Die Wandlung Saturns - Ursula Strauß - E-Book

Die Wandlung Saturns E-Book

Ursula Strauss

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Beschreibung

In der Astrologie stellt "Saturn" eine Qualität des Tierkreises dar, die nicht gerade den besten Ruf besitzt, gilt er doch seit alters her als Schicksals- und Todesplanet, zu dessen Hauptmerkmalen Härte und Starrheit gehören. Dieser Vorstellung stellt die erfahrene Astrologin Ursula Strauß eine völlig andere Sichtweise gegenüber. Die Autorin stellt die Steinbock-Energie als einen Teil des Ganzen dar und gibt damit einen Einblick in die inneren Zusammenhänge des Tierkreises. Auf diese Weise werden Saturn und mit ihm das Zeichen Steinbock sowie das zehnte Haus in ihrer grundlegenden Funktion für das Gesamte ersichtlich. Ursula Strauß plädiert damit für eine psychologische Wandlung und Integration dieser Kraft, die nicht nur für berufliche Ziele und Bestrebungen oder gesellschaftliche Normen steht, sondern vor allem auch für die eigene Integrität und Wahrhaftigkeit. Das Buch befasst sich im ersten Teil ausführlich mit den mythologischen Hintergründen zu Saturn. Im zweiten Teil wendet sich die Autorin hauptsächlich dem Zeichen Steinbock zu und betrachtet es unter dem Gesichtspunkt seiner Position im Tierkreis. Der dritte Teil befasst sich mit der persönlichen Saturnqualität und seiner Position im individuellen Horoskop. Zusätzlich unterzieht sie das Haus des Übergangs von Steinbock zu Wassermann sowie Planetenpositionen im Steinbock einer genaueren Analyse. Ein fundiertes, spannendes und lesenswertes Buch, das die Leserinnen und Leser nicht unberührt lässt. Überarbeitete Neuausgabe 2020

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Seitenzahl: 429

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Neuausgabe 2020

Einführung

Teil I: Mythen

Bestandsaufnahme – ein Blick auf alte Geschichten

Kronos/Saturn

Die Schlange und der Teufel.

Janus, Saturn und andere Ursprünge.

Resümee.

Saturn und Chiron

Das Leid als Kind der Gewalt

Die Existenz der Liebe.

Wiedergutmachung durch den Sohn.

Saturn und Lilith

Zweierlei Norm

Integrität und Opfer.

Die Existenz des Todes.

Teil II: Die Steinbock-Energie als Teil des Tierkreises

Die Sache mit der Polarität oder: Wem gehört mein Saturn? Ein Drama in drei Akten

Erster Akt: Die Trennung

Zweiter Akt: Gehversuche im Korsett

Dritter Akt: Zuhören, aufrichten, hart bleiben.

Reprise oder: Warum ist das so schwer?

Die Achse Steinbock-Krebs

Zeit

Höhenunterschiede

Richten

Den Stein höhlen

Verantwortung.

Das kardinale Kreuz: Steinbock als Teil des Lebensmotors

Konzentration und Verzicht

Das Öffentliche und das Private

Die Sache mit dem Maß

Pflicht und Ich

Im Rahmen sein. Sein Kreuz tragen?.

Im Visier: Steinbock, Zwillinge und Löwe

Schicksal.

Gewissen

Einsamkeit.

Anspruch

Wege zum Wesentlichen: Steinbock, Fische und Skorpion

Ja und Nein

Sterben

Kosmos

Schuld und Schatten

Nadelöhr: Steinbock zwischen Schütze und Wassermann

Tunnel

Stillstand und Gipfel

Noch einmal: Janus

Licht

In seinem Element: Steinbock im Erddreieck

Die verbotene Frucht

Separatio

Umkehr und Aufstieg

Mit dem Teufel tanzen.

Teil III: Wegweiser zum Licht: Die Steinbock-Energie im individuellen Horoskop

Ganz oder gar nicht: Saturn in den Zeichen

Saturn in Widder bis Fische

Der Übergang von Steinbock zu Wassermann: Die Sollbruchstelle im Horoskop

Übergang in Haus 1 bis 12

Erdkontakt: Saturn in den Häusern

Ein Beispiel: Saturn in den Fischen im dritten Haus

Verdichtung: Übersicht der Häuserthemen Saturns

Weggefährten: Planeten im Steinbock

Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Chiron, Lilith

Leben mit Saturn.

Exkurs: Zum Sprachgebrauch

Bibliografie

Über die Autorin

Vorwort zur Neuausgabe 2020

Die Wandlung Saturns ist erstmalig 1999 in der Blauen Reihe des Urania Verlags erschienen. Meine Befürchtung, dass das Buch wie Blei in den Regalen liegenbleibt, erwies sich glücklicherweise als unbegründet – ich freue mich sehr über die vielen Rückmeldungen, die mich bis heute erreichen und stets aufs Neue inspirieren. Danke an alle WegbegleiterInnen: für ihr Vertrauen, ihre Kritik, fürs Mut machen und dafür, dass ich von Ihnen lernen durfte.

Dass die Neuausgabe nun am Ende eines Jahres erscheint, in dem (auch staatliche) Einschränkungen, Eigenverantwortung, Disziplin, Isolation, Ernsthaftigkeit, Geduld und andere schmerzlich-saturnische Dinge Hochkonjunktur haben, war keinesfalls geplant. Es aber kein schlechter Zeitpunkt, um diese so konsequente Energie mit neuen Augen zu betrachten. Der besseren Lesbarkeit wegen wurden Sprache und Darstellung ein wenig aufgefrischt und die Anmerkungen in den Text integriert. Wo es passte, sind aktuelle Bezüge und Ergänzungen eingeflossen. Doch Saturns Themen sind nicht „modisch“, sondern eher ewig und allzeit gegenwärtig. Nach und nach lernen wir mit und an ihnen, in einer Realität zu bestehen, in der unser Tun immer Folgen hat.

Gesellschaftliche Tendenzen haben sich in den letzten 21 Jahren zwar verschärft und treten sichtbarer hervor, wirklich gewandelt hat sich aber noch nichts. Saturns (Mit-)Herrschaft im Wassermann wird immer deutlicher spürbar – und Wassermann ist keine Kleinigkeit. Während sich einerseits das Individuum unbekümmert zur Norm macht, werden andererseits Normen kleinteilig individualisiert. Entsprechend schreitet die Polarisierung fort und offenbart die strukturelle Hilflosigkeit bestehender Systeme. Die Verantwortung, sich sowohl als Individuum als auch als Gemeinschaft wirklich neu erfinden und die verurteilte Seite des Seins integrieren zu müssen, ist mittlerweile unübersehbar. Die globalisierte Welt sucht nach einer Idee, die ihr hilft, die Folgen ihres Tuns zu überleben. Und dieser Prozess hat gerade erst begonnen.

Ein besonderer Dank geht an Uta Koball für das Korrekturlesen des Textes – you saved my day! Eventuell noch vorhandene Fehler gehen ausschließlich auf mein Konto.

Ursula Strauß, November 2020

Einführung

Während sich die Arbeit am Manuskript zur Erstausgabe dieses Buches dem Ende zuneigte, fand ich in meinen Unterlagen eine vergessene Notiz, die zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung bereits sieben Jahre alt war. Hastig hatte ich zwischen Traumaufzeichnungen und Lose-Gedanken-Sammlungen eingefügt: „Ich muss mich auf die Suche nach einem unverstandenen Gott machen. Es ist notwendig.“ Damit hatte ich, ohne es zu wissen, ein Versprechen abgegeben. Im Rückblick betrachtet hat jener Teil meiner Seele, dem ich dieses Versprechen gab, mich zu dessen Einlösung geführt, und das 1999 erschienene Buch war ein Ergebnis davon. Denn, ob es mir klar war oder nicht – ich hatte mein Versprechen wohl ernst gemeint. Und alles, was wir ernst meinen, hat Folgen. Selbst 21 Jahre später.

