Die Waffen des Lichts - Ken Follett - E-Book

Die Waffen des Lichts E-Book

Ken Follett

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Beschreibung

Willkommen zurück in KINGSBRIDGE!

Mit seinem neuesten Roman läutet Ken Follett für die Menschen in Kingsbridge eine neue Ära ein. Eine Ära, in der Tradition und Fortschritt aufeinanderprallen, Klassenkämpfe in alle Teile der Gesellschaft vordringen und der gesamte Kontinent von einem erbitterten Krieg erfasst wird: die Zeit der Industrialisierung.

Fortschritt und Niedergang

Ein industrieller Wandel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, ergreift ganz England, auch Kingsbridge, und nimmt denjenigen, die in den Garn- und Tuchmanufakturen arbeiten, die Grundlage ihrer Existenz. Gefährliche neue Maschinen ersetzen die Arbeit von Hand und reißen Familien auseinander.

Krieg und Befreiung

Während die Herrschenden in England alles dafür tun, um ihr Land zur dominierenden Wirtschaftsmacht zu formen, greift in Frankreich Napoleon Bonaparte nach der Macht. Bald schon dürstet es ihn nach mehr: Spanien, die Niederlande, ganz Europa. Ein großer internationaler Konflikt bahnt sich an, immer mehr Männer ziehen in den Krieg. Zugleich stellt sich eine Gruppe von Kingsbridgern - darunter Spinnerin Sal Clitheroe, Tuchhändler Amos Barrowfield, Weber David Shoveller und Kit, Sals ebenso erfinderischer wie eigenwilliger Sohn - dem Kampf einer ganzen Generation. Sie streben nach Bildung und Wissen und kämpfen für eine Zukunft ohne Unterdrückung ...

Fortschritt und Niedergang, Krieg und Befreiung, Liebe und Verrat - in seinem fünften Kingsbridge-Roman rückt Ken Follett erneut ein großes, zeitloses Thema in den Mittelpunkt: den Kampf um Bildung und Meinungsfreiheit.

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CoverÜber das BuchÜber den AutorTitelImpressumWidmungMottoErster TeilKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Zweiter TeilKapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Dritter TeilKapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Vierter TeilKapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Fünfter TeilKapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Sechster TeilKapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Siebter TeilKapitel 44Kapitel 45Danksagung

Willkommen zurück in KINGSBRIDGE!

Mit seinem neuesten Roman läutet Ken Follett für die Menschen in Kingsbridge eine neue Ära ein. Eine Ära, in der Tradition und Fortschritt aufeinanderprallen, Klassenkämpfe in alle Teile der Gesellschaft vordringen und der gesamte Kontinent von einem erbitterten Krieg erfasst wird: die Zeit der Industrialisierung

Fortschritt und Niedergang

Ein industrieller Wandel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, ergreift ganz England, auch Kingsbridge, und nimmt denjenigen, die in den Garn- und Tuchmanufakturen arbeiten, die Grundlage ihrer Existenz. Gefährliche neue Maschinen ersetzen die Arbeit von Hand und reißen Familien auseinander.

Krieg und Befreiung

Während die Herrschenden in England alles dafür tun, um ihr Land zur dominierenden Wirtschaftsmacht zu formen, greift in Frankreich Napoleon Bonaparte nach der Macht. Bald schon dürstet es ihn nach mehr: Spanien, die Niederlande, ganz Europa. Ein großer internationaler Konflikt bahnt sich an, immer mehr Männer ziehen in den Krieg. Zugleich stellt sich eine Gruppe von Kingsbridgern – darunter Spinnerin Sal Clitheroe, Tuchhändler Amos Barrowfield, Weber David Shoveller und Kit, Sals ebenso erfinderischer wie eigenwilliger Sohn – dem Kampf einer ganzen Generation. Sie streben nach Bildung und Wissen und kämpfen für eine Zukunft ohne Unterdrückung

Fortschritt und Niedergang, Krieg und Befreiung, Liebe und Verrat – in seinem fünften Kingsbridge-Roman rückt Ken Follett erneut ein großes, zeitloses Thema in den Mittelpunkt: den Kampf um Bildung und Meinungsfreiheit.

Ken Follett, Autor von über zwanzig Bestsellern, wird oft als »geborener« Erzähler gefeiert. Betrachtet man jedoch seine Lebensgeschichte, so erscheint es zutreffender zu sagen, er wurde dazu »geformt«. Ken Follett wurde am 5. Juni 1949 im walisischen Cardiff als erstes von drei Kindern des Ehepaares Martin und Veenie Follett geboren. Nicht genug, dass Spielsachen im Großbritannien der Nachkriegsjahre echte Mangelware waren – die zutiefst religiösen Folletts erlaubten ihren Kindern zudem weder Fernsehen noch Kinobesuche und verboten ihnen sogar, Radio zu hören. Dem jungen Ken blieben zur Unterhaltung nur die unzähligen Geschichten, die ihm seine Mutter erzählte – und die Abenteuer, die er sich in seiner eigenen Vorstellungswelt schuf. Schon früh lernte er lesen; er war ganz versessen auf Bücher, und nirgendwo ging er so gern hin wie in die öffentliche Bibliothek.

 

»Ich hatte kaum eigene Bücher und war immer dankbar für die öffentliche Bücherei. Ohne frei zugängliche Bücher wäre ich nie zum eifrigen Leser geworden, und wer kein Leser ist, wird auch kein Schriftsteller.«

 

Als Ken Follett zehn Jahre alt war, zog die Familie nach London. Nach seinem Schulabschluss studierte er Philosophie am University College; dass der Sohn eines Steuerinspektors sich für dieses Fach entschied, mag auf den ersten Blick befremden, aber bedenkt man, dass Kens religiöse Erziehung viele Fragen aufgeworfen und offengelassen hatte, erscheint sie gar nicht mehr so untypisch. Ken Follett ist der Überzeugung, dass die Entscheidung für dieses Studienfach ihm die Weichen in seine Zukunft als Schriftsteller gestellt hat.

 

»Zwischen der Philosophie und der Belletristik besteht ein Zusammenhang. In der Philosophie beschäftigt man sich mit Fragen wie zum Beispiel: ‚Wir sitzen hier an einem Tisch, aber existiert der Tisch überhaupt?’ Eine verrückte Frage, aber beim Studium der Philosophie muss man solche Dinge ernst nehmen und braucht eine unorthodoxe Vorstellungsgabe. Beim Schreiben von Romanen ist es genauso.«

 

In einem Hörsaal danach zu fragen, was wirklich ist, war eine Sache – doch plötzlich sah sich Ken mit einer ganz anderen Wirklichkeit konfrontiert: Er wurde Ehemann und Vater. Er heiratete seine Freundin Mary am Ende seines ersten Semesters an der Universität. Im Juli 1968 kam ihr Sohn Emanuele zur Welt. »So etwas plant man nicht, wenn man erst achtzehn ist, aber als es geschah, war es ein unglaubliches Erlebnis. Ich fühlte mich doppelt bereichert: Ich verbrachte eine herrliche Zeit an der Universität, aber es war auch äußerst aufregend, ein Baby zu haben und sich darum zu kümmern. Wir hatten Emanuele sehr lieb, und er war überaus liebenswert. Das ist er noch heute.«

 

An der Universität, in der hitzigen Atmosphäre der späten Sechzigerjahre und des Vietnam-Kriegs, entdeckte Ken Follett auch seine Leidenschaft für Politik.

»Ständig wurde über Politik diskutiert. Uns kam es vor, als wären die Studentenproteste zu einem weltweiten Phänomen geworden. Und obwohl wir jung und voller jugendlicher Arroganz waren – wenn ich mir die Kernfragen betrachte, für die wir eintraten, glaube ich, dass wir im Großen und Ganzen richtig lagen.«

 

Im September 1970, gleich nach der Universität, trat Ken Follett mit einem dreimonatigen Journalistenkurs den Weg an, der ihn zur Schriftstellerei führte. Zuerst arbeitete er als Zeitungsreporter für das South Wales Echo in Cardiff, nach der Geburt seiner Tochter Marie-Claire 1973 als Kolumnist für die Evening News in London. Als Ken Follett sah, dass sein Traum, ein »berühmter Enthüllungsjournalist und Starreporter« zu werden, nicht in Erfüllung gehen würde, begann er, an den Abenden und Wochenenden Romane zu schreiben. 1974 verließ er die Zeitungswelt und nahm eine Stellung bei dem kleinen Londoner Verlag Everest Books an.

