Die verschwundene Prinzessin von Oz - Die Oz-Bücher Band 11 - L. Frank Baum - E-Book

Die verschwundene Prinzessin von Oz - Die Oz-Bücher Band 11 E-Book

L. Frank Baum

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Beschreibung

Im 11. Band der Oz-Reihe - Die verschwundene Prinzessin von Oz - zieht ein rätselhafter nächtlicher Raubzug weite Kreise im Märchenland Oz. Eines Nachts verschwinden auf geheimnisvolle Weise sämtliche magischen Utensilien aus Oz, was Glinda und den Zauberer hilflos zurücklässt. Aber was noch viel schlimmer ist: Auch Ozma von Oz ist verschwunden! Sofort werden Suchtrupps gebildet, die ganz Oz auf der Suche nach Ozma durchkämmen. Dorothy und der Zauberer, die einen der Suchtrupps leiten, müssen sehr weit reisen, ehe sie eine Spur von Ozma entdecken. Doch es scheint unmöglich, sie ohne Magie wiederzugewinnen... Empfohlenes Alter: 5 bis 10 Jahre. Große Schrift, auch für Leseanfänger geeignet.

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Seitenzahl: 231

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Dieses Buch ist meiner Enkelin OZMA BAUM gewidmet.

Nach dem Text der amerikanischen Erstausgabe von „The Lost Princess of Oz” (1917) übersetzt von Maria Weber.

Inhalt.

An meine Leser.

Kapitel 1: Ein schrecklicher Verlust.

Kapitel 2: Die Nöte Glindas der Guten.

Kapitel 3: Tortie die Plätzchenbäckerin.

Kapitel 4: Unter den Winkies.

Kapitel 5: Ozmas Freunde sind ratlos.

Kapitel 6: Der Suchtrupp.

Kapitel 7: Die Karussellberge.

Kapitel 8: Die geheimnisvolle Stadt.

Kapitel 9: Der Hohe Coco-Lorum von Dist.

Kapitel 10: Toto hat etwas verloren.

Kapitel 11: Helles Köpfchen verirrt sich.

Kapitel 12: Der Zarüber von Herku.

Kapitel 13: Der Wahrheitsteich.

Kapitel 14: Der unglückliche Fährmann.

Kapitel 15: Der große Lavendelfarbene Bär.

Kapitel 16: Der kleine Rosa Bär.

Kapitel 17: Die Begegnung.

Kapitel 18: Die Konferenz.

Kapitel 19: Ugu der Schuhmacher.

Kapitel 20: Weitere Überraschungen.

Kapitel 21: Magie gegen Magie.

Kapitel 22: In der Weidenburg.

Kapitel 23: Der Widerstand Ugus des Schuhmachers.

Kapitel 24: Der kleine Rosa Bär sagt die Wahrheit.

Kapitel 25: Ozma von Oz.

Kapitel 26: Dorothy vergibt.

An meine Leser.

EINIGE meiner jungen Leser entwickeln eine wunderbare Phantasie. Das gefällt mir. Die Phantasie hat die Menschheit durch die dunklen Zeitalter in ihren gegenwärtigen Zustand der Zivilisation geführt. Sie führte dazu, daß Kolumbus Amerika entdeckte. Die Phantasie brachte Franklin dazu, die Elektrizität zu entdecken. Die Phantasie hat uns die Dampfmaschine, das Telefon und das Automobil gegeben, denn diese Dinge mußten geträumt werden, ehe sie Wirklichkeit werden konnten. Ich glaube daher, daß Träume – Tagträume, mit weit geöffneten Augen und rege arbeitendem Verstand – dazu führen können, daß unsere Welt eine bessere wird. Das phantasievolle Kind wird der einfallsreiche Mann oder die kreative Frau werden, die am ehesten dazu geeignet sind, zu erschaffen und zu erfinden und dadurch die Zivilisation zu fördern. Ein berühmter Erzieher sagte mir, daß Märchen bei der Entwicklung der kindlichen Vorstellungskraft von unschätzbarem Wert sind. Ich glaube es ihm.