Dieser unverstandene Gott, wie ich ihn nannte, war Saturn, oder die Steinbock-Energie schlechthin – jene Qualität des Tierkreises, die nicht gerade den besten Ruf hat. Dennoch gilt es in der Astrologie als wichtig, Saturn „zu erlösen“, denn das hat auf das eigene Leben eine befreiende Wirkung. Saturn zu erlösen bedeutet jedoch nicht, diese Qualität aus dem Tierkreis zu löschen, obwohl vielen vermutlich in so manchen misslichen, von Saturn bestimmten Situationen der Sinn danach stehen mag. Zwischen der unerlösten und der erlösten Saturnkraft steht ein Prozess der Wandlung dieser Energie, was jedoch letztendlich einer Wandlung unserer selbst gleichkommt. Saturn zu wandeln bedeutet, ihn zu integrieren und diese Kraft in der eigenen Seele und im eigenen Leben auf eine konstruktive und förderliche Weise zu spüren.

Wandlung ist jedoch ein Akt von Geist und Seele und ist nicht gleichbedeutend mit äußerlicher Veränderung – im Gegenteil. Etwas zu wandeln bedeutet, aus ihm durch einen inneren Vollzug ein Gleichnis zu machen und es somit in die symbolische Ebene zu transformieren. Ein beliebiger Gegenstand mag rein physisch derselbe bleiben – durch einen rituellen Akt erhält er jedoch eine symbolhafte Bedeutung und damit eine vollkommen veränderte Wirkung. Dies ist mit Wandlung gemeint, und was wir beispielsweise in religiösen Zeremonien gut beobachten können funktioniert auch mit der Energie Saturns, dem Herrn dieser Welt. Wenn Saturns Wirkungen in unserem Leben sich verändern sollen, ist ein veränderter Blick auf diese Kraft notwendig, ein Blick, der aus ihr ein Gleichnis und somit zugleich eine Tür macht, durch die wir hindurchtreten können.

Die Wirkung gewandelter Gegenstände erklärt sich aus ihrer Einbindung in das Ganze. Eine brennende Kerze ist beispielsweise nichts weiter als Wachs, ein Docht und eine Flamme – wird sie jedoch in einen Zusammenhang gestellt und aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet, wandelt sie sich zu einem Symbol für das Licht. Auf dieser symbolischen Ebene wird sie damit zugleich Empfängerin vieler anderer Zuschreibungen: Leben, Wärme, Liebe, Hoffnung, Kraft oder Zuversicht. Die Energie von Steinbock/ Saturn zu wandeln erfordert einen ähnlichen Prozess, mit dem wir jedoch zumeist Mühe haben, da diese Qualität die ganz konkrete, physische Facette unserer Existenz betrifft. Es macht uns Mühe, die Welt als ein Gleichnis zu sehen, auch wenn uns Saturn dadurch ein Stück vertrauter wird. Noch mehr Mühe macht es uns aber, uns selbst als ein Symbol zu betrachten, uns selbst auf eine Ebene zu transformieren, auf der wir das, was wir konkret erfahren, vollkommen anders erleben.

Die Energie von Steinbock/ Saturn in ihren Zusammenhang zu stellen, war mir ein persönliches Anliegen, denn einen anderen Weg zum Begreifen gab es für mich nicht. Erst hierdurch fiel mir jedoch die Zerrissenheit und Wurzellosigkeit dieser astrologischen Qualität auf, und dass sie in diesem Zustand ist, ist zu einem großen Teil das Ergebnis unseres weltanschaulichen Erbes. Die ganzheitliche Perspektive eröffnet einen neuen Blick auf Saturn, und somit auch auf jenen Teil unserer eigenen Seele, der verteufelt wurde und im Tartaros sitzt. Saturn zu erlösen heißt auch, uns selbst aus der Dunkelkammer zu befreien, und dies befähigt uns wiederum zu einer erdverbundenen Spiritualität, der wir Heutigen auch im Hinblick auf unsere Zukunft wohl mehr denn je bedürfen.

Aus diesem Grund befasst sich der mythologische Teil dieses Buches mit mehreren Gesichtspunkten saturnischer Energie. Allem voran steht die Betrachtung jener Bilder, deren Zuordnung zu Saturn bekannt ist: der griechische Mythos um Kronos und der Sündenfall der christlichen Theologie. Jedoch lassen sich zu Saturn gehörende Bilder bis in die Mythen der Mutterreligionen zurückverfolgen, und dieser Blickwinkel wandelt seine Energie bereits erheblich. Zugleich erschien es mir notwendig, Saturns Verbindung zu den zwei neueren astrologischen Faktoren Chiron und Lilith zu betrachten, denn Chiron ist in der griechischen Mythologie der Sohn des Kronos, während Lilith im jüdischen Mythos die Gefährtin Satans wurde. Wann immer wir es im Leben mit Saturn zu tun haben – Chiron und Lilith stehen stets dabei.

Im zweiten Teil wende ich mich hauptsächlich der Heimat Saturns zu und betrachte das Zeichen Steinbock unter dem Gesichtspunkt seiner Position im Tierkreis. In der Darstellung des archetypischen Tierkreises steht der Steinbock in der Regel am Dach des Kreises, wodurch die prägende Kraft dieser Energie für unsere irdische Existenz symbolisiert wird. Jedoch erklärt sich im Grunde keine Energie des Tierkreises aus sich selbst heraus – und schon gar nicht die Heimat Saturns. Gerade bei Saturn neigen wir jedoch häufig zu einer isolierten Betrachtung, und der zweite Teil geht auch der Frage nach, warum das so ist und woher diese Sichtweise kommt. Wie alles erhält auch die Qualität des Steinbocks erst ihren Sinn, wenn sie in ihren Zusammenhang gestellt wird. Und erst aus dieser ganzheitlichen Sicht werden Ziel und Eigenart des Steinbocks umfassend offenbar und Verzerrungen dieser Energie erkennbar und heilbar.

Die Integration des Steinbocks in das Ganze bringt vor allem seine zum Wassermann weiterführende Qualität hervor und legt den Blick auf einen seelischen Schutzmechanismus offen, der nur allzu leicht als Behinderung abgetan wird. Der Hüter der Schwelle in uns mag uns einiges abverlangen, bis er die Tür freigibt, doch schließlich sind wir auch alle Zauberlehrlinge, die lernen müssen, mit den Geistern, die sie rufen, fertig zu werden. Auf der Schwelle Saturns lernen wir vor allem den ersten Schritt hierzu, nämlich zu erkennen, dass wir die Geister selbst gerufen haben. Jedoch sind diese Erkenntnis und der erlösende Zauberspruch ein und dasselbe, und es ist Saturn, der darüber wacht, dass wir in einem Tempo zaubern lernen, das weder uns noch anderen schadet.

Auf welche Weise und wo wir was lernen, ist Gegenstand des dritten Teils. Hier geht es vor allem um die Färbung der persönlichen Saturnqualität und um seine Konstellationen im individuellen Horoskop. Neben der Betrachtung der Stellung Saturns in Zeichen und Häusern untersuche ich auch das Haus, in das im persönlichen Horoskop der Übergang von Steinbock zu Wassermann fällt. Dieses Haus entpuppt sich nicht selten als „Zauberschule“ und kommt im realen Leben oft einer Sollbruchstelle gleich. Hier finden wir den Staudamm und das Elektrizitätswerk am Ufer des Sees zugleich, hier verdichten sich unsere Bemühungen um Integrität und Individualität – und hier ist ein wesentliches Thema unseres Lebensauftrags zu finden. Nicht selten lassen sich die Schwierigkeiten mit Saturn aus seiner Isolation innerhalb des Ganzen ableiten, und die Betrachtung des Übergangs zum Wassermann kann für jeden und jede persönlich die saturnische Qualität wandeln.

Der astrologische Blick auf Saturn wandelt sich in unserer Zeit auch allgemein, und dies hängt sicherlich zugleich mit der zunehmenden Beachtung der weiblichen Dimension der Welt zusammen. Dass Saturn im wahrsten Sinne des Wortes so ein Teufelskerl werden konnte, ist auch ein Resultat des historischen Aufstiegs des Patriarchats, dem wir einen mehr als verzerrten Blick auf die irdische Realität verdanken. Wir müssen jedoch wieder lernen, mit der Erde zu gehen, und dies setzt einen Blick voraus, welcher in der saturnischen Qualität die Liebe zum Leben entdecken will. Die Annahme, dass es ursprünglich in unserer Seele nichts gibt, was gegen uns ist, ist gerade in Bezug auf Saturn für manche nahezu revolutionär. Entsprechend befreiend wirkt sich jedoch auch die innere Bejahung seiner Energie aus. Es ist gut zu wissen, dass es Prometheus in uns ist, der will, dass wir die Energie Saturns in unsere eigene Seele integrieren.