 

Seine Feierabend-Schriftstellerei führte zwar zur Veröffentlichung einiger Bücher, von denen sich aber keines gut verkaufte. Schon in dieser Zeit wurde er vom amerikanischen Literaturagenten Al Zuckerman ermutigt und beraten. Dann kam der Tag, an dem sie beide wussten, dass Kens neuer Roman das Zeug zum Bestseller besaß, und Zuckerman sagte: »Dieser Roman wird eine ganz große Sache – mach dich auf Steuerprobleme gefasst.«

 

Die Nadel (Eye of the Needle) war dieser Roman; er wurde 1978 veröffentlicht und machte Ken zum Bestseller-Autor. Die Nadel gewann den Edgar-Award und verkaufte sich mehr als 10 Millionen Mal. Der Erfolg dieses Buches ermöglichte es Ken, seinen bisherigen Beruf aufzugeben, eine Villa im Süden Frankreichs anzumieten und sich völlig seinem nächsten Roman namens Dreifach (Triple) zu widmen. »Ich machte mir große Sorgen, dass ich es nicht wieder schaffen würde. Das passiert vielen Schriftstellern. Sie schreiben ein hervorragendes Buch, aber das nächste ist schon schwächer und verkauft sich auch nicht mehr so oft. Das dritte Buch ist dann nicht sonderlich gut, und ein viertes schreiben sie nicht mehr. Ich war mir voll bewusst, dass mir das Gleiche passieren könnte. Deswegen arbeitete ich sehr hart an Dreifach, um ihn ebenso spannend wie Die Nadel zu machen.«

 

Drei Jahre später kehrten die Folletts nach England zurück, denn Ken vermisste Kino und Theater und die anregende Atmosphäre in London. Auch wollte er wieder von seinem Wahlrecht Gebrauch machen können. Das Paar ließ sich in Surrey nieder, wo Ken sich bei der Beschaffung von Geldern und den Wahlkampagnen der Labour Party engagierte. Dort lernte er auch Barbara Broer kennen, die Sekretärin des dortigen Parteibüros, verliebte sich in sie und heiratete sie 1985 nach seiner Scheidung. Die beiden leben jetzt in Hertfordshire in einem alten Pfarrhaus, das auch Kens Kindern aus erster Ehe sowie Barbaras Sohn und ihren beiden Töchtern sowie deren Partnern und Kindern offensteht.

 

Barbara war Parlamentsabgeordnete von Stevenage – ihren Sitz hatte sie 1997 erstmals errungen und wurde 2001 und 2005 wiedergewählt. Als Gleichstellungsministerin gehörte sie 2007 der Regierung Gordon Browns an. 2010 zog sie sich aus der aktiven Politik zurück und ist seither nicht nur CEO des Ken Follett Office, sondern auch die Agentin ihres Mannes, die ihn international vertritt. Ken unterstützte sie beim Wahlkampf und durch seine Mitarbeit an anderen Aktivitäten der Partei. Obwohl Ken sich politisch engagiert, lässt er sich durch die Politik niemals von der Schriftstellerei abhalten. Er beginnt schon vor dem Frühstück zu schreiben und arbeitet bis etwa siebzehn Uhr: »Ich bin ein Morgenmensch. Sobald ich aufgestanden bin, möchte ich an den Schreibtisch. Am Abend entspanne ich mich gern, möchte essen und trinken und Dinge tun, die mich nur wenig belasten.«

 

In den letzten 40 Jahren hat Ken Follett 30 Romane verfasst. Seine ersten fünf Bestseller waren Spionageromane: Die Nadel (1978), Dreifach (1979), Der Schlüssel zu Rebecca (The Key to Rebecca – 1980), Der Mann aus St. Petersburg (The Man from St. Petersburg – 1982) und Die Löwen (Lie Down with Lions – 1986). Auf den Schwingen des Adlers (On Wings of Eagles – 1983) ist die wahre Geschichte zweier Angestellter von Ross Perot, die während der Revolution in 1979 aus dem Iran gerettet werden.

Und dann überraschte er seine Leser mit einem radikalen Genre-Wechsel: 1989 erschien Die Säulen der Erde (The Pillars of the Earth), ein Roman über den Bau einer fiktiven Kathedrale im Mittelalter. Das Buch erhielt begeisterte Kritiken und führte sechs Jahre lang die deutschen Bestsellerlisten an. In der 2004 vom ZDF durchgeführten Umfrage »Unsere Besten – Das große Lesen« landete Die Säulen der Erde auf Platz 3 der beliebtesten Bücher der Deutschen, gleich nach J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe und der Bibel. Weltweit hat sich der Roman bislang 23 Millionen Mal verkauft.

Die folgenden drei Romane, Nacht über den Wassern (Night Over Water – 1991), Die Pfeiler der Macht (A Dangerous Fortune – 1993) und Die Brücken der Freiheit (A Place Called Freedom – 1995), waren eher historische Romane als Thriller. Mit dem Roman Der dritte Zwilling (The Third Twin – 1996) kehrte er jedoch wieder ins Thriller-Genre zurück. 1997 stand dieser Roman in der jährlichen Übersicht der internationalen Belletristik-Bestseller in Publishing Trends gleich hinter John Grishams The Partner an zweiter Stelle. Sein nächstes Werk, Die Kinder von Eden (The Hammer of Eden – 1998) war wieder ein Kriminalroman, der in der Gegenwart angesiedelt ist, gefolgt von Das zweite Gedächtnis (Code to Zero – 2000), einem Thriller, der zur Zeit des Kalten Krieges spielt.

Für die beiden anschließenden Romane wählte Ken wieder den 2. Weltkrieg als Hintergrund: Die Leopardin (Jackdaws – 2001) ist die Geschichte einer Gruppe von Frauen, die an Fallschirmen über dem besetzten Frankreich abspringen, um ein strategisch wichtiges Fernmeldeamt zu zerstören (der Roman gewann 2003 den begehrten Corine-Preis), und in Mitternachtsfalken (Hornet Flight – 2002) geht es um ein junges dänisches Paar, das tollkühn versucht, mit einem restaurierten Doppeldecker, einer Hornet Moth, aus dem besetzten Dänemark nach England zu flüchten. Mit im Gepäck haben sie wichtige Informationen über ein neues deutsches Radarsystem.

Eisfieber (Whiteout – 2004) ist ein Thriller, der in der Gegenwart spielt und vom Diebstahl eines tödlichen Virus aus einem Forschungslabor handelt. Schauplatz ist das schottische Hochland während einer stürmischen, verschneiten Weihnacht, geprägt von Eifersucht, Misstrauen, sexueller Spannung und Rivalitäten, mit arglistigen Verrätern und unvermuteten Helden.

Die Tore der Welt (World Without End – 2007) ist die lang erwartete Fortsetzung zum immens beliebten Die Säulen der Erde. In diesem Roman kehrt Ken zweihundert Jahre später nach Kingsbridge zurück und berichtet von den Nachkommen der Figuren in Die Säulen der Erde. Breit angelegt und von gewaltigem Umfang, konzentriert es sich auf eine Handvoll Menschen, deren Leben vom Schwarzen Tod bedroht wird, der Pestepidemie, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts Europa befiel.

 

Die nächsten drei Romane des Meisters des Geschichtenerzählens umspannen fünf Generationen auf drei Kontinenten und bilden die sogenannte »Jahrhundert-Saga«. Sturz der Titanen (Fall of Giants, 2010) verfolgt das Schicksal von fünf Familien aus den USA, Deutschland, Russland, England und Wales, die in gegenseitiger Beziehung stehen, in den Wirren des 1. Weltkriegs und der Russischen Revolution und beim Kampf um das Frauenwahlrecht. Sturz der Titanen wurde gleichzeitig in vierzehn Ländern veröffentlicht, war eine internationale Sensation und führte mehrere Bestsellerlisten an.

Winter der Welt (Winter of the World, 2012) nimmt die Fäden des ersten Buches wieder auf, als auf die fünf Familien eine Zeit gewaltiger gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen zukommt, und führt sie durch den Aufstieg des »Dritten Reiches«, den Spanischen Bürgerkrieg und die dramatischen Wendungen des 2. Weltkriegs bis zu den Explosionen der ersten amerikanischen und sowjetischen Atombomben und dem Beginn des langen Kalten Krieges.

Der dritte Band der Jahrhundert-Saga, Kinder der Freiheit (Edge of Eternity), der das Schicksal der fünf Familien vor dem Hintergrund der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen vom Anfang der 1960er bis zum Ende der 1980er Jahre schildert, ist im September 2014 erschienen und handelt vom Kampf um die Bürgerrechte, von Attentaten und den großen Massenbewegungen, von Vietnam und der Kubakrise, Präsidentschaftsskandalen, Revolutionen und vom Rock ’n’ Roll bis hin zum Fall der Berliner Mauer.

Bisher hat sich die Jahrhundert-Saga weltweit über 12 Millionen Mal verkauft.

 

Die Nadel wurde mit großem Erfolg mit Donald Sutherland in der Hauptrolle verfilmt. Sechs weitere Follett-Romane dienten als Vorlage für Mini-Serien für das Fernsehen: Der Schlüssel zu Rebecca, Die Löwen, Auf den Schwingen des Adlers, Der dritte Zwilling – die CBS erwarb die TV-Rechte an diesem Roman für die Rekordsumme von $1.400.000 –, Die Säulen der Erde und Die Tore der Welt. Die beiden letzten Verfilmungen wurden in viele Sprachen synchronisiert und in zahlreichen Ländern ausgestrahlt. Ken verwirklichte sich mit einem Gastauftritt als Diener in Der dritte Zwilling – und später als Händler in Die Säulen der Erde – einen lebenslangen Traum, aber er wird die Schriftstellerei nicht an den Nagel hängen.

 

Die großen Freuden in Kens Leben, abgesehen von den ihm nahe stehenden Menschen, sind gutes Essen und Wein, Shakespeare und Musik.

