Die Versuchung - Theodor Reik - E-Book

Die Versuchung E-Book

Theodor Reik

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Beschreibung

In seinem Buch "Die Versuchung" hat Theodor Reik als Psychologe die Ursprünge der Geschichte der Versuchung Abrahams durch Gott, seinen Sohn Isaak zu opfern, untersucht. Seine Ergebnisse zeigen ein neues Verständnis der biblischen Geschichte.

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Seitenzahl: 245

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Uxori meae

dedico

hanc translationem

Inhalt

Vorspiel: Der Anfang

Teil Eins: Die Herausforderung durch das Problem

Kapitel I: Prolog

Kapitel II: Auf den Flügeln der Sage

Kapitel III: Theologische und exegetische Kommentare

Kapitel IV: Der anthropologische und der archäologische Zugang

Kapitel V: Die existentielle Vorstellung über den Mythos

Kapitel VI: Psychoanalytische Interpretationen

Kapitel VII: Auf den zweiten Blick

Teil Zwei: Die Suche nach einer Lösung

Kapitel VIII: Rauchschleier um ein Brandopfer

Kapitel IX: Tod und Auferstehung in den Pubertätsriten

Kapitel X: Rekonstruktion

Kapitel XI: Ein neuer Zugang

Kapitel XII: Der Bund

Kapitel XIII: Austauschbare Personen

Kapitel XIV: Hebräische Ursprünge und Initiationsriten

Teil Drei: Von Isaak zu Jesus

Kapitel XV: Moriah und Golgotha

Kapitel XVI: Eine wunderbare aber keine jungfräuliche Geburt

Kapitel XVII: Das Binden Isaaks

Kapitel XVIII: Isaak und Christus

Kapitel XIX: Die Bar Mizwa Jesu

Kapitel XX: Judentum und Christentum

Nachspiel: Das Ende der Reise

Anmerkungen

Vorspiel: Der Anfang

Dieses Buch steht in der großen Tradition der Forschung, die durch Freud, der dreißig Jahre lang mein Lehrer und Freund gewesen war, in Gang gebracht worden ist und es setzt seine Forschung in bestimmter Weise fort. Diese Weise hat eine frühe Beziehung zu einer Äußerung, die Freud einst während eines Gesprächs zu mir machte.

Ich war damals ein junger und unerfahrener Psychoanalytiker, mit dem er einige Fälle von neurotischen Störungen besprach. Es geschah oft, dass ich ihm auf seinem Abendspaziergang in den Straßen von Wien in die Arme lief und ich benutzte eifrig die Gelegenheit, die Schwierigkeiten, denen ich in meiner Praxis begegnete, mit ihm zu diskutieren und seinen Rat einzuholen. Bei einer solchen Gelegenheit äußerte ich mein Erstaunen über die Haltung eines Patienten, den Freud mir geschickt hatte. Der junge Mann zeigte einen entschiedenen Widerstand, über seine Kindheit und Jugend zu sprechen und vermied jede Möglichkeit, sich an Ereignisse seines Lebens in frühen Jahren zu erinnern. Freud hörte meinen Bericht aufmerksam an und sagte dann: „Ein Mensch, der überhaupt nicht an seiner Vergangenheit interessiert ist, ist ein Taugenichts.“ Ich war überrascht, nein, ich war vielmehr schockiert. Freud sprach kaum jemals moralische Urteile aus. Wenn er es diesmal tat, dann tat er es nur, weil es ein informelles Gespräch mit einem seiner jüngsten Studenten war. Er hatte in diesem besonderen Fall recht, wie die Entwicklung der analytischen Behandlung während der folgenden Monate zeigte. Der Patient besaß einen psychopathologischen Charakter, der an den verbrecherischen grenzte.

Ich war geneigt, Freuds Aussage zu widersprechen, weil es mir als eine ungerechtfertigte Verallgemeinerung schien. Ich habe seitdem gelernt, dass ein vollständiger emotionaler Bruch mit der eigenen Vergangenheit, ein vorsätzliches Abbrechen aller Brücken zu seiner eigenen Vergangenheit bestimmte ungünstige charakterologische Konsequenzen hat. Freud erwähnte in jenem Gespräch ein Sprichwort (wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, aus Rumänien): „Wovor man davonläuft, das holt einen ein.“ Dies gilt sowohl für ein Individuum als auch für ein Volk. Wer auch immer seine Vergangenheit leugnet, erleidet einen Schaden an seiner Persönlichkeit.