Teil I:

Mythen

Die astrologischen Begriffe Saturn und Steinbock bezeichnen eine Qualität des Lebens, unserer Seele und des Ganzen, zu welcher der Zugang für viele nicht so ohne weiteres zu finden ist. Es fällt uns in der Regel nicht leicht, der zehnten astrologischen Energie ohne Vorbehalte zu begegnen, zumal wir wissen, dass mit ihr Elemente der Prüfung, der Mühe, harter Arbeit und dergleichen mehr verbunden sind. Wenngleich viele unserer Vorbehalte gegenüber Saturn aus seiner traditionellen Überlieferung als Übeltäter, Bremsschuh und oberster Richter kommen, sind es jedoch zugleich die Mythen, die uns einen etwas klareren Blick auf das astrologische Prinzip „Steinbock“ ermöglichen und uns etwas über seine wechselvolle Geschichte erzählen können.

Das Leben ist ein vernetztes und geheimnisvolles Ganzes, welches sich letztendlich jeglicher Zuordnung und Katalogisierung entzieht. Nichtsdestotrotz versuchen wir, unsere Erfahrungen zu ordnen, um zu sie verstehen. Und wenn es sich um Bereiche handelt, die jenseits des merkurialen Wissens liegen, benutzen wir Bilder und Geschichten, greifen zu den Mitteln der Kunst bzw. kommunizieren generell auf einer Ebene, auf der wir ganzheitlich wahrnehmen. Auf diese Weise erhalten sich Überlieferungen von etwas Archetypischem, von etwas, das allem Leben und der menschlichen Seele schlechthin innewohnt.

Wollen wir uns also der Qualität Saturns in unserer eigenen Seele nähern, so wenden wir uns als erstes dem zu, was andere Menschen aus ihren Erfahrungen mit diesem Prinzip haben entstehen lassen, um ihr Wissen und ihre Einsichten an kommende Generationen weitergeben zu können. Dass wir Heutigen irgendwann auch einmal zu denen gehören werden, die ihre ganz eigenen Erfahrungen mit diesem Prinzip weitergeben, nimmt den Überlieferungen zum einen ihre Unantastbarkeit. Zum anderen kann uns das ermutigen, sie in uns selbst zu entdecken, durch uns selbst zu verändern und als einen lebendigen Prozess fortzuschreiben. Dieser dynamische Umgang mit unserer eigenen saturnischen Kraft entspräche ihrer Einbindung in das Lebensganze – und somit auch ihrer Verwandlung.

1. Bestandsaufnahme – Ein Blick auf alte Geschichten

Aufgrund der fruchtbaren Verbindung der Astrologie mit der Psychologie wissen wir mittlerweile, dass die Prinzipien der Astrologie als ein Prozess zu verstehen sind, der sich sowohl in der menschlichen Seele als auch in der Gesellschaft abspielt. Im Gewand unterschiedlicher Mythen, die im Laufe der menschlichen Geschichte entstanden sind, können wir somit den Prozess „Steinbock“ auf eine recht umfassende Weise kennenlernen und Rückschlüsse auf die archetypische seelische Dynamik ziehen, die in jedem Einzelnen von uns wirkt.

In unserem westlichen Kulturkreis sind die uns geläufigsten Bilder jene aus der griechischen Mythologie und aus der christlichen Lehre. Die hieraus entstammenden Saturn-Analogien sind recht bekannt, allerdings gibt es das Steinbock-Prinzip in unserer Seele, seit es Menschen gibt. Wir tragen auch ein seelisches Erbe in uns, das wesentliche Elemente aus der Zeit der großen Muttergöttinnen beinhaltet. Der weltanschauliche Wandel, der mit dem Untergang des Matriarchats einherging, ließ indes auch das Steinbock-Prinzip nicht unberührt und brachte verschiedene Facetten des Steinbocks zum Verschwinden, die uns heute zu seinem Verständnis fehlen. Daher behandelt der letzte Abschnitt dieses Kapitels Bilder aus vorpatriarchaler Zeit – denn auch hier finden wir Darstellungen des zehnten Prinzips, wenn auch in überraschend anderer Weise.

a. Kronos/ Saturn

Wenden wir uns jedoch zunächst dem antiken Mythos um die Energie des Steinbocks zu. Die Assoziationen und astrologischen Analogien zu Saturn leiten sich zum größten Teil aus dem griechischen Mythos um Kronos ab. Kronos ist ein Titan, der im Auftrag seiner Mutter seinen Vater entmannte und anschließend aus Furcht vor dem gleichen Schicksal seine eigenen Kinder fraß. Er konnte seinem Schicksal jedoch nicht entgehen. Zeus/Jupiter, sein Sohn, konnte ihm durch weibliche List entkommen, stieß ihn schließlich von seinem Thron und verbannte ihn in den Tartaros. Seither herrscht Zeus/Jupiter im griechischen Götterhimmel – und das tut er im menschlichen Bewusstsein zu einem guten Teil heute noch.

Saturn ist ein Synonym für Kastration geworden, seine mythologische Geschichte zeichnet das Bild einer Energie, welche die himmlische Urkraft (seinen Vater Uranus) beschneidet und gleichzeitig aus Angst vor Machtverlust den eigenen Schöpfungen das Lebensrecht verweigert. Der Mythos beschreibt jedoch auch, dass diese Prozesse jeweils von Frauen initiiert und ermöglicht wurden. Zum einen fordert seine Mutter Gaia, die Erde, ihren Sohn Kronos auf, den Vater zu entmannen und gibt ihm auch die Mittel dazu. Zum anderen ist es wieder die Mutter des Sohnes, nämlich Rhea als Mutter des Zeus, die durch eine List Zeus vor dem Verschlingen rettet und das Ende des Vaters ermöglicht. Zudem gelingt es Zeus mit Hilfe der Okeanide Metis, seine verschlungenen Geschwister zu befreien und mit ihnen gemeinsam den Vater Kronos zu besiegen.

Ein kurzer Auszug aus der griechischen Mythologie

Die begabtesten Kinder von Uranos (Himmel) und Gaia (Erde) waren die Titaninnen und Titanen, deren König Kronos wurde. Auf Veranlassung seiner Mutter Gaia entmannte er seinen Vater mit einer Sichel, da dieser immer wieder die hundertarmigen Riesen (Hekatoncheiren) und die Kyklopen in ihren Leib zurückstieß. Die abgeschnittenen Genitalien warf er hinter sich (nach anderer Auffassung ins Meer), aus dem Blut entstanden Furien, Giganten und Nymphen, nach Hesiod auch Aphrodite. Kronos herrschte nun anstelle seines Vaters, bald jedoch ebenso brutal. Ihm wurde ebenfalls der Sturz durch eines seiner Kinder geweissagt, und so verschlang er sie, als sie geboren wurden. Zeus wurde durch die List seiner Mutter Rhea gerettet, da sie Kronos stattdessen einen Stein zum Verschlingen gab. Zeus brachte Kronos mit einer List dazu, seine verschlungenen Geschwister wieder zu erbrechen, zudem befreite er die Giganten und Kyklopen, die Kronos in der Erde festgehalten hatte, und führte gemeinsam mit ihnen einen siegreichen Krieg gegen seinen Vater. Kronos wurde zugunsten von Zeus abgesetzt und in den Tartaros gestoßen, wo ihn die hundertarmigen Riesen bewachen mussten. Der Stein, der Zeus ersetzt hatte und den Kronos zuerst erbrach, wurde in Delphi aufgestellt und als Nabel der Welt bezeichnet.

Vgl. Lexikon der antiken Mythen und Gestalten, dtv 1989.

Mythen berichten zwar vom prinzipiellen Wechselspiel der Kräfte, der griechische Mythos berichtet jedoch auch von einem sich wandelnden männlichen Gottesbild, denn die Geschichte spielt sich in der Götterfolge Uranos – Kronos – Zeus ab. Mit dem Wechsel der himmlischen Macht von Uranos über Kronos zu Zeus können wir in der Mythologie auch den Machtverlust weiblicher Göttinnen beobachten. War Gaia, die Mutter des Kronos und des Uranos, noch die mächtige weibliche Erde, die Göttin mit ihrem Sohngeliebten als zentraler Teil des Geschehens, wurden mit Hera und der Vielzahl der Göttinnen des Olymp das weibliche Prinzip nach und nach dezentralisiert und der Darstellung seiner gesammelten Potenz beraubt.

