Die Wallflowers - Daisy & Matthew - Lisa Kleypas - E-Book

Die Wallflowers - Daisy & Matthew E-Book

Lisa Kleypas

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Beschreibung

Die lebenslustige Daisy Bowman hat es, anders als ihre Freundinnen, auch nach zwei Londoner Saisons nicht geschafft, einen Ehemann zu finden. Am Ende seiner Geduld stellt ihr Vater, ein reicher Industrieller, ihr ein Ultimatum: Sollte sie auch in dieser Saison keinen Erfolg haben, muss sie seinen Geschäftspartner heiraten. Matthew Swift ist clever, ernst und schrecklich langweilig – Daisy kann ihn nicht ausstehen. Jeder Mann wäre besser als er. Doch als Matthew nach England reist, ist Daisy überrascht, wie sehr sie sich plötzlich zu ihm hingezogen fühlt. Die Sache hat nur einen Haken: Matthew hat nicht vor, Daisy zu heiraten …

Dieser Titel ist bereits auf Deutsch unter dem Titel »Verbotene Früchte« erschienen.

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Seitenzahl: 414

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Buch

Die Bowman-Schwestern wurden von New York nach England geschickt, um noble Partien zu machen. Während ihre ältere Schwester Lillian mit Lord Marcus Westcliff die große Liebe gefunden hat und auch ihre Freundinnen Annabelle und Evie verheiratet sind, hat Daisy nach zwei Londoner Saisons noch immer keinen Ehemann. Ihr Vater, ein reicher Industrieller, hat sich in den Kopf gesetzt, sie mit einem jungen Geschäftspartner zu verheiraten, den er als Erben seines Unternehmens auserkoren hat. Die romantisch veranlagte Daisy ist empört über seine Wahl. Matthew Swift ist unansehnlich, kühl und ein Karrieremensch. Er stammt aus einer akzeptablen, aber unvermögenden Bostoner Familie. Doch als der Amerikaner die Bowmans und Westcliffs zur Hirschjagd in Hampshire begleitet, muss Daisy sich eingestehen, dass er sehr viel attraktiver und faszinierender ist als in ihrer Erinnerung. Offenbar ist auch Matthew von Daisys elfenhaften Erscheinung und ihrem lebhaften Wesen betört, aber warum zieht er sich immer wieder von ihr zurück?

Weitere Informationen zu Lisa Kleypas sowie zu ­lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Lisa Kleypas

Übersetzt vonBabette Schröder & Wolfgang Thon

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »A Scandal in Spring« bei Avon Books, an imprint of HarperCollins Publishers, New York.

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Neuausgabe März 2023

Copyright © 2006 by Lisa Kleypas

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Die vorliegende Ausgabe ist eine Neuübersetzung des erstmals 2010 unter dem Titel »Verbotene Früchte« auf Deutsch erschienenen Romans.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: Lee Avison / Trevillion Images; FinePic®, München

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: ik

Satz: Mediengestaltung Vornehm GmbH, München

ISBN: 978-3-641-29701-5V001

www.goldmann-verlag.de

PROLOG

»Ich habe eine Entscheidung getroffen, sie betrifft Daisys Zukunft«, verkündete Thomas Bowman seiner Frau und seiner Tochter. »Obwohl die Bowmans nur ungern eine Niederlage eingestehen, dürfen wir die Realität nicht ignorieren.«

»Und welche Realität wäre das bitte, Vater?«, fragte Daisy.

»Du bist nicht für den britischen Adel bestimmt.« Stirnrunzelnd fügte Bowman hinzu: »Oder vielleicht auch umgekehrt. Jedenfalls hat sich meine Investition in deine Suche nach einem Ehemann nicht rentiert. Weißt du, was das bedeutet, Daisy?«

»Ich bin eine Aktie, die sich nicht gut entwickelt?«, spekulierte sie.

Niemand hätte vermutet, dass Daisy bereits eine erwachsene Frau von zweiundzwanzig Jahren war. Klein, schlank und dunkelhaarig war sie noch lebendig und ausgelassen wie ein Kind, während andere Frauen in ihrem Alter bereits zu ruhigen, jungen Matronen herangereift waren. Während sie mit angezogenen Knien auf dem Kanapee saß, sah sie aus wie eine achtlos abgelegte Porzellanpuppe. Es ärgerte Bowman, dass seine Tochter ein Buch auf dem Schoß hielt und einen Finger zwischen die Seiten gesteckt hatte, um die Stelle zu markieren. Offensichtlich konnte sie es kaum erwarten, dass er fertig war, damit sie weiterlesen konnte.

»Leg das Buch weg!«, befahl er.

»Ja, Vater.« Rasch warf Daisy noch einen Blick hinein, um sich die Seitenzahl einzuprägen, und legte es dann beiseite. Auch diese kleine Verzögerung ärgerte Bowman. Bücher, Bücher … Der bloße Anblick eines Buches war für ihn zum Symbol für das peinliche Scheitern seiner Tochter auf dem Heiratsmarkt geworden.

Bowman saß in einem gepolsterten Sessel im Salon der Hotelsuite, die sie seit mehr als zwei Jahren bewohnten, und paffte eine dicke Zigarre. Seine Frau Mercedes saß neben ihm auf einem schmalen Stuhl mit Rohrrücken. Bowman war ein stämmiger Mann, der ebenso stur war wie sein Körper rund. Er hatte eine Glatze, trug jedoch einen dichten Schnauzbart, als wäre die gesamte Energie für das Wachstum seines Haupthaars in seinen Oberlippenbart geflossen.

Mercedes Bowman war zu Beginn ihrer Ehe ein ungewöhnlich schlankes Mädchen gewesen und im Laufe der Jahre noch dünner geworden. Wie ein Stück Seife, das sich allmählich zu einem schmalen Scheibchen abgenutzt hatte. Das glatte schwarze Haar trug sie stets streng nach hinten gebunden, und die Manschetten ihrer Ärmel umschlossen derart zarte Handgelenke, dass Bowman sie wie Birkenzweige hätte knicken können. Selbst wenn sie wie jetzt vollkommen still dasaß, ging von Mercedes eine nervöse Energie aus.

Bowman hatte es nie bereut, Mercedes zur Frau genommen zu haben – ihr stählerner Ehrgeiz entsprach genau seinem eigenen. Sie war eine unerbittliche Frau, stets darauf bedacht, den Bowmans einen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Es war Mercedes’ Idee gewesen, mit den Mädchen nach England zu gehen, da sie in New York nicht in die elitären Knickerbocker-Kreise der Gesellschaft vordringen konnten. »Wir handeln einfach über ihren Kopf hinweg«, hatte sie entschlossen verkündet. Und, bei Gott, bei seiner älteren Tochter Lillian waren sie äußerst erfolgreich gewesen.

Lillian hatte es irgendwie geschafft, die beste Partie von allen zu ergattern. Lord Westcliffs Stammbaum war pures Gold und der Earl eine sehr schmuckvolle Akquisition für die Familie. Doch jetzt konnte Bowman es kaum erwarten, nach Amerika zurückzukehren. Wäre Daisy in der Lage, sich einen Ehemann mit Titel zu angeln, wäre das längst geschehen. Es war Zeit, der Sache ein Ende zu machen.

Wenn Bowman über seine fünf Kinder nachdachte, fragte er sich, wie sie nur so wenig nach ihm schlagen konnten. Er und Mercedes waren beide ehrgeizig, und doch hatten sie drei Söhne gezeugt, die die Dinge gelassen hinnahmen und fest davon überzeugt waren, dass ihnen alles, was sie begehrten, wie reife Früchte in den Schoß fiel. Lillian schien als Einzige ein wenig von Bowmans aggressivem Geist geerbt zu haben. Doch sie war nun einmal eine Frau, und darum schien das reine Verschwendung.

