111 Gründe, Eintracht Braunschweig zu lieben - Axel Klingenberg - E-Book

111 Gründe, Eintracht Braunschweig zu lieben E-Book

Axel Klingenberg

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Beschreibung

Eintracht Braunschweig bedeutet: Tradition seit 1895. Und eigentlich sogar noch länger, denn in Braunschweig wurden durch Konrad Koch die ersten deutschen Fußball-Regeln festgelegt. So ist es auch kein Wunder, dass die Eintracht auch an der Gründung des DFB beteiligt war und die Bundesliga mitgegründet hat. 1967 wurde der Verein schließlich sogar Deutscher Meister - mit einer Mannschaft aus Halbamateuren, die nur deshalb so erfolgreich sein konnte, weil Fußball in dieser Stadt einfach ALLES bedeutet. Und dank Jägermeister wurde in Braunschweig sogar die Trikot-Werbung in den deutschen Fußball eingeführt! Seit einigen Jahren muss man sich in anderen Städten auch nicht mehr belächeln lassen, wenn man sich als Eintracht-Fan zu erkennen gibt, denn die sportlichen Erfolge sprechen für sich! Innerhalb kürzester Zeit hat es der Verein dank eines brillanten jungen Trainers geschafft, wieder (fast) ganz oben mitzuspielen- und sich damit den Platz zurückzuerobern, der ihm seit mehr als 100 Jahren zusteht.

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Axel Klingenberg

111 GRÜNDE, EINTRACHT BRAUNSCHWEIG ZU LIEBEN

Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt

Für Antje, Alexa und Aljoscha. Und für meinen Vater.

VORWORT

DAS WUNDER VON BRAUNSCHWEIG

»Ohne Torsten wär’n wir gar nicht hier«, skandieren die Fans bei der Aufstiegsfeier am 20. Mai 2013 auf dem Schlossplatz. »Das, was wir hier erleben, toppt alles. Das ist ein unglaublicher Tag«, antwortet Trainer Lieberknecht mit »Pipi in den Augen« (wie er es selbst nennt). Und niemand widerspricht. Denn Eintracht Braunschweig ist nach 28 Jahren (beziehungsweise 10.164 Tagen) in die 1. Bundesliga zurückgekehrt. Mit 67 Punkten übrigens – wohl eine Reminiszenz an die Meistermannschaft von 1967, sonst hätte man das letzte Spiel gegen Erzgebirge Aue natürlich auch noch gewonnen. »Es ist eine Ehre, als Enkel dieser Mannschaft bezeichnet zu werden«, fügt Lieberknecht deshalb hinzu.

Überhaupt gibt man sich sehr traditionsbewusst in diesen Tagen, sogar im Dom St. Blasii findet ein Gottesdienst unter dem Motto »AufstiegsgeDANKen« statt. Bei dieser Gelegenheit ermahnt Eintracht-Vize-Präsident Rainer Cech die Eintracht-Fans, nicht immer die gegnerischen Anhänger durch Schmähgesänge zu verhöhnen. »Wir steigen auf und ihr steigt ab« zeuge nicht von sportlichem Respekt. Und ist natürlich auch kein Ausdruck von christlicher Nächstenliebe, wie ich anfügen möchte. Aber Spaß macht’s schon!

Auch sonst ist die ganze Stadt in Blau und Gelb gehalten, kein Wunder, dass sogar die Kuppel auf dem Haus der Wissenschaft in diesen Farben erstrahlt. Und Wolters bringt natürlich wieder eine weitere Sonderedition ihrer Eintracht-Bierdosen heraus, denn es gibt in der Stadt so viele durstige Eintracht-Fans wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Weshalb es inzwischen nicht nur ein Eintracht-Braunschweig-Quiz, ein Eintracht-Braunschweig-Quartett, einen Eintracht-Braunschweig-Pappkicker (im Lieberknecht-untypischen Spielsystem mit dritter Sturmspitze allerdings) und den längsten Fan-Schal der Welt (hergestellt »von 67 fleißigen Strickerinnen und Strickern, die alle die Zahl 19 in ihrem Geburtsdatum tragen oder sogar 1967 geboren wurden«) gibt, sondern auch eine Eintracht-Kuh auf Sylt, die »Aufstiegsfliese 2013«, den Eintracht-Braunschweig-Ledergürtel, das Jägermeister-Retro-Shirt, die Eintracht-Braunschweig-Business-Socken, den Eintracht-Braunschweig-VIP-Schal, die Eintracht-Braunschweig-Army-Cap, den Eintracht-Braunschweig-Waschbeckenstöpsel, den Eintracht-Braunschweig-Osterhasen, das Eintracht-Braunschweig-Eierbecherset, die Eintracht-Braunschweig-Badeente, das Eintracht-Braunschweig-Lippenpflegeset, den Eintracht-Braunschweig-Gartenzwerg, die CD Die Meistersinger von Braunschweig, das Eintracht-Braunschweig-Schlampermäppchen, den Eintracht-Braunschweig-Wackeldackel, die Eintracht-Braunschweig-Kreolen, den Eintracht-Braunschweig-Plüschlöwe Leo, den Eintracht-Braunschweig-Hundenapf und die Eintracht-Braunschweig-Randale bei der Aufstiegsfeier. Hier ist für jeden Geschmack etwas dabei! Ein Sanitär-Handwerkerbetrieb hat sogar mal mit dem Slogan »Anfahrt im Eintracht-Design« geworben. Da wird das verstopfte Klo zum reinsten identitätsstiftenden Erlebnis.