Unter den Briefen, die ich von Kindern erhalte, gibt es viele, die Vorschläge enthalten, worüber ich „im nächsten Oz-Buch schreiben“ könnte. Einige der geäußerten Ideen sind sehr interessant, während andere zu außergewöhnlich sind, um ernsthaft in Betracht gezogen zu werden – selbst in einem Märchen. Doch ich mag sie alle, und ich muß zugeben, daß das Grundkonzept zu „Die verschwundene Prinzessin von Oz“ mir von einem lieben elfjährigen Mädchen vorgeschlagen wurde, das mich besuchte, um mit mir über das Land von Oz zu sprechen. Sie sagte: „Ich vermute, wenn Ozma jemals abhanden kommen oder entführt würde, wäre jeder in Oz furchtbar traurig.“

Das war alles, und doch war es eine genügende Grundlage, um die hier vorliegende Geschichte aufzubauen. Wenn euch die Geschichte gefällt, solltet ihr dem schlauen Hinweis meiner kleinen Freundin Anerkennung zollen.

L. Frank Baum,

Königlicher Historiker von Oz

Kapitel 1.

Ein schrecklicher Verlust.

AN der Tatsache konnte es keinen Zweifel geben: Prinzessin Ozma, die schöne Herrscherin des Märchenlandes von Oz, war verschwunden. Sie hatte sich regelrecht in Luft aufgelöst. Nicht einer ihrer Untertanen – nicht einmal ihre engsten Freunde – wußte, was aus ihr geworden war. Es war Dorothy, die es zuerst entdeckte. Dorothy war ein kleines Mädchen aus Kansas, das ins Land von Oz gekommen war, um dort zu leben, und eine entzückende Wohnung in Ozmas Königspalast bekommen hatte, weil Ozma Dorothy liebte und wollte, daß sie so nahe wie möglich bei ihr lebte, damit die beiden Mädchen oft zusammen sein konnten.

Dorothy war nicht das einzige Mädchen aus der Außenwelt, das in Oz ein neues Zuhause gefunden hatte und im königlichen Palast lebte. Es gab noch ein anderes namens Betsy Bobbin, deren Abenteuer sie dazu geführt hatten, bei Ozma Zuflucht zu suchen, und noch ein weiteres namens Trot, das zusammen mit seinem treuen Begleiter Käpt'n Bill eingeladen worden war, in diesem wunderbaren Märchenland zu leben. Alle drei Mädchen bewohnten Zimmer im Palast und waren eng miteinander befreundet; aber Dorothy war die liebste Freundin der liebenswürdigen Herrscherin, und nur sie wagte es zu jeder Stunde, Ozma in ihren königlichen Gemächern aufzusuchen. Denn Dorothy hatte viel länger als die anderen Mädchen in Oz gelebt und war zu einer Prinzessin erhoben worden.

Betsy war ein Jahr älter als Dorothy, und Trot war ein Jahr jünger, doch die drei waren altersmäßig nahe genug beieinander, um gute Spielkameradinnen zu sein und viel Spaß miteinander zu haben. Und so geschah es, während die drei eines Morgens in Dorothys Zimmer miteinander redeten, daß Betsy vorschlug, eine Reise in das Munchkin-Land zu unternehmen, welches eines der vier großen Länder des von Ozma regierten Landes von Oz war. „Ich war noch nie dort“, sagte Betsy Bobbin, „aber die Vogelscheuche hat mir einmal gesagt, daß es der schönste Landstrich in ganz Oz ist.“

„Ich würde auch gerne gehen“, fügte Trot hinzu.

„In Ordnung“, sagte Dorothy. „Ich werde gehen und Ozma fragen. Vielleicht läßt sie uns das Sägepferd und den Roten Wagen nehmen, was für uns viel schöner wäre, als den ganzen Weg laufen zu müssen. Dieses Land von Oz ist ein ziemlich großer Ort, wenn man in alle Ecken davon kommt.“

Also sprang sie auf und ging durch die Säle des prächtigen Palastes, bis sie zu den königlichen Privatgemächern kam, die die ganze Vorderseite des zweiten Stocks einnahmen. In einem kleinen Vorzimmer saß Ozmas Zofe Jellia Jamb, die eifrig nähte. „Ist Ozma schon wach?“, fragte Dorothy.

„Ich weiß es nicht, meine Liebe“, antwortete Jellia. „Ich habe heute Morgen noch kein Wort von ihr gehört. Sie hat nicht einmal zu ihrer üblichen Zeit nach ihrem Bad oder ihrem Frühstück gerufen.“

„Das ist aber seltsam!“, rief das kleine Mädchen aus.