Und dann war da Daisy. Von allen seinen Kindern hatte Bowman Daisy immer am wenigsten verstanden. Schon als Kind hatte Daisy nie die richtigen Schlüsse aus den Geschichten gezogen, die er erzählte, und stets Fragen gestellt, die ganz und gar am Kern seiner Aussagen vorbeigingen. Als er darüber doziert hatte, warum Anleger, die ein geringes Risiko und eine moderate Rendite anstrebten, ihr Kapital in Staatsanleihen investieren sollten, hatte Daisy ihn mit der Frage unterbrochen: »Vater, wäre es nicht wunderbar, wenn Kolibris Teepartys geben würden und wir klein genug wären, um eingeladen zu werden?«

Bowmans Bemühungen, Daisy im Laufe der Jahre zu ändern, waren auf ihren heftigen Widerstand gestoßen. Sie mochte sich, wie sie war, weshalb das Unterfangen, irgendetwas anderes aus ihr zu machen, dem Versuch glich, einen Schwarm Schmetterlinge zu bändigen. Oder Gelee an einen Baum zu nageln.

Da Bowman das unberechenbare Wesen seiner Tochter fast in den Wahnsinn getrieben hatte, wunderte er sich keineswegs darüber, dass kein Mann bereit war, sein Leben mir ihr zu verbringen. Was für eine Mutter wäre sie, die von Feen plauderte, die an Regenbögen hinunterglitten, statt ihren Kindern vernünftige Verhaltensregeln einzubläuen.

Ganz offensichtlich bestürzt, schaltete sich Mercedes in das Gespräch ein, sie klang angespannt. »Lieber Bowman, die Saison ist noch lange nicht vorbei. Ich bin durchaus der Meinung, dass Daisy bereits ausgezeichnete Fortschritte gemacht hat. Lord Westcliff hat sie mehreren vielversprechenden Gentlemen vorgestellt, die alle sehr an der Aussicht interessiert zu sein schienen, den Grafen als Schwager zu gewinnen.«

»Ich finde es bezeichnend«, erwiderte Bowman düster, »dass die Verlockung für diese ›vielversprechenden Gentlemen‹ darin besteht, Westcliff als Schwager zu gewinnen, und nicht Daisy als Ehefrau.« Er warf seiner Tochter einen strengen Blick zu. »Ist denn einer dieser Männer bereit, dir einen Antrag zu machen?«

»Das kann sie unmöglich wissen …«, begann Mercedes, aber Bowman unterbrach sie.

»Frauen wissen solche Dinge immer. Antworte, Daisy, besteht die Möglichkeit, einen dieser Gentlemen dazu zu bringen, dir einen Antrag zu machen?«

Seine Tochter zögerte, und ein besorgter Ausdruck erschien in ihren dunklen, leicht schräg stehenden Augen. »Nein, Vater«, gab sie schließlich freimütig zu.

»Dachte ich mir.« Bowman verschränkte die dicken Finger über dem Bauch und betrachtete die beiden stummen Frauen mit autoritärer Miene. »Dein Mangel an Erfolg ist allmählich lästig, Tochter. Mich stören die unnötigen Ausgaben für Kleider und diesen ganzen Firlefanz … Mir missfällt der Aufwand, dich von einem unergiebigen Ball zum nächsten zu karren. Mehr noch stört mich, dass dieses Unternehmen mich in England festhält, während ich in New York gebraucht werde. Deshalb habe ich beschlossen, einen Ehemann für dich auszusuchen.«

Daisy sah ihn verständnislos an. »Und an wen denkst du, Vater?«

»Matthew Swift.«

Jetzt starrte sie ihn an, als sei er verrückt geworden.

Mercedes holte schnell Luft. »Das ist doch unsinnig, Bowman! Völlig unsinnig! Eine solche Verbindung wäre weder für uns noch für Daisy von Vorteil. Mr Swift ist weder ein Aristokrat, noch verfügt er über ein nennenswertes Vermögen …«

»Er ist einer der Swifts aus Boston«, entgegnete Bowman. »Wohl kaum eine Familie, über die man die Nase rümpfen kann. Ein guter Name und dazu gutes Blut. Noch wichtiger ist, dass Swift mir ergeben ist. Und er ist einer der fähigsten Geschäftsmänner, die mir je begegnet sind. Ich will ihn als Schwiegersohn, denn ich möchte ihm zu gegebener Zeit meine Firma vermachen.«

»Du hast drei Söhne, die das Unternehmen aufgrund ihres Geburtsrechts erben werden!«, wandte Mercedes entrüstet ein.

»Keiner von ihnen schert sich auch nur einen Deut um das Geschäft. Sie haben nicht das geringste Interesse daran.« Dachte er dagegen an Matthew Swift, der fast zehn Jahre lang unter seiner Obhut gediehen war, verspürte Bowman einen Anflug von Stolz. Der Junge war mehr ein Abbild von Bowman als sein eigener Nachwuchs. »Keiner von ihnen besitzt den heißblütigen Ehrgeiz und die Rücksichtslosigkeit von Swift«, fuhr Bowman fort. »Ich werde ihn zum Vater meiner Erben machen.«

»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, rief Mercedes hitzig.

Daisy antwortete in ruhigem Ton, der das Getöse ihres Vaters gekonnt untergrub. »Ich darf wohl darauf hinweisen, dass in dieser Angelegenheit meine Mitarbeit erforderlich ist. Insbesondere, wenn wir davon sprechen, Erben in die Welt zu setzen. Und ich versichere dir, keine Macht der Welt kann mich zwingen, Kinder von einem Mann zu empfangen, den ich nicht einmal mag.«

»Ich darf ja wohl annehmen, dass du zu irgendetwas nutze sein willst!«, knurrte Bowman. Er hatte schon immer dazu geneigt, Rebellion mit aller Macht zu unterbinden. »Ich darf wohl davon ausgehen, dass du lieber einen Ehemann und ein eigenes Heim haben willst, als dein Schmarotzerdasein fortzusetzen.«

Daisy zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt. »Ich bin keine Schmarotzerin.«

»Ach? Dann erklär mir doch bitte, wie die Welt bisher von deiner Existenz profitiert hat. Was hast du jemals für irgendjemanden getan?«

Mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Existenz rechtfertigen zu müssen, starrte Daisy ihn nur mit versteinerter Miene an und schwieg.

»Ich nenne dir hiermit mein Ultimatum«, sagte Bowman. »Entweder du findest bis Ende Mai einen geeigneten Ehemann, oder ich verheirate dich mit Swift.«

KAPITEL 1

»Ich sollte dir eigentlich nichts davon erzählen«, schimpfte Daisy, als sie später am Abend aufgewühlt im Marsden-Salon auf und ab lief. »In deinem Zustand solltest du dich nicht aufregen. Aber ich kann es nicht für mich behalten, sonst explodiere ich, was dich wahrscheinlich noch weitaus mehr aufregen würde.«

Ihre ältere Schwester hob den Kopf von Lord Westcliffs Schulter. »Erzähl es mir«, forderte Lillian sie auf und schluckte gegen eine weitere Welle Übelkeit an. »Ich rege mich nur dann auf, wenn man mir etwas vorenthält.« Sie lag auf der langen Polsterbank in Westcliffs Arm, während er ihr einen Löffel mit Zitroneneis in den Mund schob. Mit geschlossenen Augen schluckte sie es hinunter, die dunklen Wimpernkränze ruhten auf ihren blassen Wangen.

»Besser?« fragte Westcliff sanft und wischte ihr einen Tropfen Eis aus dem Mundwinkel.

Lillian nickte, ihr Gesicht war kreideweiß. »Ja, ich glaube, es hilft. Bah. Du solltest beten, dass es ein Junge wird, Westcliff, denn das ist deine einzige Chance auf einen Erben. Diese Sache mach ich nicht noch einmal mit …«

»Mach den Mund auf«, sagte er und verabreichte ihr einen weiteren Löffel des aromatisierten Eises.

Normalerweise hätte Daisy dieser Einblick in das Privatleben der Westcliffs gerührt. Nur selten sah jemand Lillian so verletzlich oder Marcus so sanft und besorgt. Doch Daisy war so sehr von ihren eigenen Problemen abgelenkt, dass sie ihren liebevollen Umgang kaum bemerkte. »Vater hat mir ein Ultimatum gestellt!«, platzte sie heraus. »Er hat heute Abend …«

»Warte«, bat Westcliff sie leise und veränderte seinen Griff um Lillian. Als er seine Frau auf die Seite drehte, lehnte sie sich schwerer an ihn und legte eine schlanke weiße Hand auf die Wölbung ihres Bauches. Er murmelte etwas Unverständliches in ihr zerzaustes dunkles Haar, und sie nickte seufzend.