Einige Jahre nach jenem Gespräch war ich ausschließlich mit dem Studium prähistorischer Riten und religiöser Praktiken beschäftigt. Meine Forschungsergebnisse, die ich später unter dem Titel „Das Ritual“1 veröffentlicht habe, versuchten in die frühesten und fundamentalen Voraussetzungen von Religion und Gesellschaft einzudringen. Im Vorwort zu diesem Buch stellt Freud fest, dass sein Autor „ständig die Verwandtschaft zwischen dem prähistorischen Menschen und dem primitiven Menschen heute im Blick behält.“ Dieses Prinzip bestimmte auch den Charakter bestimmter Bücher, die ich in den folgenden Jahren veröffentlicht habe und die sich mit Problemen primitiver Religion und prähistorischer Zivilisation befassten. Dann folgte ein Zeitraum von fast vierzig Jahren, in dem ich mit verschiedenen Problemen der psychoanalytischen Psychologie beschäftigt war. Auf einem langen Umweg kehrte ich zu den Fragen, die mich in meiner Jugend interessiert hatten, zurück und ich veröffentlichte eine Trilogie von Büchern2, in der ich ungelöste Probleme der Vorgeschichte Israels behandelte.

Die Arbeit, die ich hier vorstelle, setzt diese Weise der Forschung fort. Auch sie gehört zu dem Bereich archäologischer Psychoanalyse, wie ich den neuen und noch unentwickelten Zweig der Tiefenpsychologie genannt habe. Sie nähert sich dem archäologischen und anthropologischen Material von psychologischen Standpunkten aus und versucht zu dem verborgenen Kern prähistorischer hebräischer Gesellschaft und Religion zu gelangen. Keine dieser Forschungen wurde mit der Absicht systematischer Untersuchung unternommen. Sie sind eher Abenteuer in psychoanalytischer Entdeckungsabsicht. Die Methoden der Tiefenpsychologie werden hier nur als neue Werkzeuge der Forschung angewandt, vergleichbar jenen der dendrologischen Bestimmung, der Karbon-14 Methode und den Obsidiantests, die in moderner archäologischer Arbeit verwendet werden. Ich bin einigen frühen Vermutungen nachgegangen und habe sie geprüft, mehrere von ihnen erwiesen sich als falsch oder mussten modifiziert werden. Andere jedoch konnten durch konkreten Nachweis bestätigt und aufrecht erhalten werden.

Beim Lesen eines Kriminalromans freut man sich an der Spannung, die entsteht, wenn man signifikanten Spuren folgt und sie prüft. Doch mit einer Arbeit dieser Art ist ein anderes emotionales Element verbunden, ein Sinn für moralische Verpflichtung. (Oder steckt in dieser Hingabe eine verborgene Sehnsucht, unseren Vorfahren näher zu kommen, bevor wir zu ihnen versammelt werden?) Es scheint, dass eine innere Unruhe nicht beherrscht werden kann, bis die Herausforderung durch jene prähistorischen Probleme beantwortet worden ist.

Fußgänger in den Straßen New Yorks stehen manchmal plötzlich vor einer Gruppe von Arbeitern, die den Bürgersteig aufreißen und graben, als ob sie auf der Suche nach versteckten Objekten wären. Auf den Absperrungen, die die tiefen Löcher, in denen jene Männer arbeiten, umgeben, steht geschrieben: „Wir müssen graben, damit New York wachsen kann.“ Auf ähnliche Weise müssen auch wir graben – für ein wachsendes Verständnis der Vergangenheit.

Theodor Reik

New York, Juni 1961

Teil Eins

Die Herausforderung durch das Problem

Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija, und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar. (Gen 22, 1 f.)

Kapitel 1

Prolog

Wenn man vor dem Gebäude des jüdischen theologischen Seminars am Broadway in New York steht, kann man über seinem Eingang die Inschrift lesen: „Und der Busch verbrannte nicht“. Diese Zeile aus Ex 3, 2 lässt sich als ein Symbol jüdischer Bestimmung und Überlebens verstehen. Wenn man zur Bibliothek des Instituts in den ersten Stock hinaufgeht, steht man vor einer lebensgroßen Reproduktion von Rembrandts wunderbarem Bild „Die Opferung Isaaks“, einem Bild, das ein unterbrochenes Ritual von Menschenopfern zeigt. Diese biblische Erzählung ist von hoher Bedeutung für den Geist, der die jüdisch-christliche Zivilisation durchdringt, den Geist des Herrn, der sagt: „Ich wünsche Güte und keine Opfer“.

