Die Wahrheit über Wolfenbüttel - Axel Klingenberg - E-Book

Die Wahrheit über Wolfenbüttel E-Book

Axel Klingenberg

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Beschreibung

Nach 900 Jahren ist es nun endlich an der Zeit, Die Wahrheit über Wolfenbüttel zu verraten. Axel Klingenberg lädt, anhand der Biografien mehrerer Bewohnerinnen und Bewohner dieses Städtchens, den Leser zu einem heiteren Spaziergang durch die Geschichte ein. Er berichtet in diesem Buch von einem Fürsten, der seine Geliebte beerdigen ließ (obwohl sie noch lebte), von einem verrückten Herzog, der ein riesiges Schloss baute (aus Holz), von zwei Physikern, die neunmal für den Nobelpreis vorgeschlagen wurden (und ihn niemals bekommen haben), von einem Philosophen der Aufklärung (der als Sklave aus Afrika nach Europa verschleppt worden war) sowie von einem weltberühmten Dichter, der seine besten Werke in Wolfenbüttel verfasste (und nach Meinung seiner Zeitgenossen vom Teufel besessen war). Mit vielen Fotos und zahlreichen Freizeittipps für Wolfenbüttel und Umgebung.

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Seitenzahl: 131

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Inhaltsverzeichnis
Die Wahrheit über Wolfenbüttel
Vorweg
Einladung nach Wolfenbüttel
Kleinstadtliebe
Ein historischer Spaziergang durch Wolfenbüttel
Der Wilde
Die Geliebte
Kleine Tierkunde
Der Vorbildliche
Der Künstler
Der Schauspieler
Der Komponist
Der Kapellmeister
Der Söldner
Ein musealer Spaziergang durch Wolfenbüttel
Der Gebildete
Der Sprachgelehrte
Der Dichter
Der Rechtsanwalt
Ein kultureller Spaziergang durch Wolfenbüttel
Der Sonnenherzog
Der Philosoph
Die Politikerin
Die Königin
Die zwölf schönsten Ausflugsziele in der Nähe von Wolfenbüttel
Der Schelm vom Elm
Die wirklich wahre Wahrheit über Till Eulenspiegel
Der Aufklärer
Die Briefschreiberin
Der Theaterautor
Der Selbstmörder
Die Mäzenin
Ein gastronomischer Spaziergang durch Wolfenbüttel
Der Märchenonkel
Der Dirigent
Der Schriftsteller
Der Zeichner
Die Emanzipierten
Der Versicherer
Der Erfinder
Die Physiker
Der Antifaschist
Die Malerin
Jägermeister für die meisterJäger
Zu guter Letzt
Literaturverzeichnis
Endnoten
über Axel Klingenberg

Die Wahrheit über Wolfenbüttel

von Axel Klingenberg

Umschlaggestaltung: Karsten Weyershausen

Satz/Layout: Andreas Reiffer

Lektorat: Manja Oelze

Fotos: Axel Klingenberg und Andreas Reiffer

1. Auflage 2018, identisch mit der Printversion

© Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16b, D-38527 Meine

www.verlag-reiffer.de

www.facebook.com/verlagreiffer

Ich danke

Uta Löffler für ihre Unterstützung,

der Familie Kämpfe für sich selbst,

Ulrich Higl dafür, dass er mich an seinem reichen Wissen über Wolfenbüttel hat teilhaben lassen,

Martin Geißler für seine wertvollen Tipps

sowie Manja Oelze, Andreas Reiffer und Karsten Weyershausen für die langjährige großartige Zusammenarbeit.

Vorweg

»Geh deinen Weg und lass die Leute reden.«

Hausspruch in der Wolfenbütteler Innenstadt

Widekind von Wolfenbüttel war es, der am 13. November 1118 Zeuge eines Rechtsgeschäfts zwischen Bischof Reinhard von Halberstadt und dem Augustiner-Chorfrauenstift zu Steterburg wurde. Es ging um die Erlaubnis, im Ortsteil Linden eine Pfarrkirche bauen zu dürfen. Durch diesen bedeutungsvollen Vorgang wurde Wolfenbüttel das erste Mal urkundlich belegt. Den Ort gab es natürlich schon vorher, Linden auch, aber nun stand es dort schwarz auf weiß beziehungsweise schmuddeligem Gelb. So jedenfalls stelle ich mir – durch zahlreiche Robin Hood-Filme geprägt – derartige Urkunden vor.