Jeder, der Westcliffs zärtliche Fürsorge für seine junge Frau miterlebte, konnte nicht umhin, die offensichtliche Wandlung zu bemerken, die in dem Earl vorgegangen war. Er hatte stets als kühl gegolten, nun war er deutlich zugewandter – er lächelte und lachte mehr – , und seine Vorstellungen von anständigem Verhalten hatten an Strenge verloren. Was gut war, nachdem Lillian seine Gemahlin und Daisy seine Schwägerin war.

Westcliff, dessen Augen von einem derart dunklen Braun waren, dass sie fast schwarz wirkten, musterte Daisy mit skeptischem Blick. Obwohl er kein Wort sagte, las Daisy in seinem Blick den Wunsch, Lillian vor allem und jedem zu beschützen, was ihren Frieden stören könnte.

Plötzlich schämte sie sich, dass sie sofort angestürmt gekommen war, um ihr von der Ungerechtigkeit zu berichten, die ihr Vater ihr angetan hatte. Sie hätte ihre Probleme für sich behalten sollen, stattdessen war sie wie ein petzendes Kind zu ihrer älteren Schwester geeilt. Doch dann öffnete Lillian die braunen Augen und lächelte sie herzlich an, und tausend Kindheitserinnerungen tanzten wie frohlockende Glühwürmchen zwischen ihnen in der Luft. Die tiefe Vertrautheit von Schwestern konnte nicht einmal der fürsorglichste Ehemann stören.

»Erzähl es mir«, forderte Lillian sie erneut auf und schmiegte sich an Westkliffs Schulter, »was hat das Monster gesagt?«

»Wenn ich bis Ende Mai keinen Ehemann finde, will er einen für mich auswählen. Und rate, wer das ist? Rate einfach!«

»Ich kann mir keinen vorstellen«, antwortete Lillian. »Vater billigt doch niemanden.«

»Oh doch, das tut er«, widersprach Daisy Unheil verheißend. »Es gibt einen Menschen auf der Welt, den Vater hundertprozentig gutheißt.«

Jetzt wirkte sogar Westcliff interessiert. »Ist es zufällig jemand, den ich kenne?«

»Du wirst ihn bald kennenlernen«, versprach Daisy. »Vater hat nach ihm geschickt. Er wird nächste Woche auf dem Landgut in Hampshire an der Hirschjagd teilnehmen.«

Westcliff kramte in seinem Gedächtnis nach den Namen, die Thomas Bowman ihn gebeten hatte, auf die Gästeliste für die Frühjahrsjagd zu setzen. »Der Amerikaner?«, riet er. »Mr Swift?«

»Genau der.«

Lillian sah Daisy verständnislos an, dann vergrub sie ihr Gesicht mit einem Keuchen an Westcliffs Schulter. Zuerst befürchtete Daisy, sie würde weinen, doch es wurde schnell klar, dass Lillian hemmungslos kicherte. »Nein … unmöglich … wie schrecklich … du könntest niemals …«

»Wenn du ihn heiraten solltest, würdest du es weit weniger amüsant finden!«, gab Daisy mit finsterem Blick zurück.

Westcliff blickte von einer Schwester zur anderen. »Was stimmt denn nicht mit Mr Swift? Nach Aussage deines Vaters scheint er doch ein ganz respektabler Mann zu sein.«

»Alles an ihm stimmt nicht«, antwortete Lillian und schnaubte noch einmal vor Lachen.

»Aber dein Vater schätzt ihn«, wandte Westcliff ein.

»Gewiss«, spottete Lillian. »Er schmeichelt Vaters Eitelkeit – Mr Swift versucht, ihm nachzueifern und hängt an seinen Lippen.«

Der Earl dachte über ihre Worte nach, während er den nächsten Löffel Zitroneneis an Lillians Lippen hielt. Sie seufzte befriedigt, als die eisige Substanz ihre Kehle hinabglitt.

»Hat euer Vater denn unrecht mit seiner Behauptung, dass Mr Swift intelligent sei?«, fragte Westcliff Daisy.

»Intelligent ist er«, gab sie zu. »Aber man kann sich nicht mit ihm unterhalten – er stellt Tausende von Fragen, saugt alles auf, was man sagt, gibt aber nichts zurück.«

»Vielleicht ist Swift ja schüchtern«, mutmaßte Westcliff.

Daisy musste unwillkürlich lachen. »Ich versichere dir, Mylord, Mr Swift ist alles andere als schüchtern. Er ist …« Sie hielt inne, da es ihr schwerfiel, ihre Gedanken in Worte zu fassen.

Matthew Swift war nicht nur übermäßig kühl, sondern auch noch unerträglich überheblich. Nie konnte man ihm etwas Neues erzählen – stets wusste er bereits alles. Da Daisy in einer Familie mit kompromisslosen Charakteren aufgewachsen war, konnte sie wenig mit einer weiteren sturen, streitlustigen Person in ihrem Leben anfangen.

Ihrer Meinung nach sprach es nicht gerade für Swift, dass er sich derart gut bei den Bowmans einfügte.

Vielleicht wäre er erträglicher, wenn er etwas Charmantes oder Attraktives an sich gehabt hätte. Doch weder sein Charakter noch sein Auftreten waren mit Anmut gesegnet. Er war humorlos und ließ jegliche Freundlichkeit vermissen. Zu allem Überfluss war auch sein Äußeres unvorteilhaft: groß, unproportioniert und so drahtig, dass seine Arme und Beine wie Stangenbohnen wirkten. Sie erinnerte sich, wie sein Gehrock um seine breiten Schultern geschlackert hatte.

»Statt all die Dinge aufzuzählen, die ich nicht an ihm mag«, sagte Daisy schließlich, »ist es einfacher festzustellen, dass es keinen Grund gibt, warum ich ihn mögen sollte.«

»Er ist nicht einmal attraktiv«, fügte Lillian hinzu. »Er ist ein Klappergestell.« Sie tätschelte Westcliffs muskulöse Brust und würdigte stillschweigend seinen kräftigen Körperbau.

Westcliff schien amüsiert. »Besitzt Swift denn irgendeine positive Eigenschaft?«

Die beiden Schwestern dachten über die Frage nach. »Er hat schöne Zähne«, räumte Daisy schließlich widerwillig ein.

»Woher weißt du das?«, erkundigte sich Lillian. »Er lächelt doch nie!«

»Ihr urteilt wirklich sehr hart über ihn«, bemerkte Westcliff. »Mr Swift könnte sich verändert haben, seit ihr ihn das letzte Mal gesehen habt.«

»Aber niemals so sehr, dass ich jemals einwilligen würde, ihn zu heiraten«, erklärte Daisy entschieden.

»Du brauchst Swift auch nicht zu heiraten, wenn du es nicht willst«, erklärte Lillian mit Nachdruck und drehte sich in den Armen ihres Mannes. »Ist es nicht so, Westcliff?«

»Ja, Liebes«, murmelte er und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.

»Und du wirst nicht zulassen, dass Vater mir Daisy wegnimmt«, beharrte Lillian.

»Natürlich nicht. Man kann immer etwas anderes aushandeln.«

Lillian schmiegte sich an ihn, offensichtlich hatte sie absolutes Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Mannes. »Siehst du«, sagte sie zu Daisy. »Kein Grund zur Sorge. Westcliff hat alles …« Sie hielt inne und gähnte ausgiebig. » … im Griff …«

Als Daisy die schweren Lider ihrer Schwester sah, lächelte sie mitfühlend. Sie begegnete Westcliffs Blick über Lillians Kopf und gab ihm ein Zeichen, dass sie gehen würde. Er antwortete mit einem höflichen Nicken, bevor seine Aufmerksamkeit fast zwanghaft zu Lillians schläfrigem Gesicht zurückkehrte. Und Daisy fragte sich unwillkürlich, ob sie jemals ein Mann so ansehen würde, als sei ihr Gewicht in seinen Armen etwas ungemein Kostbares.