„Ja“, stimmte das Dienstmädchen zu, „aber natürlich kann ihr nichts zugestoßen sein. Niemand kann im Land von Oz sterben oder getötet werden, und außerdem ist Ozma selbst eine mächtige Fee und hat keine Feinde, von denen wir wissen. Ich bin daher überhaupt nicht besorgt um sie, obwohl ich zugeben muß, daß ihr Schweigen ungewöhnlich ist.“

„Vielleicht“, sagte Dorothy nachdenklich, „hat sie verschlafen. Oder sie liest oder arbeitet an einem neuen Zauber, um ihrem Volk Gutes zu tun.“

„Das könnte alles zutreffen“, antwortete Jellia Jamb, „darum habe ich es nicht gewagt, unsere königliche Herrin zu stören. Ihr jedoch seid ihr besonderer Liebling, Prinzessin, und ich bin überzeugt, daß Ozma überhaupt nichts dagegen hätte, wenn Ihr hineinginget, um nach ihr zu sehen.“

„Gewiß nicht“, sagte Dorothy und trat, nachdem sie die Tür des Vorraums geöffnet hatte, hinein. Alles war noch hier. Sie ging in einen anderen Raum, der Ozmas Salon war, schob dann einen schweren Vorhang zurück, der reich mit Goldfäden bestickt war, und betrat das Schlafgemach der Herrscherin von Oz. Das Bett aus Elfenbein und Gold war leer; das Zimmer war verlassen; von Ozma war keine Spur zu sehen. Sehr überrascht, aber immer noch nicht befürchtend, daß ihrer Freundin etwas zugestoßen sei, kehrte Dorothy durch den Salon in die anderen Räume zurück. Sie sah in das Badezimmer, das Ankleidezimmer und sogar in den großen Thronsaal, der an die königlichen Privatgemächer grenzte, aber an keinem dieser Orte konnte sie Ozma finden.

Also kehrte sie ins Vorzimmer zurück, wo sie Jellia Jamb zurückgelassen hatte und sagte: „Sie ist nicht in ihren Zimmern, also muß sie ausgegangen sein.“

„Ich verstehe nicht, wie sie das hätte tun können, ohne daß ich sie gesehen hätte“, antwortete Jellia, „es sei denn, sie machte sich unsichtbar.“

„Wie dem auch sei, sie ist nicht da“, erklärte Dorothy.

„Dann laß uns sie suchen“, schlug die Zofe vor, die sich ein wenig unbehaglich zu fühlen schien. Also gingen sie durch die Korridore, und dort stolperte Dorothy fast über ein seltsames Mädchen, das leichtfüßig durch den Gang tanzte.

„Warte eine Minute, Scraps!“, rief sie. „Hast du Ozma heute Morgen gesehen?“

„Nein“, antwortete das seltsame Mädchen, indem es sich tänzelnd näherte. „Ich verlor letzte Nacht meine Augen in einem Handgemenge mit dem Woozy, weil das Geschöpf sie beide mit seinen quadratischen Pfoten von meinem Gesicht gekratzt hat. Also steckte ich die Augen in meine Tasche, und heute Morgen führte mich Helles Köpfchen zu Tante Em, die sie wieder annähte. Daher habe ich heute überhaupt nichts gesehen, außer während der letzten fünf Minuten. Und Ozma habe ich natürlich auch nicht gesehen.“

„Schon gut, Scraps“, sagte Dorothy und schaute neugierig auf die Augen, die bloß zwei runde, schwarze Knöpfe waren, die auf das Gesicht des Mädchens genäht waren.

Es gab noch andere Dinge an Scraps, die jemandem, der sie zum ersten Mal sah, seltsam erscheinen würden. Sie wurde gemeinhin das „Patchwork-Mädchen“ genannt, weil ihr Körper und ihre Gliedmaßen aus einer farbenfrohen Patchworkdecke gemacht waren, die in Form geschnitten und mit Baumwolle gefüllt worden war. Ihr Kopf war ein runder Ball, der auf die gleiche Weise gefüllt und an ihren Schultern befestigt war. Als Haar hatte sie eine Masse braunen Wollgarns, und um eine Nase für sie zu machen, war ein Teil des Stoffes in Form eines Knaufs herausgezogen und mit einer Schnur zusammengebunden worden, um sie an Ort und Stelle zu halten. Ihr Mund war sorgfältig gearbeitet worden, indem ein Schlitz an der richtigen Stelle den Stoff durchtrennte und mit roter Seide ausgelegt worden, sowie zwei Reihen Perlen für Zähne und ein Stück roter Flanell für eine Zunge hinzugefügt worden waren.