Musik war ihm schon immer sehr wichtig. Beide Eltern spielten Klavier, und Ken spielt Bassgitarre in einer Band mit Namen »Damn Right I Got The Blues«, mit der er auch ein Album namens Don’t Quit Your Day Job (»Häng deinen richtigen Beruf nicht an den Nagel«) aufgenommen hat – ein recht passender Titel für einen Mann, der keine übertriebenen Vorstellungen in Bezug auf sein musikalisches Talent hegt. »In einer Band zu spielen ist eine sehr sinnliche Beschäftigung, die Schriftstellerei reine Hirnarbeit. Meine Romane folgen, wie in der Unterhaltungsliteratur üblich, einem vorher festgelegten Handlungsgerüst, und ich denke ständig über die Mechanismen der Erzählung nach. Das Spielen in einer Band ist dagegen vollkommen emotionaler Natur. Zwischen den Ohren und den Fingerspitzen besteht eine direkte Verbindung, die die bewusste Vernunft umgeht.«

 

Obwohl Ken ein rühriges Leben führt, in dessen Mittelpunkt Arbeit, Familie und Politik stehen, findet er Zeit, sich in seiner Gemeinde zu engagieren. 1998-99 war er Vorsitzender des National Year of Reading, einer staatlichen Initiative zur Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeit. Zehn Jahre lang war er Präsident der Dyslexia Action, einer Organisation zur Legasthenikerhilfe. Er ist Fellow der Welsh Academy, der Royal Society of Arts und des University College, London.

 

2007 verlieh ihm die University of Glamorgan die Ehrendoktorwürde in Literatur und die Saginaw Valley State University in Michigan einen ähnlichen Titel; dort gibt es auch ein eigenes »Ken-Follett-Archive«, wo seine Unterlagen aufbewahrt werden. 2008 schloss sich die University of Exeter an. Er ist in mehreren Stevenage-Wohlfahrtsstiftungen aktiv und war zehn Jahre lang Mitglied im Aufsichtsgremium der Grundschule von Roebuck, darunter vier Jahre als Vorsitzender.

KENFOLLETT

DIE WAFFEN DESLICHTS

Historischer Roman

Übersetzung aus dem Englischen vonDietmar Schmidt und Rainer Schumacher

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

 

Titel der englischen Originalausgabe:

»The Armour of Light«

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2023 by Ken Follett

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

 

Textredaktion: Dr. Helmut W. Pesch, Köln

Vorsatzkarte: Daren Cook

Innenillustrationen: Markus Weber | Guter Punkt München

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau

Umschlagmotiv: © Annmarie Young/Shutterstock; eakasarn/Shutterstock;

Wongsakorn Dulyavit/Shutterstock

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

 

ISBN 978-3-7517-4827-8

luebbe.de

lesejury.de

 

Dieses Buch ist den Historikern gewidmet. Von ihnen gibt es auf der ganzen Welt viele Tausend. Einige sitzen über alte Handschriften gebeugt in Bibliotheken und versuchen, die geheimnisvollen Hieroglyphen toter Sprachen zu enträtseln. Andere knien an den Stätten zerfallener Gebäude am Boden und durchsieben den Sand nach Überresten vergessener Zivilisationen. Und wieder andere wälzen unfassbar langweilige Akten und beschäftigen sich mit längst vergessenen politischen Krisen. Sie alle sind unermüdlich auf der Suche nach der Wahrheit.

Ohne sie könnten wir nicht verstehen, woher wir kommen. Und das würde es sogar noch schwieriger machen herauszufinden, wohin wir gehen.

 

So lasst uns ablegen die Werke der Finsternisund anlegen die Waffen des Lichtes.

RÖMER 13:12

Bis zu diesem Tag hatte Sal Clitheroe ihren Mann noch nie schreien gehört. Nach diesem Tag sollte sie ihn nur noch in ihren Träumen hören.

Als sie Brook Field erreichte, war es Mittag. Die Zeit las sie an den Eigenschaften des Lichtes ab, das matt durch die perlgrauen Wolken am bedeckten Himmel schimmerte. Brook Field bestand aus vier Morgen schlammigen Ackerlands, das an einer Seite von einem schnell fließenden Bach begrenzt wurde und an dessen Südende sich ein niedriger Hügel erhob. Der Tag war kalt und trocken, aber es hatte eine Woche lang geregnet, und während Sal durch die Pfützen patschte, versuchte die klebrige Brühe ihr die selbstgemachten Schuhe von den Füßen zu ziehen. Sie kam nicht gut voran, aber sie war eine große, kräftige Frau und ermüdete nicht so schnell.

Vier Männer ernteten Winterrüben. Sie bückten sich, klaubten die knolligen braunen Wurzeln aus dem Boden und legten sie in breite flache Körbe. Sobald ein Korb beladen war, trug der Arbeiter ihn zum Fuß des Hügels und schüttete die Rüben in einen stabilen vierrädrigen Wagen aus Eichenholz. Sal konnte sehen, dass die Arbeit fast getan war, denn am nahen Ende des Feldes gab es schon keine Rüben mehr, und die Männer arbeiteten bereits unterhalb des Hügels.

Die Feldarbeiter waren alle gleich gekleidet, sie trugen kragenlose Hemden und Kniehosen, die ihnen ihre Frauen genäht hatten, dazu Westen, die aus zweiter Hand gekauft oder von reichen Leuten weggegeben worden waren. Westen verschlissen nicht. Auch Sals Vater hatte einst eine schöne Weste besessen, zweireihig mit roten und braunen Streifen und bortenbesetzten Säumen, die ein Dandy aus der Stadt weggeworfen hatte. Sie hatte ihn nur in dieser Weste gekannt, und am Ende war er damit begraben worden.

An den Füßen trugen die Arbeiter aufgetragene Schuhe, die immer wieder geflickt wurden. Jeder der Männer hatte eine Kopfbedeckung, und jede war anders: eine Mütze aus Kaninchenfell, ein Wagenradhut aus Stroh mit breiter Krempe, eine hohe Filzkappe und ein Dreispitz, der vielleicht einmal einem Marineoffizier gehört hatte.

Sal erkannte die Kaninchenfellmütze. Sie gehörte Harry, ihrem Mann. Die Mütze hatte sie selbst genäht, nachdem sie das Kaninchen gefangen, mit einem Stein erschlagen, gehäutet und mit einer Zwiebel in einem Topf geschmort hatte. Aber auch ohne Mütze hätte sie Harry schon von Weitem an seinem fuchsroten Bart erkannt.

Harry war schlank, aber drahtig, und man ahnte kaum, wie stark er war; er lud genauso viele Rüben in seinen Korb wie die größeren Männer. Wenn sie den mageren, harten Mann am anderen Ende des Feldes sah, glühte in Sal Verlangen auf, halb Wonne, halb Vorfreude, so als käme sie aus der Kälte herein zum warmen Duft eines Holzfeuers.

Während sie das Feld überquerte, hörte sie die Stimmen der Männer immer deutlicher. Alle paar Augenblicke rief einer etwas, und es gab einen kurzen Wortwechsel, der mit einem Lachen endete. Noch konnte sie die Worte nicht verstehen, aber sie konnte sich gut vorstellen, was sie sich gegenseitig an den Kopf warfen: das gespielt angriffslustige Geplänkel der Arbeiter, gutmütige Beschimpfungen und fröhliche Obszönitäten. Kleine Ablenkungen, mit denen sie sich die eintönige, ewig gleiche Schwerstarbeit ein bisschen erträglicher machten.

Ein fünfter Mann sah ihnen vom Wagen aus zu. In der Hand hielt er eine kurze Pferdepeitsche. Er war besser gekleidet als die Feldarbeiter und trug einen blauen Schoßrock zu glänzenden schwarzen Kniestiefeln. Will Riddick hieß er, war dreißig Jahre alt und der älteste Sohn des Squire, des Gutsherrn von Badford. Der Acker gehörte seinem Vater, ebenso wie Pferd und Wagen. Will hatte dichtes schwarzes Haar, das auf Kinnlänge gestutzt war, und er sah unzufrieden aus. Sal konnte sich denken, warum. Die Rübenernte zu beaufsichtigen war nicht seine Aufgabe, und er hielt sich für zu gut dafür; aber der Verwalter des Gutsherrn war krank, und Sal nahm an, dass Will ihn gegen seinen Willen vertreten musste.

Neben Sal stapfte ihr einziges Kind barfuß über den schlammigen Boden und bemühte sich, mit ihr Schritt zu halten, bis sie sich umdrehte, bückte und den kleinen Jungen mühelos hochnahm. Sie ging mit ihm auf dem Arm weiter, sein Kopf ruhte auf ihrer Schulter. Sal hielt seinen dürren, warmen Leib ein wenig fester als nötig, denn sie hatte ihn furchtbar lieb.

Sie hätte gern mehr Kinder gehabt, doch nach zwei Fehlgeburten und einer Totgeburt hatte sie die Hoffnung aufgegeben und sich eingeredet, dass für arme Leute wie sie ein Kind genug sei. Sie vergötterte ihren Sohn, was gefährlich war, denn viele Kinder starben an Krankheiten oder bei Unfällen, und Sal wusste, dass es ihr das Herz brechen würde, ihn zu verlieren.

Sie hatten ihn Christopher genannt, doch als er sprechen lernte, hatte er seinen Namen zu »Kit« verkürzt, und so wurde er auch heute noch genannt. Er war sechs Jahre alt und klein für sein Alter. Sal hoffte, dass er zu einem Mann wie Harry heranwachsen würde, schlank, aber kräftig. Die roten Haare hatte er auf jeden Fall von seinem Vater geerbt.

Es war Zeit fürs Mittagessen, und Sal brachte einen Korb mit Brot, Käse und drei schrumpeligen Äpfeln. Ein Stück hinter ihr ging eine andere Frau aus dem Dorf. Annie Mann war energisch und im gleichen Alter wie Sal. Zwei weitere Frauen mit derselben Aufgabe kamen aus der anderen Richtung den Hügel herunter, Körbe am Arm, Kinder im Schlepptau. Die Männer hörten dankbar mit der Arbeit auf, wischten sich die schlammigen Hände an den Hosen ab und gingen zum Bach, wo sie sich im Gras niederlassen konnten.