Dieses Buch handelt von dieser Geschichte, aber nicht nur von ihr. Ich behaupte, dass die verborgene Bedeutung des Mythos, von dem in Gen 22 die Rede ist, noch nicht erkannt worden ist und dass seine traditionelle Erklärung gerade einmal die Oberfläche des legendären Materials freigelegt hat. Ich bin der Überzeugung, dass die Untersuchung, die ich hier präsentiere, die Urgestalt erreicht und die verborgene Bedeutung des Mythos aufdeckt. Sie ist in dieser Hinsicht mit der Rekonstruktion eines prähistorischen Heiligtums vergleichbar, die mit Hilfe von archäologischen Funden vorgenommen wid. Wenn ich die Ursprünge des Mythos offenlege, geschieht das nicht als Selbstzweck, sondern als eine Möglichkeit, einige Einsichten in das noch immer unbekannte religiöse und soziale Leben der antiken hebräischen Stämme zu bekommen.

Die Verfasser der Heiligen Schriften beenden die allgemeine Geschichte der Menschheit mit der Erzählung vom Turmbau von Babel und der folgenden Zerstreuung der Völker. Von da an beschränkt sich die Erzählung auf die Form einer Folge von Biographien. Sie handelt von den Abenteuern der Patriarchen als nomadischen Hirten, die auf der Suche nach frischen Weiden von Ort zu Ort zogen.

Das Alte Testament beginnt den Überblick über die Vorfahren mit der Biographie von Abraham, der als erster ein Hebräer genannt wurde (Gen 14, 13). Der erste Patriarch erscheint als eine der großen Persönlichkeiten in der Geschichte der hebräischen Religion. Er gilt als der Vater des Glaubens und besitzt die Auszeichnung „der Freund Gottes“. Zweifellos ist diese Biographie, wie sie im Buch Genesis erzählt wird, eine Kombination und Konzentration vieler einzelner Geschichten, von denen einige erst viel später auf Abraham bezogen wurden, Geschichten, die oft umgebildet, umgeformt und bearbeitet wurden, bis sie schließlich fertiggestellt worden sind. Die Geschichte des aufgehaltenen Opfers Isaaks ist eine von jenen Erzählungen:

„Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija, und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar. Frühmorgens stand Abraham auf, sattelte seinen Esel, holte seine beiden Jungknechte und seinen Sohn Isaak, spaltete Holz zum Opfer und machte sich auf den Weg zu dem Ort, den ihm Gott genannt hatte. Als Abraham am dritten Tag aufblickte, sah er den Ort von weitem. Da sagte Abraham zu seinen Jungknechten: Bleibt mit dem Esel hier! Ich will mit dem Knaben hingehen und anbeten; dann kommen wir zu euch zurück. Abraham nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen beide miteinander. Nach einer Weile sagte Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er antwortete: Ja, mein Sohn! Dann sagte Isaak: Hier ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer? Abraham entgegnete: Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn. Und beide gingen miteinander weiter. Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham den Altar, schichtete das Holz auf, fesselte seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Schon streckte Abraham seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Jener sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, daß du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten. Als Abraham aufschaute, sah er: Ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn statt seines Sohnes als Brandopfer dar. ... Darauf kehrte Abraham zu seinen Jungknechten zurück. Sie machten sich auf und gingen miteinander nach Beerscheba. Abraham blieb in Beerscheba wohnen. (Gen 22, 1 – 13. 19)

Die biblischen Gelehrten schreiben allgemein die Erzählung beinahe zur Gänze der Quelle E zu, wie sie einen Herausgeber oder eine Gruppe von Herausgebern nennen, die den Namen „Elohim“ als göttlichen Namen verwenden. Diese Herausgeber gehören in die Zeit um 800 v. Chr. und waren im Nordreich beheimatet. Nur wenige Verse (Gen 22, 15 – 18. 20 – 24) haben die Gelehrten der älteren biblischen Hauptquelle zugeordnet, die Gott mit dem Namen Jahwe nennt. In den Versen 15 – 18, die vielleicht erst später eingefügt wurden, heißt es, der Engel des Herrn „rief Abraham zum zweitenmal vom Himmel her zu und sprach: Ich habe bei mir geschworen – Spruch des Herrn: Weil du das getan hast und deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen sollen das Tor ihrer Feinde einnehmen. Segnen sollen sich mit deinen Nach kommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.“ Diese Verse, die Abrahams Gehorsam rühmen und das Versprechen des Herrn, das er Abraham gegeben hat, wiederholen, sind hier fehl am Platz und mit der Isaakgeschichte nur durch einen dünnen Faden künstlich verbunden.