Wie gesagt: der eigentliche Vorgang – die Erteilung einer Erlaubnis zum Bau einer Pfarrkirche – ist recht nebensächlich. Wichtig ist vielmehr, dass damit ein Datum festgelegtwurde, das man begehen konnte. Also feiert ganz Wolfenbüttel in diesemJahr ein 900-jähriges Jubiläum. Mit dickem Stadt- und ganz neuem Stadtgrabenfest. Und dem Lessingfestival!

Im Verlaufe der Recherchen zu diesem Thema bin ich auf den interessanten Umstand gestoßen, dass viele Persönlichkeiten, die mit der Stadt verbunden sind, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Am häufigsten wird natürlich Gotthold Ephraim Lessing gefeatured. Kein Wunder, dürfte der große Dichter tatsächlich einer der berühmtesten Wolfenbütteler sein – und dessen Werk tatsächlich untrennbar mit der Stadt verbunden. Aber was ist mit Emil Berliner? Mit Justus Oldekop? Mit Maina-Miriam Munsky? Mit Ferdinand Grimm? Mit Karl Wilhelm Jerusalem? Mit Levin Zanner? Oder mit Anton Wilhelm Amo? Warum spricht niemand über diese Kinder der Stadt?

Um diesen Menschen wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, möchte ich sie hier in diesem Buch vorstellen. Zumeist versuche ich dabei eine chronologische Reihenfolge einzuhalten, in wenigen Fällen bin ich ein wenig davon abgewichen. Und ja, ich bin mir bewusst, dass die Zahl der porträtierten Männer die der Frauen bei weitem überwiegt – ich bitte darum, dies nicht mir anzulasten, sondern der Weltgeschichte, die so unfair ist, dem schöneren und wenn man ehrlich ist auch dem oft klügeren Geschlecht die Stellung zu verweigern, die es in der Politik, in der Kunst, in der Wissenschaft und in der Gesellschaft verdient hätte. Ich hoffe, dass irgendwann ein ähnliches Werk wie dieses erscheinen kann, in dem mindestens so viele Frauen wie Männer Erwähnung finden. Apropos unfair! Auch adelige Personen – zumal Angehörige der Welfenfamilie – werden hier überproportional behandelt. Dies geschieht deshalb, weil man anhand ihrer übrigens oft hochinteressanten Lebensgeschichte auch Einblicke in die Geschichte Wolfenbüttels gewinnen kann.

Ergänzt werden diese Biografien durch einige thematische Exkurse, zum Beispiel über Till Eulenspiegel (und dessen historische Vorlagen) sowie durch praktische Tipps, wie man seine Zeit in Wolfenbüttel und umzu aufs Angenehmste vertändeln kann.

Der eine oder die andere wird nun vielleicht anmerken, dass ich als Braunschweiger ja nun gar nicht dazu berechtigt bin, mich zu Wolfenbüttel zu äußern.

Dem möchte ich widersprechen, in dem ich darauf hinweise, dass meine langjährige Lebensgefährtin und Mutter meiner Kinder aus Klein Denkte im Landkreis Wolfenbüttel stammt, dass eben diese Kinder in Wolfenbüttel geboren sind und dass ich selbst in Wolfenbüttel arbeite.

Niedergeschlagen haben sich in diesem Buch aber nicht nur persönliche Erfahrungen, sondern auch zahllose Vor-Ort-Recherchen. Besuchen Sie ruhig die Lokalitäten, die ich empfehle. Ich habe sie selbst unter dem Einsatz meines Lebens und meiner Gesundheit getestet. Insbesondere der Genuss des Kräuterlikörs Jägermeister hat mir viel Kopfschmerzen bereitet. Je ne regrette rien!

Ich habe Wolfenbüttel also im Laufe der letzten dreißig Jahre sowohl kennen- als auch liebengelernt. Falls das nicht immer so rüberkommt, bitte ich um Nachsicht.

Einladung nach Wolfenbüttel

Wolfenbüttel ist die wichtigste Stadtgründung in Europa nach dem 2. Weltkrieg – eine hocheffiziente Industriestadt, ein postmodernes Architektur-Mekka, ein … Wie bitte? … Oh, Entschuldigung … Ähem, es geht in diesem Buch ja um Wolfenbüttel, nicht um Wolfsburg.

Wolfenbüttel ist nämlich all das nicht. Den Ort gibt es seit nunmehr 900 Jahren, also seit einer halben Ewigkeit, doch postmodern ist hier nur wenig und Effizienz ist ein Fremdwort, das mit dem hiesigen Idiom nicht kompatibel ist. Das richtige Attribut für Wolfenbüttel lautet: »pittoresk«. Beziehungsweise »malerisch«. Wobei Architektur-Mekka ja gar nicht sooo falsch ist, denn immerhin stehen hier ungefähr 600 hübsche Fachwerkhäuser in der Gegend herum. Wir werden noch darauf zu sprechen kommen!