Der von den Mythen überlieferte Wechsel der himmlischen Macht symbolisiert vor allem einen Wandel im Denken und Glauben der Menschheit. Mythen erzählen auch von der Geschichte des menschlichen Bewusstseins, die sich immer in den jeweiligen Göttern und dem Glauben der Menschen spiegelt. Der uns geläufige griechische Götterhimmel mit Zeus/Jupiter auf dem obersten Thron kennt zwar noch weibliche Gottheiten, hat aber zu einer matriarchalen Weltanschauung schon großen Abstand eingelegt.

Die Überlieferung spricht von einem Erstarken der männlichen gegenüber der weiblichen Kraft. Wenn wir davon ausgehen, dass die menschliche Urkultur matrizentrisch war1, so berichtet die griechische Mythologie vom Wechsel des geistigen Schwerpunktes auf das männliche Prinzip. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werde ich auf die matriarchalen Wurzeln des Kronos/Saturn-Mythos eingehen und hierdurch ein ganz anderes Licht auf unseren eigenen Seelenanteil, genannt „Saturn“, werfen. Doch zunächst zu den uns vertrautesten Bildern saturnischer Energie.

Welche Rolle spielt Kronos/Saturn in der griechischen Version des Steinbock-Prozesses? Als ein seiner Mutter gehorchender Sohn führt er ihren Aufruf zur Entmachtung des tyrannischen Vaters aus, um alsdann selbst ein Tyrann zu werden. Es ist kennzeichnend für die Energie Saturns, dass sie der Mutter bzw. der Erde verpflichtet ist – die astrologische Achse Krebs-Steinbock zeigt diese Verbindung zum Urgrund der Natur in einem anderen Bild. Wenn wir dem Mythos folgen, ist Gaia dadurch, dass Uranos ihr die Kinder immer wieder in den Leib zurückstößt, in hoher Not und krümmt sich vor Schmerzen, und es ist unsere eigene Saturn-Energie, die bei einer solchen Geschichte ein Urteil fällt und sagt: „Das tut man ja auch nicht - das muss ein Ende haben...!“

Der Planet Uranus gilt in der Astrologie als Herrscher des Zeichens Wassermann. Der mythologische Himmelsgott Uranos hat jedoch mit der Qualität, die durch die Entdeckung des Planeten Uranus in unser Bewusstsein trat, scheinbar recht wenig gemein (plötzliche Veränderungen, Rebellion, Innovation, technologische Entdeckungen, Individualismus, Originalität, Freiheit etc.). Nach seiner Entmannung durch Kronos spielte Uranos in der Mythologie keine Rolle mehr. Der amerikanische Astrologe Richard Tarnas sieht im Mythos des Prometheus eine passendere Beschreibung für die Qualität des Wassermanns und befürwortet – zumindest in der Astrologie – eine Umbenennung des Planeten. Der Uranos der griechischen Mythologie ist ein tyrannischer und patriarchaler Himmelsgott, dessen Analogie zum Wassermann-Prinzip so einfach nicht herzustellen ist. Saturn ist jedoch auch Mitherrscher des Wassermanns, und in dieser Funktion kann man sein väterliches Erbe durchaus auf – im Sinne des Mythos – „uranische“ Weise wirken sehen.

Vgl. Interview mit Richard Tarnas in ASTROLOGIE HEUTE Nr. 68 und Richard Tarnas: Uranus und Prometheus, Astrodienst Verlag, Zürich

Auch wenn wir für Gaia kein direktes astrologisches Prinzip haben, können wir bereits hier Saturns Zuordnung zum Erdelement nachvollziehen. Er steht auf der Seite jener Kraft, die das irdische und konkrete Leben hervorbringt und fällt in ihrem Dienst seine Urteile. Wenn wir diese Analogie ganz einfach auf unsere Gegenwart übertragen, dann können wir uns mitunter recht ratlos fragen, wo diese saturnische Seite heute ist. Wo ist der Anwalt der Erde, der ihrem (und damit auch unserem) Leid ein Ende setzt und Tyrannen entmachtet? Und – was ist das denn dann für ein Saturn, der uns tagtäglich Steine in den Weg zu werfen scheint? Im Verlauf dieses Buches können wir hoffentlich Saturn ein wenig der Masken entkleiden, die ihm aufgesetzt sind, und besser erkennen, welche Funktion diese Masken haben.

Mit der Differenzierung des menschlichen Bewusstseins tritt auch in der Mythologie eine weitere Kraft zu den Polen von Vater und Mutter hinzu: Saturn erscheint als eine männliche Energie, die sich für die Bedürfnisse der Mutter verantwortlich fühlt – auch durch die Sichel/Mond-Analogie repräsentiert, mit der er seinen Vater kastriert. Er handelt in ihrem Auftrag und richtet seine Kraft gegen sein eigenes Geschlecht. Die Figur des Uranos sowie der „Kampf zwischen Männern“ lassen ein weit älteres mythologisches Motiv anklingen: Uranos ist zum einen der Gatte Gaias, zum anderen aber auch ihr Sohn2.

Die Entmachtung des Vaters (Uranos) durch den Sohn (Kronos) erinnert an das alte Bild des Opfers des Jahreskönigs, ein matriarchaler Ritus, bei dem durch die stete Verjüngung des männlichen Prinzips die Weitergabe des Lebens gewährleistet werden sollte. In diesem Kontext ist Kronos der junge König, der neue Sohngeliebte, der nun den Platz an der Seite der Mutter/Göttin einnehmen wird. Indem er diesen Ritus jedoch ausführt, wird er in seiner Zeit auch zu einem Repräsentanten des Alten, des Vergehenden. Wenn wir davon ausgehen, dass die griechische Mythologie hier auch den Untergang des Matriarchats in Bilder fasst, gehört Kronos noch zu den Söhnen, die sich durch die weibliche Linie ihrer Herkunft definieren und den weiblichen Riten folgen – allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt.

An das Alte und eine sterbende Weltsicht gebunden steht er für das ein, was bisher gut und richtig, eben üblich war. Indem er jedoch einem fremden Urteil über seine eigene Art folgt (den Vater als Teil und Spiegel seiner selbst), verurteilt er sich unbewusst selbst und muss zwangsläufig zu dem Tyrannen werden, den er bekämpfte. In dem Moment, in dem der Ritus, den er vollzog, auf ihn selbst angewendet werden soll, sagt er nein. Diesen Teil der Abmachung fürchtet er und will an seiner Position festhalten.

Obwohl das Opfer des Jahreskönigs üblich war, erscheint in den Mythen mit Kronos ein Sohn, der zwar zum Teil dem Alten folgt, um selbst Macht zu erlangen, jedoch dem Neuen schon zu nahe ist, um den alten Ritus in letzter Konsequenz zu befolgen und sich selbst freiwillig zu opfern. Hier sieht er die Vorteile des Neuen und steht dazwischen, ohne sich entscheiden zu können. Somit wird Kronos zur Personifikation des Zweifels und zur Darstellung der Schwelle schlechthin. Seine Figur ist im Grunde tragisch, denn sie hat ihren Platz zwischen zwei Welten: einer bekannten, aber sterbenden, und einer erstarkenden, aber noch unbekannten.

Entsprechend steht auch der Planet Saturn zwischen zwei Welten und fungiert in der Astrologie als Hüter der Schwelle zwischen den persönlichen und relativ bekannten Energien bis Jupiter und den geistigen, stets neuen und unbekannten Energien ab Uranus/Prometheus. Wenden wir das auf unser individuelles Befinden an, stellt sich die Frage, wer von uns diesen Zweifel nicht kennt, der vor allem auftaucht, wenn es um ganz konkrete, irdische und folgenreiche Situationen geht, um Wendepunkte und Machtwechsel in unserem Leben?

In solchen Situationen regiert Kronos über unsere Seele. In bewegte Situationen will er Dauer bringen und kann uns somit dazu befähigen, Krisen zu überstehen. Das Festhalten am erlangten Status ist jedoch auch typisch für das Steinbock-Prinzip, und hieraus leitet sich seine Neigung zur Erstarrung ab. Die Erstarrung entsteht jedoch erst, wenn die ausübende Autorität ihre Verbindung zum lebendigen Ganzen verloren hat und die Wirksamkeit anderer archetypischer Energien unterdrückt.