Der biblische Bericht ist nicht die Endfassung der Erzählung der Versuchung Abrahams. Wenige Geschichten des Alten Testaments haben eine solche Fülle von zusätzlichen Legenden wie die Geschichte von Isaaks Opfer entstehen lassen. Jene Legenden findet man meist in der Haggada und sie sind auch im Talmud und im Midrasch enthalten. Sie erscheinen in diesen Büchern unter den Kommentaren zur Bibel und mitten unter Erzählungen, Sagen und Legenden. Heinrich Heine schrieb einst über die Haggada, der sich der Talmudstudent, als er der trockenen Spekulation überflüssig geworden war, zur Erholung zuwendet. Der Dichter nennt die Haggada „einen wundersamen blühenden Garten“:

Wo die schönen alten Sagen,

Engelmärchen und Legenden,

Stille Märtyrerhistorien,

Festgesänge, Weisheitssprüche,

Auch Hyperbeln, gar possierlich,

Alles aber glaubenskräftig,

Glaubensglühend – O das glänzte

Quoll und sproß so überschwenglich – 1

Solomon Goldmans unvollendete Studie über die Bibel beginnt mit dem Satz: „Das Buch Genesis ist die große Aufklärung, die die Gestalter der jüdischen Sage im Dschungel primitiver Volkskunde machten.“2 Diese Aufklärung ist in den „wundersamen Garten“, mit dem Heine das Reich der nachbiblischen Haggada vergleicht, erweitert und umgeformt worden. Im Gegensatz zu den Heiligen Schriften ist die Atmosphäre von Ungezwungenheit und Heiterkeit erfüllt. Es gibt aber in jenem Garten einige dunkle Winkel und wenige geheime Pfade führen in die primitive Welt, die ihn umgibt. Einige Geschichten sind belastet mit der ruhiggestellten Aufdringlichkeit des Dschungels, der den Garten umgibt und manchmal in ihn eindringt und in dem wir nun nachdenklich spazieren gehen wollen.

Kapitel II

Auf den Flügeln der Sage

Die nachbiblischen Legenden über das bevorstehende Opfer Isaaks, die die Genesiserzählung kommentieren, ausarbeiten und ausschmücken, reichen von nüchternen Interpretationen und Paraphrasen bis zu phantastischen Erklärungen, von rabbinischer Exegese bis zu Märchen.1 Der gewaltige Strom semitischer Volkssage trocknete nicht aus, als die Schrift ihre endgültige Gestalt bekam. Er wuchs und schwoll an mit Beiträgen von verschiedenen Seiten und er mündete schließlich in den Ausfluss moderner Bibelexegese. In gewisser Hinsicht ist dieser Teil moderner Exegese nicht weniger phantastisch als die alten Sagen.

Abraham ist natürlich der Protagonist der biblischen Erzählung. Isaak spielt nur die Rolle des gehorsamen Sohnes. In ganz wenigen nachbiblischen Legenden werden der Charakter und die Taten Abrahams weitschweifig beschrieben, aber in den meisten von ihnen wird der Part Isaaks bedeutender dargestellt als in der biblischen Geschichte. Neue Charaktere tauchen auf und die alten Rollen werden manchmal von anderen Schauspielern übernommen. Die Rollen werden anders verteilt und es gibt auch neue Rollen. Sara, Isaaks Mutter, erscheint häufig in Dialogen. An einigen entscheidenden Punkten der Handlung erscheint ein neuer Charakter: Satan, der Versucher, betritt sprechend und handelnd die Bühne. Man kann den Engeln zuhören und sogar die Rolle der Tiere wird im Drama nicht vernachlässigt.

In diesem Kapitel will ich aus der reichen Quelle nachbiblischer Tradition, die in Talmud und Midrasch enthalten ist, schöpfen. Es würde nicht der Absicht dieser Studie dienen, wenn ich alle Legenden und Kommentatoren jener Quellen aufzähle und anführe. Ich werde daher nur jene Legenden, die dem Zweck dieser Untersuchung dienen, in Betracht ziehen. Die erste Aufgabe unserer Forschungsarbeit besteht in der Wiederherstellung der ursprünglichen mündlichen Tradition, aus der sich die erste schriftliche Aufzeichnung der biblischen Issakgeschichte mehr als 1000 Jahre später entwickelte. Doch die Wiederherstellung jener vergessenen und untergegangenen mündlichen Tradition ist nicht unser eigentliches Ziel. Sie soll nur die Mittel bereitstellen, um die vorpatriarchalische Phase der hebräischen Religion und Organisation zu erreichen und zu erforschen.