Im Vorfeld des Verfassens dieses Buches fragte ich einen Wolfenbütteler Buchhändler, was er mir an grundlegender Lektüre über die Stadt empfehlen könne.

Er überlegte lange und man merkte ihm an, dass er ein wenig brauchte, um seine sorgfältig sondierten Gedanken zu formulieren. Dann sagte er: »Der Würger von Wolfenbüttel«. Ich muss ihn wohl etwas überrascht angestarrt haben, denn sogleich beeilte er sich »Klopf, klopf, klopf« zu sagen. Ich antwortete beflissen: »Hallo, wer ist da?« Woraufhin er freudig »Hier ist der Würger von Wolfenbüttel« sagte. Natürlich ließ ich mir die sattsam bekannte Pointe nicht entgehen: »Einen Moment. Schaaatz, Besuch für dich.«

Otto Waalkes also. Keine Ahnung, ob der Außerfriesische jemals in Wolfenbüttel gewesen ist, aber man liebt ihn hier noch immer. Denn der Wolfenbütteler als solcher hat Humor. Oder auch nicht. Wenn man jedenfalls an einen Vorfall aus dem Jahre 2012 zurückdenkt, kann man durchaus zu der Überzeugung gelangen, dass der Okerstrandbewohner nicht gerade vor Witz sprüht. Zumindest keine Witze versteht. Damals soll es nämlich zu einer Körperverletzung vor einer Gaststätte auf der Mühlenstraße gekommen sein. Dort soll ein 17 Jahre junger Mann mit Freunden lautstark Witze erzählt haben, als sich plötzlich ein 23 Jahre alter Passant zu ihnen umdrehte, der wohl irrtümlich dachte, dass man sich über seine Person lustig mache. Unvermittelt, so die Polizei, schlug er dem vermeintlichen Lästerer mit der Faust ins Gesicht und lief davon. Das Opfer erlitt bei der plötzlichen Attacke eine blutende Verletzung am Ohr und klagte anschließend über Schmerzen im Kieferbereich. Eine ärztliche Behandlung sei wohl sogar notwendig geworden!

Komik – man weiß nicht, ob der berühmte Anschlag für das »Ohrlochstechen« in einem Wolfenbütteler Geschäft auf freiwilliger oder unfreiwilliger Komik beruht, denn die Werbung wurde durch den handschriftlichen Hinweis »auch durch die Nase« ergänzt.

Der besagte Wolfenbütteler Buchhändler empfahl mir dann doch noch eine ansprechende Lektüre: nämlich die Erzählung »Der Holzvulkan« von Hans Pleschinski über den Sonnenherzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der …

Aber ich greife vor.

Kleinstadtliebe

Wolfenbüttel – das ist keine Stadt, das ist ein Städtchen. Und es ist kein Zufall, dass hier 1970 eine (allerdings wenig erfolgreiche) Neuauflage der »Feuerzangenbowle« gedreht wurde. Wolfenbüttel ist Stein gewordene Nostalgie. Farbige Fotos von Wolfenbüttel gelingen niemals, jede Digitalkamera schaltet automatisch auf Sepia um und jede Entwicklerflüssigkeit dieser Welt färbt Wolfenbütteler Motive automatisch in Schwarzweiß.

Ja, in Wolfenbüttel scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, Hektik ist hier unbekannt. Als ich einmal mit meinen Kindern auf dem Wolfenbütteler Bahnhof stand, sagte ich: »Wusstet Ihr übrigens, dass in Wolfenbüttel nach zwanzig Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden?« Golo war sofort bereit, dies zu glauben, nachdem er einen Blick auf die menschenleeren Trottoirs geworfen hatte. Nele, seine ältere Schwester, blieb allerdings skeptisch. Sie weiß, dass das mechanische Hochklappen der Gehwege unnötig ist, verlässt der Wolfenbütteler doch sowieso nach der Tagesschau freiwillig nicht mehr seine Wohnung.

Aus Sicht der Braunschweiger ist Wolfenbüttel ja nichts weiter als eine Art Wurmfortsatz, der zwar keinen Sinn mehr erfüllt, aber so lange er nicht stört und wehtut auch nicht entfernt werden muss. Ja, fast – und damit verlasse ich dieses unappetitliche Blinddarmbild wieder – wird Wolfenbüttel sogar als so etwas wie ein weiterer Stadtteil angesehen, der nur noch ein paar Kilometer zu weit entfernt ist. Deswegen robbt man sich auch langsam an die Nachbarstadt heran. Sobald das Lechlumer Holz einer weiteren monströsen Kleinfamiliensiedlung gewichen ist, wird dann endlich der Anschluss geschafft sein: aus Wolfenbüttel wird Stöckheim-Süd.