Sal erreichte den Weg am Bach und setzte Kit sanft ab.

Will Riddick nahm eine Uhr an einer Kette aus der Westentasche und blickte mit finsterer Miene darauf. »Noch ist nicht Mittag!«, rief er. Sal war sich sicher, dass er log, doch außer ihm besaß niemand eine Uhr. »Weitermachen, Männer!«, befahl er.

Sal war nicht überrascht. Will hatte einen Hang zur Bosheit. Schon sein Vater, der Gutsherr, konnte hartherzig sein, aber Will war schlimmer. »Macht eure Arbeit zu Ende, dann dürft ihr essen«, sagte er. In der Art, wie er das Wort »essen« aussprach, lag etwas Geringschätziges, als wäre an den Mahlzeiten der Arbeiter etwas Verachtenswertes. Wenn Will zum Herrenhaus zurückging, stand dort für ihn bestimmt Roastbeef mit Kartoffeln auf dem Tisch, vermutete Sal, und dazu ein Krug Starkbier.

Drei Männer bückten sich, um die Arbeit fortzusetzen, der vierte jedoch nicht. Er war Ike Clitheroe, Harrys Onkel, ein graubärtiger Mann in den Fünfzigern. In mildem Ton sagte er: »Besser den Wagen nicht überladen, Mr. Riddick.«

»Du kannst es mir überlassen, das zu beurteilen.«

»Ich bitte um Verzeihung«, beharrte Ike, »aber die Bremse ist schon ziemlich abgenutzt.«

»Mit dem verdammten Wagen ist alles in Ordnung«, sagte Will. »Du willst nur früher mit der Arbeit aufhören. Das kenne ich schon von dir.«

Sals Mann meldete sich zu Wort. Wenn er bei einem Streit mitmischen konnte, ließ sich Harry nie lange bitten. »Sie sollten auf Onkel Ike hören«, sagte er zu Will. »Sonst könnten Sie Ihren Wagen und Ihr Pferd und die ganzen dämlichen Rüben dazu verlieren.«

Die anderen Männer lachten, obwohl es nie klug war, sich über Höhergestellte lustig zu machen. Will zog ein finsteres Gesicht. »Du hältst deine freche Klappe, Harry Clitheroe.«

Sal fühlte, wie Kit seine kleine Hand in ihre Rechte schob. Sein Vater geriet in Streit, und so jung Kit noch war, er spürte die Gefahr.

Harrys Schwäche war seine Keckheit. Er war ein ehrlicher Mann und ein guter Arbeiter, aber er sah einfach nicht ein, dass Landadelige etwas Besseres sein sollten als er. Sal liebte ihn für seinen Stolz und seinen eigenen Kopf, aber der Herrschaft passte beides gar nicht, und Harry bekam wegen seiner aufsässigen Art oft Scherereien. Jetzt allerdings hatte er gesagt, was er zu sagen hatte, und machte sich schweigend wieder an die Arbeit.

Die Frauen stellten ihre Körbe ans Ufer des Baches. Sal und Annie gingen ihren Männern beim Rübensammeln helfen, während die beiden anderen, älteren Frauen sich zu den Körben setzten.

Die Arbeit war schnell getan. Nun aber wurde offensichtlich, dass Will einen Fehler begangen hatte, als er den Wagen am Fuß des Hügels stehen ließ. Er hätte ihn fünfzig Yards den Weg hinunter abstellen sollen. So hätte das Pferd antraben und das Gespann Geschwindigkeit aufnehmen können, bevor es die Steigung erklimmen musste. Er überlegte kurz und sagte dann: »Männer, schiebt den Wagen an, das Pferd schafft es nicht allein.« Er sprang auf den Bock, schlug mit der Peitsche zu und rief: »Hü!«

Die graue Stute stemmte sich ins Geschirr. Die vier Arbeiter scharten sich hinter den Wagen und schoben. Ihre Füße rutschten auf dem nassen Weg aus. Harrys Schultermuskeln spielten. Sal, die genauso stark war wie jeder Mann, schloss sich an. Der kleine Kit tat es ihr gleich, was die Männer zum Lächeln brachte.

Die Räder bewegten sich, die Stute senkte den Kopf und legte sich in die Zugriemen, die Peitsche knallte, und der Wagen fuhr an. Die Helfer blieben zurück und sahen zu, wie er die Steigung hinaufrollte. Doch die Stute wurde langsamer, und Will rief: »Schiebt weiter!«

Sie eilten vor, legten die Hände an das Heck des Wagens und stemmten sich erneut dagegen. Wieder nahm der Wagen Fahrt auf. Ein paar Yards weit lief die Stute gut; kräftige Schultern drückten sich in das lederne Geschirr, aber sie konnte das Tempo nicht halten, wurde langsamer und strauchelte im glitschigen Schlamm. Kurz gelang es ihr, wieder Fuß zu fassen, doch sie hatte den Schwung verloren, und der Wagen kam mit einem Ruck zum Stehen. Will peitschte auf das Tier ein, und Sal und die Männer schoben mit aller Kraft, aber sie konnten den Wagen nicht halten, und die hohen Holzräder drehten sich langsam rückwärts.

Will zerrte am Griff der Bremse, und alle hörten ein lautes Knacken. Sal sah, wie die Hälften eines zerbrochenen Bremsklotzes vom linken Hinterrad davonflogen. »Ich hab’s ihm gesagt«, hörte sie Ike brummen. »Ich hab’s dem Blödian ja gesagt.«

Sie schoben, so fest sie konnten, aber sie wurden zurückgedrängt, und Sal hatte das ungute Gefühl, in unmittelbarer Gefahr zu schweben. Immer schneller rollte der Wagen rückwärts.

»Schiebt, ihr faulen Hunde!«, schrie Will.

Ike nahm die Hände vom Heck des Wagens. »Wir können ihn nicht halten!«

Wieder rutschte das Pferd aus, und diesmal stürzte es. Das lederne Geschirr riss an mehreren Stellen, und die Stute ging zu Boden und wurde vom schweren Wagen mitgeschleift.

Will sprang vom Sitz. Der Wagen rollte, nun völlig unkontrolliert, immer schneller. Ohne darüber nachzudenken, nahm Sal mit einem Arm Kit hoch und hechtete vor den Rädern zur Seite. »Alle aus dem Weg!«, rief Ike.

Die Männer spritzten auseinander. Im selben Moment geriet der Wagen ins Wanken und kippte zur Seite. Sal sah, wie Harry und Ike zusammenprallten. Beide stürzten. Ike rollte sich vom Weg, aber Harry fiel genau in die Bahn des Wagens, und das Gefährt traf ihn; die Pritsche aus schweren Eichenplanken landete genau auf seinem Bein.

Das war der Moment, in dem er schrie.

Sal erstarrte. Kalte Angst umklammerte ihr Herz. Harry war verletzt, schwer verletzt. Ein Augenblick verstrich, in dem alle nur entsetzt starrten. Die Rüben aus dem Wagen rollten über den Boden, einige fielen platschend in den Bach. Harry schrie heiser: »Sal! Sal!«

»Hebt den Wagen von ihm runter!«, rief sie. »Macht schon!«

Alle halfen mit. Um den Wagen von Harrys Bein zu heben, mussten sie ihn aufrichten, und das ging nur, wenn sie ihn über die großen, wackeligen Räder kippten. Dazu mussten sie ihn jedoch gemeinsam bis auf die Höhe der Achsen hochstemmen. »Die Schultern unter den Wagen!«, befahl sie, und alle verstanden sofort, wie sinnvoll ihre Anweisung war. Doch das Holz war schwer, und sie drückten gegen die Steigung des Hügels. Einen schrecklichen Moment lang glaubte Sal, der Wagen würde ihnen entgleiten, zurückfallen und Harry ein zweites Mal unter sich begraben. »Kommt schon, hoch damit!«, rief sie. »Alle zusammen!«, und alle schrien: »Hoch!«

Mit einem Mal kippte der Wagen nach hinten und stellte sich aufrecht. Mit lautem Krachen setzten die Räder an der anderen Seite auf.

Sals Blick fiel auf Harrys Bein, und sie schnappte entsetzt nach Luft. Es war vom Oberschenkel bis zum Schienbein zermalmt. Knochenstücke ragten aus dem Fleisch, und Harrys Hose war blutgetränkt. Er hatte die Augen geschlossen, und ein entsetzliches Stöhnen drang ihm über die halb geöffneten Lippen.

Onkel Ike murmelte: »O Herrgott, verschone ihn!«

Kit fing an zu weinen.

Sal hätte am liebsten auch geweint, aber sie beherrschte sich. Sie musste Hilfe holen. Wer rannte am schnellsten? Sie sah die Gruppe an, und ihr Blick fiel auf Annie. »Lauf ins Dorf, so schnell du kannst, Annie, und hol Alec.« Alec Pollock war der Bader, Wundarzt und Barbier in einer Person. »Sag ihm, er soll zu unserer Hütte kommen. Alec wird wissen, was zu tun ist.«

»Pass auf meine Kinder auf«, sagte Annie und rannte los.