Wir beginnen unseren Überblick über das fragmentarische Material der Legenden mit der Wiedergabe eines Gesprächs zwischen Isaak und seinem älteren Bruder Ismael. Der ältere rühmte sich einst vor Isaak, dass, als er dreizehn Jahre alt war, der Herr Abraham befahl, ihn zu beschneiden und Ismael stimmte freudig zu. Isaak antwortete ihm: „Warum prahlst du vor mir mit einem kleinen Stückchen Fleisch, das du deinem Körper entnommen hast?“ Und er sagte, wenn der Herr ihrem Vater Abraham befehlen sollte, ihm Isaak als ein Opfer darzubringen, würde er sich nicht widersetzen. So wurde Isaak vor Abraham versucht. Es war sozusagen die Probe vor der eigentlichen Prüfung. Für unseren Zweck ist es relevant, dass in dieser Erzählung ein Vergleich der Lebensalter von Ismael und Isaak zur Zeit ihrer Beschneidung angestellt wird. Noch wichtiger ist vielleicht die Tatsache, dass diese Operation durchgeführt wurde, als Ismael dreizehn Jahre und Isaak acht Tage alt war und zu Isaaks vorweggenommenem Opfer in Relation gesetzt wird. Wir wissen nicht, was hier wirklich gemeint ist, aber es ist wichtig, dass in dieser Diskussion über die Beschneidung auf die Prüfung, die später stattfand, hingewiesen wird.

Selbst der erste Satz der Genesiserzählung wurde Gegenstand rabbinischer Exegese. Die Rabbiner fragten: „Was hat das zu bedeuten, wenn die biblische Geschichte mit dem Satz beginnt: ‚Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe?’“ Der unvoreingenommene Leser wird annehmen, dass der Satz dieses Ereignis nach jenen, die im vorherigen Kapitel stehen, wiedergibt. Nach den Autoritäten aber kann „nach diesen Ereignissen“ auch bedeuten „nach diesen Worten“. Der Midrasch Rabbi nimmt an, dass sich die Stelle „nach diesen Ereignissen“ auf eine Zeit bezieht, als Abraham Selbstgespräche geführt hatte und zur Erkenntnis kam, dass er sich nach Isaaks Geburt gefreut hatte und auch die anderen bewegte sich zu freuen, doch er hatte nichts geopfert, „weder Getreide noch einen Widder als Opfer für den einen Heiligen Herrn ...“. Damals versuchte Gott Abraham und befahl das Opfer seines geliebten Sohnes.

Eine andere Version gibt Rabbi Jochanan, der im Namen von Rabbi Jose ben Zinna spricht. Nach dessen Lesart bezieht sich die Stelle „nach diesen Ereignissen“ auf ein Gespräch zwischen dem Herrn und Satan, den Versucher. Die Legende erklärt, wie es dazu kam, dass Gott Abraham versuchte. Bei dem Bankett, als Isaaks Geburt gefeiert wurde, tauchte Satan in der Verkleidung eines Bettlers auf und bat um Almosen. Niemand achtete auf ihn. Als die Söhne Gottes sich vor dem Herrn zeigten, erschien Satan unter ihnen. Und der Herr sprach zu Satan: „Von woher kommst du?“ Und Satan antwortete: „Vom Umherschweifen auf der Erde und vom Wandern auf ihr.“ Und der Herr fragte Satan, was er über die Kinder der Erde sagen könnte. Der Widersacher antwortete, dass er gesehen hätte, wie die Menschen dem Herrn dienen, wenn sie etwas brauchen, aber wenn sie es empfangen haben, erinnern sie sich nicht mehr an ihn. So diente einst Abraham dem Herrn und verkündete allen Kindern der Erde seinen Namen, aber jetzt, als sein Sohn Isaak geboren worden ist, hat er Gott verlassen und vergessen. Seitdem hat er weder Altäre errichtet noch hat er ihm irgendwelche Opfer dargebracht. Der Herr sagte dann über seinen Diener Abraham: „Es gibt niemanden wie ihn auf dieser Erde, er ist ein vollkommener und aufrechter Mann vor mir. ... So wahr ich lebe, ich würde zu ihm sagen, bringe Isaak, deinen Sohn, mir als Opfer dar, er würde ihn mir nicht vorenthalten, umso weniger, wenn ich von ihm verlangen würde, mir ein Brandopfer aus seinen Herden darzubringen.“ Satan nahm den Herrn bei seinem Wort: „Sprich jetzt zu Abraham, wie du gesagt hast und du wirst sehen, ob er deine Worte nicht heute noch überschreiten und verwerfen wird.“