Die Beziehung zwischen dem formgebenden, gebärenden weiblichen Prinzip und dem zeugenden, initiierenden männlichen Prinzip beschreibt der Mythos als konflikthaft. Der Streit zwischen den Polen ist im Grunde Vorbedingung dafür, dass Kronos überhaupt existieren und einschreiten kann. Weder im gesellschaftlichen Kontext noch in unserer eigenen Seele ist dieser Konflikt gelöst. Jedoch führt der Glaube an endgültige, dauerhafte Lösungen zu Tyrannei, Erstarrung und Gewalt.

Wenn wir davon ausgehen, dass die menschliche Geisteskultur als erstes die Mutterreligionen hervorbrachte und jeder Mensch sich als eins mit seiner Mutter und der Mutter Erde empfand, dann hatte ein männlich-geistiges Prinzip in dieser Weltsicht noch keinen Platz. Seine Position war – da von ihr hervorgebracht – der allumfassenden Muttergöttin stets unter- bzw. nebengeordnet. Durch eine an Müttern und Frauen orientierte Gesellschaftsordnung wurde das Männliche als eigenständiges Prinzip nicht ernst genommen, denn auch das Matriarchat war sexistisch. „Jenseits der Mütter“ gab es nichts, d.h. auch kein Bewusstsein, das die irdische Gegebenheit und Herkunft überstieg oder gar die Idee der menschlichen Originalität und die Geburt von etwas tatsächlich Neuem zuließ.

Die Uneinigkeit zwischen Gaia und Uranos symbolisiert auch den Machtkampf zwischen weiblichem und männlichem Prinzip auf einer sehr tiefen Ebene unseres eigenen Bewusstseins. Hier ist es dann unser inneres Steinbock-Prinzip, das sich automatisch auf die Seite der Herkunft und des Bisherigen stellen will. Diese Energie in uns spürt den Konflikt und fällt ein moralisches Urteil, das jedoch auch zugleich gegen die eigene Art gefällt wird. Kronos urteilt nicht nur über seinen Vater, sondern auch über das Männliche, zu dem er selbst gehört. Die Fragwürdigkeit, Unsicherheit und Notwendigkeit moralischer Urteile findet im Mythos des Kronos ein komplexes und entsprechend widersprüchliches Bild, ohne dass eine fadenscheinige Lösung für dieses menschliche Urproblem geboten wird. Den Göttern ihre Potenz zu entreißen, hat zwar einen Zuwachs an Macht und Bewusstsein zur Folge, stellt uns jedoch zugleich mehr und mehr selbst „vor Gericht“.

Die Kraft, auf der Basis der bisherigen Erfahrung moralische Urteile zu fällen, wird immer wieder durch Glauben, neue Erkenntnisse und die Erschließung neuer geistiger Horizonte in Frage gestellt. Wenn wir an einmal gefällten Urteilen festhalten (was wir zunächst immer tun, weil sie so mühsam zu erwerben sind und dem Leben in Gemeinschaft Struktur geben), entbrennt früher oder später in uns selbst der Kampf der Götter und Titanen, den Zeus schließlich mit Prometheus an seiner Seite für sich entscheidet. Dies entspricht der Sextilverbindung der Zeichen Schütze und Wassermann im archetypischen Tierkreis; eine Dynamik, auf die ich im zweiten Teil noch näher eingehen werde.

Mit Zeus/Jupiter steht in der griechischen Mythologie nun ein männlicher Gott, der nicht durch seinen Sohn entmachtet wurde, am Himmel – zumindest nicht in diesem mythologischen Bezug. Dem schützehaften Glauben und seiner mitreißenden Überzeugung ist die Eindeutigkeit zu eigen, der Dimension Saturns jedoch die Zweideutigkeit als Metapher für unsere irdische Existenz.

Kronos/Saturn wird durch seinen Mythos zu einem Symbol für Situationen des Übergangs und kennzeichnet die Fähigkeit unserer Seele, Übergänge zu bestehen, ohne in ihnen unterzugehen. Im Gegenteil: Mögen uns unsere eigenen Urteile auch in den Abgrund des Tartaros stürzen, so verbinden sie jedoch auch die Pole auf eine vertikale Weise und eröffnen unserer Erfahrung eine ganz andere Welt – nämlich die der Kehrseite. Im Mythos von Kronos finden wir die Höhe des Herrschertums und die Tiefe des Abgrunds miteinander verbunden. Durch die Konflikte der Pole zu tragischer Berühmtheit gelangt, sind sie in Kronos selbst und seinem Schicksal jedoch vereinigt.

Übergänge sind Situationen, in denen Trennung und Zusammenhang gleichzeitig anwesend sind. Das macht sie so schwierig, und das Bild Saturns ist das Symbol dafür. Das mag einigen LeserInnen zunächst etwas befremdlich erscheinen. Wenn wir jedoch weiter unten den Spuren seiner Herkunft bis in matriarchale Zeiten folgen, werden wir sehen, dass er ursprünglich nichts anderes war als genau das.

Kronos stellt sich im griechischen Mythos zwar gegen den Wandel der Zeiten, indem er dem Alten verpflichtet ist und für sich selbst Dauer beansprucht. Bei der Betrachtung der Beziehung von Saturn und Lilith wird jedoch später ersichtlich, dass diese Starre letztendlich den Umschlag und die Neuerung forciert. Da Saturn auch das Prinzip für materielle Manifestation an sich ist, können wir durch ein tieferes Verständnis seiner Qualität auch ein völlig verändertes Verständnis für die Erde und unser Erdendasein schlechthin bekommen. Indem wir in Raum und Zeit zu einer Form gerinnen, werden wir mit uns selbst konfrontiert und mit der Notwendigkeit, zu wachsen, zu lernen und uns zu verändern. Wir selbst sind Übergang und fortwährender Prozess.

In seinem Mythos ist Kronos Richter und Vollstrecker zugleich. Er steckt Grenzen, greift ein, regelt und ordnet eine neue Situation, in der sich Männliches und Weibliches erstens polarisiert haben und zweitens nicht einigen können. Die Erkenntnis der Grenzen betrifft sowohl die Aufteilung des Urchaos in zwei einander verschiedene Teile als auch das Erkennen einer mehr geistigen oder moralischen Grenze, nämlich der, wann es genug ist, wann die Beherrschung der Erde beginnt, ihr zu schaden.

Da sein Urteil zu Lasten des Vaters ausfällt, erkennen wir gleichzeitig Kronos‘ Respekt vor Gaia und seine innere Zugehörigkeit zu ihr. Dass Kronos jedoch scheinbar gegen die Zeit – vor allem in ihrem qualitativen Aspekt – handelt, entspricht auch der Position seiner Heimat Steinbock im Tierkreis: zwischen dem weitsichtigen Schütze-Zeichen und dem erfinderischen und grenzsprengenden Wassermann-Zeichen. Wir werden später noch sehen, dass seine hiesige Position die einzig mögliche ist und im Kontext des Gesamten die Entwicklungsdynamik des menschlichen Bewusstseins spiegelt.

In Zeiten, in denen sich alles ändert, glaubt Kronos zu wissen, wie es richtig ist. Er will die Vorteile des Vergehenden und die des Kommenden, er lässt sich zwar noch durch die Mutter autorisieren, will sich selbst jedoch nicht mehr opfern. Er will eigene Regeln aufstellen, nach denen das Bewahren des Alten ihm zum Vorteil wird und das Neue in Schach gehalten werden muss, um ihn nicht zu gefährden. Und hier kann es wieder tragisch für uns werden: Jene Energie in uns, die Grenzen erkennt, erkennt ihre eigenen nicht, erkennt nicht, dass sie selbst eine viel größere Kraft blockieren will und dass ihre Fähigkeit, diese Kraft zu behindern, ebenfalls Grenzen hat.

Auf der Schwelle zwischen persönlicher Macht und Zeitgeschehen fixiert sich Kronos auf quantitative Zeit, will lange an seinem Thron festhalten, ohne erkennen zu können, welche Kräfte bei diesem Geschehen tatsächlich am Werk sind. Sein Sturz in den Tartaros ist daher nur folgerichtig, denn dorthin gelangen wir durch geistige Rigidität, also den Glauben, dass es nichts Höheres gibt als das Zusammenspiel der uns bekannten Elemente. In dieser Funktion wirkt die Steinbock-Energie wie eine Bremse in einem von letzten Endes mächtigeren Seelenkräften getragenen Prozess. Sie verhindert jedoch auch, dass wir uns von solchen Kräften einfach bewusstlos mitreißen lassen.