Trotz dieses seltsamen Aussehens war das Patchwork-Mädchen auf magische Weise lebendig und hatte sich als ebenso lustig und angenehm wie die vielen anderen außergewöhnlichen Charaktere erwiesen, die das erstaunliche Märchenland von Oz bewohnen. In der Tat war Scraps überall beliebt, obgleich sie ziemlich flatterhaft und unberechenbar war und viele Dinge tat und sagte, die ihre Freunde überraschten. Sie war selten still, sondern liebte es zu tanzen, Räder zu schlagen und Purzelbäume zu machen, auf Bäume zu klettern und viele andere Kunststücke zu vollführen.

„Ich werde nach Ozma suchen“, bemerkte Dorothy, „denn sie ist nicht in ihren Gemächern, und ich möchte ihr eine Frage stellen.“

„Ich werde mit dir gehen“, sagte Scraps, „denn meine Augen sind besser als deine und können weiter sehen.“

„Da bin ich mir nicht sicher“, erwiderte Dorothy. „Aber komm mit, wenn du willst.“

Zusammen durchsuchten sie den ganzen großen Palast und suchten das Palastgelände, das sehr ausgedehnt war, bis an die äußersten Grenzen ab, konnten aber nirgends eine Spur von Ozma finden. Als Dorothy dorthin zurückkehrte, wo Betsy und Trot auf sie warteten, war das Gesicht des kleinen Mädchens ziemlich ernst und beunruhigt, denn noch nie zuvor war Ozma ausgegangen, ohne ihren Freunden zu sagen, wohin sie ging, oder ohne eine ihrem königlichen Stand angemessene Eskorte mitzunehmen. Dennoch war sie fort und niemand hatte sie gehen sehen. Dorothy hatte die Vogelscheuche, Tik-Tak, den Zottigen Mann, Helles Köpfchen, Käpt'n Bill und sogar den weisen und mächtigen Zauberer von Oz getroffen und befragt, aber keiner von ihnen hatte Ozma gesehen, seit sie sich am Abend zuvor von ihren Freunden getrennt hatte und in ihre Gemächer gegangen war.

„Sie hat gestern Abend nichts davon gesagt, daß sie irgendwo hingehen wollte“, bemerkte die kleine Trot.

„Nein, und das ist sehr seltsam“, antwortete Dorothy. „Normalerweise benachrichtigt Ozma uns darüber, was sie tut.“

„Warum sehen wir nicht ins Zauberbild?“, schlug Betsy Bobbin vor. „Das wird uns in einer Sekunde sagen, wo sie ist.“

„Natürlich!“, rief Dorothy. „Warum habe ich nicht schon früher daran gedacht?“ Und sofort eilten die drei Mädchen in Ozmas Salon, wo das Magische Bild stets hing. Dieses wundervolle magische Bild war einer der größten Schätze der königlichen Ozma. Es bestand aus einem großen goldenen Rahmen, in dessen Mitte eine blaugraue Leinwand war, auf der ständig verschiedene Szenen auftauchten und verschwanden. Wenn jemand, der vor ihm stand, sehen wollte, was eine Person irgendwo auf der Welt tat, war es nur notwendig, den Wunsch zu äußern und die Szene im Magischen Bild würde sich zu der verändern, in welcher sich diese Person befand und genau zeigen, womit er oder sie sich in diesem Augenblick beschäftigte. Die Mädchen wußten also, daß es ein Leichtes für sie werden würde, Ozma zu sehen, und von dem Bild konnten sie schnell erfahren, wo sie war.

Dorothy ging zu der Stelle, wo das Bild normalerweise von dicken Satinvorhängen verhangen war, und zog die Vorhänge beiseite. Dann erstarrte sie überrascht, während ihre beiden Freundinnen enttäuschte Ausrufe ausstießen.

Das Zauberbild war verschwunden. Nur eine leere Stelle an der Wand hinter den Vorhängen zeigte, wo es früher gehangen hatte.

Kapitel 2.

Die Nöte Glindas der Guten.

AM selben Morgen herrschte große Aufregung im Schloß der mächtigen Zauberin von Oz, Glinda der Guten. Dieses Schloß, das sich im Land der Quadlinge, südlich der Smaragdstadt, in der Ozma regierte, befand, war ein prächtiger Bau aus exquisitem Marmor mit silbernen Verzierungen. Hier lebte die Zauberin, umgeben von einer Schar der schönsten Mädchen von Oz, die aus allen vier Ländern dieses Märchenlandes sowie aus der prächtigen Smaragdstadt selbst stammten, die an der Stelle stand, an der die vier Länder zusammentrafen. Es galt als eine große Ehre, der guten Zauberin dienen zu dürfen, deren magische Kunst nur zum Wohle des Volkes von Oz eingesetzt wurde. Glinda war Ozmas wertvollste Dienerin, denn ihre Kenntnisse der Zauberei waren wunderbar, und sie konnte beinahe alles vollbringen, was ihre Herrin, die reizende jungen Herrscherin von Oz, von ihr erbat.

