mauern bestimmt wurden. Eine instrumentelle Weiterentwicklung der Hochwassermarken sind die Pegel. Die ersten regelmässigen Pegelmessungen der Schweiz stammen – wie auch die ersten Luftdruck-, Temperatur- und Niederschlagsmessreihen – von Johann Jakob Scheuchzer. Der Naturforscher las zwischen 1708 und 1731 die Pegel des Zürichsee-Ausflusses in die Limmat ab. Im Laufe des 18. Jahrhunderts und vor allem im 19. Jahrhundert wurden dann zahlreiche weitere See- und Flusspegelmessstationen errichtet. Deren Hintergrund waren häufig die Flusskorrektionen, denn die Wasserbauer benötigten zum Berechnen neuer Flussbette die Abflusswerte der Gewässer. In der Anfangszeit bestand zwischen den verschiedenen Messstationen kein Zusammenhang. Eine Vereinheitlichung erreichte erst das Eidgenössische Hydrometrische Zentralbureau in den 1860er-Jahren. Mit der Zeit wurde das Messnetz stetig erweitert, und ab der Mitte des 20. Jahrhunderts kamen zu den eidgenössischen zusätzlich kantonale und private Stationen hinzu.

Die Messstation in Belp ist seit 1922 in Betrieb, diejenige in Burgistein sogar erst seit 1981 [Abb. 2.12; 2.13]. Die Abflussmessungen zeigen, dass die Gürbe im Oberlauf jeweils im Mai/Juni am meisten Wasser führt, was an der Schneeschmelze liegt. Die geringsten Abflüsse werden in der Regel im Februar gemessen. Im Unterlauf treten die maximalen Abflüsse im Frühjahr (insbesondere im Mai) und die minimalen im Oktober auf.

Abb. 2.12: Jahreshochwasser der Gürbe in Belp 1922–2010.

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten des BAFU.

Abb. 2.13: Jahreshochwasser der Gürbe in Burgistein 1981–2010.

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Daten des AWA.

Die höchsten Messwerte der Untersuchungsperiode (bis 2010) wurden in Belp am 15. Juli 1938 und in Burgistein am 29. Juli 1990 gemessen [Tab. 2.2]. Im niederschlagsreichen Sommer 2014 betrug die Abflussspitze in Belp 60,8 m3/s, was höher als in den bisherigen Spitzenjahren 1938 und 1957 war und somit den höchsten Wert seit Messbeginn darstellte. In Burgistein wurden an diesem Tag 52,4 m3/s registriert. Dies ist der zweithöchste Messwert bis heute, liegt aber deutlich unter dem Spitzenwert von 1990.

Mess­station

Mittlerer Jahres­abfluss

Höchste Jahres­hoch­wasser­spitze

Niedrigste Jahres­hoch­wasser­spitze

Belp

2,62 m3/s

59,3 m3/s (15.07.1938)

8,38 m3/s (23.06.1924)

Burgistein

1,33 m3/s

92,5 m3/s (29.07.1990)

13,1 m3/s (07.06.1998)

Tab. 2.2: Eckpunkte der Abflussmessungen in Belp und Burgistein von Inbetriebnahme der Messstationen bis 2010.

Quelle: BAFU (Hg.) 2017; AWA (Hg.) 2017.

Die Abflussmessungen bieten einen ersten Eindruck über das Hochwassergeschehen, sind jedoch zum Einordnen und Beurteilen der historischen Hochwasserereignisse nur begrenzt aussagekräftig. Problematisch ist, dass die Pegelmessgeräte bei grösseren Hochwasserereignissen oft umspült oder sogar beschädigt werden. Zudem liefern die Messungen nur eingeschränkte Aussagen über die eigentlichen Überschwemmungen. Zum Berechnen, wie viel Wasser das Flussbett verlassen hat, braucht es mehrere Messstationen, was an der Gürbe erst seit wenigen Jahrzehnten der Fall ist. Die Werte liefern auch keine Informationen über das Ausmass der Schäden, die sich nicht proportional zur Abflussmenge verhalten. Ob und welche Schäden ein Hochwasser verursacht, hängt sehr stark von der Art und dem Zustand der Schutzbauten sowie von der Nutzung der umliegenden Gebiete ab. Je intensiver das gewässernahe Gebiet genutzt ist (durch die Landwirtschaft, aber auch durch Gebäude oder Verkehrswege), desto grösser ist das Schadenspotenzial. Eine weitere zentrale Schwäche der Messungen liegt in ihrer kurzen Dauer. Da sich das Klima und damit auch das Niederschlagsgeschehen im Laufe der Zeit verändern, sind die nur einige Jahrzehnte umfassenden Messreihen für sinnvolle Interpretationen zu wenig aussagekräftig.

Es ist also nötig, die auf der Grundlage der Messungen erstellten Hochwasserstatistiken mit zusätzlichen Informationen zu ergänzen. Um ein vollständigeres Bild über die Hochwasser der Gürbe zu erhalten, sind Angaben zu weiter zurückliegenden Ereignissen sowie zum Hergang, dem räumlichen Ausmass und den Schäden der Hochwasser notwendig. Nur so können die Extremereignisse eingeordnet und mögliche Hochwasser für die Zukunft abgeschätzt werden.

Als Informationsquellen für diese lange Hochwasserchronik der Gürbe bieten sich verschiedenste Dokumente an: Neben Datenbanken, alten Büchern und Zeitungsberichten liefern besonders die Akten zu den Hochwasserschutzprojekten wichtige Hinweise. Damit lässt sich eine Chronik zusammenstellen, die Angaben zu den Daten, dem Ausmass, der Ursache und den Schäden der Ereignisse enthält (Anhang 2