Die Analogie dieser Legende zu der Einleitung des Buches Hiob ist so offensichtlich, dass man sie leicht als deren Bearbeitung erkennen kann. In diesem „Vorspiel im Himmel“ des Dramas des Patriarchen wünscht allerdings nicht Gott sondern Satan eines der Kinder der Erde zu versuchen.

Andere Legenden berichten, dass Gott dem Abraham in einem Traum erschien, um das Opfer Isaaks zu befehlen. Auch nach dem Koran empfing der Patriarch diesen göttlichen Befehl in einem Traum. Der Herr sagte zu Abraham: „Nimm nun deinen Sohn“, aber Abraham wies darauf hin, dass er zwei Söhne habe und nicht wüsste, welchen er nehmen solle. Gott antwortete: „Denjenigen, den du liebst.“ Abraham erwiderte: „Ich liebe den einen und ich liebe den anderen.“ Erst dann sagte Gott, dass er Isaak als Brandopfer nehmen sollte. Abraham verhielt sich noch immer ausweichend und äußerte seinen Zweifel, ob er denn geeignet wäre, das Opfer zu vollziehen, da er kein Priester wäre: „Sollte es nicht eher der Hohepriester Shem tun?“ Aber der Herr beschloss, Abraham zu weihen und ihn zu einem Priester zu machen, so bald er an dem für das Opfer bestimmten Platz ankommen würde.

Einige Legenden erzählen, dass Abraham sich darüber Gedanken machte, wie er Isaak von seiner Mutter trennen könnte. Der Patriarch erklärte schließlich Sara, dass Isaak nun erwachsen wäre und noch nicht die Gebote Gottes studiert hätte. Es sei nun an der Zeit, den jungen Mann zum Priester Shem zu bringen, der ihn lehren würde, den Herrn kennenzulernen und zu ihm zu beten. Sara stimmte widerstrebend der Notwendigkeit des Unterrichts für den heranwachsenden Jungen zu, aber sie bat ihren Mann, Isaak nicht zu lange von ihr wegbleiben zu lassen, „denn meine Seele ist verbunden mit seiner Seele“. Sara küsste und umarmte Isaak dann und verbrachte die Nacht bei ihm und weinte wegen der Trennung. Sie bat Abraham, auf den geliebten Jungen gut aufzupassen und keinen Schaden an ihn herankommen zu lassen. Sie begleitete sie auf dem Weg, und als man ihr sagte, sie solle zum Zelt zurückkehren, weinte sie bitterlich. Sie hielt Isaak fest und hielt ihn in ihren Armen, umarmte ihn und sagte wienend: „Wer weiß, ob ich dich jemals nach dem heutigen Tag wiedersehen werde?“

Nach anderen Erzählungen sagte Abraham seiner Frau nichts. Er ritt mit seinem Sohn zur Zeit der Abenddämmerung fort, um ihr den Kummer der Trennung zu ersparen.

An dieser Stelle ist es notwendig, nachdrücklich zu betonen, dass Sara hier in der Rolle einer Mutter, die sich über die Trennung von ihrem Sohn grämt, erscheint. Sie ist von ängstlicher Vorahnung erfüllt: wird sie ihn je wieder lebend sehen? Natürlich taucht hier die Frage auf: Wie alt war Isaak, als er als Brandopfer dem Herrn dargebracht werden sollte?

Die rabbinischen Autoritäten sind sich über das Alter des Jungen zu dieser entscheidenden Zeit nicht einig. Josephus gibt sein Alter mit 25 Jahren an, eine Mischna zum Buch Genesis mit 27 oder 26 Jahren, Targum Jona mit 36, einige andere Quellen sogar mit 37. Ibn Ezra weist darauf hin, dass der Grund für das zunehmende Alter Isaaks für die Rabbiner ihr Wunsch ist, dass er zur Zeit des Ereignisses voll verantwortlich gewesen ist. Ibn Ezra gibt zu, dass wir die rabbinischen Darlegungen als einen Gegenstand der Tradition akzeptieren müssen, aber er argumentiert auf theoretischer Grundlage: Wenn Isaak 37 Jahre alt gewesen wäre, hätte er sich zu seinem eigenen Opfer ausgeliefert und seine Belohnung wäre doppelt so hoch gewesen wie die seines Vaters. Sein Verdienst wäre in der Bibel erwähnt worden, doch keine Stelle in der Schrift deutet darauf hin, dass er das größere Lob verdient hätte.