Von all den magischen Dingen, die Glinda in ihrem Schloß umgaben, war das Wunderbarste ihr Großes Aufzeichnungsbuch. Auf den Seiten dieses Buches wurden ständig alle wichtigen Ereignisse, die sich überall in der bekannten Welt ereigneten, Tag für Tag und Stunde für Stunde aufgezeichnet, und sie wurden genau zu dem Zeitpunkt in das Buch aufgenommen, in dem die Ereignisse stattfanden. Jedes Abenteuer im Land von Oz und in der großen Außenwelt und sogar an Orten, von denen ihr und ich noch nie gehört habt, wurde akribisch in das Große Buch geschrieben, das nie einen Fehler machte und stets die Wahrheit sagte. Aus diesem Grund konnte vor Glinda der Guten nichts verborgen werden, die nur auf die Seiten des Großen Aufzeichnungsbuchs blicken mußte, um alles zu erfahren, was geschehen war. Dies war einer der Gründe, warum sie eine so großartige Zauberin war, denn die Aufzeichnungen machten sie weiser als jede andere lebende Person.

Dieses wunderbare Buch lag auf einem großen goldenen Tisch, der mitten in Glindas Salon stand. Die mit kostbaren Edelsteinen besetzten Tischbeine waren im Fliesenboden verankert, und das Buch selbst war an den Tisch gekettet und mit sechs kräftigen goldenen Vorhängeschlössern befestigt, deren Schlüssel Glinda an einer Kette um ihren Hals trug. Die Seiten des Großen Buches waren größer als die einer Zeitung, und obwohl sie äußerst dünn waren, gab es so viele von ihnen, daß sie einen dickleibigen Band ergaben. Mit seinem goldenen Einband und den goldenen Schnallen war das Buch so schwer, daß drei Männer es kaum anheben konnten. Doch heute Morgen, als Glinda nach dem Frühstück ihren Salon betrat, stellte die gute Zauberin erstaunt fest, daß ihr Großes Aufzeichnungsbuch auf mysteriöse Weise verschwunden war.

Als sie zum Tisch trat, stellte sie fest, daß die Ketten mit einem scharfen Instrument durchtrennt worden waren. Dies mußte geschehen sein, während alle im Schloß geschlafen hatten. Glinda war schockiert und betrübt. Wer konnte zu dieser niederträchtigen kühnen Tat fähig gewesen sein? Und wer könnte den Wunsch haben, sie ihres Großen Aufzeichnungsbuches zu berauben?

Die Zauberin war eine Zeitlang nachdenklich und überdachte die Folgen ihres Verlusts. Dann ging sie in ihr Zaubereizimmer, um einen Zauber vorzubereiten, der ihr sagen würde, wer das Aufzeichnungsbuch gestohlen hatte. Doch als sie ihren Schrank aufschloß und die Türen aufstieß, sah sie, daß alle ihre magischen Instrumente und seltenen chemischen Verbindungen aus den Regalen genommen worden waren. Die Zauberin war jetzt sowohl wütend als auch alarmiert. Sie setzte sich auf einen Stuhl und versuchte zu überlegen, wie dieser außergewöhnliche Raub hatte stattfinden können. Es war offensichtlich, daß der Dieb eine Person von sehr großer Macht war, sonst hätte der Diebstahl nicht ohne ihr Wissen stattfinden können. Aber wer im ganzen Land von Oz war mächtig und geschickt genug, um diese schreckliche Sache zu vollbringen? Und wer könnte sowohl die Macht als auch eine Veranlassung haben, der klügsten und talentiertesten Zauberin, die die Welt je gekannt hat, zu trotzen?

Glinda dachte eine volle Stunde lang über diesen verwirrenden Umstand nach, und am Ende wußte sie immer noch nicht, wie sie ihn erklären sollte. Aber obschon ihre Instrumente und Chemikalien verschwunden waren, war ihr Wissen über Magie keineswegs gestohlen worden, da kein Dieb, wie geschickt er auch sein mag, jemanden seines Wissens berauben kann, aus welchem Grunde Wissen der größte und sicherste Schatz ist, den man erwerben kann. Glinda glaubte, wenn sie Zeit hätte, mehr magische Kräuter und Elixiere zu sammeln und magische Instrumente herzustellen, könnte sie herausfinden, wer der Räuber war und was aus ihrem kostbaren Aufzeichnungsbuch geworden war.