Der Vereinspräsident Sebastian Ebel gibt sich trotz alledem bescheiden. »Für die nächste Saison wünsche ich mir schöne Spiele, vier Siege in den Derbys gegen Hannover 96 und den VfL Wolfsburg und am Ende Platz 15.«1 Viele Fans sind da optimistischer und fordern nicht nur »nie mehr 2. Liga, nie mehr, nie mehr«, sondern gleich den »Europapokal, Europapokal«. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier von einem Verein, der vor gerade mal fünf Jahren kurz davor stand, in der 4. Liga zu landen. Soviel Eintracht war lange nicht! »Einmal Löwe, immer Löwe«, bekräftigt daher auch Lieberknecht (bei dem man nicht weiß, ob der Spitzname »Boss« von Helmut Rahn oder von Bruce Springsteen herrührt) seinen Wunsch, in Braunschweig Trainer zu bleiben.

Und das, obwohl die Eintracht ihr Saisonziel 2013 im Grunde genommen nicht erreicht hat, denn »wir wollen uns in der 2. Liga etablieren« gibt Lieberknecht zu Beginn der Spielzeit als Parole aus und wird nicht müde, diese so oft wie möglich zu wiederholen: »Hier wird null Komma null vom Aufstieg gesprochen«, sagt er nach dem fünften Spieltag und »Für uns Verantwortliche ist der Aufstieg im Moment kein Thema, sondern vor allem für die Leute im Umfeld« nach dem neunten.2 Erst am Ende der Winterpause (Herbstmeister ist man inzwischen auch noch geworden) lässt er sich dazu hinreißen, davon zu sprechen, dass sich die Eintracht nicht »gegen einen Aufstieg wehren« würde. Erst nachdem weit vor Saisonende der Aufstieg in die 1. Liga durch den 1:0-Sieg in Ingolstadt auch mathematisch unumkehrbar geworden ist, sind die Verantwortlichen beim Verein bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen. Und beim nächsten Match gegen Cottbus stehen nicht nur die Fans im Stadion Kopf, sondern auch die gegnerischen Spieler Spalier, um die Mannschaft auf dem Spielfeld zu begrüßen. So geht sportliche Fairness!

Dieses Buch ist daher auch keine Chronik, auch wenn die meisten Episoden und Anekdoten zeitlich geordnet sind, sondern eine rein subjektive Liebeserklärung (wie das in der Liebe nun mal so ist). Ich versuche also mit Hilfe von 111 Gründen darzulegen, was Eintracht Braunschweig von anderen Vereinen unterscheidet, was ihn zu etwas Besonderem macht, was ihn zum großartigsten Fußballverein der Welt macht.

Und auch wenn die Braunschweiger Wasserballer, Handballer, Hockey-Damen und Leichtathleten immer wieder Titel und Medaillen holen, beschränke ich mich hier doch auf die Fußballer – man möge es mir nachsehen und verzeihen, dass ich den Fokus auf die populärste aller Sportarten lege.

Und um noch einmal auf die Aufstiegsfeier in der Braunschweiger Innenstadt zurückzukommen: Unter den 35.000 Besuchern befindet sich auch Alke Moll, deren Vater Jürgen Moll Eintracht-Spieler gewesen und 1968 bei einem Autounfall umgekommen ist (siehe Grund 38). Ihr Neffe Hugo, erzählt sie stolz, spiele Fußball »wie ein junger Gott«. »Und er sieht genauso aus wie mein Vater«, fügt sie hinzu. Was wieder mal zeigt: Tradition kann man nicht kaufen.

Axel Klingenberg

1. KAPITEL

AM ANFANG WAR DER BALL

1. GRUND

Weil in Braunschweig der Fußball erfunden worden ist

Na ja, er wurde hier natürlich nicht wirklich erfunden, denn er ist ja ein englisches Produkt. Wobei auch die Chinesen das Urheberrecht darauf erheben könnten, da sie schon vor rund 3000 Jahren eine Art Fußballspiel praktizierten, das sie Zsu Qiu nannten. Rund 1500 Jahre später war das Spiel sogar so populär, dass es – wie einige Wissenschaftler vermuten – Profispieler gab. Warum es dann in Vergessenheit geraten ist, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Ich vermute, dass eine der spielenden Mannschaften so stark wurde, dass die anderen einfach keine Chance mehr hatten – wodurch die Spiele gewaltig an Reiz verloren. Für Deutschland zeichnet sich ja mit der Alleinherrschaft des FC Bayern München eine ähnliche Entwicklung ab.