Wer immer Wandlungssituationen in seinem Leben ausgesetzt war, weiß, dass im Nachhinein die Zweifel und angestrengten Bemühungen oft unnötig erscheinen. Und oft erkennen wir auch erst nachher, dass hier ganz andere Kräfte am Werk waren, als wir geglaubt haben. Für die Saturn-Energie in uns stellen sich dann verschiedene Möglichkeiten, mit den Erkenntnissen der Retrospektive umzugehen:

Je bewusster wir sind, umso mehr erkennen wir tatsächlich einen größeren Zusammenhang, eine höhere Ordnung, die durch uns wirkt und der wir uns vertrauend unterstellen können. Je mehr aber unser Stolz mitredet, umso mehr glauben wir, dass nicht erst die Zeit des Zweifels und der Anstrengungen uns zu neuen Ufern geführt hat, sondern dass sie unsinnig oder falsch war.

In Kronos‘ Urteil über den Vater erkennen wir eine weitere Saturn-Analogie: den Fehler. Kronos erkennt einen Fehler und bemüht sich, ihn zu beheben. Einen Fehler zu erkennen bedeutet, dass man an die Existenz von Fehlern glaubt – und somit wird Kronos‘ Geschichte wieder tragisch. Er, der durch die Enge seiner Sicht an die Existenz von Fehlern glaubt und sie berichtigen will, setzt somit den Fehler und das Urteil in die Welt - was durch die nachfolgende Generation auf ihn zurückfällt und ihm selbst zum „Verhängnis“ wird.

Kronos bemüht sich, durch das Verschlingen seiner Kinder seinem Schicksal zu entgehen – man könnte auch sagen: seinen eigenen Fehler zu korrigieren. Er erkennt sich selbst nicht als „Zwischenlösung“, als Verkörperung einer Schwellensituation, die weder der einen Seite angehört noch der anderen – oder sowohl als auch. Durch sein Verhalten wird der typisch saturnische Glaube repräsentiert, „alles im Griff“ haben zu können – ein Glaube, dem wir nur folgen können, wenn wir die Existenz größerer Kräfte ignorieren. So ist es nur folgerichtig, wenn ihm seine Eltern Uranos und Gaia als die ursprünglicheren Prinzipien weissagen, dass ihn eines Tages eines seiner Kinder stürzen wird. Kronos reagiert auf diese Weissagung damit, dass er die Herrschaft behalten will. In der Hierarchie oben zu sein, bedeutet für ihn Sicherheit – und somit wird Hierarchie als ein das Nachfolgende blockierendes Prinzip erst durch Kronos installiert und pflanzt sich in seinem Sohn Zeus fort.

In Kronos‘ Phase der Entwicklung beginnt die Hierarchie der männlichen Linie sich gerade erst zu differenzieren. Sie ist noch unklar und nahe am Reich der großen Mutter, denn sowohl Kronos selbst als auch sein Vater Uranos sind Kinder Gaias. Da wir hier auch den Beginn einer patriarchalen Weltsicht verfolgen können, ist die Hierarchie jedoch nicht mehr an der Natur orientiert und ergibt sich aus ihrer Folge, sondern wird durch Gewalt sowohl erschaffen als auch erhalten. Vielleicht ist Hierarchie deswegen ein so wichtiges Thema für die spätere Wirkweise Saturns, weil sie sich nicht an den Vorgaben der Natur orientieren kann.

Die Entwicklung des Patriarchats erfolgte in Abgrenzung von der matrizentrischen Weltsicht, welche die am eigenen Körper erlebte Natur zum Vorbild hatte. Patriarchale Hierarchie war jedoch von Anfang an ein geistiges Gebilde auf der Basis einer Vision des Menschen. Die Betrachtung der Existenz als eines sich einander fördernden und bedingenden Flusses mit dem Weiblichen als Quelle wurde umgewandelt in eine statische und unsichtbare Struktur von Wertigkeiten mit dem Männlichen an der Spitze, für das es in der Natur kein Vorbild gab.

Eine künstliche Wertigkeit und Rangfolge aufrechtzuerhalten ohne im Urgrund verwurzelt zu sein, ist anstrengend und erfordert Gewalt gegen die eigene Natur. In einem solchen Denken muss klar sein, wer welchen Rang hat, um durch dieses Wissen vielleicht Fehler verhindern zu können. Wenn Saturn in unserer Seele übergewichtig ist, müssen wir genau wissen, wo der andere in der Rangfolge steht, ob über oder unter, ob vor oder nach uns. Wir stecken damit unsere Kompetenzen und Grenzen ab, und so lange wir uns in diesem Rahmen aufhalten, glauben wir uns sicher vor Fehlern, Urteilen und Veränderungen. Wer innerlich tief in dem verstrickt ist, was Saturn heute repräsentiert, kommt gar nicht erst auf die Idee, dass der Glaube an Hierarchie als stabile Realität selbst der Fehler sein könnte.

Man kann sich natürlich fragen, wie Kronos gehandelt hätte, hätte es die Weissagung seiner Eltern nicht gegeben – doch Mythen sind keine Geschichten, die anders hätten verlaufen können. Auch hier sollten wir mit unserem inneren Saturn nicht in die Falle tappen, nach Fehlern zu suchen. Mythen berichten vom Fluss der Dinge, von lebendigen Prozessen der Seele, und in Kronos’ Fall berichten sie, dass das, was wir unbewusst zu verhindern suchen, genau deshalb geschieht.

Im Grunde ist dies eine Beschreibung des Prinzips der Manifestation, und so nähern sich heute auch immer mehr Menschen der Erkenntnis, dass das, was ihr Bewusstsein beherrscht, auch manifest wird, wenngleich „Bewusstsein“ allzu oft mit „Denken“ gleichgesetzt wird. Kronos demonstriert das Prinzip der Bewusstwerdung als Prozess. Das, was er als geistiges Konzept handelnd in die materielle Welt bringt, nämlich die Erkenntnis der Unterschiede und das daraus folgende moralische Urteil, wird von nun an konsequenterweise auch auf ihn angewendet. Kronos setzt das Urteil in die Welt, und entsprechend richten ab nun auch andere über ihn. Dies mag mit der Weissagung seiner Eltern gemeint sein: Was du geschaffen hast, dem kannst du nicht entgehen und das wird auch dich betreffen. Du erlebst dich selbst. Oder anders: Die Welt ist ein Spiegel deines Bewusstseins.

Der Glaube an Fehler impliziert das Wissen oder die Ahnung um das Richtige. Erkennt man einen Fehler, zeigt man damit gleichzeitig, dass man eine Vorstellung davon hat, wie es sein sollte – und dass diese bestimmte Situation davon abweicht. Um den Fehler beheben zu können, muss seine Ursache gesucht werden, dem Glauben an Fehler folgt also der Glaube an Schuld, welche schließlich einer Person, einer Sache oder einem Umstand zugewiesen wird.

Somit ist das Urteil gesprochen, und das Bemühen um die (Wieder-) Herstellung des „richtigen“ Zustandes beginnt genau dort, bei dem Verurteilten. Wir alle agieren auf diese Weise, wenn wir etwas verbessern wollen. Wir erkennen etwas Falsches, suchen nach seiner Ursache, stellen sie ab und fühlen uns dann besser. Was jedoch nie verschwindet, ist der ewige Zweifel in uns: Was ist richtig, was ist falsch?

Die Macht Saturns in uns, die Macht, Urteile zu fällen und fehlerhafte Umstände zu beheben, ist nicht zu haben, ohne dass unsere Urteile auf uns zurückfallen. In jeder Situation, in der wir richten, fürchten wir uns unbewusst vor Zeus/Jupiter, der unser Urteil früher oder später vom Thron stoßen wird. Und es hat wenig Sinn, wenn wir uns aus dieser Angst heraus in unserem Empfinden von Gut und Böse zurückhalten. Der Stein, den wir bei Urteilen oft im Magen verspüren, kann daher kommen, dass wir uns zunächst davor fürchten, von veränderten Zeiten oder neuen Einsichten immer wieder in Frage gestellt zu werden.