„Wer auch immer das getan hat“, sagte sie zu ihren Zofen, „ist eine sehr dumme Person, denn sie wird gewiß bald gefunden und dann streng bestraft werden.“

Sie machte nun eine Liste der Dinge, die sie brauchte, und sandte Boten mit entsprechenden Anweisungen in jeden Teil von Oz, um sie so schnell wie möglich zu erhalten. Und einer ihrer Boten begegnete dem kleinen Zauberer von Oz, der auf dem Rücken des berühmten, lebendigen Sägepferdes saß und sich mit beiden Armen an seinem Hals festklammerte, denn das Sägepferd raste schnell wie der Wind zu Glinda, um ihr die Nachricht zu überbringen, daß die königliche Ozma, die Herrscherin über das ganze große Land von Oz, plötzlich verschwunden war und niemand in der Smaragdstadt wußte, was aus ihr geworden war.

„Außerdem“, sagte der Zauberer, als er vor der erstaunten Zauberin stand, „ist Ozmas Zauberbild verschwunden, so daß wir es nicht befragen können, um herauszufinden, wo sie ist. Darum kam ich zu Euch, sobald wir unseren Verlust erkannt hatten. Laßt uns in das Große Aufzeichnungsbuch sehen.“

„Leider“, gab die Zauberin traurig zurück, „können wir das nicht tun, denn das Große Aufzeichnungsbuch ist ebenfalls verschwunden!“

Kapitel 3.

Tortie die Plätzchenbäckerin.

EIN weiterer wichtiger Diebstahl wurde an diesem ereignisreichen Morgen im Land von Oz gemeldet, aber er fand so weit sowohl von der Smaragdstadt als auch dem Schloß Glindas der Guten entfernt statt, daß die Personen, die wir erwähnten, erst lange danach von dem Raub erfuhren.

In der südwestlichsten Ecke des Winkie-Landes befindet sich ein großes Plateau, das nur über einen steilen Hügel erreicht werden kann, ganz gleich, von welcher Seite man sich nähert. Es gibt keine Wege, die auf diesen Hügel, der dieses Plateau umgibt, hinaufführen, dafür aber gibt es Mengen von Brombeerhecken mit spitzen Stacheln, die verhindern, daß die Leute, die unten leben, nach oben klettern, um zu sehen, was sich oben befindet. Aber oben leben die Yips, und wenngleich der Raum, den sie einnehmen, nicht sehr groß ist, gehört das kleine Land doch ihnen allein. Die Yips hatten – bis zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Geschichte beginnt – niemals ihr Plateau verlassen, um nach unten in das Land von Oz zu gelangen, noch waren die Leute von Oz jemals in das Land der Yips hinaufgestiegen.

Da die Yips ganz für sich lebten, hatten sie seltsame Sitten und Vorstellungen und ähnelten keinem anderen Volk im Land von Oz. Ihre Häuser waren überall auf der flachen Ebene verstreut; nicht wie eine Stadt gruppiert, sondern überall dort, wo ihre Besitzer sie haben wollten, mit Feldern und Bäumen hier und dort und krummen kleinen Pfaden, die die Häuser miteinander verbanden. Hier entdeckte Tortie die Plätzchenbäckerin an jenem Morgen, als Ozma so plötzlich aus der Smaragdstadt verschwand, daß ihre diamantenbesetzte goldene Spülschüssel gestohlen worden war, und sie erhob ein solches Geschrei wegen ihres Verlustes und heulte und kreischte so laut, daß sich viele der Yips vor ihrem Haus versammelten, um zu fragen, was los sei.