Sal kniete sich neben Harry in den Schlamm. Er öffnete die Augen. »Hilf mir, Sal«, flehte er. »Hilf mir.«

»Ich trag dich nach Hause, Liebling«, sagte sie. Sie schob die Hände unter ihn, aber als sie versuchte, ihn anzuheben, schrie er wieder auf. Sal zog die Hände zurück. »Herr Jesus, hilf mir!«

»Ihr Männer«, hörte sie Will in diesem Moment sagen, »füllt die Rüben wieder in den Wagen. Na, kommt schon, bewegt euch!«

Leise sagte sie: »Jemand soll ihn zum Schweigen bringen, sonst tue ich es.«

»Was ist mit Ihrem Pferd, Mr. Riddick?«, fragte Ike. »Kann es aufstehen?« Er ging um den Wagen herum und sah sich die Stute an, um Wills Aufmerksamkeit von Harry abzulenken. Sal dachte: Danke! Sehr klug von dir, Onkel Ike.

Sie wandte sich an Annies Gatten, Jimmy Mann, den Besitzer des Dreispitzes. »Geh zum Holzlager. Bitte sie, schnell aus zwei oder zwei breiten Brettern eine Trage zu zimmern, damit wir Harry ins Dorf schaffen können.«

»Schon unterwegs«, sagte Jimmy.

»Helft mir, das Pferd wieder auf die Beine zu bringen!«, rief Will.

Ike erwiderte: »Ihre Stute wird nie wieder aufstehen, Mr. Riddick.«

Schweigen trat ein, und Will sagte: »Ich glaube, da hast du recht.«

»Warum holen Sie nicht eine Pistole?«, fragte Ike. »Erlösen Sie das Tier von seinen Qualen.«

»Ja«, sagte Will, aber er klang nicht sehr entschieden, und Sal erkannte, dass er hinter seiner polternden Fassade schockiert war.

»Nehmen Sie einen Schluck von Ihrem Brandy, falls Sie Ihre Flasche dabeihaben«, schlug Ike vor.

»Gute Idee.«

Während er trank, fuhr Ike fort: »Der arme Junge mit dem zerquetschten Bein könnte einen Drink vertragen. Vielleicht lindert das den Schmerz ein wenig.«

Will gab keine Antwort, aber gleich darauf kam Ike mit einer silbernen Flasche in der Hand um den Wagen herum. Gleichzeitig ging Will eiligen Schritts in die andere Richtung davon.

»Gut gemacht, Ike«, murmelte Sal.

Er reichte ihr Wills Flasche, und sie hielt sie Harry an die Lippen und träufelte ihm etwas von dem Inhalt in den Mund. Er hustete, schluckte und schlug die Augen auf. Sie gab ihm mehr, und er trank gierig.

»Flöß ihm so viel wie möglich davon ein«, sagte Ike. »Wir wissen nicht, was Alec tun muss.«

Einen Moment lang fragte sich Sal, was Ike damit meinte, dann begriff sie, dass Harry möglicherweise das Bein abgenommen werden musste. »Oh nein«, sagte sie. »Bitte, Herr!«

»Gib ihm einfach noch mehr Brandy.«

Der Alkohol brachte ein wenig Farbe in Harrys Gesicht zurück. Er flüsterte kaum vernehmbar: »Es tut so weh, Sal, es tut so weh.«

»Der Bader kommt.« Ihr fiel nichts ein, was sie sonst noch sagen könnte. Ihre Hilflosigkeit machte sie innerlich rasend.

Während sie warteten, gaben die Frauen den Kindern zu essen. Sal reichte Kit die Äpfel aus ihrem Korb. Die Männer fingen an, die verstreuten Rüben aufzulesen und wieder auf den Wagen zu legen. Früher oder später musste die Arbeit erledigt werden.

Jimmy Mann kehrte mit einer Holztür zurück, die er gefährlich auf einer Schulter balancierte. Er senkte sie mühevoll auf den Boden, keuchend von der Anstrengung, das schwere Ding eine halbe Meile weit getragen zu haben. »Die ist für das neue Haus an der Mühle«, erklärte er. »Sie haben gesagt, wir sollen ihnen keine Schrammen reinmachen.« Er legte die Tür neben Harry ab.

Nun musste Harry auf die behelfsmäßige Trage gehoben werden, und das würde ihm wehtun. Sal kniete an seinem Kopf. Onkel Ike trat vor, um zu helfen, aber sie winkte ihn weg. Niemand würde sich so viel Mühe geben, sanft zu sein, wie sie selbst. Sie griff unter Harrys Achseln und zog, bis seine Schultern auf der Tür auflagen. Er reagierte nicht. Zoll für Zoll zog sie weiter, bis er mit dem ganzen Oberkörper auf der Tür lag. Schließlich musste sie auch seine Beine bewegen. Sie stellte sich rittlings über Harry, packte ihn an den Hüften und legte mit einem raschen Ruck die Beine auf die Trage.

Er schrie zum dritten Mal.

Der Schrei versiegte und wurde zu einem Schluchzen.

»Heben wir ihn an«, sagte Sal. Sie kniete sich an eine Ecke der Tür, und drei Männer nahmen die anderen Ecken. »Schön langsam. Haltet ihn waagerecht.« Sie packten die Tür und hoben sie vorsichtig hoch, duckten sich darunter, sobald es ging, und balancierten sie auf ihren Schultern aus. »Fertig?«, fragte Sal. »Versucht, im Tritt zu bleiben. Auf drei. Eins, zwei, drei, los.«

Sie überquerten das Feld. Sal blickte zurück und sah Kit, der benommen und durcheinander war, aber er kam ihr mit dem Korb nach. Annies zwei kleine Kinder folgten ihrem Vater, der die linke hintere Ecke der Trage hielt.

Badford war ein großes Dorf mit tausend oder mehr Einwohnern, und die Hütte, die Sal und Harry gemietet hatten, lag eine Meile entfernt. Der lange Marsch dorthin konnte nur in gemessenem Tempo zurückgelegt werden, aber immerhin kannte sie den Weg so gut, dass sie ihn wohl auch mit geschlossenen Augen gefunden hätte. Sal hatte ihr ganzes Leben in Badford verbracht, und ihre Eltern lagen auf dem Kirchhof von St. Matthew’s begraben. Die einzige andere Ortschaft, die sie kannte, war Kingsbridge, und dort war sie zuletzt vor zehn Jahren gewesen. Badford hatte sich über all die Jahre gewandelt, und es war nicht mehr so einfach wie in ihrer Kindheit, von einem Ende des Dorfes zum anderen zu gelangen. Neue Ideen hatten die Landwirtschaft verändert, und nun waren Zäune und Hecken im Weg. Harrys Träger mussten Gatter passieren und gewundenen Wegen folgen, die zwischen privaten kleinen Königreichen hindurchführten.

Männer, die auf anderen Äckern arbeiteten, schlossen sich ihnen an, und dann Frauen, die aus den Häusern kamen, um zu schauen, was vorging, und kleine Kinder und Hunde. Alle folgten ihnen, redeten miteinander, sprachen über den armen Harry und seine schreckliche Verletzung.

Sals Schulter schmerzte unter dem Gewicht von Harry und der Tür, und sie erinnerte sich, dass sie als Fünfjährige – damals noch Sally genannt – das Land außerhalb des Dorfes für einen vagen, aber schmalen Rand gehalten hatte, ähnlich wie ein Garten, der die Hütte umgab, in der sie wohnte. In ihrer Vorstellung war die ganze Welt nur wenig größer als Badford gewesen. Als sie zum ersten Mal nach Kingsbridge mitgenommen wurde, hatte sie die Stadt atemberaubend gefunden: Tausende Menschen, überfüllte Straßen, Marktstände mit Essen und Kleidern und lauter Dingen, von denen sie noch nie gehört hatte – ein Papagei, ein Globus, ein Buch, in das man schreiben konnte, ein silberner Teller. Und dann die Kathedrale: unglaublich hoch, seltsam schön, innen kühl und still, ganz ohne Zweifel das Haus, in dem Gott wohnte.

Kit war nur ein bisschen älter, als sie bei diesem ersten erstaunlichen Ausflug gewesen war. Sal versuchte, sich vorzustellen, was er gerade dachte. Sie vermutete, dass er seinen Vater für unbesiegbar gehalten hatte, wie es Jungen gewöhnlich taten, und nun versuchte, mit der Tatsache fertig zu werden, dass Harry verletzt und hilflos dalag. Kit musste verängstigt und verwirrt sein. Er würde nachher viele tröstende Worte von ihr brauchen.

Endlich kam ihre Hütte in Sicht. Sie gehörte zu den schäbigeren im Dorf, errichtet aus Torf und dem üblichen Flechtwerk aus Ästen und Zweigen. Die Fenster hatten Läden, waren aber nicht verglast. »Kit«, sagte Sal, »geh vor, und mach die Tür auf.« Er gehorchte, und sie trugen Harry geradewegs hinein. Die Menge blieb draußen und warf Blicke in die Hütte.

Die Hütte hatte nur einen Raum. Darin standen zwei Betten, eines breit, das andere schmal, beide einfache Plattformen aus unlackierten Latten, die Harry zusammengenagelt hatte. Auf jedem lag ein Strohsack aus Segeltuch. »Legen wir ihn auf das große Bett«, sagte Sal. Vorsichtig senkten sie Harry auf das Bett, ohne ihn von der Tür zu nehmen.

Die drei Männer und Sal richteten sich auf, rieben sich die wunden Hände und streckten ihre schmerzenden Rücken. Sal betrachtete Harry, der bleich und reglos dalag und kaum atmete. »Lieber Gott«, murmelte sie, »bitte nimm ihn mir nicht weg!«

Kit stellte sich vor sie und umarmte sie, das Gesicht an ihren Bauch gepresst, der seit seiner Geburt immer weich geblieben war. Sie strich ihm über den Kopf. Wie gern hätte sie etwas Aufmunterndes gesagt, aber ihr wollte nichts einfallen, und die Wahrheit hätte ihn nur verängstigt.