Die vernünftigste Annahme, argumentiert Ibn Ezra, sei, dass Isaak etwa 13 Jahre alt war und dass sein Vater ihn mit Gewalt packte und gegen seinen Willen an den Altar band. Diese Vermutung wird dadurch bewiesen, dass sein Vater das Geheimnis vor ihm bewahrte, als er auf seine Frage antwortete, indem er sagte: „Gott selbst wird für ein Schaf sorgen.“ Hätte Abraham zu ihm gesagt: „Du wirst das Brandopfer sein“, wäre er möglicherweise davongerannt. Es gibt noch andere Argumente für die Wahrscheinlichkeit, dass in der ältesten Tradition der Sage Isaak im Alter der Pubertät war, aber Ibn Ezras rationale Erklärung ist von besonderer Bedeutung für unsere Forschung.

Bemerkenswerter Weise tritt Satan in einigen Legenden wieder als Versucher auf, um zu versuchen, den Patriarchen am Darbringen des Opfers zu hindern. In einigen Sagen erscheint Satan Sara in der Gestalt eines alten Mannes und fragt sie, wohin ihr Sohn ging. Sara antwortet ihm: „Er ging mit seinem Vater, um die Tora zu studieren.“ Darauf erklärt ihr Satan, dass Abraham unterwegs war seinen Sohn zu opfern. „In dieser Stunde zitterten Saras Lenden und alle ihre Glieder klapperten. Sie war nicht mehr von dieser Welt.“

In einer anderen Version erzählte Satan Sara, dass Abraham eben einen Altar errichtet und gerade Isaak geopfert hätte. Sie glaubte ihm, weinte bitterlich und sprach: „Oh mein Sohn Isaak, mein Sohn, oh dass ich heute an deiner Stelle gestorben wäre!“ Sie dachte daran, wie sie den Jungen aufgezogen hatte. Ihre Freude an ihn hat sich nun in Trauer gewandelt. „Jetzt hast du an diesem Tag durch das Messer und das Feuer gebüßt.“ Sie stellte Nachforschungen über Isaak bis nach Hebron an, aber niemand konnte ihr sagen, was mit ihrem Sohn geschehen war. Die Gestalt der Sara in ihrem Kummer erinnert uns an die Gestalt einer anderen Mutter, die um ihren Sohn, der als ein geheiligtes Opfer für den Herrn starb, weinte und trauerte.

Abraham und Isaak wurden unterwegs von zwei jungen Männern, Ismael und Eleazar, begleitet. In der biblischen Geschichte haben die jungen Männer nur eine episodische Rolle, aber in einigen Legenden ist ihre Rolle bedeutender dargestellt. Hier werden sie, als Abraham und Isaak am dritten Tag der Reise ihr Ziel erreichten, mit dem Esel zurückgelassen.

Unterwegs erschien Satan dem Isaak in der Gestalt eines jungen Mannes – offensichtlich im selben Alter wie die anderen beiden – und befragte ihn über ihr Ziel. Isaak antwortete ihm, dass die Reise unternommen wurde, um ihn an einen Ort zu bringen, wo er in der Tora unterrichtet würde. „Willst du diese Unterweisung erhalten, solange du am Leben bist oder nach deinem Tod?“ fragte Satan spöttisch. „Wie kann jemand nach seinem Tod unterrichtet werden?“ erwiderte Isaak. „Du Sohn einer bemitleidenswerten Mutter!“ schrie Satan, „weißt du nicht, dass dein alter törichter Vater dich zum Opfer darbringt? Höre nicht auf ihn!“ Aber Isaak war loyal und rügte Satan. Die Worte des Bösen ließen ihn jedoch nicht unberührt und er fragte seinen Vater danach. Abraham sagte, er solle nicht darauf acht geben, denn sie wären Eingebungen Satans.