In jedem Teil des Landes von Oz war es eine ernste Sache, jemanden des Diebstahls zu beschuldigen. Als die Yips daher Tortie die Plätzchenbäckerin erklären hörten, daß ihre mit Juwelen besetzte Spülschüssel gestohlen worden war, waren sie sowohl beschämt als auch beunruhigt und zwangen Tortie, mit ihnen zum Froschmann zu gehen, um zu sehen, was man in dieser Sache tun könne. Ich nehme an, daß ihr noch niemals vom Froschmann gehört habt, denn wie alle anderen Bewohner dieses Plateaus war er noch nie von dort weggereist, und niemand war dorthin gekommen, um ihn zu sehen. Der Froschmann stammte ursprünglich von den gewöhnlichen Fröschen von Oz ab, und als er geboren wurde, lebte er in einem Teich im Land der Winkies und war wie jeder andere Frosch. Da er jedoch abenteuerlustig war, sprang er bald aus seinem Becken und begann zu wandern, als ein großer Vogel entlangflog, ihn mit seinem Schnabel packte und mit ihm zu seinem Nest flog. Als er sich in der Luft befand, zappelte der Frosch so verzweifelt herum, daß er freikam und in einen kleinen, versteckten Teich auf der Hochebene der Yips fiel. Nun war dieser Teich den Yips, wie es scheint, unbekannt, da er von dichten Büschen umgeben war und sich nicht in der Nähe einer Behausung befand, und er stellte sich als ein verzauberter Teich heraus, denn der Frosch wurde sehr schnell sehr groß, da er sich von dem magischen Etwas ernährte, das sonst nirgends auf der Erde zu finden ist, außer in diesem einen Teich. Und dieses Etwas ließ den Frosch nicht nur sehr groß wachsen, so daß er, wenn er auf den Hinterbeinen stand, genauso groß war wie jeder andere Yip im Land, sondern machte ihn auch ungewöhnlich intelligent, so daß er bald mehr wußte als die Yips und sehr gut zu erörtern und zu argumentieren vermochte.

Niemand konnte erwarten, daß ein Frosch mit diesen Talenten in einem verborgenen Teich blieb, also stieg er schließlich heraus und mischte sich unter die Bewohner auf der Hochebene, die von seinem Auftreten erstaunt und von seiner Gelehrsamkeit sehr beeindruckt waren. Sie hatten noch nie zuvor einen Frosch gesehen, und der Frosch hatte noch nie einen Yip gesehen, aber da es viele Yips und nur einen Frosch gab, wurde der Frosch zur wichtigsten Person. Er hüpfte nicht mehr, sondern stellte sich aufrecht auf die Hinterbeine und zog sich feine Kleider an, setzte sich auf Stühle und tat alles, was die Leute so tun; und so wurde er bald ‚Der Froschmann‘ genannt, und das ist der einzige Name, den er jemals besessen hatte. Nachdem einige Jahre vergangen waren, betrachteten die Leute den Froschmann in allen Angelegenheiten, die sie verwirrten, als ihren Berater. Sie trugen alle ihre Schwierigkeiten vor ihn, und wenn er etwas nicht wußte, gab er vor, es zu wissen, was offenbar ebensogut als Antwort schien. In der Tat hielten die Yips den Froschmann für viel weiser als er tatsächlich war, und er ließ sie in ihrem Glauben, da er sehr stolz auf seine hohe Stellung war.

Es gab einen anderen Teich auf dem Hochland, der nicht verzaubert war, aber gutes, klares Wasser enthielt und sich in der Nähe der Behausungen befand. Hier bauten die Leute dem Froschmann ein eigenes Haus nahe dem Ufer, so daß er jederzeit baden oder schwimmen konnte. Normalerweise schwamm er am frühen Morgen im Teich, bevor jemand auf war, und während des Tages setzte er sich in seinen schönen Kleidern in sein Haus und empfing die vielen Yips, die zu ihm kamen, um ihn um Rat zu fragen. Das übliche Kostüm des Froschmanns bestand aus Kniebundhosen aus gelbem Satinplüsch mit goldenen Litzen und juwelenbesetzten Knieschnallen; einer weißen Satinweste mit silbernen Knöpfen, in die große Rubine eingelassen waren; einem Frackmantel von hellem Gelb; und grünen Strümpfen und roten Lederschuhen, die an den Zehen nach oben gebogen waren und diamantene Schnallen hatten. Wenn er aus dem Haus ging, trug er einen violetten Seidenhut und trug einen goldbeknauften Stock. Über seinen Augen trug er eine große Brille mit goldenem Gestell, nicht weil seine Augen schlecht waren, sondern weil die Brille ihn klug aussehen ließ; und seine Erscheinung war so vornehm und prächtig, daß alle Yips sehr stolz auf ihn waren.