In der Astrologie ist das Zeichen Steinbock das erste Zeichen des vierten Quadranten, welchem bewusstes Sein zugeordnet wird. Der Akt der Gewalt, den Kronos sowohl bei der Erlangung der Macht als auch bei dem Versuch zu ihrer Bewahrung vollzieht, ergibt sich in einer Betrachtungsweise aus mangelnder Bewusstheit seines eigenen Seins. Als Folge dieses Gewaltaktes sehen wir die Prinzipien Schütze, Steinbock und Wassermann als miteinander unvereinbar, als sich bekämpfend und gegenseitig vernichtend an. Diese Haltung ist leider noch sehr oft eine gängige astrologische Lehre. Begriffen wir uns selbst als eine Verkörperung von Schwelle und Übergang, könnten wir der Gewalt, die wir uns selbst antun, ein Ende machen und unsere Fähigkeit zu urteilen als einen Schritt zu Freiheit und Selbstbestimmung erkennen.

Wenn wir jedoch den schwierigeren Standpunkt einnehmen, nicht an die Fehlerhaftigkeit der irdischen Existenz zu glauben, erscheint der Akt des Kronos als eine vollbewusste Tat, die not-wendig ist, um unter den gegebenen Umständen den Fluss der Energien und die Weiterentwicklung zu gewährleisten. Von diesem Standpunkt aus übernimmt das Steinbock-Prinzip durch sein Tun die Verantwortung, indem es sich der größeren Ordnung unterstellt und ihr mit seinem Handeln antwortet. Und es nimmt somit auch gleichzeitig die Schuld und die Rolle des Sündenbocks auf sich – weil niemand sonst es täte.

b. Die Schlange und der Teufel

Wie wir sehen konnten, schildert die Geschichte von Kronos unter anderem das Erscheinen von Phänomenen wie Trennung, Grenzen, Schuld, Verantwortung, Zweifel, Hierarchie, Fehler, Urteil und einigen anderen inneren Haltungen, die wir in der Astrologie dem Steinbock zuordnen. Der antike Mythos zeigt uns bildhaft die mit der menschlichen Moral einhergehende Zerrissenheit und Ambivalenz der Gefühle und die mit dem Kampf um das richtige Urteil einhergehende Problematik.

Bei der Betrachtung der Mythologie geht es auch um das Nachvollziehen von Entwicklungsschritten der menschliche Seele bzw. des kollektiven Bewusstseins. Die urteils- und schuldlose Zeit vor Kronos ist vergleichbar mit der Phase unserer Entwicklung, in der unsere Psyche noch nicht trennend unterscheidet – also im Mutterleib und in der frühen Kindheit. Es ist die Idee des Paradieses, der biblische Garten Eden, zu dem die saturnische Kraft des Urteils den Menschen den Zutritt verwehrt.

Historisch gesehen folgte im abendländischen Denken der antiken die christliche Weltanschauung. Sie fand für das Problem von Gut und Böse oder der Moral an sich eine Lösung, der die Verurteilung Saturns bzw. der Rückfall Saturns auf sich selbst bereits deutlich anzumerken ist. Die biblische Schöpfungsgeschichte stellt die Themen Gehorsam, Schuld und Strafe sogleich in ihren Mittelpunkt. Das Paradies fußte auf dem Gehorsam der ersten Menschen Gott gegenüber, der ihnen verbot, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Sie taten es aber doch, wie wir wissen, und damit war ihr Aufenthalt im Paradies zu Ende. Zuvor bestand jedoch auch hier das Problem der Schuld, die schließlich bei der Schlange landete, die sie als einzige auf sich nahm und nicht an einen anderen weitergab – denn Adam verwies auf Eva und Eva auf die Schlange. In der biblischen Geschichte war Gott der Meinung, dass es nicht gut sei, dass die Menschen Gut und Böse erkennen – dass sie sich also selbst ein Urteil bilden. Es war die Schlange, die an der Gültigkeit des göttlichen Verbotes zweifelte und mit dieser Meinung die Menschen verführte.

Hier ist die Schlange das Symbol für das Böse schlechthin, weil sie nicht nur Gottes Wort anzweifelt, sondern ihm sogar widerspricht. Ebenso wie Kronos greift sie mit ihrem Zweifel in die bestehende Welt(-anschauung) ein und provoziert hierdurch die Trennung: die von Mann und Frau, welche sich plötzlich als unterschiedlich erkennen, und die von Mensch und Gott. Die Schlange ist nicht nur deshalb ein Steinbock-typisches Symbol, weil sie beschuldigt wird, sondern weil sie die Schuld behält. Wir können das Bild der Schlange jedoch auch als ein Bild für die Unendlichkeit nehmen, für das Urchaos, das Ganze und Runde, den Uroboros, der sich selbst von hinten sehen kann und über die Fähigkeit zur ständigen Wandlung verfügt.

Die Schlange war ein heiliges Tier der Großen Göttin, und Wellen- und Spiralmuster gehörten als Darstellung des ewigen Zyklus‘ von Leben und Tod zu den religiösen Symbolen matriarchaler Kulte3. In dem von einem männlichen Gott geschaffenen Paradies muss sie als böse angesehen werden, denn sie stellt als das Vergangene und Gewesene den neuen, unsichtbaren Gott des Wortes und seine Gebote in Frage. Dem entstehenden Glauben an die Schöpfung durch den männlichen Geist stand die alte Auffassung des ewigen Flusses von Werden und Vergehen unterminierend gegenüber. Wenn unter der Herrschaft des neuen Gottes etwas schlecht war, musste es also seinen Ursprung im alten Gott (in diesem Fall in der alten Erdgöttin) haben.

Der Gott des Alten Testamentes gleicht in vielem den Tyrannen des griechischen Götterhimmels. Er ist fordernd und strafend, sein Zorn ist unberechenbar, er verlangt absoluten Gehorsam, er verfasst Gesetze – und er trennt: Bei der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies lautet sein Urteil über seine ungehorsamen Schöpfungen: Frau gegen Schlange, Mutter gegen Kinder, Mann gegen Frau, der Boden gegen den Mann, die Natur gegen menschliche Mühe. Wie im griechischen Mythos bringt das Urteil den Menschen scheinbar nichts Gutes – und dennoch ist es ein notwendiger Entwicklungsschritt zu einem eigenständigen und selbstbestimmten Leben.

Im Schöpfungsmythos der Bibel ist der Wandel der Weltsicht bereits vollzogen, aus der Polarität ist Dualismus geworden und verbindende Elemente finden sich kaum. Alles, was in matrizentrischen Kulturen heilig war, gilt nun als böse, als den Menschen bedrohend: die Schlange, Kinder zu gebären, Sexualität (als weibliche Verführung und Potenz), die Erde und die Natur. Alles, was männlich ist, wird als ewig dargestellt, wovon die langen Auflistungen der Nachkommenschaft und das wahrhaft biblische Alter der Väter zeugen.

Im Sündenfall sehen wir saturnische Energie bereits aufgespalten: Zum einen in den Gebote aussprechenden und strafenden Gott, zum anderen in die die Verantwortung und Konsequenzen tragende Schlange. Hier ist also bereits Saturns Unterscheidung und seine Fähigkeit zum Urteil auf ihn selbst zurückgefallen – es gibt einen guten und einen bösen Gott oder anders: es gibt Gott und seinen zweifelnden Widerpart. Der höchste Herrscher zweifelt nicht mehr, sondern ist das absolut Gute, während das Zweifeln selbst das absolut Böse geworden und vom Guten getrennt ist. Die Idee des Ur-Einen ist zwar verblasst, jedoch als kollektive Erinnerung noch vorhanden.

Der biblische Gott ist nicht „der Erste“, zuvor herrschte für lange Zeit im menschlichen Bewusstsein die absolute Gültigkeit des weiblichgöttlichen Prinzips mit der ihm innewohnenden Anziehungskraft. Diese wird nun als böswillige Verführung direkt verurteilt, um der Dynamik des neuen Glaubens Raum zu geben. Die reale und ganz irdische Erfahrung der Einheit mit der Mutter und der Herkunft von ihr wird durch den christlichen Glauben nicht mehr gespiegelt. Die Achse Krebs-Steinbock ist in diesem Sinne kein Symbol mehr für ein sich gegenseitig beeinflussendes und fließendes Verhältnis der Pole, sondern für einen erstarrten Dualismus.

Der Gott des Alten Testaments und die Schlange sind im Grunde Weiterführungen oder Abwandlungen Saturns. Im griechischen Mythos war er noch „ganz“, eine Kraft, die in sich selbst entzweit ist – mit einer dem Alten treuen Seite und einer Seite, die das Neue regeln will. In der Bibel haben sich diese beiden Seiten voneinander getrennt und sind einander verfeindet. Es gibt keinen Zweifel mehr, was gut und was böse ist, das Wort des guten männlichen Gottes hat den Himmel und den Glauben der Menschen erobert.