Daisy war sich sicher, dass Westcliff versuchen würde, ihr auf jede erdenkliche Weise zu helfen, und sei es nur um Lillians willen. Ihr Vertrauen in den Einfluss des Earls wurde jedoch dadurch getrübt, dass sie den unbeugsamen Willen ihres Vaters kannte.

Obwohl sie sich ihm mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln widersetzen würde, hatte Daisy das ungute Gefühl, dass ihre Chancen nicht sonderlich gut standen.

Sie blieb auf der Türschwelle stehen und blickte mit einem beunruhigten Stirnrunzeln zu dem Paar auf dem Sofa zurück. Lillian war fest eingeschlafen, ihr Kopf lag schwer auf Westcliffs Brust. Als der Earl Daisys unglücklichen Blick bemerkte, hob er fragend eine Braue.

»Mein Vater …« Daisy biss sich auf die Lippe. Ihr Schwager war der Geschäftspartner ihres Vaters. Es war nicht angebracht, sich ausgerechnet bei Westcliff zu beschweren. Aber seine geduldige Miene ermutigte sie dazu weiterzusprechen. »Er hat mich eine Schmarotzerin genannt«, sagte sie leise, um Lillian nicht zu stören. »Er wollte von mir wissen, wie die Welt von meiner Existenz profitiert hat oder was ich jemals für irgendjemanden getan hätte.«

»Und was hast du geantwortet?«

»Mir … fiel nichts ein.«

Der Ausdruck in Westcliffs kaffeebraunen Augen war unergründlich. Er bedeutete ihr, sich aufs Sofa zu setzen, und sie gehorchte. Zu ihrem Erstaunen nahm er ihre Hand in seine und drückte sie herzlich. So etwas hatte der sonst so zurückhaltende Earl noch nie getan.

»Daisy«, sagte Westcliff sanft, »das Leben der meisten Menschen zeichnet sich nicht durch große Leistungen aus, sondern durch eine unendliche Anzahl von kleinen. Jedes Mal, wenn du jemandem einen Gefallen tust oder ihm ein Lächeln ins Gesicht zauberst, gibt das deinem Leben einen Sinn. Zweifle nie an deinem Wert, kleine Freundin. Ohne Daisy Bowman wäre die Welt ein deutlich trostloserer Ort.«

Kaum jemand würde bestreiten, dass Stony Cross Park einer der schönsten Orte Englands war. Das Anwesen in Hampshire bot eine schier unendlich vielfältige Landschaft, von undurchdringlichen Wäldern über prächtig blühende Feuchtwiesen und Sümpfe bis hin zu dem stattlichen honigfarbenen Herrenhaus aus Stein, das auf einer Klippe über dem Fluss Itchen stand.

Überall blühte das Leben, blasse Triebe sprossen aus dem Teppich aus moderndem Laub am Fuße knorriger Eichen und Zedern, und in einem dunkleren Teil des Waldes leuchteten Glockenblumen.

Rotflügelige Heuschrecken tanzten durch Wiesen voller wilder Schlüsselblumen und Frauenmantel, während durchscheinende blaue Libellen über den kunstvoll geschnittenen weißen Blüten des Fieberklees schwebten. Es roch nach Frühling, die Luft war erfüllt von dem Duft von Buchsbaumhecken und zartgrünem Rasen.

Nach einer zwölfstündigen Kutschfahrt, die Lillian als eine Reise durch die Hölle bezeichnete, trafen die Westcliffs, die Bowmans und die anderen Gäste zu ihrer Erleichterung endlich in Stony Cross Park ein.

Der Himmel über Hampshire hatte ein sanfteres Blau, und über allem lag eine glückselige Ruhe. Man hörte weder das Klappern von Rädern und Hufen auf gepflasterten Straßen noch Verkäufer oder Bettler, noch Fabriksirenen oder irgendeinen anderen Lärm, der einem in der Stadt ständig in den Ohren lag. Hier gab es nur das Zwitschern der Rotkehlchen in den Hecken, das Klappern der Grünspechte in den Bäumen und gelegentlich einen Eisvogel, der aus dem schützenden Flussschilf schoss.

Lillian, die das Landleben einst für sterbenslangweilig gehalten hatte, war überglücklich, wieder auf dem Gut zu sein. Sie mochte die Atmosphäre von Stony Cross Park außerordentlich, und nach ihrer ersten Nacht im Herrenhaus sah sie so gut aus und fühlte sich so wohl wie seit Wochen nicht mehr. Da sich Lillians Schwangerschaft nun nicht mehr so leicht durch hochgeschnittene Kleider verbergen ließ, trat sie nicht länger in der Öffentlichkeit auf. Auf ihrem eigenen Anwesen genoss Lillian jedoch relative Freiheit, auch wenn sie den Umgang mit den Gästen auf kleine Gruppen beschränken würde.

Zu Daisys großer Freude war sie in ihrem Lieblingszimmer untergebracht. Das hübsche, malerische Zimmer hatte einst Lord Westcliffs Schwester Lady Aline bewohnt, die jetzt mit Mann und Sohn in Amerika lebte. Das reizvollste Merkmal des Schlafzimmers war die kleine sich anschließende Kemenate, die aus Frankreich mitgebracht und dort eingebaut worden war. Sie stammte ursprünglich aus einem Chateau des siebtzehnten Jahrhunderts und war mit einer Chaiselongue ausgestattet, die sich hervorragend zum Schlafen oder Lesen eignete.

Gemütlich mit einem ihrer Bücher auf dem Liegemöbel zusammengerollt fühlte sich Daisy, als wäre sie vor dem Rest der Welt verborgen. Wenn sie doch nur hier in Stony Cross bleiben und für immer mit ihrer Schwester zusammenleben könnte! Doch noch während sie das dachte, wusste sie, dass sie so niemals ganz glücklich werden würde. Sie wollte ein eigenes Leben, einen eigenen Mann, eigene Kinder.

Zum ersten Mal, solange Daisy denken konnte, waren ihre Mutter und sie Verbündete, vereint in dem Wunsch, eine Heirat mit dem verhassten Matthew Swift zu verhindern.

»Dieser verachtungswürdige junge Mann«, hatte Mercedes geschimpft. »Ich hege keinen Zweifel, dass er deinem Vater diese verfluchte Idee in den Kopf gesetzt hat! Ich habe schon immer geargwöhnt, dass er …«

»Was?«, hakte Daisy nach, aber ihre Mutter presste nur die Lippen zusammen, bis sie eine schmale, verbitterte Linie bildeten.

Als Mercedes die Gästeliste studierte, informierte sie Daisy, dass eine große Zahl vielversprechender Gentlemen im Herrenhaus wohne. »Auch wenn sie nicht alle Titel erben werden, so stammen sie doch aus adligen Familien«, sagte Mercedes. »Und man weiß ja nie … Manchmal geschieht ein Unglück … tödliche Krankheiten oder ein schwerer Unfall. Mehrere Mitglieder der Familie könnten auf einmal ausgelöscht werden, und deinem Mann würde sodann automatisch der Adelstitel zukommen!« Bei dem Gedanken an den Schicksalsschlag, der Daisys zukünftigen Schwiegereltern widerfahren könnte, zeichnete sich Hoffnung auf Mercedes’ Gesicht ab, und sie ging die Liste noch einmal genauer durch.

Daisy wartete ungeduldig auf Evie und St. Vincent, die im Laufe der Woche auftauchen sollten. Sie vermisste Evie schrecklich, vor allem da Annabelle mit ihrem Baby beschäftigt war und Lillian zu langsam, um sie bei den zügigen Spaziergängen zu begleiten, die sie so liebte.

Am dritten Tag nach ihrer Ankunft in Hampshire unternahm Daisy allein einen Nachmittagsspaziergang und schlug einen ausgetretenen Pfad ein, den sie von ihren vielen früheren Besuchen her kannte. Sie trug ein blassblaues, mit Blumen bedrucktes Musselinkleid, feste Wanderschuhe und schwang eine Strohhaube an den Bändern durch die Luft.