Doch Wolfenbüttel ist ja mehr als die eigentliche Stadt, denn es gibt ja auch noch den gleichnamigen Landkreis, der hauptsächlich aus wüst gefallenen Dörfern und Einödhöfen im Elm und in der Asse besteht. Und aus Baddeckenstedt, einem Niemandsland zwischen der »Stadt« Salzgitter und dem Stift Hildesheim. Es steht zu befürchten, dass die Exklave bei der nächsten Gemeindereform gegen ein paar Tonnen Stahl aus Salzgitter oder einige Fachwerkhäuser aus Hildesheim eingetauscht wird.

Grundsätzlich ist Baddeckenstedt übrigens gar nicht so weit von Wolfenbüttel entfernt, mit dem Auto vielleicht eine halbe Stunde. Wagt man jedoch das Unterfangen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, kann man sich auf eine mehrtägige Reise einstellen, zudem es keine direkte Bahnverbindung zwischen der Kreisstadt und der Gemeinde gibt. Um Baddeckenstedt mit dem Dampfross zu erreichen, muss gar der Umweg über Hildesheim und/oder Braunschweig angetreten werden.

Die Abgeschiedenheit Wolfenbüttels ist sprichwörtlich geworden. Nur die Studentinnen und Studenten der Hochschule Ostfalia bringen regelmäßig ein wenig frisches Blut in die Kommune, indem sie sich beim Altstadtfest mit Einheimischen paaren. Auch zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel gibt es einen regelmäßigen Austausch, in dem der Wolfenbütteler in die benachbarte Metropole fährt, um sich beim Volkswagenwerk zu verdingen oder indem der Braunschweiger Siemens-Angestellte sich ein Häuschen im Braunschweiger Speckgürtel, also in Wolfenbüttel, im Elm und in der Asse, erwirbt.

Wolfenbüttel – hier kennt man sich von Kindesbeinen an und hat sich schon in der Sandkiste die Schäufelchen um die ungewaschenen Ohren und auf die verrotzte Nase gehauen. Und auch später ist man unzertrennlich und teilt Tisch, Bett und Sexualpartner miteinander. Das schafft Verbundenheit, das schafft Vertrauen.

Ich hoffe, ich habe es mit diesem Kapitel nicht verspielt.

Ein historischer Spaziergang durch Wolfenbüttel

Wolfenbüttel ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Welfen. Der Name hat übrigens nichts mit dem Wolf zu tun, sondern wurde lateinisch als »catalus« übersetzt, was seit der Spätantike Jungtier, speziell »Junger Löwe«, bedeutet. Das fränkische Adelsgeschlecht der Welfen stammt ursprünglich aus dem karolingischen Kernraum um Maas und Mosel und ist seit Mitte des 8. Jahrhunderts nachgewiesen. Damit ist es definitiv eines der ältesten Adelsgeschlechter Europas. Verzweigungen dieser Sippschaft gibt es seit 1097 darüber hinaus auch nach Italien und England. Welf IV. gilt als Stammvater der älteren deutschen Welfenlinie. Auch wenn das kleine Herzogtum über das die Welfen gebieten konnten, niemals ein Weltreich war, muss doch festgehalten werden, dass die Welfen die Herzogswürde in Kärnten, Bayern und Sachsen innehatten und dass sie mehrere burgundische Könige stellten und immerhin einen deutschen Kaiser, Otto IV. Der mächtigste Welfenfürst war aber wohl Heinrich der Löwe. Der war allerdings Braunschweiger und kein Wolfenbütteler.

Das Kernland, auf dem die Welfen ihre Hausmacht aufbauten, wurde das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, das bis 1806 bestand, bis es vom französischen Kaiser wegen Unbotmäßigkeit aufgelöst und dem Königreich Westphalen zugeschlagen wurde, dem aber keine lange Lebenszeit beschieden war. Als Nachfolger wurde 1814 das Herzogtum Braunschweig gegründet, das immerhin bis 1918 fortwährte. Und dann gab es ja noch das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg, aus dem das Königreich Hannover hervorging und über das 123 Jahre lang eine Personalunion mit Großbritannien und Irland bestand. 1866 wurde es jedoch von Preußen annektiert und zu einer Provinz degradiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Freistaaten Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe mit dem Land Hannover auf Wunsch der Alliierten zum Bundesland Niedersachsen vereinigt – ein außerordentlich nachhaltiges Provisorium.