Sie merkte, dass die Männer sich neugierig umschauten. Ihre Hütte war recht ärmlich, aber bei ihnen sah es bestimmt nicht viel anders aus, denn sie alle waren Landarbeiter. In der Mitte des Raumes stand Sals Spinnrad. Es war eine schöne Arbeit, mit Sorgfalt geschnitzt und poliert. Sie hatte es von ihrer Mutter geerbt. Daneben stand ein kleines Gestell mit Spindeln, die mit fertigem Garn bewickelt waren und darauf warteten, vom Tuchmacher abgeholt zu werden. Das Spinnrad finanzierte ihren Luxus: Tee mit Zucker, Milch für Kit, zweimal die Woche Fleisch.

»Eine Bibel!« Jimmy Mann hatte die einzige andere Kostbarkeit unter ihrem Dach entdeckt. Das große Buch stand mitten auf dem Tisch. Seine Messingschließe war grün vom Alter, und der Ledereinband zeigte die Abdrücke vieler schmutziger Hände.

»Sie hat meinem Vater gehört«, sagte Sal.

»Kannst du sie lesen?«

»Er hat es mir beigebracht.«

Sie waren beeindruckt. Sal vermutete, dass keiner von ihnen mehr als ein paar Wörter entziffern konnte: ihre Namen und vielleicht noch die Preise, die mit Kreide auf die Tafeln der Märkte und Schänken geschrieben waren. Jimmy fragte: »Sollen wir Harry von der Tür auf den Strohsack schieben?«

»Dann hätte er es bequemer«, sagte Sal.

»Und ich bin froh, wenn ich die Tür heil zum Holzplatz zurückbringen kann.«

Sal trat auf die andere Seite des Bettes und kniete sich auf den Erdfußboden. Sie streckte die Arme aus, um Harry abzufangen, sobald er von der Tür rutschte. Die drei Männer fassten die andere Seite. »Langsam und vorsichtig«, sagte Sal. Sie hoben die Kante an, die Tür kippte, und Harry bewegte sich einen Zoll weit und stöhnte. »Noch ein bisschen höher«, sagte sie. Diesmal glitt er bis an den Rand des Türblatts.

Sal schob die Hände unter ihn. »Noch etwas mehr«, sagte sie, »und zieht die Tür ein Stückchen weg.« Als Harry vom Holz rutschte, schob sie erst ihre Hände und dann die Unterarme unter ihn. Sie versuchte, ihn so ruhig zu halten, wie es nur ging. Es schien zu gelingen, denn er gab keinen Laut von sich. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, es könne kein gutes Zeichen sein, dass er so still blieb.

Am Ende zogen sie die Tür doch ein wenig zu schnell weg, und Harrys Bein landete mit einem leichten Ruck auf dem Strohsack. Wieder schrie er auf. Diesmal hieß Sal seinen Schmerzenslaut als Zeichen willkommen, dass er noch lebte.

Annie Mann trat mit Alec, dem Bader, ins Haus. Als Erstes sah sie nach ihren Kindern. Danach betrachtete sie Harry. Sie sagte nichts, aber Sal merkte, dass sie schockiert war, wie schlimm er aussah.

Alec Pollock war ein eleganter Mann, der einen Schoßrock und Kniehosen trug, beides alt, aber gut erhalten. Er besaß keinerlei medizinische Ausbildung, die über das hinausging, was er von seinem Vater gelernt hatte, der denselben Beruf wie er ausgeübt und ihm die scharfen Messer und anderen Instrumente vererbt hatte, die alle Qualifikation waren, die ein Wundarzt brauchte.

Er brachte eine kleine Holzkiste mit Tragegriff mit, die er neben dem Kamin auf den Boden stellte. Danach sah er sich Harry an.

Sal nahm die Augen nicht von Alecs Gesicht und suchte in ihm einem Hinweis, was er dachte, doch seine Miene gab nichts preis.

»Harry, können Sie mich hören?«, fragte er. »Wie fühlen Sie sich?«

Harry gab keine Antwort.

Alec musterte das zermalmte Bein. Der Strohsack darunter war blutgetränkt. Als Alec die Knochenspitzen berührte, die aus dem Fleisch ragten, jaulte Harry vor Schmerz auf, aber es war nicht so schlimm wie seine Schreie zuvor. Alec betastete die Wunde mit einem Finger, und Harry jaulte erneut auf. Dann ergriff der Bader Harrys Fußgelenk und hob das Bein an. Jetzt schrie Harry wieder.

»Es ist schlimm, oder?«, fragte Sal.

Alec sah sie an, zögerte und antwortete nur: »Ja.«

»Was können Sie tun?«

»Die gebrochenen Knochen kann ich nicht richten«, sagte er. »Manchmal ist es möglich. Wenn nur ein Knochen gebrochen und nicht allzu weit verschoben ist, bekomme ich ihn manchmal in die richtige Stellung, kann den Bruch schienen und ihm die Möglichkeit geben, von selbst zu heilen. Aber das Knie ist zu kompliziert, und der Schaden an Harrys Knochen ist zu groß.«

»Also …«

»Die größte Gefahr besteht darin, dass die Wunde sich entzündet und das Fleisch brandig wird. Daran könnte er sterben. Die Lösung ist, ihm das Bein abzunehmen.«

»Nein«, widersprach sie. »Sie können ihm doch nicht das Bein absägen. Er hat schon so viel gelitten.«

»Es könnte ihm das Leben retten.«

»Es muss noch einen anderen Weg geben.«

»Ich kann versuchen, die Wunde zu verschließen«, sagte er zweifelnd. »Doch wenn das nichts hilft, ist eine Amputation der einzige Ausweg.«

»Versuchen Sie es bitte.«

»Also gut.« Alec bückte sich und öffnete seinen Holzkasten. »Sal, können Sie ein wenig Holz ins Feuer legen? Es muss richtig heiß sein.«

Sie eilte zum Kamin und schürte das Feuer unter dem Rauchabzug. Alec nahm eine irdene Schüssel und einen verkorkten Krug aus seinem Kasten. Zu Sal sagte er: »Ich nehme nicht an, dass Sie irgendeinen Brandy haben.«

»Nein«, antwortete sie, dann erinnerte sie sich an Riddicks Flasche. Sie hatte sie sich ins Kleid geschoben. »Doch, habe ich«, sagte sie und zückte das Gefäß.

Alec zog die Brauen hoch.

»Sie gehört Will Riddick«, erklärte sie. »Der Unfall war seine Schuld. Dieser verdammte Narr! Wenn doch nur sein Knie zerschmettert worden wäre!«

Alec tat so, als hätte er nicht gehört, wie sie den Sohn des Gutsherrn verfluchte. »Harry soll so viel davon trinken, wie er kann. Wenn er bewusstlos wird, umso besser.«

Sie setzte sich neben Harry aufs Bett, hob seinen Kopf an und träufelte ihm wieder Brandy in den Mund. Alec erhitzte währenddessen Öl in der Schale. Als die Flasche leer war, brodelte das Öl, ein Anblick, bei dem Sal übel wurde.

Alec schob eine große flache Schüssel unter Harrys Knie. Neben Sal sahen die drei Feldarbeiter, Annie und ihre beiden Kinder in gebanntem Entsetzen zu. Und Kit, dessen Gesicht starr wie eine Wand war.

Als der Augenblick kam, handelte Alec schnell und präzise. Mit einer Zange hob er die Schale vom Feuer und goss das kochende Öl über Harrys Knie.

Harry gab den schlimmsten Schrei überhaupt von sich und verlor das Bewusstsein.

Die Kinder weinten.

In der Hütte hing der Übelkeit erregende Gestank von verbranntem Menschenfleisch.

Das Öl sammelte sich in der flachen Schüssel unter Harrys Bein. Alec wiegte sie hin und her und sorgte dafür, dass das heiße Öl auch die Kniekehle benetzte, damit die Wunde ganz verödet war. Danach zog er sie weg, goss das Öl wieder in den Krug und verkorkte ihn.

»Meine Rechnung sende ich an den Gutsherrn«, sagte er zu Sal.

»Ich hoffe, er bezahlt Sie«, sagte Sal. »Ich kann es nicht.«

»Er sollte mich bezahlen. Ein Gutsherr steht gegenüber seinen Arbeitern in der Pflicht. Auch wenn kein Gesetz ihn dazu zwingt. Jedenfalls ist es eine Sache zwischen ihm und mir. Sorgen Sie sich deswegen nicht. Harry wird nichts essen wollen, aber versuchen Sie, ihn dazu zu bringen, etwas zu trinken. Am besten wäre Tee. Bier geht auch oder frisches Wasser. Und halten Sie ihn warm.« Er räumte seine Sachen zurück in den Kasten.

»Kann ich sonst noch etwas tun?«, fragte Sal.

Alec zuckte mit den Schultern. »Beten Sie für ihn.«

Kaum sah Amos Barrowfield das Dorf Badford aus der Ferne, wusste er, dass etwas nicht stimmte.

Auf den Feldern arbeiteten Männer, aber nicht so viele, wie er erwartet hätte. Abgesehen von einem verlassenen Wagen war die Straße ins Dorf wie leergefegt. Er sah nicht einmal einen Hund.