Das Novum des neuen Glaubens, der alles erschaffende männliche Gott, ist eine direkte Weiterführung von Zeus/Jupiters Himmelsherrschaft. Herrschte früher einmal die große Mutter über die Geschicke der Welt, die sie selbst geboren hat, herrscht nun ein Vatergott über die Welt, die er durch sein Wort und seinen Geist erschaffen hat. Das göttliche weibliche Prinzip spielt nur noch eine ätherische oder verteufelte Nebenrolle. Suchen wir in der Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments nach Saturn, finden wir ihn in der Paarung Gott-Schlange, Gott-Frau oder Gott-Erde wieder. Der Zweifel wurde mit Trennung und Projektion des Bösen besiegt – ein klassischer Vorgang innerhalb des Steinbock-Prozesses.

Dadurch ist nichts und niemand mehr gut: Der Mensch ist gefallen und ohnehin sündig, der Teufel das Böse schlechthin und das Gottesbild entgegen aller Beteuerungen einseitig. Die Aufspaltung Saturns von einer polaren in eine duale Energie führt zu geistiger Verhärtung und einem Klima, in dem Ordnung und Moral nur durch Angst aufrechterhalten werden können.

So wie Zeus/Jupiter seinen Vater Kronos in den Tartaros stieß und dieser zum Sinnbild für alles Böse wurde, so muss mit dem Erscheinen des Christentums mit Zeus/Jupiter etwas Ähnliches geschehen sein4. Da wir in diesen Betrachtungen hier die Entwicklung einer patriarchalen Religion verfolgen, muss deren Weg von toten Göttern – oder von Teufeln – gesäumt sein. Zeus/Jupiter sollte sich also nach Ablösung der antiken Weltsicht durch das Christentum in der christlichen Hölle wiederfinden5. Wir entdecken das Alte stets in der Unterwelt des Neuen, oder anders ausgedrückt: Der Gott von heute ist stets der Teufel von morgen.

So wundert es nicht, wenn wir im christlichen Bild des Teufels auch eine gehörige Portion Jupiter-Energie finden. Die wilde Zeugungslust und Triebhaftigkeit, die für Zeus so charakteristisch sind, wurden im Christentum ebenso verteufelt wie die homosexuelle Liebe. Was von Zeus/Jupiter übriggeblieben ist, ist der herrschende männliche Vatergott, was ihm genommen wurde, ist seine sinnliche, begehrende Beziehung zur Erde und zum Weiblichen schlechthin. Der Teufel ist demnach ein erdverhafteter Verführer, und sein Bild erinnert an den Steinbock sowie auch an Pan, den liebestollen Gott der Fruchtbarkeit, der – hier sind sich die Mythen uneinig – ein Sohn von Kronos, Zeus, Apollon oder Hermes gewesen sein soll.

All diesen Bildern gemein ist die Erdverbundenheit, die Lust am Leben in einem irdischen Körper, die Freude an sinnlichen Genüssen, schlicht die auf unterschiedliche Weise bestehende Verbindung zu und Anhänglichkeit an Mutter Erde. Der Teufel tritt im Alten Testament als steter Zweifler an Gott auf, als Stachel im Fleisch, als eine Energie, die darauf pocht, dass Unsichtbares, Unirdisches keine alleinige Macht haben kann.

Abgesehen davon, dass er in der Bibel auch Inhalte einer vergangenen Kultur repräsentiert, ist er abstrakt gesehen jener Teil, der nicht an diesen Gott glaubt, der Gottes Macht ebenso in Frage stellt wie Kronos das Wirken seines Vaters Uranos in Frage gestellt hat. Dieser Zweifel an dem nur Geglaubten ist typisch für die Energie des Steinbocks. Sie pocht auf reale und sinnliche Wahrnehmung, alles andere ist für diese Facette unserer Seele bis zu seinem sichtbaren Beweis nicht existent.

Der biblische Gott ist ein unfassbarer Gott im Geiste, und seine Existenz sollte auch nicht zum Beweis herausgefordert werden. Da die christliche Religion insgesamt abstrakter war als die antike Weltsicht, fußte sie mehr auf dem Glauben als auf einem Erleben. Der neue Gott ließ sich nur durch Negation beschreiben, im Gegensatz zur „Anwesenheit“ antiker Gottheiten im konkreten irdischen Geschehen. Somit stand das menschliche Bedürfnis nach einem mit unseren Sinnen wahrnehmbaren Beweis in einem viel extremeren Gegensatz zu dem neuen Gott als zuvor.

Der neue Gott ist wie Uranos ein Gott des Himmels, der zur Erde in konflikthafter Beziehung steht, nur dass der Part der Erde (Gaia) nicht mehr durch eine Göttin repräsentiert wird, sondern durch erdhafte Menschen, Frauen und eben den Teufel. Letztendlich forderte das Christentum uns auf, den männlichen Gott, den zeugenden Geist, den unseren fünf Sinnen unzugänglichen („un-sinnlichen“) Teil unseres Seins in uns selbst zu finden. Dies versuchte es zu erlangen, indem die Menschen sich von der sogenannten Verhaftung an die Erde und an ihre Körperlichkeit lösen sollten.

Im Grunde stehen wir heute genau hier, denn wir haben uns derart von der Erde gelöst, dass wir weder die Stimme unseres Körpers verstehen können noch der von uns selbst verursachten Bedrohung unserer Lebensgrundlagen etwas Angemessenes entgegensetzen können. Anders als Kronos nimmt die Mehrheit der sogenannten zivilisierten Menschen die Erde und ihren eigenen Körper als eine intelligente spirituelle Kraft nicht mehr ernst, um geistigen Eskapaden an notwendiger Stelle auch einmal ein entschiedenes „Nein“ entgegensetzen zu können. Mittlerweile sind wir virtuelle Kopfmenschen geworden und in unserem Empfinden der irdischen Realität fremder als je zuvor.

Doch wir nähern uns auch allmählich der Erkenntnis, dass wir Geistwesen sind, die ein materielles Kleid tragen. Dieses materielle Kleid wird jedoch häufig als ein Irrtum angesehen, als etwas, das es zu überwinden gilt, eben immer noch als der „Sündenfall“ des Menschen, der ihn von Gott getrennt hat. Hinter einer solchen Haltung steckt immer noch das antike „Gegeneinander“ der Urprinzipien, der Glaube, dass eines besser sei als das andere, der Glaube, dass die Erde den Geist behindert und dass der Geist die Erde flieht und überwinden muss. Oder der Glaube, dass Gott und der Teufel tatsächlich in dieser getrennten Form existieren. Ein einfaches „Ja“ zum Erdendasein hat demnach auf unser inneres Steinbock-Prinzip und unseren Umgang mit der Erde eine enorm heilende Wirkung.

Im Neuen Testament findet der Teufel als Herrscher dieser Welt seinen Auftritt. Auch hier tritt er als Versucher und Verführer an Jesus heran, auch hier will er sichtbare Beweise für einen unsichtbaren Gott. Im Gegensatz zum Alten Testament spricht Jesus von einem Gott der Liebe, und sein neues Gebot lautet: „Liebet einander!“

Wir befinden uns immer noch in der Entwicklung des männlichen Prinzips, in einer Weltanschauung, die – über einer wüsten und leeren Erde – einen göttlichen Vater im Himmel hat. Doch dieser Vater liebt seine Söhne, und möglicherweise ist das die adäquate Entwicklung zur matriarchalen Liebe der Mütter zu ihren Töchtern. Es macht durchaus Sinn, wenn wir die Erhöhung des Menschensohnes, die wir durch die Geschichte Jesu symbolisiert sehen, als eine ausgleichende Entwicklung aus einer ursprünglichen gesellschaftlichen Minderwertigkeit von Söhnen betrachten.

Die Einführung der Liebe in den Glauben will der alttestamentarischen Aufspaltung des Steinbock-Prinzips entgegenwirken. Teuflisch ist nun das, was dem „Altherrenglauben“ mit seinem hierarchischen Regelwerk dient. Doch trotz allem hat der Teufel seinen Erdbezug nicht verloren, denn er verspricht Jesus weltlichen Reichtum für die Aufgabe seines Gottes. Der beanspruchten Dominanz des Himmels und des Geistes ist die Realität der Erde immer bedrohlich.

Jede Bedrohung entsteht