Das schmalste Haus Europas, Deutschlands oder Wolfenbüttels

Heinrich der Wunderliche, Magnus mit der Kette, Otto der Quade, Heinrich der Friedfertige, Wilhelm der Siegreiche, Friedrich der Unruhige – die Welfen haben zahllose Herrscherpersönlichkeiten hervorgebracht, die einer näheren Betrachtung wert wären. In diesem Buch möchte ich mich jedoch auf einige der wichtigsten beschränken. Natürlich vor allem auf die, die auf die eine oder andere Weise mit Wolfenbüttel verbunden waren, sei es durch Geburt oder langjährigen Aufenthalt.

Womit wir bei der herzoglichen Behausung angekommen wären, dem Schloss Wolfenbüttel (Schlossplatz 13). Jahrhundertelang diente es den Welfen als überdimensionale Behausung, heute ist es viel bürgerfreundlicher, denn es beherbergt sowohl ein Gymnasium als auch Räume der ruhmreichen Bundesakademie für kulturelle Bildung. Und nicht zuletzt gibt es ein sehr sehenswertes Museum, in dem man erfahren kann, wie die adeligen Bewohner und Bewohnerinnen das Leben genossen haben. Nämlich mit viel Prunk, Pracht, Pomp und Plüsch.

Frührenaissance meets Spätkapitalismus

Dass jedoch in Wolfenbüttel nicht nur hochherrschaftliche Von und Zus wohnten, beweist das Bürgermuseum (Prof.-Paul-Raabe-Platz 1) in unmittelbarer Nähe zum Schloss, das die Gesellschafts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte Wolfenbüttels thematisiert. Der Eintritt ist ebenfalls sehr bürgerfreundlich, nämlich kostenlos.

Weiter geht’s von hier aus zu dem nur ein paar Gehminuten entfernten Seeliger-Park. Mit den Resten der unterirdischen Kasematten bekommen Sie einen kleinen Eindruck davon, wie es in der damaligen Festung Wolfenbüttel so ausgesehen hat.

Guterhaltene Bausubstanz

In einem ganz anderen Stadtgebiet liegt der Friedhof der ehemaligen jüdischen Gemeinde (Am Jahnstein), der 1724 von dem Hofjuden Marcus Gumpel Fulda ben Mose gegründet wurde. Insgesamt sind hier über 200 Grabsteine zu sehen. Wir werden noch des Öfteren auf die Menschen jüdischer Herkunft zu sprechen kommen, die die Stadt geprägt haben. Oder von hier aus in die weite Welt gezogen sind, um ihr Glück zu finden beziehungsweise das Grammophon zu erfinden.

Der Wilde

»Du, Heinz, bist mit deinem Papsttum ein verdammter Lügner und Bösewicht«, schrieb der große Martin Luther. Außerdem beschimpfte er Herzog Heinrich1 II. in seiner Schrift »Wider Hans Worst« als »groben Tölpel«, als einen »verzweifelten, ehrlosen, verlogenen Bösewicht« und als einen »unverschämten Lügner«. Was hat den Kirchenmann wohl so gegen den Herrscher des kleinen Herzogtums aufgebracht?

Besonders in Wolfenbüttel

Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Der spätere Herzog zu Braunschweig-Lüneburg und Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel kam 1489 in Wolfenbüttel als Sohn von Heinrich I. und Katharina, einer Tochter des Herzogs Erich II. von Pommern, zur Welt. In der sogenannten Sächsischen Fehde führte sein Vater – auch Heinrich der Quade (meint: der Böse) genannt – ein Heer von 20.000 Mann gegen den ostfriesischen Grafen Edzard aus der Häuptlingsfamilie Cirksena an. Während einer Belagerung der nur durch wenige Männer verteidigten Festung Leerort wurde er – einen Tag vor seinem 51. Geburtstag – das Opfer eines gezielten Kanonenschusses. Die ihres Hauptes beraubte Truppe zog sich daraufhin kopflos zurück. »Hedde de hertogen to hus gebleven, so hedden sei nicht veloren«2, spottete man damals in einem Landknechtslied. Anders gesagt: Wäre der Herzog zuhause geblieben, hätte er schön Geburtstag feiern können.

Pittoresk – das Schloss Wolfenbüttel

Sein Sohn, nunmehr Heinrich II. genannt, kehrte jedoch alsbald wieder und ließ als Vergeltungstat 1.500 Bewohner von Appingedam erschlagen. Die Regierungszeit des Herzogs begann also mit einem blutigen Racheakt! Wer wissen will, woher George R. R. Martin die Ideen für seine Geschichten hat, muss nur einen Blick in die Geschichtsbücher werfen.