Auch im antiken Griechenland und im Römischen Reich soll es eine Art Fußballspiel gegeben haben, was jedoch durchaus umstritten ist – eine entsprechende olympische Disziplin gab es jedenfalls zu keinem Zeitpunkt. Die direkten Vorläufer des Fußballspiels sind daher im Italien und Frankreich des Mittelalters und der frühen Neuzeit zu finden. Und natürlich vor allem in England, wo schon vor mehreren Hundert Jahren die Männer zweier Dörfer versuchten, einen Ball durch das jeweilige gegnerische Eingangstor zur Ortschaft zu bugsieren – und man sich dabei zum Teil tagelangen Gewaltexzessen hingab, bei denen auch der Einsatz von Schlag- und Stichwaffen nicht ganz unüblich war. Kein Wunder, dass mehr oder weniger schwere Verletzungen nicht selten waren – und es sogar zu Todesfällen kam. Wer jemals Norman »Wadenbeißer« Hunter, Nobby »Terrier« Stiles oder Vinnie »Eierkneifer« Jones hat spielen sehen, kann noch erahnen, wie das damals so zuging. Man darf sich den frühen englischen Fußball also als eine Mischung aus Rugby und einer Massenschlägerei volltrunkener Hooligans vorstellen! Geil!

Diese körperbetonte Spielweise ging der Obrigkeit jedoch ziemlich gegen den Strich, sodass sie in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts sogar Polizei und Armee gegen die Fußballer einsetzte – und den Sport domestizierte, indem sie ihn an die Schulen und Universitäten holte, wo sich aus ihm das Rugby-Spiel und unser heutiger Fußball entwickelten. Mit der Zeit einigte man sich sogar auf ein gemeinsames Regelwerk, das 1863 auch schriftlich von der »Football Association« fixiert wurde.

In Deutschland war zu diesem Zeitpunkt das Turnen tonangebend, das seit Friedrich Ludwig Jahns Zeiten der vormilitärischen Ausbildung diente und für viele Kinder damals so verlockend war wie ein Zahnarztbesuch beim Dorfschmied.

Wenden wir unseren Blick also jetzt nach Braunschweig, denn das war die Stadt, in der der Gymnasiallehrer Konrad Koch einen aus England importierten Fußball in die Meute seiner bewegungsunwilligen Schüler warf. Leider ist das genaue Datum unbekannt, an dem das erste Mal in Braunschweig Fußball gespielt wurde – man könnte daraus bestimmt einen schönen Gedenktag basteln. Sicher ist nur, dass es im September oder Oktober des Jahres 1874 war. Letztlich ist das aber auch nicht so wichtig, wie der lokale Sporthistoriker Kurt Hoffmeister schreibt: »Mit dem Fehlen einer verbürgten Geburtsstunde teilt das Fußball-Spiel das Los anderer Schicksalsstunden. Auch Jesus von Nazareths Geburtsdatum ist nicht genau bekannt. (Erst nach 354 n. Chr. riefen die Christen in Rom den 25. Dezember als Geburtstag Jesu aus.)«3 Anfangs wussten die Schüler mit dem Ball auch gar nicht so viel anzufangen, und so wurde er geschmissen, getreten, sich unter die Arme geklemmt und durch die Gegend geschleppt. Und ab und an rief ein Schüler »Mal! Mal! Maaal!« (erst viel später einigte man sich auf das weltmeisterberühmte »Tor! Tor! Tooor!«). Die Mannschaft, deren Spieler am lautesten schrien, hatte am Ende gewonnen. Man wusste bloß nicht was.

So konnte das natürlich nicht weitergehen, weshalb Herr Koch schon ein Jahr später die ersten Regeln festlegte. In der einen Variante durfte der Ball auch weiterhin wie bisher mit der Hand aufgenommen werden – in der zweiten, der Schlechtwetter-Version, war nur das Spiel mit dem Fuß erlaubt, das Treten gegen das Schienbein jedoch ausdrücklich verboten. Da das Wetter in Deutschland (und speziell in Niedersachsen) so grottig ist, setzte sich die letztere schließlich durch. Das raue Klima war wohl auch verantwortlich für die Regel (d) der Gesundheitsvorschriften: »Es wird bei der Einrichtung des Spielplatzes dafür Sorge getragen, daß kein Schüler gegen Ostwind anzulaufen hat.« Verboten war es ausdrücklich auch, sich hinzulegen oder »müßig zu stehen«. Und das, obwohl doch bei »unsicherem Wetter« sowieso »nur von Freiwilligen« gespielt werden durfte. Auch die geheimnisvolle Abseitsregel fand übrigens schon Einzug in dieses erste fußballerische Gesetzbuch.4

Konrad Koch hat übrigens am Martino-Katharineum (der Schule, an der er lehrte) auch den ersten Fußballverein Deutschlands gegründet! Mit anderen Worten: Von Braunschweig aus hat das anfangs als »englische Krankheit« und »Fußlümmelei« diffamierte neue Spiel seinen Siegeszug angetreten! Allerdings hat es dann noch bis 1895 gedauert, bis der »Fußball- und Cricket-Club Eintracht Braunschweig« ins Leben gerufen worden ist.

PS: Ein Jahr später wird eine wichtige Lücke im Regelwerk geschlossen. In den Jenaer Regeln wird festgelegt, dass auf Fußballfeldern keine Bäume und Sträucher wachsen dürfen.