Während sie durch einen Hohlweg schritt, vorbei an Feuchtwiesen, auf denen gelbes Schöllkraut und roter Sonnentau leuchteten, dachte Daisy über ihr Problem nach.

Warum fiel es ihr so schwer, einen Mann zu finden?

Es war ja nicht so, dass sie sich nicht verlieben wollte. Sie wünschte es sich sogar sehr, und es kam ihr schrecklich unfair vor, dass sie noch niemanden gefunden hatte. Dabei hatte sie es doch versucht! Aber irgendetwas war immer falsch.

Hatte ein Gentleman das richtige Alter, war er passiv oder aufgeblasen. War er freundlich und interessant, war er entweder alt genug, um ihr Großvater zu sein, oder er hatte ein unangenehmes Problem, wie zum Beispiel einen üblen Körpergeruch oder eine feuchte Aussprache.

Daisy wusste, dass sie keine auffallende Schönheit war. Sie war zu klein und schmächtig, und obwohl sie Komplimente für ihre dunklen Augen und ihr dunkelbraunes Haar erhielt, das einen schönen Kontrast zu ihrem hellen Teint bildete, hatte sie schon viel zu oft die Begriffe »koboldhaft« und »schelmisch« gehört. Koboldfrauen zogen Freier nicht annähernd in dem Maße an wie klassische Schönheiten oder zierliche, hübsche Frauen.

Zudem wurde angemerkt, dass Daisy zu viel Zeit mit ihren Büchern verbrachte, was vermutlich stimmte. Hätte man es ihr erlaubt, hätte Daisy den Großteil des Tages mit Lesen und Träumen verbracht. Jeder vernünftige Adlige kam zweifellos zu dem Schluss, dass sie sich als Ehefrau in Sachen Haushaltsführung nicht als besonders nützlich erweisen würde, ebenso wenig wie bei Aufgaben, bei denen es auf Details ankam. Und damit lag der Adlige ganz richtig.

Daisy interessierte sich nicht für den Inhalt der Speisekammer oder dafür, wie viel Seife für den Waschtag bestellt werden musste. Sie interessierte sich viel mehr für Romane, Gedichte und Geschichten, die sie zu langen Tagträumen anregten. Dann blickte sie aus dem Fenster in die Ferne, während sie in ihrer Vorstellung exotische Abenteuer erlebte, auf fliegenden Teppichen reiste, über fremde Ozeane segelte und auf tropischen Inseln nach Schätzen suchte.

In Daisys Träumen gab es jede Menge faszinierender Gentlemen, inspiriert von Geschichten über verwegene Heldentaten und edle Unternehmungen. Diese Fantasiemänner waren so viel aufregender und interessanter als die gewöhnlichen. Sie sprachen in wunderschöner Prosa, brillierten im Schwertkampf und im Duell und betörten die Frauen ihres Herzens mit ihren Küssen.

Natürlich war Daisy nicht so naiv zu glauben, dass es solche Männer wirklich gab, aber sie musste zugeben, dass ihr die realen Männer verglichen mit all den romantischen Bildern in ihrem Kopf schrecklich … nun ja, langweilig erschienen.

Daisy hielt das Gesicht in den milden Sonnenschein, der in hellen Fäden durch das Blätterdach der Bäume über ihrem Kopf fiel, und sang ein beschwingtes Volkslied namens »Alte Jungfer in der Mansarde«:

Komm reicher Mann, komm armer Mann,

seist du dumm oder gescheit,

Hauptsache, es kommt ein Mann!

Willst du nicht heiraten aus Mitleid?

Schon bald erreichte sie das Ziel ihres Ausflugs – einen Brunnen, der aus einer Quelle gespeist wurde und den sie und die anderen Mauerblümchen schon ein paarmal aufgesucht hatten. Ein Wunschbrunnen. Der örtlichen Überlieferung zufolge hauste darin ein Geist, und wenn man eine Nadel hineinwarf, erfüllte er einem einen Wunsch. Die einzige Gefahr bestand darin, zu nahe heranzutreten, denn der Brunnengeist konnte eine Frau mit sich in die Tiefe ziehen und sie zwingen, für immer als seine Gefährtin zu leben.

Bei früheren Gelegenheiten hatte Daisy sich etwas für ihre Freundinnen gewünscht – und es war stets in Erfüllung gegangen. Jetzt brauchte sie ein bisschen Magie für sich selbst.

Vorsichtig legte Daisy ihre Haube auf den Boden, näherte sich dem Loch und blickte in das schlammig aussehende Wasser, das darin schwappte. Sie ließ ihre Hand in die Tasche ihres Wanderkleides gleiten und zog eine Pappe mit Stecknadeln heraus.

»Also, Geist«, sagte sie im Plauderton, »da ich bislang so wenig Erfolg hatte, den Mann zu finden, den ich mir immer gewünscht habe, überlasse ich es nun dir. Ich habe keine Erwartungen, keine Bedingungen. Was ich mir wünsche, ist einfach nur … den richtigen Mann für mich. Ich bin offen für alles.«

Sie zog die Nadeln in Zweier- und Dreiergruppen aus der Pappe und warf sie in den Brunnen. Das Metall funkelte in der Luft, bevor die Nadeln auf der bewegten Wasseroberfläche landeten und unter die trübe Oberfläche sanken.

»Ich möchte alle diese Nadeln demselben Wunsch widmen«, erklärte sie dem Brunnen. Dann stand sie lange mit geschlossenen Augen da und konzentrierte sich. Das Rauschen des Wassers wurde durch das Zwitschern eines Zilpzalps, der im Sturzflug ein Insekt fing, und das Summen einer Libelle überlagert.

Plötzlich knackte es hinter ihr, als hätte jemand auf einen Zweig getreten.

Als Daisy sich daraufhin umdrehte, sah sie eine dunkle Gestalt auf sich zukommen, die nur noch wenige Meter entfernt war. Vor lauter Schreck, jemanden in ihrer Nähe zu entdecken, nachdem sie sich allein gewähnt hatte, stolperte ihr Herz ein paarmal auf unangenehme Weise.

Der Mann war genauso groß und kräftig wie der Gatte ihrer Freundin Annabelle, wobei er etwas jünger wirkte, knapp unter dreißig vielleicht. »Verzeihen Sie«, sagte er leise, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, »ich wollte Sie nicht erschrecken.«

»Oh, Sie haben mich nicht erschreckt«, log sie unbeschwert, während ihr Puls immer noch hämmerte. »Ich war nur etwas … überrascht.«

Er hatte die Hände in die Taschen geschoben und näherte sich ihr gelassenen Schrittes. »Ich bin erst vor ein paar Stunden angekommen«, sagte er. »Es hieß, Sie unternähmen hier draußen einen Spaziergang.«

Er kam ihr ziemlich bekannt vor und sah Daisy an, als erwartete er, dass sie ihn kenne. Wie immer, wenn sie den Namen einer Person vergessen hatte, der sie schon einmal begegnet war, überkam sie das peinliche Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.

»Sie sind ein Gast von Lord Westcliff?« Sie versuchte verzweifelt, ihn einzuordnen.

Er warf ihr einen seltsamen Blick zu und lächelte schwach. »Ja, Miss Bowman.«

Er kannte ihren Namen. Daisy betrachtete ihn mit wachsender Verwirrung. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie einen derart attraktiven Mann hatte vergessen können. Seine Gesichtszüge waren markant, zu männlich, um sie als schön zu bezeichnen, zu auffällig, um gewöhnlich zu sein. Und seine Augen hatten das satte Himmelblau einer Prunkwinde, das durch seine sonnengebräunte Haut noch intensiver wirkte. Er hatte etwas Außergewöhnliches an sich, eine Art kaum gebändigter Vitalität, die sie beinahe einen Schritt zurückweichen ließ.

Als er den Kopf neigte, um sie anzusehen, glitt ein mahagonifarbener Schimmer über sein glänzendes dunkelbraunes Haar. Seine dichten Locken waren kürzer geschnitten, als es in Europa üblich war. Eher wie es Amerikaner zu tragen pflegten. Und wenn sie es recht bedachte, hatte er auch mit amerikanischem Akzent gesprochen. Und der frische, saubere Geruch, den sie wahrnahm … Wenn sie sich nicht allzu sehr irrte, war es der Duft von … Bowman’s Seife?