Es gab weder einen König noch eine Königin im Land der Yips, und so gingen die einfachen Einwohner natürlich dazu über, den Froschmann als Anführer und Ratgeber in allen Notlagen zu betrachten. In seinem Herzen wußte der große Frosch, daß er nicht weiser war als die Yips, aber für einen Frosch war es durchaus bemerkenswert, soviel zu wissen wie ein Mensch, und der Froschmann war klug genug, um die Leute glauben zu machen, daß er weitaus weiser war, als er es in Wirklichkeit war. Sie hatten nie den Verdacht, daß er ein Schwindler war, sondern lauschten seinen Worten mit großem Respekt und tat genau das, was er ihnen zu tun empfahl.

Als nun Tortie die Plätzchenbäckerin einen solchen Aufruhr über den Diebstahl ihrer mit Diamanten besetzten Spülschüssel auslöste, war der erste Gedanke der Leute, sie zum Froschmann zu bringen und ihn über den Verlust zu informieren, da sie dachten, daß er ihr natürlich sagen könnte, wo sie sie wiederfinden würde. Er hörte der Geschichte mit weit aufgerissenen großen Augen hinter der Brille zu und sagte in seiner tiefen quakigen Stimme: „Wenn die Spülschüssel verschwunden ist, muß jemand sie an sich genommen haben.“

„Aber wer?“, fragte Tortie besorgt. „Wer ist der Dieb?“

„Natürlich derjenige, der die Schüssel an sich nahm“, antwortete der Froschmann, und als sie dies hörten, nickten alle Yips ernst mit dem Kopf und sagten: „Das ist wohl wahr!“

„Aber ich will meine Spülschüssel!“, rief Tortie.

„Niemand kann dir diesen Wunsch absprechen“, sagte der Froschmann.

„Dann sagt mir, wo ich sie finden kann“, drängte sie.

Der Blick, den der Froschmann ihr schenkte, war ein sehr weiser, und er erhob sich von seinem Stuhl und stapfte mit seinen Händen unter seinen Rockschößen auf eine sehr wichtige und achtunggebietende Weise auf und ab. Dies war das erste Mal, daß eine so schwierige Angelegenheit vor ihn gebracht worden war, und er brauchte Zeit zum Nachdenken. Niemals sollte es geschehen, daß sie ihn der Unwissenheit verdächtigen würden, und so dachte er sehr, sehr angestrengt nach, wie er der Frau am besten antworten sollte, ohne sich selbst zu betrügen. „Ich muß dich darüber benachrichtigen“, sagte er, „daß im Land der Yips noch nie etwas gestohlen wurde.“

„Das wissen wir bereits“, antwortete Tortie die Plätzchenbäckerin ungeduldig.

„Deshalb“, fuhr der Froschmann fort, „wird dieser Diebstahl zu einer sehr wichtigen Angelegenheit.“

„Nun, wo ist meine Spülschüssel?“, fragte die Frau.

„Sie ist verschwunden, aber sie muß wiedergefunden werden. Leider haben wir keine Polizisten oder Detektive, um das Rätsel zu lösen, deshalb müssen wir andere Mittel einsetzen, um den verlorenen Gegenstand wiederzugewinnen. Tortie muß zuerst eine Bekanntmachung schreiben und sie an ihre Tür ihres Hauses heften, und auf der Bekanntmachung muß geschrieben stehen, daß derjenige, der die juwelenbesetzte Spülschüssel gestohlen hat, sie sofort zurückgeben muß.“

„Aber angenommen, niemand gibt sie zurück“, wandte Tortie ein.

„Dann“, sagte der Froschmann, „wird diese Tatsache der Beweis dafür sein, daß niemand sie gestohlen hat.“

Tortie war nicht zufrieden, aber die anderen Yips schienen den Plan sehr zu billigen. Sie alle rieten ihr, zu tun, was der Froschmann gesagt hatte, also hängte sie das Schild an ihre Tür und wartete geduldig darauf, daß jemand die Spülschüssel zurückbrächte – was jedoch niemand tat. Wieder ging sie, begleitet von einer Gruppe ihrer Nachbarn, zum Froschmann, der sich zu diesem Zeitpunkt schon gründlich Gedanken über die Angelegenheit gemacht hatte. Er sagte zu Tortie: „Ich bin jetzt überzeugt, daß kein Yip deine Spülschüssel genommen hat, und da sie aus dem Land der Yips verschwunden ist, vermute ich, daß in der Dunkelheit der Nacht, als wir alle schliefen, ein Fremder aus der Welt unter uns kam und deinen Schatz entwendete. Es kann keine andere Erklärung für sein Verschwinden geben. Wenn du also diese goldene, diamantenbesetzte Spülschüssel wiederfinden willst, mußt du in die untere Welt gehen und sie dort suchen.“