2. GRUND

Weil Eintracht Braunschweig 1895 gegründet wurde – und nicht erst 1896

»Im Herbst 1895«, berichtet Johannes Runge, »tauchte auf dem Leonhardplatz ein Jüngling auf, der einen richtigen, runden Fußball besaß. Er hieß Lehmann, stammte aus Magdeburg und erzählte, daß er dort einen Fußballclub angehört habe. Wir durften einige Tage mit seinem Fußball treten, immer hoch und weit. Recht bald mußten zwei Bäume die Tore markieren, und dann ging es ans Toreschießen. Es fanden sich damals eine Anzahl Jugendlicher zwischen 15 und 17 Jahren, die Mitte September 1895 den ersten Braunschweiger Fußballclub Victoria gründeten, weil Freund Lehmanns Verein in Magdeburg den gleichen Namen trug. Kurz bevor Victoria wieder aufgelöst wurde, traten einige Interessenten aus und gründeten am 15. Dezember 1895 einen neuen Club, dem sie den symbolischen Namen Eintracht gaben.«5 Eine Legende ist geboren! Gerade noch rechtzeitig am Ende des Jahres – so kann man in Braunschweig immer behaupten, dass die Eintracht ein Jahr älter ist als die Konkurrenz von Hannover 96.

Die Eintracht-Spieler tragen eine blaue Tuchhose bis ans Knie, ein blaues Sweatshirt mit Kragen und eine blaue Schirmmütze (die beim Kopfball abgesetzt und anschließend wieder aufgesetzt wird, so viel Zeit muss sein). Später fügt man noch einige gelbe Farbtupfer hinzu (Blau und Gelb sind die Farben des welfischen Herzogtums) – fertig ist die Corporate Identity, die bis heute eingehalten wird.

Die Geburtsstätte der Eintracht ist übrigens auch überliefert: Der »Fußball- und Cricket-Club Eintracht Braunschweig« wird im Elternhaus von Carl Schaper, dem späteren Jugendleiter, in der Leonhardstraße Ecke Adolfstraße gegründet, ganz in der Nähe des Trainingsgeländes auf dem Leonhardplatz (da wo heute die Stadthalle steht). Ein Problem ist nur, dass es Schülern verboten ist, Vereinen beizutreten, überhaupt gehen immer wieder Beschwerden bei der Polizei über das »unsittliche Treiben« ein – die die Beamten jedoch zumeist geflissentlich übersehen. Vielleicht kann das schon als ein erster Vorbote für die spätere Popularität des Vereins angesehen werden. Natürlich ist man von dem Bau eines Stadions noch weit entfernt, im Grunde genommen gibt es noch nicht einmal ein richtiges Spielfeld, die Toraufbauten müssen jeden Mittwochabend vom Vereinslokal »Weges Restaurant« am Magnitor, später vom Lokal »Bella Vista« in der Campestraße zum Platz getragen werden. Immerhin besitzt die dort abgestellte Wagenremise, die als Umkleidekabine dient, einen ungeheuren Luxus: eine (Kalt-)Wasserleitung!

Die ersten Spiele trägt man mangels Gegnern gegen sich selbst aus: »Eintracht I« gegen »Eintracht II« heißt es dann einfach. Das erste Spiel gegen einen richtigen Gegner lautet »Eintracht« gegen »Brunsviga«, die Mannschaft des herzöglichen Lehrerseminars. Auch wenn leider weder das Datum noch das Ergebnis des Spieles überliefert sind, gehen wir einfach mal davon aus, dass es ein triumphaler Sieg gewesen sein wird. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Das erste Spiel, dessen Ergebnis nachgewiesen ist, findet übrigens 1896 statt – da es jedoch nur ein mageres 2:2 gegen den Hannoverschen FV 1878 ist, wollen wir uns das gar nicht merken, sondern uns das Spiel gegen den MTV Braunschweig einprägen, das am 22. November 1896 stattfand und mit einem 10:0-Sieg für die Eintracht endet. Ich wiederhole: 10:0.

Nun darf man aus der Tatsache, dass sich immer wieder Spaziergänger über die Fußball spielenden Jungs beschwert haben, nicht ableiten, dass sich hier die Underdogs der Stadt zusammengefunden haben, um sich mit dem Establishment anzulegen. Ganz im Gegenteil rekrutieren sich die Vereinsmitglieder aus durchaus sehr bürgerlichen Kreisen, vornehmlich aus Kaufmannsfamilien. Da sich später auch Arbeitersportvereine in Braunschweig gründen, ist dies für die Geschichte des Vereins nicht ganz unwichtig. Bei der Eintracht pflegt man anfangs neben dem »Association Football« auch andere Sportarten, nämlich Rugby und Cricket. Der Fußball ist aber schon in den ersten Jahren das Aushängeschild des Vereins – und ist es bis heute geblieben.

Immerhin organisiert man 1899 sogar ein »Internationales Leichtathletiktreffen« auf der Radrennbahn in Riddagshausen, wenngleich lästerliche Kreaturen behaupten, dass die Internationalität darin bestanden habe, dass ein in Braunschweig wohnender Ausländer an den Spielen teilgenommen habe (oder zumindest zugeschaut hat). Für die Ernsthaftigkeit der Veranstaltung sprechen jedoch die dort ausgeübten Sportarten, zum Beispiel das beliebte Dreibeinlaufen, das noch heute gerne auf Kindergeburtstagen ausgeübt wird. Überhaupt bemüht man sich schon früh um ein seriöses Auftreten. So wird schon bald ein Verbot verhängt, in Spielkleidung zu rauchen oder Alkohol zu trinken. Außerdem werden die Mitglieder ermahnt, außer dem Vereinslokal keine weiteren Gaststätten aufzusuchen – woran man sich natürlich auch penibelst hält, wenn man mal von gelegentlichen Besuchen der »Magnitorschänke«, der »Moritzburg«, der »Erholung«, des »Hohenzollern« und von »Feltens Restaurant« absieht.