Plötzlich wusste Daisy, wer er war, und beinahe gaben ihre Knie unter ihr nach.

»Sie?«, flüsterte sie, und ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen, als sie in das Gesicht von Matthew Swift blickte.

KAPITEL 2

Sie musste wohl ein wenig geschwankt haben, denn er griff nach ihrem Oberarm und hielt sie behutsam fest.

»Mr Swift«, brachte sie mit erstickter Stimme hervor und wich instinktiv zurück.

»Sie werden noch in den Brunnen fallen. Kommen Sie.«

Er zog sie sanft, aber unnachgiebig einige Meter von dem sprudelnden Wasser weg. Verärgert, wie eine entlaufene Gans zurückgetrieben zu werden, wehrte sich Daisy gegen seinen Griff. Einige Dinge, dachte sie finster, haben sich nicht geändert. Matthew Swift war so herrschsüchtig wie immer.

Sie konnte den Blick nicht von ihm lösen. Großer Gott, eine derartige Verwandlung hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen! Das einstige »Klappergestell«, wie Lillian ihn geschmäht hatte, hatte sich zu einem großen, gut aussehenden Mann entwickelt, der Gesundheit und Vitalität ausstrahlte. Er trug einen eleganten Anzug, der weiter geschnitten war als die eng anliegenden Modelle der Vergangenheit. Dennoch verdeckte der locker fallende Stoff nicht die kräftige Muskulatur darunter.

Die Veränderung war jedoch nicht nur rein körperlicher Natur. Die Reife hatte unübersehbar sein Selbstvertrauen gestärkt, er wirkte wie ein Mann, der um seine Fähigkeiten wusste. Daisy erinnerte sich, wie er angefangen hatte, für ihren Vater zu arbeiten. Damals war er ein dürrer, leidenschaftsloser Opportunist in teurer, aber schlecht sitzender Garderobe und abgenutzten Schuhen gewesen.

»Das ist typisch für das alte Boston«, hatte ihr Vater nachsichtig gemeint, als in der Familie Bemerkungen zu den alten Schuhen gefallen waren. »Sie fertigen Schuhe oder Mäntel an, die ewig halten. Sparsamkeit ist für sie eine Religion, ganz gleich wie groß das Familienvermögen ist.«

Daisy löste sich aus Swifts Griff. »Sie haben sich verändert«, sagte sie und versuchte, sich zu sammeln.

»Sie nicht«, gab er zurück, und es war unmöglich zu sagen, ob die Bemerkung als Kompliment oder als Kritik gemeint war. »Was haben Sie am Brunnen gemacht?«

»Ich war … Ich dachte …« Daisy suchte vergeblich nach einer vernünftigen Erklärung, aber ihr fiel einfach keine ein. »Es ist ein Wunschbrunnen.«

Seine Miene blieb ernst, aber in seine lebhaften blauen Augen trat ein verdächtiges Funkeln, als ob er sich insgeheim amüsierte. »Ich nehme an, das wissen Sie aus zuverlässiger Quelle?«

»Jeder aus dem Dorf sucht ihn auf!«, gab Daisy gereizt zurück. »Es ist ein legendärer Wunschbrunnen.«

Er taxierte sie auf eine Weise, die ihr schon immer äußerst unangenehm gewesen war. Er nahm alles in sich auf, kein Detail entging seiner Aufmerksamkeit. Daisy spürte, wie ihre Wangen unter seinem Blick glühten. »Was haben Sie sich gewünscht?«, wollte er wissen.

»Das ist privat.«

»Wie ich Sie kenne«, fuhr er fort, »könnte es alles Mögliche gewesen sein.«

»Sie kennen mich nicht«, schoss Daisy zurück. Die Vorstellung, dass ihr Vater sie einem Mann überlassen wollte, der in jeder Hinsicht so falsch für sie war … es war purer Wahnsinn. Eine Heirat mit ihm wäre eine geschäftliche Vereinbarung, bei der Geld gegen Verpflichtungen getauscht würde. Enttäuschung und gegenseitige Verachtung wären die Folge. Und ganz sicher fühlte er sich nicht mehr zu ihr hingezogen als sie sich zu ihm. Niemals würde er ein Mädchen wie sie heiraten, würde nicht die Firma ihres Vaters als Anreiz dienen.

»Vielleicht nicht«, räumte Swift ein. Aber er klang nicht aufrichtig. Er glaubte genau zu wissen, wer und was sie war. Ihre Blicke trafen sich, und sie maßen einander herausfordernd.

»In Anbetracht des legendären Status des Brunnens«, fuhr er fort, »würde es mich ärgern, wenn ich mir eine gute Gelegenheit entgingen ließe.« Er griff in eine Tasche, kramte kurz darin herum und zog eine große Silbermünze heraus. Es war schon ewig her, dass Daisy amerikanisches Geld gesehen hatte.

»Sie müssen eine Nadel hineinwerfen«, sagte sie.

»Ich habe keine Nadel.«

»Das ist eine Fünfdollarmünze«, stellte Daisy ungläubig fest. »Die werden Sie doch nicht einfach wegwerfen!«

»Ich werfe sie nicht weg. Ich tätige eine Investition. Sie sollten mir vielleicht das genaue Prozedere erklären – es ist zu viel Geld, um es zu verschwenden.«

»Sie machen sich über mich lustig.«

»Ich meine es todernst. Und da ich so etwas noch nie gemacht habe, wäre ein Ratschlag willkommen.« Er wartete auf ihre Antwort, und als sich herausstellte, dass keine kam, zuckte sein Mundwinkel amüsiert. »Ich werde die Münze trotzdem hineinwerfen.«

Daisy verwünschte sich. Obwohl er sie ganz offensichtlich verhöhnte, konnte sie einfach nicht widerstehen. Ein Wunsch sollte nicht verschwendet werden, schon gar nicht ein Fünf-Dollar-Wunsch. Verflixt!

Sie näherte sich erneut dem Brunnen. »Halten Sie die Münze zuerst in Ihrer Handfläche, bis sie warm ist«, instruierte sie ihn knapp.

Swift stellte sich neben sie. »Und dann?«

»Schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich auf das, was Sie am meisten wollen.« Etwas spöttisch fuhr sie fort. »Es muss ein persönlicher Wunsch sein und darf sich nicht um so etwas wie Fusionen oder Bankenfonds handeln.«

»Ich denke nicht nur ans Geschäft.«

Daisy warf ihm einen skeptischen Blick zu, und er verblüffte sie, indem er kurz lächelte.

Hatte sie ihn schon einmal lächeln sehen? Vielleicht ein- oder zweimal. Sie erinnerte sich vage an ein solches Vorkommnis. Damals war sein Gesicht derart hager gewesen, dass man hauptsächlich weiße Zähne in einer wenig fröhlich wirkenden Grimasse wahrgenommen hatte. Doch dieses Lächeln hier war ein wenig schief, was es entwaffnend und anziehend machte. Es blitzte eine Wärme darin auf, die sie zu der Frage veranlasste, was für ein Mann sich wohl hinter dem nüchternen Äußeren verbarg.

Daisy war zutiefst erleichtert, als das Lächeln verschwand und er wieder die übliche steinerne Miene aufsetzte. »Sie müssen die Augen schließen«, erinnerte sie ihn. »Denken Sie nur an Ihren Wunsch.« Er schloss die Lider mit den dichten Wimpern, sodass sie ihn ungestört mustern konnte, ohne dass er ihren Blick erwiderte. Zu einem Jungen hatte sein Gesicht nicht gepasst, es war zu grob, die Nase zu lang, der Kiefer zu markant.

Doch Swift war in sein Aussehen hineingewachsen. Die strengen Gesichtszüge wurden durch die außerordentlich langen schwarzen Wimpern und den breiten Mund gemildert, der Sinnlichkeit ausstrahlte.

»Was jetzt?«, murmelte er, die Augen noch immer geschlossen.