Amos war Tuchfabrikant und vergab Aufträge zur Herstellung von Wollgarn. Um genau zu sein, war sein Vater der Tuchfabrikant; aber Obadiah Barrowfield war fünfzig und litt unter Atemnot, und so war es Amos, der mit Packpferden übers Land reiste und die Heimarbeiter aufsuchte. Die Pferde trugen Säcke mit Rohwolle, dem abgeschorenen Fell der Schafe.

Die Arbeit, die Wolle zu Tuch zu machen, wurde vor allem von Dorfbewohnern in Heimarbeit verrichtet. Zuerst musste die Wolle entwirrt und gereinigt werden, was man Krämpeln oder Kardieren nannte. Danach wurde sie zu langen Garnfäden gesponnen und auf Spindeln gewickelt. Zuletzt wurden die Fäden auf einem Webstuhl miteinander verflochten und zu Tuchbahnen von einem Yard Breite verarbeitet. Die Tuchherstellung war das wichtigste Gewerbe im Westen Englands, und Kingsbridge lag in dessen Zentrum.

Amos stellte sich gern vor, dass schon Adam und Eva, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, diese Arbeiten verrichtet haben mussten, um Kleidung zu erhalten und ihre Blöße zu bedecken. Allerdings verriet die Bibel nicht viel über Krämpeln und Spinnen und auch nicht, wie Adam seinen Webstuhl gebaut hatte.

Als Amos die Häuser erreichte, sah er, dass nicht alle Menschen verschwunden waren. Etwas hatte die Feldarbeiter abgelenkt, aber seine Heimarbeiter waren in ihren Häusern und Hütten. Sie wurden nach Leistung bezahlt und ließen sich nur ungern von ihrer Arbeit ablenken.

Zuerst ging er zum Haus eines Wollkrämplers namens Mick Seabrock. In beiden Händen hielt Mick jeweils eine große Bürste mit eisernen Borsten, Karde genannt, die eine mit den Borsten, die andere mit dem Rücken aus glattem Holz nach oben. Zwischen den beiden Karden spannte sich ein Büschel Rohwolle, das er mit festen, nimmermüden Strichen durchkämmte. Der Wirrwarr aus schmutzigen Flocken, an denen Schlamm und Pflanzenreste klebten, verwandelte sich durch die gleichförmigen Bewegungen in Flor aus sauberen, parallelen Fasern. Sobald Mick mit seinem Werk zufrieden war, würde er die Fasern locker zu einem Wollstrang verdrillen.

Micks erste Worte an Amos waren: »Haben Sie das mit Harry Clitheroe gehört?«

»Nein«, sagte Amos. »Ich bin gerade angekommen. Sie sind der Erste, den ich besuche. Was ist Harry zugestoßen?«

»Hat sich das Bein unter einem durchgehenden Wagen zerquetscht. Sie sagen, er kann nie wieder arbeiten.«

»Furchtbar. Wie ist das passiert?«

»Man hört verschiedene Geschichten. Will Riddick sagt, Harry hätte geprahlt und zeigen wollen, dass er einen beladenen Wagen allein anschieben kann. Aber Ike Clitheroe sagt, es war Wills Schuld, weil er den Wagen überladen hat.«

»Sal wird untröstlich sein.« Amos kannte die Clitheroes. Sie hatten aus Liebe geheiratet. Harry war ein harter Bursche, doch für Sal hätte er alles getan. Sie wiederum kommandierte ihn herum, vergötterte ihn jedoch zugleich. »Ich gehe sie gleich besuchen.«

Er bezahlte Mick, händigte ihm frische Rohwolle aus und nahm einen Sack mit neuen Wollsträngen mit.

Bald stellte er fest, wohin die vermissten Dorfbewohner gegangen waren. Um die Hütte der Clitheroes hatte sich eine Menschenmenge versammelt.

Sal war Spinnerin. Anders als Mick konnte sie nicht zwölf Stunden am Tag arbeiten, denn sie hatte noch viele andere Pflichten: Kleidung für Harry und Kit nähen, Gemüse in ihrem Garten anbauen, einkaufen und kochen, waschen, putzen und alle möglichen anderen Hausarbeiten verrichten. Amos wünschte, sie hätte mehr Zeit zum Spinnen, denn Garn war knapp.

Die Menge teilte sich für ihn. Er war in Badford bekannt und bot vielen Dorfbewohnern eine andere Einkommensquelle als die schlecht bezahlte Feldarbeit. Mehrere Männer grüßten ihn freundlich, und einer sagte: »Der Bader ist gerade gegangen, Mr. Barrowfield.«

Amos ging hinein. Harry lag bleich und reglos auf dem Bett. Er hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Um das Bett herum standen mehrere Leute. Als Amos’ Augen sich an das Halbdunkel in der Hütte gewöhnt hatten, erkannte er die meisten von ihnen.

Er sprach Sal an. »Was ist passiert?«

Ihr Gesicht war verzerrt und zeugte von Bitterkeit und Verlust. »Will Riddick hat einen Wagen überladen und die Gewalt darüber verloren. Die Männer haben versucht, ihn anzuhalten, aber er ist umgekippt und hat Harrys Bein zerquetscht.«

»Was hat Alec Pollock gesagt?«

»Er wollte Harry das Bein absägen, aber ich habe ihn dazu gebracht, es erst mit kochendem Öl zu versuchen.« Sie blickte zu dem bewusstlosen Mann auf dem Bett und fügte traurig hinzu: »Ich bezweifle aber, dass ihm so oder so noch zu helfen ist.«

»Armer Harry«, sagte Amos.

»Ich glaube, er könnte bereit sein, den großen Fluss, den Jordan, zu überqueren.« Ihre Stimme brach, und sie begann zu schluchzen.

Er hörte eine panikerfüllte Kinderstimme: »Nicht weinen, Ma!« Amos erkannte Kit.

Sals Schluchzen verstummte. Sie legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und drückte sie. »Ist schon gut, Kit, ich weine ja gar nicht.«

Amos wusste nicht, was er sagen sollte. Angesichts dieser entsetzlichen Not in der elenden Hütte einer armen Familie fehlten ihm die Worte. Ihm fiel nur etwas Prosaisches ein. »Ich werde Sie diese Woche nicht damit behelligen, dass Sie Garn spinnen müssen.«

»Oh, ich bitte sogar darum«, entgegnete Sal. »Ich muss jetzt mehr arbeiten denn je. Ohne Harry brauche ich das Geld für das Spinnen umso dringender.«

Einer der Männer meldete sich zu Wort. Amos erkannte Ike Clitheroe. »Der Gutsherr sollte sich um dich kümmern.«

»Das sollte er«, stimmte Jimmy Mann zu. »Aber das heißt nicht, dass er’s auch tut.«

Viele Gutsherren sahen es als ihre Verantwortung an, sich um Witwen und Waisen zu kümmern, aber dafür gab es keine Garantie, und Squire Riddick war ein Geizhals.

Sal zeigte auf den Stapel aus Spindeln neben dem Spinnrad. »Das Garn von letzter Woche ist fast fertig. Sie übernachten doch heute in Badford?«

»Ja.«

»Ich werde es heute Abend fertigspinnen und Ihnen alles vorbeibringen, bevor Sie abreisen.«

Amos wusste, dass sie die ganze Nacht durcharbeiten würde, wenn es sein musste. »Wenn Sie sicher sind.«

»Wie das Amen in der Kirche.«

»Also gut.« Amos verließ die Hütte und löste einen Sack vom Rücken des vordersten Packpferdes. Theoretisch konnte eine Spinnerin ein Pfund Wolle am Tag zu Garn verarbeiten, aber die wenigsten konnten den ganzen Tag am Spinnrad verbringen. Den meisten erging es wie Sal: Sie mussten das Spinnen mit anderen Pflichten in Einklang bringen.

Er trug den Sack ins Haus und stellte ihn neben das Spinnrad auf den Boden. Danach warf er noch einmal einen Blick auf Harry. Der Verletzte hatte sich nicht bewegt. Er sah aus wie der leibhaftige Tod, aber Amos hatte noch nie einen Menschen sterben sehen, daher konnte er es nicht wissen. Er durfte keinen überspannten Gedanken nachhängen.

Amos verabschiedete sich.

Er ging zu einem Gebäude unweit von Sals Hütte, einem Stall, den Roger Riddick zu einer Werkstatt umgebaut hatte. Roger war der dritte und jüngste Sohn des Gutsherrn. Amos und er waren im gleichen Alter, neunzehn Jahre, und hatten gemeinsam die Lateinschule in Kingsbridge besucht. Roger war ein guter Schüler gewesen, der sich weder für Sport noch fürs Trinken oder Mädchen interessiert hatte, und er war schikaniert worden, bis Amos eingeschritten war und ihn verteidigt hatte. Seitdem waren sie Freunde.

Amos klopfte an und ging hinein. Roger hatte das Gebäude mit großen Fenstern ausgestattet; unter einem davon stand, damit sie Licht hatte, eine Werkbank. An Wandhaken hingen Werkzeuge, und es gab Kisten und Töpfe mit aufgewickeltem Draht, kleinen Barren aus verschiedenen Metallen, Nägeln, Schrauben und Leim. Roger liebte es, raffinierte Spielzeuge zu bauen: eine Maus, die quiekte und mit dem Schwanz wackelte, einen Sarg, dessen Deckel sich hob, während die Leiche sich aufsetzte. Er hatte auch eine Vorrichtung erfunden, die verstopfte Rohre freimachen konnte, auch wenn die Blockade Yards entfernt war; sie durfte sich sogar hinter Biegungen befinden.