Natürlich sieht sich die Eintracht als Speerspitze des deutschen Fußballs – muss jedoch leider feststellen, dass sie nicht an der seit 1903 ausgetragenen Deutschen Meisterschaft teilnehmen kann, weil es in ihrer Region keinen Fußballverband gibt, der eine Mannschaft entsenden könnte. Also bleibt nichts anderes übrig, als am 1. Mai 1904 den »Fußballbund für das Herzogtum Braunschweig« ins Leben zu rufen. Das erstes Verbandsspiel findet am 2. Oktober 1905 statt: Die Eintracht spielt gegen den FC Einigkeit – und demütigt den Gegner mit einer 16:1-Watsche. Am Ende der Saison hat die Eintracht 12:0 Punkte und 35:4 Tore einfahren können und belegt den ersten Platz der neuen Liga. Den zweiten Platz hat ihre zweite Mannschaft eingenommen. 1906 wird der Verein unter dem Namen »F. C. Eintracht von 1895 e. V.« im Register eingetragen. Man ist sich also früh bewusst, wie wichtig das Geburtsjahr für das Image ist.

Am 8. März 1908 ist eine weitere wichtige Wegmarke erreicht. Die Eintracht und der Braunschweiger Fußball werden geadelt – durch einen Besuch des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg, dem Regenten des Herzogtums, der als ausgemachter Freund der Leibesübungen gilt. Laut Braunschweigischer Landeszeitung sind an diesem Tag nicht nur »einige Herren aus der Umgebung des Fürsten von Bulgarien vorgefahren«, sondern auch der Oberbürgermeister Retemeyer und der Polizeidirektor von dem Busch zu Gast. Und der Herr Herzog-Regent habe sogar »wiederholt seinen lebhaften Beifall« geäußert. Oha! Anlass ist das Spiel Eintracht gegen Victoria Hamburg, das die Braunschweiger standesgemäß mit 3:0 gewinnen – eine Niederlage hätte sicherlich auch den Unmut der hohen Herren erregt. Diese Anerkennung durch die Honoratioren der Stadt Braunschweig und des Herzogtums geht einher mit einer zunehmenden Popularität in breiten Bevölkerungsschichten, sodass noch im selben Jahr ein weiteres wichtiges Ereignis stattfindet, das zeigt, dass auch in Deutschland eine gewisse »Kommerzialisierung« des Fußballsports zu verzeichnen ist: Auf dem Steinweg wird bei Kalms die Karten-Vorverkaufsstelle der Eintracht eröffnet! Das ist auch dringend nötig, denn die Zuschauerzahlen steigen rasch an, zumal 1913 die Ligaspiele mit norddeutschen Klubs eingeführt werden.

Auch die Mitgliederstatistik sieht dementsprechend aus: Bei der Gründungsversammlung sind gerade mal 13 Personen anwesend (Hans Dörffler, Willi Drohn, Alfred Ehlers, Adolf Fricke, Walter Glaser, Kurt Hagemann, Franz Klippel, Albert Koch, Fritz Lehmann, Hans und Willi Lehmann Lemmer, Karl Schaper und Kurt Wilke lauten die Namen der Apostel), zwei Wochen später gibt es schon 30 Mitglieder und 1911 sind es dann sogar 400.

Erst der Erste Weltkrieg stoppt diesen rasanten Aufstieg, denn fast 100 Mitglieder sind gefallen, andere treten aus finanziellen Gründen aus, sodass es 1919 nur 150 eingetragene Einträchtler gibt. Doch schon ein Jahr später gehören bereits mehr als 1000 Braunschweiger dem Verein an! Die Erfolgsstory kann also weitergehen.

3. GRUND

Weil Eintracht Braunschweig nicht Hannover 96 ist

Die Eintracht gibt es nun also schon seit über 100 Jahren und sie hat dabei in diversen Ligen gespielt. Den echten Fan interessiert das aber eigentlich nur am Rande. Wirklich wichtig ist nur eins: Wie geht das nächste Lokalderby aus? Und wenn ich hier »Lokalderby« schreibe, meine ich natürlich nur die Spiele gegen den Erzrivalen aus Hannover. Der VfL Wolfsburg ist nun mal nicht satisfaktionsfähig und wird es auch nie sein.

Am 17. Juni 1900 fand das erste Spiel von Eintracht Braunschweig gegen den ein Jahr später gegründeten (Ha!) Verein Hannover 96 statt. Das Ergebnis: 11:1. Dabei hätte man es vielleicht auch bewenden lassen sollen, denn ein besseres Ergebnis wurde nie wieder erzielt. Schon im darauffolgenden Jahr reichte es nur noch für ein 3:1. Im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte sollte sich auch herausstellen, dass Hannover 96 ein durchaus ebenbürtiger Gegner ist, der einem auch schon mal schmerzhafte Niederlagen zufügen kann. Das 0:7-Debakel aus dem Jahre 1914 möchte ich hier nur am Rande erwähnen. Wichtiger, als alle Meisterschaften zu erringen, ist es also, die Hannoveraner zu besiegen und dabei möglichst auch noch ordentlich zu demütigen. Letzteres gelingt 1935 in überraschender Weise: Hannover 96 wird von den Verantwortlichen des Deutschen Fußballverbandes gezwungen, im Eintracht-Stadion gegen Schalke 04 zu spielen. Die kuriose Begründung: Das Spiel müsse schließlich »in heimischer Umgebung« stattfinden. Kein Wunder, dass Hannover verliert!