Daisy starrte ihn an und war entsetzt über den Impuls, der sie durchströmte: Sie wollte näher an ihn herantreten und mit den Fingerspitzen die gebräunte Haut auf seinen Wangen erkunden. »Wenn sich in Ihrem Kopf ein konkretes Bild von Ihrem Wunsch geformt hat«, brachte sie schließlich heraus, »öffnen Sie die Augen und werfen die Münze in den Brunnen.«

Als er die Wimpern hob, leuchteten seine Augen, als wäre Feuer in blauem Glas gefangen.

Ohne auch nur einen Blick auf den Brunnen zu werfen, schleuderte er die Münze genau in die Mitte.

Daisy merkte, dass ihr Herz pochte wie bei der reißerischen Passage in Das Schicksal der Penelope. Ein Roman, in dem eine Jungfrau von einem bösen Schurken gefangen genommen und in ein Turmzimmer gesperrt wurde, bis sie sich schließlich bereit erklärte, ihre Tugend aufzugeben.

Daisy hatte schon nach den ersten Seiten gewusst, dass der Roman albern war, aber das hatte ihr Vergnügen nicht im Geringsten geschmälert. Und vertrackterweise war sie enttäuscht gewesen, als Penelope von dem biederen blonden Helden Reginald, der nicht annähernd so interessant war wie der Bösewicht, vor dem drohenden Ruin gerettet worden war.

Natürlich klang die Aussicht, in einem Turmzimmer ohne Bücher eingesperrt zu sein, für Daisy überhaupt nicht reizvoll. Aber die bedrohlichen Monologe, die der Bösewicht über Penelopes Schönheit, sein Verlangen nach ihr und die Liederlichkeiten gehalten hatte, die er ihr aufzwingen würde, waren überaus faszinierend gewesen.

Es war schlicht Pech, dass Matthew Swift genauso aussah, wie Daisy sich den gut aussehenden Schurken vorgestellt hatte.

»Was haben Sie sich gewünscht?«, wollte sie wissen.

Sein Mundwinkel zuckte. »Das ist privat.«

Als er sie mit ihren eigenen Worten schlug, verfinsterte sich Daisys Miene. Sie entdeckte ihre Haube auf dem Boden und ging zu ihr, um sie aufzuheben und seiner beunruhigenden Nähe zu entkommen. »Ich kehre zum Herrenhaus zurück«, sagte sie über ihre Schulter. »Guten Tag, Mr Swift. Genießen Sie den Rest Ihres Spaziergangs.«

Zu ihrer Bestürzung war er mit ein paar langen Schritten bei ihr und ging neben ihr her. »Ich begleite Sie.«

Sie weigerte sich, ihn anzusehen. »Mir wäre es lieber, das würden Sie nicht tun.«

»Warum nicht? Wir gehen doch in dieselbe Richtung.«

»Weil ich die Stille bevorzuge.«

»Dann werde ich still sein.« Sein Schritt verlangsamte sich nicht.

Daisy erkannte, dass es sinnlos war, ihm zu widersprechen, offensichtlich ließ er sich nicht von seiner Entscheidung abbringen. Sie presste die Lippen zusammen. Die Landschaft – die Wiese, der Wald – waren noch genauso schön wie zuvor, aber die Freude daran war ihr vergangen.

Es überraschte sie nicht, dass Swift über ihren Einwand hinweggegangen war. Zweifellos stellte er sich ihre Ehe genauso vor. Es würde keine Rolle spielen, was sie wollte oder worum sie bat. Er würde ihre Wünsche einfach beiseitewischen und auf seinem Willen bestehen.

Offenbar hielt er sie für formbar wie ein Kind. Aufgrund seiner tief verwurzelten Arroganz dachte er vielleicht sogar, sie sei dankbar, dass er sich bereit erklärte, sie zu heiraten. Sie fragte sich, ob er sich überhaupt die Mühe machen würde, um ihre Hand anzuhalten. Höchstwahrscheinlich würde er ihr einen Ring in den Schoß werfen und sie anweisen, ihn auf ihren Finger zu setzen.

Während sie grimmig nebeneinanderher gingen, musste Daisy sich beherrschen, nicht in Laufschritt zu verfallen. Swifts Beine waren so viel länger als ihre, dass er einen Schritt machte, während sie zwei benötigte. Der Groll schnürte ihr die Kehle zu.

Dieser Spaziergang war ein Symbol ihrer Zukunft. Sie musste weitergehen, obwohl sie wusste, dass sie ihn niemals hinter sich lassen konnte, ganz gleich wie weit oder schnell sie auch ging.

Schließlich ertrug sie die angespannte Stille nicht länger. »Haben Sie meinen Vater auf die Idee gebracht?«, platzte sie heraus.

»Auf welche Idee?«

»Ach, tun Sie nicht so leutselig!«, fuhr sie ihn gereizt an. »Sie wissen genau, was ich meine.«

»Nein, das weiß ich nicht.«

Offenbar bestand er darauf, Spielchen zu spielen. »Die Abmachung, die Sie mit meinem Vater getroffen haben!«, sagte sie. »Sie wollen mich heiraten, damit Sie die Firma erben können.«

Swift blieb derart unvermittelt stehen, dass sie unter anderen Umständen in Lachen ausgebrochen wäre. Es wirkte, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Daisy blieb ebenfalls stehen und wandte sich mit verschränkten Armen zu ihm um.

Seine Miene drückte völlige Verständnislosigkeit aus. »Ich …« Seine Stimme klang brüchig, und er musste sich räuspern, bevor er sprechen konnte. »Ich weiß nicht, wovon zum Teufel Sie da reden!«

»Nicht?«, fragte Daisy etwas lahm.

Ihre Annahme war also falsch gewesen – ihr Vater hatte Swift noch gar nichts von seinem Plan erzählt.

Wenn man an innerer Pein sterben könnte, wäre Daisy auf der Stelle tot umgefallen. Sie hatte sich gerade der abschätzigsten Abfuhr ihres Lebens ausgeliefert. Dafür brauchte Swift nur zu sagen, dass er sich niemals bereit erklärt hätte, ein Mauerblümchen zu heiraten.

Das Rascheln der Blätter und das Zwitschern des Zilpzalps schienen sich in der folgenden Stille zu verstärken. Obwohl es unmöglich war, Swifts Gedanken zu lesen, vermutete Daisy, dass er rasch Möglichkeiten und Schlussfolgerungen durchdachte.

»Mein Vater hat so gesprochen, als wäre alles bereits geregelt«, fuhr sie fort. »Ich dachte, Sie hätten das bei seinem letzten Besuch in New York erörtert.«

»Er hat mir gegenüber nie etwas in dieser Richtung erwähnt. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, Sie zu heiraten. Und ich habe keinen Ehrgeiz, die Firma zu erben.«

»Sie haben nichts als Ehrgeiz.«

»Stimmt«, sagte er und beobachtete sie genau. »Aber ich brauche Sie nicht zu heiraten, um meine Zukunft zu sichern.«

»Mein Vater scheint zu glauben, dass Sie die Chance ergreifen würden, sein Schwiegersohn zu werden. Dass Sie ihm persönlich sehr zugetan seien.«

»Ich habe viel von ihm gelernt«, lautete die vorhersehbar zurückhaltende Antwort.

»Gewiss.« Daisy versteckte sich hinter einer verächtlichen Miene. »Er hat Ihnen viele Dinge beigebracht, die Ihnen in der Geschäftswelt von Nutzen waren. Aber keine, die Ihnen im Leben von Nutzen sein werden.«

»Sie missbilligen die Geschäfte Ihres Vaters.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

»Ja, weil er sich ihnen mit Leib und Seele verschrieben und die Menschen, die ihn lieben, dafür vernachlässigt hat.«

»Es hat Ihnen einigen Luxus ermöglicht«, wies er sie zurecht. »Einschließlich der Möglichkeit, einen britischen Adligen zu heiraten.«

»Ich habe nicht um Luxus gebeten! Ich habe nie etwas anderes als ein friedliches Leben gewollt.«

»Allein in einer Bibliothek zu sitzen und zu lesen?« Swift klang ein wenig zu freundlich. »Im Garten spazieren zu gehen? Die Gesellschaft Ihrer Freundinnen zu genießen?«

»Ja!«

»Bücher sind teuer. Genau wie schöne Häuser mit Gärten. Ist Ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, dass jemand für Ihr friedliches Leben bezahlen muss?«

Diese Frage kam dem Vorwurf ihres Vaters, sie sei eine Schmarotzerin, derart nah, dass Daisy das Gesicht verzog.