Roger begrüßte Amos mit einem breiten Lächeln und legte seinen Meißel weg. »Ein guter Zeitpunkt!«, rief er. »Ich wollte gerade zum Mittagessen nach Hause. Kommst du mit?«

»Ich hatte gehofft, dass du mich einlädst. Vielen Dank.«

Roger hatte helles Haar und eine rosige Haut. Er sah ganz anders aus als sein Vater und seine Brüder mit ihren schwarzen Haaren. Amos vermutete, dass er seiner Mutter nachschlug, die vor einigen Jahren gestorben war.

Sie verließen die Werkstatt, und Roger schloss die Tür ab. Auf dem Weg nach Badford Manor führte Amos seine Pferde mit, und sie sprachen über Harry Clitheroe. »Mein Bruder hat den Unfall durch seinen Starrsinn verursacht«, sagte Roger offen.

Roger besuchte inzwischen das Kingsbridge College in Oxford, das vor Jahrhunderten von Mönchen aus Kingsbridge gegründet worden war. Vor ein paar Wochen hatte er sein Studium begonnen, und heute war er zum ersten Mal wieder zu Hause. Amos hätte auch gern studiert, aber sein Vater hatte darauf bestanden, dass er ins Familiengeschäft einstieg. Vielleicht ändert sich das mit den Generationen, dachte er. Vielleicht habe ich eines Tages einen Sohn, der nach Oxford geht. »Wie ist es an der Universität?«, fragte er.

»Es macht großen Spaß«, sagte Roger. »Viel Schabernack. Ich habe leider ein bisschen Geld beim Kartenspiel verloren.«

Amos grinste. »Ich meinte eigentlich das Studium.«

»Oh! Na, das ist ganz in Ordnung. Bisher nichts Schwieriges. Ich bin nicht gerade versessen auf Theologie und Rhetorik. Ich mag Mathematik, aber die Mathematikprofessoren sind von der Astronomie besessen. Ich hätte wohl eher nach Cambridge gehen sollen – anscheinend ist die Mathematik dort besser.«

»Ich werde daran denken, wenn mein Sohn an der Reihe ist.«

»Denkst du ans Heiraten?«

»Die ganze Zeit, aber es besteht keine Aussicht, dass es bald so weit sein wird. Ich besitze keinen Penny, und mein Vater wird mir nichts geben, bevor meine Lehrjahre vorüber sind.«

»Mach dir nichts draus, so kannst du eine Liebschaft nach der anderen haben.«

Eine Liebschaft nach der anderen war nicht Amos’ Art. Er wechselte das Thema. »Ich nötige dir für heute Nacht ein Bett ab, wenn’s recht ist.«

»Aber gewiss. Vater wird sich freuen, dich zu sehen. Er langweilt sich mit seinen Söhnen, und dich mag er trotz deiner Ansichten, die er für radikal hält. Er genießt es, mit dir zu streiten.«

»Ich bin kein Radikaler.«

»Allerdings nicht. Ich sollte Vater einige Burschen vorstellen, die ich in Oxford kenne. Bei deren Ansichten stiege ihm Qualm aus den Ohren.«

Amos lachte. »Das kann ich mir vorstellen.« Wenn er daran dachte, dass Rogers Leben darin bestand, Bücher zu studieren und mit klugen jungen Männern zu diskutieren, verspürte er Neid.

Das Herrenhaus war ein hübsches rotes Gebäude im jakobitischen Stil, dessen Fenster aus vielen kleinen Bleiglasscheiben bestanden. Sie brachten Amos’ Pferde zum Stall, wo sie getränkt werden sollten, und gingen in die Halle.

Dem Haushalt fehlte die weibliche Hand, und es war nicht allzu sauber. In der Luft hing der Geruch nach Dung vom Hof, und Amos erblickte den Schwanz einer Ratte, die unter einer Tür verschwand. Sie waren die Ersten, die das Speisezimmer betraten. Über dem Kamin hing ein Porträt der verstorbenen Frau des Gutsherrn. Über die Jahre war es dunkel und staubig geworden, als sähe niemand es je wirklich an.

Der Gutsherr kam herein, ein großer Mann Mitte fünfzig mit rotem Gesicht, übergewichtig, aber noch rüstig. »Am Samstag findet in Kingsbridge ein Preiskampf statt«, verkündete er voller Begeisterung. »Die Bestie von Bristol nimmt es mit jedem auf, der kommt, und bietet jedem Gegner, der fünfzehn Minuten lang auf den Beinen bleiben kann, eine Guinee.«

»Da wirst du bestimmt großen Spaß haben«, sagte Roger. Seine Familie liebte den Sport, vor allem Preiskämpfe und Pferderennen, bei denen man auf den Ausgang wetten konnte. »Ich spiele lieber Karten«, sagte er. »Mir gefällt es, wenn ich meine Chancen ausrechnen kann.«

George Riddick, der mittlere Bruder, kam herein. Er war größer als der Durchschnitt. Er hatte schwarze Haare und dunkle Augen und sah aus wie sein Vater, nur dass er einen Mittelscheitel trug.

Als Letzter traf Will ein, gefolgt von einem Butler mit einer dampfenden Suppenschüssel. Der Duft ließ Amos das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Auf der Anrichte standen ein Schinken, ein Käse und ein Laib Brot. Sie bedienten sich, und der Butler schenkte ihnen Portwein ein.

Amos begrüßte Dienstboten immer, und so wandte er sich an den Butler: »Guten Tag, Platts, wie geht es Ihnen?«

»Ganz gut, Mr. Barrowfield«, antwortete Platts mürrisch. Nicht alle Bediensteten erwiderten Amos’ Freundlichkeit.

Will nahm sich eine dicke Scheibe Schinken und sagte: »Der Lord Lieutenant hat die Shiring Militia einberufen.«

Der Lord Lieutenant war der Repräsentant des Königs in der Grafschaft, und die Miliz diente der Heimatverteidigung. Rekruten wurden durch das Los ausgewählt, und bislang hatte es Amos noch nicht getroffen. Soweit er zurückdenken konnte, war die Miliz nie im Einsatz gewesen, abgesehen von sechs Wochen Ausbildung im Jahr, während derer man in den Hügeln nördlich von Kingsbridge kampierte, marschierte, Karrees bildete und lernte, eine Muskete zu laden und abzufeuern. Anscheinend sollte sich das nun ändern.

»Das habe ich auch gehört«, sagte der Gutsherr. »Es betrifft nicht nur Shiring. Zehn Grafschaften wurden mobilisiert.«

Das war eine beängstigende Neuigkeit. Mit welcher Krise rechnete die Regierung?

»Ich bin Offizier«, sagte Will, »deshalb helfe ich, die Musterung zu organisieren. Wahrscheinlich muss ich eine Weile in Kingsbridge wohnen.«

Zwar war Amos dem Wehrdienst bislang entgangen, aber er konnte durchaus eingezogen werden, wenn es eine neue Einberufung gab. Er war sich nicht sicher, wie er dazu stand. Er hatte nicht den Wunsch, Soldat zu werden, aber es war womöglich ein besseres Los, als seinem Vater als Sklave zu dienen.

»Wer ist der Kommandeur?«, fragte der Gutsherr. »Ich habe es vergessen.«

»Colonel Henry Northwood«, antwortete Will.

Henry, Viscount Northwood, war der Sohn des Earls von Shiring. Die Miliz zu führen war traditionell Aufgabe des Erben der Grafschaft.

»Premierminister Pitt hält die Lage eindeutig für ernst.«

Sie aßen und tranken in nachdenklichem Schweigen, bis Roger seinen Teller wegschob und langsam sagte: »Die Miliz hat zwei Aufgaben: die Grafschaft vor einer Invasion zu schützen und Aufstände niederzuschlagen. Gut möglich, dass es Krieg mit Frankreich gibt – ich wäre nicht überrascht. Aber selbst wenn er ausbräche, bräuchten die Franzosen Monate, um eine Invasion vorzubereiten, sodass wir viel Zeit hätten, die Miliz einzuberufen. Daher glaube ich nicht, dass das der Grund ist. Was bedeutet, dass die Regierung mit Aufständen rechnet. Ich möchte wissen, wieso.«

»Das weißt du doch«, erwiderte Will. »Es ist kaum ein Jahrzehnt her, dass die Amerikaner unseren König besiegt und eine Republik gegründet haben, und nur drei Jahre, dass der Pariser Pöbel die Bastille stürmte. Dieser französische Teufel Brissot sagte: ›Wir können nicht ruhen, bis ganz Europa in Flammen steht.‹ Die Revolution breitet sich aus wie die Pocken.«

»Ich glaube nicht, dass Panik angebracht ist«, sagte Roger. »Was haben die Revolutionäre denn getan? Sie haben zum Beispiel die Protestanten den Katholiken gleichgestellt. George, du als anglikanischer Geistlicher müsstest das doch begrüßen?«

George war der Pfarrer von Badford und trug den Titel eines Rectors. »Mal sehen, wie lange das anhält«, sagte er missmutig.

»Sie haben den Feudalismus abgeschafft«, fuhr Roger fort. »Sie haben das Recht des Königs abgeschafft, jemanden ohne Gerichtsverfahren in die Bastille zu werfen, und sie haben eine konstitutionelle Monarchie errichtet – dieselbe Regierungsform, die auch Großbritannien hat.«

Alles, was Roger sagte, war richtig. Dennoch glaubte Amos, dass Roger falschlag. Soweit er wusste, gab es im revolutionären Frankreich keine echte Freiheit: weder freie Rede noch Freiheit der Religion. In Wirklichkeit war man in England freier.