1938 jedoch nützt alles nichts mehr – Hannover 96 wird Deutscher Meister. Und das Endspiel findet zur Sicherheit im Berliner Olympiastadion statt. Ein Reporter des Kickers stellt zu seiner Verwunderung fest, dass »einige Braunschweiger neben mir … gar nicht entzückt sind. Die Braunschweiger hätten lieber Schalke siegen sehen«. Diese Konkurrenz kann das Blatt nicht gutheißen: »Der Gau Niedersachsen wird im eigenen Land vielfach als ›Wildwestgau‹ bezeichnet. Hiermit meint man natürlich die Fußballer. Und das kommt daher, weil sich die führenden Klubs dieses Gaus untereinander nicht ›grün‹ sind. Wir finden das wirklich nicht schön. (…) Haben die Niedersachsen so wenig Korpsgeist? Sind sie so stark vereinsmäßig gebunden?«6 In der Tat, das sind sie!

1962 beginnt dann Eintrachts größte Zeit, denn der DFB entschließt sich, die Bundesliga zu gründen – und die Eintracht mitspielen, Hannover 96 jedoch vorerst außen vor zu lassen. Und das, obwohl Hannover das größere Stadion und auch mehr Zuschauer hat. In der Stadt an der Leine greinen sie noch heute. Da fällt es auch kaum ins Gewicht, dass ausgerechnet in der Meisterschaftssaison die Hannoveraner, die inzwischen versehentlich in die Bundesliga aufgestiegen sind, die Derbys gewinnen. Was soll’s!?

In der Saison 1972/73 dann jedoch der Super-GAU. Die Eintracht steigt in die 2. Bundesliga ab – und schuld daran ist ausgerechnet der direkte Konkurrent aus der zärtlich »Seuchenstadt« genannten Landeshauptstadt. Das gibt einer alten und mittlerweile durchaus lieb gewonnenen Feindschaft natürlich neuen Schwung!

1992/93 dann wieder ein in die Weltgeschichte eingegangener braunschweigisch-hannoverscher Zusammenstoß, diesmal in der 2. Bundesliga. Die Eintracht droht mal wieder abzusteigen und tritt am letzten Spieltag gegen Duisburg an. Und ausgerechnet Hannover muss gegen den anderen Abstiegskandidaten St. Pauli spielen und verlieren, damit Braunschweig absteigt. Die Freude im Fanblock der Hannoveraner ist daher groß, als die Hamburger endlich ihren Siegtreffer schießen. Eine eigene Niederlage ist eben locker zu verschmerzen, wenn dadurch der Hauptfeind noch viel mehr getroffen wird. Ein Bauernopfer sozusagen …

1998 dann ein weiterer Baustein in der Mauer zwischen Hannover und Braunschweig: 96 besiegt (dank Gerald Asamoah) die Eintracht mit 1:0 und wird damit Norddeutscher Meister (mittlerweile sind beide Vereine in der Regionalliga angekommen, die Ansprüche also niedriger). Anschließend geht es für Hannover wieder bergauf, Braunschweig dümpelt weiter in den unteren Ligen herum, bis man im Jahr 2003 wieder aufeinandertrifft, diesmal im DFB-Pokal. Zwei Spielklassen trennen die Mannschaften mittlerweile voneinander – und ein Wunder geschieht: Die Eintracht siegt mit 2:0. Halleluja!

Da verwundert es auch nicht, dass der hannoversche Torwart Jörg Sievers auf die Frage, ob er sich auf das Lokalderby gegen den VfL Wolfsburg freue, unwirsch antwortet: »Für uns gibt es nur ein Derby – das gegen Braunschweig«.7

PS: Spieler- und Trainer-Wechsel zwischen Hannover und Braunschweig sind übrigens in der Regel keine Probleme. Nur der 96er Carsten Linke verzichtet 2002/03 nach einer Protestaktion bei einem Hallenturnier auf einen Wechsel nach Braunschweig. Und der Eintracht-Manager Dirk Holdorf wohnt zwar in Hannover, geht damit jedoch natürlich keineswegs hausieren, sondern legt sich sogar ein Kieler Autokennzeichen zu. Sicher ist sicher!

4. GRUND

Weil die Eintracht den DFB (mit)gegründet hat

Ich bin ja schon ein wenig auf die Vereinsgeschichte eingegangen, habe jedoch ein Datum ausgelassen, da ich finde, dass dieses einen Extra-Grund wert ist: Am 28. Januar 1900 gründen Fußballfunktionäre aus ganz Deutschland in Leipzig den Deutschen Fußball-Bund. Mit dabei: Eintracht Braunschweig, die durch ihren Vorsitzenden und Hymnen-Texter Karl Stansch vertreten wird, der die Eintracht als Einzelmitglied anmeldet, da es ja noch keinen regionalen Verband gibt. Noch im gleichen Jahr folgen die Braunschweiger Vereine Germania und Brunsviga. Aber die Eintracht war der erste. Von Hannover 96 keine Spur! Das kann einem keiner mehr nehmen!