Als Swift ihre Reaktion sah, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wollte noch etwas sagen, doch Daisy unterbrach ihn scharf. »Es geht Sie nichts an, wie ich mein Leben führe oder wer es bezahlt. Ihre Meinung interessiert mich nicht, und Sie haben kein Recht, sie mir aufzuzwingen.«

»Doch, wenn meine Zukunft mit Ihrer verknüpft ist.«

»Das ist sie nicht!«

»In einem hypothetischen Sinn schon.«

Daisy verabscheute Menschen, die sich bei jedem Streit in Semantik retteten. »Unsere Ehe wird nie etwas anderes als hypothetisch sein«, erklärte sie. »Mein Vater hat mir bis Ende Mai Zeit gegeben, einen anderen Ehemann zu finden – und das werde ich.«

Swift musterte sie interessiert. »Ich kann mir denken, nach welcher Art von Mann Sie suchen. Blond, aristokratisch, sensibel, mit einem heiteren Gemüt und reichlich Zeit für vornehme Aktivitäten …«

»Ja«, unterbrach Daisy und wunderte sich, wie er es schaffte, diese Beschreibung einfältig klingen zu lassen.

»Das dachte ich mir.« Seine Art reizte sie bis zum Äußersten. »Der einzige Grund, warum ein Mädchen mit Ihrem Aussehen drei Saisons ohne Verlobten bleibt, ist, dass Sie unglaublich hohe Ansprüche stellen. Sie geben sich mit nichts weniger als mit dem perfekten Mann zufrieden. Deshalb hat Ihr Vater die Angelegenheit beschleunigt.«

Einen Moment war sie von den Worten »ein Mädchen mit Ihrem Aussehen« abgelenkt. Es klang, als hielte er sie für eine große Schönheit. Daisy entschied, dass diese Bemerkung nur reinstem Sarkasmus entspringen konnte, woraufhin ihr Temperament mit ihr durchging. »Ich strebe durchaus nicht danach, den perfekten Mann zu heiraten«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester, der Flüche beeindruckend leicht über die Lippen gingen, fiel es ihr schwer zu sprechen, wenn sie wütend war. »Denn ich weiß sehr wohl, dass es so jemanden nicht gibt.«

»Warum haben Sie dann niemanden gefunden, wenn selbst Ihre Schwester einen Ehemann gefunden hat?«

»Wie meinen Sie das, ›selbst meine Schwester‹?«

»Wer um Lillians Hand anhält, der bekommt am Ende ’nen Haufen Geld.« Der beleidigende Satz hatte in den oberen Kreisen der Gesellschaft von Manhattanville für viel Häme gesorgt. »Warum, glauben Sie, hat sich in New York trotz ihrer riesigen Mitgift nie jemand für Ihre Schwester interessiert? Sie ist der schlimmste Albtraum eines jeden Mannes.«

Das war’s.

»Meine Schwester ist ein Juwel, und Westcliff besaß genug Geschmack, dies zu erkennen. Er hätte jede Lady heiraten können, aber er wollte nur sie. Wagen Sie es doch, dem Earl Ihre Meinung über seine Frau ins Gesicht zu sagen!« Daisy wirbelte herum und stürmte den Weg entlang, so schnell es ihre Beine zuließen.

Swift hielt mühelos mit ihr Schritt und hatte zudem die Hände lässig in die Taschen gesteckt. »Ende Mai …«, sinnierte er und war trotz ihres Tempos nicht im Geringsten außer Atem. »Das sind noch knapp zwei Monate. Wie wollen Sie in dieser kurzen Zeitspanne einen Verehrer finden?«

»Wenn es sein muss, stelle ich mich mit einem Plakat an eine Straßenecke.«

»Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Erfolg, Miss Bowman. Wie dem auch sei, ich bin nicht sicher, ob ich bereit bin, mich automatisch zum Sieger zu erklären.«

»Sie sind nicht automatisch der Sieger! Seien Sie versichert, Mr Swift, um nichts in der Welt würde ich jemals einwilligen, Ihre Frau zu werden. Mir tut die arme Frau leid, die bei Ihnen landet – ich kann mir keine vorstellen, die es verdient hätte, einen so kalten, selbstgerechten Wichtigtuer zum Mann zu bekommen …«

»Warten Sie.« Sein Tonfall war weicher geworden, es klang fast versöhnlich. »Daisy …«

»Nennen Sie mich nicht beim Vornamen!«

»Sie haben recht. Das war unangemessen. Ich bitte Sie um Verzeihung. Was ich sagen wollte, Miss Bowman, es gibt keinen Grund für gegenseitige Feindseligkeiten. Wir sehen uns einem Problem gegenüber, das für uns beide von großer Bedeutung ist. Ich gehe davon aus, dass wir uns lange genug zivilisiert verhalten können, um eine akzeptable Lösung zu finden.«

»Es gibt nur eine Lösung«, entgegnete Daisy grimmig, »und die lautet, Sie sagen meinem Vater, dass Sie sich strikt weigern, mich zu heiraten, ganz gleich unter welchen Umständen. Versprechen Sie mir das, und ich werde versuchen, höflich zu Ihnen zu sein.«

Swift blieb abrupt stehen, was Daisy zwang, ebenfalls innezuhalten. Sie drehte sich zu ihm um und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. Angesichts seiner früheren Bemerkungen dürfte es ihm weiß Gott nicht schwerfallen, ein solches Versprechen abzugeben. Doch er warf ihr einen langen, unergründlichen Blick zu, die Hände noch immer in den Taschen vergraben, der Körper angespannt. Es schien, als lauerte er auf etwas.

Er musterte sie unverhohlen von Kopf bis Fuß, und in seinen Augen lag ein seltsamer Schimmer, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Er starrt mich an wie ein Tiger seine Beute, dachte sie. Sie erwiderte seinen Blick und versuchte verzweifelt, seine schlauen Gedanken zu lesen, doch sie erkannte nur Anflüge von Belustigung und verwirrendes Verlangen. Verlangen nach was? Doch ganz sicherlich nicht nach ihr.

»Nein«, sagte er leise, als spräche er zu sich selbst.

Daisy schüttelte verwirrt den Kopf. Ihre Lippen waren trocken, und sie musste sie mit der Zungenspitze befeuchten, bevor sie sprechen konnte. Es verunsicherte sie, dass sein Blick der kleinen Bewegung folgte. »War das ein ›Nein‹ im Sinne von: ›Nein, ich will Sie nicht heiraten?‹«, fragte sie.

»Das war ein ›Nein‹«, antwortete er, »im Sinne von: ›Nein, ich verspreche nicht, es nicht zu tun.‹«

Damit ging Swift an ihr vorbei und setzte seinen Weg in Richtung des Herrenhauses fort, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als hinter ihm herzustolpern.

»Er versucht, dich zu quälen«, stellte Lillian angewidert fest, als Daisy ihr später die ganze Episode schilderte. Sie saßen mit ihren beiden engsten Freundinnen, Annabelle Hunt und Evie Lady St. Vincent, im oberen Salon des Landsitzes. Sie hatten sich zwei Jahre zuvor kennengelernt, ein Quartett aus Mauerblümchen, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage gewesen waren, sich einen geeigneten Gentleman als Gemahl zu angeln.

Es war eine weit verbreitete Ansicht in der viktorianischen Gesellschaft, dass Frauen mit ihrem sprunghaften Wesen und ihrem geringeren Verstand nicht die gleiche Qualität von Freundschaft entwickeln konnten wie Männer. Nur Männer konnten einander gegenüber loyal sein, und nur Männer konnten ehrliche und edelmütige Freundschaften pflegen.