Nach anderen Legenden war Abraham selbst mehreren Versuchungen durch den Fürsten der Unterwelt ausgesetzt. Satan näherte sich dem Patriarchen in der Gestalt eines sehr alten und demütigen Mannes und sagte zu ihm: „Bist du töricht oder närrisch, dass du in deinem hohen Alter auf dem Wege bist, ihn, der keine Gewalttat beging, zu schlachten und willst du die Seele deines einzigen Sohnes von der Erde verschwinden lassen? Weißt du und verstehst du nicht, dass diese Forderung nicht vom Herrn kommen kann? Denn der Herr würde dem Menschen kein solches Übel antun und ihm befehlen, zu gehen und seinen Sohn zu schlachten.“ Abraham erkannte, dass die Worte, die er hörte, vom Satan stammten und er rügte ihn.

Später verwandelte sich Satan, als er sah, dass er nicht gewinnen konnte, in einen gewaltigen Bach, der ihren Weg versperrte. Als Abraham, Isaak und die zwei jungen Männer jenen Ort erreichten, versuchten sie das tiefe Wasser zu passieren, aber das Wasser schwoll an, bis es ihre Hälse erreichte. Abraham erkannte wieder Satans Werk, tadelte ihn und setzte die Reise fort, indem er Isaak zu dem Ort, den Gott ihm genannt hatte, führte. Während sie so wanderten, fragte der Sohn seinen Vater: „Hier sind Feuer und Holz, aber wo ist das Lamm für das Brandopfer?“ (Nach Philo von Alexandria weinte Isaak, als er diese Frage stellte.) Erst dann erzählte Abraham seinem Sohn, dass der Herr Isaak für ein vollkommenes Brandopfer anstelle eines Lammes ausgewählt hätte. Isaak war bereit, ja mehr noch, er war sogar begierig darauf geopfert zu werden und er versicherte seinem Vater, dass er nicht den geringsten Widerstand in seinem Herzen spüre.

Als Abraham den Altar errichtete, half ihm sein Sohn, das Holz darauf zu schlichten. Dann bat der unterwürfige Isaak den Patriarchen, sich zu beeilen und ihn zu schlachten. Isaak machte sich auch Sorgen, ob er richtig gebunden würde, weil er, wenn er das Schlachtmesser in der Hand seines Vaters sehen würde, zittern würde und weil er jung und kräftig sei, sich gegen Abraham zur Wehr setzen würde. Er beschwor seinen Vater sich zu beeilen, um den Willen des Schöpfers zu erfüllen. Er bat nur darum, seine Asche in ein Kästchen in Saras Kammer zu stellen. Immer wenn seine Mutter diesen Raum beträte, würde sie sich an ihren Sohn erinnern und um ihn weinen.

An diesem Punkt der Erzählung, als Abraham Isaak auf den Altar gebunden hatte, um ihn zu schlachten, verlegt die Legende das Szenario wieder in den Himmel. In dem Augenblick, als der Patriarch sein Messer nahm, um seinen Sohn zu schlachten, sprach Gott zu seinen Engeln, und zeigte mit Beifall auf die bedingungslose Loyalität seiner Diener. Die Engel jedoch brachen in lautes Weinen aus und beschuldigten den Herrn, seinen Vertrag mit Abraham gebrochen zu haben. Wir wissen, dass der Patriarch auf der Seite der Engel stand. Wir erfahren hier zu unserer Überraschung, dass auch die Engel auf der Seite Abrahams waren – sogar gegen den Herrn selbst.

Die Tränen der Engel, die auf das Messer tropften, verhinderten, Isaaks Kehle zu durchschneiden, aber seine Seele war vor Schreck entflohen. Als der Erzengel Michael aufschrie: „Abraham, lege nicht deine Hand an den Jungen!“ ließ der Patriarch Isaak los. Der Junge wurde durch die himmlische Stimme wiederbelebt, stand auf und sprach den Segen: „Gesegnet bist du, oh Herr, der die Toten wieder lebendig macht!“

Die Legenden berichten, dass Gott Abraham dann den Widder zeigte, er schlachtete das Tier, besprengte mit seinem Blut den Altar und sagte: „Dies geschieht anstelle meines Sohnes und es soll als das Blut meines Sohnes vor dem Herrn gelten.“ In einigen Erzählungen sandte Abraham seinen Sohn dann zum Lehrer und Priester Shem, bei dem Isaak drei Jahre blieb, um in der Tora unterwiesen zu werden. In anderen Varianten kehrte Abraham mit den drei jungen Männern nach Beerscheba zurück.