5. GRUND

Weil die Eintracht schon vor über 100 Jahren um die Deutsche Meisterschaft gespielt hat

Da Braunschweig ja als Geburtsstadt des deutschen Fußballs gilt, verwundert es wohl auch nicht, dass die Eintracht gleich ganz vorne mitspielte. Schon in der Saison 1904/05 balgt man sich um die Deutsche Meisterschaft – und besiegt in der Vorrunde immerhin auch noch Hannover 96 3:2, um dann doch gegen den Berliner Meister Union 1892 1:4 zu verlieren. Das lassen die Braunschweiger natürlich nicht auf sich sitzen und geben alles daran, so schnell wie möglich doch noch Deutscher Meister zu werden.

Was dann auch 1967, also gerade mal 62 Jahre später, gelingen soll! Respekt!

6. GRUND

Weil die Eintracht schon vor über 100 Jahren das erste Auslandsspiel bestritten hat

25. Dezember 1905: Eintracht Braunschweig bestreitet das erste Spiel gegen eine ausländische Mannschaft. Der Gegner heißt Slavia Prag. Dass die Braunschweiger eine so lange Fahrt auf sich genommen haben, wird ihnen jedoch nicht gedankt, denn die Tschechen besiegen Braunschweig 8:3.

Das erste internationale Fußballspiel in Braunschweig findet übrigens am 26. Dezember 1906 statt. Der Gegner ist der Haarlemer FC. Das Ergebnis 2:7. Am internationalen Profil des Vereins muss angesichts dieser Ergebnisse doch noch ein wenig gearbeitet werden.

7. GRUND

Weil die Eintracht mehrfacher Meister ist

Man sieht also: Der Fußball wird in Deutschland immer populärer und damit auch professioneller. Wobei Profis im eigentlichen Sinne natürlich noch unbekannt sind. Man spielt für die Ehre – und nicht für den schnöden Mammon! Jedenfalls nicht offiziell.

Wie dem auch sei: 1905 wird der Norddeutsche Fußballbund ins Leben gerufen. Zu den Gründungsmitgliedern gehört natürlich auch Eintracht Braunschweig, das ist ja klar. Und deswegen ist es auch nur gerecht, dass man gleich auch in die Endrunde der Norddeutschen Meisterschaft kommt. Die man allerdings mit einem 2:5 gegen Victoria Hamburg, den größten Konkurrenten jener Jahre, versemmelt. In der darauffolgenden Saison, 1906/07, wird es nicht besser. Der Gegner heißt wieder Victoria Hamburg. Das Ergebnis: 6:1 für die Hamburger. Erst beim dritten Anlauf klappt es. Am 12. April 1908 gewinnen die »gefürchteten Provinzler«, wie man die Eintracht-Spieler in der Presse nennt, das Endspiel um die Norddeutsche Meisterschaft mit 3:1. Der Schüler und spätere Sportjournalist (und Eintracht-Pressewart) Paul Zeidler liefert einen leidenschaftlichen Spielbericht: »Ahnungsvolle Spannung schwebte über dem Eintracht-Sportplatz. (…) Die Hamburger Mannschaft war dieselbe wie das vorige Mal. Aber ihre vielgerühmte Kombination kam heute nicht zur Geltung. (…) Eintrachts Mannschaft spielte heute ganz einzig. Vor den Augen des Landesfürsten zeigte sie, was sie leisten kann. Die Kombination ließ nichts zu wünschen übrig, die Schnelligkeit war verblüffend.«8

Auch in den nächsten Jahren schafft die Eintracht den Einzug in die jeweilige Endrunde zur Norddeutschen Meisterschaft. Und darf 1912/13 auch zum zweiten Mal den Pokal mit nach Hause nehmen. Der Gegner heißt wiederum Victoria Hamburg. Das Ergebnis: 3:2 für die Eintracht. Ha!

8. GRUND

Weil schon vor über 100 Jahren ein Braunschweiger in der Nationalmannschaft spielte

Das erste Fußball-Länderspiel hat ja bekanntlich schon 1878 stattgefunden. Natürlich ist England daran beteiligt – der Gegner heißt Schottland. Ein Lokalderby also. Deutschland trägt sein erstes Länderspiel am 20. April 1908 aus. Und wer steht mit auf dem Feld? Der Braunschweiger Walter Poppe! Allerdings leider auch zum letzten Mal, danach ist er nie wieder in die Nationalmannschaft berufen worden. Und der Gegner heißt natürlich England. Das Ergebnis ist eine wenig überraschende 1:5-Niederlage. England ist Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch haushoch überlegen.

Walter Poppe ist einer der frühen Eintracht-Stars und gehört zu den Spielmachern der Meisterelf von 1908. Später wechselt er ausgerechnet zu Hannover 96 …

2. KAPITEL

BALLADEN

9. GRUND

Weil man sich als Braunschweiger nicht von Hamburg abwerben lässt

Walter Poppe habe ich ja schon erwähnt. Ein wirklicher Star ist jedoch der 1892 geborene Otto Fritz Harder, der seine fußballerische Karriere beim FC Hohenzollern beginnt, um ab 1909 bei der Eintracht zu spielen, mit der er 1913 dann auch Norddeutscher Meister wird. Der 1,90 Meter große Hüne spielt ab 1914 in der Nationalelf und wird zweimal Deutscher Meister (1923 und 1929). Allerdings nicht mit den Braunschweigern, sondern mit dem HSV-Vorläufer Hamburger FC.

Dass ihr Spitzenspieler 1913 von der Konkurrenz abgeworben wird, finden die Braunschweiger verständlicherweise gar nicht witzig! Und so kommt es, dass sich auf dem Braunschweiger Bahnhof eine Gruppe erzürnter Eintracht-Anhänger eingefunden hat, um ihrem Spitzenspieler noch ein paar gute Rat- oder Nackenschläge mit auf den Weg zu geben. Harder ahnt dies und lässt sich zum Bahnhof in Peine bringen, um in aller Ruhe den Zug nach Hamburg besteigen zu können.

Otto »Murlchen« Harder trägt übrigens noch einen zweiten Spitznamen, mit dem er dann auch berühmt wird: Tull. Diesen hat er sich in einem Freundschaftsspiel gegen Tottenham Hotspur erworben, bei denen Walter Daniel Tull mitgespielt hat – der erste schwarze Feldspieler im britischen Profifußball. Die beiden sollen sich von der Statur her sehr ähnlich gewesen sein.

Tull Harder wird jedenfalls einer der berühmtesten deutschen Fußballer überhaupt, sodass es in den 20er-Jahren sogar eine Schellack-Platte mit dem Titel Wenn spielt der Harder-Tull, dann heißt es drei zu null gibt. Und 1934 folgt sogar ein Film: Der König der Mittelstürmer, dessen Hauptfigur Tull Harper am Ende nicht nur die Liebe einer schönen Frau, sondern auch noch ein wichtiges Spiel gewinnt und auch noch die vor dem Bankrott stehende Firma seines Vaters rettet.

Im selben Jahr (für heutige Fußballprofi-Verhältnisse ist Harder ein greiser Mann!) beendet er seine sportliche Karriere – und startet eine zweite, die ich hier nicht verschweigen möchte, auch wenn sie (vorsichtig gesagt) weit weniger ruhmreich ist.

Schon 1932 tritt Harder nämlich in die NSDAP ein, 1933 folgt der Beitritt zur SS. Er dient in verschiedenen Konzentrationslagern als Wachmann und in der Lagerverwaltung, um 1944 die Leitung des KZ Hannover-Ahlem zu übernehmen. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass er im KZ Neuengamme nicht auf Asbjorn Halvorsen trifft, mit dem er zusammen beim HSV gespielt hat – und der 1933 aus Abneigung gegen die neuen Machthaber nach Norwegen zurückgegangen ist und sich dort im Zweiten Weltkrieg dem Widerstand angeschlossen hat. 1947 wird Tull Harder zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, jedoch schon 1951 aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen – bei seiner Rückkehr nach Hamburg feiern ihn seine Fans begeistert. Als er 1956 stirbt, bedeckt eine HSV-Flagge seinen Sarg.

Wenigstens keine Eintracht-Fahne.

10. GRUND

Obwohl die Eintracht …

31. Oktober 1937: Das Stadion an der Hamburger Straße ist mit 24.000 Zuschauern hoffnungslos überfüllt. Kein Wunder, denn die erfolgreichste Mannschaft jener Jahre ist zu Besuch: Schalke 04. Anlass ist der Tschammer-Pokal (der Vorläufer des DFB-Pokals), der nach dem Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten benannt worden ist. »Es war ein aufrüttelndes heroisches Ringen um den Sieg«, beschreibt der Kicker das Spiel, »der beiden tapferen Mannschaften oft so greifbar nahe war.«9 Erst in der Verlängerung, in der 119. Minute, fällt ein Tor und die Entscheidung zu Gunsten Schalkes.

Reichssportführer? Ach ja, da war ja was, was man vielleicht gerne mal verdrängen möchte. Aber die Eintracht hat sich in dieser Zeit nun wirklich nicht mit Ruhm bekleckert, denn der Verein dient sich schon früh den Nazis als Mithelfer an. So findet am 31. Juli 1932 eine Kundgebung mit Adolf Hitler im Stadion statt, wodurch sich die sozialdemokratische Zeitung Volksfreund genötigt sieht, zum Boykott des Vereins aufzurufen. Die Eintracht ficht dies nicht an. »Mit Gleichmut quittierten wir diese Anwürfe und ließen im selben Jahr noch … Hermann Göring von unserer Tribüne zu Wort kommen«, schreibt Vereinschronist Kurt Bertram später. Überhaupt ist er sehr stolz darauf, dass die Eintracht schon früh die Zeichen der Zeit erkannt hat: »Von den Schlacken der Vergangenheit befreit, begrüßte der deutsche Sport das Jahrtausend, welches Adolf Hitler in die Schranken forderte. Für Eintracht Braunschweig war die Umstellung spielend leicht, hatten doch mindestens 75 % der Mitglieder bereits 1932 für den Nationalsozialismus votiert.«10

Es sei dahingestellt, ob tatsächlich Dreiviertel der Mitglieder für die NSDAP gestimmt haben – Fakt ist, dass die bürgerliche Eintracht sich in dieser Zeit durch eine ausgesprochene Nähe zu den faschistischen Machthabern auszeichnet, während die Arbeitersportvereine allesamt verboten werden.